Am Ende des Spiels - Suza Hensson - E-Book

Am Ende des Spiels E-Book

Suza Hensson

0,0

Beschreibung

Emilia Moody tut alles, um ihr Mathematikstudium an der Aldridge Universität erfolgreich abzuschließen. Dabei kann sie keinerlei Ablenkung gebrauchen. Doch eines Tages läuft ihr der attraktive Footballspieler Taylor Bowman über den Weg. Sein zweifelhafter Ruf eilt ihm voraus. Außerdem scheint der Tight End jede Menge Probleme mit sich zu bringen. Dennoch berührt er etwas in ihr und ihre Wege kreuzen sich immer wieder, so dass Emilias gute Vorsätze bald ins Wanken geraten. Taylor möchte nur Eines: Sein letztes Jahr an der Uni hinter sich bringen und in die NFL aufsteigen. Seine Pläne werden jedoch durchkreuzt und er muss ein weiteres Jahr unter seinem Coach absitzen. Der Drill ist hart und ein normales Leben ist Taylor kaum möglich, so dass ein Mädchen wie Emilia niemals Teil seines Lebens werden kann. Als Taylor glaubt, das Jahr nicht überstehen zu können, holen ihn plötzlich die Folgen eines tragischen Unglücks ein, die er jahrelang verdrängt hat. Taylor erkennt, dass er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss, um die Ketten der Gegenwart sprengen zu können.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„Nicht an den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, strauchelt man, sondern durch die Fantasielosigkeit, sie zu umgehen.”

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil 1

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Teil 2

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Teil 3

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Epilog

Prolog

Sommer 2009

Es war ein Sonntag im Spätsommer, September, und Peyton Bowman war zwölf Jahre alt, als er das letzte Mal in seinem Leben Football spielte. Er war groß für sein Alter, fast einen Meter siebzig, und konnte das ganze Spielfeld daher gut überblicken. Er sah den Coach in weißen Shorts und blauem Poloshirt am Spielfeldrand stehen. Direkt daneben seinen Vater mit schwarzer Schirmmütze und vor Aufregung zusammengezogenen Augenbrauen. Dann nahm er Blickkontakt zu seinem Zwillingsbruder auf, ebenfalls hochgewachsen, der als Wide Receiver auf der linken Seite spielte und schon unruhig von einem Bein auf das andere sprang. Taylor konnte Warten nicht ausstehen und hatte keinen Funken Geduld. Nicht ein bisschen. Dafür war er ziemlich schnell und konnte fast jeden Ball fangen. Peyton nickte Taylor ganz leicht zu. Sein weißer Helm bewegte sich und reflektierte die Sonnenstrahlen. Sie spielten in Hellblau und Weiß, ihre Gegner in Rot und Schwarz. Die anderen sahen gefährlicher aus, fand Peyton, aber seine Mannschaft würde trotzdem gewinnen.

Peyton konzentrierte sich auf Johnny, den Center, der mit dem Rücken zu ihm stand und sich mit einer Hand auf dem Ball abstützte. Er gab Johnny ein Zeichen und fing den Ball auf. Dann lief er sich frei so gut er konnte, scannte das Feld ab und warf den Ball im hohen Bogen auf Taylor zu, der schon weit nach vorne gelaufen war.

Es war sein letzter Spielzug und er resultierte im achten Touchdown des Spiels. Taylor fing den Ball auf, stieß dabei zwei Spieler der gegnerischen Mannschaft um, rannte und katapultierte sich mit einem weiten Sprung in die Endzone.

Peyton nahm den Helm ab und hörte über das Lärmen der Leute hinweg seinen Vater laut jubeln. Der Coach stieß beide Fäuste in die Luft und dann stürmte die eine Hälfte der Mannschaft auf ihn zu, die andere auf Taylor, der am Ende des Spielfeldes den Ball hoch in die Luft warf. Die Jungs schlugen ihm auf den Rücken, einer riss seinen Arm in die Höhe.

„He, lasst unseren Quarterback ganz“, rief sein Vater laut, aber er lächelte und seine Augen strahlten.

Taylor kam aus der Endzone, in einer Hand den Helm, in der anderen den Ball, den er immer wieder hochwarf und auffing. Peyton grinste ihn breit an.

Der Coach winkte sie beide zu sich herüber. Er sackte sofort den Ball ein, legte Peyton einen Arm um die Schulter und schob ihn vor sich.

„Das ist Peyton Bowman. Und das sein Bruder Taylor. Peyton, das ist John Clay, der Co-Trainer und Scout der Cheetahs.“

Er klang sehr zufrieden. Peytons Vater, der nicht von seiner Seite wich, schüttelte dem Besucher ebenfalls die Hand und stellte sich vor.

„Wie lange spielst du schon Football?“, fragte der Scout.

„Sieben Jahre.“

Der Scout nickte. Dann wandte er sich wieder dem Coach und dem Vater zu und sagte etwas von „außergewöhnlich talentiert“ und „Aussicht auf Stipendium“.

Taylor hatte seinen Helm auf der Trainerbank abgelegt und den Football schon wieder in der Hand. Grinsend warf er ihn hinter seinem Rücken Peyton zu und lief dann ein Stück von den Erwachsenen fort auf einen Skaterplatz, der an das Footballfeld angrenzte.

Die anderen Spieler verschwanden bereits nach und nach in den Kabinen, die Eltern waren in Aufbruchsstimmung. Peytons und Taylors Mutter war von ihrem Schattenplatz aufgestanden und gesellte sich zu ihrem Mann und dem Coach, die dem Scout zuhörten.

„…strategisches Talent, das ist deutlich zu sehen“, sagte der gerade. Der Vater schob seine Schirmmütze vor und zurück und nickte unablässig, wie um den Scout zum Weiterreden zu animieren.

„Komm schon, wirf!“ Taylor stand schon oben auf der Rampe.

„Wo wollt ihr denn hin?”, wollte die Mutter wissen.

„Taylor will mit mir nur kurz auf den Platz dahinten.”

Der Vater schaute zu Peyton herüber und dann zu den Rampen, nickte einmal und wandte sich wieder dem Scout zu.

Die Mutter schaute auf die Uhr. „Aber geht nicht zu weit, wir fahren in einer halben Stunde zurück und ihr müsst euch noch umziehen.“

Obwohl Peyton den Erwachsenen gerne weiter zugehört hätte, zog es ihn zu Taylor auf den Skaterplatz. Niemand war hier und die Sonne schien heiß auf die Rampen, die mit Graffiti beschmiert waren und offensichtlich schon bessere Zeiten gesehen hatten.

„Wie bist du da hoch gekommen?“ Peyton legte eine Handkante an die schweißfeuchte Stirn und blinzelte zu Taylor hinauf.

„Einfach hochgelaufen. Komm, ich will dir was zeigen.“ Taylor kniete sich hin und streckte eine Hand nach unten aus. Peyton warf ihm erst den Football zu, dann lief er los, packte den Unterarm seines Bruders und ließ sich von ihm nach oben ziehen.

„Siehst du die Ruine da?“, fragte Taylor, noch bevor Peyton wieder zu Atem gekommen war, und wies auf das durch einen Bauzaun abgesperrte Nachbargrundstück.

„Was ist damit?“

„Wollen wir uns die mal ansehen?“

Peyton richtete sich auf. Sein Kopf drehte sich etwas von der Wärme und dem Spiel, das sie gerade hinter sich hatten. Er hatte Lust zurückzugehen und sich eine Cola zu holen. Aber Taylors Augen leuchteten.

