An's bittere Ende (Band 1 - 3) - M. E. Braddon - E-Book

An's bittere Ende (Band 1 - 3) E-Book

M. E. Braddon

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mary Elizabeth Braddons Eltern wurden 1840 geschieden, als sie drei Jahre alt war. Nachdem sie Privatunterricht erhalten hatte, war sie drei Jahre als Schauspielerin tätig, um ihre Mutter Fanny unterstützen zu können. Als sie 10 Jahre alt war, wanderte ihr Bruder Edward Braddon nach Indien und später nach Australien aus. 1894 wurde er Premier von Tasmanien. 1860 lernte sie den Verleger John Maxwell kennen, der mit einer geisteskranken Frau verheiratet war. Mary Elizabeth Braddon sorgte für deren fünf Kinder wie eine Mutter. Mit Maxwell hatte sie sechs Kinder, darunter den späteren Schriftsteller William Babington Maxwell (1866–1938). 1874, nach dem Tod von Mrs. Maxwell, konnte Mary Elizabeth Braddon den Verleger auch offiziell heiraten. Mary Elizabeth Braddon war eine überaus fruchtbare Schriftstellerin. Nach ihrem Tod wurde sie auf dem Friedhof von Richmond beigesetzt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 852

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ans bittere Ende

Roman

von

M. E. Braddon

Impressum

Instagram: mehrbuch_verlag

Facebook: mehrbuch_verlag

Public Domain

(c) mehrbuch 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Erster Band.
Erstes Capitel. Da unten im Blumenthale.
Zweites Capitel. Brierwood degradiert sich.
Drittes Capitel. »Denkst Du daran, als wir zuerst uns sahen?«
Viertes Capitel. Das rechte Colorit Titian’s.
Fünftes Capitel. Herr Walgrave giebt sich seinen geselligen Neigungen hin.
Sechstes Capitel. Grace entdeckt eine Aehnlichkeit.
Siebentes Capitel. »Wenn es doch alle Tage wie heute wär’.«
Achtes Capitel. »Gedenk der Abschiedsthrän’, die sie um Dich geweint.«
Neuntes Capitel. »Noch einen Kuß, bevor wir scheiden.«
Zehntes Capitel. Herr Walgrave ist mit sich zufrieden.
Elftes Capitel. Im Dienst.
Zwölftes Capitel. Harcross und Vallory.
Dreizehntes Capitel. »Viel besser als die Dinge ist ihr Schein.«
Vierzehntes Capitel. Herr Walgrave macht sich ein Vergnügen.
Fünfzehntes Capitel. »Siehst Du zurück auf das was war?«
Sechzehntes Capitel. »Wenn Du es aber nicht gut meinst?«
Siebzehntes Capitel. Ihm unerreichbar.
Zweiter Band
Erstes Capitel. Herr Walgrave wird ein Anderer.
Zweites Capitel. Richard Redmayne‘s Heimkehr.
Drittes Capitel. »Was ist‘s, das Ihr mir sagen wollt.«
Viertes Capitel. Eine kalte lieblose Verbindung.
Fünftes Capitel. Ein großer Treffer.
Sechstes Capitel. »Auf Leben und Tod.«
Siebentes Capitel. Georginchen‘s Ehe-Pacten.
Achtes Capitel. Frau Harcross in ihrem Hause.
Neuntes Capitel. Herr und Frau Harcross fangen an, sich zu verstehen.
Zehntes Capitel. Graus er als Martern, Hunger, Meeresstücke.
Elftes Capitel. »Doch ach, wie schwer ist‘s nun, da Du geschieden!«
Zwölftes Capitel. Ein wiedergefundener Schatz.
Dreizehntes Capitel. »Ein Blick zurück bringt zur Verzweiflung mich.«
Vierzehntes Capitel. Männer und Frauen.
Dritter Band.
Erstes Capitel. »Man vergnügt sich.«
Zweites Capitel. »Eins konnte ich mit Dir nie sein.«
Drittes Capitel. »Todt doch auf andere Weise.«
Viertes Capitel. »Denkst Du, ich sei doch unrein schwaches Weib?«
Fünftes Capitel. »Von Kunstsinn zeugt ihr einfaches Gewand.«
Sechstes Capitel. »Da plötzlich fiel ein Schatten auf das Haus.«
Siebentes Capitel. »Vor allen Andern hab ich Dich gemieden.«
Achtes Capitel. »Du bist der Mann?«
Neuntes Capitel. »Nie glänzte das Mondlicht so herrlich wie heut!«
Zehntes Capitel. »Führt böse That so rasch zum argen Ziel?«
Elftes Capitel. Der falsche Mann.
Zwölftes Capitel. »Ach theil mit mir die Pein der Antheilsstunde.«
Dreizehntes Capitel. »Auch Unschuldige trifft der Donnerkeil.«
Vierzehntes Capitel. »Noch immer von dem gleichen Wahn berückt.«
Fünfzehntes Capitel. »Todt brachte man ihren Ritter heim.«
Sechzehntes Capitel. »Warum nicht Wahrheit? Schadet sie den Todten?«

Erster Band.

Erstes Capitel. Da unten im Blumenthale.

Ein altmodischer Garten. Tiefer Herzen des ländlichen Kent liegt ein Garten, wie ihn kein moderner Gärtner billigen würde, aber trotzdem duftig und schön und dem fernen Besitzer sehr theuer, der weit jenseits des öden Meeres es versucht, sein Vermögen auf den Goldfeldern Australien’s aufzubessern und mit manch einem geheimen Seufzer auf das eine grüne Thal in England zurückblickt, das er seine Heimath nennt. Vierzig Jahre lang ist es seine Heimath gewesen und Jahrhunderte schon die seines Geschlechts. Sehr schwer würde es ihm jetzt werden, sich von dem alten Orte zu trennen, und doch hat Richard Redmayne standhaft dieser herben Möglichkeit entgegen zu sehen.

In dem Garten giebt es keine schmucken Blumenbeete in Gestalt von Kreisen oder verschobenen Vierecken; keine wunderbaren, bandartigen Einfassungen, keine einfarbigen Massen eigenthümlicher Arten aus der Familie des Kohls und der Endivie, sondern nur zwei lange weite Beete, die mit altmodischen Blumen geschmückt sind, ein großer Reichthum von Rosen, eine weite Grasfläche, auf der hier und da ein Baum steht; alte Aepfel- und Birnbäume, einige Nußbäume, eine niedrige und sich weit ausbreitende spanische Kastanie, die einen Schatten wie ein Zelt giebt, und eine große düstere Ceder. Der Garten ist von der Außenwelt und der ruhigen Landstraße, die an ihm vorüber führt, durch hohe rothe Ziegelmauern getrennt, an denen Obstbäume entlang wachsen und aus welchen sich Drachenmaul und Steinsonnen befinden. Es sind Mauern, welche an sich eine Studie für den Pinsel eines Malers abgeben könnten. Auf der anderen Seite des Gartens, von demselben nur durch eine wilde Rosenhecke getrennt, liegt ein großer Kentischer Obstgarten, dessen hohes, weiches Gras, stellenweise von zitterndem Laube beschattet wird, der ein höchst angenehmer Ruheplatz und an warmen Sommer-Nachmittagen ein wahrer Friedenshafen ist. Am Ende des Obstgartens liegt ein Teich, wo eine Schaar Enten unter den Wasserlilien hin- und herpatschelt, und auf dem anderen Ufer des Teiches befindet sich das Weidenland und die Kornfelder der Meierei Brierwood.

Garten, Heimwesen und Meierei gehören Richard Redmayne, den das Goldfieber gezwickt hat, und der im fernen Australien es versucht, sein Vermögen wieder zu gewinnen, das in den letzten Jahren durch eine Reihe unglücklicher Zufälle, schlechte Ernten, fehlgeschlagene Viehspekulationen, Rinderpest, Kartoffelkrankheit, kurz durch alle die Schrecknisse, denen der Ackerbauer unterworfen ist, schwer gelitten hat.

Er hat seinen jüngeren Bruder, einen leichtlebigen etwas schwachen Menschen, der selbst nie viel für sich im Leben gethan hat, sondern meist von dem Besitzer von Brierwood abhängig gewesen ist, und dessen Frau zurückgelassen, die keineswegs leichtlebig oder schwach, sondern etwas zanksüchtig ist und seine scharfe Zunge hat, aber im Grunde keine schlimme Person ist. Diese beiden, James Redmayne und seine Frau Hanna, haben die Meierei unter ihrer Obhut und außerdem noch etwas, das viel kostbarer als das Pachtgut Brierwood ist. Denn wie theuer auch jeder Morgen der alten Heimath dem Herzen des Wanderers sein mag, so läßt er doch etwas zurück, das ihm noch zehnmal theurer ist, seine Tochter Grace nämlich, sein einziges Kind ein hochgewachsenes, schlankes, braunlockiges Mädchen von neunzehn Jahren.

Sie war keineswegs eine auffallende Schönheit, diese Pächterstochter, die über ihren Stand hinaus, wie die kleine Welt von Kingsbury im allgemeinen und Frau James Redmayne insbesondere behauptete, erzogen worden. Sie war kein Wesen, das die Männerwelt unter irgend welchen Umständen mit Sturm erobert, aber trotzdem hübsch und liebenswerth; von einer Gestalt, die man gern in Haus und Garten sich bewegen sieht, schlank und schmächtig, wie die

Lilien in den langen Beeteinfassungen, und von einer blumenartigen Anmuth, welche ihr das Ansehen gab, als ob sie mit jenen verwandt wäre, ein liebes, hübsches, junges Gesicht, das von kastanienbraunen Locken eingerahmt war, die hier und da in’s Goldene schimmerten; ein Gesicht, dessen größter Reiz in seinem Teint, einer milchweißen Haut, auf die ein schwaches Rosenroth Leben hingehaucht zu haben schien, bestand.

