Am Ende steht Vergeltung - H.C. Scherf - E-Book

Am Ende steht Vergeltung E-Book

H.C. Scherf

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Beschreibung

An einen Unfall glaubt der neue Hauptkommissar Patrick Köhler nicht, als er den Unfallort aufsucht, an dem acht Menschen einer Pilgergruppe ihr Leben verloren. Altötting, ein beschaulicher Ort in Bayern, wird unerwartet Schauplatz abscheulicher Verbrechen, denn unbekannte Täter kennen keine Gnade. In der Kommissarin Jana Jäger und dem pensionierten Kollegen Rosenek findet Köhler Mitstreiter, die seine Mord-These unterstützen. Bestätigt wird diese durch weitere Verbrechen, die in einem scheinbaren Zusammenhang stehen - bis auf einen Mord, der einfach nicht dazu passen will. Das Böse kehrt dort ein, wo Menschen Zuflucht zu Gott suchen. Das Team aus Altötting nimmt den Kampf gegen das Böse an.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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H.C. Scherf

Am Ende steht Vergeltung

Psychothriller

 

 

 

 

 

Impressum

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

1. Auflage / Mai 2025

 

Copyright © 2025 by H.C. Scherf

Ewaldstraße 166, 45699 Herten

www.scherf-autor.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Covergestaltung: VercoDesign, Unna

Bilder von:

Shutterstock: Adwo / blackboard1965 / Husjak

/ Avesun / Louxima / LeeuwenHoek

 

Lektorat/Korrektorat: Heidemarie Rabe

[email protected]

 

Dieses E-Book ist geschützt und darf ohne Genehmigung des Autors nicht

vervielfältigt oder weitergegeben werden.

 

 

 

Am Ende steht Vergeltung

 

von H.C. Scherf

 

 

 

 

 

 

Wer auf Rache sinnt,

der reißt seine eigenen

Wunden auf.

Sie würden heilen,

wenn er es nicht täte.

 

Francis Bacon

(1561 - 1626)

 

 

 

 

1

 

Jeder war sich der Gefahr bewusst, in der sie alle schwebten, doch niemand sprach offen darüber. Die örtliche Presse hatte tagelang über den Unfall mit dem kleinen Reisebus berichtet, mit dem diese Tour vor etwa einem halben Monat durchgeführt wurde. Die Leichen von acht Reisenden hatte man neben der Unfallstelle gefunden, doch die fehlenden zwei Fahrgäste, es handelte sich um ein Pärchen, waren bisher nicht wieder aufgetaucht. Das Einzige, was der Polizei auffällig erschien, war die Tatsache, dass sie erst kurz vor der Abfahrt hinzugestoßen waren und deren Namen und Adressen deshalb nicht registriert worden waren. Die Beschreibungen von ihnen waren sehr vage, da man sie nur sehr kurz am Schalter zu Gesicht bekommen hatte. Mittleres Alter, etwa um die fünfunddreißig. Er wurde als sportlich mit kurz geschnittenem Haar und recht groß bezeichnet. Sie blieb lediglich durch ihre gut gepolsterten Hüften und gedrungene Figur in Erinnerung. Zu ihrem Gesicht gab es nicht viel zu sagen, da das von einer enormen Mähne umsäumt wurde und daher fast unsichtbar war. Kommissarin Jäger verdrehte die Augen, als sie von vier Zeugen auch vier unterschiedlichste Beschreibungen erhielt. Die zuvor genannten Attribute stimmten jedoch bei allen überein. Allerdings traf die Beschreibung auf die Hälfte der Menschheit zu. Schon jetzt wusste Jana Jäger, dass ihnen ein schwieriger und mysteriöser Fall bevorstand. Das verbesserte ihre Laune nicht unbedingt, zumal sie heute ohne Frühstück das Haus verlassen hatte. Ihr Chef, Hauptkommissar Köhler, musste jeden Moment am Treffpunkt eintreffen und würde das mit anderen Erwartungen tun. Die bisherigen Ergebnisse waren jedoch mager und würden die weiteren Ermittlungen nicht zwingend beschleunigen, eher das Gegenteil erreichen. Die Frage würde entscheidend sein, warum alle Reisenden mit unterschiedlichsten und ungewöhnlichen Verletzungen vorgefunden wurden und nur diese zwei Personen wie vom Erdboden verschluckt waren. Ein Summen und leises Knirschen in ihrem Rücken sagte Jana Jäger, dass soeben der neue Chef mit seinem Tesla eingetroffen war. Den Stromer pries er allen als das Allheilmittel für die Klimarettung an, obwohl er schon einmal seiner Aussage nach mit leerer Batterie auf offenem Gelände aufgelesen werden musste. Sie klappte ihren Notizblock zu und drehte sich entschlossen um, als sie seine Schritte hinter sich vernahm. Diese würde sie aus Hunderten heraushören, da sie seinen katzengleichen Gang irgendwie mochte, ebenso seine Statur, die dem eines Leistungssportlers glich. Störend war lediglich sein stets mürrisch wirkender Gesichtsausdruck, was Jana gewaltig gegen den Strich ging, zumal sie in der Regel gut gelaunt auftrat. Über Gründe seiner Verstimmung schwieg er beharrlich, was zu vielen Gerüchten im Präsidium führte. Niemand kam an den zumeist schweigsamen Mann heran, von dem man wusste, dass er um seine Versetzung nach Bayern gebeten hatte, obwohl man von seiner hohen Aufklärungsquote und Beliebtheit in Berlin wusste. Irgendwann hatten es die Kollegen aufgegeben, ihm sein Geheimnis zu entlocken. Bekannt war bisher lediglich, dass er Single war und bisher zurückgezogen in einem Wohnmobil lebte. Hier und da telefonierte er mit einer Frau, von der man vermutete, dass es diese Art von Vertrautheit nur gegenüber einem Familienmitglied gab. Folglich legte man sich auf eine Tochter oder Schwester fest.