„Wozu?“, fragte Peyton und klopfte sich den Staub von seiner weißen Hose.

„Wozu? Es sieht aus, als ob es ein altes Krankenhaus oder sowas ist.“

„Wir sollen nicht zu weit gehen.“

„Gehen wir doch nicht. Komm schon. Vielleicht sind noch Leichen oder so im Keller.“ Taylor sprang von der Rampe und war schon am Bauzaun.

„Warte!“ Peyton nahm den Ball und rutschte ihm hinterher. Als er am Zaun angekommen war, brannte seine Kehle vor Durst. Obwohl es einfach gewesen wäre, eine Lücke im Zaun zu finden, zog es Taylor vor, darüber zu klettern.

Peyton warf ihm den Ball über den Zaun zu und so spielten sie eine Weile hin und her und Peyton musste an den Scout denken, der gesagt hatte, dass er außergewöhnlich talentiert sei. Vielleicht konnte er ja wirklich mal ein NFL-Spieler werden, wie sein Vater. Bei dem Gedanken wurde ihm ganz leicht ums Herz.

Sein Bruder schnappte sich den Ball und lief auf das Gebäude zu und Peyton fand eine Lücke im Zaun und folgte ihm. Ein paar Schilder waren mit Draht am Zaun befestigt, auf denen stand, dass es verboten war, das Grundstück und das Gebäude zu betreten.

„Ty, warte!“

Peyton betrat das Gebäude durch eine Öffnung, in der es wahrscheinlich mal eine Tür gegeben hatte, und lief eine baufällige Holztreppe hinauf, auf der so dick der Staub lag, dass er Fußspuren hinterließ.

„Taylor!“

„Ich bin hier oben. Ich glaube, es war wirklich mal ein Krankenhaus.“

Peyton folgte der Stimme seines Bruders und lief eine weitere Treppe in das zweite Stockwerk unter dem Dach hinauf. Der Staub biss in seiner Lunge. Durch große Löcher schien die Sonne herein, von der Decke rieselte Staub. Die hölzernen Fußbodenbretter wirkten morsch und von Termiten zerfressen.

Taylor lief aufgeregt zwischen den alten Eisengestellen herum.

„Wir sollten nicht hier sein.“ Peyton blieb auf dem Treppenabsatz stehen. „Lass uns zurückgehen.“

„Jetzt noch nicht. Schau mal, die Betten haben Gitter. Vielleicht war es sogar eine Psychiatrie. Wollen wir den Keller suchen?“

„Hast du die Schilder nicht gesehen?“

Peyton hörte es im Holz unter sich krachen und bekam Angst. Er wollte sich mit beiden Händen am Geländer festhalten, aber an der Stelle, an der er stand, gab es keines mehr und er fasste ins Leere.

„Welche Schilder?“, fragte Taylor und es klang weit weg.

„Scheiße, Ty!“ Peyton schrie, als die Treppe unter ihm nachgab. Er griff nach den Fußbodendielen, als sie auf seiner Höhe waren, aber er riss sie mit sich in die Tiefe. Er schrie weiter, bis er mit dem Rücken auf Holz knallte, das krachend unter ihm brach, und ihm die Luft wegblieb. Er fiel tiefer und tiefer, Holz und Schutt hagelten zu allen Seiten neben ihm nieder und rissen ihm Wunden in Arme, Beine und Gesicht, überall war Staub. Und dann umfing ihn die Dunkelheit.

Teil 1

I

Zehn Jahre später

„Wir sollten woanders lernen.” Emilia sah missmutig aus dem Fenster. Es war ein Abend im April und bereits dunkel. Der Regen prasselte gegen die Scheibe und auf dem Trainingsplatz des Footballteams, der von den harten Flutlichtern beleuchtet wurde, trainierten noch zwei Leute. Immer wieder schrillte die Pfeife ihres Trainers über den Platz bis zu ihnen nach oben.

„Warum?”

„Du konzentrierst dich nicht, sondern schaust immer wieder raus.” Emilia sah sich nach Vorhängen oder einem Rollo um, aber im Übungsraum des Trainingszentrums, in dem die Tutorien stattfanden, gab es keinerlei häuslich anmutendes Equipment. Kahle Wände, blaugrüner Linoleumboden, nackte Fenster.

„Dieser Tisch sollte besser vor der Wand stehen”, überlegte Emilia laut.

Ihr zweiter Schüler von heute, ein Footballspieler mit blonden Haaren und sonnengebräuntem Gesicht namens Shea McGee, zog eine Braue hoch. „Ist das dein Ernst?” Er wirkte, als würde er nur auf ihr Nicken warten, damit er aufstehen und die Möbel umstellen konnte.

„Nein”, entgegnete sie etwas ruppiger als sie eigentlich wollte. „Hör einfach auf, dich von denen da unten ablenken zu lassen.”

Sie wartete, bis sich Shea wieder auf seine Aufgabe konzentrierte, und ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. Sie hatte das Tutorenprogramm erst in diesem Semester ergänzend zu ihrem Mathematikstudium begonnen, um zusätzliche Punkte zu sammeln, und schon ein paar Schüler wie Shea gehabt. Sie interessierten sich allesamt nicht sonderlich für Mathe, bemühten sich im Tutorium jedoch einigermaßen, da sie einen gewissen Notendurchschnitt vorweisen mussten, um weiter Football spielen zu dürfen.

Die Trillerpfeife des Coaches gellte abermals. Der Spieler, den sie antrieb, lief unermüdlich über den Platz, seit mindestens zwei Stunden schon, und fing immer wieder die Bälle, die der Quarterback ihm zuwarf. Er konnte nicht mehr, das war ihm selbst von hier oben anzumerken, aber sobald er stehen blieb, ertönte wieder die Pfeife.

Emilia begann das allmählich auf die Nerven zu gehen.

Der Quarterback gestikulierte und schien mit dem Trainer zu diskutieren, während der, der seine Bälle fing, völlig abgekämpft auf allen Vieren auf dem Spielfeld kniete. Es regnete wie aus Kübeln und beide Spieler waren von Schweiß und Regen durchnässt.

Emilia kniff die Augen zusammen. „Ist das da draußen Cameron?”

Shea sah auf, dann reckte er sich, als müsste er nochmal nachsehen. „Ja.“

Cameron war der Mitbewohner ihres Bruders und Quarterback der Imperial Eagles, des Footballteams der Aldridge Universität.

Der zweite Spieler schaffte es in diesem Moment, sich wieder hochzukämpfen. Der Trainer stand neben ihm und schien auf ihn einzubrüllen. Cameron hatte schon wieder den Ball im Anschlag. Der Spieler hob den Kopf und schaffte es, noch einmal loszulaufen. Er trug einen Helm und ein weißes, völlig verdrecktes Trikot.

„Warum tut er das?” fragte sie sich und merkte erst, dass sie laut gesprochen hatte, als Shea fragte: „Wen meinst du?”

„Warum brüllt der Trainer ihn so zusammen?”

Und warum lässt er sich das gefallen?

„Naja, das ist Taylor.” Shea zuckte die Achseln.

Emilia konnte sich die restliche Stunde kaum auf Shea konzentrieren, so sehr lenkte sie das Geschehen auf dem Spielfeld draußen ab.