Grace Redmayne war zu fein erzogen worden, das sagte Frau James, die es lieber gesehen hätte, daß ihre Nichte in der Milchwirthschaft und der Behandlung des Federviehs geschult worden wäre. Ehrlich gesprochen war das Leben des Mädchens etwas nutzlos und Frau James hatte den gesunden Menschenverstand auf ihrer Seite. Von der eigentlichen Landwirthschaft Verstand Grace gar nichts. Zwar liebte sie die alte Heimath innig, freute sich daran unter den Blumen zu spazieren, und die langen Morgen in den Obstgärten zu vertändeln; zwar liebte sie alle die lebenden Wesen, welche sie umgaben, von der alten Molly, dem Milchmädchen, das sie seit ihrer frühesten Kindheit kannte, bis zu den jungen gelben Enten, die erst gestern ausgebrütet worden; aber damit hatte es auch sein Ende. Sie hatte drei Jahre in einer Pension, im Badeort Tunbridge verlebt, und war nach Brierwood mit der gewöhnlichen oberflächlichen Pensionsbildung heimgekehrt; sie spielte das Klavier ein wenig, sprach ein wenig französisch, konnte ein paar vereinzelte italienische Phrasen, zeichnete etwas, malte unmögliche Blumen auf Holz und hatte eine unersättliche Leidenschaft fürs Romanlesen.

Ihr Vater hatte ihr ein altes Klavier bei einem Trödler in Tunbridge gekauft; das mehr um seiner gefälligen Form, als um seines Werthes willen, gewählt worden war, das aber in einer Nische des altmodischem getäfelten Gesellschaftszimmers sehr großartig aussah. Der Pächter liebte es sehr, wenn seine Tochter ihm in der Dämmerstunde des Sommers, vor dem Abendessen etwas vorsang, und mochte die weiche sanfte Stimme nicht weniger, wenn sie ihn bisweilen in einen nicht beabsichtigten Schlummer einlullte, aus dem ihn ein lautes Geklapper im Nebenzimmer und die gellende Stimme von Frau James auszuwerfen pflegte, welche die Beiden fragte, ob sie denn gar nicht daran dächten zum Abendessen zu kommen, und ihn zu plötzlich aus dem lieblichen Traumland in die schwere Wirklichkeit zurückrief.

Sie war ein einziges Kind, diese hübsche braunlockige Grace, das verschönte Ebenbild der einzigen Frau, die er je geliebt hatte, seiner reinen schlichten, auf dem Lande erzogenen Ehefrau, die ihm vor 12 Jahren durch einen entsetzlich plötzlichen Tod entrissen worden. Grace war das einzige Wesen, das ihm auf Erden zu lieben und zu verwöhnen übrig geblieben war, und er hatte auf ihr schönes junges Haupt die Fülle kostbarer Liebe eines starken Männerherzens ausgegossen. Es war eine-schwere Prüfung, sie in der Blüthe ihrer Jugend zu verlassen, aber nach langem Kampfe mit widrigen Verhältnissen, war er zu der Ueberzeugung gelangt, daß ihm nichts anders übrig blieb. Einer seiner alten Bekannten, ein Mann, der als kleiner Pächter schmähliches Unglück gehabt, hatte in den Goldfeldern Wunder geleistet und Richard Redmayne eine glühende Schilderung seiner Erfolge zukommen lassen. Dieser war von Natur zu Abenteuern und Speculationen geneigt, durchaus kein Mensch, der zufrieden Tag für Tag auf einem geebneten Wege, langsam und angestrengt arbeitete, selbst wenn das ziemlich vortheilhaft gewesen wäre; und eine lange Zeit hindurch hatte er das Unglück zum Genossen gehabt. Ueber diesen Brief aus Australien, der nachlässig genug, wohl mit erheblichen Uebertreibungen geschrieben war, brütete er immer wieder, als ob er der Zauberschlüssel sei, der ihm einen großen Schatz eröffnen könne. Ganze Nächte hindurch träumte er davon, wie er da drüben bis an die Kniee im tiefen Lehm stände und das gelbe Gold im glänzenden Mondenschein spatenweise herausschaufelte. Allmorgentlich blickte er die gemalten Wände seines Schlafzimmers, die im Morgensonnenschein funkelten mit Schmerz und Kummer an, wenn er daran dachte, daß sein Leben in diesen engen Grenzen eingeschlossen bleiben sollte. Zwar war seine Tochter da, die er mehr als irgend etwas Anderes in der Welt liebte, aber der Gedanke an dieselbe machte ihn um so begieriger, sein Glück in der weiten Ferne zu suchen. Wenn er nicht einen verzweifelten Schritt that und damit Glück hatte, so mußte Brierwood nothwendig in fremde Hände übergehen. Er steckte bis an den Hals in Schulden und konnte kaum hoffen, es noch lange so zu treiben.

Es konnte wohl nur ein verzweifelter, in der Welt, wie sie außerhalb seines eigenen Heimwesens ist, unerfahrener Mann je auf den Gedanken kommen, durch Goldgräberei sich zu retten. Aber diese unvernünftige Hoffnung hatte seit den ersten Tagen des Goldfiebers, wo die Träume und Hoffnungen der Menschen auf Vermögen, die in jenem unerforschten Erdreich zu finden seien, ausschweifender und größer als jetzt waren, heimlich in seiner Brust fortgelebt. Von den täglichen Plackereien und stets zunehmenden Verlegenheiten seines Lebens wandte sich Richard Redmayne jener unbekannten Welt jenseits des Meeres zu, bis es ihm schien, als ob ihm dort ein Stern leuchte, dem er nur zu folgen habe.

Selbst, wenn er Unglück habe, sagte er sich, würde eine Art Genugthuung darin liegen, Etwas unternommen zu haben.

Jeder Mißerfolg, der ihm zu Theil werden könne, werde besser sein, als zu Hause zu bleiben und thatenlos dem Unglück ins Gesicht zu starren.

Er rief seine Gläubiger zusammen und setzte ihnen den einfachen Thatbestand auseinander. Sie waren noch keineswegs in Verzweiflung und hatten einen großen Glauben an seine Ehrlichkeit. Auch waren die Summen, die er ihnen schuldete, nicht groß, — betrugen insgesamt kaum 1500 Pfund, während die Meierei reichlich 4000 werth war — aber sie erschienen ihm, der völlig außer Stande war sie abzuzahlen, ohne sein Land auf’s neue zu belasten, sehr groß.

Seine Gläubiger lächelten ein wenig, als er ihnen seine Absicht, Gold zu graben, auseinandersetzte, thaten ihr Möglichstes, ihm von einem so tollen Unternehmen abzurathen, bewilligten ihm aber gerne die Zeit, und das war Alles, was er haben wollte.

»Ich habe keine Furcht,« sagte er, als einer derselben, ein langjähriger Freund, es versuchte, seinen Plan in den dunkelsten Farben zu schildern. »Ein Etwas sagt mir, daß ich Glück haben muß, wenn ich nur aushalte; es können wohl ein bis zwei — bis drei Jahre vergehen, ehe ich das leiste, was ich zu Stande bringen will. Mehr als drei sollen es aber nicht werden. Aber ich bitte Euch Alle um eine Frist von drei Jahren für den allerschlimmsten Fall. Auch erwarte ich nicht, so viel Nachsicht umsonst zu erwerben; ich will Euch Allen Eure Forderung mit 5 Proc. verzinsen.«

Das war von Herrn Redmayne, wie die Gläubiger sagten, freigebig und anständig gehandelt. Ein einfältiger Mensch wollte zwar die Frage wegen der Zinsen lassen, wurde aber von seinen Collegen überstimmt. Herr Redmayne hatte eine sehr richtige Ansicht von der Sachlage und sie wünschten ihm allen möglichen Erfolg in seiner neuen Laufbahn. Uebrigens fanden ja Leute wirklich bedeutende Geldbeträge da draußen und es war eigentlich kein Grund dafür vorhanden, warum er nicht auch seinen Antheil an dem allgemeinen Glück haben sollte. Freilich, man hörte wohl kaum von den unglücklichen Goldgräbern — die gingen stumm und unbekannt zu Grunde. Daher schien es, als ob man nur eine Spitzaxt und Schaufel brauche, um sich unbeschränkte Reichthümer zu verschaffen.

Durch vieles Brüten und Träumen und eine stets zunehmende Verdrossenheit, welche ihn mit Widerwillen gegen die Meierei erfüllte, wo Alles schlecht zu gehen schien, hatte sich Rick Redmayne, wie seine Freunde ihn nannten, in diesen Gemüthszustand gebracht. Da draußen winkte ihm ein sicheres Glück, wenn er thätig und abgehärtet, — war er doch nur einen Tag in seinem Leben krank gewesen — nur den Muth hatte, danach zu greifen. Er war so stark wie Herkules und ein guter Schütze, kurz, gerade der rechte Mann, um in einem jungen Lande sich Bahn zu brechen. Von den kleinlichen Beschwerden und Quälereien seines Daseins zu Hause, wandte er sich mit Sehnsucht nach dem unbekannten Leben da drüben. Erst reiste er an einem schönen Märzmorgen, nach jener freundschaftlichen Zusammenkunft mit seinen Gläubigern, nach London, kaufte sich daselbst eine zwar sehr ökonomische und einfache Ausstattung, nahm ein Billet für ein Schiff, das — damals gerade in den Docks befrachtet wurde und nach Ablauf einer Woche absegeln sollte, sorgte dafür, daß sein Reisekoffer sicher an Bord gebracht werde und kehrte nach Brierwood zurück, um seiner Tochter Grace hiervon Mittheilung zu machen.

