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Blut, Wurst und dunkle Geheimnisse Auch im Ruhestand kommt Ex-Kommissarin Frederike einfach nicht zur Ruhe. Als ihre Nichte Angela mit Koffer und gebrochenem Herzen vor der Tür ihres Häuschens in der Eifel steht, erfährt sie, dass sie Großtante wird. Mit den Turbulenzen einer Schwangerschaft zieht bald mehr Aufregung ins Haus, als ihr lieb ist. Da kommt es ihr gerade recht, dass im Nachbardorf eine Frau nach dem Genuss von »Himmel un Ääd« an einer Überdosis Ecstasy stirbt. Die ungewöhnliche Todesart weckt Frederikes Neugier. Bald rückt der Verkaufswagen der Metzgerei in ihren Fokus – und dort wartet bereits der nächste Tote. Frederike zeigt einmal mehr, dass sie auch ohne Dienstmarke eine Ermittlerin mit Scharfsinn bleibt. Doch je hartnäckiger sie nachforscht, desto mehr geraten ihre Lieben ins Visier – und aus dem Dorfkrimi wird eine deftige Mischung aus Blutwurst und Blutvergießen.
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Seitenzahl: 320
Veröffentlichungsjahr: 2025
Andrea Revers
Alles hat ein Ende
Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:
Schlaf schön
Komm gut heim
Hab keine Furcht
Lass die Vergangenheit ruhen
Vertrau mir nicht
Andrea Revers wurde 1961 in Brühl/Rheinland geboren. Sie ist Diplom-Psychologin, studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften und machte eine Ausbildung zur Journalistin und Marketing-Beraterin. Sie lebt in der Eifel und widmet sich nach langjähriger Tätigkeit als Management-Trainerin und Coach nun voll und ganz dem Schreiben. Sie verfasste Bücher, Fachartikel und zahlreiche Kurzkrimis. 2011 wurde sie für den »Deutschen Kurzkrimipreis« nominiert. Ihre Romanreihe um die Ex-Kommissarin Frederike Suttner hat der Palette der Eifelkrimi-Literatur eine neue Farbe hinzugefügt und umfasst nun bereits sechs Bände.
www.andrearevers.de
Andrea Revers
Eifelkrimi
Originalausgabe
© 2025 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH
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Umschlaggestaltung: Ralf Kramp unter Verwendung von © picupyourfoto über pixabay
Lektorat: Nicola Härms, Rheinbach
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-95441-737-7 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-95441-748-3 (e-Book)
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
EPILOG
DANKE
Die Sonne schien durchs Küchenfenster und malte helle Streifen auf den Tisch. Dampf stieg vom Herd auf und zog in Schwaden zum gekippten Fenster hinaus. Die Frau drehte die Temperatur zurück und stellte den Wecker auf zwanzig Minuten. So lange würden die Kartoffeln brauchen. Dazu selbst gemachtes Apfelmus mit Boskoop-Äpfeln aus dem eigenen Garten und ein paar Scheiben Hausmacherblutwurst in die Pfanne – gleich wäre das Mittagessen fertig. Himmel un Ääd. Schon beim Gedanken daran lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie mochte die rustikale Küche, und auch wenn Blutwurst nicht jedermanns Sache war – ihr schmeckte es.
Kurze Zeit später saß sie am Küchentisch. Die Kartoffeln hatte sie gestampft und mit ein wenig warmer Milch und Muskatnuss verfeinert. Es duftete verlockend, und sie griff herzhaft zu. Mmh, war das lecker. Sie aß mit Genuss.
Plötzlich überkam sie eine Hitzewallung. Sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Vielleicht war dieses deftige Essen bei der Sommerhitze doch nicht die beste Idee gewesen. Etwas zu trinken wäre gut. Sie stand auf, um sich eine Flasche Mineralwasser zu holen, und nahm wieder Platz.
Doch selbst das Trinken schien kaum zu helfen, obwohl sie das Glas nun schon zweimal in großen Zügen geleert hatte. Schweißtropfen liefen ihre Schläfen entlang. Ihre Hände zitterten, als sie nach der Flasche griff. Sie machte sich nicht mehr die Mühe einzuschenken, sondern setzte die Flasche direkt an. Ihr Herz raste, und ihr Kopf schien zu bersten. Sie rang nach Luft. Was war das bloß?
Sie wollte aufstehen, doch sie schaffte es nicht mehr. Ihr Herz schien in ihrer Brust zu zerspringen. Sie ließ sich stöhnend zurück auf den Stuhl fallen. Das Telefon lag unerreichbar für sie auf der Anrichte. Ihr schwanden die Sinne, sie ließ den Kopf auf den Tisch sinken. Vielleicht half es, wenn sie sich ein wenig ausruhte? Plötzlich versteifte sich ihr ganzer Körper, und die Muskeln begannen zu zucken. Ihr Kopf schlug auf den Tisch. Fast drohte sie, mit dem Stuhl umzufallen. Ihre Kieferknochen wurden so stark aufeinandergepresst, dass die Zähne knirschten und die Keramikkrone zerbarst, die sie sich kürzlich erst hatte erneuern lassen.
Der Anfall dauerte nur wenige Sekunden, dann erschlaffte der Körper. Ein leichtes Röcheln entfuhr ihrer Kehle.
Eine Stubenfliege fand den Weg durch das gekippte Fenster, surrte eine Weile durch die Küche und ließ sich dann mit einem leisen Brummen auf der gebratenen Blutwurst nieder. Weit geöffnete Augen starrten sie an. Tote Augen.
»Ich glaube, er hat eine andere.«
»Was?« Frederike fuhr auf. Sie hatte ein wenig in der Sonne gedöst und die Wärme auf ihrem Gesicht genossen. Gemeinsam mit ihrer Nichte Angela saß die pensionierte Kriminalkommissarin in ihrem Garten. Sie hatten einige Zeit damit verbracht, die Rosenbüsche auszuputzen, die gerade in voller Blüte standen, und gönnten sich nun eine kleine Auszeit mit einem kühlen Getränk. Angela saß ihr im Sessel gegenüber, die gebräunten Beine hochgezogen und die Augen geschlossen.
