Angst und Sorgen die Macht nehmen - Hans Morschitzky - E-Book

Angst und Sorgen die Macht nehmen E-Book

Hans Morschitzky

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Beschreibung

Es ist ganz normal, sich Sorgen zu machen: um das Wohlergehen von Angehörigen und Freunden, die eigene Gesundheit oder die aktuelle Weltlage. Wenn Ängste und Sorgen jedoch so sehr ausufern, dass die Lebensqualität zunehmend darunter leidet und Schule, Beruf oder Sozialleben erheblich beeinträchtigt sind, spricht man von einer Generalisierten Angststörung. Der erfahrene Psychotherapeut Hans Morschitzky zeigt in diesem fundierten Ratgeber: Was sind normale Ängste und wann macht Angst krank? Woher kommt eine Generalisierte Angststörung? Was kann man tun, wenn man erkennt, dass die unrealistischen Ängste und Sorgen ein krankheitswertiges Ausmaß annehmen? In einem ausführlichen Praxisteil vermittelt der Autor ein verhaltenstherapeutisches 9-Schritte-Programm, das Betroffenen helfen kann, ihre Ängste und Sorgen besser zu bewältigen.

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Hans Morschitzky

Angst und Sorgen die Macht nehmen

Selbsthilfe bei Generalisierter Angststörung

Patmos Verlag

Inhalt

Vorwort
Teil 1 Was ist eine Generalisierte Angststörung?
Krankheitswertige Ängste und Sorgen
Zentrale Krankheitsmerkmale
Die zentralen Merkmale der Ängste und Sorgen
Was macht die Diagnosestellung in der Hausarztpraxis schwierig?
Welche Unterschiede bestehen gegenüber anderen psychischen Störungen?
Ein Blick auf die Zahlen
Teil 2 Wie entsteht eine Generalisierte Angststörung?
Das biopsychosoziale Krankheitsmodell als Erklärungsrahmen
Der Faktor der Biologie
Die Bedeutung der sozialen Umwelt
Der Aspekt des persönlichen Verhaltens
Zentrale Erklärungsmodelle als Behandlungs­grundlage
Teil 3 Ein Selbsthilfeprogramm in neun Schritten
Schritt 1: Problem- und Zielanalyse: Analysieren Sie Ihre Angststörung und klären Sie Ihre Ziele
Schritt 2: Änderung der Denkmuster: Entwickeln Sie neue Einstellungen zu gefürchteten Ereignissen, Ängsten und Sorgen
Schritt 3: Erhöhung der Unsicherheitstoleranz: Lernen Sie, mit Unsicherheit besser umzugehen
Schritt 4: Problemlösungstraining: Entwickeln Sie Lösungsstrategien für reale Probleme
Schritt 5: Angst-und-Sorgen-Konfrontation: Spielen Sie Angstsituationen gedanklich bis zum Ende durch
Schritt 6: Achtsamkeit und Akzeptanz: Gehen Sie achtsam mit Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen um
Schritt 7: Emotionsbewältigung: Erlernen Sie den richtigen Umgang mit Gefühlen
Schritt 8: Konfliktbewältigung: Klären Sie Ihre Beziehungskonflikte
Schritt 9: Verbesserung des Wohlbefindens: Nutzen Sie Entspannung, Sport und Hobbys
Schluss
Anmerkungen
Literatur
ÜBER DEN AUTOR
ÜBER DAS BUCH
IMPRESSUM
HINWEISE DES VERLAGS

Vorwort

Es ist ganz normal, Angst zu haben und sich Sorgen zu machen um das, was man liebt und was einem wichtig ist: um die Angehörigen und deren Wohlergehen, um die eigene Befindlichkeit, um die momentane und die zukünftige Lebenssituation, um die Umwelt, die Welt an sich, gerade auch angesichts des Umstands, wie es heutzutage bei uns und anderswo zugeht. Wenn die ängstliche Besorgtheit um das Wohlergehen in der Zukunft so weit ausufert, dass die Lebensqualität in der Gegenwart zunehmend darunter leidet und die schulische, berufliche, soziale und sonstige Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, spricht man von einer Generalisierten Angststörung – einer Sorgenkrankheit.

2,2 Prozent der deutschen Bevölkerung – zweimal mehr Frauen als Männer – leiden innerhalb eines Jahres unter dieser Störung, die dadurch charakterisiert ist, dass die Betroffenen ihre andauernden übermäßigen Ängste und Sorgen in Bezug auf vielfältige Aspekte des Lebens nicht unter Kontrolle bekommen. Die Störung wird deshalb »generalisiert« genannt, weil die ständigen Ängste und Sorgen sich auf alle möglichen Lebensbereiche erstrecken und nicht auf eine bestimmte Thematik wie Krankheitsängste, soziale Ängste oder Trennungs- bzw. Verlustängste eingeschränkt sind.

