Angel - Forgotten Love - Sophie-Victoria Oettl - E-Book

Angel - Forgotten Love E-Book

Sophie-Victoria Oettl

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Beschreibung

Was wenn du vergisst, wer du bist, weil du vergisst, für wen du lebst? Wie weit würdest du gehen, für die Sache, die du am meisten liebst? Nachdem Jonah und Isabella das Amulett zerstört haben, ist nichts mehr so, wie es war. In ihren eigenen Welten wachen sie ohne Erinnerungen an den Anderen auf. Als die Beiden sich in ihren Träumen wieder begegnen, merken sie, dass sie zurück in ihre Welt kommen müssen. Doch die Entscheidung fällt zunehmend schwerer. Für welche Welt sollte man sich entscheiden? Für die, in der die Liebe ist oder für die, in der die verstorbenen Familienmitglieder bleiben.

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Sophie-Victoria Oettl ist am 02.06.2004 geboren und geht auf ein Mädchengymnasium. Sie lebt mit ihren Eltern am Rande von München. Wenn sie nicht gerade schreibt oder liest, geht sie gerne tauchen, backt oder trifft sich mit Freunden. Die Angel-Trilogie hat sie mit 13 Jahren angefangen zu schreiben.

Angel – Forbidden Love ist ihr erster Roman.

Für die, die sich gegen alles und jeden stellen, um für das zu kämpfen, was ihnen wichtig ist. Jeder kann alles schaffen

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Jonah

Isabella

Isabella

Jonah

Isabella

Jonah

Isabella

Epilog

Prolog

Er sieht das Mädchen jeden Tag in seinen Träumen. In jeder Sekunde, die er wach ist, ihre blauen Augen vor sich.

Diese verdammten Augen.

Sie ziehen ihn jedes Mal in einen Bann, von dem er nicht loskommt. Ihr Lächeln, lässt Sonnen aufgehen. Sie gibt ihm das Licht, was er in seiner Dunkelheit braucht.

Jedes Mal, wenn er sie sieht, versucht er, nach ihrer Hand zu greifen, doch sie verschwindet.

Jedes gottverdammte Mal.

Er wünscht sich, sie würde seinen Namen sagen. Er stellt sich vor, wie er über ihre Lippen kommt. Wie er aus ihrem Mund klingt.

Diese perfekt geformten Lippen.

»Wie sie wohl schmecken?«, fragt er sich immer, wenn er an sie denkt. Wäre sie real, würde sie sich dann dasselbe über ihn fragen. Würde sie sich genauso viele Gedanken über ihn machen?

Obwohl sie nur eine Traum-Gestalt war, stellte er sich vor, vor ihr auf die Knie zu gehen. Sie anzuflehen, seine Frau zu werden.

Jeden einzelnen Tag mit ihm zu verbringen.

Er kann sich vorstellen, mit ihr zusammen zu Leben. Er kann sich vorstellen, dass sie die Mutter seiner Kinder wird. Er kann sich vorstellen, jede Sekunde, bis zu seinem Tod, mit ihr zusammen zu sein, dabei kennt er ihren Namen nicht mal.

»Schon komisch«, denkt er sich »Wieso kennt er den Namen der Person nicht, die in seinen Gedanken entstanden ist?«

Wieso gehen ihm ständig diese Fragen durch den Kopf? Wieso weiß er, dass ihre Lippen nach Pfirsich schmecken und samtig weich sind. Wieso weiß er, dass sie es liebt, in seinen T-Shirts in seinem Bett zu schlafen, oder, dass sie immer versucht, ihn herauszufordern. Wenn er es nicht besser weiß, würde er sagen, dass er sie liebt. Dass er mit ihr zusammen ist.

Das war vollkommen unmöglich!

Wieso denkt er darüber nach, ob er eine Person, die in seinem Kopf entstanden ist, liebt? Weil er es tut. Er liebt sie. Sie stammt aus einem früheren Leben, glaubt er. Sie liebt ihn und er liebt sie. Aber es scheint ihm, als hat er diese Liebe vergessen.

Isabella

Sauerstoff strömte durch meine Lunge, als ich nach Luft schnappte. Panisch schaute ich im Raum hin und her. Neben mir am Bett, standen Monitore und Geräte die meinen Puls maßen und mir Sauerstoff zufügten.

Wo zum Teufel war ich?

»Is!«, rief eine Männer Stimme erleichtert und mein Kopf schnellte zur Tür. Ein Junge in meinem Alter kam rein. Er hatte dunkelblonde Haare, strahlend blaue Augen, trug einen Hoodie und eine Jogginghose. Langsam kam er auf mich zu und ich rückte instinktiv ein Stück weg. »Hey, ich bin es doch nur.«

»Du bist nur wer?«, fragte ich verwirrt und er sah mich perplex an.

»Daniel«, antwortete er, bevor er langsam weitersprach: »Dein Zwillingsbruder? Die Person, die dir das Leben gerettet hat?«

Ich hatte einen Zwillingsbruder?

»Is, hör auf damit! Das ist nicht witzig«, warnte er.

»Wer ist diese Is, von der du sprichst?«, fragte ich verwirrt.

»Das bist du«, behauptete er frustriert. »Isabella Marten. Tochter von Emily und Benjamin Marten. 18 Jahre alt. Spielst Football auf der Position des Wide-Receivers. Bezeichnest Starbucks als dein zweites Zuhause. Du erinnerst dich wirklich nicht?«

Langsam schüttelte ich den Kopf. Wieso konnte ich mich an die ganzen Sachen nicht mehr erinnern? Dieser Daniel drückte einen Knopf an meinem Bett und sofort erschien eine Krankenschwester. »Können sie bitte einen Arzt holen?«, fragte er besorgt. Sie nickte, verschwand und kam zwei Minuten später mit einem Arzt zurück.

»Ah, wie schön, dass Sie mittlerweile aufgewacht sind, Ms. Marten. Ich bin Dr. White, ihr behandelnder Arzt«, begrüßte er mich.

»Wieso kann sie sich an nichts mehr erinnern?!«, platzte es aus Daniel heraus. Dr. White sah zuerst mich und dann Daniel verwirrt an.

»An was kann sie sich nicht mehr erinnern?«, fragte er vorsichtig.

»An alles. Sie weiß nicht mal mehr ihren eigenen Namen«, gestand Daniel kleinlaut und beide seufzten.

»Dann sollten wir ein CT machen«, behauptete er grüblerisch und half mir beim Aufstehen. Ich schwankte und mein Kopf pochte grauenhaft.

»Kann mir dann jemand, nach diesem CT, sagen, was passiert ist?«, fragte ich erschöpft und ließ mich in den Rollstuhl gleiten, den man mir anbot.

