Alles ist schwer, bevor es leicht ist - Caroline von St. Ange - E-Book
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Alles ist schwer, bevor es leicht ist E-Book

Caroline von St. Ange

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Beschreibung

Schluss mit Ängsten und Blockaden: Lernen kann und muss Spaß machen! Schlechte Noten, Frust bei den Hausaufgaben, hoher Leistungsdruck: Für viele Familien sind Schule und Lernen ein rotes Tuch. Wie bekommen Kinder wieder Freude am Lernen, Neugierde auf Neues? Wie überwindet man Stagnation und Resignation? Caroline von St. Ange hat die Lösung und kombiniert dafür verschiedene Ansätze und Lernmethoden. Sie gibt zahlreiche phantasievolle und praxisnahe Tipps und entfernt dabei eine Menge Staub von festgefahrenen Lernstrategien und altmodischen Annahmen. So erklärt sie z. B., warum zu viel Lob kontraproduktiv sein kann, gute Noten schlecht für die Frustrationstoleranz sind und man Erfolge anhand des Fortschritts, nicht im Hinblick auf das Ergebnis bewerten sollte. 

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Seitenzahl: 284

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Caroline von St. Ange

Alles ist schwer, bevor es leicht ist

Wie Lernen gelingt

 

 

 

Über dieses Buch

Schluss mit Ängsten und Blockaden: Lernen kann und muss Spaß machen! Schlechte Noten, Frust bei den Hausaufgaben, hoher Leistungsdruck: Für viele Familien sind Schule und Lernen ein rotes Tuch. Wie bekommen Kinder wieder Freude am Lernen, Neugierde auf Neues? Wie überwindet man Stagnation und Resignation? Caroline von St. Ange hat die Lösung und kombiniert dafür verschiedene Ansätze und Lernmethoden. Sie gibt zahlreiche phantasievolle und praxisnahe Tipps und entfernt dabei eine Menge Staub von festgefahrenen Lernstrategien und altmodischen Annahmen. So erklärt sie z.B., warum zu viel Lob kontraproduktiv sein kann, gute Noten schlecht für die Frustrationstoleranz sind und man Erfolge anhand des Fortschritts, nicht im Hinblick auf das Ergebnis bewerten sollte.

Vita

Caroline von St. Ange ist Lerncoach, Bildungsaktivistin und Sinnfluencerin. Seit fast zwanzig Jahren lernt sie in unterschiedlichen Formaten mit Kindern. Heute inspiriert sie Zehntausende Abonnent:innen auf ihrem Instagram-Kanal @learnlearning.withcaroline mit allen Themen rund um Schule, Lernen und Hausaufgaben. Sie hat Philosophie, Sprache, Literatur und Kultur in München studiert. Ihr Ziel ist es, Eltern und Lehrkräfte dafür zu begeistern, Schule und Lernen neu zu denken, damit mehr Kinder ihr Potenzial entfalten können und die Schule im Glauben an den eigenen Erfolg verlassen. Bei rororo erschien im Sommer 2023 «Mein Lerntagebuch» für alle Schüler:innen, die Hausaufgaben und Lernen in den Griff bekommen wollen.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Illustrationen im Innenteil Judith Mattes-Schneider

Covergestaltung zero-media.net, München

Coverabbildung Paula Winkler, FinePic®, München

ISBN 978-3-644-01546-3

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Dieses E-Book ist nicht vollständig barrierefrei.

 

 

www.rowohlt.de

Einleitung mit Endgegner

Viele Menschen, die zum ersten Mal lesen, dass ich als Lerncoach arbeite, denken sich sicherlich: «Um Himmels willen – was braucht’s denn noch alles?! Lerncoach! Früher, da sind wir einfach in die Schule gegangen und haben unsere Hausaufgaben gemacht, und es hat wunderbar funktioniert. Heute benötigen Kinder schon zum Lernen einen Coach.»

Interessanterweise denken diese Menschen das lediglich bis zu exakt dem Punkt, an dem sie auf ihren Endgegner treffen. Endgegner, so nenne ich augenzwinkernd die Kinder, die nicht «einfach zur Schule gehen» und nicht «einfach ihre Hausaufgaben machen». Kinder, die wüten, lügen, schreien, schimpfen, Stifte werfen und sich allem, was mit der Schule zu tun hat, einfach entziehen. Kinder, denen es schwerfällt, in der Schule mitzukommen, oder die zutiefst gelangweilt dort sitzen, ständig stören und nicht einsehen wollen, dass sie genau heute genau diesen Stoff lernen müssen. Kinder, die ihre Aufgaben ständig aufschieben oder immer nur genau so viel machen, dass sie gerade noch knapp versetzt werden. Kinder, die andere Lernmethoden bräuchten.

Von diesen Kindern gibt es erstaunlich viele. Mit ihnen muss man anders umgehen. Dieses «anders» vermittelt das Lerncoaching. Kinder profitieren enorm davon. In der Regel sind Lehrpersonen und Eltern bass erstaunt, wie viel sich in kurzer Zeit verbessern lässt. Ohne allzu große Mühe und mit zunehmendem Spaß. Das ist mein Versprechen an alle Eltern, Lehrkräfte und natürlich vor allem an die Kinder.

