Amortentia - David Pawn - E-Book

Amortentia E-Book

David Pawn

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Beschreibung

Hat sich mancher Leser von Harry Potter nicht auch schon einmal gefragt, wo es in Deutschland Zauberer gibt, wo diese hierzulande ausgebildet werden, ob "Muggel" eine politisch korrekte Bezeichnung ist und wie weit Zauberer gehen, wenn sie das Herz einer Frau bzw. ihren Schoß erobern wollen? Sophus Schlosser ist Fachzauberer für mechanische magische Objekte, vulgo Besenbinder, in Wernigerode. In seiner Freizeit braut er Liebestränke und nutzt deren Wirkung in diversen Bars weidlich aus. Dann läuft ihm Lyra Bascomb über den Weg, die mit ihren Eltern aus Schottland geflohen ist, als der Bürgerkrieg der Zaubererschaft ausbrach, weil der, dessen Name nicht genannt werden darf, an die Macht kam. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Wirkliche Liebe. Dennoch erliegt Sophus der Versuchung, auch Lyra mit einem Liebestrank gefügig zu machen - noch ahnt er nicht, dass er nicht nur keine Muggelfrau vor sich hat, sondern eine echte Muggelistin - eine Kämpferin für die Gleichberechtigung der nichtmagisch Begabten und eifrige Leserin der "Hermine". Damit beginnen Sophus' Sorgen, denn am nächsten Morgen wird er verhaftet. Lesen Sie weiter, wie Sophus zu wahrer Liebe findet und für diese kämpft. Ein Buch das augenzwinkernd die Welt der Zauberer von einer neuen Seite zeigt. "Diese Geschichte sei all denen eine Lehre, die noch immer zu Zaubertränken greifen, wenn sie uns erobern wollen." Aronia Grünberg in der aktuellen "Hermine" "Boah, eye, geil." - Buchkritik der "Bild der Magie"

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Amortentia

 

 

David Pawn

 

Ich entschuldige mich bei allen Fans von Harry Potter, dass ich Ideen und Grundannahmen aus den Büchern von Minerva Mc…, sorry, J. K. Rowling in dieser Geschichte verwendet habe. Aber ich bin der festen Überzeugung, wenn es Zauberer gibt, so gibt es sie auch bei uns. Man fährt nur nicht mit der Bahn zur Schule der Zauberkunst. Wer die Deutsche Bahn kennt, der weiß schon warum.

 

Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. Achten Sie also künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen besuchen Sie unsere Website: http://www.qindie.de/

 

Copyright © 2013 David Pawn

[email protected]

Michael Siedentopf

Schweizer Str. 40

01069 Dresden

Umschlaggestaltung: Casandra KrammerUmschlagmotive: © Shutterstock / lanych - 170428316, Kostenko Maxim - 108920759All rights reserved.

 

ISBN-13: 978-3754603895

 

 

Wie Sophus mit Liebestränken experimentiert

Sophus Schlosser war ein Zauberer der dritten Kategorie. Zum Leidwesen seiner Eltern zeigte sich frühzeitig, dass er keine besonderen Talente besaß. Er absolvierte die Zauberschule in den Hohneklippen mit Ach und Krach und begann eine Lehre bei einem Fachzauberer für mechanische magische Objekte. So lautete die heutige, hochtrabende Bezeichnung für einen Besenbinder. Weiter hatte er es auch mit vierunddreißig nicht gebracht. Er reparierte defekte Besen.

Die dunklen Zeiten waren an den deutschen Zauberern ohne großen Einfluss vorübergegangen. Das lag wohl daran, dass es in Deutschland bereits einmal einen dunklen Lord gegeben hatte, der der Meinung gewesen war, die Menschen in edle und schlammblütige einteilen zu müssen. Er war ein Muggel, ein Nicht-Zauberer, gewesen, aber das hatte nicht bedeutet, dass er seine Wahnideen nicht mit der gleichen Brutalität durchgesetzt hatte wie ein großer Meister der schwarzen Magie. Diese Zeit setzte sich im Geschichtsgedächtnis fest und machte die Menschen in Deutschland vorsichtig, wenn jemand davon sprach, dass eine Sorte Menschen besser oder auch nur anders wäre als die andere.

Also blieben die Zauberer in diesem Land von Todessern, der magischen Variante organisierter Brutalität und Überheblichkeit, weitgehend verschont. Man entsandte einige Hilfstruppen nach England und Frankreich, hielt sich ansonsten aber bedeckt.

Alles, was Sophus mit den Zeiten des dunklen Lords in Großbritannien in Verbindung brachte, war eine größere Anzahl zu reparierender Besen. Und auch davon wusste er das meiste nur aus Erzählungen seines Meisters, da er selbst gerade das erste Lehrjahr angetreten hatte. Weil in den befreundeten Ländern heftige Kämpfe tobten, waren die dortigen Werkstätten überlastet. Der Bedarf nach neuen Besen wuchs ständig. Plötzlich erinnerte man sich an die lange Tradition, die Deutschland in der Besenbinderei besaß. Natürlich waren die Produktionsstätten im Harz und in der Rhön seit fünfzig Jahren durch die Werkstätten „CleanSweap“ und „Nimbus“ in England und Frankreich überflügelt worden, aber als dort nicht gearbeitet werden konnte, weil man sich im Bürgerkrieg befand, griff man gern wieder auf die Modelle „Flotter Feger“ und „Blanker Hans“ zurück.

Sophus war bei der Arbeit in der Werkstatt flink. Er verfügte wirklich über kein großes Talent für die pure Magie, aber mechanische Arbeiten gingen ihm flott von der Hand. Er besaß, das sagten auch die Frauen, geschickte Finger.

Die Frauen!

Es ist nicht ganz korrekt, zu behaupten, Sophus hätte während seiner Ausbildung in den Hohneklippen kein Talent bewiesen. Er hatte sogar zwei Talente gezeigt.

Erstens war er der Beste seines Jahrgangs gewesen, was das Brauen von Zaubertränken betraf. Keiner machte ihm etwas vor, wenn es darum ging, „Glück, Liebe oder Tod in Flaschen zu füllen“, wie er es in einem seiner Lehrbücher gelesen hatte. Und er nutzte seine Fähigkeiten weidlich. Er verzichtete auf Glück und Tod, aber Liebe zog er auf Phiolen ab, wann immer er Zeit erübrigen und sich in das Zaubertränke-Kabinett schleichen konnte.

Damit kommen wir zu seinem zweiten Talent, das nur die Mädchen seines Jahrgangs schätzen gelernt hatten. Er besaß einen sehr standhaften Zauberstab. Er konnte eine junge Hexe damit in wenigen Minuten in ein zuckendes Bündel Lust verwandeln, das an nichts anderes dachte als an den eigenen Körper und die darin pulsierenden Säfte. Dieses Talent zeigte sich natürlich erst zum Ende seiner Ausbildung.

