Am Jenseits - Karl May - E-Book

Am Jenseits E-Book

Karl May

4,4

Beschreibung

Auf einer Reise durch die arabische Wüste stoßen Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar auf einen geheimnisvollen blinden Seher, den 'Münedschi', der von seinem verräterischen Begleiter 'El Ghani' dort hilflos zurückgelassen wurde. Gemeinsam macht man sich auf den Weg Richtung Mekka. Wenig später stellt sich heraus, dass der üble 'El Ghani' zudem den Schatz der heiligen Stätten von Meschhed Ali gestohlen hat. Die Freunde erklären sich bereit, dem Schatzwächter Khutab Aga bei der Jagd nach dem Räuber beizustehen. Ein gefährliches Unterfangen, denn dieser schreckt auch vor Mord nicht zurück. Das Buch markiert den Übergang von der romantischen Abenteuererzählung zu Mays Spätwerk. Besonders eindrucksvoll sind die Visionen vom Jüngsten Gericht gestaltet. Die vorliegende Erzählung spielt zu Beginn der 90er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Fortsetzung in Band 50 "In Mekka" (von Franz Kandolf).

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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 25
AM JENSEITS
REISEERZÄHLUNG
VON
KARL MAY
Herausgegeben von Dr. Euchar Albrecht Schmid
© 1951 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1525-3
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL

1. Nach Mekka

„Sihdi[1], es war doch immer wunderschön, wenn wir beide, auf unseren unvergleichlichen Pferden sitzend, von keinem fremden Menschen begleitet, immer hinein in Allahs schöne Welt ritten, wohin es uns gefiel! Diese Welt gehörte uns, denn da wir keinen Begleiter bei uns hatten, konnte niemand sie uns streitig machen. Wir taten, was wir wollten, und hinterließen, was uns nicht gefiel. Wir waren unsere eigenen Herren, denn wenn es jemanden gab, dem wir gehorchen mussten, so bestand dieser Jemand aus zwei Personen, nämlich aus mir und aus dir. Ich bin mir da oft als der Gebieter des ganzen Erdkreises vorgekommen und habe die unersteigbaren Höhen meines Ruhms aus den Tiefen meines Selbstbewusstseins hervorgeholt, um in andachtsvoller Bewunderung an ihnen emporzuklimmen und dann fröhlich wieder hinabzusteigen. Das konnte ich, weil wir allein waren und es also keinen unwillkommenen Störenfried gab, dem es einfallen konnte, ohne meine Erlaubnis und hinter meinem Rücken mit hinauf- und hinunterzuklettern. Ja, das war eine sehr, sehr schöne Zeit, in der wir erlebten, was kein anderer Mensch erlebt, und zwar nur deshalb, weil wir so allein waren und uns nur nach uns selbst zu richten brauchten. Ich sage dir, Sihdi, alle diese Taten und Begebenheiten sind rundum an den Wänden meiner Seele aufgeschrieben und mit unvergänglichen Pflöcken in den Boden meines Gedächtnisses eingeschlagen, wie man Pferde, Kamele und lebhafte Ziegen an Pflöcke bindet, wenn man befürchtet, dass sie über Nacht den ihnen angewiesenen Ort mit einem anderen vertauschen wollen.“

Er machte eine Pause, um nach diesem langen Satz ausgiebig Atem zu holen.

Wer dieser ,Er‘ war? Wer ihn noch nicht an seiner eigenartigen Ausdrucksweise erkannt hat, mag weiter hören. Er fuhr nämlich fort:

„Also ich denke noch mit Wonne an die Zeiten zurück, in denen wir uns nur nach uns selbst zu richten brauchten, denn da habe ich empfunden, dass der Mann der wirkliche Beherrscher seines Daseins ist. Aber ebenso schön und in mancher Beziehung noch schöner ist es doch, wenn man einen Tachtirewân[2] bei sich hat, in dem die holdselige Gebieterin des Frauenzeltes sitzt. Meinst du, dass ich da Recht habe?“

„Ob du da Recht hast, kann doch ich nicht wissen, mein lieber Halef!“, antwortete ich.

„Wie? Das könntest du nicht wissen? Warum denn nicht?“

„Weil in diesem Tachtirewân sich die Gebieterin nicht meines, sondern deines Frauenzeltes befindet und es nur dir, aber nicht mir möglich ist, einen solchen Vergleich zwischen früher und heute anzustellen.“

„Ja, richtig! Um meine Frage beantworten zu können, müsstest du deine Emmeh auch mitgenommen haben. Du kannst deshalb nicht wissen, was für ein großer Unterschied darin liegt, ob man die liebliche Behüterin seines Glücks daheimgelassen oder ob man sie mitgenommen hat. Du hast mir einmal gesagt, wie das heilige Buch der Christen das richtige Verhältnis zwischen Mann und Weib erklärt. Kannst du dich darauf besinnen, Sihdi?“

„Ja.“

„Du sagtest ungefähr: ,Gott schuf den Menschen ihm zum Bild, und zwar ein Männlein und ein Weiblein. Allah hat zweierlei Eigenschaften, nämlich die Eigenschaften der Allmacht, wozu die Ewigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit gehören, und die Eigenschaften der Liebe, die sich auch in seiner Gnade, Langmut, Güte und Barmherzigkeit äußern. Wenn der Mensch, der aus zwei Wesen besteht, ein Bild Gottes zu sein hat, dann soll der Mann ein Bild der göttlichen Allmacht und die Frau ein Bild der göttlichen Liebe sein.‘ Habe ich mir das nicht sehr gut gemerkt?“

