Altmärkische Volkssagen - J. D. H. Temme - E-Book

Altmärkische Volkssagen E-Book

J. D. H. Temme

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Beschreibung

Im dritten Band der Buchreihe "Lebendiges Brauchtum - Sagen, Märchen und Legenden aus aller Welt" werden zahlreiche Sagen und Überlieferungen der Altmark (im Norden Sachsen-Anhalts) behandelt. In diesem Büchlein lernen wir Sagen und Legenden über versunkene Städte, Hexen und Poltergeister, sowie Hochzeits-, Kindstauf-, und Totengebräuche unserer Vorfahren kennen.

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Seitenzahl: 191

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt.

I.

Altmärkische Sagen.

Das Haus des Kaisers zu Stendal.

Erbauung des Doms zu Stendal.

Die Rolandssäulen.

Der verschwundene Tambour.

Die gottesschänderischen Juden.

Das wunderbare Feuer zu Stendal.

Der Kinderesser zu Stendal.

Der Betrug um die Leichengebühren.

Die betenden Straßenräuber.

Die alte Glocke in Koblake.

Das steinerne Kreuz bei Großen-Möhringen.

Das Marienbild zu Schleuß.

Die Pferdetrappe bei Darnstedt.

Der Teufel und der Schreiber zu Klein-Schwechten.

Die rote Erde bei Dentz.

Der Teufelsstein zu Ostheeren.

Die Wahrzeichen an der Stephanskirche zu Tangermünde.

Die Jungfrau Lorenz.

Die Papenkühle bei Bellingen.

Der geigende Pfarrer.

Das Büchelchen.

Das Gespenst zu Schorstett.

Die Belagerung von Rogätz.

Die alte und die neue Stadt Gardelegen.

Die Sankt Georgen-Kapelle vor Gardelegen.

Die Wette um das Tor zu Gardelegen.

Das Wams des Geräderten.

Die Isern-Schnibbe bei Gardelegen.

Der Selische See.

Die goldene Laus bei Bismark.

Die Totenglocke zu Kalbe.

Die Stadt Salzwedel.

Das Stadtholz bei Salzwedel.

Klaus Ule.

Der bestrafte Meineidige.

Der Elternmörder in Salzwedel.

Die wüste Kirche zu Danne.

Der Mittelpunkt der Welt

Die großen Steine bei Ballerstedt.

Die gestohlene Glocke in Ristedt.

Tetzels Ablaßkasten in Flechtingen.

Die beste Religion.

Das Unwetter in Groß-Gerstädt.

Der bestrafte Sabbatschänder zu Bombeck.

Hakkeberg.

Die bestraften Räuber.

Der Lehnekenberg bei Dahrendorf.

Der Lehnekenstein bei Bonese.

Die Spinnerin im Mond.

Die kluge Nonne zu Arendsee.

Der Name Arendsee.

Der Arendsee.

Der Mehlberg am Arendsee.

Der gekeilte Dieb.

Der Inspektor Krusemark zu Seehausen.

Die Hand auf dem Grab.

Der Kaiserbesuch in Osterburg.

Die Feuersbrunst in Osterburg.

Die rote Erde bei Krumke.

Der letzte Pfarrer in Krumke.

Das Kloster Krevese.

Die beiden Frauen zu Aulosen.

Der Werwolf in Hindenburg.

Der Kobold in Lichterfeld.

Der Münchensee bei Osterholz.

Gott läßt sich nicht spotten.

Die zwei Todesengel.

Die Tempelherren-Schlösser.

Der neue Adel in der Altmark.

Der Name Jagow.

Der Name Schulenburg.

Der Name Gans von Putlitz.

Der wunderbare Ring in der Familie von Alvensleben.

Der alte Ziethen.

II.

Abergläubische Meiinungen u. Gebräuche i. d. Alttmark.

III.

Sagen aus den übrigen Marken.

Ursprung der Geschlechter Habsburg, Zollern etc.

Die wunderbarste Sage von Berlin

Die Zauberinnen in Berlin.

Die Bildsäule des Kurfürsten von Sachsen in Berlin

Die gespenstischen Mäher bei Berlin.

Das Unwetter und Kurfürst Joachim I.

Gesichter der Kurfürsten Joachim I. und II.