Wir haben heute eine neue Generation von Kindern. Kinder, die so erzogen wurden, dass sie entscheiden durften: «Möchtest du heute den gelben oder den roten Pulli anziehen?» Kinder, denen beigebracht wurde, dass sie über ihren Körper selbst verfügen dürfen: «Du musst Onkel Martin nicht küssen.» Und: «Du musst nicht aufessen, wenn du keinen Hunger mehr hast.» Kinder, die am Abendessenstisch mitreden dürfen. Gewalt, ein autoritärer Stil und disziplinarische Härte in der Erziehung nehmen stetig ab. Gleichzeitig wachsen demokratische Familienmodelle, in denen die Bedürfnisse aller mitgedacht werden. Ich befürworte diesen Wandel und bin überzeugt, dass er richtig ist. Kinder mit Respekt zu behandeln, Kindern im Rahmen ihrer altersgemäßen Möglichkeiten eine Wahl zu lassen, die Grenzen von Kindern zu achten – das finde ich gut. Gleichzeitig entstehen durch diese Erziehung kleine autonome Persönlichkeiten.

Und diese Persönlichkeiten kommen dann mit sechs Jahren in die Schule. Eine Schule, die fast immer noch genauso funktioniert wie Jahrzehnte zuvor: «Hier ist der Stoff, ich bin die Lehrkraft, du musst XYZ jetzt und heute lernen. In drei Wochen schreiben wir einen Test, wenn du es bis dahin nicht kannst, bekommst du eine 6. Heute Nachmittag machst du dann im Buch auf Seite 67 Nummer 3 und 4, aber bitte ordentlich und ins rote Heft.»

Diese autoritäre Art zu unterrichten ist verständlich, denn wir haben es alle nicht anders erlebt und denken, Schule könne nur genau so funktionieren. Wie soll man denn sonst etwas lernen? Und wie sonst soll man Leistung messen? Für viele Kinder funktioniert dieses System auch noch. Aber eben nicht mehr für die Endgegner-Kinder. Die Endgegner-Kids sind autonom, haben einen starken Willen, hinterfragen, sind es gewohnt zu entscheiden, wollen die Gründe hinter Arbeitsanweisungen verstehen. Sie lernen nicht, weil ihnen jemand das sagt, sie lernen, weil sie verstehen, warum sie etwas lernen müssen. Sie wollen Sinn – in der Erwachsenenwelt würde man «Purpose» dazu sagen. Sie wollen echte Motivation, und wenn sie in der 5. Klasse im Biologieunterricht die Organe der Weinbergschnecke lernen sollen, fragen sie berechtigterweise: Warum? Was hat das mit mir zu tun?

Mit diesen Kindern müssen wir anders umgehen. Ich bekomme jeden Tag Hunderte Nachrichten, etwa vierzig davon haben diesen Wortlaut: «Liebe Caroline, kannst du mir vielleicht helfen? Ich weiß nicht mehr weiter. Mein Sohn/meine Tochter will einfach nicht lesen/schreiben/rechnen lernen. Wir haben wirklich alles versucht. Aber es gibt hier nur noch Streit und Tränen wegen der Schule. Die Hausaufgaben zerstören den Familienfrieden. Ich weiß nicht mehr weiter.»

Was die Eltern da beklagen: Es stimmt, leider. Bis auf einen Punkt. Sie haben nicht alles versucht. Es gibt eine ganze Menge an Dingen, die man ausprobieren kann und die überraschend gute Veränderungen bewirken – wie ich auch bei meiner Arbeit als Coach in Brennpunktschulen regelmäßig erlebt habe. Von dieser ganzen Menge an positiven Veränderungen handelt dieses Buch.

Das Großartige ist: Selbst die «einfachen» Kinder, ich nenne sie auch die Kinder im «Erfüllermodus», profitieren von diesen Methoden. Kinder, die gerne kooperieren und selbst diese drei zusätzlichen Arbeitsblätter noch machen, obwohl sie den Stoff längst verstanden haben. Sie werden ebenfalls mit mehr Motivation, mit mehr Freude und dadurch mit mehr Erfolg lernen. Sie werden wissen, warum sie das tun, was sie da tun (müssen), und sie werden die Schule mit einem andern Blick auf sich und die Welt verlassen.

Wir müssen unsere Kinder auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten. Es ist sehr schwierig zu sagen, wie die Berufswelt in achtzehn Jahren aussehen wird. Deswegen fahren wir am besten, wenn wir Kinder zu kreativen, kritisch denkenden, kommunikativen und selbstlernenden Wesen heranziehen, die vor Herausforderungen nicht zurückschrecken.

Wie dieses neue Lernen gelingen kann, für alle Kinder, davon handelt dieses Buch.

1.Kinder wachsen lassen mit dem Growth Mindset

«Ich kaaaann das nicht!»

Das höre ich bei den Hausaufgaben oft von meinen Schülerinnen und Schülern. «Du kannst es nooooch nicht!», rufe ich dann zurück. In diesem winzigen Austausch, den ich schon tausendfach erlebt habe, steckt eine ganze Menge, nämlich der Unterschied zwischen zwei Haltungen, die für das Lernen entscheidend sind.

Die Haltung oder das Selbstbild, im Englischen «das Mindset», beschreibt meine Grundeinstellung gegenüber mir und den Dingen – auch gegenüber dem Leben und dem Lernen. Die Psychologin Carol Dweck, Professorin an der Stanford University, hat herausgefunden, dass es bezüglich Herausforderungen und dem Lernen von neuen Dingen zwei unterschiedliche Mindsets gibt. Sie kam auf diese Idee, als sie einer Gruppe Schüler:innen eine Aufgabe gab, die ein bisschen zu schwierig für sie war.