Als der Spieler nicht mehr laufen konnte, entließ der Trainer Cameron, aber von dem Zweiten schien er immer noch nicht genug zu haben. Er stand mit der Stoppuhr neben ihm, während er Liegestütze mit Gewichten machte, endlos lange, bis er auf dem Rasen lag und nicht mal mehr den Kopf heben konnte.

Emilia wurde der Brustkorb eng, als sie zusah, wie dieser große, starke Kerl dermaßen in die Knie gezwungen wurde.

Dann war es endlich vorbei. Der Trainer verließ das Spielfeld und kurz darauf erloschen die Flutlampen. Es war kurz vor einundzwanzig Uhr. Im schwachen Licht, das aus den Fenstern des Gebäudes fiel, erkannte Emilia, dass der Spieler im strömenden Regen schwer atmend rücklings auf dem Rasen lag, seinen Helm neben sich.

„Fertig.” Shea stöhnte auf und reichte ihr zwei vollgeschriebene Zettel. Seine Haare standen nach allen Seiten ab, so oft war er während der vergangenen Stunde mit den Händen durchgefahren.

„Okay.” Emilia überflog die Zettel. „Ich werde das auswerten und einen Plan aufstellen. Nächste Woche können wir ihn dann gemeinsam durchgehen.”

„In Ordnung.” Shea war bereits aufgesprungen und hatte sich seine Trainingsjacke geschnappt, die über der Stuhllehne hing. So schnell er konnte verabschiedete er sich und verschwand ins Wochenende.

Emilia packte ihre Unterlagen zusammen, schob sie in ihre Tasche und schaltete das Licht aus. Sie blickte noch einmal auf das Spielfeld hinunter und war froh, dass sie den Footballspieler nicht mehr dort liegen sah. Sie hatte zwar gewusst, dass es beim Leistungssport hart zuging, aber das konnte doch nicht normal sein?

Gedankenversunken ging sie den verlassenen Flur entlang, da hörte sie eine laute Stimme aus einem der Büros dringen. Sie verharrte kurz, dann ging sie langsam weiter und erkannte, wessen Büro das war. Das des Cheftrainers John Bowman. Des Mannes, dem sie gerade zwei Stunden lang auf dem Spielfeld zugesehen hatte.

Taylor betrat das Büro seines Coaches.

Der Coach stand hinter seinem Schreibtisch, den Blick unter zusammengezogenen Brauen auf die Zettel geheftet, die vor ihm lagen. Taylor wusste, es waren seine Statistiken für diese Woche und er wusste, was ihm bevorstand. Diese sogenannte Lagebesprechung im Anschluss an die Extraeinheiten Training war immer das Schlimmste.

„Hat Nolan dir heute den Plan für die kommende Woche ausgehändigt?“

„Ja, Coach.“

Der Coach streckte die Hand aus und Taylor zog den Zettel aus der Tasche und legte die drei Schritte zum Schreibtisch zurück, um ihm den Plan zu reichen. Er war der Dekan der Fakultät für Sportwissenschaften und der Chefcoach der Imperial Eagles, dementsprechend groß war sein Büro.

Der Coach studierte den Plan, dann setzte er sich an seinen Tisch und zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche seines grauen Jacketts.

„Gewichtsreduktion nur um drei Prozent.“ Er strich auf dem Plan herum. „Und montags, mittwochs und donnerstags bleibst du ab sofort nach dem Feldtraining ab achtzehn Uhr da und wir arbeiten weiter daran, deine verfluchten Fehler auszumerzen.“

Taylor schwieg. Er wusste genau, was Tim Nolan, der Offensive Koordinator, zu einer solchen Erweiterung seines sorgsam angepassten, individuellen Trainingsplans sagen würde.

„Du weißt, wofür diese Einheit heute war?” Der Coach krakelte etwas in den übervollen Plan und schaute dann auf.

Taylor nickte.

„Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede, und antworte vernünftig. Respektlosigkeit habe ich heute Morgen schon genug ertragen müssen.”

Taylor zwang sich, den Blick zu heben. Es kostete ihn das letzte Fünkchen Kraft. „Ja, Coach.”

„Also? Wofür?”

„Fürs Zuspätkommen”, sagte Taylor, weil das die offizielle Antwort war, die der Coach hören wollte.

„Denkst du, du kannst es dir erlauben, nicht pünktlich zum Training zu erscheinen? Denkst du, du kannst es dir erlauben, nicht hundert Prozent zu geben? Was sollte diese dermaßen schwache Vorstellung heute von dir, Taylor? Denkst du, du hast irgendeine Sonderstellung im Team?” Er schlug mit den Fingerknöcheln auf einen der Zettel vor ihm, als wäre darauf seine Leistungskurve des heutigen Tages abgebildet. Taylor schluckte und konnte sich nur mit Gewalt daran hindern, nicht wegzusehen.

„Nein.” Es klang wie ein Krächzen.

„Wie bitte?”

„Nein, ich denke nicht, dass ich eine Sonderstellung im Team habe.” Taylor merkte, dass er anfing zu zittern. Ganz leicht, aber er wusste, dass es stärker werden würde, wenn er es nicht schaffte, sich zu beruhigen. Das kam von der körperlichen Erschöpfung, gefolgt von dem emotionalen Stress. Etwas, das der Coach genau einkalkulierte, um ihn während seiner Ansprachen im Büro so klein wie möglich zu halten.

„Ganz genau. Die hast du auch nicht. Du bist ein Niemand. Und das wird sich auch nicht ändern, solange du nicht alles gibst und dich hier heraus arbeitest. Du musst es dir verdammt nochmal verdienen, in der Profiliga zu spielen.” Der Coach schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und Taylor hatte alle Hände voll zu tun, das elende Zittern zu unterdrücken. Er hatte das Gefühl, sich dringend setzen zu müssen, aber in diesem Büro gab es keine Stühle für Leute wie ihn.

„Heute habe ich es gesehen. Dass es genau richtig war, dich aus dem Draft zu nehmen und noch ein Jahr hierzubehalten. Du bist ein undiszipliniertes Kind, nichts weiter.”

Taylor konnte dem Blick des Coaches nicht mehr standhalten und senkte die Augen wieder zum Boden. Er wusste, dass der Coach ihn nicht für das Zuspätkommen bestrafte. Cameron war heute Morgen wie der Teufel gefahren und sie waren noch mit den letzten Spielern auf das Feld gekommen. Sie waren im Training mit Abstand die Besten gewesen.

Aber gestern hatte der Draft stattgefunden, die Veranstaltung, bei der die Teams der obersten Football-Liga ihre neuen Spieler auswählten. Es war sein oberstes Ziel gewesen, in diesem Jahr teilzunehmen. Und eigentlich auch das des Coaches. Der Grund, warum sie all das taten. Doch er war nicht dabei gewesen.

Ein Muskel im Kiefer des Coaches zuckte, während er aufstand und langsam um den Schreibtisch herumkam. Er hatte raspelkurze, graue Haare und hellblaue Augen, mit denen er Taylor scharf ansah. Wie immer trug er zum Sakko eine dunkelblaue Schirmmütze mit dem Logo der Imperial Eagles, einem grimmig bis aggressiv dreinblickenden Adler.

„Nicht nur du hast Extra-Trainingseinheiten für die Combine geschoben, sondern ich auch. Ich war bei dir. Jede. Verdammte. Stunde. Und du setzt alles aufs Spiel, weil du denkst, deinen Schwanz ungeschützt in eine Cheerleaderin stecken zu müssen?”