Nun hatten sie sich am damaligen Unfallort verabredet, da Patrick Köhler eine erneute und persönliche Besichtigung für unerlässlich hielt, um ein klares Bild der Geschehnisse zu erhalten. Akten und Papier waren geduldig, sagte er und konnten das eigene Bild nicht ersetzen. So seine Devise.

»Was haben wir, Jana?«

Erwartungsgemäß kurz und bündig kam die Ansprache von ihm und ließ es aus der Kommissarin heraussprudeln. Sie las das wenige, was sie in Erfahrung gebracht hatte, vom Notizzettel ab und wartete auf seinen Kommentar. Der kam auch, allerdings anders, als sie es erwartet hatte.

»Haben wir mittlerweile etwas über den Fahrer in Erfahrung bringen können? War das nicht das Opfer mit einer durchtrennten Halsschlagader? Halten Sie das nicht auch für bemerkenswert, Jana? Der Mann kommt mit dem Kleinbus vom Weg ab, steuert das Fahrzeug gegen eine einsam dastehende Mauer, sein Airbag öffnet sich beim Aufprall und er verblutet an einer klaffenden Halswunde? Und warum liegen zwei Personen neben dem Bus? Konnten die noch aussteigen, nachdem oder bevor sich das Fahrzeug mehrfach überschlagen hat? Sie waren als eine der Ersten am Unfallort. Ich möchte aber auch die damalige Ersteinschätzung der Spurensicherung hören. Wo finde ich übrigens die Herrschaften? Hatten wir uns nicht hier um vierzehn Uhr verabredet?«

Hauptkommissar Patrick Köhler bemerkte, wie das Blut in das Gesicht der Kollegin schoss, und blickte sie mit gerunzelter Stirn an.

»Habe ich etwas Falsches gesagt, Kollegin?«

»Nein, nein ... die Leute sind auf dem Weg und müssten jeden Moment eintreffen. Die Mittagspause geht bis vierzehn Uhr.«

»Oh, Verzeihung. Das habe ich natürlich nicht bedacht, als ich alle um Mithilfe bat. Jetzt hoffe ich nur, dass sich auch unsere Täter und Opfer an diese zeitlichen Dezernat-Regelungen und unsere Dienstzeiten in der Behörde halten werden. Wieso sind Sie dann hier? Hat man Ihnen das Recht auf Pause abgesprochen?«

Mit einer Hand strich sich Jana durch das kurze Haar und versuchte, ihre Verlegenheit zu überbrücken. Bevor sie eine Antwort geben konnte, kam ihr der Hauptkommissar zuvor.

»Schon gut, Kollegin. Das meinte ich nicht böse. Ich finde es ganz im Gegenteil toll, dass zumindest eine im Team eine normale Einstellung zum Job zeigt. Gehen wir zum Tatort.«

»Wieso Tatort? Ist das etwa falsch, dass wir bisher von einem Unfallort sprachen?«

Abrupt blieb Köhler stehen und wandte sich Jana zu.

»Sie wollen mich jetzt auf den Arm nehmen – oder? Haben Sie mir vorhin nicht zugehört? Sagen Sie mir jetzt bitte nicht, dass dieser Vorfall weiterhin unter Unfall mit Todesfolge geführt wird. Sind hier denn alle blind und sehen nicht, dass die Verwundungen überhaupt nicht zu einem normalen Unfall passen? Hat sich niemand das Bildmaterial betrachtet, das uns die Rechtsmedizin lieferte? Ich glaube es einfach nicht?«, stöhnte Köhler, als er in das Gesicht der Kollegin blickte. Er beschleunigte seine Schritte, sodass Jana Mühe hatte, ihm zu folgen. Nach etwa hundertfünfzig Metern kamen sie zu der Stelle, wo der Kleinbus auf die Mauer getroffen war. Lange stand Köhler davor und sah immer wieder hinauf zum schmalen Weg, den der Bus eigentlich hätte nehmen sollen.

