Bittere Früchte - M. E. Braddon - E-Book

Bittere Früchte E-Book

M. E. Braddon

0,0

Beschreibung

Das marmorne Standbild des Malers Hubert van Eyck hob sich von dem warmen blauen Himmel ab und sein Schatten zog eine dunkle Linie auf dem sonnenbeschienenen Pflaster. Der Juliabend neigte sich seinem Ende zu. Die sinkende Sonne verwandelte die Canäle von Villebrumeuse und alle westlich gelegenen Fenster in Spiegelflächen von Gold. Diese Fenster, die auf die stillen Straßen und einsamen

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 619

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bittere Früchte

Roman

von

M. E. Braddon.

Inhaltsverzeichnis

Bittere Früchte

Inhaltsverzeichnis

Erster Band.

Erstes Capitel. Ganz allein.

Zweites Capitel. Ein Rückblick.

Drittes Capitel. Weitere Briefe.

Viertes Capitel. Eine Haushaltung zu Zweien.

Fünftes Capitel. Der Herausgeber der »Pallas.«

Sechstes Capitel. Zu Bayham.

Siebentes Capitel. Mr. Jerninghams Gast.

Achtes Capitel. G r e e n l a n d s.

Neuntes Capitel. Wie sie sich trennten.

Zehntes Capitel. Es ist ein Skelett in jedem Hause.

Elftes Capitel. Ich liebe und deshalb muß ich hoffen.

Zwölftes Capitel. Das grünäugige Ungeheuer.

Dreizehntes Capitel. Miß St. Albans.

Vierzehntes Capitel. Hinter den Coulissen.

Fünfzehntes Capitel. Alpha und Omega.

Zweiter Band.

Erstes Capitel. Miß St. Albans bricht ihr Engagement.

Zweites Capitel. Mr Desmond bringt Hilfe.

Drittes Capitel. Ein gefährlicher Schützling.

Viertes Capitel. A u s d e r W e l t.

Fünftes Capitel. Mrs. Jerningham spielt die Philanthropin.

Sechstes Capitel. Ein neuer Traum.

Siebentes Capitel. Daniel Mayfields Rath.

Achtes Capitel. Zwischen Eden und Exil.

Neuntes Capitel. Das Glück fliegt wie ein Vogel davon.

Zehntes Capitel. Die Enttäuschungen von Dion.

Elftes Capitel. »Unermeßliche Reichthümer in einem kleinen Raum.«

Zwölftes Capitel. L e b e w o h l.

Dreizehntes Capitel. Noch immer von einer Sorge in die andere geworfen.

Vierzehntes Capitel. A l l e i n.

Fünfzehntes Capitel. Der Morland-Husten.

Sechzehntes Capitel. Lucy’s Abschied von der Bühne.

Dritter Band.

Erstes Capitel. Konnte Liebe also scheiden?.

Zweites Capitel. Ein Sommersturm.

Drittes Capitel. Eine letzte Unterredung.

Viertes Capitel. Rechtzeitige Verbannung.

Fünftes Capitel. Sei Dir die Erde leicht.

Sechstes Capitel. Geheime Hoffnungen.

Siebentes Capitel. Nach Norden.

Achtes Capitel. Halkos Head.

Neuntes Capitel. Hoffnungslos.

Zehntes Capitel. Stärker als Tod.

Elftes Capitel. Versöhnung.

Erster Band.

Erstes Capitel. Ganz allein.

D

as marmorne Standbild des Malers Hubert van Eyck hob sich von dem warmen blauen Himmel ab und sein Schatten zog eine dunkle Linie auf dem sonnenbeschienenen Pflaster. Der Juliabend neigte sich seinem Ende zu. Die sinkende Sonne verwandelte die Canäle von Villebrumeuse und alle westlich gelegenen Fenster in Spiegelflächen von Gold. Diese Fenster, die auf die stillen Straßen und einsamen Plätze der schläfrigen belgischen Stadt herabschauen sind nicht von gewöhnlicher Art. Keine Arbeit moderner Baumeister ist unter dieser großartigen alten Architektur sichtbar, keine geschnörkelte Villa des neunzehnten Jahrhunderts erhebt ihr flitterhaftes Haupt zwischen diesem mittelalterlichen Glanze, kein gothischer Bastardstyl aus bunt zusammengefügten Backsteinen beleidigt das Auge. In Villebrumeuse zu leben, heißt im sechzehnten Jahrhunderte leben. Die ruhige Stille einer großen Vergangenheit weht in diesen schattigen Straßen. Grüne Bäume spiegeln sich in den stillen Gewässern des langsam dahinfließenden Canals, welcher die Stadt durchzieht, und an der Seite desselben befinden sich angenehme von alten Linden beschattete und mit hölzernen Bänken belegte Spazierwege, wo die friedfertigen Bürger sich des Abends ergehen und ausruhen können. Trost seiner friedlichen Ruhe ist diesen Villebrumeuse keineswegs ein trauriger Aufenthaltsort. Wenn es auch nicht mehr zu den geschäftigen Plätzen dieser Erde gehört, wenn auch der brausende Ocean des modernen Fortschritts von seinen Gestaden zurückgewichen ist und es auf einer Felsen- und Sandwüste zurückgelassen hat, so ist es sich wenigsten gleich geblieben, während die tosende Fluth mit all ihrem Lärm von erfolgreichen und mißlungenen Wagnissen vorüberstürmt. Der Friede welcher in Villebrumeuse herrscht, ist die Ruhe des Schlummers, nicht die Stille des Todes. Ein althergebrachter Wohlstand, eine Behäbigkeit, welche wohlthuend auf das durch das Treiben der Welt ermüdete Gemüth wirkt, durchdringt das Leben an diesem Platze; aber das Kämpfen und Ringen des modernen Handels ist unter seinen Kaufleuten unbekannt. Ihnen genügt es vollkommen, für die einfachen Bedürfnisse ihrer Mitbürger auf die einfachste Weise Vorsorge zu treffen. Und doch war diese Stadt in früheren Zeiten ein Weltmarkt, wo die Handelsgüter aus allen Zonen zusammenströmten, und diese alten Plätze und Straßen waren einst von den lauten Stimmen einer geschäftigen Menge erfüllt.

Ein junger Engländer ging an dem erwähnten Juliabend auf dem gepflasterten Platze, über den die Bildsäule des Malers ihren dunkeln Schatten warf, mit langsamen Schritten auf und ab. Er war Lehrer der englischen Sprache und der Mathematik an einer in der Nähe befindlichen öffentlichen Lehranstalt und hieß Eustace Thornburn. Seit drei Jahren bekleidete er diese Lehrstelle in Villebrumeuse, seit drei Jahren hatte er mit Ruhe und Ernst seine Pflicht erfüllt zur Zufriedenheit Aller, die bei der Anstalt betheiligt waren. Dies ist besonders deshalb erwähnenswert, weil er etwas von einem Enthusiasten und Dichter an sich hatte und manche von den Eigenschaften besaß, welche, wie man gewöhnlich annimmt einen Freibrief für die Vernachlässigung der Pflichten des alltäglichen Lebens bilden.

Er war ein feuriger und ehrgeiziger Geist, welcher aus Eustace Thornburns grauen Augen leuchtete; aber wenn auch das scharfe Schwert während des dreijährigen Lehramts und des einförmigen Lebend in Villebrumeuse die Scheide etwas abgenutzt hatte, so war doch der junge Mann dabei geduldig und zufrieden geblieben. Es befand sich eine öffentliche Bibliothek in Villebrumeuse, zu der der Lehrer ungehinderten Zutritt hatte und in den mittelalterlichen Räumen derselben brachte er seine freie Zeit zu. Dieses träumerische Nichtstun zwischen guten Büchern hatte für ihn einen besondern Reiz; seine Aufgabe an der Lehranstalt war, wenn auch langweilig und anstrengend, doch erträglich und er hatte ohne sich davon Rechenschaft zu geben, für die sonderbare alte Stadt, für die von grünen Bäumen beschatteten Kanäle, für das einfache Volk und seine altväterlichen Gewohnheiten eine gewisse Vorliebe gefaßt. So hatte sich der junge Lehrer, wenn es auch Zeiten gab, wo sein feuriger Geist gerne höhere und schönere Regionen aufgesucht hätte, doch nicht ganz unglücklich gefühlt, seit ihn sein Geschick nach diesem Orte geführt, um unter Fremden sein Brod zu erwerben.

Unter Fremden? Waren die Bewohner dieser belgischen Stadt ihm fremder als alle anderen Inwohner dieser übervölkerten Erde, mit Ausnahme des einen Mannes und Weibes, welche seine ganze Verwandtschaft und Freundschaft ausmachten? Unter Fremden? Hätte das Standbild van Eyck's von seinem Piedestal herabsteigen können, um in den Straßen der Stadt zu wandeln, das belebte Bild würde kaum vereinsamter gewesen sein als der junge Mann, welcher an diesem Juli-Abend vor demselben auf- und abging.