Joachim von Schapelow

Der Müggelberg bei Köpenick

Das Grab bei Rheinsberg.

Der Stein bei Stolzenhagen

Die sieben Steine bei Morin.

Der Adamstanz bei Wirchow.

Die alte Stadt im Blumental.

Der Markgrafenberg bei Rathenau.

Das Wunderblut zu Belitz.

Das Wunderblut zu Zehdenick.

Das Wunderblut zu Wilsnack.

Das wunderbare Gesicht zu Prenzlau.

Die geharnischten Männer zu Küstrin.

Der Bärenskirchhof in Grimnitz.

Das vermauerte Tor zu Gransee.

Die Strohbrücke bei Himmelpforten.

Der schwarze Mönch zu Ueckermünde.

Die Kapelle des h. Kreuzes bei Perleberg.

Der große Stein bei Reetz.

Das fluchende Weib.

Die Mißgeburt zu Jütkendorf

Die Zaubersäcke zu Küstrin.

Die stillen Frösche zu Schwante.

Die Ratten in Neustadt-Eberswalde.

Die Schlangen von Prenzlau.

Die Schlangen zu Bernau.

Das Bernauische Bier.

Die Wundereiche bei Wittstock.

Der bestrafte Sabbatschänder.

Der Name Pritzwalk.

Das blutende Hirschhorn.

Die Blutkammer zu Wilsnack.

Das Fräulein bei Wittenberge.

Der Hildebrand bei Wittenberge.

Der Blutregen in Großmantel.

Historie v. d. Magd zu Frankfurt a. d. O., so Geld gegessen.

Die Magd und die Männlein zu Help.

IV.

Sagen aus dem Magdeburgischen.

Die Wiedererbauung Magdeburgs.

Das Kaiserbildnis im Dom zu Magdeburg.

Der Schäfer am Dom zu Magdeburg.

Der schwörende Mönch.

Die gefesselten Männer am Dom zu Magdeburg.

Die frommen Hunde in Magdeburg.

Kriegeszeichen.

Der gefangene Jude zu Magdeburg.

Die heiligen Leichnams-Kapelle zu Magdeburg.

Das Gespenst auf dem Tye in Magdeburg.

Bestrafte Tanzlust.

Die Kardinalsbirne.

Der Erzbischof Ernestus zu Magdeburg.

Der Warner vor der Schlacht, u. d. Magdeburger Taufe.

Das blutige Brot.

Die Metze und die Magd.

Der Totengräber in Magdeburg.

Wolmirstett.

Der heilige See bei Neuhoff.

Vorwort.

Die Altmark besteht gegenwärtig aus den vier Landrätlichen Kreisen Stendal, Gardelegen, Salzwedel und Osterburg; außerdem gehören einzelne Teile der Kreise Wolmirstedt und Neuhaldensleben dazu. Sie bildet einen Teil des Regierungsbezirks Magdeburg und der Provinz Sachsen. Sie war früher, bis zu ihrer Einverleibung mit dem ehemaligen Königreich Westfalen, eine für sich selbst bestehende, abgeschlossene Provinz des Preußischen Staats, mit selbständiger Verfassung, mit einem eigenen Obergericht, das in ihrer damaligen Hauptstadt Stendal seinen Sitz hatte, usw.

Diese Selbständigkeit hat manche Eigentümlichkeit in Charakter, Sitten, Kleidung und Leben der Altmärker aufrechterhalten, zu welcher vielleicht die Umstände, daß ein großer Teil der Altmark früher von den Wenden bewohnt war, daß unter Albrecht dem Bären ein ebenso eigentümliches Volk, die Niederländer, in die Mark, namentlich in die Wische, gerufen wurden, so wie, daß die Altmark die langjährige Residenz nicht nur der brandenburgischen Markgrafen, sondern selbst mehrerer Deutschen Kaiser war, den ersten Grund gelegt haben mögen. Soviel ist gewiß, man erkennt einen Altmärker, besonders einen Altmärker vom Land, leicht und auf den ersten Blick. Alle Generalisierung und Uniformierung der neueren Zivilisation, alle politische Verschmelzung mit anderen Stämmen und Regierungen hat seine Besonderheiten, seinen spezifischen Nationaltypus nicht zu verwischen vermocht. Ist er auch ein Preuße, ist er auch ein Märker, so ist er doch ein Altmärker, und von der Altmark geht der erste Ruhm und Glanz der brandenburgischen Marken und des preußischen Thrones aus.