»Es war unser 18-ter Geburtstag vor zwei Tagen«, begann Daniel leise: »Max, einer unserer besten Freunde hat angeboten, bei ihm Zuhause zu feiern, da er sturmfrei hatte. Also sind wir zu ihm gegangen. Es gab eine Menge Alkohol und vielleicht ist unter den Gästen die ein oder andere Droge geflossen. Irgendwann sind jedenfalls die Cops aufgetaucht und meinten, dass wir die Wahl hätten, alleine nach Hause zu gehen oder sie würden uns fahren. Wir haben uns für das Laufen entschieden. Ich konnte nicht mehr geradeaus gehen und bin bei Rot über die Ampel gelaufen. Ein Auto kam, du hast mich weggestoßen und wurdest angefahren. Ich habe sofort den Notarzt gerufen und seitdem bist du hier im Krankenhaus.«

Wir betraten einen Raum, in dem eine riesige Röhre stand. Alles war weiß und steril abgedeckt.

»Und wie funktioniert das jetzt?«, fragte ich mit mulmigem Gefühl.

»Du legst dich auf diese Schiene und wirst mit dem Kopf reingeschoben. Es dauert nicht lange«, erklärte Dr. White und zeigte auf eine kleine Tür neben mir. »Wir werden dort drinnen sein.«

Ich nickte und legte mich auf dieses tischartige Teil. Eine Krankenschwester kam zu mir und verabreichte mir eine komische Substanz, bei der mir augenblicklich warm wurde und kurze Zeit später war das Gefühl schon wieder weg.

»Bereit?«, hörte ich die rauchige Stimme von Dr. White und seufzend nickte ich.

Das CT ging schneller vorbei, als ich gedacht habe. Doch nachdem ich in die besorgten Gesichter von Dr. White und meinem vermeintlichen Bruder sah, wusste ich, dass es mit den Tests noch lange nicht vorbei sein würde.

»Was als Nächstes?«, stöhnte ich frustriert. Meine Erinnerung begrenzte sich auf die letzte viertel Stunde.

»Ich würde gerne ein MRT machen. Im Grunde dasselbe Prozedere, alle nur es etwas länger und ist ein wenig lauter«, erklärte Dr. White mir und ich schluckte. Wieso wusste ich, dass ich solche Untersuchungen schon vor meinem Gedächtnisverlust gehasst habe?

»Isabella! Daniel!«, rief jemand, als wir zurück auf den langen Flur traten. Eine hochgewachsene Frau mit dunkelblonden Haaren kam auf uns zu gerannt. In ihrem Blick erkannte ich Erleichterung und Besorgnis erkennen, als sie mich an sich drückte. Sie war sowieso größer als ich und trug dazu auch hohe Absätze, weshalb es mir unangenehm war, als mein Gesicht an ihre großen Brüste gepresst wurde. »Ich hatte solche Angst um dich, mein Schatz!«, nuschelte sie, während mein Haaransatz von ihren Küssen übersäht wurde.

»Freut mich auch dich zu sehen«, meinte ich zögernd mit Blick zu Daniel, der beide Daumen nach oben zeigte und nickte.

»Was ist los?«, fragte sie besorgt, nachdem ich losgelassen wurde und von oben bis unten gemustert wurde.

»Wir wollten gerade ein MRT machen. Ihr Zustand macht mir doch etwas Sorgen«, erklärte Dr. White emotionslos und ging auf eine Tür zu, neben der ein Schild hing.

MRT.

Er öffnete diese und bat uns herein. Wieder standen wir vor einer Röhre. Dieses Mal war sie größer und ich schluckte.

»Leg dich drauf und setz die Kopfhörer auf. Der Scan dauert circa eine halbe Stunde«, wies mich Dr. White an. Ohne Widerspruch legte ich mich hin, Dr. White, mein Bruder und meine angebliche Mutter gingen wieder in ein Zimmer nebenan.

Erschöpft schloss ich die Augen, als die Musik aus den Kopfhörern drang. Ich war noch keine Stunde wach und hatte schon das Gefühl, seit Jahren kein Auge zugetan zu haben.

Was ist mit mir passiert?

Irgendwann nahm ich die Musik nur noch im Hintergrund war.

Schwerelosigkeit überkam mich. Ich spürte keine Liege mehr unter mir und aus dem Nichts kam ein rauchartiger Nebel, der mich komplett einhüllte. Ein scharfer Schmerz fuhr durch meinen Rücken. Zwei Knochen traten aus meiner Wirbelsäule. Sie wurden immer größer und bogen sich immer stärker. Aus den Knochen brach ein federartiges Material, dass sich um diese schlang, und immer dichter wurde. Ich streckte meine Hand nach ihnen aus und strich vorsichtig darüber. Sie bewegten sich und ich musste lachen.

Es kitzelte leicht.

Sie waren weicher wie Seide und schimmerten wie Perlen in einem Rosagold Ton. Vorsichtig zog meine Hand wieder zurück. Eine schimmernde, staubartige Schicht bedeckte meine Handinnenfläche. Grübelnd rieb ich Daumen und Zeigefinger aneinander. Es fühlte sich an wie feines Schleifpapier, glitzerte aber und brach das Licht in seine Bestandteile.

Diamantenstaub.

Woher kannte ich dieses Material?

Vor mir wurde der Nebel heller. Haselnussbraune Augen waren das Erste, was ich darin erkannte. Sie gehörten einem Jungen. Seine Gesichtszüge waren entspannt, während ihm immer wieder einzelne Strähnen seines dunkelblonden Haares ins Gesicht fielen. Eine Hand strich sie ihm dauernd hinter zurück hinters Ohr. Da sie aber zu kurz dafür waren, rutschten sie ihm immer wieder zwischen die Augen. Amüsiert lachte er. Es klang sanft und ich musste beim Klang ebenfalls lächeln. Er schloss genüsslich seine Augen, nahm die Hand, welche ihm die ganze Zeit die Strähnen wegstrich und küsste ihre Handfläche. Sofort schaute ich auf meine.

Ich konnte seine Lippen spüren.

»In den Geschichten steht, dass Engel schön sein sollen. Aber nichts und niemand hat mich auf deine Schönheit vorbereitet!«, murmelte er. Seine Stimme fesselte mich.

Er könnte jetzt alles sagen, brüllen, flüstern, fluchen, mir wäre es egal. Dieser Klang war, genauso wie sein Lachen, wie eine Droge für mich.

Er hatte gerade zweimal irgendwas getan und ich schwärme jetzt schon?

Heilige scheiße, muss ich schnell rum zu kriegen sein!

»Tja, und niemand hat mir gesagt, dass Jungs aus Arizona so gut aussehen können, wie du«, hörte ich eine Mädchenstimme.

Sie ähnelte meiner.

Ich konnte ihr Grinsen förmlich hören und seines sehen. Er nahm die Hand des Mädchens und küsste dessen Innenfläche. Ein leichter Druck breitete sich auf meiner aus. Als ob es meine eigene Hand wäre, die er küsste.

»Ich liebe dich«, murmelte er, bevor seine Atmung gleichmäßiger wurde und er zeitgleich einschlief.