Zwischen den Beiden fand eine kummervolle Scene statt. Das Mädchen liebte ihren Vater leidenschaftlich; was hatte sie sonst noch mit der ganzen Kraft ihrer Natur, die warm und liebevoll war, zu lieben? Bis zu diesem Augenblick hatte er ihr seine Absicht nicht einmal angedeutet. Sie hatte ihn zwar mit einer Art Neid von den großen Dingen in Australien und von seines Freundes, John Morgan’s Glück reden hören; sie hatte ihn die langsam schwere Arbeit des Pächterlebens mit den plötzlichen Drehungen des Glücksrades, die Einen im Laufe einer Woche von der Dürftigkeit zum Wohlstandes erhöhen, vergleichen hören; aber das war auch Alles. Sie hatte ihm zugehört, ihm Mitgefühl gezeigt und ihn getröstet, aber es sich nie träumen lassen, daß es ihm einfallen könne, Brierwood zu verlassen. Das schien ganz unmöglich. Als er ihr seine Absicht mittheilte, stand sie sprachlos da und blickte ihn mit einem so schmerzhaften Gesichtsausdruck an, daß es ihm im Herzen wehe that.

»Das beabsichtigst Du doch nicht zu thun,« rief sie aus, »das ist ja unmöglich, Du sagst es nur, um mich zu erschrecken.«

»Nein, mein Kind, ich meine es wirklich so,« sagte er, indem er sie in seine Arme nahm und ihr hübsches, kastanienbraunes Haar sanft streichelte, als sie ihren Kopf an seine Brust legte. »Aber Du mußt Dich darüber nicht so sehr grämen; mein Fortgehen geschieht zu Deinem Besten, liebe Grace! Ich könnte leicht Brierwood verkaufen müssen, wenn ich zu Hause bliebe und die Hände in den Schooß legte, während Alles zu Grunde geht. Auf dem Pachthofe giebt es Nichts zu thun, was Jim nicht eben so gut wie ich thun könnte; ich gehe ja nur auf ein, bis auf höchstens drei Jahre fort.«

»Drei Jahre!« rief das Mädchen wehmüthig, »oh Vater, Vater, nimm mich mit!«

»Dich in die Goldfelder mitnehmen? Nein, mein Vögelchen, das ist für Deinesgleichen ein zu rauhes Leben. Ich habe Dich nicht wie eine Dame erziehen und eine Pension besuchen lassen, um Dich unter so rohe Menschen zu bringen, wie die sind, mit denen ich draußen zu thun haben werde.«

»Es gilt mir gleich, wie rauh auch das Leben dort sein mag, ich kümmere mich nicht um das Ungemach, das ich werde ertragen müssen. Wo Du bist, bin auch ich geborgen.«

»Wo Du bist, bin auch ich geborgen,« dieser Worte erinnerte er sich noch nach Jahren und sie wurden ihm zu einem beständigen Vorwurf.

Er versuchte es, sie zu trösten; er gab sich Mühe seine Verbannung in heiterem Lichte erscheinen zu lassen, aber das Mädchen dachte an nichts, als das unbekannte Meer, über das er zu setzen und das unbekannte Land, in dem er zu arbeiten habe.

»Es wird mir das Herz brechen, wenn Du gehst, Vater,« sagte sie und wollte sich durchaus nicht trösten lassen.

Trotzdem ging er, und ihr Herz brach nicht. Zwar war es ein großer Kummer; Nacht für Nacht weinte sie sich in ihrem hübschen Zimmer, unter dem alten rothen Ziegeldach, in den Schlaf; Morgen für Morgen erwachte sie zum Bewußtsein ihrer elenden und verlassenen Lage. Aber sie war kaum 18 Jahre alt. Nach und nach kam die Hoffnung wieder. Ein heiterer Brief, der von der guten Ankunft des Wanderers Kunde brachte, gab ihr den ersten Trost und schmückte ihr hübsches, junges Gesicht mit einem Lächeln; und hierauf entstand eine Gewöhnung nach neuen Briefen auszuschauen. Ihr Herz brach jetzt nicht — das sollte später kommen.

Zweites Capitel. Brierwood degradiert sich.

Herr und Frau James Redmayne hatten zwei Söhne, zwei große ungeschlachte unfeine Jungen von 19 und 20 Jahren, die bis zu einem Grade ungebildet waren, daß ihre Cousine Grace tiefe Verachtung für sie empfand, die aber bei alledem angestrengt arbeitende und ausgezeichnete Ackerbauer waren. Diese jungen Leute hatten, nebst ihrem Vater, jetzt das ganze Land ausschließlich zu bewirtschaften und gingen damit nach ihrem Gutdünken um. Auf der Meierei schienen die Verhältnisse nach des Besitzers Abreise sich einigermaßen zu bessern. Richard Redmayne war ungeduldig und wankelmüthig gewesen und hatte spekuliert. Er hatte in letzterer Zeit immer von Neuem experimentiert; sein Geld für landwirthschaftliche Maschinen verschwendet, von denen er sehr viele nach einer Probe von wenigen Monaten als werthlos beseitigen mußte. James war eine schwerfälligere und vorsichtigere Natur und hatte stets sein Augenmerk darauf gerichtet, jeden Heller zu sparen; in weniger als Jahresfrist, nachdem Richard Redmayne fort war, war die Meierei einigermaßen in Ordnung gebracht und begann etwas zu verdienen. Zwar waren das keine Profite, von denen man viel Aufhebens machen konnte, aber die Familie lebte doch, bezahlte Alles baar und hatte keine Verluste zu beklagen. Alles in Allem hatten sich die Verhältnisse gebessert.

»Wenn Vater nur zu Hause geblieben wäre,« seufzte Grace, als ihr Onkel von diesen verbesserten Aussichten sprach.

»Wenn Vater nur zu Hause geblieben wäre,« wiederholte Frau James mit gellender Stimme, »so würden sich die Verhältnisse nie gebessert haben. Denn er hätte es immer fertig bekommen mit seinen funkelnagelneuen Ideen in die Klemme zu gerathen, und hätte nie Geduld gehabt, die Verhältnisse sich langsam bessern zu lassen; er hätte den einen Tag gearbeitet, als ob der Teufel hinter ihm her wäre und am nächsten mit gekreuzten Armen über seine Verlegenheiten brummend dagesessen. Er ist dort viel besser daran, wo er ist, als hier. Dort läßt sich vielleicht etwas durch stoßweises Arbeiten verdienen; aber das ist nicht die Manier, wie man hier weiter kommt.«

Bei diesen Worten loderte Grace auf und vertheidigte ihren Vater mit Wärme. Sie liebe ihn und er sei die Vollkommenheit selber. Sie meinte, er habe, als er Brierwood den Rücken wandte und fortgezogen sei, um sein Glück zu machen, ein Opfer gebracht, daß der alten römischen Helden würdig sei, wobei sie sich deutlich an Marias Curtius erinnerte, welcher aus dem dunkeln Hintergrunde der Geschichte des Alterthums als ein besonders interessanter junger Mann hervortrat, dessen Autograph sie sehr gerne ihrer bescheidenen Sammlung derartiger Schätze eingereiht haben würde. In dieser Periode ihres Lebens begleiteten ihre Gedanken den Vater unausgesetzt Tag und Nacht; nur zu bald sollte die Zeit kommen, wo, sie einem Andern nachhingen. Ihre Träume zeigten ihr denselben, wie er sich unter jenem fernen Himmelsstriche bemühte; für ihn betete sie. Konnte sie ruhig dabei stehen, ihn schmähen hören?

Frau James nahm ihren Tadel sehr sanftmüthig hin.

»Das Mädchen hat recht für ihren Vater einzustehen und ich habe nichts Uebles gegen Richard im Sinn. Ich meine nur, daß er zu eigensinnig und hitzig für unsere Arbeit ist. Er eignet sich besser dazu, sich in fremden Ländern herumzustoßen, als ruhig darauf zu warten, daß sein Korn wachse und sein Mastvieh fett werde.«

Es war früh im Juni, Richard Redmayne war fünfzehn Monate abwesend und die Rosen erblühten im Garten von Brierwood. Bisweilen gedachte der Verbannte ihrer mitten in seinem lärmenden Lagerleben und dachte sich selbst, wie er unter dem großen Cedernbaum da saß, wo er manche Pfeife getaucht und manche Tasse Thee getrunken, die ihm seine Tochter in den warmen Sommerabenden vormals bereitet hatte. Die Heuerntezeit war da und Frau James war über und über mit der langweiligen Arbeit beschäftigt, große Fleischpasteten und Stachelbeerkuchen für die Arbeiter zu machen, welche den Inhalt ihrer Speisekammer, wenn sie auch noch so sehr gefüllt war, wie ein Heuschreckenschwarm zu verzehren pflegten. Kurz, es war der liebliche Frühsommer, wo sich der Frühling, wie ein erwachsenes Mädchen zur schönen Jungfräulichkeit des Sommers entwickelt hatte, als Frau James wie eine getreue Haushälterin, die stets dafür sorgte, die Vorräthe, welche sie für ihren Schwager hütete, zu vermehren, eine neue Art entdeckte, ihr Einkommen zu vergrößern.

Drei Meilen von dem Gute Brierwood lag ein schönes altes Haus mitten in einem großen, vernachlässigten Park begraben, welches Clevedon hieß. Ein geräumiges Herrenhaus, im Style der Tudors, das seit den Zeiten des berühmten Heinrich fast unversehrt erhalten, in letzter Zeit aber, wie der Park und Jagdgrund, der es umgab, arg vernachlässigt war.