Die Eigentümlichkeit des Altmärkers findet sich wieder in seinen Sagen. Ist daher die Sammlung des Sagenschatzes eines Volkes, dieser nationalsten Volkspoesie, dieses Spiegels seiner ganzen Denk- und Gefühlsart, seiner Geschichte, seines Lebens, überhaupt etwas Interessantes, mag man sie als Gegenstand müßiger Unterhaltung, oder als Hilfsmittel zum Studium der Völker und ihrer Geschichte betrachten, so erschien mir eine Sammlung der Volkssagen der Altmark doppelt interessant. Sie muß ein bedeutsamer Beitrag zu einer Sagensammlung unseres gesamten deutschen Vaterlandes sein. Für die deutsche Sage geschieht in der neueren Zeit wieder viel. Das muß in kurzem zu einem höchst interessanten Resultat führen. Ist sie nämlich aus allen Gauen Deutschlands gesammelt, so muß sie einen Blick in die Verschiedenheiten der Stämme und Gegenden, der Sitten, Gebräuche und Lebensweise, der Wirkungen der Verfassung, der politischen und religiösen Institutionen werfen, der für den beobachtenden Vaterlandsfreund von der entschiedensten Bedeutung ist. Die Sagen der Altmark werden dann nicht unbeachtet da stehen. Man wird ihren allgemeinen deutschen Ursprung und Charakter, man wird aber auch ihre besondere Bildung und Richtung anerkennen.

Die Altmark ist flach und eben. Im Gebirge soll die Sage besser gedeihen, als in der Ebene. Bei der Altmark bewährt sich das nicht. Sie ist reich an Sagen, besonders auf dem Land. Der gemütliche und gemütlich beschauende Charakter des Volkes, das zu langwierigen und mühsamen Anstrengungen des Geistes sich nicht hinneigt, hat hier an jeden Gegenstand seines Lebens und seiner Geschichte irgendeine übernatürliche, poetische Bedeutung geknüpft.

Der Reichtum des Altmärkischen Sagenschatzes ist nicht nach der vorliegenden Sammlung zu beurteilen. Einmal verschwindet überall die Sage mehr aus dem Volk, je mehr sie in die Bücherwelt übergeht. Sodann lebt in der Altmark die Sage mehr auf dem Land als in den Städten, und man muß bei der Verschlossenheit des Landvolks zu diesem schon in ganz besonderen und vertrauten Beziehungen stehen, um es mitteilsam für seine Sagen zu machen, die es gern für sich allein behält, so wie der Mensch überhaupt das nicht gern weggibt, was er, zumal in schöneren Stunden, selbst geschaffen hat, und was ihm eben darum um desto lieberes Eigentum geworden ist. Hat doch das Volk die Sage aus sich heraus produziert; wer will es ihm verdenken, wenn es sie nur für sich behalten will. Ich habe zwei Jahre mitten in der Altmark gelebt, und ich habe mir während dieser ganzen Zeit sehr viele Mühe gegeben, altmärkische Sagen zu sammeln; nur das hier Mitgeteilte ist meine ganze Ausbeute geworden. Von diesem ist mir das wenigste unmittelbar aus dem Mund des Volks zugekommen. Das meiste ist aus Chroniken geschöpft, deren die Altmark viele hat. Von den übrigen verdanke ich vieles Männern, die eine Reihe von Jahren lang unmittelbar unter dem Volk gelebt haben, von denen ich hier dankbar des um das Volksleben der Altmark in vielfacher Hinsicht verdienten Pfarrers Pohlmann in Grieben erwähne. Eine Wiederauflebung der altmärkischen Sage steht durch den im Jahre 1830 zu Salzwedel gegründeten „Altmärkischen Verein für Geschichte und Industrie“ bevor, der sich viele Mühe gibt, die Geheimnisse und Eigentümlichkeiten des Volkslebens und Volkscharakters in allen seinen verschiedenen Richtungen zu erforschen und festzustellen. Durch die Güte des verdienstvollen Professors Danneil zu Salzwedel ist mir die Einsicht der Akten des Vereins gestattet, wofür ich hier öffentlich meinen Dank auszusprechen mich verpflichtet fühle.