Als sie die Kinder befragte, wie es ihnen damit ginge, waren die Antworten überraschend unterschiedlich. Einige Kinder sagten: «Das ist herausfordernd – das macht Spaß.» Oder: «Dabei lerne ich wenigstens was Neues.» Andere Kinder sagten Dinge wie: «Das ist zu schwer. Das kann ich nicht.» Oder: «Darin bin ich nicht gut.»

Diese unterschiedlichen Haltungen gegenüber Herausforderungen faszinierten Carol Dweck so sehr, dass sie ihre gesamte wissenschaftliche Laufbahn diesem Phänomen widmete. Nach über dreißig Jahren Forschung ist ihr Mindset-Konzept mittlerweile ausgereift. Weil ihre Erkenntnisse so bahnbrechend sind für jedes Kind, das gerade zur Schule geht und lernt, nehmen sie viel Platz in diesem Buch und in meiner Arbeit ein.

Aber lassen wir uns zunächst verstehen, um was es geht.

Fixed Mindset

Carol Dweck fand heraus, dass es ein Growth Mindset gibt, also eine «Wachstums-Haltung», und ein Fixed Mindset, also eine «Statische/festgelegte Haltung». Da diese Begriffe im Deutschen etwas holprig klingen und sich daher nicht durchsetzen konnten, bleibe ich wie viele meiner Kolleg:innen bei den englischen Begriffen Growth Mindset und Fixed Mindset. Das Herzstück dieses Ansatzes: Menschen reagieren unterschiedlich auf Herausforderungen und Misserfolge. Eben mit einem der beiden Mindsets.

Menschen mit einem Fixed Mindset sagen z.B.: «Darin bin ich nicht gut.» Bei dieser Überzeugung bleiben sie oft ein Leben lang: Sie denken, dass ihre Fähigkeiten fest, fixiert, unveränderlich sind. Bestimmt erinnern Sie sich an einen Mitschüler mit einem derartigen Mindset. Oder haben Sie es vielleicht selbst?

In der Schule, kurz nach der Mathearbeit, war ein solches Kind z.B. völlig verzweifelt und sagte weinend: «Ich hab’s total verhauen!» Nur um ein paar Tage später erleichtert eine 1– in die Hand gedrückt zu bekommen. Diese fehlende Fähigkeit, sich selbst und die eigene Leistung realistisch einschätzen zu können und dazu die übersteigerte Angst zu scheitern, sind typisch für ein Fixed Mindset.

Menschen mit einem Fixed Mindset sind außerdem Könige im Vergleichen. Egal, welchen Raum sie betreten, sofort versuchen sie, sich einzuordnen. Merken sie, dass sie «die schlaueste Person im Raum sind», können sie aufatmen. Aber nicht lange, denn da ist immer die Angst, dass jemand anderes vorbeikommen, sie «entlarven» und ihnen vor Augen führt, dass sie doch nichts können. Ihre allergrößte Sorge ist es, dass jemand in einer Sache besser sein könnte, in der sie selbst gut sind.

Growth Mindset

Menschen mit einem Growth Mindset hingegen sagen: «Ich mag es, neue Dinge zu lernen.» Sie fühlen sich durch Aussagen wie «Du kannst das nicht!» herausgefordert. Mein Bruder z.B. ist über fünfzig, ein gestandener Mann, verheiratet, vier Kinder, aber wenn man zu ihm sagt: «Wetten, dass du es nicht schaffst, bis ans andere Ufer zu tauchen!», reißt er sich die Kleidung vom Körper, springt ins Wasser und taucht so lange, bis er bewiesen hat, dass er es schafft.

Übertragen auf das Lernen bedeutet dies, dass Menschen mit einem Growth Mindset mit erhöhtem Einsatz auf schlechte Noten und Schwierigkeiten beim Lernen reagieren. Sie akzeptieren Misserfolge nicht, sondern machen so lange weiter, bis sie es können.

Außerdem sind sie im Gegensatz zu Menschen mit einem Fixed Mindset ziemlich gut darin, ihre Fähigkeiten akkurat einzuschätzen. Nach Prüfungen können sie recht genau sagen, wie gut sie abgeschnitten haben.

Menschen mit einem Growth Mindset vergleichen sich außerdem weniger mit anderen, sondern lieber mit sich selbst. Sie sind stolzer auf das, was sie erreicht haben, und geben seltener auf.

Growth und Fixed Mindset nach dem Konzept von Carol Dweck

 

FIXED MINDSET:

Zum Verständnis der Grafik und generell der hier beschriebenen Phänomene ist es wichtig zu erwähnen, dass diese beiden Köpfe die jeweiligen Enden eines Spektrums zeigen. Wenige Menschen haben nur ein Growth oder nur ein Fixed Mindset, die Mehrheit von uns befindet sich irgendwo dazwischen. Außerdem ist unser Mindset abhängig vom Gebiet, in dem wir uns bewegen, von den Menschen, mit denen wir zusammen sind, und von unserer Tagesform.

GROWTH MINDSET:

Die bahnbrechende Entdeckung von Carol Dweck war nun: Kinder mit einem Growth Mindset haben mehr Erfolg in der Schule und später im Leben als Kinder mit einem Fixed Mindset. Ab einem bestimmten Punkt ist ihre Haltung sogar erfolgsentscheidend. Und noch wichtiger: Man kann das Mindset eines Kindes verändern.

Wir als Eltern und Lehrpersonen sind in der Lage, das Mindset der Kinder zu verändern! Ist das nicht eine tolle Neuigkeit? Warum kommt das nicht in den 20-Uhr-Nachrichten? Ich würde sagen, das ist eine ziemlich große Sache.