Sophus war auch nicht hässlich von Angesicht. Er hatte einen blonden Wuschelkopf, der zum Knuddeln einlud, und seine Augen zeigten jenes strahlende Blau, das man manchmal bei Filmstars oder Hunden findet. Das Gesicht war schmal, die hohen Jochbeine gaben ihm einen asketischen Touch, der durch seine schlanke Gestalt unterstrichen wurde. Einzig die Nase war ein wenig zu groß, um als wohlgeformt zu gelten. Aber wie sagt das Sprichwort …?

Und so standen die jungen Hexen an seinem Bett Schlange. Es sprach sich schnell herum, dass seine magischen Fähigkeiten an diesem Ort jene im Unterricht um ein Vielfaches überstiegen. Brachte er es in Zauberspruchkunde kaum fertig, einen Frosch fliegen zu lassen, so erzählte man sich in den Mädchenschlafräumen davon, dass eine junge Hexe auf seinem Besen schneller in den Himmel kam als mit dem neusten „Nimbus“-Modell.

Nach dem Abschluss der Zauberschule, den er mit Ausnahme von „Zaubertränke“ nur mit großer Mühe erreichte, fand Sophus eine Anstellung bei einem Besenbinder, Verzeihung, Fachzauberer für mechanische magische Objekte, in Wernigerode.

Hier, am Fuße des Brockens, befand sich von jeher die Hochburg der deutschen Flugbesenproduktion. In den alten Zeiten hatten ungesicherte Testflüge für die Legende gesorgt, die Hexen versammelten sich auf dem Blocksberg, um mit dem Teufel zu tanzen. Heutzutage tat man natürlich alles, um zu verhindern, dass Muggel eines der neuen Modelle bei einem Probeflug erblickten. Und wenn es doch einmal zu einem unliebsamen Zwischenfall kam, war garantiert nicht vom Teufel die Rede. in diesem Fall las man wieder einmal von einer Ufo-Sichtung. Andere Zeiten, anderer Unsinn.

Sophus mietete eine kleine Wohnung in der bunten Stadt am Harz, wie sich Wernigerode gern selbst in Prospekten nannte. Außerdem legte er sich eine Garage am Rande der Stadt zu. Er besaß kein Auto. Wozu hätte er einen stinkenden fahrbaren Untersatz sein Eigen nennen sollen? Besen waren schnell und umweltfreundlich. Aber er benötigte einen Ort, wo er ungestört seine Zaubertränke brauen konnte.

Er richtete sich in der Garage einen Raum ein, den Muggel als Labor bezeichnet hätten. Außerdem ließ er sich einen Kamin setzen. Der Maurer, der diese Arbeit für ihn verrichtete, hielt ihn, einfach ausgedrückt, für bekloppt. Welcher normale Mensch lässt sich in eine Garage einen Kamin mit Esse einbauen?

Als der Kamin stand, ließ er ihn und das entsprechende Gegenstück in seiner Wohnung beim Flohnetzwerk registrieren. Jetzt musste er nicht einmal mehr fliegen, um in sein Labor zu kommen. Er warf einfach etwas grünes Pulver in die offenen Flammen, stieg hinterdrein und sagte den Zielort an. Sekunden später kam er an. Das Ganze hatte nur einen Haken: Eine Registrierung beim Flohnetzwerk kostete Einiges. Jeden Monat ging ein Gutteil seines Lohnes für diesen Luxus drauf. Wenn er ehrlich war, musste Sophus zugeben, dass ein Auto zumindest billiger gewesen wäre. Aber ein Auto war so muggellike …

Andererseits konnte man genau deshalb mit einem Auto bei Muggelfrauen punkten, während ein Kamin in einer kleinen Mansardenwohnung oder gar in einer Garage eher als schrullig angesehen wurde.

Aber Sophus benötigte für seine Bemühungen um die Gunst von Muggelfrauen keinen fahrbaren Untersatz. Er musste sie nicht einmal auf dem Besen mitnehmen, und über der Stadt einen Rundflug machen, obwohl das sicher Eindruck auf die eine oder andere gemacht hätte. Alles was er benötigte, war eine Phiole mit einem seiner Liebestränke und ein unbeaufsichtigter Drink in einer Bar.

Natürlich galt für Zauberer ein Verbot, sich Muggeln gegenüber auf magische Weise einen Vorteil zu verschaffen, aber darüber hatte er sich nie Sorgen gemacht. Nach seiner Meinung entschädigte er die Frauen ausreichend durch sein Durchhaltevermögen. Wenn ihn jemand mit einem schwarzen Magier verglichen hätte, würde er die Anschuldigung weit von sich gewiesen haben. Und wahrscheinlich steckte wirklich weniger Boshaftigkeit, als Gedankenlosigkeit in ihm, wenn er mit seinen Phiolen auf die Pirsch ging.

Sophus hatte sich niemals an Amortentia versucht, dem stärksten bekannten Liebestrank. Aber von den vier anderen Gebräuen, die er ausprobiert hatte, erfüllten drei in den meisten Fällen einen ähnlichen Zweck. Schöne Muggelfrauen sanken in seine starken Arme, ließen sich von ihm nach Hause begleiten oder kamen mit in seine Mansardenwohnung und ließen sich von seinem Luststab verzaubern.

Sophus erinnerte sich noch gut an sein erstes Experiment. Er hatte eine kleine Menge Liquidosa Vagis aus seiner Schulzeit übrig gehabt, ein Trank der weniger Liebe, als sexuelle Gier erzeugte. Er war nicht direkt verboten, in Zaubererkreisen aber verpönt. Man durfte ihn seiner Ehefrau, Geliebten oder Freundin verabreichen, wenn diese zu selten bereit war, sich den Freuden der Liebe hinzugeben, aber man erzählte es nicht seinen Freunden oder Kollegen. Und natürlich erst recht nicht derjenigen, der man den Trank unterjubelte.

Er hatte die Phiole in Watte gepackt, damit sie nicht zerbrach, und dieses Bündel in die Innentasche seines Jacketts gesteckt. So ausgerüstet spazierte er in eine Bar. Nach einem flüchtigen Blick auf die anwesenden Damen machte er es sich zunächst am Tresen bequem und nahm einen Drink.

