Ameisen und Krebse - Christian Gotthelf Salzmann - E-Book

Ameisen und Krebse E-Book

Christian Gotthelf Salzmann

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Beschreibung

Im Krebsbüchlein (1780, 3. Aufl. 1792) kritisierte Salzmann, Pädagoge und Pfarrer, in ungewöhnlicher Form die Erziehungspraxen seiner Zeit, die häufig paradox anmuteten. Das Ameisenbüchlein (1806) versteht sich als Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher.

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Ameisen und Krebse

Christian Gotthilf Salzmann

Inhalt:

Christian Gotthilf Salzmann – Biografie und Bibliografie

Ameisenbüchlein

Noch etwas über die Erziehung nebst Ankündigung einer Erziehungsanstalt

Aus dem Vorbericht

Aus dem Symbolum

Was ist Erziehung?

Was muß ein Erzieher lernen?

Plan zur Erziehung der Erzieher

1. Sei gesund!

2. Sei immer heiter!

3. Lerne mit Kindern sprechen und umgehen!

4. Lerne mit Kindern dich beschäftigen!

5. Bemühe dich, dir deutliche Kenntnisse der Erzeugnisse der Natur zu erwerben!

6. Lerne die Erzeugnisse des menschlichen Fleißes kennen!

7. Lerne deine Hände brauchen!

8. Gewöhne dich, mit deiner Zeit sparsam umzugehen!

9. Suche mit einer Familie oder einer Erziehungsgesellschaft in Verbindung zu kommen, deren Kinder oder Pflegesöhne sich durch einen hohen Grad von Gesundheit auszeichnen!

10. Suche dir eine Fertigkeit zu erwerben, die Kinder zur innigen Überzeugung von ihren Pflichten zu bringen!

11. Handle immer so, wie du wünschest, daß deine Zöglinge handeln sollen!

Schlußermahnung

Noch etwas über die Erziehung nebst Ankündigung einer Erziehungsanstalt

1. Verführung.

2. Langeweile.

I. Beschaffenheit der Zöglinge, die ich annehme

II. Die körperliche Verpflegung

III. Geistesübungen

Anhang

Krebsbüchlein. Der erste Teil

Vorwort

I. Das Leben Salzmanns

II. Als Pfarrer in Rohrborn und Erfurt

III. Salzmann am Philanthropin in Dessau

IV. In Schnepfenthal

Gemeinschaftsleben im Schnepfenthal

Entwicklung der Anstalt

V. Weitere Schriftstellerische Tätigkeit Salzmanns – Konrad Kiefer, der "Deutsche Emil."

Aus Kapitel 32: Reform der Volksschule – Die Schule in Kiefers Heimatdorfe wird mit Zustimmung der Eltern verbessert.

Aus Kapitel 40: Fortbildung der schulentlassenen Jugend.

VI. Lebensabend Salzmanns – Würdigung seiner Persönlichkeit und seines Werkes

Würdigung

Vorrede

Mittel, sich bei den Kindern verhaßt zu machen.

I.

II.

Mittel, sich bei den Kindern verächtlich zu machen

I.

II.

Mittel, Kindern frühzeitig Haß und Neid gegen ihre Geschwister einzuflößen

I.

II.

III.

Mittel, bei den Kindern die Menschenliebe zu ersticken

Mittel, Kindern die Grausamkeit zu lehren

Mittel, die Kinder rachgierig machen

I.

II.

Mittel, Kindern Schadenfreude beizubringen

Mittel, Kindern Abneigung gegen Fremde Religionsverwandte einzuflößen

I.

Mittel, die Kinder gegen die Schönheiten der Natur unempfindlich zu machen

I.

Mittel, wie man Kindern lehren kann, Gespenster zu sehen

Mittel, Kindern Furcht vor Gewittern beizubringen

Mittel, den Kindern die Religion verhaßt zu machen.

I.

II.

III.

Mittel, Kindern das Lügen zu lehren

I.

II.

III.

IV.

Mittel, Kinder fein frühzeitig an Verleumdung zu gewöhnen

Mittel, Kinder verdrießlich und mit ihrem Zustande mißvergnügt zu machen

I.

II.

Mittel, die Kinder für die Welt unbrauchbar und ihr Leben freudlos zu machen

Mittel, Kinder naschhaftig zu machen

I.

II.

III.

Mittel, die Kinder zum Guten verdrossen zu machen

Mittel, Kinder dumm zu machen

I.

Mittel, Kindern die Unordnung zu lehren

Mittel, Kindern den Geiz beizubringen

Mittel, Kinder gegen gute Lehren unempfindlich zu machen

Noch ein Universalmittel, den Kindern allerlei Untugenden beizubringen

I.

Allgemeine Mittel, die Kinder um Gesundheit und Leben zu bringen

I.

II.

III.

IV.

Ameisen und Krebse, Christian Gotthilf Salzmann

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849634575

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Christian Gotthilf Salzmann – Biografie und Bibliografie

Philanthropischer Pädagoge, geb. 1. Juni 1744 in Rohrborn bei Sömmerda, gest. 31. Okt. 1811 in Schnepfenthal, studierte in Jena Theologie, ward 1768 Pfarrer in Rohrborn bei Sömmerda, 1772 Diakonus und bald darauf Pastor an der Andreaskirche in Erfurt. Angeregt durch Rousseau und Basedow, trat er als pädagogischer Schriftsteller auf und folgte 1781 einem Rufe als Religionslehrer und Liturg an das Philanthropin nach Dessau, wo er seinen pädagogischen Roman »Karl von Karlsberg, oder über das menschliche Elend« (Leipz. 1780–86, 6 Bde.) vollendete. 1784 gründete er auf dem von ihm erkauften Landgut Schnepfenthal im Gothaischen eine Erziehungsanstalt, die bald zu glänzender Blüte gelangte und noch heute besteht. Seine trefflichen Erziehungs- und Jugendschriften erschienen gesammelt Stuttgart 1845 bis 1846, 12 Bde., neuerdings herausgegeben von Wagner in den »Klassikern der Pädagogik« (4. Aufl., Langensalza 1900, 2 Bde.) und von Ackermann in der »Bibliothek pädagogischer Klassiker« (2. Aufl., das. 1897–1901, 2 Bde.); einzelnes daraus (Ameisenbüchlein, Krebsbüchlein, Konrad Kiefer etc.) öfter. In Sömmerda wurde ihm 1894 ein Denkmal errichtet. Vgl. Ausfeld, Erinnerungen aus Salzmanns Leben (Schnepfenthal 1813; neue Ausg., Leipz. 1884); Kreyenberg, Gotthilf S. (2. Aufl., Frankf. 1896); Schreiber, Über die religiöse und ethische Anschauung Salzmanns (Kaiserslautern 1898); Pinloche, Geschichte des Philanthropinismus (deutsche Bearbeitung, Leipz. 1896); Schmid, Geschichte der Erziehung, 4. Bd., 2. Teil (Stuttg. 1898) und die »Festschrift zur hundertjährigen Jubelfeier der Erziehungsanstalt Schnepfenthal« (Leipz. 1884).

Ameisenbüchlein

oder Anweisung zu einer vernünftigen Erziehung der Erzieher

Noch etwas über die Erziehung nebst Ankündigung einer Erziehungsanstalt

An Hermann.