Das Mindset verändern

Um das Mindset zu verändern, gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf die ich gleich noch eingehen werde. Bei Erwachsenen ist es etwas schwieriger, da sich ihr Mindset über Jahre verfestigt hat. Aber auch bei Erwachsenen ist es möglich, und Eltern und Lehrkräfte sind herzlich eingeladen, an ihrem eigenen Mindset zu arbeiten. Denn, Sie ahnen es, das eigene Mindset und die damit verbundene Vorbildfunktion sind ein entscheidender Faktor dabei, ob wir es schaffen, das Growth Mindset eines Kindes zu stärken.

Interessanterweise reicht es aber nicht, selbst ein Growth Mindset zu haben. Denn wie Carol Dweck nach eigener Aussage enttäuscht feststellen musste, geben Eltern ihr Mindset nicht automatisch an ihre Kinder weiter.

 

Wenn wir genauer darüber nachdenken, fällt allerdings auf, dass wir Kleinkinder fast immer im Growth-Mindset-Stil erziehen. Wenn ein Kind zu laufen beginnt, feuern wir es an. Fällt es hin, applaudieren wir und ermutigen das Kind, es gleich noch mal zu versuchen. Das Kind lernt mit jedem Sturz, und eines Tages kann es laufen. Niemand würde je auf die Idee kommen und zu seinem Kind sagen: «Du bist so schlau, deshalb hast du so schnell Laufen gelernt. Laufen liegt dir einfach.» Nein, wir gehen davon aus, dass unser Kind Laufen lernen wird, deswegen lassen wir uns von Misserfolgen nicht entmutigen, sondern bestärken das Kind darin, einfach weiterzumachen.

Fixed Mindset/statisches Selbstbild

Growth Mindset/dynamisches Selbstbild

Fähigkeiten und Intelligenz sind grundsätzlich vorgegeben und nicht oder wenig veränderbar.

Fähigkeiten und Intelligenz sind grundsätzlich entwicklungsfähig und veränderbar.

Erfolg bedeutet, gute Noten zu haben oder der/die Beste zu sein. Dabei zählt das Ergebnis.

Erfolg bedeutet Lernen, um etwas besser zu verstehen.

Fehler werden gleichgesetzt mit einem Mangel an Kompetenz. Nach Fehlern sinkt die Motivation.

Fehler werden als Entwicklungsmöglichkeiten gesehen. Dadurch steigen die Motivation und Entwicklungsbereitschaft.

Irgendwann, meist mit Eintritt in die Schule, kommt uns dieses Mindset abhanden. Wenn ein Kind nun alles falsch schreibt, beginnen wir uns zu sorgen: Ist es nicht klug genug? Warum kann es das nicht, ich habe es doch schon dreimal erklärt? Warum macht es das schon wieder falsch? Das sind alles Fragen, die wir uns in Bezug auf das Laufen- oder Essenlernen niemals stellen würden.

Was wir als Eltern tun sollten? Wir sollten diese Haltung, dass Fallen nicht schlimm ist und sie es schon bald schaffen werden, gegenüber unseren Schulkindern beibehalten.

Wichtig zu betonen: Das Growth Mindset ist keine Zauberpille. Es ist nur eine Haltung, aber eine wichtige. Denn sie hilft uns und vor allem Ihrem Kind,

etwas Neues anzufangen und sich auf Herausforderungen einzulassen, denn es hat im Hinterkopf die prinzipielle Einstellung: Wenn ich will, dann kann ich das lernen;

nicht aufzugeben. Wenn wir Fehler machen, scheitern, der Kopf brummt, es einfach nicht klappen will, dann haben wir das Bild im Kopf, wie gerade unsere Synapsen wachsen;

ins Handeln zu kommen. Denn allein durch das Growth Mindset lernt natürlich niemand etwas. Es geht vielmehr darum, mit dem Growth Mindset die nötige Motivation aufzubauen und dadurch ins echte Tun zu kommen.

Das Growth Mindset hilft, anzufangen.

Und es hilft, durchzuhalten.

Wir haben also verstanden, dass ein Growth Mindset besser ist als ein Fixed Mindset und dass sich die schulischen Leistungen allein durch eine Änderung des Mindsets deutlich verbessern lassen, ungeachtet der Intelligenz oder der Art des Unterrichts. Eine nützliche Erkenntnis. In den Vereinigten Staaten hat sie sich schon durchgesetzt, sodass sich viele Schulen der Stärkung des Growth Mindsets verschrieben haben und auf diese Weise innerhalb kürzester Zeit in Leistungstests besser abschnitten als Klassen bzw. Schulen, die sich die Förderung des Mindsets nicht als Ziel gesetzt hatten.