Als die Stimmung im Laufe des Abends lockerer wurde, machte er sich bereit. Schließlich kam eine vollbusige Rothaarige an die Bar, um eine Bestellung aufzugeben. Er hatte gesehen, dass sie nur in Begleitung eines anderen Mädchen an einem Tisch in der Ecke saß. Die Andere sah absolut durchschnittlich aus, braunes Haar, blasser Teint, kleiner Busen – nichts was ihn interessierte. Aber die Rothaarige, die neben ihm an der Bar lehnte, war wirklich eine scharfe Braut. Ihr knackiger Hintern wurde von dem kurzen Kleid nur notdürftig bedeckt. Diese Frau brauchte vermutlich nicht einmal einen Liebestrank, um heißzulaufen.

„Die gehen auf mich“, sagte er zum Barkeeper, nachdem die Rote ihre Bestellung aufgegeben hatte.

„Oh.“ Ihr Mund formte einen perfekten Kreis. Sophus stellte sich vor, wie er sich um seinen Besenstiel schloss.

„Und für mich einen Whiskey-Mix“, fügte er hinzu.

„Können wir das wirklich annehmen?“

„Aber klar, ich lade euch ein. Ich bin heute allein und ein bisschen Gesellschaft würde mir gut tun.“

„Du hast doch Hintergedanken.“ Anzügliches Grinsen zeigte sich im Gesicht der Rothaarigen. Die brauchte eindeutig keinen Liebestrank. Sie war offenbar selbst auf der Pirsch. Sophus spürte Enttäuschung, weil er sich mit der blassen Brünetten begnügen musste, wenn er die Wirkung auf Muggelfrauen testen wollte.

Der Barkeeper reichte die Drinks rüber, nahm das Geld und wandte sich dem nächsten Gast zu. Sophus und seine neue Bekanntschaft gingen zum Tisch hinüber.

„Wie heißt ihr beiden Hübschen?“

„Annika“, sagte die Rothaarige.

„Dora“, ließ sich die andere schüchtern vernehmen. Sie besaß eine angenehme Stimme.

„Ich heiße Sophus.“

„Sophus?“ Annika kreischte vor Lachen. „Was ist denn das für ein komischer Name?“

„Altes …“ Sophus schluckte ‚Zauberergeschlecht‘ herunter und sagte stattdessen: „Griechischer Name, Sophia kennt ihr sicher.“ Er hoffte, die grammatikalische Ungereimtheit fiele den beiden Mädchen nicht auf.

Sie schwatzten eine Weile, schließlich ging Annika erneut Drinks holen. Sie bestand darauf, dass diesmal die Reihe an sie kam, zu bezahlen.

Während Annika an der Bar stand, nestelte Sophus die Phiole aus seiner Jacke und verbarg sie in der Hand, dabei erzählte er Dora von seinem angeblichen Beruf als Automechaniker.

Er hatte sich, wie viele Zauberer, eine Legende über ein Muggelleben zugelegt. Passenderweise behauptete er, Fortbewegungsmittel zu reparieren. Er hatte sich sogar ein wenig Wissen über diese Maschinen angelesen, um nicht sofort aufzufliegen, wenn ihm neugierige Fragen gestellt wurden. Dora schien aber eher gelangweilt, während sie seinem Gerede über Getriebe und Zündkerzen lauschte.

„… und dann habe ich erst einmal nachgesehen, ob Benzol im Tank … ah, da kommen die Getränke.“

„Du meinst Benzin?“

„Nein, ich meine die Drinks.“ Sophus war kurzzeitig verwirrt. „Ach so, ja, natürlich meine ich Benzin. Vielleicht sollte ich langsamer trinken.“

Er griff nach dem Glas, das den für Dora bestimmten, alkoholfreien Drink enthielt. Dora war in diesem Etablissement definitiv fehl am Platze.

Während er den Drink zu dem Mädchen hinüberschob, ließ er im Schutz seiner Hand ein paar Tropfen des Zaubertrankes aus der Phiole in das Glas fallen. Selbst nach Muggelbegriffen war er ein geübter Zauberer.

Nach etwa zehn Minuten begann Dora, unruhig auf ihrem Platz herumzurutschen. Sie atmete heftiger. Sie versuchte verzweifelt ihren kleinen Busen herauszurecken, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber Sophus war der Einzige, der von Dora wirklich Notiz nahm, und dies nur, weil er die Wirkung seines Gebräus beobachten wollte.

„Meine Güte, ist das warm hier.“ Dora öffnete die oberen beiden Blusenknöpfe. Annika sah sie erstaunt an.

„Findest du?“

Dora achtete gar nicht auf ihre Begleiterin, sondern grinste Sophus an. Ein unvoreingenommener Muggel hätte sie für verknallt oder angetrunken gehalten.

Sophus sah Doras rechte Hand unter dem Tisch verschwinden. Er fragte sich, ob sie, wie Annika, einen Rock trug oder Hosen, was besser zu ihrem sonstigen Auftreten gepasst hätte. Dies würde es ihr deutlich schwerer machen, an den Stellen herumzuspielen, die jetzt mit solcher Macht Beachtung forderten.

Sophus betrieb mit Annika Konversation, behielt jedoch die ganze Zeit Dora im Auge, die mit entrücktem Blick an ihrem Platz saß, stoßweise atmete und auch sonst alle Symptome zunehmender Wollust zeigte.

Schließlich hielt es die junge Frau offenbar nicht länger aus. „Ich muss mal kurz für kleine Mädchen“, sagte sie. Als Annika, typisch, ebenfalls aufstehen wollte, um Dora zu folgen, legte diese eine Hand auf deren Schulter und sagte: „Bleib nur hier, ich bin gleich zurück.“

Schon verschwand sie in Richtung der Toiletten.

„Oh, ich muss auch mal kurz weg“, erklärte Sophus, kaum das sich Dora vom Tisch entfernt hatte. „Dringender Anruf.“

Er sprang auf und eilte Dora nach, die er gerade noch um eine Ecke biegen sah. Mit langen Schritten gelang es ihm, sie kurz vor dem angestrebten Ziel einzuholen.

„Ich komme mit“, sagte er forsch.

Dora blickte ihn an, errötete, doch dann strahlte sie. An der Tür zu den Damentoiletten, die vor denen für die Herren zu passieren war, trat Dora ihm in den Weg. Sie packte ihn an den Aufschlägen seines Jacketts, zog ihn zu sich heran und küsste ihn feurig. Sophus verging Hören und Sehen bei diesem Kuss. So viel Leidenschaft hätte er selbst mit magischer Hilfe der blassen Dora nicht zugetraut.

Als er kaum noch Luft bekam, ließ Dora von seinem Mund ab, stieß ihn durch die Tür der Damentoilette und sagte einfach: „Komm.“

Sie dirigierte ihn zu einer der Boxen, schob ihn hinein, folgte und schloss hinter sich die Tür zu dem kleinen Kabinett. Kaum waren sie darin allein, nestelte sie bereits am Gürtel seiner Hose.