Der jetzige Besitzer, Sir Francis Clevedon war in der That zu arm, um sein Eigenthum zu bewohnen und lebte auf dem Festlande in ruhiger Erwartung eines Glückfalles, wie z. B. des lange in Aussicht stehenden Hinscheidens einer alten Tante, von der er etwas zu erben hoffte —,das ihn in den Stand setzen könnte, die Heimath seiner Vorfahren zu bewohnen. Dieser junge Mann lebte keineswegs durch eigene Schuld in der Verbannung. Sein Vater, Sir Lucas, war eins der großen Lichter der bessern Gesellschaft in den Tagen der Regentschaft Georg’s IV. gewesen und hatte ein stattliches Vermögen mit For am Spieltisch und mit Sheridan bei Trinkgelagen verpraßt; er hatte stark gelebt und spät geheirathet; seine junge Frau mit sich in die Verbannung genommen, und seine Kinder als Fremdlinge, fern von ihrem Vaterlande, aufwachsen lassen.

Er hatte sein ganzes Vermögen verthan und Clevedon mit Hypotheken belastet, war aber glücklicherweise nicht so weit gegangen, das Gut ganz und gar zu veräußern. Als er daher an einem Anfall von Magengicht starb, ererbte sein damals 15 Jahre alter Sohn Francis einen bloßen Titel und ein schwer belastetes Gut. Er mußte sich also daran genügen lassen, in einer ziemlich bequemen Miethswohnung in einer Vorstadt von Paris mit seiner Mutter und

Schwester zu leben, während ein strenger Haushofmeister das Gut verwaltete und sein Möglichstes that, um die Hypothekenschulden vermittelst der Revenuen desselben zu vermindern.

So lange Sir Lucas am Leben war, blieb nur wenig Hoffnung vorhanden, das Gut völlig von Schulden zu befreien. Bis zu seinem Ende behielt er die verschwenderischen Gewohnheiten, die ihn selbst unter seinen ausschweifenden Genossen als besonders unbesonnen hatten erscheinen lassen — er trank seinen Chateau-Margaux weiter, aß Erdbeeren im Februar und Pfirsiche im April, theilte splendide Trinkgelder aus und bestand auf eine Loge in mehreren Theatern und im Vaudeville als einfache, nothwendige Lebensbedürfnisse. Jedes Frühjahr wettete er ein wenig in Longchamps und jeden Herbst spielte er Rouge et Noir in Baden und Homburg. Mittlerweile suchte seine sorgfältige Frau Heller und Pfennige dadurch zu sparen, daß sie ihre Kinder baumwollene statt Lederhandschuhe tragen und den Pudding von ihrer einfachen Tafel verschwinden ließ.

Als Sir Lucas starb, bekamen die Dinge in den Augen des Haushofmeisters, Herrn Worth, ein besseres Aussehen, und begannen der Hoffnung Raum zu geben, daß Clevedon zur gehörigen Zeit schuldenfrei werden könne. Der junge Baronet sowie seine Mutter und Schwester waren so leicht zufriedengestellt, sie hatten die Erklärung abgegeben, daß sie mit dem auskommen wollten, was sich vom Jahreseinkommen erübrigen ließ und wanderten, ein Jahr nach Sir — Lucas Tode, von Paris nach Brügge, wo die Lebensbedürfnisse billiger waren.

Fünfundzwanzig Jahre lang war Clevedon in der Obhut von Domestiken gewesen; das ganze Personal bestand aus einem bejahrten Kellermeister und seiner Frau, zwei jungen thätigen weiblichen Dienstboten, von denen die Eine das Haus, die Andere die Milchwirthschaft besorgte, und einem heruntergekommenen Gärtner, der nur einen kleinen Blumengarten, welcher seiner Herrin der Mutter von Sir Lucas Clevedon, als er noch ein Knabe war, gehört hatte, in vollständiger Ordnung erhielt, die übrigen Gärten aber vollständig veröden ließ. Der Ertrag der Milchwirthschaft und das aus der bloßen Haushaltung entspringende Einkommen erreichte bei sorgfältiger Verwaltung eine solche Höhe, daß Lady Clevedon Herrn Werth mittheilte, daß es für ihren und ihrer beiden Kinder Jahresbedarf völlig ausreiche.

Etwa ein Jahr nach des Baronets Tode rief Herr Worth zu einem bedeutenden Holzverkauf, — (so lange Sir Lucas am Leben war, hatte jener erklärt, daß durchaus kein verkäufliches Holz vorhanden wäre) — und machte hierdurch 5—6000 Pfund flüssig, welche die Schuldenlast des Gutes erleichtern halfen. Ueberhaupt waren die Aussichten günstig und Mutter und Sohn sprachen, wenn sie auf den ruhigen Boulevards von Brüge spazieren gingen, hoffnungsvoll von der Zeit, wo sie zu Hause in Clevedon sein würden. Denn sie nannten Clevedon ihre Heimath, obwohl keiner von ihnen je unter dem alten gothischen Dach geschlafen hatte. Die Mutter sollte nie die Verwirklichung dieser angenehmen Träume erleben; sie starb einige Jahre nach Sir Lucas. Sir Francis setzte seinen Wanderstab weiter und ließ seine Schwester in einen Klosterschule in Brügge.

Natürlich hätte das Haus alle die Jahre lang vermiethet und dadurch seine neue Einkommensquelle geschossen werden können, aber dies hatte der Stolz der Eigenthümer verhindert. Sir Lucas sagte, er könne alles Andere ertragen, nur das nicht — nur: keine Fremden in dem Hause wohnen lassen, wo er geboren worden, und wo er den Prinz-Regenten zwei Wochen lang mit glänzender, aber verderbenbringender Gastfreundschaft aufgenommen hatte. Mit der Heimath seiner Vorfahren Handel treiben — den heimathlichen Herd aller Clevedons für das schmutzige Geld irgend eines City-Magnaten verschachern! Der Brief, in welchem Herr Worth, dieses Auskunftsmittel vorschlug, verursachte Sir Lucas fast einen Schlaganfall. Fast eine ganze Woche lang schäumte er vor Wuth über das, was er »die Unverschämtheit dieses Kerls« zu nennen beliebte. Nach seinem Tode ehrten die Wittwe und der Sohn dieses Vorurtheil und ließen es sich nie einfallen, einen Miether für die Wohnräume ihrer Vorfahren zu suchen. In Folge dessen blieb Clevedon unter der Obhut der Domestiken und verfiel allmälig, weil es hier anfing zu stocken und die Ratten das Tafelwerk dort anfraßen und sich so der Ruin nach und nach verstohlen vom Keller zum Boden und vom Boden zum Keller einschlich.

Der Haushofmeister John Werth hatte freundschaftlichen Verkehr mit den Redmaynes. Er lebte in seinem eigenen, kleinen aus rothen Ziegeln erbauten Hause, das zwar viereckig und häßlich, »aber bei alledem gemüthlich war, und auf dem Dorfanger von Kingstown anderthalb Meilen von Brierwood gelegen war. Er freute sich immer in der Meierei vorzusprechen und unter den ausgebreiteten Aesten der Ceder oder wo es sonst Grace gefiel, ihren Theetisch aufzustellen, an lieblichen Sommerabenden oder in der frühen Herbstzeit eine Abendfrische und ein gemüthliches Mahl oder eine Tasse Thee zu genießen. Dort liebten sie ihn Alle, obwohl er für Fremde kaum etwas Anziehendes hatte. Er war etwas über 60 Jahre alt, ein hochgewachsener Mann, mit ehrlichen, scharfen Gesichtszügen, die durch das Wetter gebräunt und geröthet waren, grauem, starrem, kurz abgeschnittenem Haar und einem grauen, buschigen Backenbart. Er hatte weder Frau noch Kinder und liebte Grace sehr, die ihn in einer gefährlichen, bezauberndem halb schnippischen, halb zärtlichen Weise behandelte.

Durch Herrn Worth’s Vermittelung geschah es, daß Tante Hanna aus ein neues Mittel verfiel, ihr Einkommen zu vermehren. An einem schönen Juniabend kam nämlich der Haushofmeister herein, als die Familie gerade unter der Ceder Thee trank, Grace mit einem Roman auf dem Schooß dasaß und die beiden ungeschlachtenen Vettern kalten Speck und Bohnen mit einer Gier verzehrten, als wenn sie wenigstens eine ganze Woche nichts gegessen hätten; ein Verhalten, das Miß Redmayne sehr empörtes die es gern gesehen hätte, daß der Theetisch nett aussah und daß nichts Consistenteres als ein Teller Erdbeeren, eine Blumenvase und eine Porzellanschüssel mit dünnem Butterbrod, wie bei Fräulein Toulmin darauf gestanden hätte.