Ständiges ängstliches Sich-Sorgen-Machen führt – im Gegensatz zu akut auftretenden Panikattacken – zu einer körperlichen Dauerverspannung, deretwegen die Betroffenen oft von Arzt zu Arzt gehen, ohne dass die psychische Grunderkrankung erkannt und behandelt wird. Nicht selten wird die Fehldiagnose einer Depression, einer Panikstörung oder eines Erschöpfungssyndroms gestellt. Aufgrund des Umstands, dass mehr als vier Fünftel der Betroffenen im Laufe der Zeit auch noch andere psychische Störungen bekommen, ist die Diagnosestellung in der klinischen Praxis allerdings auch nicht leicht.

Oft leiden nicht nur die Betroffenen unter der unkontrollierbaren Sorgenspirale im Gehirn, sondern auch die Angehörigen, die sich davon zunehmend genervt fühlen. Was kann man tun, wenn man sich selbst und auch andere mit Ängsten und Sorgen fertigmacht?

Früher wurden oft Beruhigungsmittel (Tranquilizer) verschrieben, die langfristig abhängig machen; gegenwärtig gelten Antidepressiva als die Mittel der Wahl, wenn es um eine medikamentöse Behandlung geht. Heutzutage ist es selbstverständlich geworden, bei Ängsten psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Viele Menschen mit einer Generalisierten Angststörung stehen einer Psychotherapie jedoch skeptisch gegenüber. Typisch sind folgende Fragen: Kann man sich ändern, wenn man schon immer so ängstlich war? Hilft es wirklich, mit einem Psychotherapeuten über Ängste und Sorgen zu reden oder entsprechende Bücher zu lesen, wenn man ohnehin gerne anders wäre, aber es trotz aller Anstrengungen bislang nicht geschafft hat?

Werden Sie von ständigen unkontrollierbaren Ängsten und Sorgen gequält? Dann hat Ihr Problem jetzt einen Namen, und man kann es auch erfolgreich behandeln, jedenfalls viel besser als früher. Die Generalisierte Angststörung wurde erstmals im Jahr 1980 in den USA definiert, damals noch als Restkategorie zu den anderen Angststörungen; heutzutage hat sie ein klar definiertes Erscheinungsbild.

Dieses Buch möchte Ihnen und allen anderen Betroffenen sowie auch Ihren Angehörigen Mut machen. Veränderung ist möglich! Sie müssen kein anderer Mensch werden; es reicht, wenn Sie mit dem Problem Ihrer überängstlichen Besorgtheit besser umgehen können.

Dieser Ratgeber gibt Antwort auf drei zentrale Fragen: Was sind normale Ängste, und wann werden Ängste und Sorgen um zukünftiges Unglück krankheitswertig? Woher kommt es, dass die einen in der Zukunft ein Problem und eine Gefahr und die anderen eine Hoffnung und eine Chance sehen? Was kann man tun, wenn man erkennt, dass die ständigen Ängste und Sorgen ein krankheitswertiges Ausmaß annehmen?

Teil 1 dieses Buches informiert über normale und gesunde Ängste und Sorgen sowie über krankheitswertige ängstliche Besorgtheit.

Teil 2 eröffnet einen Einblick in die tieferen Ursachen, unmittelbaren Auslöser und verstärkenden Faktoren einer Generalisierten Angststörung.

Teil 3 bietet ein Selbsthilfeprogramm in neun Schritten an, das in leichteren Fällen eine Behandlung überflüssig machen und bei erheblichem Leidensdruck eine Psychotherapie sinnvoll ergänzen soll.

Als Verhaltenstherapeut mit zusätzlicher Ausbildung in Systemischer Familientherapie und mehr als drei Jahrzehnten an therapeutischer Erfahrung im stationären und ambulanten Bereich in Linz, Österreich, habe ich mich bemüht, auch die theoretischen und therapeutischen Konzepte anderer Psychotherapiemethoden zu berücksichtigen, die geeignet erscheinen, die Chancen zur erfolgreichen Bewältigung einer Generalisierten Angststörung zu erhöhen.

Ich bedanke mich bei Frau Dr. Christiane Neuen vom Patmos Verlag für ihr hohes Engagement im Interesse einer besseren Verständlichkeit und leichteren Lesbarkeit dieses Buches, vor allem auch für die zahlreichen konstruktiv-kritischen Rückmeldungen und die ausgezeichnete Zusammenarbeit seit vielen Jahren.