»Sagen Sie mir bitte, wenn ich falschliegen sollte, Kollegin. Die Straße dort oben hat etwa eine Breite von vier bis fünf Meter. Der Bus dürfte eine Breite von fast drei Meter haben. Platz war also reichlich vorhanden. Aus den Akten entnehme ich, dass beim Fahrer weder Infarkt, Ohnmacht, Alkohol- noch Drogenkonsum festgestellt werden konnte. Der Mann schien kerngesund gewesen zu sein. Warum in Gottes Namen reißt ein solcher Mann das Steuer herum und visiert ausgerechnet das einzige Hindernis weit und breit an? Halten Sie das nicht auch für etwas außergewöhnlich? Ein Smartphone wurde auch nicht gefunden, mit dem er gespielt haben könnte. Warum also tut er das? Sagen Sie es mir.«

Einen Moment brauchte Jana, bevor sie die Schultern hob. Sie schien in sich hineinzuhorchen und nach Gründen zu suchen. Das Ergebnis war dürftig, jedoch schienen zumindest Zweifel an der Erstfassung bei ihr entstanden zu sein. Köhler hatte sich auf einen Baumstumpf gesetzt und studierte diverse Fotos.

»Kommen Sie her, Jana, und setzen Sie sich.«

Als sie zögerte, winkte er sie energisch heran und klopfte neben sich auf das Holz. Er tippte auf ein Foto.

»Fällt Ihnen an diesem Mädchen etwas auf? Ich meine damit nicht die sportlich-elegante Kleidung, die ich bei einer Pilgerfahrt nicht unbedingt vermutet hätte, sondern etwas völlig anderes.«

Er reichte ihr das Foto rüber und wühlte weiter in der Akte. Währenddessen suchte Jana nach dem gewissen Indiz, was Köhler wohl direkt ins Auge gefallen war. Endlich glaubte sie, es gefunden zu haben. Sie wies auf den Hals der Toten.

»Meinen Sie diese dunklen Flecken links und rechts am Hals? Die kann man aber kaum erkennen.«

Ohne von den Unterlagen hochzusehen, nickte Köhler und brummte in sich hinein.

»Sie und ich haben sie gesehen – warum nicht die Rechtsmedizin? Die erheblichen Verletzungen im Bauchbereich erkenne ich auch. Aber ich sehe auch, dass dort relativ wenig Blut ausgetreten ist. Ist das nicht aus medizinischer Sicht ungewöhnlich? Das kann ich nur damit begründen, dass dieses Mädchen posthum aufgeschlitzt wurde. Das Herz pumpte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr und der Blutdruck fehlte deshalb. Meiner Meinung nach wurde das junge Ding erdrosselt – und das mit einem Schal oder zumindest mit einem weichen Stoff. Dennoch kann man diverse Druckstellen am Hals ausmachen. Ich bin mal gespannt, was der werte Herr Doktor zu den Verletzungen zu sagen hat. Hier im Bericht steht noch nichts darüber. Seltsam. Ich wette darauf, dass wir Verletzungen unter anderem am Kehlkopf vorfinden werden, die meine These belegen. Die üblichen Strangmarken könnten eventuell fehlen, wenn die Erdrosselung sehr langsam und mit weichem Material vorgenommen wurde. Aber Verletzungen der Weichteile sowie an der Wirbelsäule sind obligatorisch. Werde mir einen Termin bei Dr. Schwedes holen. Er soll mir die große verbliebene Blutmenge im Körper der Frau erklären, nachdem sie bei den Bauchschnitten einige Liter hätte verlieren müssen.«

»Wieso wissen Sie das alles und warum haben es die anderen nicht bemerkt?«

»Nächste Frage Kollegin Jäger, denn diese kann ich Ihnen nicht befriedigend beantworten. Aber seien Sie unbesorgt. Das werden wir herausfinden.« Er wartete einen Moment und sah die junge Frau an. »Helfen Sie mir dabei?«

Lange fixierte Köhler die junge Kollegin mit seinen erstaunlich klaren Augen und zwang sie zu einer Aussage. Während sie seinen fordernden Blick erwiderte, bemerkte sie zum ersten Mal, dass er erstaunlich lange Wimpern besaß und die Augen ungewöhnlich weit auseinanderstanden. Dieser Umstand ließ ihn jedoch nicht weniger attraktiv erscheinen, ganz im Gegenteil. Sie verwarf diese Gedanken und nickte.

»Darauf können Sie sich verlassen, Chef. Ich bin hier, um zu lernen, und heute habe ich schon sehr viel gelernt – besonders über die Tathergänge und die Ermittlungsversäumnisse. Natürlich helfe ich Ihnen. Ich habe schließlich die Ausbildung auf der Polizeischule gemacht, um solche Fälle und mögliche Verbrechen aufzuklären.«

»Sauber, Kollegin. Dann lassen Sie uns jetzt damit anfangen.«

Hauptkommissar Köhler half Jana Jäger auf, indem er ihr galant die Hand entgegenstreckte. Nach kurzem Zögern ergriff sie diese und spürte neben der darin steckenden Kraft auch eine gewisse Wärme. Als er sich in Richtung Fahrzeug bewegte, das oberhalb des Hanges parkte, folgte sie ihm tief in Gedanken versunken.