Der Junge sah dabei so unschuldig und friedlich aus. Wieso wusste ich dann, dass nicht auf ihn zutraf?

Vorsichtig streckte ich meine Hand aus, um ihm über die, leicht geröteten, Wangen zu fahren. Bevor meine Finger das Bild berühren konnten, zog sich der Nebelschleier zu und schloss sich immer weiter um meinen Körper. Diese Flügel verschwanden. Der Rauch drang in meine Lunge und raubte mir den Atem. Ich versuchte, so gut es mir gelang, mich zu wehren.

Suchte panisch einen Ausweg aus der Situation.

Doch je stärker ich mich wehrte, desto kräftiger umfasste mich dieser Schleier, und machte es mir unmöglich, mich zu bewegen.

Erschrocken fuhr ich hoch und knallte mit dem Kopf an die Röhre des MRT. Ohne zu zögern, nahm ich die Kopfhörer ab und ging auf die Tür zu, die zum Gang führte.

»Wo willst du hin?«, fragte Daniel besorgt und kam mit unserer Mutter und Dr. White aus dem Nebenzimmer auf mich zu.

»Mir wird das alles hier gerade zu viel!«, gestand ich und fuhr mir frustriert durch die Haare.

»Wie wäre es, wenn sie mit nach Hause kommt und sich etwas ausruht? Die Tests können wir wann anders weiterführen. Vielleicht kommen die Erinnerungen ja morgen wieder zurück«, stand mir Daniel bei und sah Dr. White an. Der überlegte, bevor er seufzend zustimmte.

Wir gingen wieder auf das Krankenhauszimmer, damit ich meine Sachen holen konnte. Daniel nahm sie mir aber sofort ab mit der Begründung, dass ich mich schonen sollte, und ging vor mir her, zum Empfang.

Eine Krankenschwester reichte mir einen Bogen, den mir meine Mutter abnahm und schnell ausfüllte. Wahrscheinlich war dies, besser, da ich noch nicht einmal meinen Nachnamen mehr wusste. Fünf Minuten Später reichte sie mir den Bogen zurück und meinte, ich müsse noch unterschreiben. Ich starrte den Strich an, auf den ich die Unterschrift setzten sollte. Daniel stellte sich hinter mich, griff meine Hand mit dem Stift drinnen und führte diese geschickt über das Blatt. Es sah echt schön aus. Das I hat ein paar Schnörkel und passt sich dem geschwungenem M dahinter sehr gut an. Als ich den Stift wieder weglege, bemerke ich, ein Glitzern auf meiner Hand. Ich blickte auf meine Handinnenfläche und sah, wie sich das Licht in Partikeln auf meiner Haut brach.

Das war unmöglich!

Der Diamantenstaub aus meinem Traum, war auf meiner Hand. Wie ist das möglich? Ich wischte meine Hand an meiner Jeans ab und folgte Daniel und meiner Mutter aus dem Krankenhaus raus. Sie steuerten auf einen Land Rover zu und stiegen ein. Ich setzte mich auf die Rückbank und sprach kein einziges Wort während der Fahrt. Größtenteils nur, weil ich die Anspannung wuchs, wie ich reagieren würde, wenn ich mein angebliches Zuhause sehen würde.

Jonah

»Kann ich noch ein paar Pancakes haben, Jonathan?«, hörte ich sie hinter mir fragen.

»Natürlich, Mom«, antwortete ich. Es hörte sich komisch an, als es schon wieder über meine Lippen kam.

Mom.

Wie betäubt stellte ich meine Kaffeetasse auf den Tresen, häufte drei Pancakes auf ihren Teller, übergoss sie mit Ahornsirup und reichte ihn wieder an sie zurück. Alles sah völlig normal aus. Das Haus, meine Familie, die Umgebung. Selbst ich sah normal aus.

Wieso wusste ich dann, dass irgendwas an dem Ganzen hier, nicht stimmen konnte?

Wieso wusste ich, dass meine eigene Mutter nicht hier sein sollte?

»Na, Dornröschen, wie geht es dir denn heute?«, fragte Ella und klopfte mir mit beiden Händen von hinten auf die Schultern. Es war erst das zweite Mal in dieser Woche, dass mich meine Familie außerhalb meines Bettes sah. Obwohl es auf sie wirkte, als ob ich den ganzen Tag lang schlafen würde, habe ich in Wahrheit kein einziges Auge zugetan.

Letzte Woche bin ich mit einem Filmriss in unserem Garten aufgewacht, und konnte mich an vieles nicht mehr erinnern. Zwar wusste ich, wer meine drei Geschwister, meine Mutter und meinen Vater waren, wusste, wer ich war und was meine Hobbys sind.

Doch jede einzelne Beziehung zu den Anderen waren wie ausgelöscht. Wenn ich Ella ansah, sehe ich nicht meine Zwillingsschwester, sondern nur eine Person die Morgen sterben könnte und mich würde es nicht härter treffen, als würde ich eine Todesanzeige in der Zeitung lesen.

Die letzten Tage und Nächte habe ich also damit gebracht, herauszufinden wieso ich so empfinde und mehr über mich oder meine Familie zu erfahren. Mittlerweile weiß ich, dass mein Name Jonathan Star ist, ich 19 Jahre alt bin, Ella ist, wie gesagt, meine jüngere Zwillingsschwester, ich Quarterback im Schulteam bin, Klavier spiele, zeichne und reite. Ich bin, wie jeder in dieser Familie ein Vampir. In der Schule bin ich relativ gut, beteilige mich im Unterricht aber eher selten.

Neben Ella habe ich noch zwei weitere Geschwister. Sebastian ist vier Jahre älter als ich und Nora ist neun. Meine Eltern heißen Julia und Erik, sind beide 45 Jahre alt und sehr fürsorglich. Sie kam mindestes sechs Mal am Tag zu mir ins Zimmer, um Essen vorbei zu bringen, sich zu erkundigen wie es mir geht und meine Fragen zu beantworten, ohne Misstrauen zu hegen. Sie war auch diejenige, die Erik gebeten hat, mir die alten Bücher über unseren Stammbaum und den Vampiren zu geben.

»Ich bin in meinem Zimmer«, murmelte ich und ging an Ella vorbei, Richtung Treppe.

»Jonathan, wir müssten etwas mit dir besprechen«, sagte mein Dad entschieden und kam vom Wohnzimmer zu den anderen in die Küche. Ich drehte mich kurz zu ihnen um, zuckte mit den Schultern und meinte: »Vielleicht später.«

Danach drehte ich mich wieder um, gab meiner kleinen Schwester ein High-Five, als sie auf mich zu kam und verschwand wieder in meinem Zimmer. Seufzend drehte ich den Schlüssel im Schloss meiner Tür um und ging zu meinem Ankleidezimmer. Mein Blick schweifte über die Regale.

Wo war er nur?