Der Coach stand jetzt nah vor ihm. Sie waren beide gleich groß und obwohl der Coach ein richtiger Schrank war, war Taylor durch das jahrelange Training noch breiter gebaut als er. Dennoch fühlte er sich stets körperlich unterlegen, wenn der Coach ihm so bedrohlich gegenüberstand. Ein Gefühl, das er von ganzem Herzen verabscheute.

„Ich dulde keine Fehltritte mehr, Taylor. Dein zusätzliches, letztes Jahr hier werden wir nutzen. Ich werde dich noch härter rannehmen als bisher. Die Einheit heute war nur ein Vorgeschmack.“

Er hatte den vollgeschriebenen Trainingsplan in der Hand und schlug ihn Taylor hart vor die Brust. „Und jetzt geh. Und tu, was ich dir sage.”

Als Taylor das Büro verließ, stand etwas entfernt im Gang ein Mädchen und sah ihn an. Sie war klein, hatte dunkle, halblange Haare, und trug eine Schultertasche über der Kapuzenjacke.

Sie hatte sicher gehört, was im Büro gesprochen worden war. Er wollte den Kopf senken, aber das Mädchen hielt ihn mit ihrem Blick fest. Betroffenheit lag darin.

„Taylor“, durchschnitt die Stimme des Coaches die Stille. „Verschwinde endlich. Und schließ die Tür hinter dir.“

Taylor erwachte aus seiner Starre und machte, dass er die Tür hinter sich ins Schloss zog. Er wich dem Blick des Mädchens aus und ging an ihr vorbei Richtung Treppenhaus. Er spürte die unglaubliche Müdigkeit in seinen Knochen und in seinem Kopf und wollte nur noch zu seinem Auto, in sein Bett und diesen Tag hinter sich lassen.

Er hörte, dass das Mädchen ihm durch den Gang und die Treppen hinunter folgte. Es war ein leises, unaufdringliches Folgen in einigem Abstand, aber doch so, dass er es bemerkte.

Die letzten Stunden waren heftig gewesen. Sie hatten ihn an eine Grenze gebracht. Als er die Glastür aufstieß und in den dunklen Park trat, blieb er stehen und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Es hatte aufgehört zu regnen und die Luft war angenehm kalt.

Das Mädchen war immer noch da.

Sie stand neben ihm, das schmale Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den großen dunklen Augen von einer der matt orangeleuchtenden Laternen beschienen.

„Warum geht dein Trainer so mit dir um?“ Ihre Stimme klang leise.

Taylor antwortete nicht. Noch nie hatte ihm jemand diese oder eine ähnlich direkte Frage gestellt.

„Warum fragst du so etwas?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich kenne mich überhaupt nicht mit Football aus. Ich bin etwas überrascht, dass es so…hart ist.“

Taylor fragte sich, was genau sie mit hart meinte. Aber eigentlich spielte es keine Rolle. Er blickte über ihren Kopf hinweg in Richtung des imposanten Stadions, das in südlicher Richtung im Dunkeln dalag. An die vielen Spiele, die er darin schon gespielt hatte.

„Es ist nicht immer so, okay? Das solltest du nicht denken.“

Sie folgte seinem Blick, dann wandte sie sich ihm wieder zu. „Das kann ich mir auch kaum vorstellen.“

Taylor musste schlucken. Er wusste nicht warum, aber hier zu stehen und über diese Dinge zu reden, trat irgendetwas in ihm los. Er spürte eine neuartige Wut auf den Coach. Darüber, dass er einem völlig unbeteiligten Mädchen, das sich anscheinend in das Trainingszentrum der Uni verirrt hatte und sich überhaupt nicht mit Football auskannte, diesen völlig kranken Einblick in eine Sportart beschert hatte, die bisher sein ganzes Leben bestimmt hatte.

Natürlich hatten schon viele Leute tyrannische Trainingseinheiten, Schreiattacken und anders geartete Ausfälle des Coaches ihm gegenüber miterlebt. Fast die ganze Mannschaft wusste davon. Aber diese Jungs waren Teil dessen und dazu gezwungen, das Verhalten des Coaches irgendwie mitzutragen. Meistens traten sie in heiklen Momenten betreten den Rückzug an und beobachteten das Geschehen aus der Ferne. Wenn er dann völlig erschlagen in der Dusche erschien, wichen sie ihm lieber aus. Niemand hatte ihn jemals gefragt, was der Coach eigentlich für ein gottverdammtes Problem mit ihm hatte.

Außer dieses Mädchen, das er noch nie zuvor gesehen und das auf einmal vor der Bürotür des Coaches gestanden hatte. Ausgerechnet.

Sie reichte ihm gerade mal bis zur Brust, stand sie hier vor ihm und sah ihn mit einer Offenheit und Unschuld an, die ihn dazu brachte, ihrem Blick auszuweichen.

„Ich muss jetzt los“, sagte er und nickte zum Parkplatz hinüber.

„Klar.”

Er nahm noch wahr, dass sie ihn anlächelte, bevor er sich abwendete und sich beeilte, zu seinem Wagen zu kommen.

II

Die Fahrt vom Campus nach Haisley, wo ihr Bruder Hank mit seiner Freundin Iris und Cameron zusammen wohnte, dauerte nur zehn Minuten. Emilia parkte ihren weinroten Ford auf der Straße vor dem Haus und stieg aus. Sie war erst wenige Male hier gewesen. Zuletzt vor etwa zwei Monaten, als Hank eine Party gegeben und alle möglichen Leute eingeladen hatte. Für eine Studenten-WG war das Haus mit seinen vier großen Zimmern, zwei Bädern und dem Pool im Garten absolut überkandidelt. Zumal es in Uninähe lag und sie nur zu dritt darin wohnten. Kein Wunder, dass Hank es nicht sonderlich eilig hatte, sein Studium abzuschließen. Ihr Bruder hatte angefangen Pharmazie zu studieren, jedoch nach drei Semestern zu Medizin gewechselt, was er seitdem mehr oder weniger ehrgeizig verfolgte. Angeblich lohnte es sich nicht, allzu viel Energie in das Studium zu stecken.

„Guten Morgen, Süße.“ Cameron lehnte mit einer Kaffeetasse in der Hand im Türrahmen und grinste freundlich. Er war unrasiert, trug nur eine ausgewaschene, etwas zu tief sitzende Jogginghose und sah aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett aufgestanden.

„Wieso bist du noch nicht angezogen?”, erwiderte Emilia statt einer Begrüßung.

„Entspann dich.“ Er winkte ihr, ihm in die Küche zu folgen, die von einem großen, zerschrammten Holztisch dominiert wurde, um den acht verschiedenfarbige Stühle, Hocker und Sessel herumstanden. In dem bequemsten davon saß Hank und drehte sich sorgsam eine Zigarette. Ihm gegenüber saß Iris im Schneidersitz, einen Teller Rührei mit Toast auf dem Schoß.

„Hi”, sagte sie, als sie Emilia sah.

Der Tisch war aufwendig mit Brotkorb, Marmelade und Kerzen gedeckt. Nichts an dieser ganzen Szenerie suggerierte in irgendeiner Weise Aufbruchsstimmung.