In Deutschland liegen wir hier noch Jahrzehnte zurück. Eine Umfrage auf meinem Instagram-Kanal mit inzwischen mehr als 150000 Nutzer:innen ergab, dass über 80 Prozent der antwortenden Lehrkräfte noch nie etwas vom Growth Mindset gehört hatten. Es ist also nicht unrealistisch, dass die Lehrkraft des eigenen Kindes nicht Growth-Mindset-fördernd unterrichtet. Dabei ist das keine Raketenwissenschaft. Im Gegenteil. Hier einige Beispiele, wie man das Growth Mindset im Unterricht fördern kann:

Schwierigkeitsgrad langsam, aber stetig steigern, weitere Leistungsfortschritte ermöglichen,

richtige Antwort ermöglichen durch Umformulierung, Hilfestellung, Zeit,

Rückführung des Resultats auf Fleiß und Anstrengung (z.B. «Gut nachgedacht!», «Gut aufgepasst!»),

Lob nur bei wirklicher Anstrengung (Dinge, die das Kind ohne Anstrengung geschafft hat, nicht hervorheben),

Rückführung des Resultats auf zu geringen Einsatz und niemals auf Intellekt (z.B. «Das kannst du besser, ich weiß, dass du dich mehr anstrengen kannst.» Statt: «Mathe liegt dir nicht so.»),

neutrale Rückmeldung, dass noch mehr getan werden muss, kein Tadel,

immer wieder äußern, dass ich als Lehrkraft dem Schüler die richtige Antwort zutraue,

prozessbezogenes anstatt ergebnisbezogenes Lob (nicht die Note zählt, sondern der Lernprozess),

Hervorhebung des weiteren Wegs (z.B. «Jetzt, wo wir hier stehen, geht es dort weiter»),

«noch», z.B. «Das kannst du noch nicht!»,

«schon», z.B. «Das hast du schon gelernt, und hier müssen wir noch dran arbeiten»,

«Das Gehirn ist ein Muskel!»-Analogie verwenden (s.u.).

Diese Herangehensweise ist nicht nur für die Arbeit von Lehrkräften hilfreich, sondern kann auch Ihnen als Eltern Orientierung bieten. Etwa, wenn es um Hausaufgaben geht oder Ihr Kind für Klassenarbeiten lernen muss. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn auch Lehrkräfte verstärkt mit diesem Konzept arbeiten würden. Doch bis sich das durchgesetzt hat, können auch Sie das Growth Mindset Ihres Kindes entscheidend fördern und stärken.

Nutzen Sie die Kraft des Wörtchens «noch» z.B. für den kritischen Unterschied zwischen «Mama, ich kann das einfach nicht!» und «Du kannst das noch nicht!». Fördern Sie Ihr Kind jeden Tag ein wenig in Richtung des Growth Mindsets.

Ein Kind mit einem Growth Mindset denkt z.B. nicht: «Jetzt bloß keinen Fehler machen.» Es denkt vielmehr: «Ich kriege das schon irgendwie hin!» Es glaubt nicht: «Ich kann das einfach nicht.» Es weiß vielmehr: «Wenn ich mir wirklich Mühe gebe, schaffe ich das.»

Ihrem Kind ein Growth Mindset zu vermitteln, gehört zu den größten Geschenken, die Sie ihm machen können. Leider funktioniert Schule heute (noch) so, dass vor allem jene Kinder gelobt werden und Erfolgserlebnisse haben, die etwas «sofort gut können», und weniger die Kinder, die sich besonders anstrengen und es dann schaffen. Fehler machen führt zu einem Nachteil, einer schlechten Note, und so bekommt ein Kind verständlicherweise Angst davor. Es ist fast so, als hätte sich die Schule zum Ziel gesetzt, Growth Mindsets zerstören zu wollen.

Wenn ein Kind oft an sich zweifelt oder wegen schlechter Noten weint, hilft die folgende Übung.

Lernerfolge sichtbar machen

Eine der wichtigsten Methoden, um das Growth Mindset zu stärken, ist: Lernerfolge sichtbar zu machen. Sichtbar und am besten begreifbar wie in diesem Beispiel:

Man nehme eine Rolle Klopapier und einen Kugelschreiber. Nun setzen Sie sich gemeinsam hin, gerne auch als Familie, und schreiben auf jedes Blatt eine Sache, die schwer zu lernen war, die das Kind aber gemeistert hat. Laufen, Fahrrad fahren, mit Besteck essen, Schuhe binden, zählen, das Alphabet aufsagen, lesen, auf Bäume klettern, schaukeln usw. Die Übung ist erst beendet, wenn die ganze Rolle vollgeschrieben ist (Sie dürfen groß schreiben). Ja, eine ganze Rolle ist viel – doch speziell hier gilt: Viel hilft viel.

Die Rolle würde ich danach wieder aufwickeln und gut sichtbar aufstellen, als klares Zeichen für Ihr Kind: Diesen riesigen Berg an Sachen habe ich schon gelernt, sie waren alle schwierig, und auf dem Weg dahin musste ich viele Fehler machen. Sehr oft hat es nicht geklappt, bis ich es plötzlich geschafft habe. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass ich diese Sache, die mir gerade so schwerfällt, wohl auch schaffen werde, wenn ich einfach einiges Hinfallen in Kauf nehme und mindestens ebenso oft wieder aufstehe.

Ist Klopapier das schönste Material für diese Übung? Nein, aber ich bin mir sicher, dass Sie welches zu Hause haben – und mir geht es darum, mit möglichst wenig Aufwand viel zu erreichen. Selbstverständlich kann man diese Übung beliebig verschönern und z.B. Luxus-Klopapier wählen. Viel wichtiger jedoch ist es, sie überhaupt zu machen. Am besten jetzt gleich; spätestens heute noch.

Eine andere gute Möglichkeit für Kinder, die wenig an sich glauben, ist, die mittlerweile populäre Idee des Dankbarkeitsglases einfach zu erweitern. Wer es noch nicht kennt: Beim Dankbarkeitsglas schreibt man jeden Abend etwas, für das man dankbar ist, auf einen kleinen Zettel und steckt ihn in ein altes Konservenglas. Am Ende des Jahres hat man ein Glas voller Dankbarkeit für schöne Momente.