Über meine Grundsätze bei der Auswahl der mitgeteilten Sagen kann ich hier nur weniges sagen. Es sind dieselben, die den Landrat von Tettau und mich bei Herausgabe der „Volkssagen Ostpreußens, Litauens und Westpreußens“ (Berlin 1837) geleitet und die wir dort in der Einleitung niedergelegt haben. Ich darf mich im ganzen darauf beziehen. So wie wir dort von der Ansicht ausgingen, nur solche Sagen aufzunehmen, die aus dem Volk hervorgegangen oder sein Eigentum geworden, nicht aber demselben von außen her aufgedrängt und ihm immer fremd geblieben waren, so habe ich auch hier nur eben solche Sagen mitgeteilt, und bei denen, die ich aus Chroniken schöpfte, aus ihrer Quelle und Beschaffenheit sorgfältig erwogen, ob sie für echte Volkspoesie oder aber für fremdartiges Machwerk zu halten seien. Dies hat bei einiger Mühe und Aufmerksamkeit, bei Vergleichung der einzelnen Sage mit dem Gesamtcharakter der übrigen Sagen des Volkes und mit dem Leben und Charakter des letzteren, keine großen Schwierigkeiten. In derselben Weise, wie bei jener Sammlung, habe ich es mir auch hier zur strengsten Pflicht gemacht, die aufgenommenen Sagen nur geradeso wiederzugeben, wie sie im Mund des Volkes leben oder früher gelebt haben, ohne alle eigene Zutat, ohne alle Ausschmückung. Mag auch manche er mitgeteilten Sagen ebensosehr einer Pointe entbehren, als ihr durch eine geringe Nachhilfe eine bessere, eine poetischere Gestaltung und Vollendung zu geben gewesen wäre, ich habe solche Mittel auf das strengste verschmähen zu müssen geglaubt, den Hauptzweck meiner Arbeit festhaltend: nur die Schöpfungen und die Poesie des Volkes zu geben.

Aus demselben Grund habe ich mich denn auch hier ganz der einfachen, prunklosen Darstellungsweise befleißigt, in der jene preußischen Sagen vorgetragen sind, und die mir einer einfachen Volkssage allein angemessen zu sein scheint. Wo die Chronik nicht, was öfter ihr Fehler ist, zu weitläufig wurde, habe ich ihr meistenteils fast wörtlich nacherzählt. Wo ich nicht aus der Chronik schöpfte, und ich also mehr selbstbildend hinsichtlich der Form auftreten mußte, erschien mir die einfachste und kürzeste Erzählungsweise die beste. Ich halte es für keinen geringen Fehler in vielen der neuesten Sammlungen von Volkssagen, daß sie in einem überladenen, sentimentalen, modern-novellenartigen Stil vorgetragen werden. Sie erhalten dadurch das unangenehme Ansehen formloser Gestalten. Sie sind nicht mehr eine Sage des Volks; sie sind noch weniger in den gebildeteren Kreisen als Eigentum einheimisch. Dort stößt sie die Form zurück, hier die Materie, der Inhalt. Sie passen nirgends recht hin.

Bei der Anordnung habe ich zum großen Teil von der in den preußischen Sagen beobachteten Form abweichen müssen. Dort wurde die Ordnung hauptsächlich mit durch die Rücksicht auf die Geschichte des Landes bedingt, so daß eine große Menge von Sagen, als einer bestimmten Geschichtsperiode angehörend und sich auf dieselbe beziehend, zusammengestellt werden mußten, und nur die übrigen nach der verschiedenen Örtlichkeit oder Verwandtschaft ihres Inhalts geordnet werden konnten. Eine solche Rücksicht fällt hier fort, und ich habe es daher vorziehen zu müssen geglaubt, die Sagen hauptsächlich nach der Örtlichkeit, für jede Örtlichkeit sodann aber chronologisch zu ordnen. Hiervon habe ich nur zuweilen eine Ausnahme gemacht, namentlich dann, wenn der verwandte Inhalt mehrerer Sagen ihre unmittelbare Zusammenstellung zweckmäßiger erscheinen ließ.