Blickte er zurück in die Schatten der Vergangenheit, wie viele derjenigen Bilder, welche den meisten Menschen vertraut sind, fehlten in der Erinnerung von Eustace Thornburn! Sein Gedächtniß, mochte er ob auch noch so sehr anstrengen, vermochte ihm aus den Tagen seiner Kindheit auch nicht die schwächste Spur eines väterlichen Antlitzes oder irgend eines Gegenstandes, der mit dem Namen Vater verknüpft war, zurückzurufen. Es gab einmal eine Zeit, wo er wegen dieses abwesenden Vaters Fragen an seine Mutter gestellt hatte, oder das war schon lange her. Eine frühreife Klugheit hatte seine Fragen abgeschnitten und er hatte längst gelernt, daß die Erwähnung des väterlichen Namens ein Gegenstand sei, den seine Lippen vor allen andern am sorgfältigsten vermeiden müßten. Er war jetzt dreiundzwanzig Jahre alt und man hatte ihm von seines Vaters Namen, oder von dessen Stellung in der Welt nie etwas gesagt. In den letzten zehn Jahren seines Lebens hatte et oft genug an diesen unbekannten Vater gedacht und wenigstens zu wissen gewünscht, ob er noch am lieben oder todt sei. Es war ihm bekannt, daß er keinen Anspruch auf den Namen hatte, den er trug und daß er eben so gut das Recht besaß, sich Guelp oder Plantagenet, als Thornburn zu nennen.

Wie viele kinderlose Männer auf dieser Erde würden froh gewesen sein, Eustace Thornburn Sohn nennen zu dürfen! Wie viele Großen der Erde wären entzückt gewesen, der Nachwelt einen solchen Erben zu hinterlassen!

Wenige schönere Gesichter hatten jemals in das edle Antlitz des verstorbenen Malers geschaut, als das, welchen heute mit träumerischem Blicke zu seinem Standbilde aufblickte. Die Züge des jungen Mannes glichen dem Gesichte der Statue, nur waren sie schöner durch ihren edlen Ausdruck als durch ihre vollkommene Regelmäßigkeit. Es ist etwas Anderes, eine klassische Gestalt der Nase, der Stirne, der Lippen und des Kinns zu haben, und etwas Anderes, ob diese klassischen Züge durch das Licht der Intelligenz verklärt sind. Wo diese fehlt, kann von einer Schönheit im höheren Sinne des Wortes kaum die Rede sein. In Eustace Thornburns Gesicht überwog der geistige Ausdruck so weit die physische Schönheit, daß Diejenigen welche ihn zum ersten Mal sahen, von dieser so sehr eingenommen waren, daß sie, wenn sie ihn verließen, sich keine Rechenschaft darüber geben konnten, wie seine Nase oder sein Mund geformt waren.

Es ist nur ein undankbares Geschäft, ein solchen Gesicht zu beschreiben: die dunkelgrauen Augen, welche für schwarz gelten, der bewegliche Mund, der in dem einen Augenblicke nur dazu gemacht zu sein scheint, um einen unbändigen Stolz und unbeugsamen Willen auszudrücken und in dem andern sich zu einem solchen Lächeln sich gestaltet, daß man ihn eines andern Ausdrucks als männlicher Zärtlichkeit und spielenden Humors für unfähig halten kann, das braune lockige Haar, die fast weibliche Zartheit seines Teints mit seiner tiefen Färbung welche mit jeder innern Bewegung erscheint und verschwindet — alles das giebt nur ein sehr unvollständiges Bild von der Individualität des jungen Engländers, der während der halbstündigen Zwischenpause in seinen trockenen Lehrstunden auf dem einsamen Platz auf- und abgeht.

Außer dieser halben Stunde hatte er täglich für seine eigenen Studien noch zwei Stunden frei, die er gewöhnlich in der öffentlichen Bibliothek zubrachte, denn sein Ehrgeiz hatte eine greifbare Gestalt angenommen und er hatte sich bereite einen Plan für seine künftige Laufbahn gemacht. Er wollte sich der Literatur als Lebensberuf widmen. Wäre er ein reicher Mann gewesen, so wäre er ein Dichter geworden; da er aber nur ein armer und namenloser Mensch war, der durch Arbeit sein Brod erwerben muste, so hatte er kein Recht, sich dem Luxus des Versemachens zu ergeben. Das weite Feld literarischer Arbeit lag vor ihm offen und es blieb ihm keine andere Wahl, als sich eilte Stellung durch dieselbe zu erkämpfen. Das Geschick mochte aus ihm machen, was es wollte, einen Journalisten, einen Novellisten, einen Dramatiker, einen Zeitungsreporter, jedenfalls mußte es ihm derart mitspielen, ehe es das Feuer seines jungen Ehrgeizes löschen oder den Muth beugen konnte, mit dem er der Welt entgegenzutreten bereit war.

Er hatte die Literatur als Lebensberuf gewählt, hauptsächlich weil es das einzige Geschäft war, das beim Beginn kein Capital verlangte, einigermaßen aber auch, weil der einzige Verwandte, den er in der Welt besaß, ein Mann war, der von seiner Feder lebte und sich dadurch Reichthum und Auszeichnung hätte erwerben können, wenn er es nicht vorgezogen, anders zu handeln.

Die halbstündige Ruhezeit war vorüber und das Läuten einer Glocke in der nahegelegenen Lehranstalt rief die Schiller zum Abendunterricht. Das Zeichen galt auch für den Lehrer und Mr. Thornburn eilte über den Platz nach dem Akademiegebäude. Beim Eintritt in daßelbe übergab übergab der Hausmeister einen Brief, der während Einer kurzen Abwesenheit eingetroffen war. Ein kalter Schauer überlief ihn beim Anblick des Schreibens, denn es war schwarz eingefaßt und von der Hand des Bruders seiner Mutter, der nur selten an ihn schrieb. Seine Mutter hatte seit langer Zeit gekränkelt und dieser Brief konnte nur eine vehängnisvolle Bedeutung haben. Seit Monaten hatte er sehnsüchtig seinen Augustferien entgegen gesehen, die ihm erlauben würden, nach England zu gehen und einige Wochen bei dieser geliebten Mutter zuzubringen — und jetzt kamen die Ferien zu spät.

Er trat trat in den Hof, wo die Schüler ihren Spielplatz hatten und durchflog seinen Brief.

Seine Thränen fielen, während er las, in großen Tropfen auf das Papier. Vor zehn Minuten hatte er sich, als er im Sonnenschein auf und abging, über seine Einsamkeit beklagt, indem er daran dachte, daß er nur zwei Freunde in der Welt hatte. Nun aber wußte er, daß er diejenige von diesen beiden, die ihm die Theuerste war, verloren hatte. Der Brief meldete ihm den Tod seiner Mutter.

»Du brauchst Dich nicht zu beeilen, hierher zurückzukehren mein armer Junge. Das Leichenbegängniß wird morgen stattfinden und vorüber sein, wenn Du diesen Brief erhältst. Ich sah Deine Mutter eine Woche vor ihrem Tode und sie sagte mir damals daß sie nicht den Muth finden könne, Dir zu melden, daß ihr Ende so nahe sei. Es trat endlich ganz plötzlich ein und ich befand mich um, diese Zeit nicht hier, aber man sagt mir, daß ihr Tod sehr ruhig und schmerzlos eingetreten ist. Ihre letzten Worte waren Dir gewidmet. Sie sprach, wie mir Mrs. Bone sagt, von Deiner Liebe und Anhänglichkeit. Die letzten zwei Tage brachte sie im Gebete zu, die arme unschuldige Seele, und ich, der ich solches viel nöthiger hätte, kann mich keine halbe Stunde dazu bringen. Die arme gute Seele! Bone glaubt, daß sie für Dich gebetet hat. Sie hat Deinen Namen so oft wiederholt, zuweilen in ihrem Schlafe, zuweilen wenn sie ruhig in einem matten Zustand zwischen Schlafen und Wachen lag. Aber sie wünschte nicht, daß man nach Dir sendete. »Es ist besser, daß er nicht da ist,« sagte sie. »Ich glaube, er weiß es, daß dieser Tag sehr bald eintreten muß.«

»Und nun, mein lieber Junge, suche dieses Unglück wie ein braver und muthiger Bursche, der Du immer warst, zu ertragen. Ich spreche nicht davon, was ich selbst fühle. Du weist, daß ich meine Schwester geliebt habe, aber Gott weiß es, daß ich nicht eher daran dachte, wir sehr ich sie liebte, als bis ich gestern erfuhr, was sich zugetragen. Vergiß nicht, Eustace, daß, so lange ich eine Kruste Brod erwerben kann, der Sohn meiner Schwester niemals seinen Antheil daran entbehren soll und wenn ich auch nicht gerade die ehrenwertheste Bekanntschaft bin, so kann ich doch ein treuer Freund sein. Wenn Du dieser alten langweiligen Stadt in Belgien müde bist, so kehre nach England zurück. Wir wollen dafür Sorge tragen, Dich hier in irgend eine Laufbahn zu bringen. Der unpraktische Daniel hat einen gewissen Einfluss und obgleich er selten daran denkt, ihn zu seinem eigenen Vortheil zu benutzen, da er ein so schlimmer Geselle ist, daß er sich keinen ehrbaren Charakter beizulegen wagt, so wird er ihn doch für einen tadellosen Neffen aufs Beste zu verwenden wissen.

»Komm also, lieber Junge, eine Art Sehnsucht hat mich ergriffen und ich wünsche das freundlichste Gesicht das ich in dieser Welt kenne, und das einzige Gesicht, das ich liebe, wieder zu sehen. Komm, es sind Briefe und Papiere Deiner armen Mutter vorhanden, worüber Du verfügen mußt. Meine profane Hand soll sie nicht berühren.