2

Der vorstehende Zweig der Erle, den Carlo zurückschnellen ließ, schlug Ella schmerzhaft ins Gesicht und hinterließ dort eine blutige Schramme.

»Verfluchter Mistkerl«, fluchte sie lauthals und trat nach dem Mann, der nur wenige Schritte vor ihr dem Fuß geschickt auswich. Sein gemeines Lachen versetzte sie noch stärker in Wut. Sie warf ihren Rucksack mit einem Ruck auf den Boden und setzte sich daneben.

»Das machst du mit Absicht, du dreckiger Lump. Schlepp deinen beschissenen Rucksack selbst und behandel mich nicht wie eine Sklavin. Es könnte ansonsten passieren, dass ich dir ein Messer ins Kreuz jage. Dann müssen wir auch die Beute nicht mehr durch drei teilen.«

Carlo war stehen geblieben und näherte sich Augenblicke später wieder, legte jedoch sein Grinsen nicht ab.

»Du solltest nicht immer sofort überreagieren, mein Schatz. Das vorhin war nicht beabsichtigt.«

»Komm mir nicht mit Schatz. Erstens habe ich sehr wohl erkannt, dass du das mit Absicht gemacht hast, und zweitens musst du dir nichts darauf einbilden, dass ich einmal mit dir geschlafen habe. Das wäre mir nüchtern und ohne deine verdammten Drogen niemals passiert. Außerdem bist du ein lausiger Liebhaber, der wohl nur bei Professionellen zum Zuge kommt. Zumindest weiß ich jetzt, warum sich bei dir keine Frau längere Zeit aufhält. Du bist ein narzisstisches Arschloch und ein Loser.«

Nur sehr kurz zuckte es in Carlos Gesicht, bevor das Grinsen wieder die Vorherrschaft übernahm. Er zog seine kleine Schachtel hervor und entnahm ihr etwas weißes Pulver, das er sich über das Zahnfleisch rieb. Danach ließ er sich rücklings auf den Waldboden gleiten. Die Frage seiner Partnerin, wann sie endlich den Treffpunkt erreichen würden, ließ er unbeantwortet. Erst als sie ihn mit Erde bewarf, reagierte er.

»Was weiß ich, verdammt? Ich war auch noch nie hier in der Gegend. Das musst du deinen Bruder fragen, der die Route festgelegt hat. Richard ist doch der große Planer. Hätte ich allerdings vorher gewusst, dass so viele in dem dämlichen Bus mitfahren, die wir zum Schweigen bringen mussten, wäre ich niemals in den Coup eingestiegen. Findest du etwa nicht, dass acht Tote etwas viel sind für die paar Kröten, die wir erbeuten konnten?«

»Nennst du sechshunderttausend Euro ein paar Kröten? Wenn ich mich recht erinnere, hast du Eierdieb bisher nur kleine Brüche in Villen und Trinkhallen vorzuweisen. Warum Richard ausgerechnet dich ins Team geholt hat, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Du bist für so was Großes heillos überfordert.«

Carlo erhob sich und stützte die Ellenbogen auf dem Boden ab. Ella glaubte sogar, Hass in seinen Augen erkennen zu können.

»Du tust so, als wärt ihr die Enkel des großen Al Capone. Ihr seid doch selbst kleine Lichter in dem Gewerbe und könnt bisher keinen bedeutenden Bruch vorweisen. Das Einzige, was auf der Habenseite steht, dass ihr neun Tote hinterlasst. Die Bullen werden uns von nun an ständig im Nacken sitzen.«

»Erstaunlich, dass du das Wir benutzt, denn für den größten Teil trägst du die Verantwortung. Richard wollte keine Toten. Bis heute verstehe ich nicht, warum du den Wachmann unbedingt umlegen musstest. Abgemacht waren Platzpatronen und keine scharfe Munition. Das musste nun wirklich nicht sein. Der Mann hatte bestimmt Familie. Du allein warst es, der Schärfe in das Ganze gebracht hast.«

Ella versuchte verzweifelt, ihre widerspenstigen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden, während sich Carlo hochstemmte und sich vor ihr aufbaute.

»Ach nein, und das von einer Frau, die es fertigbrachte, einer sterbenden Frau den Hals zuzudrücken. Die war bereits erledigt, nachdem ich ihr die Luft abgeschnürt hatte. Das hat dir wohl Spaß gemacht, der den Rest zu geben. Ich habe dich beobachtet, als du das getan hast. Du hättest dich und deinen Gesichtsausdruck einmal sehen sollen. Wie von Sinnen warst du, als du anschließend noch einer schwangeren Frau in den Bauch getreten hast. Wie viel hast du eigentlich insgesamt gekillt? Von denen hätte uns sowieso keiner mehr verraten können, da die uns nicht einmal mit dem Raub hätten in Verbindung bringen können – abgesehen von der ...«

Ella unterbrach den Partner, der sich zusehends in Rage geredet hatte.

