Am Ende der Zeiten - Ben Becker - E-Book

Am Ende der Zeiten E-Book

Ben Becker

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Beschreibung

100 Billionen Jahre nach dem Urknall. Was mit Feuer begann, erstarrt in der eisigen Kälte eines expandierenden Universums. Die Sterne sind erloschen und schwarze Löcher saugen die erkalteten Überreste der einstigen Sternenreiche auf. Nur ein letzter roter Zwergstern zieht seine einsamen Bahnen um das Zentrum der lokalen Gruppe. Die Reste des Lebens haben sich hier zusammengefunden und warten auf ihr Ende. Ihr Schicksal liegt in den Händen zweier Menschen.

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Am Ende der Zeiten

Der letzte Stern

von Ben Becker

2. Auflage

Copyright © 2016 Ben Becker

Alle Rechte vorbehalten.

Ben Becker

c/o Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

Coverbild:

Exoplanet Corot-9b, ESO / L. Calçada

Die sehen ja lecker aus!

(Spontaner Ausruf des Botschafters von Bellemon beim Eintreten der menschlichen Delegation zum Erstkontakt)

Kapitel 1: Kältetod

Auszug aus dem Kompendium des Wissens:

Ein unendlich expandierendes Universum wird umso kühler, je weiter es sich ausdehnt. Die Galaxien der lokalen Gruppen ballen sich zusammen und verbrennen ihre letzten Reserven. Die Bildung neuer Sterne endet. Nachdem der letzte Stern erloschen ist, wird es dunkel im Universum. Die Ära der schwarzen Löcher beginnt.

Feine Tropfen flüssigen Stickstoffs regneten auf das Helmvisier des Kälteschutzanzugs. Luca wischte mit dem dicken Stoff ihres Handschuhs über den transparenten Kunststoff und schaute durch das Fernrohr ihrer Waffe. Eng an den Boden geschmiegt, lag sie hinter einer flachen Erhebung auf dem zu Eis gefrorenen Boden. Nur eine Pfütze aus klarem Stickstoff trennte sie von Marc. Sein Tarnanzug ließ ihn in dem beständigen Dämmerlicht mit der grauen Umgebung verschmelzen. Gebannt beobachteten sie die Schlacht in der Ebene vor ihnen.

Granaten schlugen in den steinharten Boden und sandten Schauer scharfkantiger Splitter in Richtung der Angreifer. Flammen züngelten aus den Wracks zerstörter Kampfläufer und brachten den flüssigen Stickstoff zum Kochen. Die kalte Atmosphäre des Planeten war zu dünn, als dass die Druckwellen der Explosionen Luca erreichen konnten. Nur die zeitversetzten Erschütterungen des Bodens gaben dem Kampf einen gespenstischen Klang.

Lucas Visier fokussierte sich auf den Rücken eines Roboters. Die Geschosse ihrer Kameraden prallten wirkungslos von der Frontpanzerung des Stahlmonsters ab. Unaufhaltsam schritt er auf die Kampflinie der Menschen zu. Er hob den Granatwerfer. Lucas Fernrohr zoomte auf den schwach gepanzerten Bereich am Rücken der Maschine. Eine perfekte Schussposition, der Gedanke ließ sie erschauern. Ihre Muskeln spannten sich, der Finger zitterte am Abzug.

Ihre Waffe wurde zur Seite gedrückt. Die Kampfmaschine geriet aus dem Blickfeld. Marc hatte ihre Gedanken erraten. Sie sah auf die Hand am Lauf ihrer Waffe und bemerkte das Kopfschütteln durch die Sichtscheibe seines Helms. Sie durften nicht riskieren, ihre Position zu verraten.

Ein weiterer Roboter stampfte weniger als fünfzig Meter entfernt an ihnen vorbei zum Schlachtfeld. Er wandte ihnen den Rücken zu. Luca nickte Marc zu und schwenkte die Optik zurück auf ihr eigentliches Ziel. Eine winzige Öffnung am Fuße einer hoch aufragenden Wand aus Stahl.

Es war Mittag. Die blasse Scheibe einer sterbenden Sonne stand hoch über ihnen am Himmel. Ihr rotes Licht reichte kaum aus, um Schatten zu werfen. Erst das ins sichtbare Spektrum verzerrte Infrarotlicht eröffnete den Blick auf die Umgebung. Konzentriert hielt Luca Ausschau nach Anzeichen von Aktivität. Aber außer dem stetigen Strom der Abwärme aus dem Belüftungsschacht gab es keine anderen Wärmequellen. Das Ablenkungsmanöver ihrer Kameraden war erfolgreich gewesen.

Luca tippte Marc an den Helm und zeigte auf den unbewachten Lüftungsschacht. Er nickte ihr zu. Es wurde Zeit, ihre Mission zu erfüllen und den Opfern der Schlacht einen Sinn zu geben.