Der junge Mann steckte den Brief in seine Brusttasche und ging einige Zeit auf dem Spielplatze langsam auf und ab, über den Verlust, der ihn betroffen, nachdenkend. In einem der großen Schulräume warteten seine Schiller auf ihn, verwundert über das lange Ausbleiben des pünktlichsten unter allen Lehrern. Seine Thränen waren reichlich auf den Brief gefallen, jetzt aber waren seine Augen trocken. Das dumpfe Weh, das seine Brust erfüllte, war mehr ein Gefühl der Verlassenheit als ein scharfer Schmerz. Er hatte, noch ehe er nach Belgien abgereist, die traurige Wahrnehmung gemacht, daß seine Mutter langsam hinwelkte und sein bittersten Leid war es gewesen, daß ihn die Armuth zur Trennung von ihr gezwungen. Der Schatten diesen herannahenden Unglücks hatte schon längst den Horizont seines jungen Lebens verfinstert. Die traurige Wirklichkeit war etwas früher eingetreten als er erwartet hatte und das war Alle. Er beugte sein Haupt und trug mit Ergebenheit diese schwere Heimsuchung; aber es lag etwas in derselben, worüber er sich nicht zu trösten vermochte und dies war die Art seines Verlustes.

»Allein in einer gemietheten Wohnung mit einer armen, schlecht bezahlten Frau der arbeitenden Klasse als ihre Gesellschafterin und Trösterin! Mutter, Mutter, Du warst ein zu zartes und herrliches Wesen für ein so trauriges Geschick!«

Und dann erschien vor den Augen des jungen Mannes eines jener Bilder, welche ihn ohne Unterlaß verfolgten, das Bild dessen, was sein und seiner Mutter Leben hätte sein können, wenn ihre Verhältnisse andere gewesen. Er dachte sich als das geliebte und anerkannte Kind eines braven und ehrenwerthen Mannes, er dachte sich seine Mutter als ein glückliches Weib. Ach wie gänzlich verändert würde Alles gewesen sein! Krankheit und Tod wären allerdings auch nicht ausgeblieben, denn es gibt keine irdische Schranke, welche diese gefürchteten Gäste aus glücklichen Familien auszuschließen vermöchte. Sie wären ebenfalls gekommen, die dunkeln Heimsucher, aber wie verschieden wären die Verhältnisse gewesen! Er machte sich eine Vorstellung von zwei Todbetten. An dem einen knieete ein Gruppe liebender Kinder, leise um die sterbende Mutter weinend, während ein betrübter Gatte alle äußeren Zeichen seines Schmerzen unterdrückte, um die scheidende Seele, deren irdische Hülle von seinen zärtlichen Armen unterstützt wurde, nicht zu beunruhigen. Und das andere Totenbett! Welch ein Kontrast zwischen den beiden Bildern! Eine Frau, allein in einer elenden Kammer liegend, verlassen und vergessen von allen Wesen in der Welt mit Ausnahme ihres Sohnes und selbst dieser von ihr entfernt!

»Und dies, wie alles Andere haben wir ihm zu verdanken!«

Sein Gesicht, das bis jetzt nur den Ausdruck eines ruhigen Traumes getragen hatte, verfinsterte sich plötzlich, als er dies sagte. Es war nicht das erste Mal, daß er mit solcher Bitterkeit einen namenlosen Feind anredete. Mehr als einmal hatte er sich Rachegedanken gegen denselben hingegeben. Ihm schrieb er nicht allein sein eigenes Leid, sondern auch alle die geheimen Sorgen und stillen Schmerzen zu, die seine Mutter mit solcher Geduld ertragen hatte.

Dieser namenlose Feind, den er niemals gesehen und dessen Namen er vielleicht niemals entdecken sollte, war sein Vater.

Zweites Capitel. Ein Rückblick.

Von der mittelalterlichen Ruhe von Villebrumeuse zu der traurigen Verödung von Tilbury-Crescent läßt sich kaum ein trostloserer Uebergang denken. Statt der gothischen Häuser und alten Kirchen, der grünen Alleen und stillen Gewässer finden sich unvollendete Straßen, Terrassen von rohen Backsteinen, halb vollendete Eisenbahnbogen, Einschnitte in dem Boden, die wie Abgründe aussehen und Flecken von üppigem Graswuchs, die noch vor kurzer Zeit Feld waren. Der Schwefelgeruch den Ziegelbrennereien erfüllt die Luft in dieser neuen Londoner Vorstadt. Ueberall finden sich noch unvollendete Häuser, die darauf warten, bis der Speculant, der den Bau begonnen, Geld genug aufgebracht hat, um sie ausbauen zu können.

Dieses kleine Straßenlabyrinth liegt in nördlicher Richtung, die Miethe in diesen gelben Backsteinhäusern ist billig und deshalb sucht die anständige Armuth in ihrer vielfachen Gestalt hier ein Obdach.

Eustace Thornburn kam an einem heißen Juli-Nachmittage nach Tilbury-Crescent. Er war zu St. Katherines-Wharf gelandet und hatte dort seinen Weg in diese nördliche Vorstadt zu Fuß zurückgelegt. Er besaß Mittel genug, um in einem Omnibus oder Cab fahren zu können, aber er war ein ehrgeiziger, junger Mann, der sich den Jugend auf an Selbstverleugnung gewöhnt hatte. Die kleine Summe, die sich in seinem Besitze befand, mußte ausreichen, um seine Rückreise nach Villebrumeuse, oder seinen Aufenthalt in London, bis er eine neue Beschäftigung erhalten konnte, zu bestreiten. So hatte er alle Ursache, selbst in kleineren Ausgaben die möglichste Sparsamkeit zu üben. Der Gang durch die schmutzigen und geräuschvollen Straßen Londons kam ihm lang und lästig vor, aber eine größere Last waren ihm die traurigen Erinnerungen seiner Jugend und die trübseligen Gedanken, die sich daran knüpften.

In der nördlichen Vorstadt angelangt, klopfte er an der Thür eines der schlechtesten Häuser und wurde von einer ältlichen Frau eingelassen, welche zwar ärmlich und nachlässig gekleidet war, aber ein gutmüthiges Gesicht hatte, das sich sichtbar erheiterte, als sie den Reisenden erkannte. Gleich darauf aber erinnerte sie sich der traurigen Veranlassung seiner Ankunft und der gewöhnliche Ausdruck von Trauer, den die Leute so leicht annehmen, wenn sie Andern ihr Mitleid bezeigen wollen, trat auf ihren Zügen hervor.

»O, mein lieber Mr. Thornburn,« rief sie, »ich hätte niemals gedacht, Sie in dieser Weise zurückkommen zu sehen und sie nicht hier, um Sie zu bewillkommnen, das arme süße Lamm!«

Der junge Mann reichte ihr die Hand, um den Strom ihres Beileids zu hemmen.

»Bitte, sprechen Sie nicht von meiner Mutter,« sagte er ruhig, »ich kann es jetzt nicht ertragen.«

Die ehrliche Frau sah ihn verwundert an. Sie hatte es bisher nur mit Leuten zu thun gehabt, die gern von ihrem Schmerze redeten, und sie konnte diese ruhige Art, über denselben hinwegzugehen, nicht begreifen. Die Leidtragenden, denen sie bisher begegnet, trauerten in Sack und Asche und suchten dies der Welt zu zeigen; hier aber war ein junger Mann, der nicht einmal einen schwarzen Flor auf seinem Hute hatte und ihre freundliche Theilnahme zurückwies.

»Kann ich meiner — die alten Zimmer auf eine Woche haben, Mrs. Bone?«

»Ja, Sir. Ich habe mir die Freiheit genommen, eine Vermiethungs-Anzeige auszuhängen weil ich dachte, Sie würden nicht aus der Fremde zurückkehren, und wenn es nur für eine Woche ist, so brauche ich wohl den Zettel nicht abzunehmen? Es sind so viele Zimmer in der Nachbarschaft zu vermiethen und die Leute sind heut zu Tage so zudringlich, daß eine arme Wittwe kaum eine Aussicht hat. Es ist eine harte Sache, in der Welt allein gelassen zu werden, Mr. Thornburn.«

Im Herzen von Eustace Thornburn befand sich eine offene Wunde, welche unwissende Hände immer wieder unsanft berührten.

»Es ist eine harte Sache, in der Welt allein gelassen zu werden,« dachte er, die Klage der Frau für sich wiederholend, »sie ist in der Welt allein gelassen worden, noch ehe ich geboren wurde.«

Die Frau wiederholte ihre Frage in Betreff der Anzeige.

»O ja, Sie können den Zettel draußen lassen, aber wenn ich Sie bitten darf, so lassen Sie heute Niemand die Zimmer ansehen. Ich werde wahrscheinlich nicht über eine Woche hier bleiben. Kann ich sogleich hinaufgehen?«

Mrs. Bone fuhr mit der Hand in ihre weite Tasche und nach vielem Suchen in der Tiefe derelben brachte sie einen Zimmerschlüssel zum Vorschein den sie dem jungen Manne übergab.

»Mr. Mayfield hat mir anbefohlen, die Thür verschlossen zu halten wegen der Papiere und dergleichen. Die Thür des Schlafzimmers ist von innen verschlossen.«

Eustace nickte und ging mit raschen Schritten die Stiege hinauf, nicht mit jenem langsamen und gemessenen Tritte, den Mrs. Bone in seiner verwaisten Lage für angemessener gehalten hätte.

»Ich hätte geglaubt, er würde sichs mehr zu Herzen nehmen,« sagte sie, als sie in ihre Küche zurückkehrte, wo die Luft mit dem Dunst von Seifenbrühe und dem Geruche versengter Bügeldecken erfüllt war.