Emilia blieb in der Nähe der Tür stehen. „Sagt mal, geht's noch?“ Sie warf einen demonstrativen Blick auf die Uhr, die neben dem Flaschenregal an der Wand hing. „Wir hatten verabredet, um neun Uhr loszufahren. Ich habe keine Zeit für sowas.“

Cameron öffnete den Kühlschrank. „Man kann sich darauf verlassen: Wenn Emilia kommt, geht die Sonne auf“, sagte er vor sich hin. „Mach's dir gemütlich. Willst du was trinken? Oder ein paar Eier?“

Emilia versuchte mühsam, ihren aufkommenden Ärger zu unterdrücken. Was sie in dieser Zeit alles erledigen könnte. Die knifflige erste Aufgabe ihres Übungszettels rechnen, den sie nächste Woche abgeben musste, zum Beispiel. Schlimm genug, dass sie wegen des anstehenden Wochenendtrips zu ihren Eltern die Lerngruppe morgen verpassen würde.

Hank sammelte die verstreuten Tabakkrümel vom Tisch und zündete sich an einer der Kerzen seine Zigarette an. „Jetzt werd nicht gleich wieder nervös. Komm her, setz dich auf deinen Lieblingshocker.” Er zog einen wackligen Holzhocker neben sich und klopfte darauf. „Du wirst schon früh genug zu Mamas Feier kommen.“

Emilia gab auf und ließ sich halbherzig auf dem Hocker nieder. Hank hatte Recht. Es war egal, ob sie um zwölf oder um eins in Portland ankamen. Aber es war etwas an dieser ganzen Szenerie mit den Kerzen, den Kissen auf den Sesseln und der Käseplatte, die da auch noch auf dem Tisch stand, das sie ärgerte. Das Gefühl, in etwas Vertrautes hinein geplatzt zu sein.

Cameron hatte an der Stirnseite des Tisches Platz genommen, die Füße in weißen Sportsocken auf dem Stuhl neben sich platziert, und wischte auf seinem Handy herum.

„Und? Was macht das Campusleben? Irgendeine Party, von der ich wissen sollte?“, sagte er.

Emilia wohnte in einem Apartment im Studentenwohnheim auf dem Ost-Campus, einem riesigen, alten Klinkerbau aus rotem Backstein. Das tat sie in erster Linie, um möglichst konzentriert arbeiten zu können und nicht täglich wertvolle Zeit mit Fahrerei zu vergeuden. Auch wenn Leute wie Cameron dachten, dass es von unglaublichem Vorteil sei, sich stets am Puls des Geschehens zu befinden.

Sie warf ihm einen Blick zu. „Da fragst du immer noch die Falsche.“

Es war schon fast Mittag, als sie in Hanks dunkelgrünem Landrover auf der Landstraße nach Portland unterwegs waren. Es regnete immer wieder und die Straßen waren nass, dann hörte es plötzlich auf und die Sonne kam heraus.

Emilia saß hinter Hank auf dem Rücksitz, die Beine angezogen, die Schuhe im Fußraum liegend, und schaute aus dem Fenster, wo die felsigen Hügel und Nadelwälder an ihnen vorüberzogen.

Obwohl sie zu viert waren, herrschte Stille. Hank, der Einzige von ihnen, der ausgeschlafen zu sein schien, pfiff leise vor sich hin. Iris saß im Schneidersitz auf dem Beifahrersitz und las ein Buch und Cameron hatte sein Handy in der Hand, Kopfhörer in den Ohren und schien zu schlafen.

Emilia dachte an das Footballtraining vom Vortag zurück, dem sie eher unfreiwillig zugesehen hatte. Das Bild, wie dieser Taylor im strömenden Regen unten im Stadion auf dem Rasen gelegen hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Dazu die Stimme seines Trainers.

Du bist ein Niemand.

Er hatte auf dem Spielfeld gekämpft. Er hatte alles gegeben, sie hatte es selbst gesehen. Und doch hatte er nichts bekommen als Erniedrigungen.

Sein Blick, als er aus dem Büro gekommen war, war vollkommen leer gewesen.

„Was ist?“ Cameron hatte die Augen geöffnet und sie merkte, dass sie ihn die ganze Zeit angesehen hatte.

Sie zögerte, dann sagte sie: „Ich habe euch gestern Abend trainieren sehen.“

„Ach ja?“ Er nahm sich einen Stöpsel aus dem Ohr.

„Es war ganz schön heftig, oder?” Sie machte eine Pause. „Dein Mannschaftskamerad hat auf dem Boden gelegen und es sah aus, als hätte euer Trainer ihn trotzdem weiter angeschrien.“

Cameron sah auf das weiße Kopfhörerkabel hinunter, das er sich um einen Finger wickelte. Emilia bemerkte überrascht, dass er verlegen war.

Er zuckte die Achseln, aber es sah ziemlich halbherzig aus. „Man muss über seine Grenzen gehen, um Erfolg zu haben.“

Emilia runzelte die Stirn. „Für mich sah das nicht nach gesundem Grenzen überschreiten aus.“ Sie beobachtete ihn, wie er mit gesenktem Kopf dasaß, und dachte daran, wie er stundenlang die Bälle für Taylor geworfen hatte. Er musste auch fix und fertig sein.

Sie holte tief Luft. „Ich habe zufällig mitbekommen, wie euer Trainer ihn danach im Büro total klein gemacht hat.“

Durch den Rückspiegel fing sie Hanks Blick auf. „Mach dir keinen Kopf”, warf er vom Fahrersitz aus ein. „Footballspieler stehen auf Folter.“

Cameron zog seine dunklen Brauen zusammen. „Halt die Klappe.“

„Und auf Bankdrücken, Eiweißshakes, Tackling, Frühaufstehen,…“

„Ich mein's ernst, halt die Klappe!“

Hank hob entwaffnend die Hände vom Lenker. „Ich meine ja nur. Ihr habt ein verdammt hartes Leben. Mir gefällt das.“

Cameron streckte den Arm aus und schlug Hank härter als nur zum Spaß gegen die Schulter.

„Aua! Heh, ich bin der Fahrer!“

Iris schaute alarmiert von ihrem Buch hoch und auf die Straße. „Hört auf damit! Wir wollen alle lebend ankommen.“

Cameron lehnte sich wieder zurück. Ein Schatten lag über seinen Augen. „Der Coach ist verrückt, wenn es um Ty geht“, sagte er an Emilia gewandt. „Er will unbedingt, dass aus ihm ein NFL-Star wird. Und er hat es fast geschafft, wenn ihr mich fragt. Wenn er dieses Jahr im Draft gewesen wäre…“

„Ist er aber nicht“, fiel Iris vom Beifahrersitz aus dazwischen. „Weil er große Scheiße gebaut hat.“

Cameron sah demonstrativ aus dem Fenster. „Ja, ja, Iris. Wir wissen es.“

Iris drehte sich zu Emilia um. „Er hat Kate geschwängert“, sagte sie, als hätte Emilia nachgefragt. „Und dann nie wieder von sich hören lassen. Nie wieder.“ Sie warf Cameron einen kurzen Seitenblick zu. „So ein erbärmlicher Feigling.“

Cameron sagte nichts, aber Emilia konnte sehen, wie seine Kiefer mahlten.

„Letzte Woche hat sie es dann getan“, fuhr Iris an Emilia gewandt fort. „Und die Schwangerschaft beendet.“

Emilia zog die Brauen hoch. „Oh man“, murmelte sie, wusste aber nicht, was sie sonst dazu sagen sollte. Sie hatte Taylor gestern Abend vor dem Trainingszentrum erlebt. Er hatte ausgelaugt und verschlossen gewirkt. Ihr Kopf hatte Mühe damit, das Bild von ihm weiter zu vervollständigen.