„Du willst es doch auch“, sagte sie schwer atmend.

Was sich danach abspielte, erschien Sophus wie der Traum einer schwülen Sommernacht. Leider war der Ort der Handlung kein Garten mit von Blütenduft schwerer Luft umgeben von Vogelsang, sondern eine Toilette in einer Bar. Der Duft entsprach der Örtlichkeit und die Vogelstimmen wurden durch Geräusche aus der Nachbarbox ersetzt.

Dora explodierte förmlich in seinen Armen. Wie bei einem Vulkan, der jahrhundertelang Druck angestaut hatte, brach das Feuer der Leidenschaft aus ihr hervor. Sophus wurde mitgerissen, ließ sich tragen von dieser Welle der Sinnlichkeit und als sie beide fast gemeinsam Erlösung fanden, sanken sie erschöpft jeweils in die Arme des Anderen.

„Meine Güte“, sagte Dora an seinem Ohr, „so etwas habe ich noch nie getan.“ Sie entfernte ihren Kopf von seinem und blickte ihm forschend ins Gesicht. Da war die unausgesprochene Frage in ihrem Blick, ob er etwas verraten würde.

Sophus lächelte und schüttelte den Kopf.

„Es war schön“, sagte er schlicht.

„Aber jetzt ist es vorbei.“ Dora erhob sich von ihm und ließ die schlaff werdenden Reste eines stolzen Zauberers zurück. Sie zog Höschen und Jeans wieder an ihren Platz, nachdem sie sich notdürftig mit Papier gereinigt hatte. Anschließend öffnete sie die Tür der Box einen Spalt, lugte hinaus und winkte Sophus ihr zu folgen. Am Ausgang des Raumes trafen sie auf eine junge Frau, die gerade hineintreten wollte.

„Verzeihung“, murmelte Sophus und schlüpfte eilig hinaus. Die andere wandte verblüfft den Kopf.

„Bei den Herren war alles besetzt“, erläuterte Dora und folgte Sophus zum Tisch.

Seit jenen Tagen waren inzwischen zwei Jahre vergangen. Sophus kam immer wieder als Gast in verschiedene Bars der Stadt, und meist trug er eines seiner Gebräue bei sich. Wenn er alle Zutaten beschaffen konnte, mischte er Eroteria, aber er griff auch gern auf Liquidosa Vagis zurück, obwohl ihm die Wirkung ein wenig zu schnell und zu heftig erfolgte.

Einmal hatte er es mit Dominataria versucht, aber der war ihm entweder misslungen oder er hatte die falsche Dosis gewählt, denn alles, was er damit geerntet hatte, waren ein paar saftige Ohrfeigen gewesen. Seltsamerweise bekam er diese verabreicht, bevor er der Dame überhaupt zu nahe trat. Sie hatten die ganze Zeit gemeinsam an der Bar gestanden und sich über einen aktuellen Film unterhalten, da knallte die junge Frau ihm plötzlich mit Schwung ihre Hand ins Gesicht, dass es klatschte.

„Aber …“ Da fing er die Nächste. Schließlich bekam er eine dritte Salve zu spüren, dann drehte sich sein vermeintliches Opfer um und verschwand.

Der vierte Trank, den Sophus je probiert hatte, hieß Amoroso greco. Aber auch dessen Wirkung entsprach nicht seinen Vorlieben.

Die Frau war sehr zutraulich geworden, hatte ihn zu sich nach Hause eingeladen und sich schließlich vor seinen Augen entkleidet. In aufreizenden Posen tanzte sie vor ihm herum und ließ ihn immer erregter werden. Schließlich teilte sie ihm sehr direkt mit, was sie von ihm erwartete.

Sie begehrte seine Dienste an ihrem Hintereingang und sagte dies mit drastischen Worten. Sie benutzte das F-Wort, obwohl sie eine Frau war, der er kaum zugetraut hätte, dass sie dieses kannte. Als er sie am Beginn des Abends ausgewählt hatte, waren es gerade ihre hochgeschlossene Bluse und der knielange, klassische Rock gewesen, die ihn dazu bewogen hatten, sie auszuwählen. Diese Dame, die das Wort „prüde“ in unsichtbarer Schrift auf der Stirn tätowiert hatte, war für ein Experiment mit Liebestränken wie geschaffen gewesen.

Er wollte sich drücken, sagte, so etwas hätte er nie zuvor probiert, aber sie reagierte ziemlich unwirsch, schimpfte ihn einen Schlappschwanz und Wichser, zwei weitere Ausdrücke, die er nicht von diesen Lippen erwartet hätte, und war nahe daran, seine Beinkleider aus dem Fenster zu werfen.

Das wollte er nicht riskieren, weshalb er gehorchte. Im Nachhinein musste er zugeben, dass auch diese Form des Verkehrs nicht unangenehm war, aber die klassische Variante – zur Vordertür rein – war ihm lieber.

Wie Sophus Lyra kennenlernt

Ein heißer Junitag breitete sich über der Stadt. Sophus war am Vorabend gerade aus dem Schwarzwald nach Wernigerode zurückgekommen. Er hatte seine Eltern besucht, die an den Seen dort an einem Projekt arbeiteten, das Muggel als Umweltschutzinitiative bezeichnet hätten. Gemeinsam mit Nixen und Wassermännern bemühten sie sich, die Wasser- und so die Lebensqualität der Bewohner der Seen zu verbessern. Dazu mussten sie die Muggel, insbesondere Touristen, von stark geschädigten Quellen fernhalten. Sie waren stets damit beschäftigt, Wege zu verstecken oder umzuleiten, ganze Seen zu verbergen und hin und wieder damit, einfach den Dreck wegzuräumen, den die Muggel, gedankenlos wie sie waren, hinterließen.

Seine Mutter freute sich sehr, ihn wieder einmal in die Arme schließen zu können, bei seinem Vater war die Freude eher verhalten. Er konnte sich noch immer nicht damit abfinden, dass sein einziger Sohn es nur bis zum Besenbinder gebracht hatte. Erst als er ihnen bei handwerklichen Arbeiten an einer wilden Abwasserleitung geholfen hatte, zeigte sich ein Lächeln auf dem Gesicht seines alten Herrn.

An diesem Abend wollte Sophus sich für die Strapazen der Reise belohnen. Er hatte eine Portion Eroteria gebraut, die eine Elefantenkuh in Liebesrausch hätte versetzen können und mehrere Phiolen damit gefüllt. So ausgerüstet apparierte er in der Nähe einer etwas außerhalb des Ortes am Wald liegenden Bar hinter einer alten Eiche. Jemand der ihn dort hervortreten sah, würde vermuten, er hätte dort sein Wasser abgeschlagen. Kurz dachte er sogar darüber nach, dies zunächst zu erledigen, um besonders unverdächtig zu erscheinen, aber da er keinen Druck seiner Blase verspürte, ließ er es bleiben.