Wie den preußischen Sagen, so habe ich auch den altmärkischen eine Sammlung von abergläubischen Gebräuchen und Meinungen in der Altmark angehängt. Zur Rechtfertigung kann ich mich gleichfalls auf das darüber in der Einleitung zu den preußischen Sagen Gesagte beziehen. Diese Meinungen und Gebräuche sind so durch und durch Volkspoesie, und mit der Sagenpoesie verwandte Volkspoesie, sie erscheinen mir zudem von so entschiedenem Interesse, daß ich mir einbilde, derjenige, der ohne sie die Sagen eines Volkes liefert, gibt nur etwas Halbes, und läßt wenigstens gerade das Sinnigste und am meisten Charakteristische fort. Soviel über die Altmärkischen Sagen.

Ich habe ihnen einen Anhang von Sagen aus den übrigen Teilen der brandenburgischen Marken und aus dem magdeburgischen beigefügt. Hierzu hat mich folgende Rücksicht bewogen. Die Altmark ist sowohl von den ältesten Zeiten her mit den übrigen Marken, als aus neuerer Zeit mit dem Herzogtum Magdeburg auf das engste verbunden. Dadurch, so wie ferner durch gemeinsame Abstammung eines großen Teils des Bodens und der Gegend, hat sich notwendig in mannigfacher Hinsicht eine Verwandtschaft und Ähnlichkeit in der Lebensweise und dem Charakter der Bewohner der einzelnen genannten Provinzen bilden müssen. Gleichwohl hat jede Provinz ihr Eigentümliches behalten, besonders, wie schon oben erwähnt, die Altmark. Diese Eigentümlichkeiten und Verschiedenheiten, und diese Verwandtschaften und Ähnlichkeiten auch in den Sagen der einzelnen Gegenden wieder aufzusuchen, habe ich nun für nicht bedeutungslos gehalten, und die mitgeteilten Sagen werden in der Tat manche Vergleichungspunkte darbieten.

Ich habe bisher den Apologeten meiner eigenen Arbeit gemacht. Ich verkenne darum aber nicht ihre Fehler. Darunter muß ich zunächst die Form, den Ton der einzelnen Sagen hervorheben. Ich fühle selbst, daß manche anders hätten erzählt werden müssen; aber wie es einem oft geht, daß man Fehler einsieht, ohne sie verbessern zu können, so ging es mir auch hier: ich sah den unrechten Ton ein, aber ich konnte den rechten nicht treffen. Ich muß ferner selbst zugeben, daß einige der mitgeteilten Sagen einem etwas strengen Begriff der Sage, namentlich dem in der Einleitung zu den preußischen Sagen aufgestellten, nicht entsprechen möchten, z. B. die von dem letzten Pfarrer in Krumke, von dem Dorf Buch u. e. a., da sie im Grunde nur Anekdoten sind.

Aber es sind jedenfalls doch Anekdoten, die das Volk aufgenommen, auf seine Weise einmal verarbeitet und volkstümlich gemacht hat, und die es mit seinen übrigen Sagen sich gern erzählt. Ich habe deshalb geglaubt, sie ebenfalls unter diesen wenigstens dulden zu müssen.

Ganz besonders muß ich aber zum Dritten die Unvollständigkeit meiner Arbeit anerkennen. Dieser Fehler ist indes freilich nicht der meinige. Ich habe mir gewiß Mühe genug gegeben, etwas Vollständiges zu liefern; wie es mir nicht gelingen konnte, habe ich oben zu zeigen versucht. Ich habe gleichwohl den gewählten Titel des Werkchens nehmen zu dürfen geglaubt. Denn wenngleich derselbe eine vollständige Mitteilung der altmärkischen Sagen anzudeuten scheint, so darf ich doch auch hinwiederum darauf aufmerksam machen, daß weder einerseits die bekannten Sagen der Altmark (Ausnahmen wird es immerhin geben) mitgeteilt sind, daß aber von der andern noch viele Mühe und Jahre erforderlich sein dürften, bevor es gelingen wird, die noch nicht bekannten aus den schwer zugänglichen Schachten der Volksverschlossenheit, in denen sie verborgenliegen, zutage zu fördern.

