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Die Amets wähnten sich in Sicherheit. Ihren Unterdrückern entronnen, bauten Frauen und Männer eine neue Gesellschaft auf, in der die Frauen die Geschicke zum Wohle aller bestimmen. Doch das magische Traumnetz, das sie miteinander verbindet und vor ihren Feinden schützt, ist gestört. Niemand kann mehr träumen. Einzig Sirona, ihr Bruder und drei weitere Auserwählte empfangen rätselhafte Traumbotschaften. Die Zeit ist knapp, denn ohne die Magie der Träume erkrankt eine Weise Frau nach der anderen. Gelingt es ihnen herauszufinden, was ihr Volk bedroht?
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Seitenzahl: 385
Veröffentlichungsjahr: 2025
1.Auflage,2025
© Alea Libris Verlag, Wengenäckerstr. 11,
72827 Wannweil
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: N. Raliel Pelangi
Korrektorat: Lisa Heinrich
© Cover- und Umschlaggestaltung: Viktoria Lubomski
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Für meine Mutter und alle Frauen, die sich ihr Leben erkämpfen mussten
Nichts.
Etwasschiennichtin Ordnung an diesem Festtagsmorgen. Das Zittern ihrer Mutter, als sie den Schlüsselbund von ihrem Gürtel nestelte, war eindeutig kein gutes Zeichen.
»Sirona, bitte geh hinunter zum Fluss und überbring Arnamen einen Korb mit Kuchen und Früchten! Richte der Ehrwürdigen und den anderen Weisen Frauen meine besten Wünsche zum Fest aus!« Mit der einen Hand reichte Ma Sapana ihrer Tochter die Schlüssel zur Vorratskammer, das Zeichen ihrer Stellung als Erste ihres Clans, mit der anderen Hand wischte sie sich verstohlen über die Augen.
Wieso zittern ihre Finger so?
Sirona hörte Geschirr klappern, Gelächter und den zarten Klang einer Flöte. Jemand hackte Holz. Die Amets feierten heute den beginnenden Frühlingsmond. Schon jetzt, in den frühen Morgenstunden, waren die Vorbereitungen für das Fest in vollem Gange.
»Was habt Ihr?« Sirona musterte ihre Mutter.
Zierlich wie sie war, wirkte Sapanas Gestalt immer noch wie die eines Mädchens, nur die Falten in ihrem Gesicht und die silberne Haarsträhne, die aus dem im Nacken zusammengebundenen Haar in ihre Stirn fiel, erzählten von den ereignisreichen Sommern und Wintern, die sie hatte kommen und gehen sehen. Ihre nackten Arme waren über und über mit ineinander verwobenen Tätowierungen bedeckt, die sich von den Fingerspitzen bis zur Schläfe hinaufzogen, und auf der Stirn schwebte darüber das althergebrachte Symbol der lichtspendenden Sonne, der Kreis mit dem Punkt in der Mitte. Ihre Augen zeugten gewöhnlich von der inneren Stärke, die die Clanchefin wie eine unsichtbare Rüstung umhüllte und ihre Autorität unterstrich.
»Es ist nichts«, wehrte Ma Sapana ab, »ich fühle mich nur etwas schwindlig. Mach’ dir keine Sorgen.«
Nun sorgte sich Sirona ernsthaft. »Seid Ihr sicher, Mutter? Ihr seht blass aus.«
Vielleicht wird ihr die ganze Verantwortung allmählich zu viel.
Sofort meldete sich Sironas schlechtes Gewissen, schließlich war sie es, die die Entscheidung über Sapanas Nachfolge immer weiter hinauszögerte. Doch ihre Mutter drängte sie in keiner Weise, was ihr Sirona hoch anrechnete.
Trotzdem.
Ma Sapana schluckte, bevor sie antwortete: »Ich hatte heute Nacht keinen Traum.« Plötzlich wirkte ihre Mutter, als hätte sich ein unheilverkündender Schatten über ihr Gesicht gelegt.
Jeder träumt doch.
»Ich hatte einen ganz intensiven Traum.« Schlagartig fiel Sirona wieder der Baum ein. »Von einer Birke.«
Eine einzelne Birke – wie aus einem Bild geschnitten – ringsherum nur die rosafarbenen Nebelschleier der Morgenröte. Die Zweige wogten sanft hin und her. Im Traum war es ihr nicht sonderbar vorgekommen, aber der Baum wuchs von oben nach unten. Sirona hatte die Krone nur schemenhaft erkennen können. Das Bild war merkwürdig unscharf, die Konturen leicht verwischt. Sonst konnte sie sich an nichts erinnern, einzig das Bild des Baumes blieb vor ihrem inneren Auge.
»Hier Kind, nimm endlich!«
Das Klirren des Schlüssels riss Sirona aus ihren Gedanken.
»Und wenn du deinen Bruder siehst, schick ihn zu mir. Wo steckt er bloß wieder?« Ma Sapana setzte eine betont zuversichtliche Miene auf und strich ihrer Tochter zärtlich über die Wange.
Es wird schon nichts Ernstes mit Mutter sein.
»Ich beeile mich.« Sirona packte den Schlüssel und riss in der Küche einen Bissen aus einem noch dampfenden Brotlaib. Zwei Schlucke Milch, das musste genügen. Für ein ausgiebiges Frühstück blieb keine Zeit. So Be’n war nirgends zu sehen. Er drückte sich vor seinen Aufgaben, wo er nur konnte. Obwohl er längst erwachsen war, hatte ihr kleiner Bruder die Rolle des verhätschelten Nachzüglers nicht abzulegen vermocht.
Wenn ich dich erwische …
Zum Glück kam ihre jüngere Schwester Calin nach ihrer Mutter, sie war genauso praktisch veranlagt und ihr in dem großen Haushalt eine unentbehrliche Stütze.
Und sie hat Mutter ihr erstes Enkelkind geschenkt.
Rasch schob sich Sirona noch eine Handvoll Himbeeren in den Mund. Genug gefrühstückt. Sie hatte schließlich noch Mutters Auftrag zu erledigen. Dann füllte sie einen Korb mit Obst und Kuchen und eilte hinunter zum Flussufer, vorbei an den schmucken Wohnhäusern mit ihren akkurat angelegten Gemüsegärten, der ausladenden Dorfeiche und den blühenden Zistrosenfeldern. Das Dörfchen Cadal schmiegte sich malerisch an einen ausladenden Seitenarm des Moes, auf dem die Wellen sanft dahinschaukelten. Überall vor den Häusern und in den Höfen herrschte bereits geschäftiges Treiben, viele Leute winkten Sirona fröhlich zu.
»Guten Morgen!« Sirona grüßte freundlich zurück.
Die Amets waren in vielerlei Hinsicht ein glückliches und reiches Volk. Die gewählte Prinzipalin leitete das Dorf, das sich von den fruchtbaren Flussauen bis hinauf zu den nahen Hügeln schob. Jeder Clan bewohnte ein eigenes Haus mit zahlreichen Anbauten, die kreisförmig um einen großen Innenhof angelegt waren. In der Regel erbte nur die älteste Tochter alles Land und das gesamte Vermögen der Großfamilie und stand dem Clan vor.
Ma Sirona.
Das könnte mein Titel sein.
Sirona seufzte.