Als Autor wünsche ich Ihnen die bestmögliche Umsetzung aller Schritte zu einem Leben mit weniger Ängsten und Sorgen sowie zu mehr Freude und Erfolgserlebnissen. Verzichten Sie dabei auf das unrealistische Ziel eines völlig angst- und sorgenfreien Lebens. Es reicht, wenn Sie trotz gelegentlicher Ängste und Sorgen das tun können, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist.

Für Rückmeldungen zu diesem Buch bin ich Ihnen dankbar. Alle Daten dazu finden Sie auf meiner Homepage www.panikattacken.at.

Hans Morschitzky

Teil 1 Was ist eine Generalisierte Angststörung?

Krankheitswertige Ängste und Sorgen

Begriffsklärung: Angst – Furcht – Panik – Sorgen – Grübeln

Die Zukunft ist unsicher; sie kann eine Chance, aber auch eine Bedrohung sein. Wir können der Zukunft nicht ausweichen, sondern ihr nur mutig und weise entgegengehen, während wir unser Leben entsprechend unseren Möglichkeiten gestalten.

Als Menschen haben wir die Fähigkeit zur mentalen Vorwegnahme von Ereignissen in der Zukunft sowie zur Vergegenwärtigung von Erfahrungen in der Vergangenheit. Die mentale Vorwegnahme zukünftiger Bedrohungen löst auf der gedanklichen Ebene Besorgtheit und auf der gefühlsmäßigen Ebene Angst aus, begleitet von unangenehmen körperlichen Zuständen wie muskulärer Anspannung und innerer Unruhe.

Angst ist unsere gefühlsmäßige Reaktion, wenn wir die Zukunft als Gefahr erleben – ähnlich wie wir blitzschnell Furcht bekommen, in Verbindung mit einem Kampf-Flucht-Reflex, wenn wir eine gegenwärtige Situation als Bedrohung einschätzen. Eine erhöhte Angstbereitschaft einige Zeit vor einer Bedrohung beschleunigt die Auslösung einer Furcht­reaktion, wenn tatsächlich eine Gefahr unmittelbar bevorsteht. Furcht kann bis zur Panik im Sinne einer Panikattacke ansteigen, wenn wir uns zu Recht oder zu Unrecht einer plötzlichen Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt sehen. Furcht und Panik lassen schnell nach, wenn die reale oder vermeintliche Gefahr vorüber ist. Angst dagegen kann anhalten, auch ohne konkrete Bedrohung.

Wenn ohne reale Bedrohung in bestimmten Situationen eine unnötig heftige Furchtreaktion in Form einer Flucht- und Vermeidungsreaktion mit Nachteilen für das ganze Leben einsetzt, handelt es sich um den krankheitswertigen Zustand einer Phobie. Es besteht eine Spezifische Phobie, wenn nur eine ganz bestimmte Situation gefürchtet wird, oder eine Agoraphobie (auf Deutsch »Platzangst«), wenn mindestens zwei Situationen gefürchtet und vermieden werden. Menschen mit Phobien entwickeln über bestimmte konkrete Situationen hinaus erhebliche Erwartungsängste, weil sie nicht sicher sind, ob und wie sie diese Situationen erfolgreich bewältigen können, sodass sie zur Vermeidung neigen.

In Bezug auf die Zukunft treffen alle Menschen bewusst oder unbewusst Vorhersagen, die sich später – analog zu einer ersten medizinischen Verdachtsdiagnose – als »falsch positiv« oder »falsch negativ« herausstellen. Falsch positive Erwartungen führen zu Angst und Sorgen, weil irrtümlich eine Bedrohung angenommen wird. Falsch negative Erwartungen wiegen uns in Sicherheit, obwohl tatsächlich eine Gefahr droht. Zur Sicherung unseres Überlebens neigt unser Gehirn zu falsch positiven Erwartungen. Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig gefürchtet! Falsch negative Erwartungen beruhen auf einem optimistischen Trugschluss, dass alles gut ausgehen wird – anderenfalls wären wir ständig ängstlich und nervös, wie dies bei jenen überbesorgten Menschen der Fall ist, die aufgrund ihrer selektiven Wahrnehmung von Gefahr ständig falsch positive Erwartungen haben.