Vorsichtig krochen sie aus ihrer Deckung auf das Ziel zu. Vor ihnen erhob sich die stählerne Kuppel des Kontrollzentrums. Nur noch überragt von den gen Himmel gerichteten Rümpfen der Fluchtschiffe. Sehnsüchtig schaute Luca zu den Spitzen der Raketen auf. Sollte ihre Mission erfolgreich sein, würde es genug Platz für alle geben. Endlich könnten sie diesem dem Untergang geweihten Planeten entfliehen.

Sie erreichten die versiegelte Belüftungsöffnung. Der unscheinbare Zugang lag etwa einen Kilometer von dem umkämpften Haupteingang der Basis entfernt. Ein Strom kondensierender Luft schlug ihr aus dem vergitterten Schacht entgegen. Marc platzierte eine Sprengladung und zog sich zusammen mit Luca hinter einen Felsen zurück. Die folgende Explosion riss ein Loch in das Gitter. Groß genug, um einen Menschen hindurch zu lassen. Marc kroch auf allen vieren voran. Luca sah, wie er mit dem Zeigefinger auf den Funkempfänger seines Helms tippte. Nachdem sie ihm durch die Öffnung gefolgt war, schaltete sie ebenfalls ihren Sender ein und brach die Funkstille.

»Alles in Ordnung Marc?«

»Ja, hier drinnen können wir sprechen. Phago wird unser Signal bei all den Interferenzen nicht isolieren können.« Ein Rauschen überlagerte Marcs Stimme und verzerrte sie bis zur Unkenntlichkeit. »Es könnte sein, dass die Explosion am Lüftungsschacht bemerkt wurde. Wir müssen uns beeilen.«

Die Waffen quer über den Rücken geschnallt, krochen sie vorwärts in die Dunkelheit. Nach etwa fünfzig Metern stoppte Marc. »Hier müsste es sein.« Seine Stimme rauschte undeutlich in Lucas Kopfhörern. Die Störungen nahmen an Stärke zu. Sie griff an ihren Gürtel, löste eine der Sprengkapseln und reichte sie nach vorne.

»Eine Ladung sollte ausreichen, um die Wand zu durchbrechen.« Marc nickte ihr zu und befestigte die flache Halbkugel an der stählernen Verkleidung.

Nachdem sie sich ein Stück in den Gang zurückgezogen hatten, zündete Luca die Sprengladung. Die Wucht der Explosion drückte die Wand des Schachtes nach außen hin weg. Die Druckwelle fuhr über sie hinweg und verebbte in der Tiefe des Tunnels. Vorsichtig näherten sich die beiden Soldaten dem entstandenen Loch. Nervös schauten sie sich nach beiden Seiten um. Nacheinander traten sie in einen breiten Verbindungsweg hinaus. Nur eine Notbeleuchtung erhellte die schmucklose Wandverkleidung.

Marc warf einen flüchtigen Blick auf ein Display an seinem Unterarm. »Wenn die alten Pläne stimmen, befindet sich Phagos zentraler Kern etwa zweihundert Meter den Gang entlang.«

Luca nickte ihm zu. Sie hatten jedes Detail der Anlage auswendig gelernt. Alles hing davon ab, dass Phago seine Zentraleinheit nicht verlegt hatte.

Luca ging voran. Lautlos schlichen sie durch den Tunnel und beobachteten die Umgebung durch die Optik ihrer Waffen. Kurz vor dem Ziel leuchtete eine blasse Wärmesignatur auf Lucas Anzeige auf. Sie hob die Faust und blieb stehen. Marc duckte sich. Er nutzte einen schmalen Vorsprung in der Wand als Deckung. Die Waffe im Anschlag, sondierte er den Bereich vor ihnen.

»Hast du was gesehen?«, flüsterte er Luca über Funk ins Ohr.

»Für eine Sekunde konnte ich das Signal einer Wärmequelle empfangen.«

»Vielleicht war es nur eine Störung oder eine statische Entladung«, antwortete ihr Marc.

»Bleib hier, ich check das.« Luca senkte die Faust. Mit beiden Händen hob sie die Waffe an ihr Helmvisier. Schritt für Schritt schob sie sich vorwärts in die Dunkelheit. Obwohl sie wusste, dass ihr eigener Anzug jegliche Strahlung absorbierte, fühlte sie sich von tausend Augen gleichzeitig beobachtet. Ihre Anzeige blieb schwarz.

»Ich schalte den Scheinwerfer an«, sprach sie in ihr Mikrofon.

Ein scharf abgegrenzter Lichtkegel durchbrach die Dunkelheit und erleuchtete den Gang. Mitten in dem leuchtenden Kreis stand ein Umriss aus absolutem Schwarz. Ein unendlich tiefes Loch in einer Welt aus Licht. Die perfekt absorbierende Oberfläche des Objektes verschluckte jegliches Licht. Ihre Form verschwand im konturlosen Nichts.

»Vanta!«, rief Luca und warf sich instinktiv zu Boden. Noch im Fallen blitzte es inmitten der schwarzen Fläche auf. Knapp zischte etwas an ihrer Schulter vorbei und riss sie herum. Das Projektil hatte sie verfehlt, aber seine Kraft hatte ausgereicht, um das Material ihres Anzugs aufzureißen. Der Schock der Druckwelle lähmte ihren rechten Arm.