»Was war das denn gerade? Ich habe nur nach der Frau gesehen und festgestellt, dass sie noch atmete. Aber was war mit der Blonden auf der Bank neben dir, der du unbedingt den Inhalt deiner Tasche zeigen musstest? Hast du notgeiler Idiot wirklich geglaubt, dass die später der Polizei nicht von deinem bemerkenswerten Spargroschen berichten würde? Ich frage mich noch heute, was dich dabei geritten hat. Die trug einen Ehering und wollte ihre Schwiegereltern besuchen. Die hätte die Beine niemals für dich breitgemacht. Nicht für eine Million.«

Im ersten Moment sah es danach aus, als wollte sich Carlo auf Ella stürzen, schien es sich jedoch wieder überlegt zu haben. Er ballte die Fäuste und trat wieder zwei Schritte zurück. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen und zeigten deutlich, wie er über Ella dachte. Sie spürte die aufziehende Gefahr und änderte ihre Taktik.

»Könntest du ausnahmsweise mal einen Blick auf die Karte werfen? Ich kenne mich hier nicht aus und weiß nicht, warum Richard sich ausgerechnet dieses Versteck ausgesucht hat. Wir befinden uns hier scheinbar am Arsch der Welt.«

»Guck doch selber«, erwiderte Carlo und warf die Karte auf den Boden, »du bist doch das Genie mit den tollen Ideen und Verhaltensregeln. Ich bin raus. Ich habe bereits in der Nähe von Töging die Orientierung verloren. Bis Kastl kann es aber nicht mehr weit sein. Ich werde von nun an der Herrin wie ein Hündchen folgen.«

Bei Ella war die anfängliche Furcht vor einem Wutausbruch des Wahnsinnigen verflogen und sie löste die Hand von dem Messer, das sie vorsichtshalber hinter dem Rücken umklammert gehalten hatte. Ihre Angespanntheit wich dem Gefühl, jetzt bestimmen zu dürfen, was in den kommenden Stunden geschehen würde. Sie griff nach dem Straßenplan und suchte nach dem kaum erkennbaren Kreuz, das Richard für sie vermerkt hatte. Carlo hatte idiotischerweise die gesamte bisherige Route, selbst den Ort des Überfalls, eingezeichnet, sodass jeder Polizeibeamte bei Auffinden des Plans die Strecke zurückverfolgen könnte. Das würde sie alle drei ohne Umwege ins Gefängnis bringen. Sie riss ein passendes Stück aus dem Plan heraus, der nur die unmittelbare Umgebung um Altötting zeigte. Den Rest zerriss sie in winzige Stücke und warf sie wie Konfetti in die Luft. Sie erntete daraufhin verständnislose Blicke, was sie jedoch großzügig ignorierte. Ihre Hand wies gen Westen, nachdem sie sich erhoben und den Rucksack wieder aufgenommen hatte.

»Diese Richtung, Hündchen. Und das Ganze zügig, denn es wird bald dunkel.«

Nichts als blanker Hass begegnete ihr, den sie fortan im Nacken spürte. Sie nahm sich vor, Carlo gegenüber vorsichtig zu sein. Ihr war nicht wohl dabei, dass er sich in ihrem Rücken befand.

 

3

»Soso, unser neuer Herr Hauptkommissar«, wurde Köhler von Dr. Schwedes empfangen, »man hat mir schon berichtet von dem neuen Leiter der Mordkommission, der meine Expertise anzweifelt und eigene Theorien entwickelt. Ich muss zugeben, dass ich mir den Start in eine Zusammenarbeit etwas anders vorgestellt habe. Aber ich bin lernfähig und nehme gerne an einem Fortbildungskurs unter Ihrer Leitung teil. Wann soll es losgehen?«

Köhlers Gesichtsausdruck ließ keinerlei Rückschlüsse auf seine Gefühlslage zu, als er sich mit ausgestreckter Hand auf den Rechtsmediziner zubewegte und die fleischige Hand ergriff, die ihm zögernd hingehalten wurde. Köhler hatte sich bereits auf Gegenwehr und den allgemein bekannten Sarkasmus des Mediziners eingestellt. Auch dass der einige Kilo zu viel mit sich herumtrug, war ihm von der Kollegin Jäger verraten worden. Allerdings kaschierte der weite grüne Umhang recht gut diese zusätzlichen Fleischberge.