Sorgen sind die kognitive Komponente der Angst. Sie drücken die menschliche Fähigkeit aus, mögliche Gefahren und Probleme in der Zukunft vorherzusehen und sich bestmöglich darauf vorzubereiten. Sich-Sorgen-Machen spielt sich zwar rein im Kopf ab, die damit einhergehende Angst ist jedoch ein starker gefühlsmäßiger Zustand und wird auch körperlich intensiv erlebt. Die sinnvolle Funktion der Sorgen geht verloren, wenn nicht mehr verschiedene Lösungsmöglichkeiten, sondern anhaltende und unlösbare Probleme im Mittelpunkt der Überlegungen stehen.

Ständiges unproduktives Nachdenken wird im Deutschen und im Englischen durch zwei unterschiedliche Begriffe charakterisiert: Sich-Sorgen-Machen (engl. worries) und Grübeln (engl. ruminations).

Sorgen beziehen sich immer auf mögliche Ereignisse in der Zukunft, deren Ausgang ungewiss ist und oft ohne Anlass als katastrophal eingeschätzt wird. Die Betroffenen befürchten negative Erlebnisse, hoffen aber doch, dass alles gut ausgehen wird. Sorgen sind die typischen Denkschleifen von Menschen mit einer Generalisierten Angststörung.

Grübeln richtet sich dagegen auf die Vergangenheit und hat oft mit Themen wie Schuld, Versagen und Verlust zu tun. Es handelt sich um die typischen Denkschleifen von Menschen mit einer depressiven Störung. Die Betroffenen sind von der negativen Zukunft überzeugt, weil in der Vergangenheit ihrer Meinung nach zu viel Schlimmes passiert sei, vermeintlich durch eigenes Versagen. Schwer depressive Personen sorgen sich oft gar nicht mehr um die Zukunft. Sie gehen davon aus, dass die Zukunft schon verloren ist, und leben ohne Hoffnung auf Besserung. Innerhalb einer depressiven Episode treten bei 70 bis 90 Prozent der Betroffenen auch Ängste und Sorgen auf.

Ängste und Sorgen: Überfixierung auf Restrisikoszenarien

Der Inhalt von Ängsten und Sorgen ist immer negativ und auf ein Restrisiko bezogen. Bei Angst vor möglichen Bedrohungen in der Zukunft gibt es keine Entwarnung. Es kann jederzeit etwas Schlimmes passieren. Wenn wir die Zukunft fürchten, machen wir uns Sorgen, was alles geschehen könnte, auch wenn es derzeit keine Anzeichen dafür gibt.

Wir möchten alles tun, um eine drohende Gefahr möglichst rasch zu beseitigen. Darauf beruht der Erfolg des Einzelnen und der ganzen Menschheit: Wir schützen uns vor möglichem Schaden, indem wir ihn rechtzeitig abwenden. Das ist auch das Wesen von Prognosen bezüglich negativer Entwicklungen in der Welt: Vorhersagen werden erstellt, um alle Kräfte zu mobilisieren, damit sie nicht eintreten.

Trotz aller »Vor-Sorge« bleibt immer ein gewisses Restrisiko. Bekannt ist der Spruch von Erich Kästner: »Das Leben ist immer lebensgefährlich.« Hinter jeder starken Angst steht ein großer Wunsch. Unsere größten Befürchtungen kreisen immer darum, dass jene Werte und Ziele ­bedroht sein könnten, die mit unseren stärksten Wünschen zusammenhängen.

Als größte Bedrohung fürchten wir immer das am meisten, was wir am wenigsten verlieren möchten: unsere Gesundheit und die unserer engsten Angehörigen; unsere materielle Sicherheit und den Erhalt dessen, was wir uns im Leben geschaffen haben; die Geborgenheit im Kreis unserer Familie und Freunde; unsere soziale Stellung und unsere gesellschaftliche Anerkennung; unsere schulische, berufliche oder sonstige Leistungsfähigkeit sowie auch die unserer Angehörigen; die gesellschaftliche Stabilität als Voraussetzung für unser individuelles Wohlbefinden und für eine gute Zukunft unserer Lieben. Welche Werte sind für Sie von derart zentraler Bedeutung, dass deren Bedrohung Ihnen Angst macht?