»Was hast du gesagt?«, wiederholte Frederike ihre Frage, obwohl sie sich eigentlich sicher war, den Text verstanden zu haben, und doch weigerte sich ihr Gehirn, die Information passieren zu lassen.
»Frank. Ich glaube, er hat eine andere.«
»Ach, Unsinn!« Wenn sich Frederike eines sicher war, dann, dass Frank Junge ihre Nichte von ganzem Herzen liebte. »Wie kommst du bloß darauf?«
Angela öffnete die Augen und fixierte Frederike. »Die letzte Zeit ist er ständig unterwegs und erzählt kaum noch etwas zu Hause. Wenn er da ist, sitzt er die meiste Zeit vor dem Fernseher. Doch ich habe den Eindruck, dass ihn das Programm überhaupt nicht interessiert. Er will sich bloß nicht mit mir unterhalten. Sag nicht, dass dir nicht auch aufgefallen ist, dass er irgendwie komisch ist.«
Frederike kniff die Augen zusammen. »Bist du sicher, dass er nicht einfach an einem Fall knabbert? Polizisten sind nicht unbedingt die besten Ehepartner, wenn das Böse droht.«
Angela hob die Schultern, streckte ein Bein aus und zupfte mit den Zehen ein paar Grashalme aus der Wiese.
»Wenn du den Rasen mähen willst, gibt es einfachere Wege«, beschied Frederike. »Der Rasenmäher steht im Schuppen.«
Doch Angela dachte gar nicht daran, den bequemen Sessel zu räumen, sondern starrte vor sich hin.
Frederike überlegte, ob ihre Nichte ihren Einwand überhaupt gehört hatte, und seufzte auf. »Also gut. Was ist los bei euch?«
Hannelore, Frederikes schwarzer Kater, kam herangeschlichen und strich um Angelas nackte Beine. Sie bückte sich, um ihn zu streicheln, und begann dabei zu erzählen.
»Heute Morgen ist er aus dem Haus, ohne zu frühstücken. Normalerweise bringt er mir morgens eine Tasse Kaffee ans Bett, wenn er vor mir rausmuss. Aber heute Morgen hat er nur vor sich hin geknurrt und ist los. Er wirkt so kalt und abwesend.« Sie zögerte. »Ach, ich weiß auch nicht. Er ist so anders.«
»Hat er denn einen Fall, an dem er gerade arbeitet?«
Angela hob den Blick und setzte sich wieder aufrecht hin. »Selbst das weiß ich nicht. Ich habe den Eindruck, wir hätten schon seit einer Woche kaum ein Wort gewechselt.«
»Hmm, das hört sich aber gar nicht nach Frank an.«
»Meinst du etwa, es liegt an mir?«, brauste Angela auf.
»Himmel, nein, so war das nicht gemeint«, bemühte sich Frederike, ihre Nichte zu beschwichtigen. »Ich wollte nur sagen, dass das nicht typisch für Frank ist. Aber trotzdem, sein Job bei der Mordkommission ist aufreibend, und vielleicht hat er etwas gesehen, was ihm nachgeht.«
Angela zuckte mit den Schultern. »Mag sein. Aber dafür hat man doch Partner, oder? Damit man sich alles erzählen kann.«
Frederike blickte sie an. »Erzählst du ihm alles, was du am Tag erlebst?« Sie hatte den Eindruck, dass Angela bei der Frage zusammenzuckte, sprach aber einfach weiter. »Ich habe früher so viel Furchtbares gesehen, dass man im Laufe der Zeit abstumpft. Aber selbst mir passiert es heute noch, dass mich die Dämonen der Erinnerung im Traum verfolgen. Und das ist nichts, worüber ich mit anderen sprechen möchte.«
Angela lächelte sie liebevoll an. »Du bist die furchtloseste Frau, die ich kenne. Ach was, der furchtloseste Mensch!«
Frederike erwiderte das Lächeln. »Danke für die Blumen, aber das stimmt sicher nicht. Ich zeige meine Gefühle nur nicht so deutlich.«
Angela seufzte. »Vielleicht hast du Frank damit angesteckt. Oder es ist eine Berufskrankheit. Wer weiß!«
Frederike nickte bestätigend. Anscheinend hatte sie Angelas Misstrauen ein wenig zerstreuen können. Sie stand auf und scheuchte damit Hannelore auf, der sich zu ihren Füßen niedergelassen hatte. »Los, es gibt noch viel zu tun. Willst du den Rasen mähen oder lieber die Buchsbäumchen in Form schneiden?«
Angela stöhnte auf. »Echt jetzt?«
»Jawohl. Du musst den Kuchen wieder abarbeiten. Kann das sein, dass du ein wenig zugelegt hast?«
Angela funkelte Frederike böse an, stand aber auf und dehnte ihre Finger. »Ich nehme die Buchsbäume.«
»Aber denk dran: kugelförmig.«
Gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Auch Hannelore trug seinen Teil dazu bei, indem er Fliegen fing.
Zwei Stunden später hatte Angela sich wieder auf den Weg gemacht. Frederike saß noch eine Weile in ihrem Garten, genoss den Ausblick und die frische Luft, während sie an einer Weste strickte. Stricken war ein neues altes Hobby von ihr. Vor rund fünfzig Jahren, als sie studierte, hatte sie an der Uni ständig gestrickt, doch dann die Stricknadeln aus der Hand gelegt und ewig nicht mehr an sie gedacht. Jetzt war die Zeit, wieder durchzustarten. In den letzten Wochen hatte sie sich dabei ertappt, permanent aufs Handy zu starren. Da war Stricken doch wesentlich produktiver.
Während die Stricknadeln klapperten, ließ sie ihre Gedanken schweifen. Auch wenn sie es Angela gegenüber nicht zugegeben hatte, machte sie sich doch Sorgen um das Pärchen. Die zwei passten so gut zusammen. Aber der Beruf des Polizisten war ebenso anstrengend wie der einer Pflegefachkraft. Es half, wenn man sich gegenseitig stützen konnte. Doch wenn beide im Job viel um die Ohren hatten, mit menschlichen Schicksalen konfrontiert waren, die an den Nerven zehrten, dann fehlte möglicherweise der notwendige Rückhalt im Privaten. Ob sie mal mit Frank reden sollte? Halt dich da raus, hörte sie ihre innere Stimme. Und was, wenn Angela mit ihrer ersten Vermutung doch recht hatte und es gar nicht der Job war? Frederike hatte beim letzten Fall auf dem Flussschiff tatsächlich den Eindruck gehabt, dass Frank nicht so ganz bei der Sache war. Ging das etwa schon länger?