Miß Toulmin war die Vorsteherin der Anstalt in Tunbridge, wo Grace Redmayne ihre Anstandsideen her hatte. Das Mädchen hatte sich die Erkenntniß des Guten und Bösen, welche Einem in derartigen Anstalten so reichlich beigebracht wird, angeeignet und hielt es für ein ziemlich hartes Schicksal eines Pächters Tochter und für ein noch härteres — Tante Hanna’s Nichte zu sein, — dieser Tante Hanna, die so fatal fleißig war und eine so große Neigung hatte, bei der geringsten Gelegenheit sich die Aermel aufzukrempeln und ihre scharfen, rothen Ellenbogen zu zeigen; die thätigen Antheil an der allwöchentlichen Wäsche nahm und sich nicht scheute, diese Thatsache einzugestehen und sich ihrer gar zu rühmen. Ueberhaupt lag Grace Redmayne ein wenig mit ihrer Umgebung im Kampfe, namentlich jetzt, wo die eine Person, die sie liebte, aus dem engen Familienkreise geschieden war. Ihr erschien ein schweres Leben in Australien als etwas Angenehmes im Vergleich zu den kleinen Kränkungen und Demüthigungen ihres Alltagslebens, wo sie die scharfe Zunge ihrer Tante den ganzen Tag sich bewegen hörte, des Abends baumwollene Kleider zu tragen genöthigt war, und darüber Vorwürfe hören mußte, daß sie keine Freundin von Handarbeit sei. Bei Miß Toulmin waren Advokaten- und Doctorentöchter gewesen, junge Damen, die ein sehr elegantes Leben vor sich hatten, und nach der Rückkehr aus den Ferien glühende Beschreibungen von Gesellschaften und Landpartieen, Croquet- und Tanzvergnügungen zu machen wußten. Die arme Grace war noch nie vorher in ihrem Leben in einer Gesellschaft gewesen und konnte doch nicht für sich allein Croquet spielen, obgleich die weite ebene Grasfläche vor dem Hause einen prächtigen Spielplatz dafür abgegeben hätte. Sie hatte freilich ihre Vettern, zwei gutmüthige Burschen, die ihr gern jede Mußestunde, die sie ihrem fleißigen Leben abgewinnen konnten, gewidmet hätten; aber deren Hände und Füße waren so plump und paßten durchaus nicht zu Grace’s Vorstellung von dem, was sich schicke. Ihr schien es, daß ein Croquet-Schlägel von Niemanden gehandhabt werden dürfe, der weniger gebildet sei, als der Pastor von Kingsbury, der ein schmächtiger, blasser junger Mann, mit schwacher Stimme und unter den kleinen Leuten der Nachbarschaft sehr gesucht war. Dieser pflegte ungefähr zweimal im Jahre in Brierwood einen feierlichen Besuch zu machen und brachte dann eine Atmosphäre feiner Lebensart mit sich.

Grace legte ihren Roman fort und schenkte dem Haushofmeister eine große Frühstückstasse voll Thee ein. Sie war stets erfreut ihn zu sehen. Er brachte ihr Neuigkeiten aus der Außenwelt und über Sir Francis Clevedon, den interessanten Verbannten, von dem sie so gern hörte. Sie hatte die kindliche Vorstellung, daß er, wie Edgar Ravenswood stolz und trübsinnig und unhöflich aussehen müsse.

»Giebt es was Neues aus Australien?« fragte Herr Worth; »wie ich sehe ist eine Post vorgestern von dort angekommen.«

Grace schüttelte traurig mit dem Kopfe. Nein, diesmal war kein Brief gekommen.

»Der letzte war lang,« sagte sie, »und Vater hat uns sagen lassen, wir möchten nicht mit jeder Post einen Brief erwarten, er meinte, wir würden schon bestimmt etwas von ihm hören, wenn es ihm schlecht ginge. Dann würde sein Freund, Herr Morgan, schreiben.«

»Freilich, das ist tröstlich für Sie, daß er nicht allein da draußen ist.«

Hierauf schlürfte der Haushofmeister nachdenklich seinen Thee, während Grace ihn beobachtete und darüber nachdachte, ob er ihnen Nichts von dem interessanten Verbannten, Sir Francis Clevedon erzählen würde.

»Wir werden dies Jahr eine selten schöne Heuernte haben,« sagte er darauf, worauf James Redmayne in seiner schwächlichen Weise etwas munterer wurde und erwiderte: »Ja, wenn es in den nächsten zweimal 24 Stunden keinen Regen gäbe, so könnte man wohl gewiß auf eine gute Ernte rechnen.«

»Es ist nicht viel Aussicht auf Regen vorhanden; mein Barometer ist seit den letzten 14 Tagen nicht unter 30° gewesen. Seit zehn Jahren haben wir in Clevedon keine so gute Ernte gehabt wie jetzt.«

»Und das wird wohl Sir Francis von Nutzen sein,« sagte Grace lebhaft.

»Gewiß, liebe Grace,« erwiderte Herr Werth munter. »Es werden wohl gute 700 Pfund sich dieses Jahr aus dem Heu lösen lassen, um die Hypothekenschulden zu bezahlen. Es ist ein wahres Vergnügen für Sir Francis zu arbeiten; er hat seit seines Vaters Tode nicht mehr als 250 Pfund jährlich von den Erträgen des Gutes verbraucht. Ich bitte um noch eine Tasse Thee und nicht ganz so viel Zucker.«

»Ist Aussicht dazu vorhanden, daß Sir Francis bald nach Hause kommt, Herr Worth?« fragte das Mädchen, als sie den Thee einschenkte.

»Keine große, wenn seine Tante, Frau Calvert, nicht plötzlich das Zeitliche segnet und ihm ihr Geld hinterläßt. Ich glaube übrigens wohl, daß er es bekommen wird, wenn sie stirbt, aber sie scheint es so lange wie möglich treiben zu wollen.«

»Sie ist sehr reich, nicht wahr?« fragte Grace, nicht sowohl um Auskunft darüber zu erhalten, als um die Unterhaltung fortzuspinnen. Sie hatte schon unzählige Male alle Einzelheiten über Frau Calvert gehört, wurde aber nie müde, sich etwas, was die Familie Clevedon betraf, erzählen zu lassen. Es waren die einzigen vornehmen Leute, von denen sie was wußte, und sie repräsentierten ihr allen Glanz und alle Herrlichkeit der Welt.

»Reich? o ja! Sie hat, wie ich vermuthe, ihre 6--—7000 Pfund jährlich zu verzehren; gerade genug, um Clevedon in ruhiger Weise standesgemäß zu erhalten. Sir Lucas hat freilich 40.000 Pfund jährlich verausgabt, aber jetzt haben sich die Zeiten geändert und ein Landedelmann kann einfach leben. Frau Calvert war, wie Sie wissen, Sir Lucas Schwester, und ihrer Zeit eine große Schönheit. Sie pflegte zur Jagd zu reiten, bei Gelegenheit der Wahlen für Sir Lucas Stimmen zu werben und es so zu treiben, daß die ganze Grafschaft in einer oder der anderen Weise über sie sprach. Sie hätte, wie man mir gesagt hat, mehrere glänzende Partien machen können, machte aber ungeheure Ansprüche und heirathete nicht vor dem fünfunddreißigsten Lebensjahre. Dann nahm sie sich einen alten gelb aussehenden Kerl, der sich sein Vermögen in Ostindien gemacht hatte. Sie haben nie Kinder gehabt und Frau Calvert muß ihrem Neffen Alles hinterlassen. Da sie zehn Jahre älter ist, als Sir Lucas war, wird sie jetzt hoch in den siebzigern sein.«

»Ich hoffe wirklich, daß sie bald sterben möge,« rief Grace, »wenigstens, ich wollte nicht so etwas Böses sagen, würde ich mich sehr freuen, wenn Sir Francis und seine Schwester in die Heimath zurückkehrten. Es ist so schade, den lieben, alten Ort so vollständig zu Grunde gehen zu sehen.«

»Das Land geht wenigstens nicht völlig zu Grunde,« sagte der Haushofmeister.

»Nein« natürlich nicht, lieber Herr Worth, bei Ihrer Tüchtigkeit. Dafür sorgen Sie, und mir scheint, Sie zählen jeden Grashalm und jede Kornähre. Aber ich spreche vom Hause. Die Tapeten und das Täfelwerk, die kleinen Zimmer und alle die schönen Dinge, die Sie mir einmal zeigten, riechen so dumpf und schimmelig. Wie herrlich muß der Ort gewesen sein, als Georg IV. darin verweilte.«

»Ja, damals war er sehr schön,« sagte der Haushofmeister mit einem Seufzer; »in jenen vierzehn Tagen wurden mehr als hundert Pfund allein für Wachslicht verausgabt — ich habe selbst die Rechnung des Wachshändlers gesehen, und außerdem kostete die Erleuchtung der Treibhäuser und Gärten mit chinesischen Lampen an dem Abend, als Sir Lucas eine fète champêtre gab, noch hundertfünfzig Pfund. Der Prinz und Sir Lucas und noch zwei, drei andere Herren pflegten bis vier oder fünf Uhr Morgens — Stunden lang, nachdem die Gäste aus der Grafschaft sich entfernt hatten — beim Kartenspiel und Curaçaotrinken aufzubleiben. Das war eine schöne Zeit.«

»Das war aber vor Sir Francis Geburt?« fragte Grace.

»Lange, ehe Sir Lucas heirathete,« antwortete Herr Worth. »Er hat ja gar nicht geheirathet, ehe er all’ sein Geld verthan hatte und dann verliebte er sich in die achtzehnjährige Tochter des Pastors, Fräulein Agnes Wilder. Manche Leute dachten wohl, daß sie eine gute Partie mache und vielleicht ließ sich sogar Herr Wilder in dieser Beziehung täuschen. Jedenfalls war Niemand gegen die Heirath und Fräulein Wilder hat ihn wohl geliebt. Er war selbst damals ein schöner, stattlicher Mann, obgleich er auf die Fünfzig losging. Eines Vormittags wurden sie in der Kirche von Kingsbury getraut, gingen nach Paris, um dort ihren Honigmond zu verleben, und sind seitdem nie wieder zurückgekommen; denn Sir Lucas durfte sich in England nicht zeigen.«

»Die arme Dame, sie hat gewiß eine schwere Zeit erlebt,« sagte Grace, die für jedes Glied der Clevedonschen Familie sentimentale Empfindungen hegte.

»Ja, gewiß, liebe Grace, und dabei ist sie eine vortreffliche Gattin eines selten schlechten Mannes gewesen. Sie war, wie man mir erzählt hat, auch eine stolze junge Person, da Herr Wilder selbst aus einer alten, guten Familie abstammte und seine Kinder mit sehr hochfahrenden Ansichten aufwachsen ließ.«

Jack und Charley Redmayne hatten sich die ganze Zeit über mit ihren Bohnen und Speck beschäftigt, ohne sich um eine Unterhaltung zu bekümmern, deren Inhalt ihnen sehr bekannt war. Der Haushofmeister liebte es sehr, über feine Herrschaft zu sprechen, und die meisten Menschen hörten ihm nur aus Höflichkeit zu.