So nenne ich dich, lieber junger Mann, der du in deiner Brust ein Streben fühlst, durch Tätigkeit für Menschenwohl dich in der Welt auszuzeichnen.

Gib mir die Hand! Wenn du nicht vorzügliche Talente und entschiedene Neigung zu einem anderen Geschäfte in dir fühlst – so widme dich der Erziehung!

Diese schafft dir Gelegenheit, für Menschenwohl recht tätig zu sein. Wer Moraste austrocknet, Heerstraßen anlegt, Tausenden Gelegenheit verschafft, sich ihre Bedürfnisse zu verschaffen, Gärten pflanzt, Krankenhäuser stiftet, wirkt auch für Menschenwohl, aber nicht so unmittelbar und durchgreifend als der Erzieher. Jener verbessert den Zustand der Menschen, dieser veredelt den Menschen selbst. Und ist der Mensch erst veredelt, so geht aus ihm die Verbesserung von selbst hervor, und der Zögling, dessen Veredelung dir gelungen ist, hat Anlage, auf dem Platze, wohin ihn die Vorsehung stellt, den Zustand von Tausenden seiner Brüder angenehmer und behaglicher zu machen.

In keiner Klasse von Menschen findest du so viel Empfänglichkeit für alles Gute, als bei Kindern. Ihr Herz ist die wahre Jungfernerde, in welcher jedes Samenkorn schnell Wurzel schlägt und emporwächst; es ist ein Wachs, das sich willig in jede Form schmiegt, in die du es drückst. Das Herz der Erwachsenen gleicht einem Lande, das schon mit Gewächsen besetzt ist, die darin tiefe Wurzeln schlugen, und die erst mit vieler, oft vergeblicher Mühe ausgerottet werden müssen, wenn der Same, den du in dasselbe werfen willst, gedeihen soll; einem Marmor, der mit großer Behutsamkeit bearbeitet sein will, und in dem man, nach langer müheseliger Arbeit, oft auf eine Ader stößt, die alle fernere Arbeit zwecklos macht. Wenn du die Erziehungskunst wirklich gründlich erlernst und mit Gewissenhaftigkeit ausübst, so verschaffst du dir gewiß die Seligkeit, einst Männer, durch dich gebildete Männer, zu sehen, die mit Kraft und Nachdruck für alles Gute tätig sind.

Wende mir nicht ein, das Erziehungsgeschäft wäre so mühsam. Wo ist denn ein gemeinnütziges Geschäft, das nicht mühsam wäre? Und wenn es ein solches, wie z.B. das Zerlegen einer Pastete, gäbe, wolltest du dich wohl demselben widmen? Aber glaube mir, das Erziehungsgeschäft ist nicht so mühsam, als du denkst. Erzieher, die die Erziehung nicht verstanden, haben es in einen üblen Ruf gebracht. Merke nur auf die Winke, die dir in diesem Buche gegeben werden, und befolge sie, so wirst du bei der Erziehung zwar Mühe, aber fast immer solche finden, die durch einen baldigen glücklichen Erfolg belohnt wird, und deswegen kaum den Namen der Mühe verdient. Und diese kleine Mühe – durch wie mannigfaltige Freude wird sie versüßt werden! Sieh, was für ein harmloses, fröhliches Völklein die Leutchen sind, in deren Kreise der Erzieher wirkt!

Wird, wenn du ein wirklicher Erzieher wirst und dich zu ihnen herabstimmen lernst, ihre beständige Fröhlichkeit nicht einen wohltätigen Einfluß auf dich haben?

Die Erfahrung lehrt, daß Männer, die in der jugendlichen Atmosphäre leben und weben, gemeiniglich alt werden, unterdessen daß von denjenigen ihrer Jugendfreunde, die in dem Dunstkreise der Erwachsenen arbeiteten, einer nach dem anderen dahinwelkt.

Man hat diese unleugbare Erscheinung oft den jugendlichen Ausdünstungen zugeschrieben, die solche Männer einatmen und damit ihre zäh werdende Blutmasse verdünnen. Ob es wahr sei, kann ich nicht entscheiden, da mir hierzu die nötigen ärztlichen Kenntnisse fehlen. Sicher trägt aber die beständige Munterkeit und Fröhlichkeit der Jugend das Ihrige dazu bei, wenn man ihr nur nicht durch Eigensinn und üble Laune entgegenarbeitet. Will man sich in den Lehnstuhl setzen, um des Marasmus Ankunft ruhig abzuwarten, so kommt ein munterer Knabe gehüpft, bittet, einen seiner jugendlichen Wünsche zu befriedigen, und reizt uns, den Lehnstuhl zu verlassen. Dort beginnen einige frohe Knaben ein munteres Spiel, das auch uns zum Frohsinn stimmt. Nun ruft uns die Glocke in das Lehrzimmer, wo man, soll anders der Unterricht einen guten Erfolg haben, der üblen Laune entsagen und zum Frohsinn sich stimmen muß. So verjüngt der Erzieher, der seiner Bestimmung gemäß lebt, sich täglich und hält das Alter mit seinen mannigfaltigen Beschwerden von sich entfernt.

Die Erziehung, denkst du vielleicht, wird aber so schlecht belohnt.

Das glaubst du wirklich? Mir deucht, kein Geschäft ist belohnender als dieses. Sind denn Frohsinn, Gesundheit und heiteres Alter, die gewöhnlich dem wahren Erzieher zuteil werden, eine Kleinigkeit?

Nächstdem kann er noch auf eine andere Belohnung rechnen, dies ist – die eigene Veredelung. Der Erzieher, der sein Geschäft nicht als Broterwerb treibt, dem die Veredelung seiner Pflegebefohlenen Hauptzweck ist, muß schlechterdings ein guter, edler Mensch werden. Wie? er sollte stets die Pflicht mit Wärme empfehlen können, ohne über dieselbe täglich nachzudenken und ihren Wert zu fühlen? ohne sich selbst als Muster der Pflichterfüllung darzustellen? Er sollte unter jungen Leuten leben können, deren scharfes Auge jeden Fehler bemerkt, deren Freimütigkeit jeden Fehler bemerkbar macht, ohne dieselben abzulegen? Das so wahre Sprichwort: docendo discimus ist auch in moralischer Hinsicht wahr. Wenn wir uns ernstlich bestreben, unsere Pflegebefohlenen zu veredeln, werden wir selbst veredelt.

Und nun, mein guter Hermann! wenn du bei dem Erziehungsgeschäfte gesund und froh wirst, wenn dabei dein innerer Mensch gedeihet und immer mehr edlen Sinn bekommt, bist du nicht belohnt genug? Gesetzt, du müßtest deine Tage in niedriger Dürftigkeit verleben, bist du nicht belohnt genug? Oder wolltest du wohl dies alles dahingehen, um eine glänzende Rolle zu spielen? wolltest lieber an einer reichlich besetzten Tafel krank als bei einer einfachen Mahlzeit mit gutem Appetite sitzen, wolltest lieber Jubel um dich und in dir Gram als in dir Frohsinn und um dich Stille haben? wolltest lieber einem Schwarm feiler Seelen befehlen, als dich selbst beherrschen? Nun, so triff den Tausch, aber – mein Hermann bist du nicht – dir ist dies Buch nicht geweihet.