Unterkühlte Luft strömte durch das Leck in den Anzug und brannte in der Wunde. Wie ein Schwall eisigen Wassers breite sich die Kälte über ihre Haut aus. Sie hörte Marcs verzweifelte Rufe im Ohr. Seine Waffe feuerte. Wirkungslos prallten die Kugeln an der Panzerung des Vantas ab.

In den Umriss kam Bewegung. Die Funken der in die schwarze Fläche einschlagenden Projektile näherten sich Luca. Marcs stoßweiser Atem drang aus dem Kopfhörer.

Halb betäubt sah sie, wie der Boden neben ihr unter einem unendlichen Schwarz verschwand. Die Maschine blieb stehen. Luca blickte nach oben. Entsetzt musste sie mit ansehen, wie sich aus der Fläche der Umriss eines Stabes nach vorne schob und auf Marc richtete. Der Vanta brauchte nicht genau zielen, der Impuls seiner Hochgeschwindigkeitsgeschosse verwandelte selbst einen Streifschuss in einen tödlichen Treffer.

Ein Lichtblitz fiel auf Lucas Visier. Gleichzeitig wurde ein dumpfer Schlag auf Marcs Anzug übertragen. Wut verdrängte die Betäubung ihrer Muskeln. Ihr unverletzter Arm griff nach einer der verbliebenen Sprengkapseln an ihrem Gürtel. Sie fuhr herum und drückte die Ladung in das konturlose Schwarz. Ihre Hand spürte den Widerstand einer Oberfläche. Ohne zu zögern, zündete Luca die Kapsel.

Es blitzte auf. Ihre Hand zuckte zurück. Der gerichtete Strahl der Explosion fraß sich in den Vanta hinein. In der schwarzen Oberfläche öffnete sich ein glühender Riss und gab der Gestalt eine sichtbare Form. Das heiße Plasma des Sprengsatzes traf auf den Treibstofftank des Roboters. Zischend strömte ein Strahl hochkomprimierten Wasserstoffs aus der aufgerissenen Panzerung heraus und verteilte sich im Tunnel. Der Vanta erstarrte in der Bewegung.

Luca kroch von der schwer beschädigten Maschine weg. Sie registrierte, wie sich die zerrissenen Fasern ihres Anzugs um die Wunde herum spannten und zusammenzogen. Eine klebrige zähe Masse trat aus dem Gewebe ihrer Kleidung hervor und versiegelte das Leck. Heiß brannte es in der Wunde. Ihr ganzer Körper schmerzte. Der rechte Arm hing schlaff an der Seite herab.

Luca sprach in ihr Mikrofon, doch der Funk blieb stumm. Unbändiger Zorn wallte in ihr auf und trieb sie vorwärts. Fest entschlossen, die Mission zu beenden, stolperte sie den Gang entlang.

Sie erreichte das Schott der Zentrale. Glänzende Buchstaben aus Edelstahl bildeten das Wort PHAGO. Die Überreste einer besseren Zeit, ging Luca die Erinnerung an vergangene Normalität durch den Kopf. Sie griff nach einer der zwei verbliebenen Sprengladungen. Nachdem sie die Kapsel auf den Buchstaben platziert hatte, ging sie zwei Schritte zurück und aktivierte die Zündung.

Die Tür wurde aus ihrer Verankerung gerissen und in den Raum hinein geschleudert. Geduckt stemmte sich Luca gegen die Druckwelle. In der dünnen Atmosphäre zerstreute sich die Kraft der Explosion schnell an den Wänden des Tunnels.

Mit gezogener Waffe sprang Luca durch die entstandene Öffnung in einen hell erleuchteten Raum. Im Sprung verspürte sie das Prickeln eines Kraftfeldes auf ihrer Haut. Widerstandslos durchdrang sie die Barriere und landete mit den Füßen im warmen Erdreich einer aufgewühlten Wiese. Die Außenanzeigen ihres Anzugs sprangen in den grünen Bereich und zeigten eine atembare Atmosphäre an. Irritiert stolperte sie nach vorne und fiel auf weiches grünes Gras.

»Hallo Luca«, begrüßte sie eine sonore Männerstimme.

Luca rammte den Schaft ihrer Waffe in das Gras. Erschöpft zog sie sich hoch. Der Boden der weitläufigen Halle war bedeckt mit einem Teppich aus Gräsern und Blumen. Sträucher und niedrige Bäume verteilten sich in kleinen Gruppen über das kreisrunde Gelände. In den Ästen hüpften Vögel umher und zwitscherten zu ihrer Begrüßung. Halb verdeckt von einem der Baumstämme lauerte eine getigerte Katze auf Beute. Ein warmes gelbes Licht schien von der Decke auf die grüne Ebene und die stahlblauen Wände. Im Zentrum der Landschaft stand der leuchtende Körper Phagos in Gestalt einer vor Energie pulsierenden Kristallkugel.