Wenn ich ihn nur wollte.
Sirona war sich im Klaren darüber, dass die Verantwortung, die die Leitung eines solchen Clans mit sich brachte, schwer auf ihren Schultern lasten würde. Einerseits.
Andererseits hätte sie dann die Möglichkeiten, die Geschicke der Menschen, die sie liebte, zu lenken. Und wenn sie ihre Sache ordentlich machte, auch zum Guten zu wenden.
Keine einfache Wahl.
Aber egal, wie sie sich entschied, sie würde sich nie Sorgen über ihr Auskommen machen müssen. Da das Erbe nicht unter den vorhandenen Geschwistern zur eigenen Verwendung aufgeteilt wurde, standen die Clans von Generation zu Generation wirtschaftlich immer besser da.
Ich werde stets eine warme Mahlzeit, Kleidung und ein Dach über dem Kopf haben, so wie jedes andere Familienmitglied auch. Was für ein tröstlicher Gedanke.
Tief sog Sirona die kühle Morgenluft ein. Sie liebte die friedvolle Atmosphäre, die ihr Dorf umgab. Gewalt, Streit und Bosheit, obgleich sie dann und wann vorkamen, waren in der Regel verpönt.
»Wir Amets sind süchtig nach Harmonie«, pflegte Sironas Großmutter zu sagen. Die Amets führten keine Kriege. Ein breiter Gebirgszug im Norden schirmte ihre Halbinsel vom Rest des Kontinents ab. Vor dem hohen Gebirgsmassiv regneten sich die Wolken derart ab, dass ein undurchdringlicher Urwald allen den Weg versperrte. Kaum jemand verirrte sich erst durch den Dschungel und dann über die verschneiten Pässe zu ihnen. Den wenigen, die es bis zu ihnen geschafft hatten, gefiel es meist so gut, dass sie sich bei den Amets niederließen. Irgendwann erinnerte sich niemand mehr daran, dass sie von jenseits der Berge gekommen waren – nicht einmal sie selbst.
Nur die Weisen Frauen bewahrten die Erinnerungen an alles, was die Amets und ihre Angelegenheiten betraf. Sie spannen die Traumfäden der Amets, waren Hebammen, Ärztinnen, Ratgeberinnen und in jedem Dorf hochgeachtet. Man hatte ihnen ein separates Haus unterhalb des Hügels nahe am Fluss errichtet, in denen die Frauen zusammenlebten und ihre Elevinnen ausbildeten.
»Guten Morgen, Ehrwürdige«, begrüßte Sirona respektvoll Arnamen, die Anführerin der Weisen Frauen, als sie die Schwelle ihres Anwesens überschritt. »Meine Mutter wünscht Euch einen strahlenden Frühlingsmond.« Sie stellte den Korb mit den Präsenten auf den blankpolierten Holztisch und genoss mit einem tiefen Atemzug den intensiven Geruch nach Blüten, Gewürzen und Weisheit, der nicht nur diesen, sondern alle Räume des Hauses erfüllte.
Köstlich.
Sirona verbrachte jede freie Minute bei Arnamen – voller Bewunderung für ihre Schönheit, ihre Klugheit und ihre magischen Fähigkeiten.
Nach Ametsitte zierte auch Arnamens Stirn eine Tätowierung. Sie trug das Zeichen der zwei Wellen, die für ein starkes Bewusstsein standen. Ihr schlichtes, hellgraues Gewand brachte ihre silberfarbenen Haare erst recht zur Geltung.
In ihrer Gegenwart straffte sich Sirona unwillkürlich, als ob Arnamens unprätentiöse Anmut ein wenig auf sie abfärbte.
»Gut, dass du hier bist.« Arnamen nickte knapp, schob dann aber den Korb zur Seite. »Du musst mir helfen. Ich brauche rasch eine Mischung gegen Kopfschmerzen. Zima fühlt sich unpässlich.« Sie nahm einen dampfenden Kessel vom Herd und zeigte auf das Regal mit den getrockneten Kräutern. »Nimm Thymian, Pfefferminze, Rosmarin und Johanniskraut zu gleichen Teilen.«
»Meine Mutter klagte heute früh auch über Unwohlsein«, Sirona warf die Teeblätter schwungvoll in eine leere Kanne, »und sie konnte sich an keinen Traum erinnern.«
»Drei Frauen sind krank.« Arnamen goss den Kräutersud mit heißem Wasser auf und blickte dem aufsteigenden Dampf nach. »Und keine von ihnen konnte heute Nacht einen Traum weben. Ich weiß wirklich nicht, was los ist. Stell dir vor: Ich empfange keinen einzigen Traumfaden aus einem anderen Dorf.«
VaRu’n,wohast du nur das Geschenk für Deinen Vater?« Seine Mutter flatterte schon den ganzen Morgen wie ein aufgescheuchtes Huhn durchs Haus. »Va Ru’n!«
Va Ru’n hatte gehofft, wenn er sich ruhig verhielt, würden ihn die Erwachsenen vergessen. Am Tag des Frühlingsmondes waren alle aufgeregt. Die Frauen und Mädchen scherzten miteinander, überlegten, welches Kleid sie anziehen, welchen Schmuck sie anlegen und mit wem sie am längsten tanzen wollten. Die Männer putzten ihre Schuhe, legten sich frische Festhemden heraus und bereiteten den Tanzboden und den Holzstoß für das Frühlingsfeuer vor. Im ganzen Dorf summte es vor Vorfreude auf das große Fest wie in einem Bienenstock.
Jeder freute sich, nur Va Ru’n war bedrückt. Wie alle Kinder sollte er heute seinen Vater besuchen, um ihm und dem Haushalt, dem dieser angehörte, seinen Respekt zu erweisen.
Drocht lebte in Ma Unelmas Clan, mit seinem Neffen Kho To’r und dessen Schwester Thoxar. Die Geschwister vertrugen sich gut, auch wenn sie verschiedene Väter hatten, dafür lebten sie unter einem Dach mit denselben Tanten und Onkeln. Immer hatte jemand Zeit für sie.
Sein Sohn Va Ru’n dagegen wuchs in der Familie seiner Mutter Calin auf, zusammen mit seiner Tante und seiner Großmutter.
Und alle erteilen mir Befehle und erziehen an mir herum. Den ganzen Tag heißt es nur »Va Ru’n tu dies« und »Va Ru’n tu das« oder »Va Ru’n lass das«. Ich wünschte nur, ich hätte ab und an meine Ruhe.
Vorsichtig zog der Junge ein Päckchen unter seinem Bett hervor und schlug das Leder zur Seite. Tagelang hatte er an einem Bündel Pfeile gearbeitet und sie kunstvoll mit den schönsten Federn geschmückt, die er finden konnte.
Federn vom Silberfasan.
Herrlich weißschimmernd mit gezackten, dunkelbraunen Streifen. Vollkommen symmetrisch gezeichnete Linien.
Selten und wunderschön.
Vorsichtig hatte er jede einzelne Feder mit der ersten Wicklung am Schaft fixiert, sie geduldig Runde um Runde fester auf das Holz gewickelt. Hielt er den Faden zu lose, fiel alles auseinander, und er musste von vorne beginnen. Zog er zu fest, riss der Faden, und er musste ebenfalls wieder von vorne anfangen. Stolz hatte er sein Werk begutachtet: Zwei identische Bündel Pfeile – eins für seinen Vater und eins für sich.