An dich wende ich mich, der du den Wert dieser großen Belohnung fühlen kannst. Erlangtest du auch keine als diese, so wirst du jede andere entbehren können. Aber gewiß, wenn du dich bestrebst, kein mittelmäßiger, sondern ein ausgezeichneter Erzieher zu werden, wird dir auch andere Belohnung nicht fehlen. Die Zeiten sind vorbei, da das Erziehungsgeschäft verächtlich war. Die Familien werden immer zahlreicher, denen ein guter Erzieher das höchste Bedürfnis ist, die sich denselben um jeden Preis zu verschaffen suchen; die ihn nicht als ersten Bedienten, sondern als ersten Freund des Hauses betrachten.

Aus dem Vorbericht

Der Inhalt dieses Buches scheint mir so wichtig, daß ich wünsche, es möchte von allen, die erziehen oder erziehen lassen, gelesen und beherzigt werden. Gleichwohl ist zu besorgen, daß es unter der Flut von Schriften, mit welchen Deutschland in jeder Messe überschwemmt wird, nicht möchte bemerkt werden, wenn es nicht eine Auszeichnung bekommt, die in die Augen fällt und es unter den Tausenden, von welchen es umgeben ist, bemerkbar macht. Was ist hierzu aber wohl schicklicher als der Titel? Ein anderer würde dazu vielleicht einen griechischen oder französischen Namen oder den Namen einer Gottheit oder eines Weisen des Altertums gewählt haben; mir aber gefiel der Titel: Ameisenbüchlein.

Was den Inhalt betrifft, so scheint er mir von großer Wichtigkeit zu sein. Wir haben einen Überfluß von Büchern, die Anweisung zur Erziehung der Bänder enthalten, aber an Anweisungen zur Erziehung der Erzieher scheint mir noch Mangel zu sein. Was helfen aber jene, wenn diese nicht da sind? Wozu nützen alle Theorien, wenn die Leute fehlen, die sie ausführen können? Die Revision des Schul- und Erziehungswesens stellt gute Theorien auf, wo sind sie aber ausgeführt worden? Statt darauf zu denken, das Wahre und Gute, was wir von der Erziehung bereits wissen, in Ausübung zu bringen, fährt man fort, neue Theorien aufzustellen, denen so gut wie jenen die Ausführung fehlen wird. Wir gleichen theoretischen Baumeistern, die die Ideale zu den vollkommensten Gebäuden mit der Reißfeder entwerfen können, die aber immer nur Risse bleiben, mit denen man etwa die Wände bekleiden kann, da ihren Verfertigern die Geschicklichkeit fehlt, das Entworfene zur Wirklichkeit zu bringen.

Ach, gebt uns gute Erzieher! gebt uns Leute, die die Neigung, Geschicklichkeit und Fertigkeit haben, Kinder vernünftig zu behandeln, sich die Liebe und das Zutrauen derselben zu erwerben, die Kräfte zu wecken, ihre Neigungen zu lenken und durch ihre Lehre und ihr Beispiel die jungen Menschen zu dem zu machen, was sie ihren Anlagen und ihrer Bestimmung nach sein können und sein sollen.

Was ist z. B. vernünftiger, als die Forderungen der Erzieher, die Kinder mehr durch Vorstellungen als durch Belohnungen und Strafen zu lenken? Allein zu dem Lenken der Kinder durch Vorstellungen gehört eine ganz eigene Geschicklichkeit. Derjenige, dem sie fehlt, kann den Kindern sehr viel Vernünftiges und Gutes sagen, das sich recht gut lesen läßt, und wird damit doch nichts ausrichten, unterdessen, daß ein anderer, der die Erziehung versteht, mit weit weniger Worten zu seinem Zwecke kommt.

Es ist unter den Erziehern allgemein angenommen worden, daß zur Erziehung auch eine gewisse Abhärtung des Körpers gehörte; wenn der Erzieher aber selbst weichlich ist, wie will er andere abhärten? usw.

Auch werde ich wenig oder gar nicht dessen Erwähnung tun, was andere Erzieher geleistet haben. Dies rührt keineswegs von der Geringschätzung anderer her, sondern ist bloß eine Folge meiner Eigenschaft. Ich habe wenig gelesen, desto mehr gedacht, beobachtet und gehandelt. Will man dies als Unvollkommenheit ansehen, so mag man es; soviel ist aber doch gewiß, daß es einem Manne, der die Arbeiten anderer nicht hinlänglich kennt, nicht geziemt, darüber zu urteilen.

Besonders auffallend wird man es finden, daß ich der Pestalozzischen Lehrart, die die Augen von Europa auf sich gezogen hat, nicht oft Erwähnung tue.

Es geschieht dies aus eben diesem Grunde. Soviel ich in einem flüchtigen Blicke von der Lehrart dieses verdienten Mannes gefaßt habe, scheint es mir, als wenn wir in der Hauptsache miteinander übereinstimmten und nur im Ausdrucke voneinander verschieden wären. Manches aber, das mir bei ihm neu war, habe ich angenommen und benutze es mit Dank.

Dahin gehören seine Linearzeichnungen, die Übungen des Gedächtnisses, die Rechenmethode und das laute Aussprechen von mehreren Schülern zugleich.

Schnepfenthal, im Oktober 1805C. H. Salzmann

Aus dem Symbolum

Mein Symbolum ist kurz und lautet folgendermaßen: Von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge muß der Erzieher den Grund in sich selbst suchen.

Dies ist eine harte Rede, werden viele denken; sie ist aber wirklich nicht so hart, als sie es bei dem ersten Anblicke scheint. Man verstehe sie nur recht, so wird die scheinbare Härte sich bald verlieren.

Meine Meinung ist gar nicht, als wenn der Grund von allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge in dem Erzieher wirklich läge; sondern ich will nur, daß er ihn in sich suchen soll.

Sobald er Kraft und Unparteilichkeit genug fühlt, dieses zu tun, ist er auf dem Wege, ein guter Erzieher zu werden. Es liegt freilich in der Natur des Menschen, den Grund von allen Unannehmlichkeiten, ja von seinen eigenen Fehltritten außer sich zu suchen.

Ich setze es als bekannt voraus, daß der Grund von den Fehlern der Zöglinge wirklich oft in den Erziehern liege. Wäre dies nicht, müßte man die Ursache derselben schlechterdings allemal den Kindern oder der Lage zuschreiben, in welcher sich die Erzieher befinden, so wäre es freilich eine ungerechte und törichte Forderung, dem Erzieher zuzumuten, sie in sich selbst zu suchen. Welcher vernünftige Erzieher wird dies aber wohl glauben? Bist du nun überzeugt, daß der Grund von den Fehlern der Zöglinge wirklich oft in den Erziehern liege, so wünsche ich, dir es glaublich zu machen, daß dies auch bei dir oft der Fall sei, der du es liesest.

Hast du nicht vielleicht bemerke, daß die Zöglinge, die gegen dich unfolgsam sind, anderen willig gehorchen? oder daß die nämlichen Zöglinge, die bei deinem Vortrage flatterhaft sind und nichts lernen, wenn sie in die Lehrstunden anderer kommen, Aufmerksamkeit zeigen und gute Fortschritte machen?