Nun nagten auch an ihr leichte Zweifel. War er da nicht ziemlich zerstreut gewesen? So zerstreut, dass er vergessen hatte, einen Tatort zu sichern? Sie hatte darüber hinweggesehen, weil man dort Franks Onkel Willi schwer verletzt gefunden hatte und Frank mit ihm ins Krankenhaus gefahren war. Aber vielleicht steckte doch etwas ganz anderes dahinter.
Das Tempo der Stricknadeln hatte sich merklich beschleunigt, während sie sich den Kopf zerbrach, und sie merkte, dass ihr Muster ein wenig aus dem Tritt geraten war. Mist. Genervt machte sie sich daran, die letzte Reihe aufzuribbeln. Sie würde sich mit Frank beschäftigen. Aber nicht jetzt!
Am nächsten Morgen führte sie ihr Weg nach Hillesheim. Frederike hatte trotz der nächtlichen Sorgen wunderbar geschlafen. Dazu hatte sicherlich auch beigetragen, dass sie gestern Abend noch das Rückenteil ihrer Weste fertiggestellt hatte und nun ganz stolz auf ihre Produktivität war. Jetzt brauchte sie Nachschub. In dem kleinen Wolllädchen im Herzen von Hillesheim, bei Irene, war immer etwas los. Hier fand man sich ein, um Wolle zu kaufen, sich beraten zu lassen, Strick- und Nähtipps zu bekommen oder einfach nur zu plaudern. Frederike genoss die heimelige Atmosphäre unter Frauen. Strickende Männer hatte sie hier bisher nicht entdecken können, obwohl Irene immer wieder versicherte, dass diese hochwillkommen wären.
Während die von ihr gewählte Strangwolle mittels Haspel und Wollwickler zu einem Knäuel aufgewickelt wurde, nahm Frederike am Tisch Platz und lauschte den anwesenden Frauen. Anscheinend ging es um einen Todesfall in der Nachbarschaft. Frederike übernahm die Kurbel des Wicklers von Irene, als eine weitere Kundin den Laden betrat, und nutzte die Gelegenheit, ungeniert dem Gespräch zu lauschen.
»Stell dir vor, die muss da schon zwei Tage gelegen haben, und das bei dieser Hitze die letzten Tage. Es war alles voller Fliegen.«
Frederike zog eine Grimasse. Sie konnte sich den Tatort nur zu gut vorstellen und hatte gleich wieder den Geruch in der Nase.
»Ja, ist das nicht furchtbar, so allein zu sterben? Niemand, der hilft? Das wäre ja mein Albtraum, dass ich einen Monat tot im Bett liege, und keinen interessiert es.«
»Na ja, bei Rita ging es schneller. Ihre Tochter kommt immer am Wochenende … kam immer am Wochenende«, korrigierte sich die Blonde. »Die hat sie gefunden.«
»Entschuldigung, dass ich mich einmische.« Frederike konnte es nicht lassen. Neugier geht vor. »Ich habe ein wenig mitbekommen von Ihrem Gespräch. Wo war das denn?«
»In Niederehe. Meine Nachbarin Rita Baumeister hat man tot gefunden, den Kopf halb im Mittagessen. Ist das nicht furchtbar?«
Frederike nickte. »Ja, schrecklich. Weiß man schon, was passiert ist?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nichts Genaues. Man vermutet wohl was mit dem Herzen. Aber sie war eigentlich zu jung für so was.«
»Sag das nicht. Einen Herzinfarkt kann man auch schon mit dreißig haben. Oder denk mal an diese jungen Fußballspieler, die da plötzlich auf dem Platz zusammenbrechen«, mischte sich die andere Frau ein, die an einer schwarzen Stola strickte.
Frederike deutete auf das Strickstück. »Trauerfall in der Familie?«
Die komplett Schwarzgekleidete grinste sie an. »Nein. Schwarz ist die einzige Farbe, die ich trage.«
»Schwarz ist doch keine Farbe. Schau dir mal an, was wir hier alles in den Regalen haben.« Irene, die hinter der Theke stand, deutete auf die in allen Regenbogenfarben leuchtenden Wollknäuel in den Regalen. Themenwechsel, dachte Frederike bei sich. Anscheinend war der Todesfall erschöpfend behandelt worden. Inzwischen war auch die Strangwolle komplett aufgewickelt, und Frederike packte zufrieden das Knäuel in ihre Tasche. Zumindest hatte der Besuch des Wollladens für ein wenig Ablenkung gesorgt.
Tatsächlich ließ sie der Gedanke an die Tote nicht los, sodass zu Hause ihr erster Weg direkt ins Arbeitszimmer an den Computer führte. Todesfall in Niederehe – mal sehen, was man im Netz dazu finden konnte. Doch anscheinend hatte Rita Baumeister es noch nicht in die Lokalpresse geschafft. Aber wäre das nicht eine gute Gelegenheit, mal mit KK Frank Junge zu telefonieren? Dann könnte sie gleich einen Eindruck gewinnen, ob er wirklich irgendwie anders war, wie Angela behauptet hatte.
Doch Frank war eigentlich wie immer. Leicht genervt davon, dass Frederike sich wieder in irgendwelche Todesfälle einmischte, aber grundsätzlich auskunftsbereit.
»Da ist überhaupt nichts Merkwürdiges dran. Meint der Hausarzt. Aber die Tote wird vorsichtshalber obduziert, auch auf Wunsch der Angehörigen. Die Tochter meint, ihre Mutter sei kerngesund gewesen, habe nie etwas mit dem Herzen gehabt und sei regelmäßig beim Nordic Walking gewesen. Der Hausarzt sprach allerdings von Bluthochdruck, und da fragt man sich natürlich schon, wer es denn besser weiß.«
Frederike hakte kurz nach, doch mehr konnte Frank nicht berichten. Auf jeden Fall würden sie nicht ermitteln, und auch sie solle sich lieber um ihren Garten kümmern. Also genau wie immer, der gute Frank, dachte Frederike bei sich. Sollte sie ihn auf Angelas Befürchtungen ansprechen? Doch dann entschied sie sich dagegen. Falls sie das Ganze überhaupt thematisieren wollte, wäre ein persönliches Gespräch, bei dem sie sein Gesicht sehen konnte, sicher besser.