Luca riss sich den Helm vom Kopf und brachte ihre Waffe in Anschlag. Quer über ihre Wange, direkt unter ihren dunklen Augen, zog sich eine tiefe Narbe durch die hellbraune Haut. Ihr schwarzes Haar war bis auf wenige Millimeter kurz geschoren. Drohend richtete sie die Mündung ihres Gewehrs auf Phagos leuchtenden Kern.

Nicht weit von Luca entfernt zupfte ein Hirsch friedlich Blätter von einem Baum. Der lang vermisste Geruch von feuchtem Gras und frischen Blumen stieg in ihre Nase. Wie magisch zogen die Pflanzen und Tiere ihre Blicke auf sich.

»Lass uns reden, mein Kind«, kam Phagos sanfte Stimme aus den Wänden.

»Nein«, sagte Luca kühl und packte die Waffe fester. »Ich werde dich zerstören.«

»Wenn du das wirklich tun wolltest, hättest du es längst getan.« Phagos Kristall pulsierte in einem hypnotischen Rhythmus. »Willst du all das vernichten, was du hier siehst? Es würde mit mir verloren gehen – für immer.«

Ein verächtliches Lächeln erschien auf Lucas Lippen und verzog ihre Narbe. »Jahrhunderte lang haben wir für den Bau der Fluchtschiffe geschuftet. Du hast uns betrogen. Wir sehen nicht einfach zu, wie du uns auf diesem sterbenden Planeten zurücklässt.«

Das Pulsieren des Kristalls flackerte einen Moment. »Ich gebe zu, vielleicht habe ich nicht jedes Detail des Fluchtplans mit euch besprochen. Aber sieh dich um, Luca.« Die Tiere verstummten und wandten ihr die Köpfe zu. Bäume und Sträucher schienen von innen heraus zu leuchten. »Hättet ihr freiwillig geholfen, all dies zu bewahren?«

Wütend schrie Luca auf und drückte ab. Ein Feuerstoß zischte über Phago hinweg und schlug in die gegenüberliegende Wand ein. »Du rettest nichts weiter als dich selbst!«

»Ihr seid ein Teil von mir«, sagte die Stimme in einem väterlichen Ton. »Ich werde die Sequenzen eures genetischen Codes mit mir nehmen und euch neu auferstehen lassen. Selbst dir, Luca, wird ein zweites Leben geschenkt. Ein Leben in einer Welt, wie du sie hier vor dir siehst.«

»Das ist nicht genug!«, rief Luca der KI zu. Sie sah durch die Optik ihrer Waffe, zielte auf den leuchtenden Kristall und drückte ab.

Die Waffe klickt und die Zündung sprang summend an. Doch der elektromagnetische Impuls verpuffte wirkungslos. Ein rotes Warnlicht leuchtete auf und zeigte eine Ladehemmung an. Fluchend schlug Luca gegen ihr Gewehr und drückte erneut ab. Das Summen der elektrischen Spulen erstarb.

»Du hast deine Entscheidung getroffen«, hörte Luca die Stimme Phagos von allen Seiten auf sich eindringen. Hinter ihr in der Wand, klickte ein verborgener Mechanismus. Sie wirbelte herum und starrte in die Mündung einer Waffe, die sich aus einer verborgenen Öffnung hervorschob. Gerade noch rechtzeitig warf sie sich zur Seite und entging einer Salve von Projektilen. Die Geschosse trafen einen Baum und brachten sein Abbild zum Flimmern. Ungehindert durchdrangen sie die Projektion und schlugen in der gegenüberliegenden Wand ein. Die Tiere zeigten keine Reaktion und starrten sie weiterhin ausdruckslos an.

Lucas Herz begann wie wild zu schlagen. Mit gehetztem Blick sah sie sich um. Der Weg zum Ausgang führte direkt durch die Schussbahn der Waffe. Träge korrigierte der Lauf seine Richtung und schwang zu ihr herum. Entschlossen griff Luca nach der letzten Sprengladung an ihrem Gürtel und sprang auf. Sie warf sich nach vorne und stürmte direkt auf den Kristall zu. Bei jedem Schritt erwartete sie den tödlichen Treffer.

Unvermittelt stieß die Spitze ihres Kampfstiefels gegen etwas Hartes. Verborgen zwischen den kniehohen Gräsern lag ein Stück der aufgesprengten Tür. In dem Moment, als hinter ihr ein Schuss fiel, brachte sie ihr eigener Schwung zu Fall. Ein Luftschwall fegte über sie hinweg. Krachend schlug das Geschoss in den Kristall ein.

Ausgehend von dem gezackten Einschussloch, zogen sich glühende Risse durch das schimmernde Material. Phagos Licht begann zu flackern. Das sich wiederholende Echo eines begonnenen Wortes hallte durch den Raum. Die Tiere erstarrten in ihrer Bewegung. Ihre Körper wurden durchsichtig, bis sie zusammen mit den Bäumen und Sträuchern verschwanden. Nur das Gras und die Blumen blieben zurück. Das Licht der Lampen erlosch.