Solltest du diese Bemerkung wirklich gemacht haben, so täusche dich nicht, sei aufrichtig gegen dich selbst und gestehe dir ein, daß du selbst an dem schuld sein kannst, was du an deinen Zöglingen tadelst. Sage nicht, ich bin mir doch bewußt, daß ich meine Pflichten redlich erfülle. Dies kann wohl sein, aber vielleicht verstehst du noch nicht recht, die Kinder zu behandeln.

Vielleicht hast du in deinem Betragen etwas Zurückstoßendes, das die Kinder mißtrauisch und abgeneigt macht. Vielleicht fehlt dir die Lehrgabe. Du bist zu schläfrig oder dein Vortrag ist zu trocken und zu abstrakt. Hast du ferner nicht wahrgenommen, daß die nämlichen Zöglinge, die zu gewissen Zeiten auf deinen Vortrag merken und deine Winke befolgen, zu anderen Zeiten flatterhaft und unfolgsam sind? Kann dich dies nicht auch belehren, daß der Grund von ihren Fehlern in dir zu suchen sei? Ich begreife nicht, antwortest du, wie dies daraus folge. Bin ich nicht der nämliche, der ich gestern war? Wenn meine Zöglinge nun nicht die nämlichen mehr sind, muß der Grund von diesen Veränderungen nicht in ihnen liegen?

Es kann sein. Ehe du dies aber annimmst, so untersuche nur erst, ob du wirklich noch der nämliche seiest, der du gestern wärest. Gar oft wirst du finden, daß du ein ganz anderer Mann geworden bist. Vielleicht leidest du an Unverdaulichkeit oder hast dir durch Erkältung den Schnupfen zugezogen, oder ein unangenehmer Vorfall hat deine Seele verstimmt, oder du hast etwas gelesen, was dich noch beschäftigt und hindert, deine ganze Aufmerksamkeit auf dein Geschäft zu wenden usw. Ein einziger von diesen Zufällen kann dich zu einem ganz anderen Manne gemacht haben. Gestern tratest du mit heiterer Seele und feurigem Blicke unter deine Kleinen; dein Vortrag war lebhaft, mit Scherz gewürzt, deine Erinnerungen waren sanft und liebevoll, die Lebhaftigkeit deiner Zöglinge machte dir Freude. Und heute? Ach, du bist der Mann nicht mehr, der du gestern warst. Deine Seele ist trübe, dein Blick finster und zurückstoßend, deine Erinnerungen sind herbe, jeder jugendliche Mutwille reizt dich zum Zorne. Hast du dies nicht zuweilen an dir wahrgenommen? Nun, so sei aufrichtig und gestehe dir, daß der Grund, warum deine Zöglinge heute nicht so gut sind, als sie gestern waren, in dir liege.

Ein durch die Eigenliebe geblendeter Mensch, der schlechterdings nicht Unrecht haben will, der eher alle seine Zöglinge für Dummköpfe und Bösewichte erklärt, als daß er an seine Brust schlüge und sich eingestünde, daß er gefehlt habe; er ist – zur Erziehung unfähig.

Zugestanden, daß dein Zögling Fehler hatte, ehe du ihn bekamest. Warum hat er sie noch? Du bekamst z. B. deinen Zögling als ein schwächliches Kind, mit dem wenig anzufangen war, warum ist er denn noch nicht stärker? Hast du nicht von schwächlichen Kindern gehört, die durch eine vernünftige Behandlung gestärkt wurden? Kennst du die Mittel, schwächliche Kinder zu stärken? Hast du davon Gebrauch gemacht? Dein Zögling ist zuvor verzogen worden – er ist eigensinnig, widerspenstig, lügenhaft; warum ist er dies aber noch, nachdem er so lange unter deiner Leitung war? Hast du ihn auch die Folgen seines Eigensinns fühlen lassen, um ihn dadurch zum Nachdenken zu bringen? Hast du es ihm gehörig fühlbar gemacht, daß du ein Mann, er ein Kind ist, daß du ihm an Kraft, Erfahrungen und Einsichten überlegen bist und ihn so zur Überzeugung zu bringen gesucht, daß er von dir abhänge und deine Vorschriften befolgen müsse? Hast du dir auch immer die gehörige Mühe gegeben, zu untersuchen, ob das, was er dir sagte, wahr sei, und ihn durch Aufdeckung seiner Lügen zu beschämen? Du erzählst, wie du deine Zöglinge behandelst, welche Ermahnungen du ihnen gibst, durch welche Vorstellungen du sie zu leiten suchst, und klagst, daß du mit alledem doch nichts ausrichtetest. Dies kann wohl sein; es kann auch sein, daß ich an der Vorstellung deiner Behandlungsart gar nichts auszusetzen finde; sollte ich dich aber handeln sehen, so würde ich vielleicht doch bemerken, daß die Ursache von dem schlechten Erfolge deiner Bemühungen in dir liege.

Es ist nicht genug, daß man etwas Gutes sagt und vernünftig handelt, sondern es kommt auch noch darauf an, wie man spricht und wie man handelt. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Der Ton, in dem man mit jungen Leuten spricht, ist von großer Wichtigkeit. Sie sind geneigt, mehr durch das Gefühl als durch die Vernunft sich leiten zu lassen. Wer also den rechten Ton treffen kann, der der jugendlichen Natur am angemessensten ist und auf sie den meisten Eindruck macht, der richtet bei ihr mit wenigen Worten weit mehr aus als ein anderer, der sich nicht in den rechten Ton stimmen kann, mit einer langen Rede.

So ist der Ton, in welchem manche Erzieher mit ihren Zöglingen, zumal wenn diese von vornehmer Herkunft sind, sprechen, zu schüchtern, zu blöde, es fehlt ihnen das Durchgreifende. So wie nun das Roß an dem Beben der Schenkel seines Reiters bald die Furchtsamkeit desselben merkt und ihm den Gehorsam versagt, so fühlen junge Leute an dem schüchternen Ton, in welchem der Erzieher mit ihnen spricht, bald, daß er ihnen nicht gewachsen sei, und achten nicht viel auf ihn.

Bei anderen Erziehern ist der Ton, in welchem sie reden, zu trocken, zu einförmig. Wenn man sie höret, so sollte man glauben, sie läsen ihre Ermahnungen aus einem Buche ab.

Solche Ermahnungen fruchten auch nichts. Man kann von Kindern nicht erwarten, daß sie auf einen zusammenhängenden Vortrag viel merken, den Sinn desselben fassen und darüber nachdenken sollen. Der Ton, die Mienen, der ganze Anstand des Redners muß ihnen den Inhalt der Rede begreiflich machen, sonst wirkt sie wenig. Endlich ist der Ton mancher Erzieher zu gebieterisch, jede Ermahnung, jede Erinnerung hat die Form eines despotischen Befehls.

Was wird die Wirkung davon sein? Abneigung und Widerspenstigkeit. Der zur Freiheit bestimmte Mensch fühlt eine natürliche Abneigung gegen jede harte, willkürliche Behandlung, und man kann es ihm nicht zur Last legen, wenn er sie gegen seinen despotischen Erzieher äußert.