»Es liegt mir fern, Ihre Sichtweise und Beurteilung anzuzweifeln, Dr. Schwedes. Allerdings bleiben bei mir Zweifel und Fragen in wenigen Punkten. Und genau diese erachte ich als sehr wichtig, wenn es um die Beurteilung geht, ob wir es mit einem Unfall zu tun haben oder gezielte Morde verfolgen müssen. Einzelne Zeichen deuten zumindest für mich auf Zweiteres hin. Darf ich Ihnen die einzelnen Punkte aufzeigen und an den vorliegenden Fotos darlegen? Ich denke, dass die Leichen noch nicht von der Staatsanwaltschaft freigegeben wurden und weiterhin zur Verfügung stehen.«

»Die Leichen der Opfer befinden sich noch in meiner Obhut und werden zur Besichtigung für Sie freigegeben, sobald mir ein diesbezügliches Schreiben der Staatsanwaltschaft Altötting vorliegt. Ihr fachmännisches Gutachten werde ich dann abwarten, Herr Kollege. Wo, sagten Sie, haben Sie Rechtsmedizin studiert?«

Noch immer bewahrte Köhler die Contenance, obwohl er dem arroganten Fatzke am liebsten seine Faust ins Gesicht geschlagen hätte. Viel zu oft waren ihm diese Typen auch in Berlin begegnet. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, den Menschen dieses Schlages mit Ruhe zu begegnen. Sie besaßen oft genug Beziehungen zu vorgesetzten Stellen, die einem Weiterkommen in der Sache entgegenstehen konnten.

»Mir ist daran gelegen, Dr. Schwedes, dass wir miteinander arbeiten und nicht gegeneinander. Im Vordergrund stehen mögliche Opfer einer Gewalttat, denen gegenüber wir zu optimaler Sorgfalt verpflichtet sind. Niemand will Ihnen ans Bein pinkeln und Ihre Autorität anzweifeln. Das müssen Sie mir glauben. Deshalb meine Bitte um konstruktive Zusammenarbeit. Darf ich mich auf Ihre geschätzte Mitarbeit verlassen und meine Fragen endlich loswerden?«

Dr. Schwedes wurde einen Moment abgelenkt, als sich die Tür des Instituts erneut öffnete und Kommissarin Jäger erschien.

»Entschuldigung, die Herren. Ich wurde leider durch einen wichtigen Anruf aufgehalten. Habe ich was verpasst?«

»Nein, nein«, beruhigte sie der Hauptkommissar, »wir beide bemühen uns, ein Kriegsbeil zu begraben, was unnötigerweise von Herrn Dr. Schwedes ausgegraben wurde. Doch denke ich, dass sich das Thema mittlerweile erledigt hat und wir sachlich diskutieren können.«

Dr. Schwedes war deutlich anzumerken, dass er schlecht mit dieser Debatte umgehen konnte. Ihm wurde die Führung sozusagen aus der Hand gerissen, da der Fatzke vor ihm nicht auf seine Anspielungen ansprang und ruhig blieb. Schließlich vermied er es, weiter zu blockieren, und ging, seine Taktik wechselnd, auf den Wunsch des neugierigen Hauptkommissars ein.

»Ich schätze Ihre Energie und den Aufwand, den Sie betreiben, um einen Fall zu bearbeiten. Sie haben selbst den weiten Weg zu mir nach München nicht gescheut. Was genau wollen Sie eigentlich von mir. Es hörte sich so an, als würden Sie meine Expertise grundsätzlich infrage stellen. Nun legen Sie mal los und klären mich über die Einzelheiten auf.«

Köhler ließ sich nicht täuschen und wusste, dass er in Dr. Schwedes einen ernst zu nehmenden Widersacher finden würde, was er darauf zurückführte, dass keiner gerne seine Arbeit kritisiert bekäme. Doch würde er auf keinen Fall darin nachlassen, der Sache auf den Grund zu gehen. Für ihn stand fest, dass man hier bestenfalls nachlässig gearbeitet hatte. Im schlimmsten Fall sollte etwas vertuscht werden. Er rollte einige Fotos auf dem freien Seziertisch aus und wies mit dem Finger auf eine Stelle am Hals einer der Getöteten.

»Können Sie mir diese beiden Druckstellen medizinisch erklären? Die habe ich durch Zufall entdeckt, nachdem ich mit einer Lupe arbeitete. Ich will nicht hinter dem Berg halten, wenn ich die als schwach ausgeprägte Würgemale bezeichne.«

Nur zögernd beugte sich Dr. Schwedes über das Foto und benutzte nun ebenfalls eine Lupe. Warum auch immer überraschte es Köhler nicht, als er die Antwort des Mediziners erhielt, der diese mit einem zynischen Lächeln begleitete.

»Das, mein lieber Herr Kollege, ist mir auch direkt aufgefallen. Dieser Frau wurde tatsächlich Gewalt angetan. Allerdings steht das in keinem Zusammenhang mit dem Unfall, denn diese Würgemale sind älter und bereits verblasst. Womöglich stammen die aus einer toxischen Beziehung. Haben Sie einmal in der Familie der Verblichenen geforscht?«

Köhler wollte sich auf diese Diskussion gar nicht erst einlassen und konterte.

»Nehmen wir diesen Hinweis einmal als gegeben hin, Herr Schwedes, bleibt dann immer noch die Frage, warum das nicht in Ihrem Bericht auftaucht. Außerdem fehlt mir darin eine Untersuchung des Kehlkopfes und weiterer Weichteile. Sollte der Kehlkopf zerstört worden sein, wäre ein Weiterleben doch mehr als fraglich geworden. Wir finden die Dame jedoch scheinbar gesund unter den Mitreisenden. Gibt es dazu von Ihnen Erklärungen?«

Spätestens jetzt wusste Köhler, dass er dem Arzt gehörig auf die Zehen getreten war und dieser ihm endgültig den Krieg erklären würde. Schon aus diesem Grund bohrte er sofort weiter.