Eustace Thornburn schloß die Thür auf und trat in das Gemach, das seine Mutter noch vor Kurzem bewohnt hatte. Es war ein gewöhnlichen kleines Wohnzimmer, mit dem ein noch kleineren Schlafzimmer in Verbindung stand. Das Eigenthum der Frau, welche die enge Wohnung für eine noch engere ausgetauscht hatte, war sehr dürftig und nur von geringem Werthe, aber für Eustace Thornburn waren alle diese unbedeutenden Gegenstände kostbar. Dieses abgenützte Nähkästchen aus Rosenholz erinnerte ihn an ein geduldiges Wesen, wie es sich über die Arbeit beugte. Das kleine Bücherbrett, welches wohlfeile Ausgaben von Dichtern enthielt, rief ihm ihr sanftes Gesicht zurück, durch einen vorübergehenden Freudenstrahl erhellt, wenn sie die begeisterten Verse, die sie las, für einen Augenblick über die Erde und die irdischen Sorgen erhoben. Eustace Thornburn nahm die Gegenstände einen noch dem andern auf und preßte sie an seine Lippen. Es lag etwas fast Leidenschafliches in dem Kusse, den er auf diese leblosen Gegenstände drückte. Es war der Kuß, den er auf ihre blassen Lippen gedrückt hätte, wenn er rechtzeitig gekommen wäre, um ihr Lebewohl zu sagen. Er küßte die Bücher in denen sie zu lesen pflegte, er küßte die Feder, mit der sie geschrieben hatte und dann warf er sich in den niedern Stuhl, in welchem sie so oft gesessen, und gab sich ganz seinem Schmerze hin, Hätte Mrs. Bone dieses krampfhafte Stöhnen gehört, hätte sie die Thränen gesehen, welche zwischen den Fingern hervorströmten, mit denen der junge Mann seine Augen bedeckte, so würde sie keine Ursache gehabt haben, sich über Mr. Thornburns Mangel an Gefühl zu beklagen. Aber sein leidenschaftlicher Schmerz erschöpfte sich zuletzt. Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte er sich die Thränen aus den Augen und erhob sich blaß und ruhig, um das Werk zu beginnen, daß er sich zu thun vorgenommen hatte.

Die Liebe zu seiner Mutter war seine herrschende Leidenschaft gewesen. Sie war jetzt zur Ruhe gegangen und er konnte der Zukunft ohne Bangen entgegensehen. Für sie hatte er gehofft, für sie hatte er gefürchtet. Er stand setzt allein, seine Brust war nicht mehr ein Schild, der sie gegen die Pfeile des grausamen Geschicks beschirmen sollte. Die Pfeile mochten jetzt noch so dicht fallen, sie konnten nur ihn allein verwunden und er hatte ja bereits die schwerste Munde empfangen, die das Schicksal ihm zufügen konnte; er hatte sie verloren.

Der bitterste Stachel von Allem lag aber in der Ueberzeugung daß sie niemals glücklich gewesen. Ihr Sohn hatte sie mit unaussprechlicher Zärtlichkeit geliebt. Er hatte sie beschützt, für sie gearbeitet, sie bewundert und angebetet, aber er war nicht im Stande gewesen, sie glücklich zu machen. Diesen zartfühlende weibliche Herz war in der Vergangenheit zu tief verwundet worden. Eustace Thornburn hatte dies gewußt und eben darum war er geduldig gewesen, weil er ihr mildes Gemüth nicht durch Ausbruche von Ungeduld beunruhigen wollte. Er hatte gewußt, daß sie eine tiefe Kränkung erfahren, aber er hatte sie niemals nach dem Namen den Thäters gefragt. Er, ihr natürlicher Beschützer und Rächer, hatte niemals Rache an dem Manne gesucht, dessen Treulosigkeit oder lieblosen Benehmen ihr Leben vergiftet. Er hatte geschwiegen weil ihr das Fragen schmerzlich gewesen wäre, und wie konnte er es über sich gewinnen, ihr Schmerzen zu bereiten? So war er trotz den Verlangens, das Unrecht seiner Mutter zu rächen, ein Verlangen, das immer in seinem Herzen brannte, geduldig und ruhig gewesen.

Sie war jetzt nicht mehr, und die Zeit zur Rache gekommen. Derselbe verhängnißvolle Einfluß, der ihr Glück zerstört, hatte ihr Leben verkürzt. Mit vierzig Jahren ehe eine Runzel ihre Stirn gefurcht oder ein Sibetfaden in ihrem weichen nußbraunen Haar erschienen, war sie ins Grab gesunken, mit gebrochenem Herzen, aber geduldig bis zum letzten Augenblick.

Der junge Mann setzte seinen Schmerz bei Seite und ging daran, das neue Geschäft seines Lebens in Betracht zu ziehen.

Sein einziges Verlangen war jetzt, an dem namenlosen Feinde seiner Mutter Rache zu nehmen und der Gedanke, daß dieser Feind sein eigener Vater sei, vermochte sein Herz nicht im Geringsten milder zu stimmen oder ihn an der Ausführung seines Entschlusses zu hindern.

»Ich muß erfahren, wer er ist,« sagte er zu sich. »Mein ersten Geschäft muß sein, seinen Namen zu entdecken, mein zweiten ihn dahin zu bringen, daß ihm dieser Name mehr Scham einflößt, als mir meine Namenslosigkeit.«

Er ging an den Kamin, auf dem ein Brief für ihn lag, gesiegelt mit einem großen schwarzen Wachsklecks und an ihn in der unleserlichen Handschrift seines Onkels adressirt.

Das Couvert enthielt nur einige Zeilen, aber eingesiegelt in demselben war ein Bund Schüssel, die er alle sehr wohl kannte. Er nahm sie mit einem Seufzer heraus und betrachtete einen nach dem andern fast eben so zärtlich wie er die Bücher betrachtet hatte. Der gewöhnlichste Gegenstand in diesem Zimmer erregte seine Theilnahme und mit derselben kehrte sein Schmerz, den er nach schwerem Kampfe bewältigt hatte, von neuem zurück.

Elias einem Seitentische stand ein großen altmodisches Pult, in welchem die einsame Bewohnerin des Zimmers ihre Briefe und Papiere, so wie die wenigen werthlosen Reliquien, welche auch dem trostlosesten Wesen aus dem Schiffbruche der Hoffnung und des Glücks übrig bleiben, aufzubewahren pflegte.

Eustace öffnete das Pult so behutsam und leise alt ob seine Mutter daneben schliefe. Er hatte sie oft vor demselben sitzen sehen und sie einst mit einem kleinen Päckchen Briefen in der Hand in Thränen überrascht, aber er hatte niemals den Inhalt einen dieser vergilbten Pariere, die mit verschossenen Bändern zusammengebunden waren, gesehen. Und jetzt, nachdem sie dahin war, hielt er es für seine Pflicht, diese Papiere zu untersuchen. Aber er fühlte fast eine Art von Reue, als er das erste Packet berührte und es kam ihm vor, als ob er eine Entweihung begehe.

Das erste Päckchen war überschrieben »Briefe meiner Mutter« und enthielt die Schreiben einen guten mütterlichen Wesens an ihre Tochter gerichtet, die sich in einem Erziehungsinstitut befand. Sie waren voll Anspielungen auf eine behagliche bürgerliche Haushaltung, auf die Haushaltung eines Handelsmannes, wie es schien, denn die Schreiberin bezog sich zuweilen auf Vorgänge, die sich in dem Laden zutrugen, auf ihren Gatten, der sich im Geschäft überarbeite, auf Daniels aufgesetztes Wesen und seinen Widerwillen, den Beruf seines Vaters zu ergreifen.

Eustaces Gesicht überflog ein schwachen Lächeln, als er von dem ungesetzten Wesen seines Onkels Daniel las, das heute nicht viel gesetzter war als vor zwanzig Jahren.

Eustace wußte, daß diese Briefe von seiner Großmutter geschrieben waren, der Großmutter die ihn niemals in ihren Armen gehalten. Er betrachtete diese alten vergilbten Blätter, auf die so manche Thräne gefallen, und die steife Unterschrift »Elizabeth Mayfield« mit liebenden Blicken und er konnte sich der Rührung nicht erwehren, wenn er an die unschuldige Schulzeit seiner Mutter dachte.

Don zweite Packet enthielt blos drei Briefe, die an seine Mutter gerichtet waren, als sie, aus dem Institute zurückgekehrt, sich bereits wieder im elterlichen Hause befand. Die Schrift war eine jugendliche Modification von Daniel Mayfields unleserlicher Kalligraphie und wieder überflog ein schwachen Lächeln das Gesicht von Eustace Thornburn. Die Briefe waren aus der Kanzlei eines Advokaten geschrieben, bei dem der Jüngling in der Rechtswissenschaft unterrichtet werden sollte, denn Daniel war auf seiner Abneigung gegen das Geschäft seinen Vaters bestanden, mit der Erklärung, daß er nur zum Rechtsgelehrten geeignet sei, wozu er einen besonderen Beruf in sich verspüre. Der erste Brief war voll von Anspielungen über seine glänzenden Aussichten und der schönen Versprechungen, die er seiner Schwester machte, kein Ende. Aber schon im dritten Briefes der sechs Monate später geschrieben war, hatte sich Alles verändert. Das Leben eines Advocatenschreibers erschien Daniel wie eine wahre Sklaverei. Er war derselben vollständig überdrüssig und vertraute seiner theuersten Sissy unter dein Siegel der Veischwiegenheit an, daß keine Macht der Erde ihn zum Juristen machen solle.