Dann schießen wir beide mit den gleichen Federn.
Der Gedanke gefiel ihm.
Viele Amets liebten das Bogenschießen, auch Kampfspiele mit Wurfmessern und Schwertern waren populär. Vielleicht gerade, weil es ein Spiel blieb. Im Notfall aber konnte jede Frau, jeder Mann und jedes Kind das Dorf vor Feinden beschützen.
»Du musst los und Drocht dein Geschenk abgeben.« Va Ru’ns Mutter Calin steckte nur kurz den Kopf durch den Türrahmen. »Dass du mir gleich zurückkommst! Wehe, du trödelst! Es gibt noch unglaublich viel zu tun.« Sie stürmte weiter den Flur entlang, den Arm beladen mit Wäsche. »Wozu habe ich bloß so einen großen Jungen, wenn ich doch alles alleine machen muss?« Ihre Stimme tönte noch hinter ihr her, als sie fast im Hof war.
Gesenkten Kopfes trottete Va Ru’n los. Obwohl er das Haus seines Vaters schon so oft betreten hatte, hätte er gerne darauf verzichtet. Sein Cousin Kho To’r lauerte ihm bestimmt gleich auf. Er würde ihm ein Bein stellen, ihn heimlich in die Seite knuffen oder Schlimmeres. Er hasste Kho To’r.
Und dann sein Vater. Va Ru’n war hin- und hergerissen. Seinen Onkel So Be’n mochte er lieber. Der war wenigstens lustig, schmalgliedrig wie er selber und hatte immer ein freundliches Wort für seinen Neffen übrig. Drocht hingegen war breit wie ein Eichenstamm, untersetzt und ungehobelt. Nie nahm er Va Ru’n ernst. Und er kaute Kautabak.
Widerlich.
Va Ru’n hatte nie verstanden, wieso seine Mutter Drocht jemals in ihre Honigkammer gelassen hatte. Sie hatte sich im Lauf der Jahre so manchen Liebhaber genommen, aber warum musste ausgerechnet dieser Kerl sein Vater sein? Nur gut, dass er Calins Honigzimmer schon lange nicht mehr besuchte. Andererseits hatte Drocht im Dorf keinen schlechten Ruf, er war niemals bei der Prinzipalin in Ungnade gefallen und hatte seinen Sohn nie geschlagen.
Va Ru’n seufzte. Zögerlich stieg er die Stufen hinauf ins Haus, zog seine Schuhe aus, wie das überall im Land Sitte war, wenn man von draußen kam und betrat barfuß die Küche, in der sich heute alle versammelt zu haben schienen. Ma Unelma rührte in einer Schüssel mit Teig, ihre Enkelin Thoxar und die kleineren Kinder saßen am großen Tisch und schnitten haufenweise Rote Beete, Zwiebeln, Lauch und Sellerie für das Festmahl klein. Auf dem Herd brutzelten Bratenstücke in einer Kasserolle. Der scharfe Geruch von Petersilie, Öl und Knoblauch stieg ihm sofort in die Nase.
»Guten Tag, Vater«, sagte er leise zu Drocht, der sich gerade die Reste eines Imbisses in den Mund schob. Die fettigen Finger wischte er sich an der Hose ab.
»Na Sohn, hast du es endlich hergeschafft?« Drochts Stimme dröhnte durch das halbe Dorf.
Kho To’r stand natürlich neben ihm und grinste.
»Ich wünsche Euch einen strahlenden Frühlingsmond.« Mit einer leichten Verbeugung überreichte Va Ru’n seinem Vater das Lederbündel.
Drocht wickelte das Bündel auf, betrachtete kurz seinen Inhalt und warf es dann Kho To’r in die Arme. »Pfeile. Kann man immer gebrauchen. Leg sie zu meinem Bogen!«
Leutselig wandte er sich an Va Ru’n: »Noch immer so ’ne schlaksige Bohnenstange! Junge, wann kriegst du endlich ein paar richtige Muskeln?«
Kho To’r feixte nur höhnisch und hielt seinen Arm hoch, um Va Ru’n seinen Bizeps vorzuführen.
Bevor Va Ru’n antworten konnte, unterbrach Ma Unelma das Gespräch: »Drocht, du musst noch Holzscheite für das Tanzfeuer aufschichten. Sofort!«
Drocht erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl, so ruppig er war, aber seiner Mutter würde er niemals wagen, zu widersprechen. Kumpelhaft ließ er seine Pranke auf Va Ru’ns Schulter krachen.
»Keine Zeit mehr.« Er musterte seinen Sohn kurz und stapfte davon, Kho To’r im Schlepptau.
Dieser Blick. Warum sieht er mich immer so an, als ob uns gar nichts verbinden würde?
Einen Herzschlag lang stand Va Ru’n wie angewurzelt da, dann nickte er Ma Unelma zum Abschied zu und verließ das Haus. Auf der Treppe atmete er tief aus und rieb sich die Schulter.
Nichts.
DasWartenaufden Beginn des Festes zog sich in die Länge wie das Warten auf den erlösenden kühlen Regenguss an einem schwülen, heißen Sommertag, an dem einem die Zunge am Gaumen und die verschwitzte Kleidung am Körper klebte.
»Heute ist es so weit.« Revas wiederholte den Gedanken zum hundertsten Male seit dem frühen Morgen. »Ab heute werde ich zu den Erwachsenen zählen.«
Revas war das einzige Mädchen im Dorf, das in diesem Jahr ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert hatte. Bis die Feierlichkeiten losgingen, war sie alleine in den großen Mädchenschlafraum verbannt. Dort sollte sie ungestört meditieren, ihre Kindheit Revue passieren lassen und ihre Gedanken auf den neuen Lebensabschnitt richten, der nun vor ihr lag, bis die Frauen kamen und sie für die Zeremonie einkleideten.
Nur ihre jüngere Schwester Dercah kümmerte ihre Kontemplation herzlich wenig, sie stürmte herein und kramte geräuschvoll unter ihrem Bett in der Kiste, in der die Mädchen ihre Habseligkeiten aufbewahrten. Natürlich, ohne auf Revas Rücksicht zu nehmen.
»Was grinst du so dämlich?« Kampflustig hob Dercah den Kopf.
»Heute kannst du sagen, was du willst, ist mir völlig egal.« Genüsslich kuschelte sich Revas in einen weichen Schal. »Heute Abend ziehe ich in meine Honigkammer. Dich bin ich endlich los.«
»Nur in deinem Zimmer.« Dercah kniff drohend die Augen zusammen. »Aber ich lebe in diesem Haus – für immer! Mich wirst du niemals los!«
Doch Revas hörte nicht mehr hin, sie versank ganz in der Vorfreude auf die kommenden Stunden. Die Zeremonie stand ihr genau vor Augen: Ihre Mutter würde ihr den mit Perlen und Edelsteinen und vielen Seidenbändern verzierten Gürtel der erwachsenen Frau um die Taille legen. Die Frauen würden ihr Geschenke überreichen und sie feierlich zu ihrem ersten eigenen Zimmer geleiten, das sie für sie mit Blumen und Kerzen geschmückt und mit Thymian ausgeräuchert hatten. Nie wieder musste sie im Schlafsaal bei den kleinen Mädchen schlafen. Später, nach dem Festmahl, durfte sie die ganze Nacht tanzen, solange sie wollte. In Gedanken versunken hörte sie kaum, wie Dercah beim Hinausgehen die Türe hinter sich zuknallte.