Frustriert fuhr ich mir durch die ungewaschenen Haare, ging wieder zurück zu meinem Schreibtisch und schlug das ledrige Buch auf der Seite auf, die ich mir markiert hatte.

Geheimgänge.

Mit dem Thema habe ich mich eine Zeit lang beschäftigt. Ich wusste, dass es eine geheime Bibliothek gibt und auch noch ein paar andere Geheimgänge. Aber soweit ich mich erinnerte, wusste ich früher nichts von Geheimgängen, die von meinem Zimmer aus wegführen. Meistens sind es Bücherregale, welche als Türen dienen, da man durch die Bücher manche Hacken zum Verschließen meistens nicht sehen konnte. Zudem hieß es, dass jeder Raum mit einem Geheimgang ausgestattet sei. In meinem eigentlichen Zimmer kann keiner sein, da jede Wand an ein anderes Zimmer grenzte. Mein Bad grenzte an das Ankleidezimmer und der Hauswand, also blieb nur noch ein Zimmer übrig.

Ich schlug das Buch wieder zu und ging zurück in das Ankleidezimmer.

Irgendwo musste doch ein Eingang sein.

Meine Hände glitten durch jedes einzelne Regalfach, drückten gegen jede Rückwand, suchten jede Ecke ab. Ich brauchte einen Ort, den meine Familie nicht findet und ich, ohne, dass sie etwas davon mitbekommen, zum recherchieren nutzen kann. Ich brauchte einen Ort, an dem ich meine Notizen offen liegen lassen konnte, ohne, dass jemand sie findet und liest.

Wütend trat ich gegen den Spiegel, der an der Wand vor mir hing, welcher vor meinen Füßen in tausende Teile zerbrach. Seufzend ging ich zurück in mein Zimmer, holte den Mülleimer neben meinem Schreibtisch, der mittlerweile voll mit zerknüllten Notizen war, und kniete mich vor die Scherben.

Vorsichtig hob ich die Größte vom Boden auf und betrachtete einen Moment lang mein Spiegelbild.

Je länger ich in die Scherbe hineinsah, desto mehr veränderte sich das Bild darin. Hinter dem widergespiegelten mir, sah ich jetzt ein Mädchen. Ihre Haare waren blond und fielen ihr in Wellen über die Schultern. Sie lächelte, was mich und mein Spiegelbild ebenfalls zum Lächeln brachte. Langsam strich ich mit dem Daumen über die Scherbe und das Bild verblasste augenblicklich. Räuspernd löste mich aus dieser Hypnose.

Was zum Teufel war das?

Egal, was es war, ich konnte und wollte die Scherben nicht wegschmeißen. Stattdessen schob ich den Mülleimer von mir weg, zog eines meiner T-Shirts aus dem Regal neben mir und legte die Scherben darauf. Als ich alle Spiegelscherben vom Boden auf das Shirt gelegt hatte, sah ich, dass an der Stelle, wo der Spiegel war, keine Fußleiste mehr ist, sondern eine Art Hohlraum.

Vorsichtig ließ ich meine Hand hineingleiten und bewegte sie von rechts nach links. Dort war ein Hacken, den ich geschickt umklappte. Danach zog ich meine Hand wieder heraus, umfasste die Seitenwand meines Kleiderschrankes und versuchte ihn zu bewegen.

Ohne viel Kraft aufzuwenden, glitt er die Wand entlang. Ich stand auf, um die freigelegte Wand zu betrachten.

Wenn dort eine wäre.

Vor mir erstreckte sich eine lange Wendeltreppe in die Tiefe.

Bingo.

Ich ging wieder in mein Zimmer, nahm das Handy vom Bett und startete die Taschenlampen-App. Ich war mir nicht sicher, was mich dort erwarten würde.

In den Büchern stand nur, dass es unter diesem Haus einen Raum der Dämonen geben sollte. Dieser wurde vor Jahrhunderten erschaffen, um mit den größeren Dämonen Kontakt aufzunehmen und neue Befehle von ihnen zu erhalten. Ich atmete tief durch, bevor mein Fuß auf die erste Metallstufe trat.

Los geht’s in die Unterwelt und zu meinen Verwandten.

Isabella

Das Haus, vor dem wir parkten lag nahe am Strand. Es war etwas kleiner als die Häuser nebenan, passte aber perfekt in die Gegend rein. Daniel öffnete mir die Autotür und ich schenkte ihm ein kurzes Lächeln. Er ist wirklich nett. Ob wir irgendwann auch mal streiten? Unsere Mom ging voraus und schloss die Haustür auf. Als wir eintraten, nahm ich den Geruch von Limetten war.

»Wir sind wieder da«, rief Daniel und sofort kam ein Mann auf uns zu. Er war ca. 1,92 Meter groß, hatte dunkelblonde Haare, in denen man vereinzelt graue Strähnen erkennen konnte und stahlgraue Augen.

»Gott sei Dank, geht es dir gut«, meinte er und drückte mich so fest an sich, dass ich sein Eau de Cologne schon fast schmecken konnte. »Wie habt ihr sie so schnell aus dem Krankenhaus bekommen?«, fragte er, nun an Daniel und meine Mom gewandt.

»Dr. White«, sagte Daniel nur und der Mann ließ mich endlich los, um mich zu mustern.

»Geht es dir auch wirklich gut?«, fragte er besorgt und ich nickte.

»Ja, Dad, mir geht es gut«, versicherte ich ihm langsam und sah dabei aber zu Daniel, der nickte. Also war das wirklich mein Vater. »Ich bin aber ziemlich erschöpft. Darf ich bitte in mein Zimmer gehen, um mich etwas auszuruhen?«.

»Natürlich, Bella«, meinte er, drehte sich zu meiner Mutter und ging mit ihr in ein anderes Zimmer. Daniel und ich blieben im Eingangsbereich stehen und ich sah mich um.

Der Raum war schlicht gestaltet. Links, neben der Tür, waren Haken, für Jacken angebracht und rechts gab es ein Regal, indem sich Schuhe in verschiedenen Fächern befanden. Danach kamen an den gegenüberliegenden Wänden zwei Durchgänge und am Ende des Ganges, führte eine Treppe hoch.

»Soll ich dir zeigen, wo dein Zimmer ist?«, fragte Daniel räuspernd und ich nickte, dankbar, dass ich nicht die Frage nicht stellen musste. Er ging vor mir die Treppe, am Ende des Einganges hoch und blieb an der Tür rechts stehen. Ich blickte mich in dem Flur um. In dem langen Gang, gab es nur zwei Türen. Eine links und eine rechts. Daniel schob die rechte Tür ein Stück auf und ließ mich zuerst eintreten. Eine Wolke von Rosenduft empfing mich, als ich in das Zimmer ging. Das ganze Zimmer war relativ ordentlich und schlicht gestaltet. Die Wände waren in Weiß und Hellgrau gestrichen. Auf der linken Seite war ein großes Himmelbett mit Kissen in Nebel-Tönen. Gegenüber vom Bett war ein riesiges Fenster, vor dem ein großer Schreibtisch stand, rechts und links davon thronten zwei massive weiße Bücherregale. Der eine war voll mit Aktenordnern, der andere überfüllt mit Büchern. Auf der rechten Hälfte des Zimmers gab es ebenfalls ein großes Fenster.