Es war nicht Jedermanns Sache, sich stets für die alte Geschichte zu interessieren, wie Grace es that. Daher hatte Onkel James seine Augen in sanftem Schlummer geschlossen, von den linden Sommerlüften, die durch die Aeste der Ceder wehten, gefächelt. Tante Hanna hatte einen grauen wollenen Strumpf anstatt einer leichten Handarbeit, die man wohl vor einem Gast hätte hervorholen können, aus ihrer Tasche gezogen und stopfte fleißig daran herum.

»Sie wissen wohl zufälligerweise Niemand in der Gegend, der Zimmer — bequem eingerichtete Zimmer, wie sie für einen Gentleman passen, vermiethen würde, Frau James?« fragte jetzt Herr Worth.

Frau James sann nach und schüttelte darauf mit dem Kopfe.

»Ich weiß von Niemandem, außer vielleicht in Kingsbury bei Frau Freemann, die an der Straße und bei Frau Peter, die auf dem Anger in Ihrer Nähe wohnt.«

»Keine von Beiden würde sich dazu eignen, ich habe sie mir alle Beide angesehen. Ich wünsche eine Wohnung, die sich für einen Herrn eignet, welcher hierher kommt, um einen oder zwei Monat zu fischen. Ich möchte ein Arbeitszimmer von guten Dimensionen, und ein großes, lustiges Schlafzimmer, eine Küche und einen hübschen Garten haben. Wissen Sie vielleicht von irgend einem Pachthofe im Umkreise von fünf bis sechs Meilen, wo man geneigt wäre, ihn aufzunehmen?«

»Nein, einen solchen kenne ich nicht,« sagte Frau James, fügte aber nach einer Pause und einem zweifelhaften Blick auf ihren schlummernden Gatten hinzu: »Ich sehe eigentlich nicht ein, warum wir ihn nicht selbst nehmen sollten, wenn es dazu kommt. Da haben wir ja Richard’s leeres Zimmer und unsern besten Gesellschaftsraum, der kaum einmal im Monat gebraucht wird; er würde doch wohl ziemlich gut bezahlen?«

»Er würde einen anständigen Preis, sogar einen recht hübschen Preis für die Aufnahme geben, die Sie ihm angedeihen lassen können, das glaube ich bestimmt!«

»Einen Miether nehmen!« rief Grace erschreckt, »Tante Hanna!«

»Einen Miether nehmen!« wiederholte die Matrone, »und warum nicht? Ich bitte Dich, liebes Kind, warum sollten wir leere Zimmer nicht verwerthen? Es ist wohl dringend nöthig, daß wir so viel Geld verdienen, als irgend möglich, so lange Dein Vater in der Ferne sich abplackt, um seine Schulden zu bezahlen. Ich hätte gedacht, Du würdest froh sein, ihm auch in der geringsten Dir möglichen Weise zu helfen.«

»Ganz gewiß, liebe Tante, aber ich glaube nicht, daß Vater es gern sehen würde, wenn wir Wohnungen vermiethen.«

Hier erwachte plötzlich der armselige, kleine Pensionärinnen-Stolz. Was würden Fräulein Toulmin und alle ihre Zöglinge sagen, wenn sie diesen Makel an ihrer früheren Genossin entdeckten? Grace war vor Monaten zu einer kleinen Abschiedsgesellschaft eingeladen worden, ging bisweilen nach Tunbridge, um ihre frühere Lehrerin zu besuchen, und war gewohnt, den Maßstab von Fräulein Toulmin an ihr eigenes Leben zu legen.

»Es ist ein Gentleman,« sagte Herr Worth, »oder sollte wenigstens einer sein, denn er hat gutes Blut in seinen Adern.«

Bei dieser Bemerkung sah Grace etwas weniger verdrießlich aus. Sie hielt viel auf die Vortrefflichkeit von Leuten, die einem alten oder edlen Geschlechte entsprossen waren, und meinte, sie gehörten einer andern Gattung von Wesen an, als die Creaturen, mit denen sie selbst täglich verkehrte.

»Ich glaube aber doch nicht, daß Vater es gern sähe,« sagte sie, erhob aber keinen weiteren Einwand.

»Als Dein Vater fortging, übergab er mir die uneingeschränkte Verwaltung von Allem, was im Hause und in der Milchkammer ist,« erwiderte ihre Tante.

»Ich überlasse Ihnen Alles, Frau Jim,« sagte er, »lassen Sie meine Grace in ihren Büchern lesen, ihr Klavier spielen und ihr Leben genießen, ich bin überzeugt, sie wird sich nicht in Ihre Wirthschaftsangelegenheiten mischen wollen. Das waren seine Worte am letzten Morgen, und Du hast sie selbst gehört, Grace.«

»Ich weiß es,« antwortete diese, »aber ich bin fest davon überzeugt, Vater hat nie daran gedacht, daß wir aus Brierwood ein Miethshaus machen sollten.«

Herrn Werth that es leid, seinem Liebling mißfallen zu haben. Sie saß da, das Gesicht halb von ihm abgewandt mit einem Zuge von Unzufriedenheit um die schmollenden Lippen.

»Wenn Grace es nicht haben will,« sagte er, »so wollen wir doch die Sache fallen lassen.«

»Ich schäme mich Deines dummen Stolzes,« rief Frau James; denn der Widerstand des Mädchens machte sie um so begieriger darauf, ihre Idee auszuführen. »Ich hätte geglaubt, Du würdest mit beiden Händen die Gelegenheit ergriffen haben, Deinem Vater ein paar Pfund zu verdienen. Was der Herr für das Quartier bezahlt, wäre rein gewonnen, und natürlich würde noch einiges an seiner Kost zu verdienen sein; außerdem erweisen wir uns Deinem Freunde, Herrn Worth gefällig.«

»Gut, mag er kommen,« sagte Grace, »es giebt nichts, was ich nicht thäte, um meinem Vater zu helfen.«

»Du brauchst ja gar nicht in seine Nähe zu gehen,« sagte Frau James, deren Herr und Meister jetzt erwacht war und sie verwirrt anblickte. »Sarah wird ihm aufwarten und ich werde für ihn kochen; Herren pflegen aus ihren Tisch viel zu halten. Sie möchten sich wohl gern Richard’s Zimmer ans gehen, Herr Werth?«

James Redmayne war jetzt vollständig aufgewacht und seine Frau erklärte ihm die Sache mit einem Eifer und einer Zungenfertigkeit, die es ihm klar machte, daß es für den Hausfrieden gut wäre, keinen Widerstand gegen ihren Plan zu versuchen.

Darauf entfernte sie und Herr Worth sich, um Richard Redmayne’s Zimmer anzusehen, und Grace verstand sich sogar dazu sie zu begleiten. Nachdem sie sich einmal in die Thatsache gefügt hatte, konnte sie nicht umhin etwas Interesse an dem Geschäft zu nehmen. In einem so einförmigen Leben, wie das ihrige war, bildete die Ankunft eines Fremden eine Epoche. Nur zu bald sollte die Zeit kommen, wo sie, Alles von der Ankunft des Herrn Walgrave zu datieren lernte.

Hubert Walgrave, so hieß der Fremde, war ein Advokat, wie Herr Worth ihnen sagte, der sehr angestrengt arbeitete und bereits eine leidlich gute Praxis hatte. Er besaß einiges Vermögen, stammte aus einer guten Familie, stand aber fast allein in der Welt da, weil er keine nahen Verwandten hatte. Er hatte sich überarbeitet, war ernstlich krank gewesen, und mußte nun auf ärztlichen Rath sich an einem ruhigen Ort auf dem Lande aufhalten, wo er in reiner Luft und Abgeschiedenheit sich zwei bis drei Monate eine erzwungene Rast gönnen sollte.

»Es geht ihm sehr gegen den Strich, müßig zu sein,« sagte Herr Worth, aber die Aerzte sagen ihm, daß er, falls er nicht sogleich die Arbeit abbreche, wohl zu Grunde gehen werde; deshalb unterwirft er sich diesem Ausspruch und hat mir geschrieben und mich gebeten, ihm in dieser Gegend eine Unterkunft zu verschaffen.«

»Kennt er denn diese Gegend?«

»Wie man will« ja und nein; er ist hier verschiedene Male auf einen Tag gewesen, um sich umzusehen, das ist Alles.«

»Sie kennen ihn wohl schon lange?« fragte Frau James.

Es war natürlich nöthig, in Bezug auf den Character ihres Miethers ganz sicher zu gehen.

»Nur seit seinem fünften Lebensjahre,« erwiderte Herr Worth, nachdenklich lächelnd.

»Das genügt; denn ich weiß Sie würden Niemanden empfehlen, der nicht solide wäre.«

»O ja, solide genug ist er,« erwiderte der Haushofmeister, »fast zu regelmäßig für einen jungen Mann, wie ich mir manchmal einbilde. Sie werden ihn nicht auf Abwegen ertappen. Er bildet einen absoluten Gegensatz zu den jungen Leuten meiner Zeit.«

Richard Redmayne’s Schlafzimmer war eine große, lustige Stube, von welcher drei Fenster auf den Garten hinaus und eins, am Ende gelegenes, auf eine Biegung der Heerstraße blickten; es war ein angenehmer Raum, mit alten Mahagoni Kommoden und Schreibtischen, und einer eigenthümlich geschnitzten mit vier Pfosten versehenen Bettstelle möbliert. Dimity-Gardinen befanden sich an Bett und Fenstern; schmale Streifen verblichener Brüsseler Teppiche lagen hier und dort, eine große plumpe, angestrichene Waschtoilette, mit einfachem weißem Steingutgeschirr, einige unter Glas und Rahmen befindliche Stickereien, eine in Wolle gearbeitete Darstellung von Jakobs Traum, vier buntfarbige Drucke von Postkutschen und Jagdscenen, als Zierde der Wände, eine alt-ostindische Theekanne und ein halbes Dutzend geborstener Tassen und Untertassen auf dem alten Kamin, sowie ein alles durchdringender Geruch von Lavendel befanden sich in dem Zimmer; kurz, es war ein Raum, in dem ein Mensch friedlich leben und sterben könnte.