Nun sollte ich noch von dem Korporalstone sprechen, den manche Erzieher sich angewöhnt haben, die ihren Ermahnungen und Vorschriften durch Rippenstöße und Stockschläge Nachdruck zu geben suchen. Da aber dagegen schon so viel gesagt worden und die Unschicklichkeit desselben allgemein anerkannt ist, so halte ich es für überflüssig, davon weiter Erwähnung zu tun. Unterdessen rate ich jedem jungen Manne, der die Jugend nicht anders als mit Rippenstößen und Schlägen zu lenken weiß, daß er der Erziehung gänzlich entsage, weil er dabei doch nicht froh werden und nichts Gutes wirken wird. Er bemühe sich, eine Korporalstelle oder die Stelle eines Zuchtmeisters zu erhalten, da wird er auf seinem Platze sein.

Das bisher Gesagte wird hinreichend beweisen, daß viele Erzieher sich deswegen die Ursache von den Fehlern ihrer Zöglinge beizumessen haben, weil ihnen die Geschicklichkeit fehlt, ihnen dieselben abzugewöhnen.

Oft lehren sie ihnen aber auch wirklich dieselben.

Nun werden die meisten Leser denken, dies ist bei mir der Fall nicht, ich lehre meinen Zöglingen ihre Pflichten und suche sie durch meine Ermahnungen zu guten und tätigen Menschen zu bilden. Ich glaube es gern. Ich nehme es als bekannt an, daß unter meinen Lesern keiner sei, der seine Zöglinge zur Trägheit, Lügenhaftigkeit, Unverträglichkeit und anderen Untugenden ermahne. Daraus folgt aber noch nicht, daß sie diese Untugenden nicht lehrten. Kann man die Untugend nicht durch sein Exempel lehren? Wirkt dies nicht stärker auf die Jugend als Ermahnung? Du empfiehlst z.B. den Fleiß und bist doch selbst träge, gehst mit Verdrossenheit an deine Geschäfte, klagst über deine vielen Arbeiten, äußerst oft den Wunsch, von deinen Geschäften befreit zu werden; du ermahnst sie zur Wahrheitsliebe und lügst doch selbst; sagst, daß du einen Freund besuchen wollest, und schleichst dich in das Wirtshaus zum Spieltische, setzest deine Lehrstunden unter dem Vorgeben aus, daß du krank wärest, und bist doch nicht krank; forderst von deinen Zöglingen Verträglichkeit und zankst doch immer mit den Personen, die mit dir in Verbindung stehen. Du kommst mir vor wie ein Sprachlehrer, der die Theorie der Sprache recht gut vorzutragen weiß, aber sie selbst fehlerhaft spricht und schreibt. Wenn seine Schüler ein Gleiches tun, kann man denn nicht von ihm sagen, daß er sie die Fehler gegen die Sprachregeln gelehrt habe? Kann man ferner nicht auch Fehler und Untugenden durch die Behandlungsart lehren?

Ich glaube es allerdings. Wenn du z.B. jeden Mutwillen, jede Unbesonnenheit, jedes Versehen deines Zöglings strenge ahndest, was hast du ihn gelehrt? Die Lügenhaftigkeit. Seiner jugendlichen Natur ist es nun einmal notwendig, bisweilen mutwillig zu sein, unbesonnen zu handeln, dies und jenes zu versehen; weiß er nun, daß du dies alles strenge ahndest, was wird er tun? Er wird seine Fehltritte vor dir zu verbergen suchen, ableugnen, ein Lügner werden. Mißbrauchst du das Zutrauen, das dir dein Zögling beweist, plauderst du die Geständnisse aus, die er dir als seinem Freunde tut, hältst sie ihm wohl gar öffentlich vor und beschämst ihn deswegen – was lehrst du ihn? Verschlossenheit. Kannst du im Ernste verlangen, daß dieser junge Mensch dir seine Geheimnisse anvertrauen soll, da du sie nicht zu bewahren weißt? Daß er Offenherzigkeit gegen dich zeigen soll, wenn du sie ihm zum Verbrechen machst? Nur der Einfältige, der Schwachkopf wird dies tun; der Knabe, der sich fühlt und die Unregelmäßigkeit deines Benehmens beurteilen kann, wird dir sein Zutrauen entziehen und es Personen schenken, bei denen seine Geheimnisse besser aufgehoben sind.

Wenn du den Tätigkeitstrieb deiner Zöglinge nicht zu befriedigen suchst; wenn du, um sie zu beschäftigen, ihnen nichts in die Hände gibst als Bücher und Federn, was lehrst du sie? Eine ganze Reihe von Untugenden, deren ausführliches Verzeichnis ich hier niederzuschreiben nicht geneigt bin. Der Tätigkeitstrieb ist nun einmal da und ist ein wohltätiges Geschenk des Schöpfers, ist die Stahlfeder, die er in die junge Maschine gesetzt hat. Bücher und Federn vermögen ihn nicht zu befriedigen; denn zum Gebrauche derselben gehört Nachdenken, welches ein Geschäft der Vernunft ist, die bei den Knaben noch in der Entwicklung steht; und wenn auch gleich Bücher und Federn in vielen Fällen ohne Nachdenken können gebraucht werden, so ist doch der beständige Gebrauch derselben zu einförmig, als daß er Knaben, die Abwechslung lieben, angemessen sein sollte. Folglich haben Knaben, die man an die Bücher und den Schreibtisch fesselt, Langeweile. Gelingt es nun bei einigen, daß sie sich daran gewöhnen, so ist der Tätigkeitstrieb erstickt, sie werden faul und träge; gelingt dies, welches bei den meisten der Fall zu sein pflegt, nicht, so bricht der gehemmte Tätigkeitstrieb durch und verfällt auf Ausschweifungen, wovon die heimlichen Sünden gemeiniglich die ersten zu sein pflegen. Wer hat sie diese gelehrt? Der Erzieher.

Der Erzieher macht sich drittens auch der Fehler und Untugenden seiner Zöglinge dadurch schuldig, daß er ihnen dieselben andichtet. Wenn man die Schilderung hört, die manche Erzieher von ihren Zöglingen machen, so möchte man sich entsetzen und alle Lust verlieren, sich dem so wohltätigen Geschäfte der Erziehung zu widmen. Da ist nicht der geringste Trieb, etwas Nützliches zu tun, unausstehliche Trägheit, Unbesonnenheit, Unverträglichkeit, Tücke, Bosheit, es ist eine Schar roher, ungeschlachter Buben, bei denen nichts ausgerichtet werden kann.

Der gebildete Erzieher lächelt dabei, weil er wahrnimmt, daß diese Untugenden größtenteils in dem Gehirne des Erziehers sitzen, der das für Untugenden erklärt, was doch notwendige Eigenschaften der Kindheit sind.

Was würde man von einem Vater halten, der sein dreiwöchiges Kind unreinlich schelten wollte, weil es die Windeln verunreinigt; oder von einem Gärtner, der darüber im Frühlinge Klage führte, daß er auf allen seinen Kirschbäumen nicht eine einzige Frucht, lauter Blüten fände? Würden wir sie nicht mitleidig belächeln?

Viele Erzieher handeln aber nicht vernünftiger. Sie machen es ihren Zöglingen zum Verbrechen, wenn sie so handeln, wie die kindliche Natur zu handeln pflegt und handeln muß, und fordern von ihnen ein Betragen, das nur die Wirkung der gebildeten Vernunft, die bei ihnen noch klein ist, sein kann; sie suchen Früchte zur Zeit der Baumblüte.