Davor stand ein L-förmiges Sofa. Auf der gegenüberliegenden Wand, war ein riesiger Flachbildfernseher befestigt. An der rechten Wand gab es zwei Türen. Ich ging auf sie zu und öffnete beide gleichzeitig.

Die eine führte in ein großes Badezimmer, mit Dusche, Badewanne Toilette und einer großen Waschbeckenfront. Die andere führte in einen begehbaren Kleiderschrank. Ich ging rein und schaute mir die Sachen genauer an. Vielleicht konnte ich so erahnen, was für eine Art Mensch ich war. Anscheinend war Ordnung ein großer Teil meines Lebens. Alles war sauber und einheitlich gestapelt oder auf Bügeln aufgehangen. Die Meisten meiner Sachen waren weiß oder in Pastelltönen. Ab und zu sah ich eine dunkelblaue oder schwarze Jeans.

»Soll ich dich einen Moment alleine lassen?«, fragte Daniel hinter mir zögerlich und ich nickte langsam. »Wenn du etwas braucht, mein Zimmer ist direkt gegenüber, okay?«. Wieder nickte ich und wartete bis er die Zimmertür hinter sich schloss, damit ich allein war.

Seufzend ließ ich mich auf das Sofa fallen. Das darf doch alles nicht wahr sein. Energisch stand ich auf und lief ins Badezimmer.

Zitternd stützte ich mich am Waschbecken ab und sah zum ersten Mal heute, mich. Würde ich nicht so fertig aussehen, wäre ich echt hübsch. Meine Haare, die mich an Karamell erinnerten, fielen in Wellen über meine Schultern, bis sie fast meinen Bauchnabel erreichten. Meine Augen strahlten fast so blau, wie das Meer. Ich war schlank. Aber an meinen Oberarmen konnte man sehen, dass ich regelmäßig trainierte. Doch dann blieb mir die Luft weg.

Auf meinem Unterarm war ein riesiges Tattoo zu sehen. Es war schwarz-weiß und passte irgendwie überhaupt nicht zu der Person, die ich bis jetzt vermutet habe, welche ich bin.

Eine Skyline und ein Helikopter, der darüber flog, waren das erste, was ich in dem Tattoo sah. Erst als ich länger hinsah, erkannte ich noch eine kleine Taube, die über dem Helikopter flog.

Wieso habe ich mir ein Tattoo stechen lassen?

Ich ging wieder zurück in mein Zimmer, holte einen Block und einen Stift aus meinem Schreibtisch und setzte mich wieder auf die Couch. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich auf das leere Blatt, bevor ich endlich die Kappe vom Stift nahm und alles aufschrieb, was mir gerade im Kopf herumspukte:

Warum habe ich mein Gedächtnis verloren?

Was für eine Person war ich davor?

Was war das für ein Unfall?

Wie heißen meine Freunde und meine Eltern?

Kannte ich die Person aus diesem „Traum“?

Wieso hatte ich danach denselben Diamantenstaub, wie im Traum auf meiner Hand?

Ich legte den Block auf den Couchtisch, stand auf, öffnete meine Zimmertür und klopfte an die meines Bruders. Daniel öffnete diese innerhalb von Sekunden.

»Kann ich dir ein paar Fragen stellen?«, fragte ich leise. Er nickte, schloss seine Tür hinter sich und folgte mir zurück in mein Zimmer. Wir setzten uns gemeinsam auf die Couch und ich nahm den Block vom Tisch.

»Also, was willst du wissen, Is?«, brach Daniel das Schweigen.

»Fangen wir mal bei mir an. Wie ist mein voller Name? Was sind meine Hobbys? Was mag oder hasse ich?«.

Daniel seufzte erleichtert, bevor er anfing zu erzählen: »Dein Name ist Isabella Marten. Die Meisten nennen dich einfach nur Is, außer unser Dad, der nennt dich Bella. Wir sind Zwillinge, wobei du die Ältere bist. Wir haben am 08. April Geburtstag und sind jetzt 18. Geboren sind wir in New York City, aufgewachsen aber hier in Santa Monica. Du liebst es, zu joggen. Verbringst jeden Samstag damit, mit einem Bus nach Los Angeles am Morgen zu fahren, dort eine gute Stunde zu laufen, dir dann einen Kaffee bei Starbucks zu holen und wieder zurück zu joggen. Deine Lieblingsfarben sind weiß und Pastelltöne. Du liebst mexikanisches Essen und verbringst deine Zeit meistens mit lesen oder schreiben.«

Daniel stand auf, ging zu meinem Bett rüber und öffnete mein Nachtkasten. »Und du hast immer Wasserflaschen in deinem versteckten Minikühlschrank am Bett. Weil du öfters in der Nacht aufwachst, Durst hast, aber zu faul bist aufzustehen und dir was zu holen«, ergänzte er und kam mit zwei Wasserflaschen zurück.

»Wie heißen unsere Eltern?«, fragte ich weiter.

»Benjamin und Emily.«

»Was ist ihr Job?«.

»Dad ist Architekt und Mom arbeitet als Grafikdesignerin.«

»Was war das für ein Unfall? Du hast es im Krankenhaus mal kurz erwähnt. Kannst du es genauer erklären?«

Die Frage schien ihm nicht so locker zu fallen, wie die Anderen. Er öffnete zuerst eine der Wasserflaschen, nahm einen großen Schluck, bevor er anfing zu erzählen:

»Es war unser Geburtstag. Wir sind am Abend zu einem Freund von uns gegangen. Seine Eltern waren an dem Wochenende nicht da und er hat uns angeboten, bei ihm zu feiern. Wir waren alle in Feierlaune, weshalb schnell Alkohol in größeren Mengen geflossen ist. Irgendwann sind hast du gesagt, dass du gerne wieder nach Hause willst, um in dein Bett zu gehen und den Rausch auszuschlafen. Die Cops sind aufgetaucht und haben die Party aufgelöst. Wir sind schnell von unserer eigenen Party gegangen, bevor diese unsere Fahne bemerkt haben und uns nach Hause gefahren hätten. Wir hatten beide ordentlich was intus, konnten nicht mal mehr gescheit gerade aus gehen. Jedenfalls mussten wir die Straße überqueren und ich habe nicht drauf geachtet, dass die Ampel rot war. Ein Auto kam angefahren, du hast mich weggestoßen und bist selber vorm Auto gelandet«. Beim letzten Wort brach seine Stimme und ich nahm ihn in die Arme. Er schluchzte laut und ich strich ihm aufmunternd über den Rücken.