Aus dem Verlaufe des Briefen ging dann hervor, daß der Schreiber eine Goldquelle in seinem Schreibzeuge gefunden zu haben glaubte, mit andern Worten: Daniel war unter die Schriftsteller gegangen. Er hatte, wie er seiner theuren Sissy mittheilte, für den »Punch« geschrieben und für einen Beitrag, »den er in einer halben Stunde hingeworfen,« zwei Guineen erhalten. Der Herausgeber des Witzblatts habe ihm das Versprechen ertheilt, auch die weiteren Beiträge seiner lebensfrischen Feder aufzunehmen. Und darauf fügte er eine Berechnung einen Einkommens bei, das, zu vier Guinen für die Arbeitsstunde angeschlagen, allerdings eine sehr respectable Summe entzifferte.

Ein trauriges Lächeln erschien auf dem Gesichte von Eustace Thornburn, als er diese Briefe las. Er kannte ja den Schreiber so gut und wußte in welches ärmliche verfallene Gebäude sich dieses Luftschloß aufgelöst hatte. Der junge Mann hatte sich über seine Fähigkeiten allerdings nicht getäuscht, aber er hatte die großen Talente, die er besaß, auf die leichtsinnigste Weise verschleudert. Er hatte seine Perlen den Schweinen vorgeworfen und seine Diamanten in messingene und bleierne Kronen einsetzen lassen. Die Blüthe seiner Jugend war darüber hingegangen, während er, der sich durch sein Genie einen großen achtbaren Namen hätte erringen können, nur Daniel Mayfield war, ein Zeitungsschreiber, ein geschicktes Werkzeug in der Hand speculativer Buchhändler, ein Wirtshauslungerer, ein mittel- und heimatloser Vagabund mit langem Haar, das die Zeit zu dünnen begann, und Augen, in deren Winkeln die Krähenfüße ihre unvertilgbaren Spuren eingegraben hatten.

»Armer Onkel Dan!« murmelte Eustace als er die Briefe an ihre frühere Stelle zurücklege, »armer guter, sanguinischer Onkel Dan!«

Drittes Capitel. Weitere Briefe.

In dem nächsten Packet befanden sich mehrere Billete und Briefe, bei denen Eustace Thornburn sehr lange verweilte, indem er einige zweimal las und andere, die er nachdem ersten Lesen bei Seite gelegt hatte, später noch einmal vornahm. Diese Briefe waren auf das dickste und feinste Papier geschrieben und athmethen einen schwachen Duft von Millefleurs aus, so schwach, daß sich nur noch der kaum wahrnehmbare Geist des früheren Parfüms daran erkennen ließ. Die Schriftstücke waren sämmtlich von demselben Orte datirt, und trugen keine andere Unterschrift als den Buchstaben H.

Eustace laß sie nach der Ordnung in der sie geschrieben waren.

»Der Verfasser des Buches, das Miß Mayfield am vorigen Dienstag Nachmittag las, war seit diesem Tage dreimal in der Leihbibliothek, hatte aber nicht das Glück, sie zu sehen. Will Miß Mayfield wohl dir Güte haben, eine Zeile zu schreiben und zu sagen, wann sie sichtbar ist. Der Schreiber, der sich ihres beredeten Lobes ganz unwürdig fühlt, wünscht angelegentlichst eine Unterredung, wenn auch nur von der Dauer einiger Minuten.

Georges Hotel, 6. Juni 1843.

»Der Verfasser des Buchs?« wiederholte Eustace, »welches Buchs? War dieser Mann ein Schriftsteller?«

Dieser Brief war eigenhändig überliefert worden. Der nächste trug den Poststempel von Bayham, dem Seebade in Dorsetshire, wohin auch die Briefe von Daniel adressirt waren. Die Adresse war folgende:

»C. M.

Post Bayham poste restante.«

»Die beliebte Adresse der Verführer,« murmelte Eustace, während er den Brief entfaltete.

»Georges Hotel, 15. Juni 1843.

Meine theure Miß Mayfield!

»Wenn Sie wüßten, welche Zeit ich seit dem vorigen Dienstag mit dem vergeblichen Bemühen zugebracht, zwischen den Musikalien und colorirten Lithogrphien in dem Fenster Ihres Vaters einen Blick von Ihnen zu erhaschen, so würden Sie gewiß geneigter sein, Demjenigen, was ich Ihnen an diesem Tage sagte, Glauben zu schenken. Ich sagte Ihnen, daß ich, wenn ich Sie nicht sehen könne, schreiben und wohin ich meinen Brief adressieren würde. Sie verboten mir zu schreiben und versicherten mich, daß mein Brief aus drin Postbureau unabgeholt liegen bleiben würde. Aber Sie, die Sie so gut und sanft sind, können gewiß nicht auf einem so grausamen Entschluß bestehen. Ich darf deshalb die Hoffnung hegen, daß diese Zeilen in Ihre Hände gelangen, und daß Sie mir meinen ungehorsam vergeben werden.

»Ich wünsche so sehnlichst, Sie wiederzusehen, wenn auch nur noch einmal — ja, wenn auch nur nach einmal. Tag und Nacht verfolgt mich der Gedanke an das liebliche Gesicht, das ich zum ersten Male sah, wir es über einem meiner eigenen Bücher gebeugt war. Erinnern Sie sich dieses Tages? Es war vor drei Wochen und es kommt mir vor, ein ob seit diesem Tage ein neuen Dasein für mich begonnen habe und als ob ich um ein halbes Leben älter geworden wäre. Süßes lieblichen Gesicht mit den dunkeln Augen und der Farbe der wilden Rosen! werde ich es jemals wieder vergessen können? Wird es je aufhören, sich zwischen mich und meine Bücher zu drängen? Ich versuchte es gestern Abend, eine alte Tragödie zu lesen, aber Sie ließen es nicht zu. Sie waren Elektra, und ich sah, wie Sie sich über die Todtenurne Ihres Bruders beugten, gerade so, wie ich Sie über dem albernen Buche gebeugt sah, das Sie so süß zu loben wissen. Die griechische Tragödie erinnerte mich an die Schicksals-Idee, die wir in unserer modernen Zeit zu verspotten pflegen. Und doch übt dein Schicksal ganz gewiß seinen Einfluß auf unsern Lebensgang aus. Ich wollte an dem Tage, wo ich Sie zuerst sah, Briefe schreiben, und die Leute hier gaben mir so elende Federn und Papier, daß ich forteilen um selbst bessere zu holen. Hätten Sie mir ordentliches Schreibmaterial gegeben, so würde ich Sie wahrscheinlich niemals gesehen haben. Es giebt drei oder vier andere Orte in dieser Stadt, wo ich, was ich suchte, gefunden hätte; aber das Schicksal legte seine Hand an meinen Rockkragen und führte mich in den Bücherladen Ihres Vaters. Ich trat ruhig hinein, während alle meine Gedanken zweihundert Meilen von Bayham entfernt waren. Ich sah Sie hinter dem Ladentische sitzen mit einem Buche in Ihrem Schooße und alle meine Gedanken kehrten nach Bayham zurück, um auf ewig ihre Wohnung bei Ihnen aufzuschlagen. Sie waren so in Ihr Buch vertieft, daß Sie mein bescheidenes Verlangen nach einem Buche Briefpapier hier nicht eher hörten, als bis ich es dreimal wiederholt hatte, und mittlerweile hatte ich Zeit, einen Blick in das Buch zu werfen, das Sie so interessierte. Endlich sahen Sie mit einem so reizenden, schüchternen, unschuldigen Blicke auf, und die Farbe der wilden Rosen trat auf Ihre Wangen. Und dann fragte ich Sie, was Sie von dem Buche hielten, und Sie priesen es mit einer so bezaubernden Beredsamkeit und wünschen den Verfasser zu kennen. Ich hatte das Buch schon von vielen Leuten loben und von mehreren tadeln hören, aber niemals bin zu dieser Zeit die geringste Versuchung gefühlt, mich als den Verfasser desselben zu offenbaren. Ich hatte mir vielmehr alle Mühe gegeben, den Antheil, den ich daran hatte, zu verbergen. Aber als Sie mein Werk lobten, schlug ich alle Vorsicht in den Wind. Es war so angenehm, Ihr liebliches Erröthen, Ihre reizende Verwirrung zu sehen, als ich Ihnen sagte, daß es mich glücklich mache, Ihnen gefallen zu haben. O Celia, wenn Ihnen mein Buch so sehr gefällt, weshalb mißtrauen Sie mir und vermeiden mich? Gestatten Sie mir, Theuerste, ich flehe Sie darum, zu irgend einer Zeil, an irgend einem Orte und unter irgend einer Bedingung, die Sie stellen, Sie zu sprechen. Ich harre von einem Tag auf den andern in dieser langweiligen Stadt aus, blos in der Hoffnung Sie zu sehen. Hundert Pflichten rufen mich hinweg und doch bleibe ich. Ich werde, nachdem ich diesen Brief zur Post gegeben habe, noch eine Woche warten, und wenn ich während dieser Zeit kein Zeichen von Ihnen erhalte, so werde ich Bayham verlassen, um niemals mehr in seine verhängnißvollen Mauern zurückzukehren.

In treuer Ergebenheit ewig der Ihrige.

H.«

Zwischen dem Daten des zweiten und dritten Briefs bestand ein Zwischenraum von sechs Wochen und in dem Tone des Briefstellers war eine bedeutende Aenderung eingetreten. Er bat nicht mehr um eine Unterredung mit der Buchhändlertochter. Es war offenbar, daß er sie während dieser Zwischenzeit sehr oft gesehen hatte und in seinem Briefe fehlte es nicht an Anspielungen auf die letzten Zusammenkünfte.