Wenn ich So Be’ns Fingerspitzen beim Tanzen in meiner Hand spüre, werde ich vor Glück zerspringen.
Revas hatte keinen größeren Wunsch, als dass So Be’n der erste Besucher in ihrem neuen Zimmer und in ihrem neuen Leben als Frau sein sollte. Natürlich würde sie seine Fingerspitzen ebenfalls berühren. Dann wüsste er, dass sie ihm gewogen war, und würde sich trauen, seine Werbung öffentlich mit einem Lied zu wiederholen. Wenn sie an seine Augen dachte, wurde ihr ganz sehnsüchtig zumute.
Kein anderer Mann im Dorf hatte derart strahlend dunkelblaue Augen. Manchmal schaute er sie damit so merkwürdig an und immer spielte ein Lächeln um seine Augenwinkel. Das mochte sie besonders an ihm. Und seine langen Wimpern. Es bestand kein Zweifel, So Be’n sah umwerfend aus.
Das erste Mal. Mit So Be’n.
Revas seufzte in ihren Schal.
Eine Eigentümlichkeit der Amets bestand darin, dass die Töchter und Söhne ihr ganzes Leben im Haus ihrer Mutter lebten. Wenn eine Tochter zur Frau heranwuchs, durfte sie sich einen Liebhaber erwählen, der sie nachts besuchen kam. Tagsüber lebte der Mann bei der Familie seiner eigenen Mutter. Wenn Revas Kinder bekäme, blieben diese auch in Zukunft bei ihr wohnen.
Endlich, kurz vor Sonnenuntergang, betrat Revas den Festsaal, nur in ein schmal geschnittenes Gewand aus schwerer, weißer Rohseide gekleidet. Die langen Ärmel bedeckten ihre Handgelenke, das Zeichen der doppelten Raute auf ihrer Stirn war zur Feier des Tages rot nachgezogen. Revas zitterte vor Aufregung.
Männer hatten hier heute keinen Zugang. Nur die Frauen des Dorfes hatten sich versammelt, um Revas Initiationsfeier zu begehen. Alle blickten sie feierlich und erwartungsvoll an. Rosenduft erfüllte den Raum. Die Frauen hatten silberweiße Blütengirlanden um die Türrahmen und das Podest geschlungen, auf dem ihre Mutter stand und auf sie wartete. Revas atmete tief ein und aus.
Voller Stolz empfing Ma Yalá ihre Tochter und band ihr den blutroten, von Edelsteinen schimmernden Gürtel um die Taille.
Gerührt gab Revas ihrer Mutter einen Kuss.
Danach trat jede der Frauen einzeln vor, überreichte Revas einen Rubin und nahm sie mit dieser Geste in den Kreis der Erwachsenen auf.
Revas Hände zitterten, als sie die Edelsteine entgegennahm und an ihre Mutter weiterreichte. Tränen liefen ihr über die Wangen.
Die Frauen stimmten das Lied der Initiation an. Sie sangen von Blut, Müttern, Großmüttern und dem ewigen Kreis der Weiblichkeit, der sich wieder und wieder aufs Neue schloss.
Ma Yalá hatte in der Zwischenzeit die rotschimmernden Edelsteine an einem geflochtenen Lederband befestigt und legte ihr nun das Rubinarmband um das Handgelenk.
Rubingürtel und Rubinarmband – das Zeichen des Bundes, dem alle Frauen angehörten.
Jetzt bin ich ein Teil davon, jetzt bin ich eine erwachsene Frau.
Wie kleine Mädchen bewunderten die Frauen das Kleid, den Gürtel und den Schmuck. Sie klatschten in die Hände, lachten und umringten Revas, um ihr zu gratulieren.
Feierlich geleiteten die Frauen und Mädchen sie zum Ufer des Moes, wo sie sich vor der Göttin des Flusses verneigte und eine Schale voll bunter Blüten auf der Wasseroberfläche verstreute.
»Diese Blumen sind für dich, Göttin«, sprach Revas andächtig die gebotenen Worte, »von heute an bin ich eine Ametfrau. Bitte wache über mich und die Meinen!«
Als sie vom Fluss zurückkehrte, überreichte ihr Ma Yalá eine silberne Kette, an der ein kleiner Schlüssel hing. Mit einer Brosche befestigt Revas sie an ihrem Gewand, den Schlüssel steckte sie unter den Gürtel.
Der Schlüssel zu meiner Honigkammer.
Revas war wie betäubt vor Freude.
Als die Sonne unterging, war es endlich soweit. Das Fest steuerte auf seinen Höhepunkt zu. Flöten und Trommeln riefen die Tänzerinnen und Tänzer in ihren festlichen Kleidern in den großen Innenhof. In der Mitte loderte ein Feuer in einem eisernen Kessel. Funken stieben hoch in die Luft. Fröhlich griffen die Tänzerinnen einander an der Hand und bildeten einen großen Kreis. Der Tradition nach gehörte der erste Tanz allein den Frauen.
Aus den Augenwinkeln suchte Revas die Zuschauer ab. Die Männer standen in Grüppchen zusammen und riefen sich zotige Bemerkungen zu. Nur So Be’n lehnte lässig an einer Hauswand, einen Fuß gegen die Wand gestellt, und beobachtete beiläufig die tanzenden Frauen. Um seinen Mund spielte ein selbstsicheres Lächeln. Revas war nicht die einzige Frau, die ihm sehnsüchtige Blicke zuwarf. In ihrem Magen flatterte etwas.
Der Kreis öffnete sich. Jetzt kamen die ersten Männer hinzu. So Be’n rührte sich nicht.
Soll er doch da herumstehen, ich tanze heute die ganze Nacht.
Der Tanz wurde wilder, rechts und links von ihr wechselten die Partner. Immer aufs Neue schob sich eine fremde Hand in ihre. Mal die Hand einer Frau, mal eine Männerhand. Aber Revas erwiderte keine der Berührungen. Die Musik wurde schneller und schneller, die Röcke wischten über den Boden, wirbelten im Kreis herum. Die erste Sängerin versuchte ihren Angebeteten mit ihrem Gesang zu verführen:
Ich bin der Mond
*
Du bist der Stern
*
Zusammen leuchten wir in der Nacht
Eine groß gewachsene, stolze Ametfrau sang vor einem jungen Mann mit wuscheligen Haaren und auffallend vielen Lachfalten um den Mund. Sie wirkte hinreißend in ihrer bunten Festtracht. Doch leise sang er seine Ablehnung zurück:
Ich bin die Flamme
*
Du bist der Tropfen
*
Zusammen fügt uns keine Macht
Der Tanz ging weiter, und die Abgewiesene musste ihr Glück woanders probieren.
Revas fühlte mit ihr.
Da.