Als sie sich gerade wieder in ihren Sessel setzen wollte, um mit dem rechten Vorderteil der Weste zu beginnen, schellte draußen der Metzgerwagen. Ach herrje, sie hatte eigentlich auf dem Rückweg von Hillesheim in Nohn vorbeifahren wollen, das aber über den Todesfall völlig vergessen. Schnell schnappte sie ihre Geldbörse und sprintete nach draußen.
Der Verkaufswagen der Metzgerei Käswinkel parkte im Hof. Nachbar Max, der regelmäßig hier kaufte, kramte bereits in seiner Brieftasche, als Frederike neben ihn trat. Er beäugte sie neugierig. »Du hier?«
Sie nickte. »Ich brauche noch was zum Abendessen.«
Hinter der Theke stand eine ältere Frau, so klein, dass sie kaum zu sehen war. Max zahlte und packte seine Waren ein. »Dann grüßen Sie bitte Hagen von mir und gute Besserung.«
»Mach ich! – Und was kann ich für Sie tun?«
Max hatte den Heimweg angetreten. Frederike musterte die Auslagen und entschied sich dann für zwei Brühwürstchen.
»Wollen Sie fürs nächste Mal etwas vorbestellen?«
Frederike errötete kurz. Die Frage war ihr peinlich, weil sie eigentlich nie am Wagen kaufte und das auch zukünftig nicht vorhatte. »Nein, danke. Ich brauche nichts.« Da ging ihr ein Gedanke durch den Kopf. »Sagen Sie mal, fahren Sie auch in Niederehe? Ich habe gehört, dass man dort eine Frau tot in ihrem Haus gefunden hat.«
Die Frau hinter der Theke nickte kurz. »Ja, das ist auch unsere Tour. Aber ich fahre normalerweise nicht selbst. Das macht Hagen. Aber der ist krank. Deshalb bin ich eingesprungen.« Sie seufzte auf. »Dabei habe ich im Laden eigentlich mehr als genug zu tun. Aber es ist so schwierig heutzutage, Personal zu bekommen.«
»Ja, das glaube ich«, bestätigte Frederike verständnisvoll. »Hört man ja überall.«
Die Metzgersfrau lächelte sie auffordernd an. »Falls Sie mal Interesse haben – man weiß ja nie!«
Frederike erwiderte das Lächeln. »Danke für das Jobangebot, aber ich bin ganz zufrieden mit meinem Ruhestand.«
»Überlegen Sie es sich.«
»Eher nicht. Aber vielleicht ist Hagen nächste Woche ja wieder auf dem Damm.«
»Mit einem Bandscheibenvorfall? Nee, das glaube ich nicht. Jetzt kommt erst mal eine OP und dann noch Reha. Aber es hilft nichts, ich muss weiter.« Die Frau nickte Frederike noch einmal zu und betätigte dann den Schalter, um die Klappe zum Verkaufsraum zu schließen.
Nachdem sie die Würstchen gekocht und mit Cayennesenf gegessen hatte, fühlte Frederike sich ausreichend gestärkt für den Kirchenchor. Seit ihrem Ausscheiden aus dem Polizeidienst und dem Umzug in die Eifel vor vielen Jahren zählte sie zu den zuverlässigsten Choristen im Alt und genoss das Singen in trauter Runde. Die Proben fanden im kleinen Saal der örtlichen Gastwirtschaft statt. Noch. Denn inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass die Wirtsleute überlegten, aus Altersgründen den Laden zu schließen. Aber zurzeit herrschte hier reger Betrieb, und Frederike hoffte sehr, dass sich eine Lösung finden würde. So ganz ohne Kneipe fehlte einem Dorf die Seele.
Der Tisch des Alt war schon gut besetzt, und Frederike rutschte auf ihren Stammplatz. Ihre Freundin Grete schob ihr die Notenmappe hin. Noch war man nicht vollzählig, im Stimmengewirr nahm der Wirt die Getränkebestellungen entgegen. Mit einem Kölsch in der Kehle funktionierte die Stimme doch gleich wie geschmiert.
»Sagt mal, habt ihr von Rita Baumeister aus Niederehe gehört?«, fragte Frederike neugierig in die Runde.
Eva schüttelte den Kopf, doch Elsbeth war wie üblich gut informiert. Frederike hatte keine Ahnung, wie ihre Sangesschwester es anstellte, aber sie war ein wandelndes Lexikon des Dorfklatsches.
»Ja, schrecklich ist das. Liegt tagelang in der Küche rum. Und das im Sommer. Überall nur Fliegen. Die Maden sollen schon auf ihr rumgekrochen sein.«
»Bäh!« Grete schüttelte sich. »Kannst du das Ganze etwas weniger blumig schildern? Ich habe gerade zu Abend gegessen.«
Elsbeth zog die Schultern hoch. »Wenn es aber doch so war? Außerdem ist Frederike schuld. Die hat danach gefragt.«
Grete beäugte Frederike misstrauisch. Sie kannte deren Vergangenheit bei der Mordkommission – auch wenn diese da nicht gerne drüber sprach – und machte sich gleich Gedanken, ob ihre Freundin wieder einer Spur folgte. »Was hat es mit Rita auf sich?«
Frederike zuckte mit den Achseln. »Ich habe heute im Wollladen davon gehört. Interessiert mich halt!«
»Was haben die denn erzählt?«, wollte Elsbeth wissen.