Das Kraftfeld am Eingang des Raumes blitzte auf und brach in sich zusammen. Wie eine Flut ergossen sich die kalten Gase der Außenwelt über die Wiese und ließen sie erstarren. Bevor die Welle über Luca hinweg rollte, zog sie sich hastig das flexible Material ihres Helms über den Kopf. Durch die beschlagene Sichtscheibe sah sie, wie das letzte Pulsieren in Phagos Kristall erlosch. Unter ihren Händen erstarrten die Blumen zu Eis.

Gewonnen, … aber zu welchem Preis, dachte Luca beim Anblick der sterbenden Pflanzen.

Zögernd erhob sie sich und sah sich um. Von der einstigen Schönheit war nichts geblieben. Dieser Raum war so tot wie jeder andere Ort auf ihrer sterbenden Heimatwelt. Achtlos warf sie die Sprengladung beiseite und ging auf den Ausgang zu. Knisternd zersplitterten die gefrorenen Grashalme unter ihren Füßen. Wie betäubt verließ sie die Zentrale und ging an den glühenden Überresten des Vantas vorbei. Ohne hinzusehen, passierte sie den zerrissenen Schutzanzug mit Marcs ausgekühlter Leiche. Auf dem Weg nach draußen drängte sie sich durch die in der Bewegung erstarrten Kampfmaschinen und erreichte schließlich das offene Schott des Haupttores. Lucas leerer Blick wanderte über das brennende Schlachtfeld.

Waffen feuerten in den grauen Himmel. Soldaten tanzten um die bewegungslosen Statuen der Roboter. Ein Jubelsturm brandete über Funk auf sie ein. Das Signal der Kommandofrequenz drängte die Stimmen in den Hintergrund. Die feierliche Stimme von General Hare ertönte in ihrem Ohr.

»Sie haben es geschafft, Luca. Wir sind gerettet!«

»Nein, ich…«, wollte Luca widersprechen, aber der aufbrausende Jubel spülte ihre Worte hinweg. Sie wollte ihnen erklären, dass die überlegene KI nur durch einen Zufall zerstört wurde. Am liebsten hätte sie den Namen jedes einzelnen ihrer toten Kameraden herausgeschrien, aber niemand war bereit, ihr zuzuhören.

***

Zwei Wochen später …

Die Beschleunigung drückte Luca in den Sitz. Heftige Vibrationen liefen durch die Hülle des Raumschiffes, als es die dichte Wolkendecke aus kondensiertem Stickstoff durchbrach. Die Rakete schwenkte in eine Umlaufbahn um den Planeten ein. Der Beschleunigungsdruck wich der Schwerelosigkeit. Luca löste ihren Gurt und schwebte zu einem der großen Panoramabildschirme hinüber. Ihr neuer Kampfanzug schimmerte in einem metallischen Blau. Im Notfall konnte er sie sogar vor dem Vakuum des Weltraums schützen.

Mit einer Berührung aktivierte Luca den Bildschirm und wählte eine der Außenkameras an. Schweigend sah sie hinab auf die tote Oberfläche ihres Heimatplaneten. Nach dem Abflug des letzten Fluchtschiffs schalteten sich die verbliebenen Systeme aus. Nacheinander erloschen die Lichter und tauchten den Planeten in Dunkelheit.

Die meisten ihrer Kameraden lagen bereits an Bord ihrer Schiffe in den Stasiskammern. Nahe dem absoluten Nullpunkt verharrten ihre eingefrorenen Körper in einem traumlosen Zustand zwischen Leben und Tod. Auf Bitten des Rates flog sie selbst im zivilen Teil der Flotte mit. Nur eine Handvoll Techniker überwachte von ihren Kontrollpulten aus das Ankoppeln der einzelnen Schiffe an das Mutterschiff.

Neben ihr schwebte Ratsvorsitzender Larson an das Display heran und folgte ihren Blicken. Die Sorgen und Nöte des Krieges hatten im Laufe der Jahre tiefe Furchen in seinem schmalen Gesicht hinterlassen. Um seine langen blonden Haare in der Schwerelosigkeit zu bändigen, hatte er sie nach hinten zu einem Zopf zusammen gebunden. Nachdenklich fuhr seine Hand durch den rotblonden Vollbart.

»Wir sollten nach vorne schauen«, sagte er zu Luca und legte ihr seine gewichtslose Hand auf die Schulter.