»Lassen Sie mich eine Frage anschließen, Herr Dr. Schwedes. Ist Ihnen entgangen, dass eine der Frauen nicht nur ein totes Kind im Leib trug, sondern auch Hämatome im Bauchbereich aufwies? Haben Sie diese ebenfalls in die Vergangenheit verortet? Ich bin absolut erstaunt darüber, wie viele misshandelte Menschen den Ausflug nach Altötting nutzten, um womöglich sogar an einem Pilgermarsch teilzunehmen. Sie wollten vermutlich in der Gnadenkapelle um Vergebung oder Hilfe bei Gott nachsuchen, weil sie sich ihren Partnern entgegenstellten. Die massive Misshandlung zuvor, Herr Dr. Schwedes, scheint Ihnen wohl nicht erwähnenswert zu sein und wird möglicherweise sogar als normales Eheverhalten angesehen. Mir zumindest sind solche Ereignisse nicht egal und werden rigoros verfolgt.«

Mit einer herrischen Handbewegung stieß Dr. Schwedes die Fotos vom Tisch und positionierte sich vor Köhler, der ihm absolut gelassen in die Augen sah. Kommissarin Jäger bückte sich und klaubte die Unterlagen wieder zusammen.

»Jetzt reicht es mir, Herr Hauptkommissar. Ich bin keiner Ihrer Angestellten, sondern die Staatsanwaltschaft beauftragte mich mit der Beurteilung und Sichtung der Getöteten. Und genau diesen Staatsanwalt werde ich nun kontaktieren. Er wird Ihnen hoffentlich Manieren beibringen und Sie zurückpfeifen. Ich habe Kontakte bis in die höchsten Stellen. Ihr unziemliches Verhalten mir gegenüber wird für Sie nicht ohne Folgen bleiben, das garantiere ich Ihnen. Und nun verlassen Sie und die junge Dame mein Institut. Ich habe noch einige Arbeit vor mir, die allgemein geschätzt wird. Guten Tag auch. Dort hinten geht es hinaus.«

Wortlos verließen Köhler und Jäger die Rechtsmedizin und blieben draußen stehen. Jana Jäger griff in die Seitentasche und kramte eine Zigarettenschachtel hervor. Als sie Köhler eine anbot, winkte er ab und beobachtete die Kollegin, wie sie den Glimmstängel anzündete und gierig daran zog.

»Schlechte Angewohnheit«, entschuldigte sie sich bei ihrem Chef, bevor er etwas dazu sagen konnte. »Hatte es zwischenzeitlich mal geschafft, bis ...« Hier stockte sie und forderte damit Köhlers Nachfragen sozusagen heraus.

»... bis was? Was hat Sie so verändert? Da muss doch etwas Gravierendes passiert sein.«

»Der Vater ... es war der Tod meines Vaters. Er kam so plötzlich. Papa war ebenfalls Polizist und ...« Wieder stockte sie.

»... und was? Sie müssen darüber sprechen, wenn Sie es überwinden möchten. Ansonsten wird es Sie mit der Zeit fertigmachen. Glauben Sie mir, denn ich kenne mich damit sehr gut aus.«

Erwartungsvoll blickte er sie an und wartete geduldig. Der innere Kampf war sichtbar, den Jana Jäger derzeit mit sich ausfocht. Mit einem Mal gab sie sich einen Ruck, obwohl sie sich nicht erklären konnte, warum sie sich dem noch fremden Mann gegenüber öffnete.

»Es war vor vier Jahren. Papa stand zur normalen Verkehrskontrolle mit einem Kollegen am späten Abend an dem Zubringer von Altötting nach Kastl auf der St2107, als ein betrunkener Audi-Fahrer ihn auf die Haube nahm. Er hatte zuvor mehrere Autos in der Stadt angefahren und sich zugekifft. Mein Papa war zum falschen Augenblick am falschen Ort. Sein Tod war so ... so unnütz. Was hat sich Gott dabei nur gedacht? Ich habe lange darunter gelitten, da die Mama nur wenige Monate zuvor am Krebs gestorben war. Ich brauche das Rauchen ab und zu. Das lenkt mich ab. Gebete allein schaffen es nicht, meine Gedanken davon zu befreien. Jede Nacht sehe ich Papa vor mir. Das ist nicht schön und lässt alles wieder hochkochen.«

»Kann ich auch eine haben, Kollegin?«

»Aber sicher, Chef. Ich dachte nur, dass Sie nicht ...«

»Das erkläre ich Ihnen irgendwann einmal später. Geben Sie schon her.«

In aller Ruhe zündete sich Köhler die angebotene Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lungen. Die Quittung war ein Hustenanfall, der Jäger ein heiteres Glucksen hervorzauberte. Sie schlug ihm auf den Rücken.