In der Erweiterung zur Unterstützung des Growth Mindsets schreibt man nun einfach etwas auf einen Zettel, das man heute gelernt hat. So kommt eine ganz schöne Menge zusammen, und es wird unmöglich für das Kind zu glauben, dass es «nichts kann».

Eine weitere tolle Methode ist es, die Lernreise bei einem bestimmten Thema sichtbar zu machen.

Dazu nehme ich meist ein Band oder einen dicken Faden, fixiere ihn mit vielen Schwüngen und Bögen, gleich einer Auto-Rennstrecke von A nach B an einer Pinnwand. Anschließend schreibe ich die einzelnen Stationen des Lernwegs kleinteilig auf Mini-Post-its, die ich an das Band hänge. Bei einem Erstklässler wären das z.B. die Buchstaben, pro Post-it ein Klein- und Großbuchstabe, in der richtigen Reihenfolge, wie sie in der Schule durchgenommen werden. Dann bastele ich gemeinsam mit dem Kind eine Figur des Kindes, die mit einer Reißzwecke immer an der Stelle befestigt wird, wo das Kind gerade steht. So wird auf den ersten Blick deutlich: Wahnsinn, dort bin ich gestartet, und jetzt bin ich schon so weit gekommen!

Alternativ kann man auch zwei Konservengläser nehmen. Im linken Glas stehen auf kleinen Zetteln all die Dinge, die in der nächsten Zeit zu lernen sind. Darauf ist ein Aufkleber mit einem kleinen Samen, der in der Erde und vielleicht gerade aufgegangen ist. Auf den kleinen Zetteln stehen z.B. schwierige Wörter, die immer wieder falsch geschrieben werden, oder das nächste Mathe-Thema. In das rechte Glas, auf dem der Aufkleber eines Baums ist, wandern die Zettel, sobald die Sache gelernt wurde. So kann man immer wieder die Zettel des linken Glases durchgehen und Woche für Woche feststellen: Wow, schon wieder was gelernt. Ab in das rechte Glas damit!

Research on a Hero

Dies ist eine Übung, die Carol Dweck in ihrem Proseminar mit all ihren Studierenden macht. Sie bittet sie, sich ihren Hero auszuwählen, also einen Star, den sie bewundern. Eine Person, die Großes geleistet hat, die Vorbild ist. Dann sollen sie Annahmen über diese Person treffen. Z.B.: «Adele wurde mit einer einmaligen Stimme geboren. Es war klar, dass sie mal eine weltberühmte Sängerin wird, denn ihre Stimme ist so besonders.» Diese Annahmen müssen die Studierenden dann überprüfen, indem sie die Geschichte und den Werdegang der betreffenden Person recherchieren. Wie ist sie wirklich zu dem geworden, was sie heute ist?

In jedem einzelnen Fall stellen die Studierenden fest: Jeder ihrer Heros hatte zwar eine Neigung und ein Talent. Doch viel entscheidender war und ist: Die Person hat Ausdauer gezeigt, hat sich von Misserfolgen nicht aufhalten lassen, hat lange gekämpft, Durststrecken überstanden, und irgendwann war sie an dem Punkt, für den wir sie heute so bewundern.

Diese Übung mache ich gerne mit Jugendlichen. In einer Klasse bitte ich jeden, sich eine Person vorzunehmen und deren Werdegang den anderen vorzustellen. So haben wir am Ende viele verschiedene Geschichten, die uns selbst Kraft geben, wenn es mal nicht so einfach ist.

Ansonsten empfehle ich Eltern, zusammen mit ihren Kindern Dokus über Stars zu schauen. Darunter gibt es mittlerweile ganz großartige, z.B. über Cristiano Ronaldo oder Michael Jordan, die beide ihren Erfolg zu 100 Prozent auf ihr Durchhaltevermögen zurückführen. Natürlich gehört zum Erfolg auch dazu, von einem funktionierenden Bildungssystem gefördert zu werden und ein unterstützendes Umfeld zu erfahren.

Die Frage ist nämlich nicht, ob jemand talentiert ist oder nicht. Viele Menschen, die nie irgendetwas erreichen, wurden trotzdem mit Talent und Intelligenz geboren. Ich würde sogar dem Hirnforscher Gerald Hüther zustimmen und sagen: «Jedes Kind ist hochbegabt.» Hochbegabt auf seine Weise. Die Frage ist nur, was machen wir als Eltern und als Lehrkräfte aus dieser Begabung? Und wird das Kind eine Haltung haben, die ihm hilft, dieses Talent zum Erblühen zu bringen?

Sag deinem Kind nicht, dass es schlau ist!

In den 90er-Jahren gab es eine riesige Bewegung, die versucht hat, das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken mit Suggestionen wie: Du bist schlau! Du bist toll! Du bist perfekt!

Der Gedanke dahinter war, dass Kinder auf diese Art ein besseres Selbstbewusstsein entwickeln. Er entsprang der Erkenntnis, wie kontraproduktiv es ist, Kindern zu sagen, sie seien dumm, faul usw. An sich also eine gute Entwicklung und von den Eltern, die das tun, auch gut gemeint.

Dass dieses «Intelligenz-Loben» auch eine Schattenseite hat, war bis zu Carol Dwecks Mindset-Forschung nur wenigen bewusst.