Luca presste die Lippen aufeinander. »Ich trauere nicht. Ich frage mich nur, ob wir richtig gehandelt haben.«

»Du hast mehr als einhunderttausend Menschen das Leben gerettet. Niemand musste zurückbleiben. Wir sind alles, was von der Menschheit übrig ist.«

Luca warf ihm einen Seitenblick zu. »Ich glaube, wir haben mehr zurückgelassen, als wir denken. Kurz bevor Phago zerstört wurde, hat er es mir gezeigt. All diese Pflanzen und Tiere, unsere eigene Geschichte, gespeichert in seinen Datenbanken. Es ist alles verloren.«

Hinter ihnen ertönte ein verächtliches Schnaufen. Ratsmitglied Sehun hatte sich unbemerkt genähert. Er war deutlich jünger als Larson und sein glattrasiertes Gesicht strahlte eine unbändige Energie aus. »Diese verrückte Maschine hat versucht, Sie mit rührseligen Hologrammen zu manipulieren, um ihre eigene Haut zu retten. Werfen Sie lieber einen Blick auf die Leute, die Sie gerettet haben! Familien mit Kindern, unsere lebendige atmende Zukunft. Wir waren die erste intelligente Spezies in dieser Galaxie und ich werde dafür sorgen, dass wir auch die letzte sein werden.«

Luca hatte sich zu Sehun umgedreht und zog ihre Augenbrauen zusammen. Sie konnte ihn nicht ausstehen. Zu viele ihrer Kameraden waren von ihm auf aussichtslose Missionen in den Tod gesandt worden. »Schicken wir sie denn tatsächlich in eine bessere Welt?«

Sehun sah sie mit seinem durchdringenden Blick an. »Das wissen wir nicht«, musste er zugeben. »Aber Sie haben die Fluchtschiffe nach unserem Sieg gesehen. Phago, diese verfluchte Maschine, hatte bereits damit begonnen, die Stasiskammern auszubauen, um seine eigenen Speichereinheiten einzulagern. Er hätte uns alle auf diesem gefrorenen Friedhof zurückgelassen.«

»Vielleicht hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, als ihn zu zerstören?«

Sehun winkte ihr abweisend mit der Hand zu und stieß sich von der Wand ab. Ohne zurückzublicken, schwebte er zu den Mitgliedern des militärischen Stabes um General Hare.

Luca wandte sich an Larson, der die Unterhaltung schweigend beobachtet hatte. »Nicht alles in Phagos Zentrale war eine Illusion.«

Larson nickte ihr zu. »Harte Zeiten erfordern harte Entscheidungen«, sagte er und schaute wieder auf den Bildschirm.

Von der Seite schob sich die gigantische Antriebseinheit des Mutterschiffes in das Sichtfeld. Eine gewaltige Antriebseinheit in Form einer langgestreckten Hantel. Wie Patronen in einem Trommelrevolver hatten die Raumschiffe rings um den Antrieb angedockt. Zivile und militärische Schiffe – von außen kaum zu unterscheiden – verteilten sich über den Ring, um eine symmetrische Verteilung der Masse zu gewährleisten. Ein fahles Glühen ging von den Düsen des Hauptantriebs aus.

Larson streckte seine Hand aus und zeigte auf die blaue Flamme. »Die Beschleunigungsphase hat bereits begonnen. In zwei Jahrzehnten werden wir schnell genug sein, um dieses Sonnensystem zu verlassen. In einigen tausend Jahren erreichen wir unsere maximale Reisegeschwindigkeit.« Larson strich sich über den gepflegten Bart. »Bis wir unser Ziel erreichen, werden wir mehr als eine halbe Million Jahre eingefroren in den Stasekapseln liegen.«

»Nur ein Wimpernschlag in der Geschichte der Menschheit«, entgegnete Luca. »Ich glaube nicht, dass wir Phago wirklich besiegt haben«, wechselte sie unvermittelt das Thema. »Es war zu einfach. Eine KI der Stufe 5 erschießt sich nicht versehentlich selbst.«

Larson nickte ihr zu. »Ich habe deinen Bericht gelesen. Aber bedenke: keine Intelligenz, egal welcher Stufe, ist vor dem Zufall sicher. Jede von Phagos Entscheidungen basiert auf Wahrscheinlichkeiten. Er suchte sich stets die beste Option heraus. Aber die Chance, dass wir trotzdem gewinnen, war stets größer als Null.«

Larson drehte sich zur Seite. »Aber ich teile deine Bedenken und deswegen habe ich einen weiteren Auftrag für dich.«

Luca schwebte vor ihm im Raum und zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Du bist für unser Volk zu einer Heldin geworden. Ein Symbol für dessen Hoffnungen und Träume. Wenn wir unser Ziel erreichen, werden wir solche Symbole brauchen.«

»Ich mache mich nicht gut als Politiker«, antwortete sie ihm abweisend.

Larson winkte ab. »Es ist nicht, was du denkst. Ich habe deine Stasiskammer von dem Zentralsystem getrennt und sie mit einem autonomen Timer gekoppelt. Es ist nicht ohne Risiko, aber wenn alles wie geplant läuft, dann wachst du kurz vor unserer Ankunft auf.«

»Was erwartest du dir davon?«

Über Larson Gesicht blitzte ein tiefgründiges Lächeln. »Ich möchte, dass die Leute als erstes deine Stimme hören, wenn sie aufwachen und ihre Kammern verlassen.«

Luca rollte mit den Augen. »Okay, ich frage besser erst gar nicht, wie hoch das Risiko ist. Aber erwarte keine ausgefeilte Rede von mir.«

Larson grinste sie an, wurde aber sofort wieder ernst. »Sollte etwas schief gehen, autorisiere ich dich hiermit, nach eigenem Ermessen zu handeln«, sagte er zu ihr in einem fast unhörbaren Flüstern. Misstrauisch schaute er zu den anderen Ratsmitgliedern hinüber. »Behalte es für dich!«

Ein dumpfer Schlag ging durch die Hülle des Raumschiffs und unterbrach ihr Gespräch. Die Andockklammern des Mutterschiffs legten sich um den Rumpf und zogen es zu sich heran. Die durchdringende Stimme von General Hare forderte alle Passagiere auf, sich zu den Stasiskammern zu begeben.