Über die Geschichtswerke und Chroniken, aus denen ich geschöpft habe, noch etwas zu sagen, dürfte hier nicht der Ort sein. Ich darf nur noch anführen, daß ich jedesmal, wo ich eine geschriebene Quelle hatte, diese angegeben habe. Diejenigen Sagen, bei denen keine solche Quelle angegeben ist, sind unmittelbar aus dem Mund des Volkes, teils durch mich selbst gesammelt, teils durch Freunde und Bekannte, von denen ich den Pastor Pohlmann schon oben dankbar genannt habe.

Der Herausgeber.

I. Altmärkische Sagen.

1. Das Haus des Kaisers zu Stendal.

Die Stadt Stendal, welche früher die Hauptstadt der Altmark war, ist erbaut von dem Kaiser Heinrich dem Finkler oder Vogelfänger, welcher sie zum Schutz gegen die heidnischen Wenden anlegte. Der Name kommt davon her, daß sie in einem steinigen Tal, Steintal, liegt. Der genannte Kaiser hat sich in der von ihm erbauten Stadt viel aufgehalten, und zum öfteren darin residiert. Seine Wohnung hat er alsdann gehabt in einem Haus, welches noch jetzt gezeigt wird, obgleich es nun ganz anders gebaut ist. Es steht an der Ecke der Jacobi-Kirche, nach dem sogenannten alten Dorf hin, dem ältesten Teil der Stadt. Es ist zum ewigen Wahrzeichen, daß der Kaiser Heinrich darin gewohnt, kenntlich daran, daß oben in seiner Giebelwand nach der Jacobi-Kirche hin ein pechschwarzer Mohrenkopf eingemauert ist.

Sammlung zu einer Chronik von Stendal. I. S. 4. u. mündlich.

2. Erbauung des Doms zu Stendal.

Der Dom zu Stendal gehört zu den schönsten alten Kirchen in der Mark Brandenburg, die reich an herrlichen Baudenkmälern der Vergangenheit ist. Er soll gestiftet sein von dem Grafen Heinrich von Gardelegen, oder, wie andere wollen, dem Grafen Heinrich von Osterburg. Der Stifter, sei es nun einer von diesen beiden Grafen, welcher es wolle, war von seiner frühen Jugend an ein gar arger Sünder gewesen, weshalb ihn zuletzt der Erzbischof von Magdeburg in den Bann getan hatte. Über solches spottete der Graf aber, und er ging in seinem gottlosen Frevelmut so weit, daß er höhnend sagte, er wolle doch einmal sehen, ob es wahr sei, was die Leute sagen, daß selbst die Hunde nichts annehmen von einem, der im Bann sich befinde. Er ließ also seine Hunde alle zusammenkommen und warf ihnen Brot vor. Allein keiner von den Hunden wollte auch nur ein einziges Stücklein aufnehmen. Da ging der Graf in sich, und er erkannte seine vielen und großen Sünden, und stiftete, um sie zu büßenden Dom zu Stendal. Dies war im Jahre 1188. Darauf tat ihn der Erzbischof aus dem Bann.

Ueber die Altmark. I. S. 185. Sammlung zu einer Chronik von Stendal. I. S. 7.