Endlich tanzte So Be’n zu ihrer Rechten. Die Sterne funkelten am dunklen Nachthimmel wie pulsierende Irrlichter, der Feuerschein färbte die Gesichter der Tanzenden rotgolden und Revas Herz pochte fast so laut wie die Musik. Hatte So Be’n gerade ihre Handfläche berührt? Vor lauter Aufregung war Revas plötzlich ganz durcheinander. Vorsichtshalber drückte sie seine Hand, so fest sie nur konnte.
Oje.
Revas wurde schlecht bei dem Gedanken, sie könnte sich geirrt haben. In diesem Augenblick stimmte So Be’n sein Werbungslied vor Revas an:
Ich bin Wein
*
Du bist Wasser
*
Mischt man sie, so sind sie nicht zu trennen
Mit glockenheller Stimme sang Revas zurück:
Ich bin Milch
*
Du bist Honig
*
mischt man sie, so sind sie nicht zu trennen
Er hatte um sie geworben und sie hatte angenommen. Überglücklich warf Revas die Haare nachhinten und lachte und wirbelte im Kreis herum. So Be’n begehrte sie auch.
VaRu’nhieltdie Lider fest geschlossen, er wollte seinen Traum weiterträumen. Vor seinem inneren Auge blitzten die Wellen eines Flusses auf. Sein Vater stand am Ufer, er sah ihn durchdringend an, neben ihm Kho To’r, beide umringt von unwirklichen Gestalten. Va Ru’n konnte niemanden erkennen. Ihre Gesichter waren grau und verschwommen. Erhörte nur ihr schrilles Gelächter. Alle lachten ihn aus. Alle. Mit einem Schlag verschwand der ganze Fluss und vor seinen Füßen wuchsen drei baumdicke Pfeile aus dem Boden, höher und höher, bis die riesigen Pfeilspitzen in die Wolken ragten, wie die Türme einer Burg, dann … schwarz.
Va Ru’n schlug die Augen auf. Sein Herz klopfte ihm bis zum Halse.
Seltsam. Vater.
Schlagartig fiel ihm der vergangene Tag ein.
Er hat mein Geschenk kaum angesehen. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich kann ihn nie stolz machen.
Drocht benahm sich seinem eigenen Sohn gegenüber, als ob er ihn verachtete.
Ich bin so anders als er.
Va Ru’n hatte sich in der Nacht, während die Erwachsenen feierten, in seiner Höhle – so nannte er sein geheimes Versteck – verkrochen. Hier im Schuppen, zwischen altem Gerümpel und dicken Spinnweben, würde ihn kein Mensch suchen. Weiter vorne hingen Kräuterbüschel zum Trocknen von der Decke und verströmten die fröhlichen Gerüche von Minze und Zitronenmelisse. In der Ecke hinter dem großen Schrank, wo ihn keiner sehen konnte, hatte er dicke Kissen aufgetürmt und sich mit alten Decken einen warmen Unterschlupf gebaut. Manchmal nahm er das kleine, weiße Kätzchen zum Spielen mit, das ihm sein Onkel So Be’n vor einer Weile geschenkt hatte. Und wenn sie sich ausgetobt hatten, schliefen sie aneinander gekuschelt, bis sie von der Stimme Calins geweckt wurden, die zum Essen rief. Hier konnte man es aushalten, besonders, wenn man allein sein wollte. Erwachsene behandelten Kinder immer wie Schwachsinnige, als ob sie rein gar nichts verstehen würden. Va Ru’n warf sich in die Kissen, wütend über die Welt, die ihn nicht ernst nahm.
Dabei sind es die Erwachsenen, die gar nichts verstehen.
Etwas ganz Tapferes und Mutiges wollte er machen, dann würde ihnen schon leidtun, wie schlecht sie ihn behandelten. Nur wollte ihm gerade keine Heldentat einfallen, mit der er seine Mutter, So Be’n und Drocht beeindrucken konnte. Also verschob er es auf später.
»Irgendwann werde ich Euch zeigen, wie stark und klug ich bin«, schrie Va Ru’n in sein Kissen, »ich werde es Euch beweisen.«
Nichts.
WirsindinGefahr.« Mit diesen Worten hatte Arnamen die Frauen in die Wasserkrypta beordert.
Obwohl Sirona die Krypta nicht zum ersten Malbetrat, konnte sie sich nicht satt genug sehen an dem Anblick, der sich ihr bot.
Gespeist wurde die Krypta, die den halbunterirdischen Mittelpunkt des Hauses bildete, vom Wasser des Flusses Moe, das durch einen Kanal geleitet unter einem monolithen Steinblock hervorquoll und sich in einem breiten Strahl in das türkisfarbene Rundbecken ergoss. Auf der gegenüberliegenden Seite führte ein weiterer Kanal das Flusswasser in sein Flussbett zurück. Die Frauen badeten täglich in dem Becken, hatte ihr Arnamen erzählt, und der Fluss reinigte nicht nur ihre Körper, auch erfrischte er ihre Gedanken. Eine Statue der Flussgöttin zierte die östliche Wand, zu ihren Füßen standen zwei Schöpfkannen in Form einer Hydra mit neun Köpfen, aus denen jeden Morgen die Wasserkaraffen zum Frühstück gefüllt wurden. Rundum auf dem Beckenrand waren Duftschalen mit Schmuckkugeln aus Feuersaphiren und Rubinen platziert, in denen Traumkraut und wohlriechende Kräuter verbrannt werden konnten. Ein Teil der täglichen Verrichtungen spielte sich in diesen unterirdischen Räumen ab. Durch kunstvoll verzierte Schlitze in den Mauern fielen Sonnenstrahlen herein und tanzten auf der Wasseroberfläche. Je nach Sonnenstand brach sich ihr Licht in einer der Schmuckkugeln, und die Krypta erstrahlte in leuchtendem Rot, Blau oder Violett. An den kurzen Wintertagen zündeten die Frauen hohe Standkerzen an, die das Sonnenlicht ersetzten.
Heute hatte Arnamen Sirona sogar in den Versammlungsraum gebeten. In diesem mit türkisfarben-glasierten Steinchen gepflasterten Raum gegenüber der Krypta versammelten sich die Frauen zu Festmahlen oder besonderen Anlässen. Arnamen war in ihr feierliches moosgrünes Schmuckgewand mit dem prachtvoll verzierten Umhang gekleidet, in ihre Haare waren grüne und rote Bänder geflochten – ein untrüglicher Hinweis auf die Wichtigkeit dieser Versammlung. Die jüngeren Weisen Frauen waren in einfache grüne Arbeitsgewänder gekleidet.
Ich habe keine Ahnung, warum ich hier bin.
Noch nie seit Arnamen sie alle anführte, hatte sie Sirona zu einer Versammlung eingeladen.
Rina und Valeria nickten ihr freundlich zu. Die beiden Priorinnen waren nach Arnamen die Ältesten unter den Weisen Frauen und Sirona hatte ihnen bereits als kleines Mädchen das eine oder andere Geheimnis der verschiedenen Tinkturen und Kräuter entlockt. Sie bildeten den Stab, der die Ehrwürdige in den Belangen der Weisen Frauen unterstützte, und standen ihr stets beratend zur Seite.
Sirona fiel auf, dass nicht alle Frauen dem Ruf der Ältesten und Weisesten unter ihnen in die Krypta gefolgt waren.
Sapne fehlt.
Wahrscheinlich hat sie sich bei einer der Kranken angesteckt.