„Ziemlich richtig.“

„Wenn auch nur ziemlich, für mich genügt es doch. Seit du mir diese Erklärung gegeben hast, bin ich stets bemüht gewesen, ein Bild von Allahs Allmacht zu sein. Du weißt, wie tapfer und umsichtig ich im Kampf und wie weise, klug und gerecht ich in der Führung meines Stammes bin. Diese eine Seite meines menschlichen Wesens lässt wohl kaum etwas zu wünschen übrig. Und die andere Seite, die dort in der Sänfte sitzt und ihre freundlichen Augen unaufhörlich auf mich richtet, ist auch genauso, wie Allah sie wünscht, nämlich ein Bild der Liebe, die mir jeden Tag zur Wonne und jede Stunde zum Vergnügen macht. Und diese Spenderin des Glücks auch während der Reise bei sich haben zu können, ist eine Seligkeit, die mir auf unseren früheren Ritten leider vorenthalten bleiben musste. Ich habe gesagt, dass es früher schön war, und möchte aber behaupten, dass es jetzt fast noch schöner ist. Verstehst du mich nun?“

„Ja.“

„Hast du denn mit deiner Emmeh noch niemals eine Reise gemacht?“

„O doch.“

„Da hast du wohl auf dem Pferd gesessen und sie im Tachtirewân?“

„Nein. Tachtirewanat gibt’s bei uns nicht.“

„Nicht? So hat sie frei auf dem Kamel gesessen?“

„Auch nicht. Im Abendland reist man nicht mit dem Kamel, sondern in der Karôßa[3] oder in dem Katr[4].“

„Allah! Wer darf im Katr fahren?“

„Jeder, der seinen Teskire[5] bezahlt hat.“

„Auch Frauen?“

„Ja.“

„Aber neben dem Weib eines anderen zu sitzen, das ist doch streng verboten?“

„Nein.“

„Unmöglich! Sihdi, sag aufrichtig, ob du auch schon einmal im Katr neben einer Frau gesessen hast, die in den Harem eines anderen Mannes gehörte!“

„Schon oft! Ich bin nicht nur mit fremden Frauen, sondern sogar mit fremden Töchtern gefahren.“

„Und wie steht es mit deiner Emmeh, der jugendlich schönen Bewohnerin deines Frauenzeltes? Hat die auch schon neben anderen Männern sitzen müssen?“

„Ja.“

„So verderbe Allah eure Eisenbahnen bis in den allertiefsten Abgrund der Hölle hinab! Wenn nicht nur mein Weib, das ich allein besitze, sondern auch alle meine Töchter, die ich glücklicherweise noch nicht habe, es sich gefallen lassen müssen, dass jeder fremde Stadtbewohner und jeder unbekannte Beduine sich im Katr an ihre Seite setzen darf, so mag ich von eurem Abendland kein Wort weiter hören. Sihdi, du weißt, wie sehr ich dich liebe undwiehoch ich dich achte, aber nun ich weiß, dass du neben fremden Frauen und Töchtern gesessen hast, die nicht in deinem Zelt geboren worden sind, und dass du sogar deiner Emmeh erlaubst, mit Männern zu reisen, an die sie kein Akd en Nikâh[6] bindet, nun wird es mir nicht mehr leicht sein, dich als meinen besten Freund, den ich im Herzen trage, mit Anerkennung zu beehren. Die Schienen eurer Eisenbahn haben sich zwischen mich und dich gelegt und unsere Herzen sind einander so entfremdet worden, dass sie durch keinen Wâbûr[7] wieder verbunden werden können. Ich lasse dich allein und gehe zu meiner Hanneh, um in meiner großen Betrübnis Trost bei ihr zu finden.“

Wer meinen lieben kleinen Halef kennt, dem kommt dieses Verhalten nicht fremd vor. Für jene, die noch nichts über ihn gelesen haben, seien folgende kurze Bemerkungen bestimmt:

Hadschi Halef Omar, jetzt der Scheik der Haddedihn vom großen Stamm der Schammar, war früher ein bettelarmes Kerlchen gewesen. Er stammte aus der westlichen Sahara, hatte mich als Diener nach Osten begleitet und war da so glücklich gewesen, die Enkelin des Scheiks Malek der Ateïbeh-Araber zur Frau zu bekommen. Dieser wurde später von den Haddedihn zum Scheik gewählt und bekam, da er keinen Sohn hatte, meinen Halef zum Nachfolger.

Halef war von Person klein und hager, dabei von ungewöhnlicher Tapferkeit und von einem Mut, der sehr gern verwegen wurde und darum von mir oft in die Zügel genommen werden musste. Ein guter Schütze, auch sonst waffengewandt, ausdauernd, körperkräftig, mäßig, ein vortrefflicher Reiter, pfiffig und mutterwitzig, besaß er ein treues, goldenes Herz, in dem keine Spur von Falschheit entdeckt werden konnte. Früher war ich seine einzige Liebe gewesen, später musste ich diese Liebe mit seinem Weib und seinem Sohn teilen, wodurch mir aber kein Verlust entstand. Die Zärtlichkeit, mit der er an Hanneh, seiner Frau, hing, war fast beispiellos zu nennen. Sein erster Gedanke früh und sein letzter abends gehörten ihr. Es war Halef unmöglich, ihren Namen auszusprechen, ohne ihm einige der vorzüglichen Eigenschaften anzuhängen, die sie in seinen Augen besaß. Kara Ben Halef, sein und ihr Sohn, beider einziges Kind, zählte jetzt fast zwanzig Jahre und die Frauen des Orients altern bekanntlich sehr schnell. Dennoch war „Hanneh, die herrlichste Rose unter allen Blüten des Blumenreichs“, für Halef genauso jung und schön geblieben,

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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