Es trifft leider zu: Wenn das eine Horrorszenario unwahrscheinlich ist, könnte vielleicht eine andere Katastrophe eintreten. Wer mit diesem Restrisiko nicht umgehen kann, wechselt von einer Befürchtung zur nächsten und verharrt in unproduktiven Ängsten in Bezug auf die Zukunft, statt durch konstruktives Handeln in der Gegenwart die Grundlage für eine gute Zukunft vorzubereiten. Die Betroffenen leben geistig ständig in der Zukunft und werden von schlimmen Erwartungsängsten gequält. Sie können nicht abschalten, um sich auf das Naheliegende im Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Nicht die Ängste und Sorgen an sich, sondern ihr Ausmaß macht krank

Die meisten Menschen halten ein gewisses Ausmaß an ängstlicher Besorgtheit für durchaus normal und sind aufgrund bestimmter Umstände phasenweise auch sehr besorgt, wenn es um das eigene Wohlergehen oder um das Wohl der Angehörigen geht. Sie können jedoch innerlich rasch wieder zur Ruhe kommen, wenn eine reale Gefahr oder zumindest ein realistisches Bedrohungsszenario abgewendet ist – was bei Menschen mit einer Generalisierten Angststörung nicht der Fall ist. Bei ihnen ist die erhöhte ängstliche Besorgtheit zu einem ständigen Lebensbegleiter geworden.

Menschen mit einer Generalisierten Angststörung unterscheiden sich von gesunden Personen oft nicht hinsichtlich der Inhalte, über die sie sich Sorgen machen, wohl aber hinsichtlich der Zeit, die sie mit Ängsten und Sorgen zubringen, und zwar durchschnittlich mehr als sechs Stunden pro Tag. Die ständigen Ängste und Sorgen drehen sich um ganz normale Belange: mögliche Krankheiten, anstehende Familienangelegenheiten, Beziehungsverhältnisse zu Angehörigen und Freunden, berufliche Themen, finanzielle Belastungen, Schulleistungen der Kinder, ­täglicher Kleinkram wie Einkaufen, Reparaturen, Kleidung, Verkehrs­situation, bestimmte Termine oder die neuesten Nachrichten bezüglich des näheren und weiteren Lebensumfelds.

In Zeiten wie diesen machen sich nicht nur psychisch gesunde Personen, sondern vor allem auch Menschen mit einer Generalisierten Angststörung vermehrt Sorgen um die Sicherheit der eigenen Person und der Angehörigen, sowohl im Inland als auch bei Reisen ins Ausland. Die gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahren bieten allen Grund, sich unsicherer und bedrohter zu fühlen als früher. Viele Menschen haben Angst, das zu verlieren, was sie im Leben erreicht haben. Zahlreiche Angehörige der sogenannten Mittelschicht entwickeln Abstiegsängste angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt. Menschen mit einer Generalisierten Angststörung können sich von den zunehmenden Katastrophenmeldungen in den Medien, wie etwa Einbrüchen und Überfällen oder Terrorattacken, noch weniger distanzieren als andere Personen, sodass ihre ohnehin erhöhte Ängstlichkeit dadurch noch verstärkt wird.

Trotz möglicher, durchaus berechtigter Ängste und Sorgen um die Umwelt oder unseren Lebensstil (z. B. Gesundheitsgefahren, Terrorismus, weltpolitische Umbrüche, globale Erwärmung) geht es meist nicht um die großen Probleme der Welt, sondern um die vielenkleinenDinge des alltäglichen Lebens, die schiefgehen könnten. Menschen mit einer Generalisierten Angststörung bereitet es angesichts der ungewissen Zukunft und der Möglichkeit, dass immer etwas Unvorhergesehenes passieren könnte, bereits großen Stress, einfach von Tag zu Tag und Woche zu Woche zu leben – auch wenn es aktuell bei ihnen keine größeren Probleme gibt als bei anderen Menschen.

Das mangelnde Vertrauen in die eigene Person zeigt sich in der häufigen Angst, mit bevorstehenden Situationen des Lebensalltags nicht zurechtzukommen. Wie wird man dies und jenes schaffen, obwohl man es schon oft geschafft hat? Selbst die Vorfreude auf Weihnachten, Geburtstage oder sonstige Feste kann getrübt werden durch die Sorge, wie man alles unter Kontrolle bekommen soll. Kleine Reisen bereiten unnötigen Stress durch den Gedanken, was man alles vergessen oder übersehen könnte.

Menschen mit einer Generalisierten Angststörung entwickeln sofort eine erhöhte Besorgtheit, sobald kleinere oder größere Veränderungen im Leben auftreten. Alles Neue bereitet ein unerträgliches Unsicherheitsgefühl und macht Angst. Sogar positive Ereignisse wie Hochzeit, Geburt, Auszug oder Heirat eines Kindes, Hausbau oder Beförderung können zu übermäßiger Angst und Aufregung führen.