Sirona hatte die kleine Sapne mit den vielen Sommersprossen, der der Schalk aus den Augen blitzte, schon immer ins Herz geschlossen. Sie war so fröhlich und in ihrer Gegenwart musste man einfach gute Laune haben.
Die Erschienenen hatten sich inzwischen einen Platz an dem quadratischen Steintisch in der Mitte gesucht, der wie der Boden türkisfarben glänzte, oder lehnten an einer Wand.
Die Frauen sehen erschöpft aus.
Niemals zuvor hatte Sirona einen einzelnen Gedanken derart klar und offensichtlich in sich aufsteigen gefühlt, als ob jemand für einen kurzen Atemzug einen durchsichtigen Schleier vor ihrem Bewusstsein gelüftet hätte, gleichzeitig spürte sie ein sanftes Kribbeln auf ihrer Haut. Aus einem unerfindlichen Grund bündelte sich an diesem Ort die Magie.
Selbst ich kann sie fühlen.
In diesem Moment erhob sich Arnamen und blickte in erwartungsvolle Mienen. Ihre Stimme zitterte hörbar, als sie zu sprechen begann: »Ich befürchte, wir schweben in großer Gefahr. Unsere Magie wird bedroht, die Weisen Frauen werden bedroht.«
Sirona runzelte die Stirn. Nie hatte sie auch nur einen Gedanken an eine ernsthafte Gefahr für das Dorf verschwendet. Wozu auch? Den Clans ging es hervorragend, das Schlimmste, was eine Amet ereilen konnte, war eine Nacht mit einem schlechten Liebhaber, eine vorübergehende Erkältung oder dann und wann ein Sturm oder eine schlechte Ernte. Nichts, was nach einer Weile nicht wieder zu beheben war. Das Leben war schön und es war friedlich. Was sollte sich ändern?
»Es geschieht Befremdliches und die Ursache ist uns bisher verborgen geblieben.« Sie sah jeder Frau direkt in die Augen. »Ihr alle werdet es bemerkt haben, die Traumfäden verblassen, und bei den meisten von uns bleiben die Träume ganz aus.«
Wildes Gemurmel erhob sich. »Gestern keinen …« – »Ich auch nicht …« – das Stimmengewirr vermischte sich mit dem Rauschen des kleinen Wasserfalls aus dem Nebenraum.
»Das Fehlen der Träume verursacht bei einigen Kopfschmerzen, andere klagen zunehmend über Unwohlsein. Das Einzige, was wir genau wissen, ist, dass unsere magischen Kräfte schwächer werden.«
Elevinnen, die sich am Eingang drängten, um der Ansprache ihrer Ehrwürdigen zu folgen, nickten zustimmend.
»Unsere Tränke zeigen keine Wirkung. Ich habe bereits verschiedene Heilrezepte ausprobiert. Kein Kraut hat bisher wirklich geholfen. Ich habe versucht, unsere Schwestern mit einem Heiltraum gesund zu träumen, aber meine Wünsche scheinen niemanden zu erreichen. Meine Magie ist zu schwach.«
Priorin Rina hob das Kinn. »Auch unsere Magie wird schwächer; wir alle spüren es.«
Sirona fröstelte mit einem Mal. »Was geschieht hier, Ehrwürdige?«
»Wenn ich das nur wüsste.« Arnamen zog unwillkürlich ihren Umhang mit der dunkelroten Borte enger um die Schultern. »Das ist einmalig in der Geschichte der Amets, keine Überlieferung, die mir bekannt ist, erwähnt jemals ein ähnliches Vorkommnis.«
»Wir müssen es den Clans sagen.« Valeria, die Zweite der Priorinnen, räusperte sich. »Wir müssen sie warnen. Wir –«
»Aber wovor?« Rina fiel ihr ins Wort. »Ohne zu wissen, was hier geschieht, können wir nicht das ganze Dorf in Aufruhr versetzen.«
»Aber wir müssen etwas unternehmen.«
»Ich habe versucht, Träume zu den Dörfern im Umkreis zu schicken.« Arnamens Blick verfinsterte sich. »Bisher kam keine Antwort zurück. Ich möchte Euch bitten, es später ebenfalls zu versuchen. Danach sehen wir weiter. Außerdem habe ich Sirona heute Abend in unsere Mitte gebeten, weil mir Ma Sapana berichtete, dass Sirona von einem Baum geträumt hat.« Arnamen musterte Sirona forschend. »Ist das wahr?«
»Ja.« Sirona blickte überrascht auf. Es wunderte sie, dass ihre Mutter mit Arnamen darüber geredet hatte. »Mir erschien im Traum ein Baum, der kopfüber wuchs. Ich hatte regelrechte Sehnsucht nach diesem Baum.«
Deshalb hat sie mich herbestellt.
Arnamen lauschte ihr aufmerksam und überlegte kurz. »Wir müssen herausfinden, ob auch andere Dorfbewohner Träume empfangen haben. Möglicherweise hilft uns das bei der Lösung des Rätsels.«
Das ist merkwürdig. Wieso habe ich geträumt und keine der Weisen Frauen?
»Ich kann mich im Dorf umhören und Euch Bericht erstatten.«
»In Ordnung. Das ist eine gute Idee, Sirona.« Arnamen erhob sich. »Wir versuchen weiter, Kontakt mit Weisen Frauen überall im Land aufzunehmen, und ich vertiefe mich in die alten Traumrollen. Womöglich finde ich in der Vergangenheit einen Hinweis.«
DerbleicheMonderfüllte beinahe das ganze Firmament. Schwer und alabasterrein hing er am dunklen Himmel. Sein Kreisrund überstrahlte das Funkeln der Sterne ins Unsichtbare und der Schein seiner Kraft legte sich beruhigend auf Ma Yalás Atem. Der Zauber der Unendlichkeit erfüllte sie mit der tiefen Gewissheit, alles Werden und Vergehen, alles Sein war und würde auf immer an sein verlässliches Aufgehen in der Nacht gebunden sein.
Ein Gefühl des Trostes, der Sicherheit wehte durch das kalte Dunkel des Weltalls zu ihr herunter. Ma Yalá zog die Decke fester um ihre Arme.
Plötzlich setzte sich das Kreisrund in Bewegung. Die helle Scheibe drehte sich langsam auf der Stelle, immer schneller und schneller um sich selbst, einem Wagenrad gleich, das um seine Mitte kreiste. Entsetzt erblickte sie einen dunklen Schatten, der sich in entgegengesetzter Richtung wie ein schwarzer Streifen um den Rand wand, als ob er das Licht Stück um Stück verschlingen wollte. Mit jeder Windung wurde der Mondschein schwächer.
Hilflos beobachtete Ma Yalá, wie der Schatten den Mond aufzehrte, bis sich das schwarze Band unvermittelt von der Mondscheibe löste und genau auf sie zuraste, als ob es auch sie verschlingen wollte. Ma Yalá schreckte, von ihrem eigenen Aufschrei geweckt, aus dem Schlaf. Wer vom Mond träume, dem stehe eine Prüfung bevor, so hieß es unter den Amets. Eine Saat gehe auf oder etwas komme aus seinem Versteck heraus und zeige sich. Deutungen gab es verschiedene, doch in einem waren sich alle einig: auf jeden Fall stünde dem Träumer eine große Veränderung bevor.