Herr Werth warf einen Blick über das ganze Zimmer und sagte, es würde genügen.«

»Ich werde es ihm sagen, daß er sein Douchebad mitbringt,« sagte er, »Sie werden ihm wohl die dazu gehörige Menge kalten Wassers geben können?«

»Oh ja,« erwiderte Frau James in etwas schnippischem Ton, »er kann genug Wasser haben, wenn er einer der planschenden und mit Wasser wirthschaftenden Herren ist.«

Frau James betrachtete jeden unnützen Gebrauch von Wasser außer zum Reinigen von Dielen mit Unwillen, als eine Verschwendung von Arbeit wegen des beständigen Hin- und Hertragens und Beschmutzen von Treppen und Durchgängen.

»Sie kennen unsern besten Gesellschaftsraum,« sagte sie.

Herr Worth war mit dem Staatszimmer, das, nur bei seltenen Gelegenheiten und als ein für gewöhnliche Menschenfüße unnahbares Heiligthum gewissenhaft unter Schloß und Riegel gehalten wurde, genau bekannt, es war ein langes, niedriges Zimmer; mit einem großen Bogenfenster; massive Eichenbalken zogen sich über die Decke hin, verschossene Kattunüberzüge bekleideten die Stühle und das Sopha, und was für ein Sopha war das! eine kleine Artillerie-Abtheilung hätte darauf ausruhen können, wenn man auf einem so harten Möbel überhaupt Ruhe finden könnte. Und der sonstige Inhalt! Ein schwerfälliger, viereckiger Mahagonitisch, ein altes, mit messingenen Löwenköpfen, durch deren Nasen Ringe gezogen waren, verziertes Büffet, drei geborstene Porzellan-Potpourri-Vasen; die Familienbibel und Isaak Walton’s Angler in Leder gebunden; ein Teppich, von dem jede Spur von Farbe seit etwa einem halben Jahrhundert verschwunden, der aber in frommer Ehrfurcht mit einer fleckenlos reinen, rehgrauen Leinwand überzogen war; ein kühles dunkles Zimmer, dessen Bogenfenster Rosen und Geisblatt halb bedeckten, ein Raum, in dem ein Mensch stundenlang, sowohl im Sommer wie im Winter am Kaminfeuer dahinträumen und vergessen konnte, daß das Leben sich fortbewege — das war das Staatszimmer.

»Der Salon wird vollkommen ausreichen,« sagte Herr Worth, »nun aber, wie steht es mit den Bedingungen? Würden Sie, wollen wir sagen, drei Guineen per Woche als entsprechendes Entgelt für Wohnung und Kost ansehen?«

»O ja,« erwiderte Tante Hanna, die dabei dachte, daß zwei Drittel des Geldes Reingewinn sein würde. »Das würde mir genügen, wenn James damit zufrieden ist.«

Diese Anspielung auf James war eine bloße Fiction der Höflichkeit, nur eine complimentarische Phrase seiner Gattin. Die ganze Kingsbury’sche Welt wußte, wie James Redmayne in der Verwaltung der Angelegenheiten von Brierwood mitzusprechen habe.

»Dann ist wohl Alles abgemacht,« sagte Herr Worth, »und Herr Walgrave kann, sobald es ihm beliebt, kommen.«

»Ja,« erwiderte Tante Hanna, »die Zimmer sind bereit. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die den Schmutz das ganze Jahr lang in den Winkeln ansammeln lassen, und eine große Wirthschaft mit der Frühjahrsreinigung machen und das denn noch gute Haushaltung nennen, wie es manche Leute thun. Jeden Freitag scheuern und jeden Dienstag fegen, das ist mein Grundsatz. Er läßt mir den Montag für’s Waschen, den Dienstag für’s Plätten, den Donnerstag für’s Backen und den Sonnabend fürs Ordnung machen frei.«

»Mein Gott, Tante Hanna,« rief Grace mit einem leichter, ungeduldigen Achselzucken, »Herr Werth kümmert sich doch um dergleichen nicht!«

»Ich kenne aber Leute, die sich zu ihrem eigenen Nutzen darum kümmern sollten, wenn es auch nicht gerade Herr Worth ist,« erwiderte die Matrone scharf. »Heutzutage sind Pächterstöchter so müßig, wie Herzoginnen, oder noch schlimmer; denn Herzoginnen werden nicht in billigen Pensionaten erzogen.«

»Nun, es ist die beste Schule in Tunbridge,« platzte Grace wüthend los, »Vater hätte mich nicht in eine schlechte geschickt.«

Am tiefsten empfand sie das ihrem Vater angethane Unrecht.

Herr Worth warf sich tapfer in die Bresche.

»Ich werde heute Abend an Herrn Walgrave schreiben,« sagte er, »und er wird wohl am Sonnabend hier sein.«

»Sonnabend oder Montag ist mir ganz gleich,« erwiderte Frau James.

Sie schlenderte in den Garten zurück, wo das Theebrett einer schwarzen viereckigen Liqueurflasche, einem braunen mit frischem Quellwasser gefüllten Kruge und einigen Wassergläsern Platz gemacht hatte. Grace war nachdenklich geworden; es war zwar demüthigend, einen Fremden als Miether aufzunehmen, aber sie konnte nicht umhin, ein wenig über den Fremdling nachzudenken. In Kingsbury waren Fremde eine seltene Erscheinung und es hieß ein neues Leben anfangen, wenn man einen in sein Haus aufnahm. Man würde ohne Zweifel spätere Ereignisse von dieser Epoche an datiren und das Leben in Brierwood in zwei Perioden eintheilen, nämlich bis zu Herrn Walgraves Ankunft und nach derselben.

Drittes Capitel. »Denkst Du daran, als wir zuerst uns sahen?«

Er kam spät an einem Sonnabend Nachmittage an einem stillen, sonnigen Nachmittag; wo kaum ein Lüftchen die neu erwachten Rosen bewegte. Hubert Walgrave’s hohlen, London-müden Augen, schien der ganze Ort nur aus Rosen zu bestehen, Rosen umzogen das Portal, weiße und rothe Rosen kletterten selbst an die Schornsteinklappen hinan, die von wildem gelbem Geisblatt umrankt waren; Moos- und andere Rosen zogen sich in Büschen im kleinen Garten zwischen der Heerstraße und dem Hause dahin, und durch ein Seitenpförtchen erblickte Herr Walgrave den altmodischen, hinter dem Hause gelegenen Garten, der ein Rosenbeet war.

»Ein sehr netter Ort,« murmelte er in blasiertem Ton, der ihm fast zur Gewohnheit geworden war, vor sich hin. »Meist sind doch die Meiereien häßlich.«

Alle Hausbewohner, die eben ihren Thee im gewöhnlichen Wohnzimmer beendet hatten, hörten den Wagen anhalten, und es bildete sich hinter den Kattun-Gardinen eine Gruppe, die sich den neuen Ankömmling anblickte, in der Grace keineswegs die am wenigsten Neugierige war. Für den Augenblick vergaß sie die ganze Erniedrigung, die in dem Gedanken eines Miethers lag, aus Neugierde zu erfahren, wie er aussähe.

Jack und Charley Redmayne waren auf ihrer Mutter Geheiß hinausgegangen, um dabei behilflich zu sein, das Gepäck des Fremden, einen ungeheuren, schäbigen, von der Zeit mitgenommenen Koffer, der, nach seiner Schwere zu urtheilen, Bücher zu enthalten schien, einen großen ledernen Mantelsack, der auch schon vom Gebrauch gelitten hatte, ein bis zwei Handsäcke, drei bis vier Angelruthen und einen Bade-Apparat herbeizubringen.

»Ach,« rief Frau James mit unverhohlenem Widerwillen aus, »ich dachte mir schon, daß es eine Wasserratte sein würde!«

»Er sieht wie ein Gentleman aus,« sagte Grace nachdenklich. — Der Himmel weiß, wo das Mädchen eine Idee von einem Gentleman her hatte, wenn nicht von dem ersten Pfarrer, einem kleinen, gesprächigem ältlichen Herrn, der stets mit einem seiner Eingepfarrten im Streite lag, oder von dem Unterpfarrer, einem hochaufgeschossenen Jüngling von zweiundzwanzig Jahren, der spitze Kniee und knochige Hand- und Fußgelenke hatte und so aussah, als ob er noch nicht aufgehört hätte zu wachsen.

»Er sieht wie ein Gentleman aus,« wiederholte Grace träumend, und wirklich, Herr Walgrave trug jenen Stempel vornehmer Abkunft, jene nicht zu verwechselnde, unbeschreibliche Anmuth und das Wesen an sich, welches schon den Bauer instinktiv zu der Erkenntniß bringt, daß der Andere aus anderem Thon geschaffen worden ist. Er war schlank, aber nicht zu schlank, schmächtig, aber nicht zu schmächtig. Sein Gesicht sah von seiner letzten Krankheit eher etwas angegriffen und mitgenommen aus und konnte kaum für schön gelten. Dunkelbraunes Haar deckte spärlich die Schläfen. Er hatte einen erdfahlen Teint, der fast zu dunkel für einen Engländer war; dunkelgraue Augen, eine Adlernase, einen sarkastischen Zug um den Mund, der sehr ausdrucksvoll, aber auch im Stande war nichts zu sagen, wenn es seinem Herrn beliebte. Er konnte etwa fünfunddreißig Jahre alt sein. Grace hielt ihn für älter. Jede Spur von Romantik mit der ihre Fantasie ihn umgeben haben mochte, schwand beim Anblick der Wirklichkeit.