Wer die Eigenheiten der kindlichen Natur in die Klasse der Untugenden setzt, wieviel wird dieser nicht zu klagen haben!

Oft werden die Erzieher auch dadurch die Schöpfer der Untugenden ihrer Zöglinge, daß sie eine willkürliche Regel annehmen, nach welcher sich die jungen Leute richten sollen, und jede Abweichung von derselben ihnen als Untugend anrechnen. Wenn die Regel nun albern und widernatürlich ist und die jungen Lernte dies fühlen, so werden sie auch keine Neigung haben, sie zu befolgen, jeden Augenblick davon abweichen und so als Übertreter in des Erziehers Augen erscheinen.

Dies begegnet besonders den stolzen Erziehern, die sich für unfehlbar halten, ihre Zöglinge als Sklaven betrachten, die ihnen blinden Gehorsam schuldig wären, bei allen ihren Handlungen auf sie Rücksicht nehmen und bei jeder Gelegenheit die strengste Unterwürfigkeit gegen sie beweisen müßten. Ein solcher Erzieher duldet keine Einwendung, keinen Widerspruch, dies wäre Beleidigung, Mangel an Hochachtung. Wenn er sich zeigt, soll alles Spiel ruhen, tiefes Stillschweigen erfolgen, alles in einer ehrfurchtsvollen Stellung vor ihm stehen.

Der freimütige, unbefangene Knabe, der keine Verstellung gelernt hat und geneigt ist, sich an jeden, den er für gut hält, anzuschmiegen, wird diese Forderungen unerträglich finden. Furcht vor Mißhandlungen wird ihn vielleicht bewegen, sich einige Augenblicke nach den unbilligen Forderungen seines Zuchtmeisters zu richten; bald wird er sich aber vergessen, sich in seiner natürlichen Gestalt zeigen und deswegen als ein nichtswürdiger Bube behandelt werden.

Endlich vergrößern Erzieher bei ihren Zöglingen oft die Zahl der Untugenden, indem sie die Eigenheiten derselben dazu rechnen. Wenn man in einer Erziehungsanstalt die Stiefel sämtlicher Zöglinge nach einem Leisten wollte machen lassen, so würde es sich finden, daß sie nur für die wenigsten paßten und den übrigen entweder zu groß oder zu klein wären. Und was wäre nun in diesem Falle wohl zu tun? Die Füße, für welche die Stiefel nicht passen, für fehlerhaft erklären? an den Füßen einiger Zöglinge etwas abschneiden, an anderen etwas hinzusetzen?

Ihr lacht? Ihr wollt wissen, was ich mit dieser sonderbaren Frage wolle? Ich will es gleich sagen. So wie jeder Knabe seine eigene Form des Fußes hat, so hat auch jeder seinen eigenen Charakter und seine eigenen Talente. Wollt ihr nun die Knaben mit ihren verschiedenen Charakteren und Talenten auf einen Fuß oder, wie man auch zu sagen pflegt, über einen Leisten behandeln, so wird diese Behandlungsart immer den wenigsten angemessen sein; wollt ihr nun dieses den Knaben als Untugend anrechnen und sie eurer Behandlungsart anzupassen suchen, so handelt ihr mit ebenso weniger Überlegung als derjenige, der die Füße nach den ihnen bestimmten Stiefeln formen wollte. Ihr gebt euren Zöglingen wegen begangener Fehltritte öffentliche Verweise. Dies mag für gewisse Fühllose, bei welchen vorhergegangene Ermahnungen fruchtlos waren, von guter Wirkung sein; wenn ihr dies aber bei allen tun wollt, so wird der ehrgeizige Ferdinand sich für beleidigt halten und geneigt sein, die größten Unbesonnenheiten zu begehen; der weichmütige Wilhelm hingegen wird bittere Tränen weinen und mutlos werden. Ihr lehrt den Fritz und Karl. Jener faßt sogleich alles, was ihr ihm sagt, und die Arbeit, die ihr ihm gebt, ist in einer Viertelstunde vollendet. So ist es nicht mit Karl. Dieser gute, ehrliche Knabe hat einen sehr langsamen Kopf, faßt sehr schwer den Vortrag, bringt an der ihm aufgegebenen Arbeit eine Stunde zu, und am Ende ist sie doch nicht so gut wie die, die Fritz lieferte. Darüber gebt ihr ihm Verweise, die er nicht verdient hat.

Ihr unterrichtet den Heinrich und Ludwig im Lateinischen und in der Mathematik. Heinrich kann schlechterdings die lateinischen Sprachregeln nicht fassen, in der mathematischen Lehrstunde hingegen ist er der beste Schüler; und Ludwig bringt euch lateinische Aufsätze, an denen ihr nur wenig zu verbessern findet; aber die Mathematik – für diese hat er keinen Sinn. Gleichwohl verlangt ihr von beiden, daß sie im Lateinischen und in der Mathematik gleiche Fortschritte machen sollen; verweist dem Heinrich seine Faulheit in der lateinischen und dem Ludwig seine Verdrossenheit in der mathematischen Lehrstunde und – tut beiden unrecht. Ihre Faulheit und Trägheit sitzt in eurem Gehirne.

Habe ich denn gesagt, daß man den Grund von allen Untugenden und Fehlern der Zöglinge dem Erzieher beimessen müsse? Nichts weniger als dieses. Nur von dem Erzieher fordere ich, daß er selber den Grund davon in sich suchen solle, damit, wenn er wirklich in ihm läge, er ihn wegräumen könne. Daraus folgt aber noch nicht, daß andere ihm die Schuld davon beilegen sollen.

Der Anfang der Weisheit ist die Selbsterkenntnis; wo diese fehlt, wird man die Weisheit in keiner Lage finden und den Gleichmut und die Zufriedenheit, die aus derselben entspringen, allenthalben vermissen. Freund! der du dich der Erziehung widmest, sei also stark und entschließe dich, wenn du an deinen Pflegesöhnen Fehler und Untugenden bemerkst, wenn die Bearbeitung derselben dir nicht gelingen will, den Grund davon immer in dir zu suchen. Du wirst gewiß vieles finden, das du nicht geahnt hast, und wenn du es findest, so freue dich und laß es dir ein Ernst sein, es wegzuschaffen. Es wird dir gewiß gelingen, und dann, dann, welche angenehme Veränderung wirst du in und außer dir verspüren! Die dir anvertraute Jugend wird dir in einem anderen Lichte erscheinen, ihre Munterkeit wird dich aufheitern, ihre Torheiten und Unbesonnenheiten werden dich nicht mehr beleidigen, du wirst sie mit mehr Nachsicht und Schonung behandeln; das Herbe und Bittere in deinem Tone, das Finstere in deinem Gesichte wird sich verlieren, die Aufwallungen des Zornes, zu denen du geneigt bist, werden sich nach und nach mindern, der Bequemlichkeit, die du dir angewöhnt hattest, wirst du entsagen, so manchen andern Fehler, der auf deine jungen Freunde üble Eindrücke machte, wirst du ablegen, du wirst deinem Vortrage immer mehr Lebhaftigkeit und Annehmlichkeit verschaffen. Hast du einige Zeit so an dir gebessert – was wird der Erfolg sein? Du wirst dich zu einem guten Erzieher gebildet haben.