Nicht nur das zeitliche Ausmaß der Ängste und Sorgen, sondern vor allem auch die Art der Reaktion darauf unterscheidet Gesunde und Angstkranke. Beide Personengruppen haben eine unterschiedliche Einstellung und Beziehung zu ihren Ängsten und Sorgen. Die einen lassen ihre Ängste und Sorgen kommen und gehen, die anderen beschäftigen sich oft viele Stunden des Tages mit ängstlichem Sich-Sorgen-Machen, ohne zu konstruktiven Lösungen zu gelangen, und setzen dabei untaugliche Mittel zur Bewältigung ein, die aus normalen Ängsten und Sorgen krankheitswertige machen.

Trotz ähnlicher Sorgeninhalte wie bei psychisch gesunden Personen beschäftigen sich Menschen mit einer Generalisierten Angststörung vor allem deshalb länger mit ihren Ängsten und Sorgen, weil sie stets auf den sicheren Ausschluss eines Restrisikos fixiert sind.

Zentrale Krankheitsmerkmale

Von der Angstneurose zur Generalisierten Angststörung

Die Generalisierte Angststörung ist eine noch relativ neue Diagnose, obwohl der Sachverhalt altbekannt ist. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, beschrieb 1894 als erster Fachmann sehr ausführlich und in treffenden Worten eine ganz bestimmte Angstsymptomatik als Angstneurose, die bis in die 1990er-Jahre im internationalen Diagnoseschema ICD neben der Phobie als zweite Angststörung galt. Er fasste unter dieser Bezeichnung zwei sehr unterschiedliche Störungsbilder zusammen, nämlich das Auftreten von Panikattacken und eine allgemein erhöhte Ängstlichkeit. Die Symptomatik der Panikattacken stellte er erstmalig in sehr beeindruckender Weise dar, wohl erleichtert durch den Umstand, dass er selbst darunter litt, als Folge seines mehrjährigen Kokainkonsums wegen depressiver Verstimmung. Die chronischen Ängste beschrieb er als Erwartungsängste in Bezug auf bestimmte situative Bedrohungen (Phobien) sowie auf körperliche Paniksymptome und andere funktionelle Beschwerden, aber auch als allgemeine Reizbarkeit infolge einer erhöhten Sensibilität gegenüber allen möglichen Sinneseindrücken.

In den USA wurde seit den 1970er-Jahren aufgrund bestimmter Forschungsbefunde (fälschlich) angenommen, dass es sich bei spontanen Panikattacken um eine psychologisch nicht beeinflussbare Störung im Hirnstoffwechsel handle, ähnlich wie bei der damals so genannten »endogenen« Depression. Als Beweis wurde angeführt: Ein bestimmtes Antidepressivum zeigte bei Panikattacken eine positive Wirkung, die bei phobischen Erwartungsängsten ausblieb. Gegen die Angst vor einer Panikattacke wurde von der Pharmaindustrie ein ganz bestimmter, rasch wirksamer Tranquilizer (Alprazolam) angeboten. Das führte zu einer Medikation bei Panikattacken, die immer noch angewandt wird: kurzfristige Verabreichung eines Beruhigungsmittels (zwei bis drei Wochen lang in niedriger Dosis) und längerfristige Verordnung eines Antidepressivums (mindestens ein halbes Jahr lang).

Im Jahr 1980 wurde die Diagnose Panikstörung als Zustandsbild von wiederholt auftretenden Panikattacken erstmals im amerikanischen psychiatrischen Diagnoseschema DSM-III definiert. Die anderen Symptome der ehemaligen Diagnose Angstneurose wurden ebenfalls erstmalig als Generalisierte Angststörung beschrieben, allerdings nur sehr blass und unspezifisch als Restkategorie, wenn sonst nichts anderes zutraf. Sie galt somit ursprünglich nur dann als eigenständige Störung, wenn gleichzeitig keine andere psychische Störung, und zwar auch keine andere Angststörung, vorhanden war.

Das heutige Verständnis der Generalisierten Angststörung beruht auf dem amerikanischen DSM-IV, das 1994 erschienen ist. Erst seit diesem Zeitpunkt wird von einem ganz spezifischen Störungsbild ausgegangen, das durch furchtsame Erwartungen und übermäßige ängstliche Sorgen charakterisiert ist. Die Generalisierte Angststörung wird definiert als ein ständiges pathologisches Sich-Sorgen-Machen (engl. toworry) sowie durch wechselnde Befürchtungen in Bezug auf mehrere, meist alltägliche Dinge, um die sich auch andere Menschen, allerdings in viel geringerem Umfang, ebenfalls Gedanken machen können.

Die ausufernden Ängste und exzessiven Sorgen können von den Betroffenen nicht kontrolliert werden, sodass sie die Lebensqualität und die Funktionsfähigkeit im beruflichen und sozialen Leben erheblich beeinträchtigen. Dieses Konzept wurde vom nachfolgenden DSM-5 übernommen, das 2013 veröffentlicht wurde.