»Es war nicht deine Schuld«, meinte ich und er löste sich von mir.

»Doch, war es. Ich… Ich hätte auf die Ampel achten oder nicht so viel trinken sollen.«, widersprach Daniel mir.

»Kannst du was für dich behalten?«, fragte ich schließlich, um ihn abzulenken.

»Natürlich.«

»Im MRT hatte ich auf einmal das Gefühl zu schweben. Eine Art Nebel umhüllte mich und mir wuchsen Engelsflügel. Als ich darüberstrich, war meine ganze Hand voll mit Diamantenstaub«, fing ich an, wurde aber von Daniel unterbrochen.

»Wieso erzählst du mir das?«, fragte er.

»Weil, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, Diamantenstaub auf meiner Hand hatte«, erklärte ich ihm und sah in seinem Gesicht, dass er etwas verschwieg. »Was verschweigst du mir Daniel?«, fragte ich neugierig. Daniel stand auf, schloss die Tür ab und machte die Rollos der Fenster zu, bevor er zu mir kam und sich das T-Shirt über den Kopf zog.

»Bitte flipp nicht aus. Aber sahen diese Flügel zufällig so aus?«, sagte er leise und atmete tief ein.

Sein ganzer Körper fing an zu leuchten und zwei Knochen wuchsen wie bei mir aus dem Rücken, die sich nach und nach in prachtvolle Flügel verwandelten. Er öffnete seine Augen, die auf einmal die Farbe von purem Gold hatten.

Was zum Teufel!?

Mein Bruder ging zum Regal mit den Ordnern, nahm einen heraus und kam zurück zu mir. Vor meinen Augen schlug er ihn auf und zog ein Reagenzglas heraus. Wieso habe ich einen Ordner mir Reagenzgläsern. Daniel fuhr sich über die die Flügel und ließ den Diamantenstaub hineinfallen. Danach schnippte er einmal mit den Fingern und ein Korken verschloss das Glas. Er schob es zurück in die Halterung im Ordner, bevor er wieder einatmete und innerhalb von wenigen Sekunden wieder vollkommen menschlich vor mir stand.

Perplex sah ich ihn an.

»Wir sind Engel, Is. Bevor du fragst, nur du, Mom und ich. Dad weiß aber die Menschen wissen nichts von unserer Existenz. Wir können zaubern, aber nur nach bestimmten Regeln und es strengt an, weshalb wir es nicht sehr oft machen«, beantwortete er meine nichtgestellten Fragen. »Soll ich dich wieder alleine lassen, damit du das alles verdauen kannst?«, fragte Daniel vorsichtig, während er sich sein T-Shirt wieder anzog.

Er sah nicht schlecht aus.

Ein deutlich definiertes Sixpack war zu sehen. Ich nickte. Er wollte wieder aus der Tür gehen, doch ich rief noch einmal seinen Namen.

»Habe ich einen Freund?«, fragte ich und er seufzte.

»Du hattest mal einen, der dich tief verletzt hat, weshalb du den Männern abgeschworen hast«, antwortete er, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel.

Jonah

Meine Schritte hallten laut auf den Stufen der Treppe wider. Ich ging sie jetzt schon fast eine viertel Stunde hinunter und sah den Boden immer noch nicht. Wieso leben wir in einem Haus, das eine ewig lange Treppe hat, die wir nicht benutzten?

Durch meine Mom wusste ich, dass dieses Grundstück schon seit Jahrhunderten in Familienbesitz war. Es war eines der ersten Gebäude, die hier gebaut wurde. Allerdings sind wir erst vor ca. 12 Jahren hier eingezogen, da Dad es an Freunde vermietet hat.

Vielleicht war die Treppe schon davor da?

Ich ließ einen Schrei los, als die Stufe unter mir, auf einmal wegbrach. Reflexartig griff ich nach dem Geländer neben wir, was sich aber auch langsam weg bog. Ich ließ es los und nahm die übernächste Stufe nach unten.

Was zum Teufel tue ich hier nur?

Nach Weitern zwanzig Minuten und fünf gebrochenen Stufen, erreichte ich endlich das Ende dieser Treppe. Mittlerweile war ich mir sicher, dass dieser Weh in die Tiefe hier, schon viel früher hier war, als das Haus. Die Wände waren mit einer Lehmschicht verkleidet. Das Einzige, was sich hier befand, war ein Stück Holz, was an der Wand mit Lederriemen befestigt war. Es zerfiel sofort, als meine Hand es berührte und legte einen Gang frei.

»So fangen die meisten Horrorfilme an«, murmelte ich und trat in den Gang. Er war ebenfalls mit Lehm ausgekleidet und wurde mit jedem Schritt, den ich tat, schmaler. Er endete in einem weiteren kleinen Raum. Dieses Mal waren es keine lehmbeschichteten Wände, sondern feste Mauern. An einer Wand, wieder eine Tür aus massiver Bronze. Statt, wie erwartet, in einen neuen Gang zu führen, ging sie direkt in einen neuen Raum. Er hatte ebenfalls feste Mauern, war aber möbliert. An den Wänden reihten sich Bücherregale, gefüllt mit Büchern und Ordnern. In der Mitte des Raumes stand ein Flügel in Schwarz.

Kerzen brachten Licht in den Raum. Stimmen hallten durch den Raum und ich presste mich an die Wand hinter einem der Regale.

»Wir geht es dir, Bash?«, fragte eine weibliche Stimme.

»Besser, nachdem ich euch sehe«, hörte ich die Stimme meines Bruders Sebastian.

Was zum Teufel macht er hier!?

»Wie geht es deiner Familie?«, fragte die Stimme wieder.

»Soweit ganz gut. Allerdings benimmt sich mein Bruder Jonathan sehr komisch. Er meinte, dass nichts sei und er nur einen Filmriss hätte, nachdem er zu viel getrunken hatte. Doch…«. Sebastian machte eine Pause.

»Doch was?«, hakte eine andere Stimme nach.

»Er will auf einmal alles über unsere Familiengeschichte und die Vampire wissen. Er ist regelrecht besessen davon. Sperrt sich in seinem Zimmer ein und kommt fast nie raus«, führte Sebastian fort.

»Vielleicht sucht er ein Schlupfloch!«, lachte die weibliche Stimme. »Ganz egal was er ist, macht oder tut. Er kann zu einem Dorn in unseren Augen werden und dir den Thron abnehmen«, fügte die weibliche Stimme hinzu.

»Wenn es an der Zeit ist, werde ich mich um meinen kleinen Bruder schon kümmern«, versicherte Sebastian ihnen und ich hörte Schritte, die in meine Richtung kamen. Instinktiv presste ich mich noch stärker an die Wand. Sebastian ging, ohne mich zu bemerken, auf die Tür zu und aus dem Zimmer.