Deine Pflegesöhne werden dich mit ihrer Liebe und ihrem Zutrauen belohnen; deine Winke werden sie befolgen, deine Bemühungen werden gelingen, ihre Fehler und Untugenden werden nach und nach weichen.

Will es dir in manchen Fällen doch nicht gelingen, kannst du gewisse Fehler und Untugenden doch nicht wegschaffen – gut! so hast du doch die Beruhigung, mit Überzeugung zu dir sagen zu können: ich habe das Meinige redlich getan, die Schuld von dem Mißlingen meiner Bemühungen kann ich mir nicht beimessen.

Was ist Erziehung?

Seitdem es Menschen gibt, sind dieselben auch erzogen worden. Gleichwohl hat man noch keinen bestimmten, allgemein angenommenen Begriff von der Erziehung. Fast jeder, der über dieses Geschäft schreibt, gibt davon seine eigene Vorstellung.

Da könnte ich nun alle die Begriffe, die seit Aristoteles bis auf Pestalozzi von der Erziehung sind gegeben worden, anführen, erklären, miteinander vergleichen und den richtigsten heraussuchen. Ich habe aber meine Ursachen, warum ich es nicht tue. Erstlich, weil mir viele davon unbekannt sind, zweitens, weil ich es für zweckwidrig halte. Wozu würde es nützen, wenn ich die Leser mit den verschiedenen Vorstellungen, die man sich in verschiedenen Zeitaltern von der Erziehung machte, aufhielte? Am Ende komme ich doch mit meinem eigenen Begriffe hervorgetreten und suche ihnen denselben zu empfehlen. Da ist es ja kürzer, wenn ich sie sogleich, ohne alle Umschweife, damit bekannt mache. Nach meiner Meinung ist Erziehung: Entwickelung und Übung der jugendlichen Kräfte.

Erzieht man das Kind zum Menschen, so werden alle seine Kräfte entwickelt und geübt; erzieht man es aber für ein gewisses Geschäft, so hält man es oft für nötig, daß man nur diejenigen, die zur Verrichtung desselben erforderlich sind, in Tätigkeit setze und andere, die der Wirksamkeit derselben nachteilig sein können, schlummern lasse oder gar lähme, so wie man den Stier entmannt, der zum Zuge bestimmt ist. Hier rede ich nur von der ersten Art der Erziehung.

Um die Gehkraft der Kinder zu entwickeln und zu üben, steckte man sie ehedem in Laufbänke oder legte ihnen Laufzäume an, und sie wurden oft krummschenklig und hochschultrig, und wenn man ihnen den freien Gebrauch ihrer Glieder zuließ, hatten sie dieselben nicht in ihrer Gewalt, strauchelten oft, zerschlugen sich die Köpfe oder bekamen andere Beschädigungen. Jetzt sind Laufbänke und Laufzäume aus allen Kinderstuben verbannt, wohin das Licht der besseren Erziehung gedrungen ist. Man sieht da die Kinder wie junge Tiere herumkriechen; fühlen sie mehr Kraft in ihren Schenkeln, so richten sie sich empor und treten an Stühle. Man setzt nun mehrere Stühle in kleine Entfernung voneinander hin, legt Bilder und Spielwerk darauf, um sie zu reizen, von einem Stuhle zum anderen zu wandeln. Nach einigen Tagen lassen sie die Stühle stehen und wandeln, ohne sich an etwas zu halten, durch das Zimmer. Verlieren sie das Gleichgewicht, so setzen sie sich gewöhnlich auf den Hintern. Bei dieser Übung bleiben die Glieder gesund und unverletzt. Wie lange währt es, so sieht man die nämlichen Kinder, die erst krochen, laufen und springen.

Diese Behandlungsart enthüllt uns das ganze Geheimnis einer vernünftigen, der menschlichen Natur angemessenen Erziehung.

So wie man bei dieser Anleitung zum Gehen die Gehkraft nicht eher zu üben sucht, bis die Kriechkraft hinlänglich geübt ist und jene hinlänglich sich äußert, so darf man auch nicht andere Kräfte zu entwickeln suchen, bis sie wirklich da sind, und diejenigen, aus welchen sie hervorzugehen pflegen, hinlängliche Übung bekommen haben. Ferner, so wie die Laufbänke und Laufzäume entfernt sind und die Kinder gereizt werden, aus eigenem Entschlusse fortzuschreiten und so ihre Gehkraft zu üben, so muß auch der Erzieher bei Übung der übrigen Kräfte alles Laufzaumähnliche zu entfernen suchen; er darf nicht sowohl die jugendlichen Kräfte üben, als vielmehr den Kindern Gelegenheit und Reiz verschaffen, diese Übungen selbst vorzunehmen. Das Kind empfängt ohne Zweifel alle seine Kräfte durch die Erzeugung und bringt sie mit, wenn es sich seinem pflanzenähnlichen Zustande entwindet und in das Tierreich übergeht. Die meisten aber schlummern noch wie der Keim im Weizenkorne, wenn es in die Erde geworfen wird; sie sind nur noch Vermögen und entwickeln sich, mit dem Fortgange der Zeit, in folgender Ordnung.

Zuerst die meisten Kräfte des Leibes. Das neugeborene Kind atmet, schreit, schluckt, verdaut usw. Die äußerlichen Dinge machen auf dasselbe Eindrücke, aber das Vermögen, sie zu empfinden oder sich davon Vorstellungen zu machen, äußert sich in seinen ersten Lebenstagen noch nicht. Nach und nach fängt es an, die äußerlichen Dinge sich vorzustellen, diese Vorstellungen aufzubewahren, sie von Zeit zu Zeit wieder hervorzubringen: die Kräfte der Sinnlichkeit, des Gedächtnisses, der Einbildungskraft entwickeln sich.

In der Folge äußert sich der Verstand durch Urteile, die er über Gegenstände fällt, die in die Sinne fallen. Zugleich fangen die in den Händen befindlichen Kräfte an, ein Streben nach Tätigkeit zu äußern. Das Kind greift nach allem, betastet alles, wirft es von einem Orte zum anderen. Gibt man ihm in der Folge ein hölzernes Pferd, so bauet es von Büchern oder Stühlen einen Stall, legt ihm Futter vor, zieht es heraus, bindet es an einen Stuhl oder sonst etwas, das des Pferdes Wagen sein und von ihm fortgezogen werden soll u. dgl. Erst bei dem Austritte aus dem Stande der Kindheit fängt die Vernunft an, durch Vorstellung von übersinnlichen Gegenständen sich tätig zu beweisen.

Hierdurch hat uns die Natur die Ordnung vorgezeichnet, in welcher wir ihr bei Entwickelung der jugendlichen Kräfte behilflich sein müssen.

Was muß ein Erzieher lernen?