»Meine süße Geliebte!« schrieb er, »esgiebt keinen Abgrund zwischenunsoder dochkeinen Abgrund, der sobreit wäre, daßihndie Liebe nicht überbrücken könnte. Weshalb sind Sie sograusam, anmirzu zweifeln und mich zu vermeiden? Sie wissen doch, daßich Sie liebe.Sie sagten mir auch, alswir gestern Abend imlieblichenZwielicht ameinsamen Meeresuferstanden, daßSie anmeinte Liebe glauben.Siesprechen vonIhrer niedrigen Geburt, alsob die Geburt eines Engelsoder einer Göttineine niedrige sein könnte.Sie bitten mich, indie Welt und ihre Sclavereizurückzukehren und Ihre Liebe, diesen hellen Lichtstrahl, der besser ist, alsdie Welt, zuvergessen.Ich binerst fünfundzwanzig Jahre alt,Celia, und doch hatte ich geglaubt,ich hätte die Möglichkeit einer solchen Liebe,wie ich sie für Sie fühlte,bereits überlebt.

»Sie sagten mir am Sonntage, daß der Zorn Ihres Vaters schrecklich sein würde, wenn er unsere Bekanntschaft entdeckte. Ich würde allen Ihren Besorgnissen mit einem Male dadurch ein Ende machen, daß ich geraden Wegs zu Mr. Mayfield ginge und von ihm das Recht, Sie für immer die Meinige zu nennen, in Anspruch nähme, wenn ich nicht durch gesellschaftliche Rücksichten an Händen und Füßen gefesselt wäre. Sie haben allerdings einige Ursache, an mir zu zweifeln, Celia, und wenn Sie nicht die Großmuth selbst wären, so würde ich Bedenken tragen, mich offen gegen Sie auszusprechen. Wenn wir uns mit einander verbinden, so muß unsere Heirath so lange ein Geheimniß bleiben, bin mich der Tod meines Vaters von der Knechtschaft erlöst. Sie halten mich vielleicht für einen Feigling, wenn ich Ihnen bekenne, daß ich meinem Vater nicht offen Trotz zu bieten wage; aber Sie können sich kaum denken, wie vollständig die Sclaverei eines Mannes sein kann, wenn er der einzige Sohn ist und sein Vater große Pläne für ihn in Aussicht genommen hat. Ich schreibe Ihnen über die elenden Hindernisse die sich unserem Glücke entgegenstellen, weil ich, wenn ich bei Ihnen bin, nicht von den Schwierigkeiten, die uns umgeben, sprechen kann. Alle meine Sorgen verlassen mich, sobald diese lieben Augen mich anblicken. Ich vergesse dann diese Alltagswelt und alle ihre Uebel, und könnte sie noch immer für die Wohnung der Götter halten. Wenn ich dagegen fern von Ihnen bin, so ist Alles verändert und die Hoffnung bleibt allein zurück.

»So werde ich keine Anspielung auf diesen Brief machen, wenn wir uns wieder treffen. Wir wollen Kinder sein und Arm in Arm auf dem goldenen Sande dieser herrlichen Bucht, fern von dem Geräusche der Stadt, dahin wandeln. Wir wollen alle unsere Schwierigkeiten und Sorgen vergessen, vergessen, daß die Götter nicht mehr auf der Erde wandeln.

»Ich hoffe Sie heute um sieben zu sehen, meine geliebte Celia. Ich werde Sie an dem alten Platze erwarten, und es wird Ihnen leicht gelingen, Ihre Vertraute und Begleiterin, Miß K., abzuschütteln. Können Sie sich keinen weiblichen Schmuckgegenstand denken, den Miß K. zu besitzen wünschte? Ich möchte ihr gerne einen Beweis meiner Achtung und Erkenntlichkeit geben. Sie war in ihrer gezierten Weise so nachsichtig gegen uns. Lassen Sie mich wissen, ob es ein Halsband, oder ein Bracelet oder ein Paar Ohrringe sind, und ich werde sehen, was der Juwelier von Bayham für uns thun kann.

»Und nun, meine Geliebte, leben Sie für einige Stunden wohl. Möge Phaeton seine Rosse im raschen Laufe nach Westen treiben und uns bald die Stunde bringen, wo das rosige Licht der scheidenden Sonne unsern Lieblingsplatz am Gestade vergoldet.

Ewig der Ihrige

H.«

Es waren noch mehrere Briefe da, weniger scherzhaft und weit leidenschaftlicher, deren Daten sich über sechs oder sieben Wochen erstreckten; dann trat eine beträchtliche Pause ein und darauf folgten zwei Briefe, die im Januar des folgenden Jahres geschrieben waren. Der Schreiber hatte die Zustimmung seiner theuersten Celia zu einer geheimen Vermählung. Sie sollte heimlich ihr Haus verlassen und mit ihm nach London geben, wo er dazu alle Anstalten getroffen hatte. Es war offenbar, daß ihre Zustimmung zu diesem Schritte nicht ohne große Schwierigkeit erlangt worden war. Die Briefe enthielten die lebhaftesten Betheuerungen und Versprechungen. Der Schreiber wiederholte stets, wie der Anblick ihrer Tränen sein Herz zerrissen. wie der Gedanke an ihren Kummer ihm unerträglich sei. Aber er hatte ihn desto weniger ertragen und war auf die Ausführung seiner eigenen Absichten bestanden, denn der letzte Brief enthielt eine ausführliche Anweisung für die Flucht den Mädchens aus dem elterlichen Hause. Sie sollte mit ihrem Geliebten nach Eintritt der Dunkelheit im Bureau des Postwagens zusammentreffen, mit diesem wollten sie bis zur nächsten Station fahren und dann mit Extrapost quer durch das Land reisen, um auf einer andern Straße nach London zu gelangen und so jede Verfolgung zu vereiteln.

Dies war der letzte Brief, und auf der Rückseite desselben standen, von weiblicher Hand geschrieben, die folgenden Zeilen:

»Ein weiterer, vom 15. April 1844 datirter Brief enthielt Geld und das Versprechen einer Rente. Der Brief und der Entschluß wurden aber an den Schreiber zurückgesendet.«

Dies war Alles, aber genug für den jungen Mann, der mit glühenden Gesicht über den letzten Brief brütete. Es war eine ganz gewöhnliche und leicht erklärliche Geschichte: die arme leichtgläubige Schönheit nun der Provinz wird durch das Versprechen einer geheimen Heirath, welche niemals vollzogen wird und deren Vollzug niemals beabsichtigt war, dort ihrem ruhigen Vaterhause weggelockt, dann nach Ablauf weniger Monate verschwindet der kurze Traum des Glücks und die Schlange der Reue, die stets über den Blumen lauert, stellt sich ein. Den Schluß des fieberhaften Traumes bildet ein Brief, der Geld und Versprechungen für die Zukunft enthält, und Alles ist Verzweiflung und Bitterkeit. Dies war der prosaische Roman, den sich Eustace Thornburn aus den mit H. unterzeichneten Briefen zusammensetzte, und es war eine so grausame und schmachvolle Geschichte, daß der junge Mann sein schweres Haupt auf das Pult niedersinken ließ und laut weinte.

Er hatte sich von diesem Ausbruche des Schmerzes einigermaßen erholt und war im Begriffe, die Briefe wieder zu ordnen, als die Thür aufging und ein Mann mit raschem Schritt hereintrat. Derselbe stand zwischen dem vierzigsten und fünfzigsten Jahre und war eine merkwürdig aussehende Person. Er hatte einst Anspruch auf Schönheit gehabt, darüber konnte kein Zweifel bestehen, aber die Blüthe seiner Jugend war in irgend einer verderblichen Atmosphäre der der Zeit dahingewelkt. Er hatte eine rothe Nase, feurige schwarze Augen und schwarzes Haar, das er länger trug, als es die Mode des Tages gestattete. Unter diesen dunklen Locken befanden sich weiße Streifen und der Schnurrbart hatte in seiner Schwärze jene Farbe des tyrischen Purpurs, welche die Kunst des Haarfärbers verräth. Es war ein Mann von imponirendem Aeußern, hoch gewachsen und kräftig gebaut und wenn ihm auch die leichte Bewegung und Anmuth der höheren Gesellschaft fehlte, so ließ sich doch nicht verkennen, daß er ein Mann von Bildung sei. Gegenwärtig trug er Trauer und sein Benehmen verrieth eine ungewöhnliche Weichheit. Dies war Daniel Mayfield, ein Mann, dessen Genie anderen Leuten den größten Vortheil, ihm selbst aber keinen Nutzen gebracht, ein Mann der, wenn er sein Mahl einnahm, seinem tödtlichsten Feind Essen und Trinken reichte.

Ja, der einzige Feind, den Mr. Mayfield hatte, war er selbst, denn Jederman liebte ihn. Er war der beste Gesellschaften der treueste uneigennützigste Freund. Das Gold rann durch seine Finger wie Wasser. Er hatte größere Erfolge errungen und härter gearbeitet, als Männer, die sich durch ihren Fleiß Häuser, Länderein, Wagen und Pferde erworben. Seine Bekannten hatten häufig schon sein Einkommen berechnet und sich darüber gewundert, was er damit anfange. Spielte er? Speculierte er an der Börse? Brachte er fünfzehnhundert Pfund in den Wirthshäusern durch? Daniel selbst hätte diese Fragen nicht beantworten können. Er wunderte sich eben so sehr als Andere über dieses geheimnißvolle Räthsel. Er hatte nie mit dem Gelde umzugehen gewußt. Es ging eben hinaus und war fort. Jack borgte einige Pfund; es wurde an Abend Karten und das Glück war gegen den armen Dan; es fand zu Greenwich ein Mittagessen statt zu Ehren von Toms Geburtstag; er hatte eine Liebhaberei für eine seltene Ausgabe einen alten Buchs gefaßt, das er in der Versteigerung um hohen Preis an sich brachte; dann kamen zuweilen Zeiten den Mangels, in denen Dan zu einem freundschaftlichen Wucherer seine Zuflucht nahm, dessen Hilfe er zuletzt mit 150 Prozent bezahlte. So ging das Geld fort und Daniel war die letzte Person, sich darum zu kümmern, wie es fortging. Wenn seine Taschen leer waren, so rief et nach Federn, Tinte und Papier und schickte sich an, sie wieder zu füllen.