Die Bar war gut gefüllt, als er ankam. Natürlich waren die Mehrzahl der Besucher junge Paare, die einen angenehmen Abend verbringen wollten. Am Bartresen saßen zwei einzelne Herren, die, wie er, auf der Jagd nach edlem Wild waren. Sophus passierte sie und suchte nach einem freien Tisch, wo er sich zunächst niederlassen und ungestört die Lage sondieren konnte. Er fand einen in der Nähe der Tanzfläche und setzte sich. Es fehlte nur eine passende Frau.

Der Kellner kam, nahm seine Bestellung auf und ging. Dem Butterbier entwachsen sagte Sophus zu einem frischen Pils nicht nein. Als der Kellner es an seinen Tisch brachte, sah Sophus über dessen Schulter hinweg eine junge Göttin über die Tanzfläche schreiten. Oder die schönste Muggelfrau, die er in seinem Leben je gesehen hatte.

Ihre Haut zeigte die Farbe von Milchkaffee. Die Haare waren dunkel, vielleicht sogar wirklich schwarz, aber das konnte er in Anbetracht der typischen Barbeleuchtung nicht erkennen. Sie waren kraus, wie dies für Menschen mit dunkler Haut so typisch ist, und im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst.

Die Farbe ihrer Augen hatte Sophus nicht erkennen können. Die Nase war klein und schmal, untypisch für den dunklen Typ. Ihre Wangenknochen erinnerten ihn an ein Abbild der Nofretete, das er einmal gesehen hatte. Die Kinnpartie war ein bisschen zu spitz, um als schön angesehen zu werden. Diesen geringen Makel glich der wohlgeformte Mund mit den zum Küssen einladenden, vollen Lippen völlig aus. Das Gesicht der Frau faszinierte ihn so, dass Sophus es ganz gegen seine Gewohnheit versäumte, ihr auf den Busen zu starren.

Dies war eine Traumfrau – Sophus‘ Traumfrau. Er hatte sie gesehen und wusste im gleichen Augenblick, dass er sie besitzen wollte. Sein Mund war leicht geöffnet. So staunte er sie an wie ein Zehnjähriger einen Schokoladenbrunnen. Es fehlte nicht viel und er hätte gesabbert.

Sophus folgte der Dame mit den Augen, bis sie sich in einer Nische an einem Tisch für zwei niederließ. Noch war sie allein, doch die Platzwahl legte nahe, dass in Kürze ein männlicher Begleiter auftauchte. Sie hatte sich an einen typischen Tisch für Paare gesetzt.

Es dauerte etwa zehn Minuten, dann ging einer der jungen Männer, die am Bartresen gesessen hatten, zu der kaffeebraunen Schönheit hinüber. Sophus sah ihn lächelnd etwas fragen, und nach der Antwort den freien Stuhl vom Tisch zurückziehen und sich setzen.

War es möglich, dass sie tatsächlich keinen Begleiter erwartet hatte, dass sie selbst auf der Jagd nach einem Abenteuer in diese Bar gekommen war? Und er hatte die Chance verpasst und sie diesem Muggel überlassen, der noch feucht hinter den Ohren war? Sophus verfluchte seine Dummheit. Aber er würde sich nicht so einfach ergeben, versicherte er sich.

Mit Argusaugen beobachtete er die beiden. Der junge Mann hatte einen Cocktail für sich und die Schöne bestellt. Das Getränk schillerte bunt und ein Obstspieß zierte das Glas. Sie stießen an, schwatzten und lachten. Als der DJ die erste Musik auflegte, waren sie sofort auf der Tanzfläche. Die junge Frau tanzte nicht, nein, sie schwebte über das Parkett. Der Mann wirkte an ihrer Seite elegant wie ein Bergtroll, obwohl er im Grunde kein schlechter Tänzer war.

Sie drehten sich ein paar Runden und kehrten an den Tisch zurück. Wieder stießen sie an. Heiße Wellen der Eifersucht durchfluteten Sophus. Er brauchte eine Chance, er benötigte einen Moment, in dem er mit dem jungen Mann allein war.

Endlich geschah das, worauf Sophus die ganze Zeit sehnsüchtig gewartet hatte. Sein Nebenbuhler erhob sich und machte sich auf den Weg in Richtung Toiletten. Sophus folgte ihm. Er wusch sich die Hände, wartete an den Waschbecken, bis der Andere sein Geschäft erledigt hatte und trat hinter ihn, als der sich seinerseits die Hände reinigte.

„Geysirus“, zischte er und zielte sorgfältig mit seinem Zauberstab.

Nichts geschah. Fast nichts. Nur der Muggel wandte sich mit verblüfftem Gesicht zu ihm um und fragte: „Was ist?“

Sophus konnte im letzten Augenblick den Zauberstab hinter seinem Rücken verschwinden lassen. Er sah den jungen Mann betreten an und sagte: „Ich habe nur geflucht, weil dieser Kondomautomat mein Geld geschluckt hat, ohne was auszuspucken.“ Er deutete auf das unschuldige Gerät.

„Muss auch mal ohne gehen“, sagte der Muggel und wandte sich wieder zum Waschbecken um.

‚So ein Dummkopf‘, dachte Sophus. ‚Ahnt der überhaupt, was man sich alles einfangen kann.‘

Dann zermarterte er sich den Kopf über den richtigen Zauber. Er war in der Schule keine große Leuchte gewesen, aber er sollte doch wohl in der Lage sein, ein Waschbecken in einen Wasserspeier zu verwandeln, wenn er praktisch davor stand. Schließlich kam ihm die Erleuchtung.

„Geysirius!“

Das obere Ende des Wasserhahnes sprang ab, ein hoher Strahl schoss gleichzeitig aus dem jetzt offen liegenden Zulauf als auch aus dem Ablauf. Der junge Muggel war in wenigen Augenblicken nass von Kopf bis Fuß.

„Was ist denn das für eine Scheiße“, fluchte er laut.

„Tja, hier scheint wirklich alles defekt zu sein“, erwiderte Sophus lakonisch und verließ die Toilette, ehe er etwas von dem Wasser abbekam, das durch den Raum spritzte.

„Da ist etwas in der Herrentoilette kaputt“, meldete er am Bartresen. Er wollte die Bar nicht unter Wasser setzen, am Ende musste die vorzeitig schließen, so dass er keine Chance mehr bekam, seine Auserwählte zu erobern.