»Schon gut, schon gut.« Er drehte sich weg und wechselte, unterbrochen von weiteren Hustenanfällen, das Thema. »Was glauben Sie? Ist das bei Dr. Schwedes pure Arroganz oder will er etwas in der Sache kaschieren? Seine fachliche Kompetenz möchte ich nicht anzweifeln. Dafür praktiziert er schon zu lange. Sie sind länger hier als ich. Werde wohl noch einige Zeit brauchen, bevor ich die Menschen einschätzen kann. Berlin und das Voralpenland sind wohl verschiedene Welten mit unterschiedlichsten Charakteren. Doch erwarte ich trotzdem präzise Zusammenarbeit, wenn es um ein Gewaltverbrechen geht. Also, was denken Sie? Gibt es Gründe, die Ermittlungen anzuzweifeln? Wie hat das mein Vorgänger gesehen, der den Fall vor seinem Ruhestand abgegeben hat?«

Noch ein tiefer Zug, bevor sich Jana durchrang, ihre Einschätzung loszuwerden.

»Ich muss zugeben, dass ich bisher erst ein einziges Mal Dr. Schwedes begegnet bin. Dabei ging es um den Tod einer Suizidantin, die sich aufgeknüpft hatte. Also kein großartiges Ereignis, außer für die Angehörigen. Einer aus der Familie hatte ein Fremdeinwirken vermutet, allerdings ging es dabei mehr um einen Erbschaftsstreit. Nicht schön, das Ganze. Der Doktor hat ausgesagt und die Sache war vom Tisch.«

»Was gibt es über meinen Vorgänger und das Team zu sagen? Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie sollen hier niemanden denunzieren. Doch gab es in der letzten Zeit etwas, was ein wenig aus dem Rahmen fiel?«

»Sie sollten wissen, dass hier in Altötting ein bloßer Auffahrunfall den Titel der Zeitung füllt. Hier wäre eine Zechprellerei Tagesgespräch. Mord und Totschlag gibt es hier nicht. Und was nicht sein darf, gibt es auch nicht. Wissen Sie, was ich damit sagen will?«

»Natürlich, das ist für mich klar. Es fehlt wahrscheinlich auch jegliche Erfahrung, um ein Verbrechen im Ansatz zu erkennen. Tod durch Unfall gefährdet in jedem Fall die Ruhe des Ortes. Als Ihr Vater starb, muss hier anschließend wohl alles kopfgestanden haben.«

»Das haben Sie nett ausgedrückt, Chef. Hier war die Hölle los. Man wollte den Michel, das war der Audi-Fahrer, an Ort und Stelle lynchen. Der musste bis zum Prozess bewacht werden und sein Hof wurde nie verkauft, obwohl er zum Spottpreis angeboten wurde. Der steht noch heute zum Verkauf und wird gemieden wie die Pest. Im nächsten Monat soll der Saukerl freikommen. Habe davon gehört, dass ein Antrag auf vorzeitige Entlassung gestellt wurde. Dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken. Papa bekam eine Bestattung, wobei fast die gesamte Gemeinde zugegen war. Wahnsinn.« Sie stockte einen Moment und sog an dem Glimmstängel, bevor sie ihn endgültig auf dem Boden zertrat. »Hauptkommissar Rosenek, Ihr Vorgänger, ist bekannt als ehrlicher und integrer Mensch. Ich kenne ihn allerdings zu wenig, um meine Meinung über ihn äußern zu können. Fragen Sie ihn doch selbst, denn er wohnt in Töging. Allerdings hörte ich, dass er sich sehr zurückgezogen hat, nachdem ...«

»Was wollen Sie mir sagen?«, hakte Köhler nach, als Jana Jäger stockte. »Ist etwas passiert, von dem ich wissen sollte?«

»Fragen Sie ihn bitte selber. Ich weiß nicht genug über die Sache und könnte das Ganze falsch darstellen.«

Köhler bohrte nicht weiter nach, um zu vermeiden, dass Jana etwas äußerte, was sie später bereuen könnte. Sie fuhren zurück und Köhler nahm sich vor, den Staatsanwalt und den Kollegen aufzusuchen. Die Leichenschau musste unbedingt neu anberaumt werden. Wenn es nötig war, sogar von einem anderen externen Rechtsmediziner. Mit dem aktuellen Ergebnis würde er sich nicht zufriedengeben. Außerdem musste er die einzelnen Opferfamilien durchleuchten und herausfinden, ob es in deren Vergangenheit etwas Besonderes gab oder vielleicht sogar Zusammenhänge bestanden. So viele Tote bei einem schlichten Autounfall mit Überschlag war auffällig, zumal die Verletzungen nicht zum Anlass passten und klar auf eine Gewalttat hinwiesen. Und dann standen mögliche Vertuschungen im Raum, die allerdings noch unbewiesen waren.

4

Carlo entdeckte das vermeintliche Zielhaus zuerst und stolperte darauf zu, vorbei an Ella, die ihn zurückhalten wollte.

---ENDE DER LESEPROBE---