»Nicht viel. Ungefähr das Gleiche wie du. Dass man sie tot gefunden hat, sie schon mehrere Tage dort lag und die Verwesung bereits eingesetzt hat.«
Eva stöhnte auf. »Können wir nicht das Thema wechseln? Wahrscheinlich wohnt die Frau allein, ist tot umgefallen, und das war's. Was interessieren euch denn immer diese ekligen Details?«
»Details sind wichtig. Außerdem finde ich es interessant, weil die Frau ja noch gar nicht so alt war.«
»Außerdem war es eine Sängerkollegin«, unterstützte Elsbeth Frederike. »Sie hat im Kerpener Kirchenchor Sopran gesungen.«
»Ach, dann müsste ich sie eigentlich auch kennen. Wie sieht sie denn aus?« Grete guckte Elsbeth fragend an.
Diese kicherte. »Wie sie jetzt aussieht, will ich ehrlich gesagt gar nicht wissen. Aber früher hatte sie dunkle, längere Locken, so eine Frisur wie Maria Schrader hatte.«
»Schrader? Das sagt mir nichts. Aber ich glaube, ich weiß, wen du meinst«, nickte Grete.
»Für den Kirchenchor ist das ein herber Verlust. Sie war ja eine der Jüngeren, und dann fällt sie – peng! – um und ist tot. Die haben jetzt echt im Sopran ein Problem.« Elsbeth funkelte Eva böse an, die noch keine vierzig war. »Wehe, du stirbst uns hier auch einfach weg.«
Frederike runzelte die Stirn, doch Eva lachte Elsbeths dumme Bemerkung einfach weg. »Keine Sorge, bei dir singe ich noch am Grab.«
»So, die Damen, schenkt ihr mir vielleicht auch noch eure Aufmerksamkeit?« Manfred, ihr Dirigent, stand da mit erhobenem Taktstock, und alle anderen, die Noten vor sich, blickten ungeduldig zu ihnen herüber.
»Seid ihr zum Singen oder zum Quatschen hier?«, wollte Bass Peter wissen.
»Beides«, flüsterte Grete Frederike feixend zu, während alle nach den Noten fischten.
Auf dem Heimweg dachte Frederike noch einmal über das Gehörte nach. Die Tote war also gerade dabei gewesen, ihr Mittagessen zu verspeisen, als sie Gevatter Tod begegnete. Damit dürfte Selbsttötung schon mal ausgeschlossen sein. Wer machte sich noch etwas zu essen, bevor er den Weg in die ewigen Jagdgründe antrat? Und hätte da nicht auch ein Butterbrot gereicht? Nein, kein Selbstmord. Aber Lebensmittel waren natürlich immer so eine Sache. Vielleicht hatte sie sich den Magen verdorben. Oder ein schnell wirkendes Gift im Essen? Bei jedem ordentlichen Kriminalroman wäre das doch wohl die bevorzugte Variante, oder? Da müsste man das Motiv klären. Cui bono – wer profitierte von Ritas Tod? Wahrscheinlich ja die Tochter. Das war die übliche Erbfolge. Aber hätte sie dann auf einer Obduktion bestanden? Sicher nicht.
Schade, dass die Chorprobe schon vorbei war. Elsbeth wusste bestimmt, ob es etwas zu erben gab und wer da alles mit dranhing. Sie würde sie morgen Vormittag einfach mal anrufen. Oder vielleicht direkt Frank. Die Obduktionsergebnisse müssten doch eigentlich schon vorliegen. Obwohl – wenn wirklich auf Gift hin untersucht wurde, könnte sich das einige Zeit hinziehen, bis man alles überprüft hatte. Sie persönlich würde ja auf Eisenhut oder Herbstzeitlose tippen. Die Pflanzen wuchsen hier in den Wäldern und Wiesen oder auch in den Hausgärten. Da hatte man schnell das Passende zur Hand.
Zu Hause angekommen, entdeckte sie Angela, die auf der Treppenstufe zum Eingang saß.
»Was machst du denn hier zu später Stunde?«, wollte Frederike wissen, kletterte an ihr vorbei und schloss die Haustür auf.
Angela stand auf und folgte ihr ins Haus.
Frederike ging in die Küche. »Willst du was zu trinken? Ich mache mir noch einen Tee.«
Von Angela kam ein zustimmendes »Hm«.
Erst nachdem Frederike den Wasserkocher aufgesetzt hatte, wandte sie sich Angela zu und bemerkte ihr verweintes Gesicht. »Ach, Liebes, was ist denn los?«
Sie eilte zu ihrer Nichte und nahm sie in den Arm. Das führte jedoch nicht zur erwünschten Informationsweitergabe, sondern nur zu einer Flut von Schluchzern und Naseschniefen.
Als das Wasser kochte, schob Frederike die junge Frau auf einen Küchenstuhl. »Jetzt setz dich erst einmal. Ich mache dir einen schönen Tee, und dann erzählst du mir, was dich quält. Okay?«
Angela nickte, während sie sich die Nase putzte.
Ein paar Minuten später hatten beide eine Tasse Fencheltee vor sich stehen, und Angela begann zu erzählen.
»Wir wollten heute Abend zusammen essen. Ich hatte was Schönes gekocht, denn heute ist doch unser Jahrestag. Frank hatte sich Lachslasagne gewünscht, und ich bin deshalb extra noch nach Müsch gefahren, um frischen Lachs zu kaufen und die Lasagne selbst zuzubereiten. Alles war fertig, der Tisch toll gedeckt, mit Kerzen und so, die Lasagne stand im Ofen, doch wer kam nicht? Frank. Eigentlich wollten wir um sieben essen. Es war dann fast halb neun, bis er in der Tür stand.«
Frederike fühlte die Enttäuschung hinter diesen Worten. Sie wusste, dass Angela nicht gerne kochte und sich viel Mühe für ihren besonderen Tag gemacht hatte. Kein Wunder, dass sie frustriert war.
»Hat er denn nicht gesehen, dass alles auf dem Tisch stand?«, wunderte sie sich.
»Nein, er hat mich kaum eines Blickes gewürdigt und ist direkt ins Bad gerauscht. Ich habe ihn dann noch gefragt, wieso er so spät ist, aber keine Antwort. Er hat mich einfach ignoriert. Da habe ich mir den Autoschlüssel geschnappt und bin abgehauen.« Angela schniefte wieder, und Frederike schob ihr eine Schachtel Papiertaschentücher herüber.