Iris hatte sich wieder nach vorne gedreht. „Seitdem hat sie nur geheult“, teilte sie der Allgemeinheit im Wageninneren mit. „Sie ist aus dem Cheerleading-Team geflogen. Und Cheerleading war ihr Leben. Und was tut Taylor? Gar nichts. Es interessiert ihn überhaupt nicht. Sein Leben ist ja nicht zerstört. Er kann ja fröhlich weiterspielen.”

„Er weiß, dass er auf dieser Party einen verdammten Fehler gemacht hat. Und dass es nicht in Ordnung ist, wie er mit Kate umgegangen ist, okay?“, fuhr Cameron dazwischen und es war offensichtlich, dass er hoffte, das Thema damit beenden zu können. „Der Coach hat ihn aus dem Draft ausgeschlossen. Er ist gestraft genug.“

„Gestraft genug?“, echote Iris.

„Cameron, ganz ehrlich“, mischte sich Hank auf einmal ein. „Ich kapiere einfach nicht, wieso du diesen Typen ständig verteidigst.“

Cameron drehte den Kopf vom Fenster weg und sah Hank an, als wäre er schwer von Begriff. „Taylor ist in der Mannschaft.“

„Ja, und?“

„Ich bin für ihn verantwortlich.“

„Das ist doch Schwachsinn, Cam.“

„Ihr versteht das nicht. Taylor hat wie ein Besessener trainiert. Er hat auf der Combine super abgeschnitten. Er wäre als einer der Ersten gewählt worden. Dass der Coach ihn wegen der Sache mit Kate aus dem Draft ausgeschlossen hat, ist für ihn…“

„Wegen der Sache mit Kate“, rief Iris dazwischen. „Du kannst das Kind ruhig beim Namen nennen, Cameron. Aber ihr Footballspieler seid anscheinend alle gleich.“

Cameron verstummte. Seine Schulter zuckte und er sah aus, als würde er Iris ebenfalls eine runterhauen wollen. Er hielt sich jedoch zurück und steckte sich mit grimmigem Gesichtsausdruck den Kopfhörer zurück ins Ohr.

Kurz darauf war wieder Stille eingekehrt. Cameron hatte die Augen geschlossen und Iris las in ihrem Buch. Nur Hank hatte aufgehört zu pfeifen und rieb sich ab und zu die Schulter.

Nach etwa vier Stunden Fahrt setzten sie Cameron in Arbor Grove ab, einem der reichen Vororte Portlands, und sagten seinen Eltern Hallo. Die freuten sich wie verrückt, als Cameron zur Tür hereinkam. Sie verstanden den Hype um ihren Sohn, den Quarterback eines Division-I-Footballteams, zwar überhaupt nicht, hatten sich von dem Wunsch, Cameron möge mal ihre Pumpentechnikfirma übernehmen, jedoch einvernehmlich verabschiedet und versuchten sogar, zu den wichtigen Spielen anzureisen.

Den kurzen Rest der Fahrt legten sie schweigend zurück. Emilia spürte, dass Hanks Anspannung proportional zu ihrer Vorfreude wuchs, je näher sie ihrem Ziel kamen. Sie hatte bis vor einem halben Jahr noch Zuhause gewohnt und immer noch Heimweh; er war ausgezogen, so früh es ging, und kehrte nur wenn es unbedingt sein musste zu möglichst kurzen Stippvisiten zurück.

Heute musste es sein.

Ihre Mutter stand in einem Kleid in buntem Botanikprint in der Auffahrt und strahlte über das ganze Gesicht. Hank ließ sich von ihr drücken und küssen und überreichte ihr einen Blumenstrauß, den er an ihrem Tankstellenstopp gekauft hatte, kurz nachdem sie Aldridge hinter sich gelassen hatten. Dann machte er, dass er ins Haus kam, ehe ihre Mutter es schaffte, ihn einer eingehenden Musterung zu unterziehen.

„Alles Gute zum Geburtstag, Mama.“ Emilia ließ sich ebenfalls umarmen, bevor sie den Staffelstab an Iris weiterreichte.

„Iris, wie schön, dass du auch mitgekommen bist. Das weiß ich wirklich zu schätzen.”

Iris hatte sich ins Zeug gelegt und eine CD mit der Lieblingsmusik ihrer Mutter zusammengestellt, die sie freundlicherweise im Namen von Emilia und ihr selbst überreichte.

Sie feierten im Wohnzimmer und angrenzenden Wintergarten und

Emilias Mutter hatte anscheinend jeden eingeladen, den sie kannte. Hanks Tankstellen-Blumenstrauß thronte mitten auf dem Buffettisch und die Mutter reichte einem ihrer Neffen, der sich neben der Anlage hinter seinem Bierglas verbarrikadiert hatte, die frisch gebrannte CD von Iris hinüber. Emilia suchte sich einen ruhigen Platz neben einem Pfirsichbäumchen und freute sich, ihre Tante aus Toledo wiederzusehen, die alles über ihr Mathematikstudium an der Aldridge Universität hören wollte.

Sie beobachtete ihre Mutter, die wie ein übergroßer Schmetterling im Gewächshaus herumflatterte und sehr glücklich wirkte. Sie tanzte mit Emilias Vater, ihren beiden Schwagern und sämtlichen anwesenden Neffen. Bestimmt hätte sie gerne auch ihrem Sohn die Ehre gegeben, aber Hank ließ sich den gesamten Abend lang nicht blicken. Nur sein Blumenstrauß erinnerte daran, dass er eigentlich hier sein sollte.

Er hätte ihr lieber Pralinen schenken sollen, dachte Emilia. Die hätte er unauffällig auf dem Geschenketisch verscharren können.

Als weit nach Mitternacht die meisten Gäste gegangen waren, halfen Emilia und Iris der Mutter beim Aufräumen. Sie gingen gerade alle hintereinander mit Tabletts voller schmutziger Gläser durch die Schwingtür in die Küche, da sahen sie Hank wieder. Die schulterlangen, blonden Haare feucht vom Regen, die Hände in den Taschen seiner etwas zu großen Windjacke, auf dem Rücken den alten, orangeroten Rucksack, den er seit Jahren nicht mehr benutzt hatte, kam er von draußen durch die Terrassentür herein.

Die Mutter stellte ihr vollbeladenes Tablett auf der Anrichte ab. „Wo kommst du denn her?”

Hank blieb in der Tür stehen. Er schaute von einer zur anderen und antwortete nicht. Offensichtlich hatte er gehofft, unauffällig durch die Küche in sein Zimmer unter dem Dach verschwinden zu können.

„Was ist ausgerechnet heute Abend so wichtig, dass du meine Feier schwänzt?“, fragte die Mutter nach ein paar Sekunden, als sie sicher war, keine Antwort mehr zu bekommen.

Iris senkte den Blick und fing an, die Gläser in die Spülmaschine zu räumen.

„Was hast du da in deinem Rucksack?“ Die Stimme der Mutter wurde heller und lauter. Durch die geöffnete Tür drangen Dunkelheit und ein kalter Luftzug. Emilia verschränkte die Arme.

„Gar nichts.“ Hank trat in die Küche und schloss die Tür. Er machte Anstalten, den Raum zu durchqueren. Die Mutter stellte sich ihm in den Weg.