Die Krankheitswertigkeit aus amerikanischer Sicht

Das amerikanische psychiatrische Diagnoseschema DSM-5 nennt folgende Kriterien für eine Generalisierte Angststörung:1

Es bestehen eine übermäßige Angst und Sorge (im Sinne einer furchtsamen Erwartung) bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten, die während mindestens sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. Es handelt sich dabei häufig um alltägliche Lebensumstände, wie etwa schulische oder berufliche Leistungen, Gesundheitsthemen, Kleinigkeiten des Lebensalltags (z. B. Haushaltstätigkeit, bestimmte Vereinbarungen), Geldangelegenheiten, persönliche Beziehungen, Befindlichkeit von Familienangehörigen, potenzielle Gefährdung von Kindern oder geliebten Angehörigen.Die betroffene Person hat Schwierigkeiten, die Ängste und Sorgen zu kontrollieren, sodass diese ausufern.Die Ängste und Sorgen gehen mit mindestens drei von sechs Symptomen einher, von denen einige in den letzten sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage vorhanden waren:Ruhelosigkeit oder ständiges »Auf-dem-Sprung-Sein«,leichte Ermüdbarkeit,Konzentrationsschwierigkeiten oder Leere im Kopf,Reizbarkeit,Muskelverspannung,Schlafstörung (Ein- oder Durchschlafstörung oder unruhiger, nicht erholsamer Schlaf).Die Ängste, Sorgen und körperlichen Symptome bewirken einen erheblichen Leidenszustand und eine Beeinträchtigung der sozialen, beruflichen oder sonstigen Funktionsfähigkeit.Das Störungsbild ist nicht die Folge der Beeinträchtigung durch eine Substanz (ein bestimmtes Medikament) oder durch eine körperliche Erkrankung (wie etwa eine Schilddrüsenüberfunktion) und lässt sich auch nicht besser durch eine andere psychische Störung wie eine Panikstörung oder eine Depression erklären.

Erwartungsängste werden dadurch genährt, dass in der Zukunft tatsächlich immer etwas Schlimmes passieren kann. Menschen mit einer Generalisierten Angststörung können in einem Zeitraum von länger als einem halben Jahr ihre übermäßigen Sorgen und Befürchtungen in Bezug auf mehrere Themenbereiche und Aspekte des Lebens nicht oder nur schwer unter Kontrolle bekommen. Sie können nicht aufhören, sich ständig zu sorgen, obwohl sie wissen, dass ihre Ängste übertrieben sind und sie bereits erheblich unter den Folgezuständen leiden.

Die ausufernde ängstliche Besorgtheit in Verbindung mit der ständigen geistigen und körperlichen Angespanntheit beeinträchtigt die Lebensqualität und die Funktionsfähigkeit im Lebensalltag. Die oben genannten sechs Symptome sind laut Studien für die Generalisierte Angststörung besonders typisch und wurden daher in das DSM-5 als zentrale Merkmale aufgenommen. Es fehlen die vegetativen Symptome wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Atembeschwerden oder Übelkeit; diese dominieren laut DSM-5 bei der Panikstörung und der Agoraphobie, wo die Kampf-Flucht-Reaktion im Vordergrund steht. Das Diagnoseschema ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vertritt dagegen eine andere Auffassung.

Die Krankheitswertigkeit aus internationaler Sicht

Klinisch-diagnostische Leitlinien

Das internationale Diagnoseschema ICD-10, das in Deutschland seit dem Jahr 2000 und in Österreich seit dem Jahr 2001 verbindlich ist, führt neben den Phobien (Agoraphobie, Soziale Phobie, Spezifische Phobien) unter »sonstige Angststörungen« erstmals die Panikstörung (ICD-10-Code F41.0) und die Generalisierte Angststörung (ICD-10-Code F41.1) an.

Das zentrale Symptom der Generalisierten Angststörung besteht in einer generalisierten und anhaltenden Angst, die nicht auf bestimmte Situationen beschränkt ist, sondern »frei flottierend« auftritt. Sie geht mit zahlreichen Befürchtungen, Sorgen und Vorahnungen in Bezug auf alles Mögliche einher, das je nach der inneren Befindlichkeit oder den äußeren Umständen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit treten kann.