Eine winzige Träne stahl sich aus Ma Yalás Augenwinkel und benetzte ihre Wange, während sie erneut einschlief.
Leere
*
sargschwarz
*
Ich fühle. Nichts.
EindumpfesKnarrenertönte, als Arnamen die schwarze Tür der Geheimkammer in der Bibliothek öffnete. Sie musste ihre ganze Kraft hineinlegen, um die Eisentür aufzuziehen.
Früher ist mir das leichter gefallen.
Ein herber Geruch wie von altem Leder und getragenen Holzpantinen schlug ihr entgegen, winzige Staubpunkte tanzten in dem Lichtstrahl, der über ihre Schulter in den dunklen Raum hineinfiel. Zwei Schritte und Arnamen stand mitten im verborgenen Herzen der Bibliothek. Sie schob Holzbrettchen vor den schmalen Lichtscharten in den Wänden zur Seite und tauchte den Raum in mattes Tageslicht. In diesem verborgenen Archiv, gerade neun mal neun Schritte groß, verwahrten die Weisen Frauen die Traumrollen und die Pergamenturkunden der Amets, diese uralten Schriften existierten seit Anbeginn des Ametreiches, wenn nicht gar länger. Die kostbaren Urkunden bewahrte sie in gerolltem Zustand auf. Einzelne Blätter aus Pergament wurden dazu an den Ober- und Unterkanten aneinandergenäht, um einen Holzstab gewickelt und mit einem Siegel aus Wachs oder Metall gekennzeichnet. An jeder Regalwand bewahrte man auf Winkeln befestigt dreizehn bis fünfzehn Rollen untereinander auf. Arnamen lächelte, als sie in der Mitte der Stirnseite nach einer schmalen Rolle griff, derjenigen mit dem auffälligsten Siegel. Eine Erinnerung stieg in ihr hoch, ein Bild aus einer weit zurückliegenden Zeit.
Oh, wie jung ich doch war, als ich diesen Schwur vor allen geleistet habe.
Mit dem Finger wischte sie die Staubflocken von der Oberseite und schob die Pergamentbahn auf dem Tisch in der Mitte des Raumes vorsichtig auseinander. Die Ecken beschwerte sie mit vier hölzernen Halbmonden, das handtellergroße, rot-grüne Siegel schob sie vorsichtig zur Seite. Arnamen las die Worte nicht, sie deklamierte sie auswendig:
Im Namen aller Mütter, Töchter und Schwestern, gelobe ich,mein Leben, meine Magie und mein Wissen in den Dienst unserer Gemeinschaft zu stellen.Ich schwöre feierlich, nicht nur die Weisen Frauen zu schützen,sondern die Würde einer jeden Frau stets zu achten und zu behüten,die Lebensweise der Amets und ihr Geheimnis zu bewahrenund die Gabe der Magischen Träume ausschließlich zum Wohle aller zu wirken.
Diesen Eid legte jede Weise Frau bei ihrer Einführung ab. Genau darum ging all ihr Trachten und Streben. Genau darum ging es auch jetzt angesichts der unbekannten Gefahr, die sie womöglich bedrohte.
Los, mach dich endlich an die Arbeit, statt in Erinnerungen zu schwelgen.
Vorsichtig rollte Arnamen die wichtigste Urkunde der Weisen Frauen wieder zusammen und legte sie zurück auf ihren Platz an der Wand. Sie ergriff eine zweite, ausladend breite und dicke Rolle, an der Siegel unterschiedlicher Größe und Farbe hingen.
Dies war das älteste und kostbarste Schriftstück, welches das Volks der Amets besaß. Mit einem Ausmaß von mehreren Metern war es auch das längste. Es begann mit einer Galerie von feingezeichneten Frauenbildern junger Mädchen, von Portraits mit lachenden Frauen, Frauen mit nachdenklichem Blick, Frauen mit Falten, aus denen die Klugheit sprach, und solchen mit langen grauen Haaren. Jedes Alter und jedes Temperament schien hier versammelt zu sein. Der Name jeder einzelnen Frau war säuberlich unter ihrem Bildnis vermerkt. Der erste Abschnitt wies Lücken auf. Das Schriftstück hatte augenscheinlich durch eingedrungene Feuchtigkeit gelitten. Normalerweise war Pergament nahezu unendlich lange haltbar, vorausgesetzt, man konservierte es unter optimalen Bedingungen.
Die feine Textur des bemalten Pergaments veränderte sich nach den Frauenbildnissen, Arnamens Fingerspitzen glitten weiter über eine raue, an den Kanten eingerissene Oberfläche. Von einem vergilbten und verschmutzten Untergrund hoben sich übergroße, altertümliche Lettern ab und schrien Arnamen förmlich an:
Verschleppt!
Gefoltert!
Tot!
Unwillkürlich fröstelte sie. Der zweite Absatz begann mit folgenden Worten: »Dieses Fragment erzählet vom Urbeginn der Amets. Sehet den Beweis für die Verfolgung und das Leiden unserer Frauen. Sehet die Bildnisse der Frauen und Mädchen, sehet die Unschuld und Güte, dahingerafft in den Jahren der Verfolgung und Ausbeutung, gefürchtet und benutzt nur aufgrund der Magie ihrer Träume.«
Den gesammelten Frauenbildnissen folgte eine Art Steckbrief.
Belohnung 100 Gran Gold
*
soll derjenige erhalten,
welcher dem Grafen Morcut
Kenntnisse über Personen offenbart,
die über widernatürliche
oder magische Kräfte
gleich welcher Art verfügen.
*
Wer gar ihren Aufenthaltsort weiß
oder sie persönlich auf Burg Morcut abliefert,
möge das Doppelte erhalten.
gez. im Namen der Schwarzen Zikade von Morcut
Darunter ein schwarzes Wappen mit zwei goldenen Kugeln, den fahlen Augen der Schwarze Zikade. Arnamen fiel es schwer, fortzufahren. Sie atmete tief durch. Es schauderte sie, wenn sie über diese vergangenen Zeiten nachdachte. Damals wurden die Frauen im ganzen Land von jedem dahergelaufenen König, Fürsten oder Großgrundbesitzer gefürchtet, verfolgt und instrumentalisiert. Sie wurden wegen ihrer magischen Fähigkeiten entführt und gefangen gehalten. Machthungrige Männer zwangen sie, Widersacher mit ihrer Magie zu beeinflussen, sie zu bestimmten Handlungen zu verführen oder ihnen einfach Angst einzujagen. Freunde sollten sie heilen, Feinde durch Albträume bestrafen oder gar in den Selbstmord treiben. Wer sich wehrte und nicht kooperierte, wurde bestraft oder getötet.
Man hat uns verfolgt, Gewalt angetan und uns beinahe ausgerottet.
In den nächsten Absätzen erzählte Frau E’la die Geschichte, wie sie König Futh entkam, der sie ihrem Dorf entrissen und in seinen Turm gesperrt hatte. Wie sie alle entkamen. Die Geschichte vom Anfang und Ursprung der Amets.