Nass wie der sprichwörtliche Pudel flüchtete sich nach ihm der junge Muggel aus dem Refugium. Als die junge Frau, die Sophus als seine Traumfrau bezeichnete, aufsah und ihn erblickte, brach sie in schallendes Gelächter aus.

„Was ist denn mit dir passiert?“, hörte er sie laut ausrufen.

„Der Wasserhahn ist regelrecht explodiert“, bekam sie zur Antwort. „So was habe ich noch nicht erlebt.“ Der junge Mann sah an seiner tropfenden Gestalt hinab. „Ich glaube, ich muss nach Hause.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern.

„Ich bleibe noch ein bisschen. Der Abend ist ja noch jung.“

„Oh, ich dachte, du würdest mich begleiten. Wir könnten auch bei mir zu Hause einen schönen Abend haben.“

Die junge Frau lachte wieder.

„Du bist offenbar noch nicht ganz trocken hinter den Ohren“, sagte sie. „Geh nur, vielleicht sehen wir uns mal wieder. Dann kann ja was aus uns werden. Heute nicht mehr.“

Der junge Mann ließ den Kopf hängen und zog, eine feuchte Spur hinterlassend, ab. Er tat Sophus plötzlich leid, aber dieser Moment verging und er dachte daran, dass er die Chance jetzt nutzen musste, die er sich selbst geschaffen hatte.

Er wartete einige Minuten ab, in denen er seine Auserwählte beobachtete, die allein an dem Tisch zurückgeblieben war, hin und wieder an ihrem Cocktail nippte und den Paaren auf der Tanzfläche zusah. Als er meinte, es sei genug Zeit verstrichen, die Gefahr, dass ein anderer Mann auf die Dame aufmerksam wurde und versuchte, sich an sie heranzumachen, war inzwischen immer größer geworden, stand Sophus auf, ging zu dem Tisch hinüber, verbeugte sich förmlicher als heutzutage gemeinhin üblich und fragte: „Wollen wir unsere Einsamkeit gemeinsam verbringen?“

Die Frau, die bis eben versonnen in ihr Glas gestarrt hatte, blickte auf. „Wie bitte?“

„Sie sind allein, ich bin allein. Es wäre doch viel besser zu zweit zu sein.“

„Klingt wie ein Schlagertext. Aber Sie dürfen sich trotzdem setzen.“

„Danke.“ Sophus nahm Platz und winkte nach dem Kellner. „Ich würde Sie gern zu einem Drink einladen, wenn es gestattet ist.“

Die Frau zeigte ihr halbvolles Glas vor. „Ich bin eigentlich versorgt. Vielleicht einfach ein Wasser, wenn es unbedingt sein muss. Das Zeug hier ist doch reichlich süß.“

„Wasser ist okay.“ Sophus bestellte ein Bier für sich selbst und der Dame ein Wasser.

„Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?“, fragte Sophus sehr direkt, nachdem sich der Kellner abgewandt hatte.

„Nein, ehrlich gesagt nicht.“ Sie schüttelte den Kopf.

„Ich habe Sie hier zu diesem Tisch gehen sehen, und mir gesagt: Da geht deine Traumfrau.“

Sie lächelte versonnen. „Das sagen Sie an jedem Wochenende zu einer Anderen, oder?“

„Nein, nur einmal im Monat.“

„Okay, das glaube ich Ihnen sofort.“ Plötzlich schien es, als zöge ein Schatten über ihr Gesicht. Die Augen blickten ernst, beinahe traurig. „Aber es ist auch egal. Meine Kollegen haben gesagt, ich müsse mal rauskommen und Spaß haben, und dazu bin ich fest entschlossen.“

Sophus sah sein Gegenüber interessiert an. „Darf ich fragen, wo Sie arbeiten?“

„Ich bin Hei… Ärztin.“

„Haiärztin? Es gibt tatsächlich Ärzte nur für diese Raubfische? Ist das nicht ein sehr enges Fachgebiet?“ Sophus staunte.

„Nein, ich bin Ärztin und zusätzlich als Heilpraktikerin tätig, wollte ich sagen. Und was machen Sie so?“

„Ich arbeite als Besenbinder.“ Bei dieser Frau wollte Sophus nicht seine Legende vom Automechaniker anbringen. Er wusste selbst nicht so recht warum, sie war einfach nicht die Frau, die man beschwindelte.

Sie machte nur große Augen und sagte gar nichts. Ihr fragender Blick reichte völlig aus.

„Ja, ich mache Reisigbesen. Die werden zumeist auf Märkten verkauft. Touristen kaufen viel. Wir sind im Harz - Hexentanzplatz, Brocken und so, da ist ein Reisigbesen ein beliebtes Mitbringsel. Wir fertigen die in allen Größen - für Kinder, für Erwachsene, sogar für Puppen.“

„Fliegen die auch?“, fragte die Frau und grinste.

„Die Frage ist nun wirklich nicht mehr originell, seit den Mem… Büchern über Harry Potter.“ Sophus schaute aufmerksam, ob der Frau sein Lapsus aufgefallen war. Beinahe hätte er Memoiren gesagt. Aber die schaute nur versonnen auf die Tanzfläche und tippte mit der rechten Hand einen Takt auf dem Tisch.

Der Kellner trat an den Tisch und stellte ein Bier vor Sophus und ein Wasser vor der jungen Frau ab. Während diese kurz in das Gesicht des Servierenden blickte, förderte Sophus eine seiner Phiolen aus der Tasche und öffnete sie geschickt mit einer Hand. Dies hatte er daheim genauso oft geübt wie einige Schwünge mit dem Zauberstab. Er beherrschte es praktisch im Schlaf.

„Möchten Sie tanzen?“

„Gern, aber nur, wenn wir dieses grässliche ‚Sie‘ sein lassen können. Ich heiße Lyra und - du?“ Sie ließ vor der vertraulichen Anrede eine deutliche Pause.

„Sophus“, erwiderte dieser. „Wir haben beide keine Durchschnittsnamen abbekommen, wie mir scheint.“

„Ich bin im Norden von Schottland geboren“, sagte Lyra. „Meine Eltern sind nach Deutschland gekommen, als ich ganz klein war. Ich kann mich an das Hochland gar nicht mehr erinnern.“

Lyra erhob sich, Sophus stand ebenfalls auf. Als Lyra am Tisch vorbeiging, nutzte er die Gelegenheit, die Hand, die die Phiole verbarg, über das Cocktailglas zu führen. Ein paar Tropfen fielen hinein, ein paar zusätzliche Gasblasen stiegen auf, doch der Effekt war kurz, und wäre nur jemandem aufgefallen, der konzentriert das Glas beobachtete. Ein solcher Jemand befand sich nicht in der Nähe.