Wie Carol Dweck sinngemäß sagt: Wenn du jemanden schlau nennst, dann stellst du ihn auf ein Podest. Und irgendwann beginnt sich das ganze Leben dieses Kindes darum zu drehen, bloß auf diesem Podest zu bleiben. Wir wollen den guten Eindruck, den andere von uns gewonnen haben, unbedingt bewahren. Deshalb verengen wir unsere Welt immer weiter und bleiben auf unserem kleinen Podest stehen, indem wir neues Terrain, sprich, bisher Unbekanntes, meiden. Wir verweilen dort, wo wir uns sicher fühlen und keine Fehler fürchten müssen. Aber wer wachsen und sich wirklich weiterentwickeln will, muss Fehler machen. Es ist, als hätten wir einen endlos verzweigten Baum und so viele Wege zum Klettern, aber das Kind klammert sich an den einen Ast, auf dem es sich sicher fühlt, anstatt sich zu trauen, auch andere Äste auszuprobieren.

Stellen wir uns vor, ein Kind kommt in die erste Klasse, und das Lesenlernen fällt ihm leicht. Eigentlich konnte es schon vor der Schule lesen, und nun liest es überdurchschnittlich gut. Was sagen wir zu diesem Kind? «Du bist ja schlau, dass du jetzt schon so gut lesen kannst!» Was hört das Kind? Es hört die unterschwellige Botschaft: «Aha, wenn ich etwas schnell kann, wofür ich mich nicht besonders anstrengen musste, dann bin ich schlau. Heißt also, wenn ich mich so anstrengen müsste wie die anderen Kinder, wäre ich nicht schlau.» Eine verständliche, aber fatale Schlussfolgerung, die das falsche Mindset fördert: das Fixed Mindset. In der Folge entwickelt das Kind Angst vor Neuem – das Gegenteil von Lernfreude, Neugier und Kompetenzerweiterung.

Dasselbe Kind, das sich in der Grundschule so leichtgetan hat, kann in der 6. Klasse plötzlich arge Probleme haben, Bruchrechnung zu verstehen. An sich hat es die mentalen Fähigkeiten, also einen genügend hohen IQ, um Bruchrechnen zu erlernen. Aber sein starkes Fixed Mindset hindert es daran, sich wirklich auf die Komplexität des Themas einzulassen, zu üben, Fehler zu machen, aus diesen zu lernen und es gleich noch mal zu versuchen. Denn dieses Kind, das immer für seine Schnelligkeit und Fehlerlosigkeit gelobt wurde, glaubt nun enttäuscht und frustriert: «Wenn ich das nicht auf Anhieb verstehe, dann liegt es mir einfach nicht.»

Viele Kinder, die sich in der Schule unfassbar leichttun, erleben dann im Studium ein böses Erwachen. Plötzlich ist die Stoffmenge sehr groß und überaus komplex, sodass auch die größte Intelligenz nicht mehr ausreicht und man sich die Dinge schlicht mühsam und hart erarbeiten muss. Viele dieser «schlauen Kinder» erleiden dann eine echte Sinnkrise, rutschen ins Burnout oder werden zu Ober-Prokrastinierern, einfach weil sie nie gelernt haben, dass es völlig normal ist, wenn Neues anstrengend ist. Dass unser Verstand wächst, wenn es sich nach «Arrrgh – das ist so kompliziert!» anfühlt. Ihnen ist nicht klar, dass genau das der Ort ist, an dem sie wirklich über sich hinauswachsen.

Vorwerfen kann man den Kindern nicht, dass sie bis dahin noch nicht an diesem verheißungsvollen Ort waren. Das ist schlichtweg eine riesige Schwachstelle unseres Bildungssystems, das sehr schlecht darin ist, die beiden Enden des IQ-Spektrums zu fördern, und stattdessen Kinder auf Durchschnitt trimmt. Wie schade, dass diese Kinder erst erwachsen werden müssen, um zu erfahren, was echtes Lernen bedeutet, also was es heißt, sich selbst herauszufordern, zu scheitern und es noch mal und noch mal zu versuchen. Wie viel hätten sie in den Jahren davor lernen können, wenn sie Lehrkräfte gehabt hätten, die sagen: «Das ist alles richtig. Entschuldige, ich habe dir eine zu leichte Aufgabe gegeben. Probier mal diese hier, damit dein Gehirn auch die Chance hat zu wachsen.»

Stattdessen werden in der Schule oft jene Kinder am meisten bewundert, die «eine 1 schreiben, ohne zu lernen». Ich frage mich: Was gibt es da zu bewundern? Offensichtlich war die Aufgabe für diese Kinder zu leicht.

In der Sekundarschule (Berliner Realschule), in der ich zwei Jahre gearbeitet habe, hatte ich einen Jungen in der Klasse, der ein klassischer Fall für dieses Phänomen war. Er hatte eine schnellere Auffassungsgabe als die anderen in der Klasse und schrieb fast nur Einsen. Demnach war er der «Schlaueste», aber eben nur an einer Schule, die ein niedriges Niveau hatte. Ganz offensichtlich war er an dieser Brennpunktschule im Norden Berlins falsch und hätte problemlos Abitur machen können. (Damit will ich nicht sagen, dass ein Abitur für alle das Ziel sein sollte, einfach nur, dass ich ihm eine höhere Komplexität zutraue.)

Darauf angesprochen, ob ich ihm helfen dürfe, ein Stipendium zu bekommen und die Schule zu wechseln, weigerte er sich. Zu groß war augenscheinlich seine Angst, seine Position zu verlieren, plötzlich Fehler zu machen und umgeben zu sein von anderen, die ebenso «schlau» oder noch «schlauer» waren als er. So schade. In ihm steckte noch so viel mehr, als er sich zutraute.

Es ist vollkommen unerheblich, was die anderen können. Entscheidend ist, dass ein Kind lernt, sich nicht mit anderen, sondern nur mit sich selbst zu vergleichen. Wer um mich herum ist, ist willkürlich. Auch wenn ich auf das anspruchsvollste Gymnasium gehe, werde ich mich spätestens im Studium zwischen anderen wiederfinden, die mindestens genauso intelligent oder, oh je, noch intelligenter sind als ich. Die meisten Menschen mit einem Fixed Mindset fallen spätestens dann in ein tiefes Loch.

Viel mehr zu feiern wäre also die Person, die viel gelernt und deshalb eine 2 geschafft hat. Oder die, die in der letzten Arbeit hundert Fehler hatte und in dieser nur noch zwanzig – sie hat schließlich eine fünfmal bessere Leistung erbracht. In unserem Schulsystem bekommt sie für beides eine 6, und das ist ein Problem – der Schule, nicht des Schülers.

Heiter scheitern und Fehler als Chance kommunizieren

Auch hier gilt: Wir als Erwachsene haben eine Vorbildfunktion. Kindern schauen sich bei uns ab, wie wir mit Niederlagen oder Fehlern umgehen, sie orientieren sich an unserem Verhalten. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder nicht bei der kleinsten Hürde oder einem Rückschlag sofort verzweifeln, müssen auch wir als Eltern und Lehrkräfte ein Growth Mindset vorleben.

Eine gute Methode dafür: selbst zu scheitern. Wir als Erwachsene müssen laut und öffentlich scheitern, zu unseren Fehlern stehen, diese nicht zu ernst und nicht zu wichtig nehmen und den Kindern vormachen, wie man mit Misserfolgen umgehen und aus Fehlern lernen kann. Das vorzuleben ist selbst bei den kleinsten Alltagsfehlern und Misslichkeiten möglich; z.B. so: «Mist, jetzt habe ich mich verfahren, und wir sind eh schon viel zu spät. Oh nein, so etwas Blödes! Ich habe nicht aufgepasst und die Abfahrt übersehen, ach Mann, das ärgert mich jetzt. (Pause) Na ja, so schlimm ist es auch nicht. Ich war eben gerade in Gedanken, und wir machen alle Fehler. Jetzt habe ich auf jeden Fall wieder gemerkt, dass ich mich besser konzentrieren muss, wenn ich einen Weg fahre, den ich noch nicht gut kenne. Das kann ich machen. Vielleicht stelle ich mir das Navigationsgerät auch wieder laut, dann wird das beim nächsten Mal bestimmt nicht passieren.»

Wir sehen hier einen Viererschritt aus: sich ärgern – Fehler eingestehen – relativieren – in die Selbstwirksamkeit zurückfinden. Wenn Sie jede Situation, in der etwas schiefgeht, dafür nutzen, wird Ihr Kind schon sehr bald selbst auf diese souveräne Weise reagieren: «Mist, ich habe bei allen Aufgaben ‹minus› gerechnet, dabei stand überall ‹plus›. Oh man, so was Blödes, jetzt muss ich alles noch mal machen, und ich wollte doch so gerne schon nach draußen. Na ja, immerhin geht ‹plus› einfacher. Ich bin auch einfach schon sehr müde nach dem langen Schultag, da kann man so was mal übersehen. Ich glaube, beim nächsten Mal nehme ich erst einen Textmarker und markiere mir alle Rechenzeichen in Gelb, dann passiert mir das nicht noch mal.» So geht das.

Diese Methode habe ich bei der amerikanischen Psychologin Dr. Becky Kennedy gelernt. Sie ist so wirksam, dass ich sie Ihnen von ganzem Herzen empfehlen kann. Immer wenn Ihnen etwas herunterfällt, Sie zu spät kommen oder Ihr Chef ungehalten ist, weil Sie etwas versäumt haben: ärgern – Fehler eingestehen – relativieren – in die eigene Kraft zurückfinden.

Das Gehirn ist ein Muskel

Nein, ist es nicht! – Doch, ist es! – Nein! – Okay. Also: Das Gehirn ist natürlich rein physisch betrachtet kein Muskel; es besteht aus Nervengewebe und nicht aus Muskelgewebe.

Für Kinder jedoch, die verstehen sollen und wollen, wie ihr Gehirn funktioniert, eignet sich diese biologisch falsche Aussage als Analogie sehr gut. Unsere Gehirne ähneln nämlich einem Muskel stärker, als wir denken: So, wie unsere Muskeln wehtun müssen, wenn sie wachsen sollen, so sind es oft schmerzhafte Herausforderungen, die unseren Verstand zum Wachsen bringen. Wenn wir muskulöser werden wollen, hilft es nicht, Übungen zu machen, die uns leichtfallen. Nein, wir brauchen Gewichte und viele Wiederholungen. Beim Lernen ist es genauso: Wer immer in der Komfortzone bleibt, lässt keine neuen starken Verbindungen im Gehirn entstehen.

Unsere Gehirne sind auch in der Hinsicht wie Muskeln, dass wir zwar alles über Sport, Ernährung oder die besten Übungen wissen können und dieses Wissen nützlich ist, aber am Ende des Tages müssen wir die Dinge tun. Beim Lernen ist es genauso. Es hilft, anderen zuzuschauen, sich Tipps zu holen, viel zu lesen – aber am besten lernt, wer etwas selbst tut.