»Kann ich bei dir übernachten? Ich brauche ein bisschen Abstand.« Angela sah Frederike bittend an.
Diese nickte. Aber innerlich zögerte sie. Wäre es nicht besser, die beiden würden das gleich klären?
»Willst du ihn nicht wenigstens anrufen, dass du bei mir bist? Er wird doch verrückt vor Sorge, wenn du plötzlich verschwunden bist.«
Angela schüttelte den Kopf. »Soll er sich Sorgen machen. Ich bin es leid, von ihm ignoriert zu werden.« Sie hob abwehrend die Hände. »Und jetzt komm mir nicht wieder mit seinem anstrengenden Job. Ich kann das nicht mehr hören.«
Frederike rollte mit den Augen. War Angela in diesem Zustand, konnte man bei ihr argumentativ nichts erreichen. Nun, morgen war auch noch ein Tag, und wenn sie erst einmal eine Nacht drüber geschlafen hatte, sah die Welt vielleicht schon wieder ganz anders aus.
»Komm mit. Wir machen dein Bett.« Frederike erhob sich und schob den Stuhl nach hinten. »Wundere dich aber nicht, wenn du heute Nacht Besuch bekommst.«
»Wehe, du rufst ihn an.« Angelas Stimme klang drohend.
Frederike grinste. »Doch nicht der! Nein, im Moment ist das Gästebett Hannelores bevorzugter Rückzugsort.«
Wie auf das Stichwort kam der Kater herangeschlichen.
Angela bückte sich und streichelte ihn. »Du darfst in mein Bett, wenn du willst. Aber wehe, du machst dich zu breit, verstanden? Wir teilen ehrlich.«
Hannelore schnurrte nur leise vor sich hin.
»Willst du noch einen Absacker, bevor du ins Bett gehst?«
Frederike hatte den Eindruck, dass Angela gerade gut einen Schnaps gebrauchen konnte. Das würde ihr die nötige Bettschwere verleihen und verhindern, dass sie zu lange grübelte.
»Nein, keinen Alkohol.«
Frederike beobachtete, dass Angela bei diesen Worten ihre Hände schützend auf ihren Bauch legte. Schnell zählte sie eins und eins zusammen.
»Das gibt es doch nicht! Bist du etwa schwanger?« Ihre Stimme kiekste vor Begeisterung.
Angela zögerte kurz, dann nickte sie. »Ja, der Test war positiv. Eigentlich sollte Frank es ja zuerst erfahren.«
Frederike schloss sie in die Arme. Kein Wunder, dass das Kind so durch den Wind war. »Himmel, du wolltest es ihm heute Abend sagen, stimmt's?«
Angela nickte stumm, und wieder schossen ihr Tränen in die Augen.
»Du musst es ihm erzählen!«, insistierte Frederike.
Doch Angela schüttelte den Kopf. »Nicht, solange er sich so merkwürdig verhält. Wenn er eine andere hat oder seinen Job wichtiger nimmt als die Familie, ziehe ich das Kind lieber allein groß.«
»Das musst du nicht. Ich bin auf jeden Fall an deiner Seite und hoffe, ich darf als Großtante die Oma-Rolle erfüllen.«
Angela lächelte unter Tränen. »Auf jeden Fall!«
»So, aber jetzt gehst du ins Bett und schläfst dich aus. Du wirst sehen, alles regelt sich.«
Frederike saß noch eine Weile im Wohnzimmer und gönnte sich auf die guten Nachrichten einen Whisky, den sie auf das Wohl des zukünftigen Erdenbürgers trank. Schöne Aussichten. Sie lächelte in sich hinein. Sollte sie doch Frank anrufen? Nein. Er konnte sich ruhig ein wenig um Angela sorgen. Dann merkte er vielleicht, wie viel ihm an ihr lag und welche Prioritäten er setzen sollte.
Es war noch früh, als Frederike durch das Klingeln des Telefons unschön aus dem Schlaf gerissen wurde. Kurz musste sie sich orientieren, wo sie war, wer sie war und was sie geweckt hatte. Noch im Halbschlaf griff sie zum Telefon und nahm das Gespräch an.
»Hallo?«
»Sag mal, ist Angela bei dir?«
Franks Stimme klang nervös und leicht überdreht.
»Ja, sie schläft im Gästezimmer.«
Frederike hörte am anderen Ende ein erleichtertes Aufseufzen. »Gott sei Dank.«
»Seit wann vermisst du sie denn?«
»Ehrlich gesagt dachte ich, sie wäre gestern Abend zum Dienst gefahren und hätte Nachtschicht. Sie hat mir irgendwas durch die Klotür zugerufen, aber ich habe sie nicht verstanden. Und als ich rauskam, war sie weg, das Essen stand im Backofen. Ich hab gegessen und bin ins Bett.«
»Die Kerzen auf dem Tisch hast du nicht gesehen?«
»Welche Kerzen?« Frank schien sich im Zimmer umzublicken. Frederike spürte seine Betroffenheit durchs Telefon. »Himmel!«
»Jahrestag?«, half ihm Frederike auf die Sprünge.
»Ach, wie dämlich. Das hatte ich völlig vergessen. Ist sie sehr sauer?«
»Mehr, als du dir vorstellen willst. Was ist denn bloß los mit dir?«
»Ich hab im Moment viel um die Ohren. Und muss jetzt auch wieder los. Kannst du ihr ausrichten, dass man in der Klinik gefragt hat, ob sie eine Schicht übernehmen kann? Sie soll sich da mal melden.« Dann beendete er einfach das Gespräch.
Frederike blickte auf das Mobilteil in ihrer Hand. Das war mal ein abruptes Ende. Inzwischen war sie hellwach und schwang ihre Beine aus dem Bett. Rasch eilte sie zum Gästezimmer, doch Angela war bereits im Badezimmer verschwunden. In der Küche blubberte die Kaffeemaschine leise vor sich hin, und der Duft nach »Mildernde Umstände« – eine spezielle Röstung aus Daun – zog durch den Raum. Da kam auch schon Angela, komplett angezogen und zurechtgemacht, in die Küche.