»Aber er sieht doch wie ein Gentleman aus,« sagte sie zum dritten Male, indem sie ihr Arbeitskörbchen aufschloß, etwas von der unnützen Handarbeit, die Frau James in der Seele zuwider war, herausnahm, und sich an das Fenster, das in den Hintergarten blickte, setzte. Das Wohnzimmer hatte an jedem Ende ein Fenster, und außerdem ging einen Glasthüre in den Garten.

Sofort fing es im Hause sich zu bewegen an; man hörte ein Klappern von Schüsseln und Tellern; ein bis zweimal ertönte eine Glocke, und die gellende Stimme der Frau James commandirte das Mädchen für Alles. Für den Gast war ein Mahl bereitet worden und wurde eben im Salon aufgetragen.

Grace schlich sich an die halb geöffnete Thüre des Familienzimmers, um zu spähen. Die Thür des anderen Zimmers stand offen und sie hörte eine höfliche, schwache Stimme, die, wie sie glaubte, etwas unangenehm Kühles an sich hatte, Alles billigen.

»Ich danke, die Zimmer sind sehr nett, ganz lustig und angenehm, gerade, wie ich sie mir wünsche. Ja« ich will heute ein Glas Ihres zu Hause gebrauten Bieres zu mir nehmen, wenn Sie so gut sein wollen, ich lasse mir einen Korb Wein aus London nachkommen, er wird wohl noch heute Abend ankommen.« Und dann, nach einer Pause: »Ich muß Ihnen dafür danken, daß Sie mich als Miether aufnehmen, Herr Worth sagt mir, es ist das erste Mal, daß Sie Jemand in dieser Eigenschaft den Eintritt in Ihr Haus gestatten.«

»Nun, Sie sehen,« sagte Frau James, die die Offenherzigkeit selber war, »meines Schwagers Verhältnisse, — Brierwood gehört nämlich dem Bruder meines Mannes, Richard Redmayne, der weit fort in Australien in den schmutzigen Gräbereien ist, wo er, so viel ich weiß, noch keinen rothen Heller verdient hat, und er hat uns gewissermaßen hier zu Hütern gesetzt; seine Umstände sind, wie Sie sehen, nicht das was sie waren, und daher hielt ich es nicht für recht, einen Verdienst von der Hand zu weisen, selbst wenn er nur ein Pfund per Woche beträgt. Freilich war meine Nichte, Grace, welche in einer Pension erzogen ist, wo ja den Mädchen allerlei abgeschmacktes Zeug in den Kopf gesetzt wird, was dann Erziehung heißen soll — unsere Grace also, war absolut dagegen.«

»Absolut gegen mich?« sagte der Fremde, mit jenem ihm eignen, langsamen trägen Tone, als ob er von etwas spräche, das seinem Leben und all seinen Interessen sehr ferne liege. »Ich hoffe, ehe ich Brierwood verlasse, wird Fräulein Redmayne die Entdeckung gemacht haben, daß an mir nicht so sehr viel auszusetzen ist.«

»Gott bewahre, Herr! Sie hatte ja nichts gegen Sie, es war ja nur der Gedanke an einen Miether, gegen den sie sich sträubte. Sie würde eben so viel Aufhebens davon gemacht haben, wenn es sich um den Erzbischof von Canterbury gehandelt hätte.«

Grace wurde, während diese Unterhaltung über sie stattfand, blutroth im Gesicht, sie zürnte ihrer Tante, daß diese über sie sprach, zürnte dem Fremden wegen seines hochmüthigen Tones, als ob sie ein weit unter ihm stehendes Wesen wäre.

Der Fremde machte sich sein eigenes Phantasiegemälde von der Pächterstochter, die er sich als eine bausbäckige junge Person, mit rothen feisten Wangen und einigen Sommersprossen, in einem nach der Londoner Mode karikierten Costüm vorstellte.

»Ihre Nichte spielt wohl Clavier?« sagte er mit schwacher Stimme, nachdem er den Himbeerkuchen mit Sahne, den ihm Frau James zu genießen zuredete, abgelehnt hatte.

Mit Schauder dachte er an die Qualen, die er von einer clavierpaukenden Bauer-Mamsell auszustehen haben würde. »Warum weisen unsere Gesetzgeber dieser weiblichen Canaille nicht ihre Pflichten an?« fragte er sich. »In dem Falle würde diese Nichte von Brierwood dem Pfluge folgen oder die Schnitter beaufsichtigen.«

»Ja, Herr,« erwiderte Tante Hanna, deren scharfer Diskant, nach der sanften Stimme des Fremden noch gellender als gewöhnlich klang, »sie spielt Clavier; Richard hat ihr alle Extrastunden geben lassen, auch hat sie, so weit ich es mit meinem schwachen Verstande beurtheilen kann, einen recht guten musikalischen Geschmack. Aber, wenn es Ihnen unangenehm ist, Herr Walgry — Frau James bestand darauf, den Namen ihres Miethers in dieser Weise zu verunstalten — so brauchen Sie es nur zu sagen, und das Clavier wird, so lange Sie bei uns sind, nicht aufgemacht werden.«

»Um keinen Preis der Welt, meine liebe Frau Redmayne! Lassen Sie die junge Dame doch so viel sie will spielen und gar nicht daran denken, daß ich da bin; ich gedenke zu lange bei Ihnen zu bleiben, als daß ich ein solches Opfer wie die Unterdrückung ihrer musikalischen Neigungen annehmen könnte. Ich hoffe, mich hier eine bedeutende Zeit lang ab und zu aufzuhalten, wie Sie wissen, und so bald ich etwas kräftiger bin, wiederholt nach London zu gehen und wieder zurückzukommen. Ich bin an angestrengte Arbeit gewöhnt und halte es nicht lange außerhalb des Joches aus.«

Frau James warf einen Blick auf den enormen Koffer, der geöffnet dastand, wo er in der Nähe der Zimmerthür abgesetzt worden war, und neben den ein Haufen dicker in halbruinirten Ledereinbänden steckender Bücher, durcheinander geworfen auf der Diele lagen.

»Es sieht so aus, als ob Sie hier nicht müßig gehen wollten,« sagte sie, die in ihrer Herzenseinfalt die Bücherarbeit als die alleranstrengendste ansah.«

»Ja,« antwortete Herr Walgrave mit einem leichten Seufzer, »ein Jurist muß eine große Menge langweiliges Zeug durchstöbern, wenn er in der Welt weiter kommen will, und ich muß es eingestehen, daß ich den Erfolg auf Erden als einen Preis ansehe, der sich der Mühe lohnt!«

Er thaute etwas auf, hatte schon etwas von der ihm eigenen Blasiertheit schwinden lassen. Grace gefiel er besser nach dem, was er über ihre Musik gesagt hatte. Sie ging leise an ihren Sitzplatz zurück und nahm ihre Arbeit wieder auf, sich über sich selbst schämend, daß sie gehorcht hatte.

Nach dem Essen, von dem er wenig und mit der Miene eines Mannes, der sich nicht viel aus Essen und Trinken macht, genossen hatte, zündete sich Herr Walgrave seine Cigarre an und schlenderte hinaus in den Garten. Die Sonne war schon untergegangen, aber ein schwaches röthliches Glühen war noch über der westlichen Mauer zu sehen, und über demselben hatte der Himmel eine zarte grüne Färbung, welche allmälig in das Graue eines milden Sommerabends überging, in welchem hier und da ein stärkerer Lichteffekt, wie das Farbenspiel in einem Opal, sichtbar wurde. Langsam wandelte Hubert Walgrave längs dem Grase und blickte um sich, indem er sich ganz dem erquickenden Genuß der Gegend und der Lust hingab.

»In der That« das ist in s einer Art vollkommen,« sagte er zu sich; »der alte Worth hat die Schönheit des Orts nicht übertrieben, jede Ecke dieses alten Hauses hat ihren eigenen Reiz, auf jedem Fleckchen dieses Gartens ruht eine entzückend Anmuth. Und dennoch kann man es sich schwer vorstellen, daß ein Mensch hier Jahr aus Jahr ein, fern von allem Kampf und aller Ungewißheit des Lebens, damit zufrieden leben könne, daß die Ernte dieses Sommers ihm eine eben so reiche Ausbeute als die des letzten bringe, nur darum besorgt, ob das nächste Jahr ihm etwas mehr oder weniger Einkünfte zuführe; daß er sich daran genügen lasse, zuzuschauen, wie die langsamen Prozesse der Natur sich allmonatlich wiederholen, wie die Eier gebrütet werden, die Wolle wächst, das Rindvieh fett wird und das Korn reift, kurz ein Leben zu führen, welches der Hoffnung keinen weiten Spielraum bietet. Ich kann die Empfindungen eines solchen Menschen nicht begreifen, ich würde fast eben so gern in einem Tollhause oder Gefängniß verkümmern, als ein Dasein ertragen, in welchem es keine Wechselfälle giebt.«

Der Mann, der in weiter Ferne auf den Goldfeldern Australiens auf sein Glück harrte, besaß auch etwas von diesem Temperament und war faktisch weder von Natur, noch aus Neigung Pächter geworden.

Während Herr Walgrave langsam im Garten herumging, bald stehen bleibend, um sich einen Rosenbusch anzusehen, bald es, in seine eigenen Gedanken versunken, vergessend warum er stehen geblieben, und träumerisch die Blumen anstarrend, ohne sie zu sehen, beobachtete ihn Grace hinter ihrem Fenstervorhang stehend, und sann müßig darüber nach, was er wohl eben denke, machte sich wohl auch einige Gedanken über seine Vergangenheit.