Sie traten auf die Tanzfläche. Schon bei den ersten Schritten fiel Sophus auf, wie sanft und leichtfüßig sich seine Partnerin bewegte. Es schien fast, als berührten ihre Füße den Boden nicht. Sie war eins mit dem Rhythmus der Musik. Er bemerkte die neidischen Blicke einiger Männer.

„Du hast gesagt, da wo du arbeitest, sind alle jungen Männer schon vergeben. Arbeitest du im Krankenhaus?“

„Ja, aber nicht direkt in Wernigerode.“

„Ach, wo dann?“

„Außerhalb.“ Mehr wollte Lyra offenbar nicht preisgeben.

„Ich arbeite in Hasserode. Ist ein kleiner Meisterbetrieb.“ Das stimmte. Es war genauso wahr, dass sie zur Tarnung neben den Flugbesen solche für Touristen fertigten. Neulich erst hätte einer der Lehrlinge beinahe einen reparierten Flugbesen zu einem Markt auf dem Hexentanzplatz geschickt. Sophus hatte den Fehler im letzten Augenblick bemerkt. Nicht auszudenken, wenn irgendein Muggel den Besen gekauft hätte.

„Schwer vorzustellen, dass man mit Reisigbesen heutzutage genug verdienen kann.“

„Seit den Rowling-Büchern gab es einen regelrechten Boom.“ Als er das Pseudonym von Minerva McGonagall erwähnte, wunderte er sich einmal mehr, wie erfolgreich das Buch gewesen war.

„Haben eure Besen auch so tolle Namen wie ‚Nimbus 2000‘?“, wollte Lyra wissen.

Sophus lachte. „Nein. Die heißen einfach Besen.“

„Glaubst du an so was?“

„Woran?“

„An Zauberei? Glaubst du, es gibt Leute, die so etwas können – auf Besen fliegen, Zaubertränke brauen, durch Kamine reisen, mit – wie heißt das – Mückenpulver?“

„Flohpulver“, verbesserte Sophus, verschluckte sich und beeilte sich, anschließend zu sagen: „Nein, nein, natürlich nicht.“

„Ist doch seltsam, oder?“

„Was ist seltsam?“

„Dass wir nicht an so etwas glauben können. Dabei wissen die meisten Menschen nicht, wieso Flugzeuge fliegen oder wie die Mikrowelle funktioniert. Das könnte für sie ebenso gut Zauberei sein.“

„Irgendein kluger M… Mann hat mal gesagt, dass Wissenschaft nicht von Zauberei zu unterscheiden ist, oder so ähnlich.“

„Jede genügend hochentwickelte Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

Sophus nickte. Genau diesen bedeutungsschweren Satz hatte er mal in irgendeiner Muggelzeitschrift gelesen.

„Ich würde gern an Magie glauben“, sagte Lyra.

„Aber du bist Ärztin.“ Sophus staunte. Mit Ärzten verband er eine Aura der strengen Wissenschaftlichkeit. Viele Ärzte waren schon von Heilpraktikern nicht begeistert. Solange sie nicht sicher wussten, warum etwas heilte, wandten sie es nicht an. Inzwischen waren Akkupunktur und Homöopathie zwar durchaus gelitten, aber man beäugte diejenigen, die sie praktizierten, argwöhnisch.

Und nun sprach ausgerechnet eine Muggelfrau, die darüber hinaus Ärztin war, seine eigenen geheimen Gedanken aus. Sophus hatte sich schon oft über die seltsame Einstellung der Muggel gewundert, die einerseits Bühnenzauberer bewunderten, und Bücher über alle möglichen magischen Wesen und Welten verschlangen, echter Magie aber nicht einfach skeptisch, sondern mit missionarischem Eifer entgegentraten.

Dabei wussten sie genau, dass man zwei Gase zusammenbringen konnte, so dass diese mit lautem Knall zu einer Flüssigkeit wurden, die unter bestimmten Bedingungen nicht nur hart wie Stein war, sondern sogar Felsen sprengen konnte. Sie kannten die Fähigkeiten vieler Pflanzen und anderer Stoffe, im Körper Reaktionen, gute und schlechte, auszulösen, ja, sie mischten sogar Tränke daraus, deren Wirkung der echter Zaubertränke kaum nachstand. Sie nahmen Sand und sorgten dafür, dass dieser nicht nur in der Lage war, sich Dinge zu merken, sondern komplizierte Berechnungen ausführte, zu denen sie selbst nicht in der Lage waren. Sie sandten sich Nachrichten über weite Strecken einfach durch die Luft. Und andererseits wunderten sie sich über so einfache Dinge wie einen fliegenden Besen.

„Worüber lachst du?“

Sophus hatte gar nicht gemerkt, dass er seine Gedanken in ein Lachen verwandelt und so laut zum Ausdruck gebracht hatte.

„Über die M… Menschen. Wir sollten wirklich mehr an Magie glauben.“

„Vielleicht wird dies ja ein magischer Abend“, erwiderte Lyra und lächelte ihn an. Sein Herz setzte einen Takt aus, gleich darauf mit doppeltem Elan weiterschlagend.

Sie tanzten eine Weile schweigend weiter und kehrten schließlich an den Tisch zurück.

„Ich muss mal kurz verschwinden“, sagte Lyra. „Hoffentlich ist die Damentoilette nicht auch gestört.“

„Wieso?“, fragte Sophus unschuldig.

„Na, bei euch muss es doch eine Überschwemmung gegeben haben.“

„Ach? Ich war noch nicht dort.“

„Ich hätte schwören können, dich da gesehen zu haben, als der junge Mann nass von oben bis unten zurückkam, der sich vor dir um mich bemüht hat.“

Sophus schüttelte nur den Kopf.

„Na, egal.“ Lyra nahm ihre Handtasche und ging in Richtung Toiletten davon.

Sophus fragte sich, ob es richtig gewesen war, einen Liebestrank in Lyras Getränk zu schütten. Es kam ihm inzwischen beinahe wie Verrat vor. Sie war wunderschön, sie war nett, sie war vermutlich klug und sie teilte Gedanken, die er schon lange in seinem Kopf gewälzt hatte, aber so nicht auszusprechen in der Lage gewesen war. Noch war nichts geschehen, Lyra hatte nicht wieder von ihrem Cocktail getrunken. Er konnte einfach gegen das Glas stoßen, es umwerfen und dafür sorgen, dass der Trank auf dem Tisch statt in ihrem Blutkreislauf landete.