»Los, das Bad ist frei. Ich decke schon mal den Tisch.«
Frederike schaute sie an. »Du siehst aus, als wolltest du gleich weg.«
Angela nickte, während sie Butter und Aufschnitt aus dem Kühlschrank holte. »Ja, ich habe eine SMS bekommen. Renate ist ausgefallen. Grippe. Ich soll einspringen.«
»Wird dir das nicht zu viel?« Frederike blickte vielsagend auf Angelas nicht vorhandenen Bauch.
Diese lachte auf. »Hallo? Ich bin schwanger, nicht krank. Man merkt, dass du nie Kinder bekommen hast.«
Frederike lächelte leicht verkniffen. »Ich mache mir halt Sorgen um dich. Um euch.«
Angela trat zum Tisch und gab ihrer Tante im Vorbeigehen einen Kuss auf die Wange. »Ist schon recht. Aber im Ernst, ich fühle mich gut und freue mich auf die Ablenkung. Das bringt mich wenigstens auf andere Gedanken. Ansonsten grübel ich doch bloß rum.«
Frederike nickte. »Das ist ein Argument. Frank hat eben übrigens angerufen und sich nach dir erkundigt. Ich habe ihm gesagt, dass du hier bist. Er hat ein schlechtes Gewissen dir gegenüber.«
»Das soll er auch haben. Als ich im Bad war, hat er auf meinem Handy angerufen und mir eine Nachricht hinterlassen. Anscheinend hat er mich gestern Abend nicht mal vermisst.« Angelas Miene wirkte wie versteinert, und Frederike erkannte, wie gekränkt sie über Franks Missachtung war.
»Sei nicht so streng mit ihm. Er dachte, du hättest dich zur Nachtschicht abgemeldet. Deshalb hat er dich heute Morgen erst angerufen. Das Krankenhaus hatte sich auch bei dir auf dem Festnetz gemeldet, um nachzuhören, ob du einspringen kannst. Da hat er erst gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist, und war am Telefon verrückt vor Sorge.«
»Geschieht ihm recht. Aber jetzt zieh dir gerade was über, sodass wir noch zusammen frühstücken können. Ich muss gleich los.«
»Wissen die im Krankenhaus, dass du schwanger bist?«
»Gott bewahre! Nein, Frank sollte es zuerst erfahren. Und im Moment bin ich froh für jede Ablenkung! Los, mach voran.«
Folgsam ging Frederike in ihr Zimmer und kleidete sich flott an. Fürs Waschen war auch später noch Zeit.
Nachdem Angela aus dem Haus war, holte Frederike die fehlenden Parts ihrer Morgentoilette nach. Sie hatte während des Frühstücks versucht, ihre Nichte ein wenig gütlich zu stimmen, was Frank anging, aber auf Granit gebissen. Im Gegenteil, je mehr Verständnis für ihn sie Angela gegenüber zeigte, umso mehr verhärtete sich Angelas Ärger. Also hatte sie es aufgegeben und das Thema gewechselt. Doch ließ sie die Angelegenheit nicht ruhen. Sie war wild entschlossen, das Pärchen wieder in die Spur zu bringen, wie sie es bei sich nannte.
Deshalb saß sie kurze Zeit später in ihrem Mini und steuerte in Richtung Wittlich. Sie musste mit Frank reden, ihm gegenübersitzen und in die Augen sehen. Dann würde sie schon merken, ob irgendetwas an Angelas Befürchtungen dran war. Schließlich hatte sie es im Verhör mit hartgesottenen Verbrechern aufgenommen. Sie würde schon mitbekommen, ob Frank ihr oder auch sich selbst etwas vormachte. Am liebsten hätte sie in privater Atmosphäre und ungestört mit ihm geredet, aber er hatte gesagt, dass er gleich aufs Revier fahren würde. Und bis zum Abend zu warten, dafür war Frederike zu ungeduldig. Außerdem hoffte sie, in seinem Büro ein paar Informationen über die tote Rita Baumeister aufschnappen zu können. Vielleicht durfte sie ja mal einen Blick auf den Obduktionsbericht werfen, wo sie schon mal da war.
Sie war zügig unterwegs und gerade am Vulkandreieck auf die A48 gefahren, als sie Franks Auto bemerkte. Er fuhr tatsächlich vorschriftsmäßig hundert. Frederike neigte ja mehr dazu, die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung als unverbindliche Anregung zu betrachten. Sie bremste ab und reihte sich hinter ihm ein, was ihr ein Knöllchen ersparte, denn nun entdeckte sie am Straßenrand eine mobile Blitzeranlage. Uff, das war gerade noch einmal gut gegangen.
Zu ihrem Erstaunen nahm Frank die nächste Ausfahrt und bog Richtung Mehren ab. Sie setzte ebenfalls den Blinker und folgte ihm, überlegte aber, ob sie nicht doch lieber den Heimweg antreten sollte. Tiefgründige Gespräche am Straßenrand – das erschien ihr nicht sehr vielversprechend. Da bemerkte sie, dass Frank langsamer wurde und auf die Fahrspur in Richtung Gewerbegebiet wechselte. Ob er sie gesehen hatte?
Frederike zögerte kurz, dann fuhr sie hinter ihm her. Doch anscheinend hatte er ein anderes Ziel, denn jemand winkte ihm vom Parkplatz des italienischen Restaurants zu. Oh, ein Informant? Da wollte sie nicht stören. Frederike gab Gas. Möglicherweise war er mit seinen Gedanken bei dem Treffen und hatte gar nicht auf den Rückspiegel geachtet. Sie überlegte einen Moment und fuhr dann auf den Parkplatz hinter dem Restaurant. Von dort aus konnte sie die beiden beobachten. Vielleicht gab es ja zu einem späteren Zeitpunkt eine Möglichkeit, sich mit ihm zu einem Gespräch zu verabreden. Was sollte sie jetzt nach Wittlich fahren, wenn gar nicht sicher war, ob er dorthin fuhr?