„Hank!“ Sie hielt ihn an den Unterarmen fest. In ihrem Blick flackerte Angst, aber Hank schien es nicht zu bemerken.

Mit einer Bewegung, die heftiger war als nötig, entzog er sich ihrem Griff. „Lass mich vorbei.“

„Gib mir deinen Rucksack!“

Hanks Blick sprang von Emilia zu Iris, die aufgehört hatte, die Maschine einzuräumen, und zurück zu Emilia. „Was soll das hier?“ Seine Stimme klang scharf und Emilia spürte, wie die Spannung in der Küche anstieg. Sie hatte keine Ahnung, was das hier sollte und das wollte sie ihrem Bruder gerade mitteilen, da machte die Mutter eine schnelle Bewegung auf Hank zu und wollte ihm den Rucksack entreißen, aber der wich weit genug zurück.

„Spinnst du?!“

„Ich will sofort wissen, was du in deinem Rucksack hast.“ Die Mutter versuchte weiter, an Hank heranzukommen, aber der hielt sie auf Abstand.

„Hört auf!“ Emilia versuchte, sich zwischen ihre Mutter und Hank zu stellen, aber ihre Mutter schob sie zur Seite.

„Misch du dich da nicht ein. Du weißt doch längst, was er da macht und tust nichts dagegen.“

„Wie bitte?“

„Tu doch nicht so.“ Der Blick ihrer Mutter und ihre Worte trafen Emilia wie Schläge. „Du steckst doch mit ihm unter einer Decke.“

„Hör auf, Mama.“ Hank klang hart. „Halt Emilia da raus.“

„Sie weiß es wirklich nicht“, mischte sich eine Stimme ein. Emilia und ihre Mutter fuhren herum und sahen Iris immer noch neben der geöffneten Spülmaschine stehen. Sie blickte quer durch den Raum zu Hank hinüber.

„Du musst damit aufhören. Jennifer und ich machen uns Sorgen um dich.“

Emilias Gedanken rasten. Sie versuchte nachzuvollziehen, wovon genau Iris redete. Sie wandte sich wieder zu Hank um, der einen Moment sprachlos schien.

„Wie bitte? Du machst dir Sorgen um mich?“

„Deine Mutter auch.“

„Meine Mutter macht sich Sorgen um mich, seit ich lebe. Das ist weiß Gott nichts Neues für mich.“ Hank hatte die Stimme erhoben. Er schien zu kochen.

„Ich habe dir gesagt, dass ich es tun würde.” Iris sah Hank eindringlich an. „Ich habe dich gewarnt. Was du in letzter Zeit tust, geht einfach gar nicht.“

„Iris, du redest einen Haufen Scheiße.“

„Tu ich nicht.“

„Und mit diesem Haufen Scheiße rennst du ausgerechnet zu ihr?“ Er wies mit einer Armbewegung in Richtung seiner Mutter, die in seiner Nähe stand und nichts mehr sagte.

„Ich war verzweifelt.“

„Ach ja? Du wirst bald noch viel verzweifelter sein, das verspreche ich dir.“

„Hank!“, fuhr die Mutter dazwischen.

Iris stemmte die Hände in die Hüften, ihr Blick verfinsterte sich.

Emilia verstand überhaupt nichts mehr. Waren das etwa der Hank und die Iris, mit denen sie jahrelang den Frühstückstisch geteilt hatte? Wann hatte sie dermaßen den Kontakt zu ihnen verloren, dass sie nicht einmal mehr ihren Dialogen folgen konnte?

„Iris, es ist besser, du gehst jetzt.“ Hanks Gesicht war eine Maske, so sehr versuchte er, die Fassung zu bewahren. Als niemand auf diese Forderung reagierte, packte Hank den linken Rucksackriemen mit beiden Händen, schlängelte sich an den dreien hindurch bis zu Treppe und verschwand polternd nach oben. Niemand versuchte ihn aufzuhalten.

Am nächsten Morgen war Iris verschwunden.

Emilia saß mit ihren Eltern am Frühstückstisch. Ihre Mutter butterte sich etwas zu energisch ihr Brötchen und verschüttete beim Trinken etwas zu viel Kaffee auf der Untertasse. Ihr Vater hatte sich hinter seiner Sonntagszeitung verschanzt.

„Wo ist Iris hin?“, versuchte Emilia die letzten Stunden vor ihrer Abfahrt noch etwas Konversation zu machen.

„Sie hat im Gästezimmer geschlafen und heute früh eine andere Mitfahrgelegenheit nach Aldridge gefunden.“

Emilia rührte in ihrem Kaffee. „Hat sie dir wirklich erzählt, dass Hank etwas mit Drogen zu tun hat?“

Die Mutter hatte in letzter Zeit schon Andeutungen in diese Richtung gemacht. Sie hatte Emilia mehrmals angerufen, behauptet, mit Hank stimme etwas nicht und sie gebeten, ihn im Auge zu behalten. Emilia hatte das nicht sonderlich ernst genommen. Normalerweise war ihr herzlich egal, was Hank so trieb. Er war ihr älterer Bruder und tat ohnehin, was immer er wollte.

Die Mutter stellte klirrend ihre Porzellantasse ab, als Hank angekleidet und mit Reisetasche bepackt die Treppe hinunterkam. Er nahm sich ein Brötchen aus dem Korb auf dem Tisch, biss hinein und warf nebenbei einen Blick auf sein Handy.

„Bist du fertig?“, sagte er an Emilia gerichtet und ignorierte seine Mutter völlig.

Emilia sah auf ihr halb aufgegessenes Frühstück hinunter. Der Gedanke, jetzt schon wieder zurückzufahren, bedrückte sie. Sie hatte bisher nicht ein Gespräch mit ihrer Mutter gehabt. Genau genommen hatte sie nicht mehr als einen Satz am Stück mit ihr gewechselt.

„Beeil dich, bitte. Ich will los.“

Ihr Vater raschelte mit seiner Zeitung, räusperte sich und ließ sie sinken. „Hank, setz dich.“

Hank seufzte theatralisch und zog sich einen Stuhl heran.

„Können wir mal sowas wie ein vernünftiges Gespräch mit dir führen?“, fragte der Vater und faltete zum Zeichen, dass er es ernst meinte, die Zeitung zusammen.

„Wenn es nicht zu lange dauert. Wir haben heute noch eine weite Strecke zu fahren.“

„Was ist dran an der Sache, die Iris erzählt hat? Dass du Drogen nimmst?“

Emilia beobachtete ihren Bruder genau, aber entweder war er ein verdammt guter Schauspieler, oder die Informationen ihrer Mutter waren falsch. Sein leicht genervter, müder Gesichtsausdruck veränderte sich nicht im Geringsten.

„Ich verkaufe keine Drogen.”

„Wie kommt Iris dann dazu, so etwas zu erzählen?“

„Ich vertraue ihr“, warf die Mutter ein. „Sie hat bei mir Alarm geschlagen, weil sie mit der Situation überfordert ist. Hank, du solltest sie anrufen und dich bei ihr entschuldigen. Sie ist heute früh völlig aufgebracht von hier abgereist.“

„Aber sicher doch.“

„Sie liebt dich sehr und sie hat dich wirklich immer…“ Die Mutter stockte.