»Wieso willst ausgerechnet du, mein lieber Sebastian, den Kontinentalthron haben? Wenn ich das fragen darf«, sagte die männliche Stimme misstrauisch.

»Die Hochzeit, die Erik so sehr versucht, zu arrangieren zwischen Jonathan und Chelsea, wäre zu mächtig. Die Kinder, die aus dieser Ehe hinausgehen würden, könnten uns gefährlich werden. Sebastian habe ich an der kurzen Leine. Er lechzt buchstäblich nach meiner Beachtung«, erklärte die weibliche Stimme.

»Wäre so eine mächtige Verbindung nicht genau das, was wir brauchen? Der Himmel wird von Tag zu Tag immer stärker«, fragte die andere Stimme wieder.

»Natürlich brauchen wir starke Verbindungen. Solange sie nicht stärker sind als wir, Samael«, gab die Frau zurück. »Was bedrückt dich?«.

»Irgendwas stimmt momentan überhaupt nicht. Merkst du das denn nicht?«, murmelte er.

»Was meinst du damit?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht, Lilith«, antwortete Samael und ging.

Erst als ich sicher war, dass beide weg waren und ich mich bewegen konnte, ohne entdeckt zu werden, ging ich zurück zur Tür. Den ganzen Weg zurück zu meinem Zimmer, spuckten mir ihre Worte im Kopf herum.

Wer war diese Chelsea, die ich angeblich heiraten sollte?

Wer waren diese Lilith und dieser Samael?

Was wird Sebastian tun, wenn die Zeit gekommen ist?

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen, als ich endlich in meinem Zimmer ankam. Es war mittlerweile nach 23 Uhr. Ich stöhnte, als es an der Tür klopfte, stand auf und machte auf. Es war niemand draußen, dafür stand ein Tablett mit Essen auf dem Boden. Ich hob es auf, schloss meine Tür wieder hinter mir ab und ging zu meinem Bett. Eine kleine Karte lag neben dem Besteck. Ich nahm sie und las:

Du solltest mehr essen und vor allem schlafen.

Du siehst sehr müde aus.

Hoffe es schmeckt dir.

In Liebe, Mom

Genüsslich aß ich schweigend die Pasta mit der frisch zubereiteten Basilikumsoße. Meine Mutter hatte irgendwie eine Art Superkraft. Sie spürte, wann ich Hunger hatte und auf was, bevor ich es selber wusste, und bereitete mir dann genau das zu. Obwohl es normalerweise was anderes gab, machte sie mir immer extra was. Als ich aufgegessen hatte, legte ich das Tablett neben mein Bett, kroch unter die Decke und schloss die Augen. Ich muss echt versuchen, etwas zu schlafen. Aber die Ereignisse der letzten Tage machen es mir schwer, das Denken auszuschalten. Dieser Samael hatte recht.

Irgendwas stimmt hier momentan überhaupt nicht. Und ich werde herausfinden, was es ist.

Jonah

Stille umhüllte mich, als ich im warmen Wasser untertauchte. Diese Ruhe tat nach der nervenaufreibenden Zeit unglaublich gut. Als kleiner Junge habe ich immer versucht, Rekorde im Luftanhalten aufzustellen. Meine Bestzeit war zwei Minuten, doch die toppte ich mittlerweile unbewusst. Nach drei Minuten tauchte ich seelenruhig wieder auf und ließ die Augen noch einen Moment geschlossen.

Als ich sie wieder öffnete, klebten immer noch Wassertropfen an meinen Wimpern, welche ich mit einer schnellen Handbewegung wegwischte. Hier am See waren nicht viele Menschen und ich hörte ihre Stimmen nur leise. Doch das Mädchen in der Mitte des Wassers zog mich in ihren Bann.

Ich war fast 20 Meter von ihr entfernt, konnte aber nicht wegschauen. Von der Entfernung aus, sah sie nicht viel älter oder jünger aus als ich. Ihre Haare waren durch das Wasser braun. Vermutlich hatte sie normalerweise einen mittleren Blond-Ton. Doch das dunkle, ließ ihre blauen Augen nur noch kräftiger scheinen. Sie schaute ebenfalls zu mir und ich schwamm unbewusst auf sie zu. Als ich jetzt näher bei ihr war, wurden meine Vermutungen nur noch bestärkt. Sie war sogar viel schöner, als ich gedacht habe. Ihre strahlend blauen Augen fixierten mich, als ich immer näherkam. Doch bevor ich sie erreicht hatte, war sie auf einmal weg.

Fuck.

Habe ich sie mir vielleicht nur eingebildet? Plötzlich kam von hinten einen Schwall Wasser über meinen Rücken. Blitzartig drehte ich mich um und da war das Mädchen wieder.

»Wieso?«, fragte ich und sie zuckte mit den Schultern.

»Dachte es wäre lustig«, gab sie zu und ich lachte.

»Wie heißt du?«, fragte ich wieder.

»Wie heißt DU?«, entgegnete sie.

»Ich habe zuerst gefragt.«

»Und mir ist es egal, ob du zuerst gefragt hast«, gestand sie.

»Okay«, meinte ich schulterzuckend und tauchte wieder Unterwasser. Nur um hinter ihr aufzutauchen und ihr Wasser an den Rücken zu spritzen. »Dachte es wäre lustig«, erklärte ich, zuckte mit den schultern und sie lachte. Mann, dieses lachen war das schönste Geräusch, was ich je gehört habe.

»Touché«, gab sie sich geschlagen. »Isabella Marten.«

»Was?«

»Mein Name ist Isabella Marten«, erklärte sie mir und ich lächelte.

»Nett, dich kennenzulernen, Isabella. Jonathan Star, aber bitte nenn mich Jonah«, antwortete ich und sie lachte. »Darf ich dich auf eine Cola einladen?«, fragte ich hoffnungsvoll. Sie überlegte kurz, bevor sie nickend zustimmte und mit mir zum Ufer schwamm. Als sie aus dem Wasser stieg, drehte ich mich schnell von ihr weg.

Holy shit!

Wieso musste sie auch noch so einen Körper haben? Alleine vom Aussehen her ist sie eine Tausend von zehn und das ist noch tief angesetzt.

»Kommst du?«, fragte sie und ging voraus zum Kiosk. Lachend schnappte ich mir mein Handtuch und trottete ihr hinterher.

»Zwei Mal Cola und zwei Stück Apfelkuchen«, bestellte ich und zückte meinen Geldbeutel, um ihm die unverschämten 18 Dollar zu zahlen. Isabella nahm alles entgegen und ging auf eine Bank mit Tisch zu. Ich setzte mich neben sie und nahm ihr meinen Teil der Bestellung ab. »Wie alt bist du, Isabella?«, fragte ich sie und schob mir ein Stück Kuchen mit der Gabel in den Mund.

»18. Denke ich zumindest«, antwortete sie und ich lachte.

»Du denkst?«, hakte ich nach und sie nickte. »Wieso?«

»Hab mein Gedächtnis bei einem Autounfall verloren, sagt mein Bruder«, erklärte sie und schob sich auch ein Stück Kuchen in den Mund. Okay, sie war definitiv verrückt.

»Hast du sonst noch Geschwister?« Sie schüttelte den Kopf und sah mich fragend an. »Drei. Zwei Schwestern und einen Bruder«, meinte ich und sie nickte.

»Woher kommst du?«, fragte sie diese Mal.

»Phoenix, Arizona. Du?«

»Santa Monica, California«, antwortete sie.

»Was machst du dann hier?«, fragte ich verwirrt.

»Wie meinst du das, was ich hier soll?«.

»Was machst du hier in Arizona?«

»Wir sind hier gerade in Kalifornien«, widersprach sie mir und ich blickte sie verwirrt an.

Was redet sie da?

»Okay, was für ein Spiel spielst du hier?«, fragte ich und meine Verwirrung schlug langsam in Wut um.

»Was?«. Tut sie echt noch auf Unschuldslamm?

»Jetzt tu nicht so. Ich glaub dir die ganze Nummer mit dem, ich habe mein Gedächtnis verloren und wir befinden uns in Kalifornien, nicht«.

»Das ist aber die Wahrheit!«, behauptete sie und wurde nun auch lauter.

»Hör auf mit den Lügen. Wenn du mit mir nichts zu tun haben willst, ist das in Ordnung für mich. Aber dann erzähl keine Lügen!«

»Weißt du, Jonah. Bis jetzt dachte ich, dass du echt nett wärst, aber jetzt denke ich nur noch, wie ich mich mit so einem unterbelichteten Typen auch nur eine Minute reden konnte!«, meinte sie, stand auf und kippte mir ihre Cola über den Kopf. Danach stolzierte sie weg und ließ mich alleine.

»Was für eine Schlampe«, murmelte ich und fügte in Gedanken noch hinzu: »Trotzdem ist sie verdammt heiß«. Unterbewusst zog ich meine Lippe zwischen die Zähne und kaute darauf rum, während ich ihr auf den Hintern glotze, der sich provokativ beim weggehen von rechts nach links bewegte. Ich war mir sicher, dass sie das mit Absicht machte. Frustriert ließ ich den Kopf in den Nacken fallen und fühlte einen stechenden Schmerz am Hinterkopf.

»Aua!«

Meine Stimme hallte in meinem dunklen Zimmer wider. Ich war mit dem Kopf gegen die Rückseite meines Bettes geknallt. Es war nur ein Traum. Isabella, war nur ein Traum, eine Kreatur, die mein Unterbewusstsein gebildet hat. Sie war nicht real. Und obwohl unser Treffen so mies geendet hat, wünschte ich, dass sie in Wirklichkeit existieren würde.

Isabella

»Und du willst wirklich den ganzen Haufen wissen?« fragte Daniel misstrauisch.

»Sehen wir es doch ein, Daniel. Ich werde meine Erinnerungen nicht zurückbekommen«, behauptete ich. Es war mittlerweile eine Woche her, seit ich Jonah im Traum begegnet war. Wieso hat mein Hirn ihn überhaupt erschaffen. Da sehe ich einmal einen süßen Jungen in einem Traum oder einer Vision und mein Unterbewusstsein erschafft diese Person in einem Traum, damit ich sehe oder denke, dass sie ein riesiges Arschloch ist.

»Das ist aber ein großer Haufen an Informationen«, riss Daniel mich aus meinen Gedanken.

»Dieser Haufen spielt aber eine bedeutende Rolle in meinem Leben«, erwiderte ich und nahm mir das Glas Orangensaft, welches Daniel sich gerade frisch aufgefüllt hatte, und trank.

»Okay, euer Dad ist weg«, meinte Mom und kam zu uns in die Küche. Sie hat Dad dazu überredet, mal wieder mit seinen Freunden ein Männerwochenende zu machen. Also ist er vor ungefähr einer Stunde losgefahren und jetzt auf dem Weg nach Las Vegas.

»Gut. Würde jetzt einer von euch anfangen?«, fragte ich ungeduldig. Ich wollte endlich die Geschichte der Engel hören.

»Na gut«, meinte Mom, nahm sich das Glas, das Daniel neu aus dem Schrank genommen und mit Orangensaft befüllt hatte, trank und fing an:

»Der Anfang der Welt war nicht so, wie es die Kirche oder Wissenschaftler sagen. Fast alles, was die Wissenschaft uns sagt, vom Urknall über die Bildung der Lebewesen stimmt zwar, allerdings geschah das alles nur, weil Gott gesagt hat, dass es geschehen soll. Als dann die ersten Lebewesen entstanden und sich rasend schnell vermehrten, merkte er, dass er das alles niemals allein schaffen könnte und erschuf Geschöpfe nach seinem Ebenbild.«

»Die Engel«, schlussfolgerte ich und sie nickte.

»Zuerst waren sie zu acht. Gott verteilte die verschieden Aufgabengebiete auf sie und alles schien zu funktionieren. Doch irgendwann gab es zu viele Aufgaben und die acht Urengel waren überfordert. Sie flehten Gott an, ihnen Helfer zu geben und er willigte ein. Damit sie ihn nicht immer nach seiner Magie fragen musste, gab er ihnen selbst Kräfte. Die Zeit verging, doch irgendwann reichten diese Kräfte nicht mehr. Die Urengel waren nach jeder Nutzung erschöpft, also erschuf Gott die Quelle der Macht. Fast seine gesamte Macht gab er dort rein. Alles verlief in Harmonie. Die Engel begaben sich in verschiedene Gruppen, um noch effizienter das Geschehen auf der Erde kontrollieren zu können. Doch alles braucht einen Gegensatz und so kam der Teufel. Er versuchte, einige Engel auf seine Seite zu ziehen.

Aus Angst, der Teufel könnte es schaffen und die Macht, die er den Engeln gegeben hat, missbrauchen, forderte er sie von den Engeln zurück. Samael, einer der Urengel gefiel dies ganz und gar nicht. Gott war so erbost, dass er Samael am liebsten tot sehen wollen würde. Doch einige Engel standen bereits auf seiner Seite. Bevor es in einem Blutbad enden konnte, entwickelten Gottes Anhänger ein Amulett, welches als Schlüssel zur Quelle der Macht fungierte. Gott gab sie dem schönsten Engel, den er kannte und schickte sie auf die Erde, damit sie diese Kette bewahren konnte. Zum Schutz des Engels wählte er sieben weitere Engel aus, die die Hüterin des Amulettes beschützen sollten. Sogenannte Gelehrte. Schnell wurde aber klar, dass ein Krieg im Himmel unausweichlich wurde. Also entwickelten Gottes Anhänger ein Mittel, welches Engel schwächen und, wenn es nötig war, sogar töten konnte.«

»Den Blutrubin«, unterbrach Daniel unsere Mutter und sie nickte.