Heute war das sorglose Genie nicht ganz in seiner gewöhnlichen Verfassung. Seine lebhaften schwarzen Augen zeigten einen Ausdruck von Traurigkeit und sein unruhiges bewegliches Wesen hatte sich in eine ungewöhnliche Gesetztheit und Ruhe verwandelt. Er blieb einige Augenblicke an der Thür stehen und betrachtete seinen Neffen. Der junge Mann blickte plötzlich empor und streckte seine Hände aus.

»Lieber Onkel Dan!« rief er, die ausgestreckten Hände seinen Besuchers ergreifend. Ein kräftiger Druck der muskulösen Finger seines Onkels war der einzige Ausdruck des Mitgefühls, den er von diesem Herrn empfing. Beide verstanden einander zu gut, als daß sie viele Worte zu machen brauchten.

Daniel sah auf das offene Pult.

»Du hast die Papiere Deiner Mutter untersucht.« sagte er mit leiser Stimme. »Hast Du irgend etwas entdeckt?«

»Mehr als genug und doch nicht halb so viel, als ich früher oder später erfahren muß. Ich habe niemals eine Frage an Dich gestellt, Onkel Dan. Ich konnte mich nicht dazu bringen. Aber jetzt — jetzt wo sie dahin ist —«

»Ich verstehe Dich, lieber Junge. Ich weiß selbst nur sehr wenig (denn ich hatte das Herz nicht, sie zu fragen) aber Du hast ein Recht, das wenige zu erfahren und wenn Du die Geschichte aus dem, was Du dort gefunden, zusammensetzen kannst —« sagte Daniel, auf das Pult deutend.

»Die Geschichte verstehe ich — ich wünsche den Namen des Mannen zu wissen,« rief Eustace leidenschaftlich.«

»Ich habe ihn seit zwanzig Jahren zu wissen gewünscht.« antwortete Daniel.

»So kannst Du mir also nichts sagen?«

»Ich kann Dir sehr wenig sagen. Als ich aus dem elterlichen Hause schied, um bei einem Londoner Advocaten in die Lehre zu treten, Iieß ich das schönste und lieblichste Wesen zurück, das jemals ein Mann mit Stolz seine Schwester genannt. Wie Du weißt, Eustace waren wir die zwei einzigen Kinder wohlhabender Bürgerleute. Mein Vater unterhielt eine Buchhandlung und Leihbibliothek und meine Mutter betrieb ein Putzgeschäft. Dadurch erwarben sie sich ein recht behagliches Einkommen. Wir wohnten in einem großen Hause, das die Aussicht auf die See hatte und waren in unserer Art Leute von Wichtigkeit. Meine Schwester war das schönste Mädchen von Bayham. Sie welkte so frühzeitig dahin, daß Du Dir kaum vorstellen kannst, was sie in jenen Tagen für ein lieblichen Geschöpf gewesen ist. Sie war beschämt über die Aufmerksamkeit, welche ihre Schönheit auf sich zog und sie besaß eine gewisse kindliche Schüchternheit, die sie nur noch reizender erscheinen ließ. Ein großer ungeschlachter Bengel von achtzehn Jahren weiß selten was Schönheit ist; aber ich wußte, daß meine Schwester schön war und ich bewunderte und liebte sie. Ich war so stolz auf unsere kleine Celia..

Er hielt inne und bedeckte einige Minuten lang die Augen mit der Hand, während Eustace ungeduldig wartete.

»Um eine lange Geschichte kurz zu machen,« fuhr Daniel fort, »eines Tagen laut ein Brief von meinem Vater, in welchem er mir in kurzen, fast unzusammenhängenden Worten meldete, daß man zu Hause in größter Verlegenheit sei, und daß ich augenblicklich dahin zurückkehren solle. Ich dachte natürlich an Geldverlegenheiten und Geschäftsbankerott und erinnerte mich mit Reue an das viele Geld, das ich meinem Vater gekostet und wie wenig gute Früchte es getragen. Als ich nach Bayham kam, fand ich, daß etwas Schlimmeres als Geldverlegenheit das tränenerfüllte elterliche Haus heimgesucht hatte. Celia war verschwunden, einen Brief für meinen Vater zurücklassend, in welchem sie ihn benachrichtigte, daß sie im Begriff sei, sich zu verheirathen, daß aber ihre Heirath und der Name ihres Gatten aus Familienrücksichten vorerst geheim bleiben müßten; er habe ihr jedoch versprochen, sie nach Bayham zurückzubringen, sobald er in der Lage wäre, seinen Namen und seine Stellung zu entdecken. Natürlich wußten wir Alle, was dies zu bedeuten hatte und mein Vater und ich machten uns mit verzweifeltem Herzen auf den Weg, um unser armes verführtes Mädchen aufzusuchen.«

»Und Ihr habt sie nicht gefunden?«

»Nein! Nachdem wir mehreren falschen Fährten gefolgt waren und einen guten Theil Geld verausgabt breiten, kehrten wir nach Bayham zurück. Mein Vater war in der kurzen Zeit seiner Abwesenheit um zehn Jahre gealtert. Drei Jahre darauf starb er und unsere Mutter folgte ihm bald nach, denn sie waren eines von den altmodischen Paaren, die so zärtlich an einander hängen, daß sie zusammen ins Grab sinken müssen. Sie starben, und das arme Mädchen, dem sie ihr Vergehen von der ersten Stunde an verziehen hatten, war nicht zugegen, um um sie zu trösten. Sie waren mehr als zwölf Monate todt, als ich eines Tages auf dem lebhaftesten Theile des Strandes im Gedränge eine Frau erblickte, in der ich trotz ihres verblühten Gesichts sogleich meine Schwester erkannte. Mit schmerzerfülltem Herzen eilte ich ihr nach —«

Es trat wieder eine kurze Pause ein, die nur durch das schnelle Atmen von Eustace und durch ehren tiefen Seufzer Daniels unterbrochen wurde.

»Sie hatte seit drei Jahren in London verborgen gelebt, in demselben Viertel, das auch mich beherbergte, und die Vorsehung hatte sie mir niemals in den Weg geführt. Sie hatte gelebt, wie arme unglückliche Frauen in London leben, bald von dieser, bald von jener Arbeit, die sie kaum vor dem Hungertode schützte. Ich ging mit ihr nach Hause, wir packten ihre wenigen armseligen Habseligkeiten zusammen und führten sie und Dich in einem Cab mit fort. Das Uebrige ist Dir bekannt. Sie lebte so lange bei mir, bis Du alt genug warst, um durch ein schlimmes Beispiel angesteckt zu werden. Dann verließ sie mich unter einem treffenden Vorwande, weil die arme unschuldige Seele fürchtete, daß der liederliche Daniel ihren kleinen Liebling verderben könnte. Während der ganzen Zeit, wo wir zusammen waren, enthielt ich mich, mit Fragen in sie zu dringen, weil ich glaubte, daß sie mir früher oder später doch ihr Vertrauen schenken würde und in dieser Hoffnung wartete ich mit Geduld. Sie sagte mir einst, daß sie zweimal nach Bayham gereist sei, das erste Mal, während unsere Eltern, deren Gesicht sie aus der Ferne noch einmal zu sehen wünschte, noch am Leben waren und das zweite Mal, als sie auf dem Kirchhofe lagen. Dies war Alles, was sie mir jemals sagte. Ich fragte sie einen Tagen, ob sie mir nicht den Namen Deines Vaters nennen wolle; aber das arme Kind sah mich mit traurigem furchtsamen Gesichte an und sagte, sie könne dies niemals thun. Er sei fern von England, am andern Ende der Welt, wie sie glaube. Dies war der einzige Versuch den ich jemals gemacht habe, in das Geheimniß Deiner Geburt einzudringen.«

»Die Briefe — die Briefe des Mannes — sind voll von Anspielungen auf eine beabsichtigte Heirath. Glaubst Du, daß eine solche stattgefunden hat?«

»Ich bin überzeugt, daß es nicht der Fall war.«

Eustace stöhnte laut. Er hatte dies schon lange vermuthet; aber seinen Verdacht durch den Ausspruch eines Anderen bestätigt zu hören, war deshalb nur nicht weniger bitter.

»Du hast Du einen Grund zu dieser Behauptung, Onkel Dan?«

»Mein Grund ist dieser, Eustace: Hätte meine Schwester nach Bayham zurückkehren können, so würde sie es sicherlich gethan haben. Der Kummer muß ein sehr bitterer gewesen sein, der sie von ihrem Vater und ihrer Mutter fern hielt.«

Der junge Mann gab seinem Onkel keine Antwort. Er ging ans Fenster und schaute auf die einsame Straße hinab, wo der unvermeidliche Drehorgelspieler, der alle unsere Sorgen in seiner musikalischen Mühle zu mahlen scheint, in seiner gewöhnlichen Weise sein eintöniges Instrument drehte. Die Melodie, die er spielte, war eine sehr einfache, aber Eustace konnte sie später niemals hören, ohne sich dieser unglücklichen Stunde mit der ganzen grausamen Geschichte des Elends und der Schmach seiner Mutter zu erinnern.