Frank war inzwischen ausgestiegen und unterhielt sich mit dem Mann. Ein Typ in Franks Alter, annähernd gleich groß, helle Haare, in Jeans und Bundeswehr-Parka. Und das bei dem Wetter. Frederike fing schon beim Anblick an zu schwitzen. Der Körpersprache nach zu urteilen, dominierte nicht Frank das Gespräch. Der wirkte eher defensiv, leicht abgewandt, den Kopf gesenkt. Als wäre er auf der Flucht. So reagieren eigentlich eher die Verdächtigen als die Strafverfolger, dachte Frederike irritiert. Sehr merkwürdig. Frank nestelte etwas aus seiner Innentasche und gab es seinem Gegenüber, der es ihm aus der Hand riss, dem jungen Polizisten auf die Schulter klopfte, sodass dieser zusammenzuckte, sich dann in einen blauen Passat setzte und in Richtung Mehren davonfuhr. Frank schüttelte sich und ging zu seinem Wagen.
Frederike fackelte nicht lange. Um Angelas Lebensgefährten würde sie sich später kümmern. Sie gab Gas und folgte dem Passat.
Die Strecke zog sich, und Frederike hatte schon Sorge, dass der Passatfahrer auf sie aufmerksam werden würde. Sie waren zuerst durch Mehren und Daun gefahren, dann über Steinborn und Kirchweiler in Richtung Pelm. Warum hatte sie bloß kein unauffälligeres Auto? So ein Mini war ein echter Hingucker – das musste dem Typen doch langsam mal auffallen, oder? Aber ihr Zielobjekt machte keine Anstalten, plötzlich zu beschleunigen oder gar anzuhalten und sie zur Rede zu stellen. Trotzdem sorgte sie für ein wenig Abstand und war erleichtert, als sich an der Kreuzung in Pelm ein Auto zwischen sie klemmte. Jetzt ging es in Richtung Gerolstein. Hoffentlich war der Typ bald zu Hause oder an seinem wie auch immer gearteten Zielort angekommen.
An der roten Ampel in Gerolstein notierte sie sich mit krakeliger Handschrift das Kennzeichen. Der Passatfahrer hatte den Blinker gesetzt und bog in die Raderstraße ein. Wollte er bloß ein paar Erledigungen in der Fußgängerzone machen? Dann wäre der ganze Aufwand umsonst gewesen. Obwohl – eigentlich musste sie ja noch in die Apotheke, das könnte sie gegebenenfalls auch hier machen.
Doch der blaue Wagen fuhr die Raderstraße hoch und dann weiter in die Lissinger Straße in Richtung Sportplatz. Endlich verlangsamte das Fahrzeug. Anscheinend suchte der Fahrer nach einem Parkplatz. Vor einem etwas angejahrten Mehrfamilienhaus hielt er an und bugsierte den Passat in eine Parkbucht nahe der Hauswand. Frederike fuhr vorbei, setzte den Blinker und verschwand in einer Nebenstraße. Prima, ein kleines Bistro, vor dem sie unauffällig parken konnte.
Sie stieg aus, ging rasch die paar Schritte bis zur Kreuzung zurück und konnte gerade noch beobachten, wie der junge Mann den Wagen abschloss und um die Hausecke verschwand. Sie wartete einige Sekunden, doch er kam nicht zurück. Vermutlich wohnte er hier. Und nun? Wofür war das jetzt gut gewesen? Sie ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Was hatte sie sich dabei gedacht? Schlauer gemacht hatte sie die Aktion auf jeden Fall nicht. Doch wenn sie schon mal hier vor einem Bistro stand, konnte sie auch gleich etwas zu Mittag essen. Wohlriechende Duftschwaden drangen ihr in die Nase. Mal sehen, was die Karte zu bieten hatte.
Gesättigt setzte sie sich wieder in ihr Auto. Sollte sie sich jetzt doch noch auf den Weg nach Wittlich machen? Eigentlich würde sie den Nachmittag lieber auf der Couch verbringen. Das artete hier geradezu in Arbeit aus. Aber was tat man nicht alles für die liebe Verwandtschaft. Hoffentlich war Frank im Büro.
Sie griff nach ihrem Telefon und wählte die zentrale Nummer der Kriminalinspektion. Ja, Frank Junge sei dort, aber gerade im Gespräch. Diese Information reichte ihr.
Eine knappe Stunde später betrat sie das Gebäude. Man kannte sie dort, sodass sie direkt zu Franks Büro durchgehen konnte. Er saß am Schreibtisch und schien nicht überrascht, aber auch nicht erfreut, sie zu sehen. Anscheinend hatte man sie von der Pforte aus angekündigt.
»Was kann ich für dich tun? Ich habe aber nur wenig Zeit.«
Frederike setzte sich unaufgefordert. »Okay, dann verzichte ich auf den Kaffee.«
Frank konnte nicht anders, er musste grinsen.
»Du hast gewonnen. Einen Kaffee könnte ich jetzt auch vertragen. Aber ich muss wirklich gleich los.«
Er stand auf und holte zwei volle Becher aus der Kaffeeküche. »Hier, schwarz. Milch ist alle.«
»Passt schon.« Frederike nippte an ihrer Tasse Kaffee.
»So. Lass mich raten. Der Fall Baumeister?« Frank hatte es anscheinend wirklich eilig.
Frederike nickte. »Ja, genau. Gibt es etwas Neues von der Obduktion?«
Frank schüttelte den Kopf. »Nein. Es hat nicht gerade höchste Priorität. Ich rechne erst Ende der Woche mit Ergebnissen. Wenn man überhaupt von Ergebnissen in deinem Sinne sprechen kann. Wir sind ziemlich sicher, dass es sich um einen natürlichen Tod handelt. Also nichts zu ermitteln für dich.«
Frederike zog eine Grimasse. »Damit kann ich gut leben. Wenn es denn wirklich ein natürlicher Tod ist. Du weißt genauso gut wie ich, dass fünfzig Prozent aller Tötungsdelikte nicht entdeckt und als natürliche Tode klassifiziert werden. Also ist es gut, ein zweites Mal hinzuschauen.«
»Machen wir ja auch. Aber jetzt muss ich mich wirklich auf den Weg machen.« Frank trank seine Tasse in einem Zug leer und erhob sich, doch Frederike blieb einfach sitzen.
»Wen hast du heute Morgen in Mehren getroffen?«
Treffer, versenkt. An Franks Miene konnte Frederike erkennen, dass sie ihn mit ihrer Frage kalt erwischt hatte. Er ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken.