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Das Leben in all seiner albernen Ernsthaftigkeit Komplizierte Muttergefühle, skurrile Lieblingstiere, Angst vor der Brotschneidemaschine und die heilende Kraft des Popsongs: All diesen Themen (und natürlich vielen mehr) widmet sich Alena Schröder in dieser Sammlung ihrer besten Kolumnen. Der Alltag ist oft erstaunlich kompliziert - auch für Bestsellerautorinnen: Die schönsten Texte von Alena Schröder. Für alle, die manchmal nicht fassen können, dass sie jetzt die Erwachsenen sind und alles selber falsch machen müssen. Heiter, klug, nachdenklich und oft einfach sehr lustig. In besonders schöner Ausstattung und im kleinen Format: ein perfekter Begleiter für alle Lebenslagen. Pressestimmen zu Alena Schröders Bestseller ›Bei euch ist es immer so unheimlich still‹: »Es hat mich mit Macht hineingezogen in eine Mutter-Tochter-Frauen-und-Familien-Geschichte, aus der man nach 318 Seiten mit dem verträumten Gefühl wieder zu sich kommt, man habe eine Zeitreise gemacht.« Christine Westermann, Der Stern »Es ist ein durchweg unterhaltsamer wie bewegender Roman, ohne sprachliche Eitelkeiten, auf Augenhöhe mit Leserinnen und Lesern, schnörkellos, aber nicht trocken. Ein tolles Buch.« Danny Marques Marcules, NDR Kultur »Alena Schröders Debüt ›Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid‹ war ein Mega-Erfolg. Für alle, die davon so begeistert waren wie ich, ist ihr neuer Roman nun wie nach Hause kommen.« Angela Wittmann, Brigitte »Ein großer Roman über enttäuschte Erwartungen.« Donna Buchclub
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Seitenzahl: 174
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Leben in all seiner albernen Ernsthaftigkeit
Komplizierte Muttergefühle, skurrile Lieblingstiere, die Angst vor der Brotschneidemaschine und die heilende Kraft des Popsongs: All diesen Themen (und natürlich vielen mehr) widmet sich Alena Schröder in dieser Sammlung ihrer besten Kolumnen.
Für alle, die manchmal nicht fassen können, dass sie jetzt die Erwachsenen sind und alles selber falsch machen müssen.
Heiter, klug, nachdenklich und oft einfach sehr lustig.
Von Alena Schröder sind bei dtv außerdem lieferbar:
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Bei euch ist es immer so unheimlich still
Alena Schröder
Widmung
Vorwort
Die tut nichts, die will nur mitessen
Finger weg!
Zucchini-Schwemme
Der Preis ist Eis
Mein Krafttier, die Wespe
Der Wurm in meinem Kopf
Im Bann der Schlange
Ab sofort wird durchgeschmort!
Raus mit der Penispasta!
Nicht ohne mein Stamm-Café!
Bloß nichts anbrennen lassen!
Liebe auf Vorrat
Ich, immer noch verbesserlich
Lernen vom bösen Igel
Schlimme Flossen
Glitzer am Ohr
Völlig aus dem Ruder
Platz da, Mäuschen!
Der Fünfziger-Fluch
Schwitzen unter Glockenblumen
Betreute Monologe
Der Hulk in mir
Mehr Stoff für die Mitte, bitte
Ich bin’s, der Pflanzentod!
Der Schwefelduft der Liebe
Würde im freien Fall
Bitte recht freundlich!
Halleluja, sie läuft!
Meine Lesekrise
Kann das mal jemand aufräumen?
Bettenmachen wie ein Alphatier
Ihre Bestellung ist auf dem Weg!
Die Ukulele und die Weltformel
Vorhang auf für mein Winter-Publikum
Her mit den kinderfreien Zonen!
Verblasste Liebesschwüre
Die Kunst der Fuge
Täglich grüßt das Muttertier
Die Kruschtelschublade für mein inneres Kind
Boxsack statt Autobahnkirche
Träume und Schäume
Macht doch die Ohren zu!
Sing mir das Lied vom Schonwaschgang
Warum hat der Mensch keinen Penisknochen?
Der Stoff, aus dem der Trost ist
Köstlicher Kummer
Happy Birthday to me!
Sechs Nichtige
Mein Schweinetraum
Der Winter in kleinen Portionen
Die schmalen Gassen meiner Persönlichkeit
Einmal Lukas ohne alles
Handtaschen-Archäologie
Die Taube in mir
Ein gebügelter Gruß aus dem Jenseits
Schiefe Töne auf Rezept
Danke
Für Milan und für Bruno
Ich möchte nicht angeben, aber eigentlich bin ich ganz gut darin, mir Buchtitel auszudenken. Doch als ich damit begonnen habe, diese Textsammlung zusammenzustellen, ist es mir doch erstaunlich schwergefallen. Weil ich niemanden mit der Titelsuche behelligen wollte, habe ich ChatGPT gefragt – einen Chatbot, der mithilfe von künstlicher Intelligenz angeblich verblüffend sinnvolle Texte schreibt. Ich sagte der Maschine also: »Schreib mir einen Titel für einen Kolumnenband einer sechsundvierzigjährigen Autorin. Es geht um Alltagsbeobachtungen, Beziehungen, Freundschaft, Familie, Kinder, Sex und andere kuriose Dinge.«
Der Chatbot überlegte eine Millisekunde und spuckte dann folgenden Titelvorschlag aus:
Zwischen Windeln und Leidenschaft –
Ansichten einer reifen Feder
Erst mal musste ich lachen – über die Banalität und die handwerkliche Schlichtheit dieses Vorschlags, darüber, dass eine auf Wahrscheinlichkeiten basierende Software die Wörter »Windeln« und »Leidenschaft« in ein und denselben Satz packt, die unwahrscheinlichste Kombination überhaupt. Und darüber, dass mich der Chatbot als »reife Feder« bezeichnet. Was soll das überhaupt sein, eine reife Feder? Reif für was? Und wären Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sehr enttäuscht, wenn ich Ihnen verrate, dass ich meine Texte nicht mit dem Federkiel schreibe?
Was mir die künstliche Intelligenz mit der Bezeichnung sagen will, ist vermutlich eher, dass ich alt bin. Mittelalt. Auf jeden Fall nicht mehr jung. Interessanterweise ist man als Frau ja immer entweder zu jung oder zu alt für irgendetwas, der Übergang vom »Nachwuchstalent« zur »reifen Feder« ist fließend. Dabei würde ich sagen, dass ich mit Mitte vierzig vor allem eines bin: erwachsen. Ich habe einen Job und eine Familie, ich habe mich halb widerwillig, halb panisch mit meiner Altersvorsorge und meiner Rückenmuskulatur beschäftigt, meine Kinder sind nicht mehr so klein, meine Unsicherheiten nicht mehr so groß. Ich habe mein Leben halbwegs im Griff.
Und trotzdem habe ich immer mal wieder Momente, in denen mich Dinge überfordern, und dann frage ich mich: Kann das hier mal jemand für mich regeln, aufräumen, klarmachen? Kann bitte ein Erwachsener übernehmen, der weiß, wie die Dinge laufen und wie das Leben funktioniert?
Meistens fällt mir dann recht bald wieder ein, dass ich diese Erwachsene bin und es wohl oder übel selber hinkriegen, regeln, aufräumen und im Zweifel selber falsch machen muss. Niemand sonst und erst recht keine KI wird es für mich tun. Und der einfachste und für mich sinnvollste Weg, mich, meine Gedanken und mein Leben zu sortieren ist: darüber zu schreiben.
Die Texte in diesem Band stammen aus den letzten zehn Jahren. Sie sind nicht chronologisch geordnet, was vor allem daran zu merken ist, dass meine Kinder ständig unterschiedlich alt sind. Ab und zu ist von der Coronapandemie die Rede, die sich im Rückblick manchmal anfühlt wie ein Fiebertraum – jedenfalls für die Glücklichen unter uns, die einigermaßen unbeschadet daraus hervorgegangen sind. Einiges hat sich verändert in dieser Zeit – Beziehungen, Freundschaften, Überzeugungen. Aber im Kern bleibt doch konstant die Erkenntnis, dass das Leben aufregend unordentlich ist und dass es sich lohnt, beim Aufräumen ab und zu Fehler zu machen.
Viel Spaß beim Lesen!
Meine Mutter sortiert aus und fragt, ob ich vielleicht ihre Brotschneidemaschine haben möchte. Ich hadere noch. Einerseits möchte ich wirklich nicht noch ein Gerät haben, das meine ziemlich vollgestellte Küchenarbeitsfläche verkleinert. Andererseits verbindet mich mit dieser Brotschneidemaschine meine allererste Berührung mit dem Konzept Angstlust. Es schien mir als Kind quasi unvermeidlich, dass ich mir damit die Finger amputieren, mindestens ein Blutbad anrichten würde. Vielleicht sollte ich mich diesem faszinierenden Grusel nun als Erwachsene noch einmal aussetzen?
Ein Spruch meiner Großmutter, der damals großen Eindruck auf mich gemacht hat, lautete: Nur wer Brot schneiden kann, kann auch heiraten. Eine mystische Aussage, die vermutlich bedeuten sollte, dass Brotschneiden gar nicht so einfach ist und ziemlich viel Übung braucht, so wie die Liebe. Interessanterweise kenne ich eine ganze Reihe verheirateter Männer, die nicht in der Lage sind, mit dem Brotmesser gleichmäßig dünne Scheiben von einem Brotlaib zu säbeln, und vielleicht war das auch der Grund, warum meine Mutter damals frisch verheiratet eine Brotschneidemaschine angeschafft hat. Als Kind fand ich heiraten sehr erstrebenswert und natürlich war mir die Benutzung der Brotschneidemaschine verboten, ich nahm also an, dass ich erst in ein Alter kommen musste, in dem meine Eltern mir zutrauen würden, dieses Killergerät ohne Aufsicht und ohne »Aber pass bitte gut auf deine Finger auf!« zu benutzen, bevor ich den Bund fürs Leben eingehen dürfte.
Also vermutlich nie.
Brotschneidemaschinen scheinen inzwischen aus der Mode gekommen zu sein oder aber andere Geräte wie Thermomix, Reiskocher und Entsafter haben den Kampf um den knappen Arbeitsplattenplatz in deutschen Einbauküchen gewonnen. Sie sind zugegebenermaßen auch ziemlich unhandlich, dafür, dass sie eigentlich nur ein einigermaßen scharfes Brotmesser ersetzen, das bequem in jede Schublade passt. Außerdem kann man sich ja heutzutage auch bei fast jedem Bäcker das Brot in Scheiben schneiden lassen – das Geräusch, das diese Maschinen dabei machen, erinnert passenderweise an die kreischenden Stakkato-Geigen aus der berühmten Duschvorhangszene in Alfred Hitchcocks Psycho, man muss also auch hier nicht auf den Gruselfaktor verzichten. Ich kenne jedenfalls aktuell niemanden in meiner Generation, der noch eine Brotschneidemaschine zu Hause hat, aber viele, die diesem Gerät in ihrer Kindheit mit derselben Mischung aus Faszination und Grusel begegnet sind wie ich.
Offenbar hat jede Generation ihre eigenen Angstlustszenarien. In meiner Kindheit waren gleichauf mit der Angst vor einer Fingeramputation per Brotschneidemaschine nur noch: von älteren Mitschülern auf der Schultoilette mit Heroin angefixt oder in der Fußgängerzone von Scientologen angesprochen und in ein Leben als Sektenjüngerin hineingezogen zu werden. Nichts davon war besonders wahrscheinlich, deutlich unwahrscheinlicher jedenfalls, als mir beim Fahrradfahren ohne Helm den Hals zu brechen, in der Schule von einem Sportlehrer betatscht oder über einen Werbespot auf VIVA in ein überteuertes Handyklingelton-Abo hineingezogen zu werden. Aber vielleicht gerade deshalb war es ungleich aufregender, sich die Gefahren auszumalen, die von rotierenden Klingen, potenziellen Junkies aus der 10b oder einer Ufosekte ausgingen.
Als Kind habe ich die Angstlust geliebt – vielleicht, weil es nicht so viel gab, wovor ich ernsthaft hätte Angst haben müssen. Inzwischen möchte ich mich überhaupt nicht mehr gruseln. Ich schaue keine Krimis, höre keine True-Crime-Podcasts und lese sehr gerne Spoiler, weil ich Spannung nicht gut aushalte. Deshalb möchte ich eigentlich auch die Brotschneidemaschine nicht mehr in mein Leben lassen. Der einzig gute Grund wäre, damit meine Kinder zu beeindrucken: Stellt euch vor, damals stand diese Kreissäge in jeder Küche herum, einfach so! Was glaubt ihr, woher der Ausdruck »Finger weg!« kommt? Und bevor man die nicht bedienen konnte, durfte man nicht heiraten.
Sie würden vermutlich nur gelangweilt mit den Schultern zucken und sich eine Scheibe Toastbrot aus der Packung nehmen.
Ich habe keinen Garten, aber glücklicherweise kenne ich sehr viele Menschen, die Gärten haben. Das ist für mich optimal, denn so kann ich sie jederzeit besuchen und mich im Grünen aufhalten, ohne selbst viel Arbeit damit zu haben. Ich bin nämlich der wandelnde Pflanzentod, unter meinen Händen sind schon die widerstandsfähigsten Kakteen gestorben, Grünzeug ist einfach nicht mein Talent. Dafür bin ich sehr gut darin, die Gärten anderer zu bewundern, meine Freund*innen für ihre Blumenpracht und den perfekten Rasen zu preisen, für ihre Tomatenpflanzen, das selbst gebaute Hochbeet, die perfekt abgemulchten Stauden. Laden Sie mich also gern zum Grillen oder zum Kaffee ein, wenn Sie mal wieder buchstäblich über den grünen Klee gelobt werden wollen, ich habe Übung darin.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum ich keinen Garten habe: Ich will nicht in die Zucchini-Falle tappen. Denn bei fast allen mir bekannten Gartenbesitzern herrscht bis weit in den Herbst hinein Zucchini-Schwemme Ich bekomme wöchentliche Anfragen, erst beiläufig, später flehend, ob ich nicht ein paar Zucchini gebrauchen könne. Kann ich in aller Regel nicht, denn kein Gemüse löst bei mir größere Ideenlosigkeit aus als die Zucchini. Die Zucchini ist das Gemüse, das meistens zu lange im Kühlschrank liegt und irgendwann runzlig wird und schimmelt, weil niemand in der Familie je unbändige Lust auf Zucchini verspürt. Mir scheint, die Zucchini hat nur sehr wenige leidenschaftliche Fans, die meisten Menschen stehen ihr bestenfalls gleichgültig gegenüber. Noch nie ist mir jemand begegnet, der, nach seinem Lieblingsessen befragt, ein zucchinidominiertes Gericht genannt hätte.
Aber ich weiß, wie gut die Zucchinipflanze wächst. Wie dankbar sie auch dem talentlosesten Gärtner üppige Ernten beschert. Hätte ich einen Garten, wäre ich diesem Versprechen auch erlegen, ich hätte nicht eine, sondern wahrscheinlich gleich zwei oder drei Zucchinipflanzen gesetzt und natürlich wäre ich stolz, wenn etwas, was ich gepflanzt und gegossen habe, tatsächlich Früchte trägt. Aber wohin dann mit all den Zucchini? Was tun damit? Marmelade draus kochen geht nicht und selbst wenn man dreimal die Woche ein Zucchini-Carpaccio oder eine Zucchinisuppe zaubert, hängt einem das irgendwann zum Hals raus. Als Deko- oder Bastelobjekt eignet sie sich nicht, anders als ihr großer Bruder, der Kürbis. Und verkommen lassen, gar wegschmeißen, geht auch nicht. Ich würde also ebenfalls den Freundeskreis und die Nachbarschaft abtelefonieren und erst großzügig anbieten und schließlich flehen: Bitte nehmt meine Zucchini, ich habe so viele davon, ich habe Angst, unter einem umstürzenden Haufen Zucchini begraben zu werden, in meinen Träumen wachsen mir Zucchini aus den Ohren und kaum ernte ich sie, wachsen neue nach. Leute, bitte helft mir, ich fühle mich unter Druck gesetzt von meiner überproduktiven Zucchinipflanze, die in einer Tour Nachkommen produziert, um wahrscheinlich irgendwann den Planeten zu unterjochen!
Zu Verabredungen, auf die ich nicht so recht Lust habe, würde ich irgendwann nur noch Zucchini als Gastgeschenk mitnehmen, so wie sonst die eine Flasche halbtrockenen Sekt, den man selber mal geschenkt bekommen hat und nicht trinken mag. Oder meinen Gartennachbarn heimlich Beutel voller Zucchini an die Gartenpforte hängen, als passiv-aggressive Geste, die sich als Großzügigkeit tarnt. Die Zucchini würde wirklich das Schlechteste in mir hervorbringen, deshalb habe ich keinen Garten, denn ich will ein einigermaßen guter Mensch bleiben, der bewundernd durch die Gärten anderer Leute wandelt und Ah! und Oh! ruft und zum Abschied sehr gern ein Glas von der selbst gemachten Brombeermarmelade mitnimmt. Aber Zucchini? Nein danke, du, ganz lieb, wirklich, aber ich habe gerade gestern im Supermarkt eine gekauft und die will ich erst mal aufbrauchen. Wäre doch schade drum.
In der Schlange vor meiner Lieblingseisdiele kommen die Wartenden oft ins Gespräch, denn es gibt ein Aufregerthema, das Jahr für Jahr aktuell bleibt: der Eiskugelpreis. Die Eiskugel wird jedes Jahr ein paar Cent teurer, wie eigentlich alles, aber aus irgendeinem Grund erregt dieser Umstand die Menschen mindestens so sehr wie steigende Mieten und Benzinpreise. Ich stehe gerne dort an und belausche die Gespräche, denn ich habe eine innere Wette mit mir laufen: Irgendjemand in der Schlange wird irgendwann seufzen, sich dem Kind an seiner oder ihrer Seite zuwenden und sagen: »Als ich in deinem Alter war, hat das Eis noch fünfzig Pfennig gekostet, das kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen.« Und dann wird sich ein anderer Erwachsener umdrehen und sagen: »Ja, ein Euro achtzig für eine Kugel Eis, das ist doch verrückt, das geht ja eigentlich gar nicht, nächstes Jahr sind wir dann bei zwei Euro, das ist doch Wahnsinn!«
Noch nie habe ich ein derartiges Gespräch im Supermarkt angesichts der steigenden Preise von Staudensellerie oder Pflaumenmus belauscht, vermutlich weil Schlangestehen vor der Eisdiele einfach mehr Nostalgieknöpfe drückt. Steigende Lebensmittelpreise sind natürlich ein echtes Problem für sehr viele Menschen, aber die beklagen sich in der Regel nicht lautstark, während sie zwanzig Minuten für eine Kugel Bio-Tonkabohne-Sesam-Krokant-Eis anstehen (es ist wirklich köstlich!).
»Das ist die reinste Goldgrube hier«, raunt eine Frau vor mir in der Schlange ihrer Freundin zu. »Ich glaube ja, das ist eine richtige Mafia«, antwortet sie, »die sprechen jedes Jahr die Preise ab, damit hier im Viertel keine Konkurrenz entsteht!« Das ist natürlich Quatsch, aber die Vorstellung gefällt mir: Wie sich die drei Eisdielenbesitzer meiner Nachbarschaft immer Anfang März in ihren schwarzen Limousinen bei einem Nachtclub vorfahren lassen, dann in einem geheimen Hinterzimmer zusammensitzen und das Revier unter sich aufteilen: »Caramello« behält das Monopol auf Schlumpfeis, dafür hat nur »Die Eisliebe« die bunten Streusel, Biogedöns und veganes Schokoladeneis führt ausschließlich die »Eismanufaktur«. Diesjähriger Kugelpreis: ein Euro achtzig, die Leute sollen gefälligst bluten! Dann wird mit Champagner angestoßen und nach Saisonende werden die durch den Eiskugelwucher erbeuteten Millionen in einem karibischen Steuerparadies verprasst.
Vielleicht könnte ich auch einsteigen ins Geschäft, eine mächtige und gefürchtete Patin werden, der die anderen Eisdielenbesitzer erst mal den Siegelring küssen müssen, wenn sie irgendwo auftaucht. In meinem Safe würde womöglich das Geheimrezept für das weltbeste Malaga-Eis liegen, mit dem meine Nachkommen unsere Eisdynastie in eine glorreiche Zukunft führen könnten. Im Fernsehen liefe eine Dokusoap über uns, die Kardashians des Speiseeishandels, Bill Gates würde sich Anlagetipps bei mir holen, okay, ich stehe schon wirklich verdammt lang in der prallen Sonne in dieser Schlange, aber jetzt bin ich endlich dran.
Der leider ganz und gar nicht wohlhabende Eisverkäufer hinter der Theke lächelt mich an, großmütig ignoriert er das Gemecker seiner Kundschaft, schließlich handelt er mit einem aufwendig hergestellten und dafür doch recht fair bepreisten Luxuslebensmittel, für das es im Tiefkühlregal günstige Alternativen gäbe. In Wahrheit glaube ich, dass das Aufregerthema Eiskugelpreis einfach der soziale Kitt ist, der die Nachbarschaft zusammenhält. Und auch ein Akt der Verdrängung. Wir stehen hier gemeinsam und warten und seufzen und reden von früher (fünfzig Pfennig!) und ereifern uns wegen einer Lappalie, um uns nicht über die wirklich schrecklichen Dinge aufregen und sorgen zu müssen, die auf der Welt gerade passieren. Das entlastet, und dann gibt es ja schließlich ein Eis zur Belohnung und schon sieht alles nicht mehr ganz so düster aus. Dafür zahle ich gern, nächstes Jahr auch zwei Euro zehn. Ehrensache.
Aus gegebenem Anlass möchte ich heute eine Lanze brechen für die am meisten missverstandene Kreatur dieser Welt: die Wespe. In diesen Tagen sucht sie wieder verstärkt unsere Nähe und was ist unsere Antwort? Hektisches Gewedel, Kreischen, Flucht, Aggression. Kaum ein Insekt löst vergleichbare Reaktionen aus – ich gebe zu: bis vor Kurzem auch bei mir. Aber ich habe mich geändert, ich bin nicht mehr dieselbe, ich bin nun eine Wespenversteherin. Weil ich alles, wirklich alles tue, um meine Kinder glauben zu lassen, ich sei eine souveräne, in sich ruhende Mutter, die nichts aus der Fassung bringen kann. Sie sollen sich ein Beispiel an mir nehmen und ihre Energie nicht in Wespen-, sondern in Patriarchatsbekämpfung stecken. Und gerade da kann man sich von der Wespe ja einiges abschauen, von ihr lernen, sie sich zum Vorbild nehmen. Alles, was es braucht, ist eine andere Sichtweise. Zunächst sollten wir uns in Großzügigkeit üben: Ja, Wespen nerven. Aber jede Form von Aktivismus, der etwas zum Guten verändern will, nervt. Die Suffragetten haben genervt, die 68er haben genervt, die Feminist*innen der ersten und der zweiten Welle haben genervt, ein Bahnstreik zu Ferienbeginn nervt, manche sind von den sogenannten Klimaklebern genervt.
Manchmal scheinen Wespen aufdringlich, aber vielleicht ist das auch nur ein Missverständnis? Vielleicht sind sie einfach sehr kurzsichtig und müssen deshalb besonders nah an uns ran. Es ist ihre Art, »Hallo, Verzeihung, ist auf Ihrem Marmeladenbrot noch Platz?« zu sagen, es ist ja nicht so, als würden sie unser Blut saugen wollen. Und ist es nicht auch bewundernswert, mit welcher Ausdauer und Unbeirrbarkeit die Wespe an ihrem Ziel (Marmeladenbrot) festhält? Ist die Wespe nicht die beste Motivationstrainerin, die man sich vorstellen kann? Sie lässt sich nicht abwimmeln, sie lässt sich nicht entmutigen. Sie glaubt an sich, bleibt fokussiert, gibt nicht auf. Es ist ihr egal, was andere von ihr halten. Wer von uns kann das schon von sich behaupten? Ich denke, wir alle brauchen ein Wespen-Mindset, um uns den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.
Oft hört man, Wespen seien nutzlos, aber auch das ist ja nachweislich falsch. Wespen sind Futter für Vögel und Hornissen, sie helfen bei der Aasbeseitigung, manche Wespen sind auch für die Bestäubung von Pflanzen existenziell, etwa für Feigen. Der Mensch hingegen ist für den ökologischen Kreislauf das nutzloseste Tier, die Natur käme bestens – um nicht zu sagen: besser – ohne uns klar. Und wollten wir uns nicht ohnehin langsam verabschieden von dieser Denkweise? Dass nur zählt, wer sich nützlich macht? Sollten wir nicht alle ein Herz für den Underdog haben, die ewig Ungeliebten? Gerade neben den streberhaften Bienen hat es die Wespe schwer, dabei ist ein Bienenstich viel toxischer. Und trotzdem hat man einen herrlichen Kuchen so genannt, einen Kuchen, von dem man Wespen mit Gewalt fernhält, dabei wollen die nur ein winzig kleines bisschen Fett und Zucker für ihre kleinen Wespenbabys abstauben.
Das also in etwa ist der Vortrag, den ich meinen Kindern halte, während die hektisch wedelnd Wespen vertreiben. Ich komme mir sehr cool dabei vor, auch dann noch, als eine der Wespen über meinen Arm krabbelt. Ich genieße den schockierten Blick meiner Söhne, ja, schaut ruhig hin, eure Mutter hat keine Angst, man muss einfach nur ganz ruhig bleiben, seht ihr? Dann passiert nämlich gar nichts.
Wieder heimgekehrt von unserem Ausflug zur Eisdiele kühle ich mir heimlich den Arm, denn natürlich hat das Mistvieh mich doch gestochen und ich habe mir nichts anmerken lassen, einfach weil ich recht behalten wollte.
Vielleicht ist auch das eine Lehre, die ich der Wespe verdanke: dass ich gar nicht immer im Recht sein und meinen Kindern nicht ständig mit vermeintlicher Coolness imponieren muss. Die Wespe hat mir gezeigt, wer der Boss ist. Und dass sie bestens ohne mich und meine Verteidigungstiraden klarkommt.
Ich bin nicht so besonders gut im Loslassen. Was und wer einmal in mein Hirn und mein Herz gekrochen ist und es sich dort gemütlich gemacht hat, schmeiß ich auch so schnell nicht raus. Im Gegenteil, ich bin die Gastgeberin, die ihre Gäste aktiv vom Gehen abhält, auch wenn es schon verdammt spät am Abend ist und alle nur noch ins Bett wollen. Es ist ein unpraktischer Charakterzug, der mir unter anderem eine große Anfälligkeit für Ohrwürmer beschert. Ich kann tage-, manchmal wochenlang obsessiv immer und immer wieder dasselbe Lied im Ohr behalten. Ich singe es vor mich hin, mal leise, mal laut, ich denke beim Einschlafen und beim Aufwachen daran … »sweet dreams are made of this« … Irgendwann kann ich gar nichts anderes mehr denken, was schlecht ist, denn ich verdiene mein Geld mit Dingen, die sich ausschließlich in meinem Kopf abspielen.
Leider habe ich meine Anfälligkeit für Ohrwürmer an meine Kinder weitergegeben. Ein Kinderohrwurm ist noch schlimmer als ein Erwachsenenohrwurm, weil Kinder viel weniger Hemmungen haben, andere Menschen an ihren Ohrwürmern teilhaben zu lassen. Im Musikunterricht meines Sohnes wurden in einem Schulhalbjahr nacheinander Lemon Tree von Fools Garden und Don’t worry, be happy