Es ist ein Lieblingssatz der neueren Erzieher, daß die Erziehung des Kindes mit seiner Geburt anfangen müsse, und ich stimme demselben von ganzem Herzen bei. Schriebe ich nun jetzt über die Erziehung der Kinder, so müßte ich zeigen, wie Eltern, Kinderwärterinnen und alle Personen, in deren Händen sich das Kind in seinen ersten Lebensjahren befindet, sich gegen dasselbe in diesem Zeiträume verhalten müßten. Da ich aber bei Ausfertigung dieser Schrift die Erziehung der Erzieher zum Gegenstande habe, wodurch man nach dem Sprachgebrauche Personen versteht, die von den Eltern verschieden sind, und die gewöhnlich das Kind dann erst unter ihre Aufsicht bekommen, wenn es schon gehen, sprechen, sich Vorstellungen von Gegenständen der Sinnenwelt machen und darüber urteilen kann, so würde es mich zu weit von meinem Zwecke abführen, wenn ich mich auf die Behandlungsart der Kinder in ihren ersten Lebensjahren einlassen wollte.

Jetzt untersuche ich also nur, was die Person für die Erziehung des Kindes zu tun habe, welche es aus dem Schoße der Familie zur ferneren Ausbildung erhält.

Das Lebensjahr, in welchem dieses geschieht, ist bekanntlich nicht allgemein bestimmt. Mancher Erzieher erhält seine Zöglinge im fünften oder sechsten Jahre, die meisten erhalten sie später.

Hier nehme ich an, der Erzieher trete sein Amt bei fünfjährigen Zöglingen an. Da fragt es sich nun, was hat er von diesem Zeitpunkte an bei ihnen zu tun, und was muß er in dieser Rücksicht lernen?

Die Kräfte des Leibes und unter diesen vorzüglich diejenigen, deren Tätigkeit zur Erhaltung und Nahrung desselben am nötigsten sind, entwickeln sich bei den Kindern zuerst. Folglich muß der Erzieher auch verstehen, wie er die Wirksamkeit derselben oder die Gesundheit des Leibes erhalten soll.

Der Erzieher muß also verstehen, wie er seine Zöglinge gesund erhalte, wie er es verhüte, daß sie krank werden, und wie ihnen zu helfen sei, wenn da und dort in der Maschine eine Stockung entsteht; und nur bei außerordentlichen Fällen, da seine Einsichten ihn verlassen, muß er zum Arzte seine Zuflucht nehmen.

Außer den körperlichen Kräften muß nun auch der Sinnlichkeit, dem Gedächtnisse, der Einbildungskraft und dem Verstande Übung verschafft werden.

Woran sollen diese Übungen geschehen? An Gegenständen, die in die Sinne fallen. Diese müssen in großer Mannigfaltigkeit herbeigeschafft und den Kindern zur Betrachtung vorgestellt werden. Wo diese bei sechs- bis achtjährigen Kindern fehlen, da ist keine Erziehung, weil nichts da ist, woran sie ihre sich regenden Kräfte üben können. Und welches sollen diese sinnlichen Gegenstände sein? Dies müssen uns die Kinder selbst lehren. Wir müssen ihnen ablernen, welche Gegenstände am meisten geeignet sind, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn man ihnen dann dieselben vorzeigt, so hat man nicht nötig, sie immer zu ermahnen: gebt Achtung, liebe Kinder! Sie fühlen in sich selbst Drang zum Beobachten. Sie tun das, worauf ihr Erzieher hinarbeiten muß – sie erziehen sich selbst.

Da hat mich nun eine lange Erfahrung gelehrt, daß nichts die Aufmerksamkeit der Kinder so früh auf sich ziehe als – Tiere. Wer daran zweifelt, der beobachte die Kinder selbst, und er wird das nämliche wahrnehmen. Ihre Augen sind selten auf ihren Leib, gewöhnlich auf die Gegenstände gerichtet, mit welchen sie umgeben sind. Bringt man nun einen Sperling, eine Maus, einen Fisch oder ein anderes Tier in das Zimmer, so sehen sie von allen anderen Dingen weg und – blicken auf die Tiere. Selbst wenn man ihnen ein Bilderbuch vorlegt, so verweilen sie am längsten bei den Bildern, auf welchen Tiere vorgestellt sind. Dadurch fordern sie laut: wollt ihr die Kräfte, die sich jetzt bei uns äußern, üben, so zeigt uns Tiere!

Man fängt auch wirklich hier und da an, auf diese Forderung Rücksicht zu nehmen und die Naturgeschichte, die ehedem der Jugend ganz fremd blieb, in Schulen und Erziehungshäusern zu lehren, aber – meistenteils ganz zwecklos.

Man hält Vorlesungen über ein System der Naturgeschichte, ohne von den Erzeugnissen der Natur etwas vorzuzeigen, glaubt dadurch die Forderungen der jugendlichen Natur zu erfüllen und irrt sich.

Das Kind will seine Kräfte üben an sinnlichen Gegenständen; wie kann es dies, wenn ihm keine vorgezeigt werden? Naturgeschichte soll gelehrt werden, nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Jugend Gelegenheit zu schaffen, an der Natur verschiedene Kräfte zu üben. Dies fällt ja alles bei den naturhistorischen Vorlesungen weg. Da verhält ja das Kind sich bloß leidend und läßt den Lehrer für sich beobachten und urteilen.

Sollen die jugendlichen Kräfte an der Natur geübt werden, so müssen die Erzeugnisse derselben ihnen nach und nach zur Betrachtung vorgestellt werden, und zwar eins auf einmal, damit die Aufmerksamkeit sich besser auf dasselbe heften kann, und zwar anfänglich – ein Tier. Das Tier muß nun genau betrachtet werden nach seinen verschiedenen Teilen, ihrer Form, ihrer Farbe, ihrer Absicht; es muß nun mit einem anderen verglichen und bemerkt werden, was es mit ihm gemein habe und wodurch es von ihm unterschieden sei, es muß den Augen bisweilen entzogen und von dem Kinde beschrieben werden. Was durch die eigene Beobachtung nicht gefunden werden kann, z.B. die Nahrung, die Lebensart, der Nutzen, den es dem Ganzen schaffe, das setzt der Lehrer durch seine Erzählung hinzu.

Ich stelle z.B. zur Betrachtung einen Kanarienvogel auf. Wieviel gibt es da zu betrachten!

Ich kann die Betrachtung nun auf zweierlei Art anstellen: erstlich, indem ich meinen Kleinen vorerzähle, was ich an dem Vogel bemerke; zweitens, indem ich sie reize, denselben selbst zu betrachten. Im ersten Falle übe ich meine, im zweiten der Kinder Kräfte. Da nun nicht jenes, sondern dieses bei der Erziehung der Kinder Zweck sein soll, so muß ich sie zur eignen Betrachtung zu reizen suchen, wenn ich nicht zweckwidrig handeln will. Dies würde ungefähr auf folgende Art geschehen:

Wie heißt das Tierchen? Warum ein Vogel? Warum Kanarienvogel? Welches sind seine Gliedmaßen? Was hat er vorne am Kopfe? Aus wie vielen Teilen besteht der Schnabel? Was hat der Oberkiefer für eine Form? Was steht an beiden Seiten des Oberkiefers? Was haben die Nasenlöcher für eine Form? Was hat der Unterkiefer für eine Form? Welcher Kiefer ist beweglich? Welcher unbeweglich? Wozu braucht der Kanarienvogel seinen Schnabel? Haben alle Kanarienvögel Schnäbel?