Da hielt ich es keinen Tag länger aus. Ich musste fort von hier, alle Frauen mussten fort von hier. Wir waren unseres Lebens nicht mehr sicher und schon seit langer Zeit nicht mehr froh. Und dann wusste ich mit einem Male, was zu tun war. Und so geschah es, dass ich einen Traum entsandte zu allen Frauen, die mit der magischen Gabe gesegnet waren.
Wir müssen fort! Alle Frauen, die sich uns anschließen möchten, sind willkommen, dieses Land mit uns zu verlassen, dieses Leben und seine Torturen hinter sich zu lassen und gemeinsam in der Ferne ein neues, freies Leben zu beginnen. Sendet diesen Traum zu den Frauen und Männern, die ihn empfangen können. Weihet diejenigen ohne magische Fähigkeiten ein, denen ihr vertrauen könnt. Packt eure Töchter, die Söhne und Männer, die guten Herzens sind, eure Edelsteine, eure Schriften, euer Saatgut, Proviant, Werkzeug, packt ein, was Ihr leicht und locker tragen könnt. Macht Euch am kommenden Vollmond auf den Weg über das südliche Gebirge. Gehet zu zweit, zu dritt, erwecket keinen Argwohn, fallt niemandem auf. Gehet Verwandte besuchen, liefert Waren aus, treibt Eure Herden auf neue Weidegründe, oder was Euch sonst an Ausreden einfällt. Machet Euch auf, auf leisen Sohlen.
Arnamen musste die Rolle ein Stückweit auf- und am anderen Ende wieder abrollen, um E’las Text weiterlesen zu können.
Und so geschah es, dass aus jedem Dorf die wenigen Frauen und Männer, die der Magie der Träume mächtig waren, meinem Ruf folgten. Und wir entkamen, jeder auf seine Weise und aus seiner Gefahr, und mit Hilfe unserer Magie sammelten wir uns in der Abgeschiedenheit hinter dem südlichen Gebirge. Wir nannten uns fortan Amets, Träumer, und gemeinsam warfen wir ein magisches Netz aus Träumen über diesen Landstrich, und seine ganze Existenz versank in der übrigen Welt in Vergessenheit. Dieser Schutz aus Träumen wird mit jedem neuen Traum aufrechterhalten und verstärkt. Möge dieses Netz uns auf immerdar beschützen und bewahren.
Nachdenklich strich Arnamen ihre silbergrauen Locken hinter die Ohren. Sie vermochte sich kaum auszumalen, was passieren konnte, wenn nach so vielen Äonen diese Schutzglocke aus Träumen Risse bekommen sollte und der Rest der Welt ihre Existenz aufs Neue entdeckte. Ehrfurchtsvoll rollte sie das Pergament zusammen und legte es zurück.
Vielleicht ist das schon einmal passiert?
Sie straffte die Schultern. Wenn dieser Fall früher einmal eingetreten war, müsste sie etwas darüber in einer der Traumrollen finden. In diesen Rollen wurden nur die wichtigsten gesendeten oder empfangenen Träume der Weisen Frauen festgehalten. Ein Archiv von gewirkter Magie und gleichzeitig eine Art Chronik der Amets, geführt von Anbeginn ihres freien Lebens an. Entschlossen griff sich Arnamen einige Urkunden und trat hinaus in die Bibliothek an ihren Schreibtisch, um im Hellen zu arbeiten.
Wenn dieses Phänomen irgendwo erwähnt wird, finde ich die Lösung.
WiederLavendelduftet, einfach betörend.
Sirona war in den Garten gegangen, um einen Dachziegel festzunageln, der sich beim letzten Sturm vom Geräteschuppen gelöst hatte.
Ich muss die Blüten bald abzupfen, sonst haben sie ihren Duft nur an sich selbst verschwendet.
Es widerstrebte ihr, die violetten Blüten inmitten ihrer vollen Pracht zu brechen, doch im Winter würde sie den Geruch der getrockneten Blüten umso mehr genießen. In einer Hand die Holzschindel stieg sie hoch auf die Leiter. Sogleich streifte sie ein mulmiges Gefühl. In letzter Zeit vertrug sie Höhen immer schlechter. Und nicht nur Höhen, auch enge Räume riefen eine Beklemmung in ihr hervor. Ihr schwindelte. Sie blieb auf der letzten Sprosse stehen und versuchte, sich zu beruhigen. Langsam griff sie nach dem kleinen Hammer, der an ihrem Gürtel hing.
Ich muss eine Entscheidung treffen.
Bald.
Sie hatte es immer wieder hinausgezögert. In nicht allzu ferner Zeit wäre sie zu alt, um als Elevin bei den Weisen Frauen in die Lehre zu gehen. Alles dort zog sie magisch an. Die Beete im Garten, von denen sie Arnika, Salbei oder andere Heilkräuter pflückte, die Wasserkrypta mit ihren unterirdischen Wasserbecken, das Haus, in dem aus jedem Winkel ein Hauch von Lavendel oder Thymian wehte, der Unterrichtsraum mit seinen feingezeichneten Wandmalereien von Blüten und Dolden und seinen Regalen mit den in Leder gebundenen Büchern und den wertvollen Pergamentrollen, in denen die alterprobten Heilmethoden für Körper und Geist aufgezeichnet waren. Die Weisen Frauen bewahrten das Gedächtnis der Clans in den Geschichten, die sie abends am Feuer den Kindern erzählten. Sie gaben das Wissen um die Heilkunde weiter an die Elevinnen und sie spannen die Traumfäden, mit denen die Amets verbunden waren. Sie waren das Herz und die Seele des ganzen Volkes.
Ich, die Weise Frau, die Heilerin, die Traumweberin und die Geschichtenbewahrerin unseres Dorfes.
Bei diesen Worten wurde Sirona ganz sehnsüchtig zumute. Sie sah sich schon in dem bodenlangen, grünschimmernden Gewand der Weisen Frauen durch das Dorf gehen und von jedem ehrfurchtsvoll begrüßt werden.
Grün steht mir gut.
Sie lächelte versonnen.
Meine blauen Augen bekommen dann so einen kecken grünen Schimmer.
Mit heftigen Schlägen nagelte sie die Schindel an ihrem Platz fest. Aber sie müsste die magische Ausbildung bald anfangen, denn sie nahm viel Zeit in Anspruch. Jede einzelne der Weisen Frauen würde Sirona ihr Wissen anvertrauen. Alle Amets konnten miteinander über ihre Träume kommunizieren, doch die höchste Vollendung, das Traumweben, erlernte man nur in jungen Jahren, wenn man es denn überhaupt erlernte. Nur eine von hundert Elevinnen besaß außer der gewöhnlichen Traummagie über die alle Weisen Frauen verfügten, darüber hinaus die Gabe, mittels eines Traumes die Handlungen von Menschen direkt zu beeinflussen. Nur sie konnte Wünsche oder Gedanken in ihre Träume einweben, die sich mit Hilfe ihrer Magie dann in der realen Welt manifestierten.
»Der Gedanke erschafft den Traum, der Traum erschafft die Wirklichkeit, die Wirklichkeit erschafft den Gedanken.« Arnamen hatte diesen Satz schon oft von sich gegeben. Das Traumweben war die höchste Form der Magie, die eine Amet erlernen konnte.
Was gäbe ich für solch eine Gabe.
Sirona fing an, die Leiter herabzusteigen.
Langsam.