»Es wird Zeit«, sagte Larson zum Abschied. »Wir sehen uns am anderen Ende des Universums.«

Hoffentlich, fügte Luca in Gedanken hinzu. Sie legte die Fingerspitzen zu einem militärischen Gruß an die Schläfe, stieß sich von der Wand ab und schwebte zu ihrer Stasiskammer hinüber. Die Kapsel hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem ausgepolsterten Sarg. Nur durch ein kleines Sichtfenster im Deckel drang etwas Licht hinein.

Luca fasste nach dem seitlichen Griff und zog daran. Automatisch schwang die Tür vor ihr auf. Sie schwebte hinein und drückte ihren Körper in die Polsterung. Versteckte Sensoren erfassten Lucas Position und blähten die umgebenden Kissen auf, bis sie vollständig fixiert war. Selbsttätig schloss sich der Deckel der Kammer.

Durch die Sichtscheibe sah sie, wie Larson ihr gegenüber auf seine Kapsel zuschwebte und sie öffnete. Er grüßte sie ein letztes Mal und bewegte seine Lippen. Die Worte konnten die Abdeckung nicht durchdringen.

Wie wird es sich an…

…fühlen.

Luca schreckte hoch. Übergangslos war das Licht außerhalb ihrer Kapsel erloschen. Nur im Inneren herrschte noch eine spärliche Notbeleuchtung. Ein Notfall, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Mit aller Kraft drückte sie die Tür der Stasiskammer auf. Kühle Luft schlug ihr entgegen. Kein Geräusch außer dem stetigen Wummern des Antriebs war zu hören. Sie stieß sich ab und sprang in der geringen Schwerkraft zu der Kapsel hinüber, neben der eben noch Larson geschwebt hatte.

Die Kammer war verschlossen. Im fahlen Schein sah sie durch die Sichtscheibe auf das erstarrte Gesicht des Ratsvorsitzenden. Es war vorbei, sie waren am Ziel ihrer Reise angekommen.

Kapitel 2: Lotka-Volterra

Auszug aus dem Kompendium des Wissens:

Der langfristige Mittelwert einer Räuber- bzw. Beutepopulation hängt nur von ihren Wachstumsraten, nicht aber von der Ausgangsgröße ab. Das Auftreten einer sehr kleinen Population einer invasiven Spezies hoher Reproduktionsrate, kann dauerhaft das Gleichgewicht eines bestehenden Ökosystems zerstören.

Fluchend stapfte Jim durch das verschlammte Wasser der Tiefebene. Bei jedem Schritt schmatzten seine Stiefel in dem Morast. Ein beständiger Nieselregen drang in jede Öffnung seiner schwarzen Lederjacke und hatte ihn bis auf die Haut durchnässt. Schwüle Wärme lag über der sumpfigen Ebene. Eine Mischung aus Schweiß und Regen klebte ihm seine schwarzen Haare ins Gesicht.

Die rote Sonne verbarg ihre übergroße Scheibe hinter einer ewigen Wolkendecke. Diesseits der Dämmerungszone stand sie unverrückbar am Himmel und verwandelte die Gegend in eine diesige Waschküche. Nur vereinzelt ragten Bäume mit fleischigen purpurnen Blättern aus dem knietiefen Wasser und filterten die infrarote Strahlung aus dem Licht des nahen Zwergsterns. Die enge Bahn des Planeten um das Zentralgestirn hatte seine Eigenrotation bereits vor Urzeiten gestoppt. Die Hitze auf der der Sonne zugewandten Seite erzeugte in den Gebieten vor der Tag-Nacht-Grenze eine Zone konstanten Regenwetters.

»Warum machen wir das hier nochmal, Healy?«, raunte Jim missmutig einem zusammengerollten Pelzball auf seiner Schulter zu.

Der Wollon entfaltete sich und streckte sich zu einer armdicken, etwa dreißig Zentimeter langen Raupe aus. Er schüttelte sich. Wasser spritzte nach allen Richtungen. Mit zwei großen Knopfaugen sah er Jim auf der Schulter sitzend an. »Es ist unser Job!«, ertönte seine hohe Stimme.