Er beruhigte sich mit der Tatsache, dass es Eroteria war und nicht Liquidosa Vagis. Dieser Trank gehörte zu jenen, die tatsächlich Hingabe und nicht pure Gier erzeugten. In einigen Büchern wurde er als Vorstufe zu Amortentia bezeichnet – DEM Liebestrank an sich. Den brauten natürlich ausschließlich Experten. Ja, auch er besaß im Brauen von Tränken seine Meriten, aber er nahm an, wenn er sich an diesem versuchte, wäre nur eine stinkende Brühe und ein verschmorter Kessel die Folge.

Letzteres konnte er sich bei seinem Verdienst wahrhaftig nicht leisten. Er verfügte ohnehin nur über einen alten von Schwarzschmied & Söhne, obwohl alle Welt wie verrückt nach den Kesseln von Liberman war. Man sah kaum einen Zauberer in einem anderen rühren, als in einem von diesen mit einer Kirsche geschmückten Dingern. Liberman-Fans apparierten bereits am Vorabend der Auslieferung des neuesten Modells vor den Geschäften, um auf jeden Fall eines der begehrten Objekte zu bekommen. Sophus hatte sich schon oft gefragt, ob diese Kessel tatsächlich so gut waren, wie man es immer in die Ohren geblasen bekam, wenn man sich die neusten Nachrichten der Magie ansah.

Sein Meister in der Besenbinderei hatte ihm erzählt, einer seiner Freunde habe sich einen Liberman-Kessel zugelegt und musste danach erst einmal die Hälfte seiner Zutaten wegwerfen. Der Kessel warf bestimmte Ingredienzien einfach wieder aus, wenn sie nicht direkt in einem Liberman-Laden gekauft worden waren. Und natürlich benötigte man für so ein Ding ein spezielles Rührholz, eine besondere Aufhängung und das Feuer unter dem Kessel musste ebenfalls extra eingerichtet werden. Alles in allem, fand Sophus, war es das Geld nicht wert, was er für so ein Meisterstück der Kesselmacherei hätte ausgeben müssen. Seine Tränke waren auch ohne automatisches Linksrühren und selbständige Zutatenbestellung wirksam genug. Außerdem missfiel ihm die direkte Kopplung an das Flohnetzwerk. Er konnte sich nicht vorstellen, worin der Vorteil bestand, wenn die Mitarbeiter von Liberman ihm praktisch direkt in den Kessel gucken konnten, während er zum Beispiel einen seiner Liebestränke braute.

Als Sophus mit seinen Gedanken an diesem Punkt ankam, wurde ihm klar, dass er rasch zu einer Entscheidung kommen musste, was die Anwendung des Trankes betraf, den er bei sich trug. Lyra konnte jeden Augenblick aus der Tür mit der stilisierten Frau drauf treten. Sie war ohnehin schon eine ganze Weile verschwunden. Wahrscheinlich standen die Damen wieder einmal Schlange.

Sophus blickte auf das Cocktailglas. Unschuldig stand es dort. Wie mochte dieser Drink heißen? Er hatte Lyra nicht nach ihrer Wahl gefragt. Vielleicht sollte er das nachholen, überlegte er und blickte auf.

Er musste den Moment verpasst haben, als sie das gewisse Örtchen verlassen hatte. Schließlich konnte sie nicht neben der Bar appariert sein.

„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest“, sagte sie.

„Was muss, das muss“, erwiderte Sophus. „Jetzt bist du mir aber einen Tanz schuldig.“

Wenn sie nur ausgiebig tanzten, würde Lyra bestimmt warm werden und Durst verspüren, dachte er sich.

„Aber gern.“ Sie trat um den Tisch herum, baute sich neben seinem Platz auf und zog an seiner Hand, bevor er sich ganz erhoben hatte. Sie griff sich eilig ihr Wasserglas, um einen großen Schluck zu nehmen.

„Noch einen auf den Weg“, sagte sie.

Während sie tanzten, erzählte Lyra von ihren ausgiebigen Wanderungen. Sie war anscheinend in jeder freien Minute in der Natur und kraxelte in den Hohneklippen und auf dem Brocken herum. Sophus musste schmunzeln, denn er kannte die Gegend ausgezeichnet, schließlich war er dort zum Zauberer ausgebildet worden. Für Muggel sah die Schule natürlich aus wie ein merkwürdig geformter Fels.

„Einmal“, so sagte sie, „habe ich eine echte Wildkatze gesehen. Jedenfalls glaube ich, dass es eine war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da oben Hauskatzen herumstreunen.“

„Davon, dass es im Harz selbst heute noch Wildkatzen gibt, habe ich schon gelesen“, sagte Sophus.

Er hatte sogar eine in seinem Zimmer in der Schule gehabt. Die war in der Nacht zum Fenster hereingeklettert und wollte sich gar nicht wieder vertreiben lassen. Das war im Winter gewesen, es hatte gestürmt und den Schnee meterhoch an der Schulmauer aufgetürmt. Kein Wunder, dass die Katze die Wärme des Zimmers, das er mit drei anderen Jungs teilte, der kalten Freiheit vorzog.

Nach ein paar Tanzrunden machte der DJ eine Pause und Sophus kehrte mit Lyra an den Tisch zurück. Sie nahm, ohne zu zögern, ihr Cocktailglas, setzte es an und leerte es in einem Zug.

„Das war jetzt nötig“, sagte sie. „Hier ist es aber auch ziemlich warm.“

Sophus nickte. Er war auf der Tanzfläche ebenfalls ins Schwitzen gekommen. Er griff nach seinem Glas, nur um festzustellen, dass es leer war. Hatte er tatsächlich ausgetrunken? Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern.

„Willst du einen Schluck Wasser? Du verdurstest mir sonst, ehe der Kellner Nachschub bringt.“ Lyra schob ihr Glas zu ihm hinüber.

Das Wasser sah verlockend aus. So hell und klar, ein paar Gasbläschen mühten sich zur Oberfläche. Sophus leckte über seine trockenen Lippen und entschied, nicht erst auf ein neues Bier warten zu wollen. Angesichts dessen, was er für sich und Lyra im Verlauf der Nacht geplant hatte, sollte die gemeinsame Nutzung eines Glases kein Problem sein. Außerdem hatte er Durst, großen Durst.

Er griff nach dem Glas und nahm einen Schluck. Als er es wieder absetzte, nahm er einen angenehmen Duft wahr. Es roch nach Äpfeln und trockenem Holz. Wahrscheinlich war da jemand mit einem besonderen Parfüm gerade hinter ihm vorbeigegangen. Er wandte den Kopf. Er wollte fragen, wie dieser neue Duft hieß, der hätte sein Lieblingsparfüm werden können. Aber niemand lief dort herum.

„Was ist los?

---ENDE DER LESEPROBE---