„Für dich im Auge behalten?“, half ihr Hank auf die Sprünge und seine Stimme klang kalt. „Das hättest du wohl gerne gehabt.“

„Hör schon auf“, rief die Mutter. „Wir wissen doch nicht, was du so treibst, da oben in Washington.“

„Ach, nein? Und was treibt Emilia so?“

Emilia hielt in ihrer Kaubewegung inne. Sie schaute vom Teller hoch und sah, dass Hank mit verschränkten Armen dasaß.

„Jetzt lenk mal nicht vom Thema ab“, sagte ihr Vater.

„Was hat Emilia damit zu tun?“, sagte ihre Mutter.

„Was sie treibt, wisst ihr doch genauso wenig.“

„Wir wissen, dass sie lernt und sich nicht mit den falschen Leuten abgibt. Mehr brauchen wir nicht zu wissen.“

„Seid ihr euch da ganz sicher? Habt ihr sie jemals gefragt? Oder habt ihr ebenfalls einen Spion auf sie angesetzt? Ups, da gibt es überhaupt niemanden, der sie für euch im Auge behalten kann, was? Kein Freund, keine Freundin, Bruder nicht vertrauensvoll genug. So ein Mist aber auch.“

Emilia stockte der Atem. Hank saß immer noch völlig ungerührt da und warf ihr einen kurzen Blick zu.

„Was soll das werden, Hank? Wieso reden wir jetzt plötzlich über Emilia? Sie telefoniert jede Woche mit eurer Mutter, im Gegensatz zu dir.“ Die Augenbrauen des Vaters bildeten beinahe eine durchgehende Linie, so sehr hatte er sie zusammengezogen.

Emilia behagte die Richtung, in die sich das Gespräch entwickelte, überhaupt nicht. Kurzentschlossen stand sie von ihrem Stuhl auf. „Ich wäre dann soweit“, sagte sie an Hank gerichtet, der sich sofort erhob und seine Tasche schnappte.

Die Eltern folgten ihnen nach draußen. Hank umarmte beide Eltern zum Abschied, ohne sie wirklich anzusehen. Die Mutter kämpfte mit den Tränen.

„Vertrag dich wieder mit Iris, bitte.“

Hank antwortete nicht.

Sie umarmte Emilia. „Stimmt es, was Hank erzählt? Dass du alleine bist an der Uni?”, fragte sie leise.

„Schon gut, Mama.“ Emilia ließ die Mutter los und beeilte sich, neben Hank in den Wagen zu steigen. Sie winkte, als sie die Auffahrt verließen und auf die Straße einbogen.

Eine ganze Weile schwiegen sie. Emilia betrachtete die vertraute Umgebung, die an ihnen vorbeizog; ihre alte Schule, die Bücherei, die Häuser ihrer früheren Freundinnen. Sie merkte, dass ihr der Abschied von Zuhause nicht mehr ganz so schwer fiel wie die ersten Male.

„Sorry, dass ich angefangen habe, über dich zu sprechen“, sagte Hank irgendwann, als sie fast Arbor Grove erreicht hatten.

„Es ist nur so, dass unsere Mutter mir tierisch auf den Senkel geht, während sie dich vollkommen in Ruhe lässt.“ Er sah sie von der Seite an. „Oder hat sie dich einmal gefragt, was du so treibst?“

Emilia zuckte die Achseln, obwohl sie es ganz genau wusste.

Ihr war klar, dass ihre Mutter sich hilflos fühlte. Der Tag, an dem Hank von Zuhause ausgezogen war und von dem an sie nicht mehr jeden Tag sein Zimmer hatte kontrollieren können, war ein ziemlich schwarzer für sie gewesen.

„Tut dir Mama gar nicht leid?“, fragte sie nach einer kurzen Pause.

Hank runzelte die Stirn und bog in die Straße ein, in der Camerons Eltern wohnten. Die weißen Fassaden der Häuser glänzen in der Sonne. „Wieso sollte sie mir leidtun?“

„Sie hat fast geweint. Warum hast du ihre Party geschwänzt? Das war doch der einzige Grund, warum wir nach Portland gefahren sind.

Oder?“

Hank warf ihr einen unwilligen Blick zu. „Das alles geht Mama überhaupt nichts an. Und dich auch nicht.”

Emilia merkte, wie Ärger in ihr aufstieg. „Wie bitte? Sie denkt, dass du Drogen nimmst und dealst. Sie ruft mich ständig an deswegen. Also reiß dich gefälligst zusammen.”

Hank schüttelte nur den Kopf. „Sie muss damit aufhören. Und du auch.”

„Nein, du musst damit aufhören. Hör gefälligst auf so zu tun, als wärst du allein auf der Welt.”

Hank biss nur die Zähne zusammen. Er sah aus dem Fenster und winkte Camerons Eltern, die auf der Veranda standen und ihren Sohn verabschiedeten.

Cameron kam den Weg entlang, warf sein Gepäck in den Kofferraum und stieg in den Fond des Rovers.

„Hi, Leute.“

„Hi“, erwiderte Emilia, während Hank den Wagen wendete.

„Oh, dicke Luft?“, sagte Cameron. Als niemand antwortete, blickte er sich im Wagen um. „Wo ist Iris?“

Taylor erwachte, als die Nachmittagssonne hell in sein Schlafzimmer schien. Er wusste zunächst nicht, welcher Tag war, aber als sein Blick auf die offenen Bücher und seinen Collegeblock fiel, wusste er wieder, dass Sonntag war. Er war beim Lernen eingeschlafen.

Er setzte sich auf, rieb sich das Gesicht und nahm das Arbeitsblatt in die Hand, das seine Tutorin ihm am Dienstag mitgegeben hatte. Eine der sechs Aufgaben hatte er sogar hinbekommen. Vielleicht war das Tutorium, das ab sofort dienstag- und freitagabends auf seinem Plan stand, ja nicht vollkommen umsonst.

Er schob die Matheunterlagen beiseite, stand auf und ließ seine Schultern probehalber kreisen. Nachdem er die letzten beiden Tage völlig platt praktisch nur mit Essen, Schlafen und einer lockeren Laufeinheit verbracht hatte, hatte er sich nun erholt. Die Schwere und Trägheit nach dem Straftraining am Freitag waren verschwunden.

Er durchquerte seine sonnendurchfluteten Dachgeschosszimmer in Richtung Bad, zog sich dabei das T-Shirt über den Kopf und warf es auf den Wäschehaufen, der sich auf einem seiner Sessel türmte. Bevor er in die Dusche stieg, schrieb er Cameron an. Vielleicht war der ja von seinem Wochenendtrip in die Heimat wieder zurück. Er hatte mordsmäßigen Hunger und keine Lust auf den Inhalt eines weiteren Containers mit der Aufschrift Taylor Bowman: Reis, Hähnchen, Broccoli.

Es wurde definitiv Zeit für etwas Richtiges.

Während er unter der heißen Dusche stand, merkte er, wie dringend er das freie Wochenende gebraucht hatte. Nachdem der Coach ihm vor drei Wochen verkündet hatte, dass er noch ein weiteres Jahr bei ihm zu bleiben hatte, war Taylor eine Zeitlang ganz schön neben der Spur gelaufen. Zum krönenden Abschluss hatte er sich am Tag des Draftes, als alle Welt zum Public Viewing im Stadion gewesen war, zusammen mit Cameron in der Notaufnahme abgeschossen, einer Bar in Haisley. Und es am nächsten Morgen nur mit Ach und Krach pünktlich zum Training geschafft, was ihnen beiden das Straftraining eingehandelt hatte.