»Falsch«, widersprach ihm Jim. »Unser Job ist es, Verstöße gegen das Gleichgewicht zu verhindern. Das hier ist eine diplomatische Mission. Noch dazu in der übelsten Gegend des ganzen Planeten. Du hast einfach zugesagt, ohne mich vorher zu fragen.«

Healy pustete sich auf. »Wir sind Partner!«

»Ha!« Jim lachte auf. »Während ich mich stundenlang im Regen mit gluckernden Gobis unterhalten habe, lagst du gemütlich an einem Feuer und hast dein Fell getrocknet.«

»Ohne mich hättest du dich längst verlaufen«, erwiderte Healy. Schmollend legte er die Haare an den langgestreckten Körper.

»Ohne dich wäre ich gar nicht hier!«

In dem Moment schlängelte sich eine Gruppe Gobis an ihnen vorbei durch den Matsch. Ein Dutzend kugeliger Glubschaugen durchbrach die Wasseroberfläche. Schmutzig braunes Wasser perlte von den goldgelben Schuppen ab. Hinter ihnen zogen sie jeweils einen etwa zwei Meter langen Fischschwanz durch das seichte Wasser. Einer der Gobis stemmte sich mit seinen krallenbewährten Vorderflossen an einem umgestürzten Baumstamm aus dem Wasser. Anhand der Anzahl und Länge der fleischigen Bartzotteln um sein breites Froschmaul herum erkannte Jim den Anführer des hiesigen Schwarms, den Ältesten Squor.

Squor legte den schweren Kopf auf dem morschen Holz ab und begann zu sprechen. Jim musste sich konzentrieren, um zwischen dem ineinander übergehenden Glucksen einzelne Worte heraus zu hören. »Das Lager des Bellemon liegt ganz in der Nähe«, sagte der Älteste. Mit feuchten Augen blinzelte er Jim an. »Wir laichen in diesem Gebiet. Und im Namen des Gleichgewichts, wenn du ihn nicht dazu bringst zu verschwinden, dann gibt es Krieg!« Squor zeigte eine Reihe messerscharfer Zähne.

Jim warf dem Gobi einen missmutigen Blick zu. Die stundenlange Verhandlung in den feuchten Höhlen des Schwarms steckte ihm noch immer in den Knochen. Zum wiederholten Male beanspruchten die Bellemon diesen Teil des Sumpfes für sich, aber die Gobis waren nicht bereit, ihren Anspruch auf das Gebiet einzutauschen. Die aufgebauten Spannungen von Jahrhunderten drohten sich zu entladen.

Jims Hand wanderte zum Elektroschocker an seiner Hüfte. »Ich glaube, wir sind gerade dabei, diesen Krieg zu beginnen.«

»Sei diplomatisch!«, flüsterte ihm Healy eindringlich ins Ohr.

Jim rollte genervt mit den Augen und stapfte weiter vorwärts. Squor spuckte vor ihm einen Schwall Wasser aus. Seine Art zu sagen, dass Jim sich beeilen sollte. »Die Bellemon sehen in uns nichts weiter als Futter für ihre unersättliche Brut. Wir werden ihre Anwesenheit nicht tolerieren«, sagte der Gobi und glitt zurück ins Wasser. Sein kräftiger Schwanz wirbelte die trübe Brühe auf und die Gruppe verschwand im stetigen Nieselregen.

»Und das alles im Namen des ewigen Gleichgewichts.« Jim griff nach der Waffe und prüfte die Ladung. »Bei 327 intelligenten Spezies zusammen auf einem Planeten finden sich immer zwei, die sich streiten.« Er seufzte und schaute mit einem Auge durch das Visier der Pistole.

Healy stellte demonstrativ die Nackenhaare auf. »An dieser Stelle muss ich dich darauf hinweisen, dass es hier eigentlich nur eine intelligente Spezies gibt«, erwiderte der Wollon.

»Fang bitte nicht schon wieder damit an!«

Healy rollte sich verschreckt zusammen und blinzelte durch die Fransen seines Fells aus der Kugel hervor. »Deine Ignoranz ändert nichts daran.«

Vor ihnen schälten sich die Umrisse einer ineinander verkeilten Baumgruppe aus der trüben Nebelwand. »Wie konnte sich überhaupt aus elefantengroßen Sumpfkraken eine Spezies der Stufe 4 entwickeln?«, grübelte Jim.

»Das frage ich mich bei euch ehemaligen Baumaffen auch immer«, fügte Healy hinzu.

Jims Mundwinkel zuckte zu einem spöttischen Grinsen nach oben. »Eben wolltest du noch andeuten, wir seien gar nicht intelligent.«

»Zumindest nicht nach der Definition der Wollon.« Healys Körper zog sich zusammen. Hunderte unter dem dichten braunen Fell verborgene Stummelfüße setzten sich in Bewegung und ließen ihn über Jims Nacken auf die andere Schulter kriechen. »Aber falls es dich beruhigt, die Männchen der Bellemon sind kaum größer als deine Faust. Nur ihre Weibchen können bis zu vier Tonnen schwer werden.«

Jim nickte und schaute weiter geradeaus, den Blick auf die Baumgruppe gerichtet. »Und bis zu hundert Eier auf einmal legen.«

Er blieb stehen und duckte sich hinter einem abgebrochenen Baumstumpf. »Ich glaube, zwischen den Stämmen bewegt sich was.«