Nach einigen Minuten trat er vom Fenster zurück und stürzte sich laut schluchzend an die Brust des ehrlichen Daniel.

»Jetzt führe mich zum Grabe meiner Mutter,« sagte er darauf.

Viertes Capitel. Eine Haushaltung zu Zweien.

Harold Jerningham lebte in Park-Lane. Wenn man diesen sagt und hinzufügt, daß es sein Vorrecht war, ein wohleingerichtetes kleines Junggesellenhaus mit Bogenfenstern vom Dache bis zum Erdgeschosse herab zu bewohnen, so will das so viel sagen, daß er einen jener begünstigten Wesen war, für die diese Welt ein irdisches Paradies sein konnte. Es giebt stattliche und riesige Häuser in Park-Lane, Häuser mit prächtigen Gemäldegalerien, mit Treppen von poliertem Marmor und Gewächshäusern, welche kleine Wälder von tropischen Pflanzen in sich schließen, aber der Glanz dieses westlichen Edens liegt nicht in ihnen. Paläste sind in der westlichen Hemisphäre von London überhaupt gewöhnlich genug; aber nur in Park-Lane finden sich diese netten Junggesellenwohnungen, diese allerliebsten Puppenhäuser, »zu klein« um darin zu leben und zu groß, um sie an seine Uhrkette zu hängen,« wie Lord Hervey sagte.

Das Haus, das Harold Jerningham bewohnte, wenn er die Hauptstadt mit seiner Anwesenheit beglückte, war eine der bezauberndsten dieser beneidenswerthen Wohnungen. Als es in seinen Besitz kam, hatte es ein ziemlich altmodisches Aussehen, aber unter seinen Händen war es bedeutend umgestaltet und verschönert worden. Er hatte die Erker vergrößert und Balkone von seinem eisernen Gitterwerk anbringen lassen, auf denen eine Masse prächtiger Blumen und Farnkräuter das Auge fesselte. Auf der Rückseite des Hauses, wo sich ein Garten befand, hatte er einen Neubau mit geräumigen Zimmern ausführen lassen und aus diesen trat man auf einen viereckigen Platz heraus, der mit Glas eingedeckt und mit einem wundervollen Mosaikboden, der aus einem Zimmer von Pompeji stammte, geschmückt war. Ein Porphyrbassin mit Springbrunnen, Wasserlilien und Gruppen von reizenden Blattpflanzen vollendete das Ganze.

Mr. Jerningham hatte sein Dann nach seinem eigenen Geschmack ausgestattet. Die Tapeten und Teppiche waren reich und selbst in den Sängen und auf den Stiegen von purpurrothem Sammet, aber die Möbel und Geräthe bestanden größtentheils aus alterthümlichen Seltenheiten, die er aus allen Theilen von Europa um fabelhafte Preise zusammengebracht hatte.

Harold Jerningham war fünfzig Jahre alt und einer der reichsten Männer in London. Er hatte weder Söhne noch Töchter und lebte in einem Junggesellenhause, war aber kein Junggeselle. Er hatte sieben Jahre vorher eine nahe Verwandte, ein sehr schönes, junges Mädchen geheiratet, aber die Verbindung war nicht glücklich gewesen. Sie hatte nur zwei Jahre gedauert, nach deren Verlauf Mann und Weib sich ohne einen Scandal getrennt hatten. Mr. Jerningham hatte diesen Zeitpunkt benutzt, um eine lange verschobene Reise nach dem Orient anzutreten und Mrs. Jerningham hatte sich ruhig aus dem Puppenhause von Park-Lane in ein anderes Puppenhaus am Ufer der Themse zu Hampton zurückgezogen. Mann und Weib mögen aber ihre Angelegenheiten noch so ruhig auseinandersetzen, die Welt wird sich immer ihre eigenen Gedanken über die Sache machen und ihre eigenen Schlüsse ziehen. Die Welt, d.h. Mr. Jerninghams Welt, erzählte sich verschiedene Geschichten über seine Heirath. Einige behaupten, die schöne junge Cousine besitze den echten Jerningham-Stolz, einen Stolz, der dem den Miltonschen Lucifer vollkommen gleichkomme und deshalb sei eine friedliche Verbindung der beiden Jerninghams eine Unmöglichkeit. Aber die Mehrheit war zu dem Glauben geneigt, daß Mr. Jerningham der schuldige Theil sei. Weder seine Jugend, noch sein mittleres Alter waren fleckenlos gewesen. Zu stolz und zu raffiniert, um sich gemeinen Lastern und Ausschweifungen zu ergeben, hatte er weit mehr Böses gestiftet und war weit gefährlicher gewesen, als der gemeine Sünder. Ein ruinirter Familienvater hatte den Namen von Harold Jerningham verflucht und unschuldige Kinder waren aufgewachsen, um bei der Erwähnung diesen verhängnisvollen Namens zu erröthen. Dreiundvierzig Jahre lang war er ein Junggeselle gewesen und hatte sich über die Männer lustig gemacht, die ihre Freiheit für die eintönige Gesellschaft eines Weibes und das Geschrei lästiger Kinder vertauschten.

Mr. Jerningham war kein vorsätzlicher Sünder. Er war nicht ganz schlecht und verworfen. Er war ein zu selbstsüchtiger Mann, um nicht nach dem Beifall seiner Mitmenschen zu streben. Er hatte zu viel von einem Dichter und Künstler an sich, um den Reiz der Tugend nicht zu begreifen. Er war ein ehrenwerther Mann, aber er wußte, daß die Ehre eine schöne Sache ist und es beschlich ihn ein vages Gefühl von Unbehaglichkeit, wenn er sich eine unehrenwerthe Handlung zu Schulden kommen ließ, — gerade eine so unangenehme Empfindung, wie er sie verspürt hätte, wenn er einen schlecht sitzenden Rock hätte tragen sollen. Er war nicht ohne Wohlwollen, ja er konnte gelegentlich sogar großmüthig sein; aber in einem nutzlosen Leben hatte er niemals seine eigenen Genüsse zum Besten Anderer geopfert. Er hatte das Vergnügen genossen, wo er es fand, und wenn es nur durch eine Uebelthat zu erlangen war, so hatte er mit Bedauern die Achseln gezuckt und den Preis dafür bezahlt. Er hatte seine Rosen gepflückt, während Andere durch die Dornen belästigt waren. Die Rosen blühten noch immer an seinem Wege, aber Jerningham hat keine Lust mehr, sie zu pflücken. Man kann selbst der Rosen überdrüssig werden.

Seine Heirath war das Ergebnis einer jener edelmüthigen Regungen, die seinen Charakter von dem Vorwurfe gänzlicher Unwürdigkeit befreien. Ein Verwandter war in der tiefsten Armuth in Paris gestorben, eine liebenswürdige Tochter und einen Brief an Harold Jerningham hinterlassend. Die liebenswürdige Tochter kam ohne Begleitung nach London und überlieferte den Brief eigenhändig an den eleganten Junggesellen von dreiundvierzig Jahren. Wäre sie nicht eine Jerningham gewesen, so ließe sich nicht sagen, was für eine Geschichte von Sünde und Thorheit diese Unterredung zur Folge gehabt hätte. Aber sie war die Tochter von Philipp Jerningham und der directe Abkömmling eines Plantagenet-Prinzen; so wurde sie, nach einer sehr kurzen Bekanntschaft, die Gattin des ältesten Vertreters ihrer Familie und die Herrin des köstlichen kleinen Hauses in Park-Lane nicht zu erwähnen der Parke und Schlösser, der Landgüter und Wälder in drei der schönsten Grafschaften Englands.

»Sie muß sich für die glücklichste Frau halten,« sagte die westliche Welt. Mochte sie sich nun aber dafür halten oder nicht, es wurde bald ruchbar, daß sie keine glückliche Frau war. Einige Monate hatte die Welt das Vergnügen, Mr. Jerningham häufig in Begleitung seiner Gemahlin zu sehen. Er hob sie in den Wagen, begleitete sie in Gesellschaften, stand in der Oper hinter ihrem Stuhle und fuhr sie sogar in seinem untadeligen modischen Phaeton zuweilen spazieren. Und dies galt der Welt als das Ideal aller häuslichen Glückseligkeit. Dann kam eine Zeit, während welcher die Jerninghams selten beisammen gesehen wurden. Sie führten ein Wanderleben, dessen Regel zu sein schien, daß Mr. Jerningham zu Spaa war, wenn seine Frau sich in London befand und daß Mr. Jerningham nach einem der Landhäuser auf dem Wege war, wenn ihr Gebieter nach London kam. Dann verbreitete sich plötzlich das Gerücht, daß sich die Jerninghams für immer getrennt hätten. Die Sache wurde in den weiblichen Gesellschaften und in den Clubs der Männer besprochen. Weshalb hatten sich die Jerninghams getrennt? Wer trug die Schuld davon? Hatte der unwiderstehliche Jerningham endlich auch seinen Mann gefunden? Oder hatte er seine eilten Streiche gespielt und hatte sich das kleine Weib das Herz genommen, dazwischen zu fahren? Es ist hier zu bemerken, daß Mrs. Jerningham zu den schlauesten Frauen gehörte, aber die echten Clublungerer würden Juno selbst ein kleines Weib nennen.