3. Die Rolandssäulen.

In den Städten und selbst in einzelnen Flecken der Mark Brandenburg trifft man häufig große steinerne Säulen eines geharnischten Mannes an. Sie stehen in der Mitte des Ortes, in den Städten auf dem Markte in der Nähe des Rathauses. Sie heißen Rolandssäulen. Die gemeine Meinung des Volkes ist, daß sie den Ritter Roland, den großen Vetter des großen Kaisers Karl, vorstellen, der ein Schirmer und Beschützer der Gerechtigkeit gewesen sei. Die Gelehrten nehmen an, daß das Wort eigentlich Rugelandssäulen, Rüge, Gerichtsstand bedeutend, heißen solle. So viel ist ausgemacht, daß sie das Recht der eigenen Gerichtsbarkeit eines Ortes anzeigen, und zwar, wenn der Roland ein Schwert trägt, das Recht über Leib und Leben, sonst aber nur die niedere Gerichtsbarkeit. In den meisten Orten der Mark sind die Rolandssäulen zertrümmert oder verstümmelt, und an manchen Orten hat man sie alsdann sogar begraben, wie namentlich in Prenzlau und in Gardelegen. An anderen Orten dagegen hat man sie gut erhalten; dies ist z. B. der Fall in Brandenburg, Burg und in Stendal. In der letzteren Stadt steht der Roland vor dem Rathaus, so daß er den ganzen Markt übersieht. Er ist ungeheuer groß, und verhältnismäßig stark; seine Waden sind so dick, wie der Leib des stärksten Mannes in der Stadt. Er hat einen roten Federbusch auf dem Helm, und trägt ein Schwert in der Hand, das zwölf Ellen lang ist und einen vergoldeten Knopf und Bügel hat. Das Schwert hält er drohend gezückt, so wie er überhaupt ein sehr ernstes, beinahe griesgrämiges Gesicht hat. Die linke Hand hat er auf dem märkischen Adler ruhen; hinter ihm befindet sich das Stendaler Stadtwappen, und an dem Unterteil seines Rückens sieht man ein lachendes Narrenbild, oder, wie die Leute sagen, den Eulenspiegel. Zu der Zeit, als der alte Dessauer, damals aber noch ein junger Offizier und ein übermütiger Prinz, zu Stendal in Garnison lag, soll derselbe öfters sich das Vergnügen gemacht haben, aus einem gegenüber liegenden Weinhaus, wo er zu zechen gepflegt, nach dem ernsten alten Ritter, wie nach einer Scheibe, zu schießen, und es ist gewiß, daß dem Roland sein Kinn lange Zeit gefehlt hat. Im Jahre 1837 aber hat ein Verein, der sich in Stendal zur Verschönerung der Stadt und ihrer Umgebungen bildete, das Kinn geschickt wieder herstellen, auch sonstige Gebrechen, welche der Lauf der Zeiten an der Säule hervorgebracht, ausbessern, so wie ihm ein neues Schwert geben lassen, da das alte, von Holz, ganz von der Luft und vom Wetter zerstört war. Der alte ritterliche Vetter des großen Kaisers sieht jetzt wieder ganz frisch und wie neugeboren aus.

Von diesem Roland gehen manche artige Sagen im Munde des Volkes.

Einst kam des Abends spät ein Bürger der Stadt Stendal aus einem Weinhaus zurück, und wollte sich in seine Wohnung verfügen. Sein Weg führte ihn über den Markt. Er hatte des Guten ziemlich viel getan, so daß er zwar nicht betrunken war, aber doch, wie man zu sagen pflegt, einen Spitz hatte. Er war deshalb auch in einer recht fröhlichen Laune, und als er beim Roland angekommen war, stieg ihm auf einmal der Übermut. Er stellte sich vor ihn hin und höhnte ihn und sprach: He, du alter trockener Mann da! Du steinerner Narr! Du tränkst auch wohl gern ein Gläschen Wein auf deinem kalten hohen Gerüst! Also sprach er viel, und dabei machte er Bockssprünge und schnitt dem Roland Gesichter zu, in seiner Weinlaune bei sich denkend: Der Alte ist ja von Stein, der sieht das nicht; und wenn er auch überhaupt sehen könnte, so ist es doch jetzt stockdunkle Nacht.

Der alte Roland hatte die Narrheiten lange mit seinem ernsten, strengen Gesicht angesehen. Aber auf einmal drehte der steinerne Riese sich auf seinem Gerüst rund herum, dem Narren den Rücken zu, als wenn er die Torheiten nun nicht mehr ansehen könne. Da wurde der arme Bürgersmann vor Schreck urplötzlich nüchtern, und es überkam ihn eine solche Angst, daß er nicht von der Stelle weichen konnte. Er rief laut um Hilfe: „He dheit mi wat! he dheit mi wat!“ (Er tut mir was! er tut mir was!), und man mußte ihn fast krank nach Hause tragen. Der Roland stand am anderen Morgen wieder wie früher, sein großes steinernes Gesicht überschaute wieder den Marktplatz, als wenn nichts passiert wäre. Der Mann aber betrank sich in seinem Leben nicht mehr, und es besteht seitdem in Stendal ein Sprichwort, womit man den Übermut des Trunkes warnt

„He dheit mi wat, he dheit mi wat! Is doch, as hätt’ ich dat Drinken satt!“

4. Der verschwundene Tambour.