Die Betroffenen machen sich einerseits Sorgen um familiäre, gesundheitliche, finanzielle, schulische und berufliche Belange sowie um sonstige unangenehme Situationen im Alltagsleben, fürchten sich andererseits aber auch vor Ereignissen, die den Verlust der Geborgenheit bedeuten würden, das heißt, sie beschäftigen sich übermäßig mit möglicher schwerer Erkrankung oder gar dem Tod derzeit gesunder Angehöriger. Trotz oft massiver Verlustängste, nicht selten erklärbar durch die Lebensgeschichte, haben die Betroffenen keine reine Trennungsangststörung. Die oft so häufige ängstliche Besorgtheit von Menschen mit einer Generalisierten Angststörung um den bedrohlichen Zustand der Welt, wie er heutzutage durch die Medien täglich vermittelt wird, wird dagegen weder im ICD-10 noch im DSM-5 als diagnostisches Merkmal angeführt.

Die ständigen Ängste und Sorgen führen zu zahlreichen körperlichen Symptomen als Ausdruck der motorischen Anspannung und der vegetativen Übererregbarkeit. Derartige Ängste ohne andere Ursachen treten an den meisten Tagen, mindestens mehrere Wochen lang durchgehend, meist mehrere Monate lang auf.

Die Störung findet sich laut ICD-10 häufiger bei Frauen, oft in Zusammenhang mit lang andauernden Belastungen durch äußere Umstände. Der Verlauf ist schwankend, mit einer Neigung zur Chronifizierung. Bei Kindern zeigt sich dieselbe Störung im häufigen Bedürfnis nach Beruhigung sowie in wiederholten körperlichen Beschwerden.

In der Regel treten folgende drei Symptomgruppen auf:2

Befürchtungen: Angst vor zukünftigem Unglück, Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten u. a.Motorische Spannung: körperliche Unruhe, Spannungskopfschmerz, Zittern, Unfähigkeit, sich zu entspannen.Vegetative Übererregbarkeit: Benommenheit, Schwitzen, Herzrasen, Atembeschleunigung, Oberbauchbeschwerden, Schwindelgefühle, Mundtrockenheit u. a.

Exakte Diagnosekriterien

Das ICD-10 nennt folgende Kriterien zur exakten Diagnose der Generalisierten Angststörung in Forschung und Praxis:3

Es herrschen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen in Bezug auf alltägliche Ereignisse und Probleme vor.Es müssen mindestens vier der folgenden Symptome vorliegen (davon eines aus der Gruppe der vegetativen Symptome 1 bis 4):

Vegetative Symptome:

1. Herzrasen oder störendes Herzklopfen

2. Schweißausbrüche

3. Zittern

4. Mundtrockenheit

Symptome, die den Bereich von Brust und Oberbauch betreffen:

5. Atembeschwerden

6. Beklemmungsgefühl

7. Schmerzen oder Missempfindungen in der Brust

8. Übelkeit oder sonstige Magenbeschwerden

Psychische Symptome:

9. Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit

10. Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation), oder man fühlt sich selbst weit entfernt oder »nicht wirklich hier« (Depersonalisation)

11. Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder »auszuflippen«

12. Angst zu sterben (als Folge der bedrohlich erlebten körperlichen Symptome)

Allgemeine Symptome:

13. Hitzewallungen oder Kälteschauer

14. Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle

Symptome der Anspannung:

15. Muskelverspannung, akute und chronische Schmerzen

16. Ruhelosigkeit und Unfähigkeit zum Entspannen

17. Gefühle von Aufgedrehtsein, Nervosität und psychischer Anspannung

18. Kloßgefühl im Hals oder Schluckbeschwerden

Andere unspezifische Symptome:

19. übertriebene Reaktionen auf kleine Überraschungen oder Erschrecktwerden

20. Konzentrationsschwierigkeiten, Leeregefühl im Kopf wegen der Ängste und Sorgen

21. anhaltende Reizbarkeit

22. Einschlafstörung wegen Besorgnissen

Im Gegensatz zu Panikattacken besteht ein ständig erhöhtes Angstniveau mit motorischer Anspannung und vegetativen Symptomen. Das ICD-10 erweitert bei der Generalisierten Angststörung die Liste der 14 möglichen Symptome einer Angststörung, wie sie für die Panikstörung und die Agoraphobie gelten, um weitere acht Symptome, und zwar um vier Symptome der Anspannung und vier weitere unspezifische Symptome, sodass sich insgesamt eine Liste von 22 Symptomen ergibt.

Bei Menschen mit einer Generalisierten Angststörung treten aufgrund von großen Ängsten und ständigen Sich-Sorgen-Machens durchaus auch verschiedene vegetative Beschwerden auf, wie etwa Herz-Kreislauf-Probleme, Atembeschwerden oder Magen-Darm-Störungen.

Im Gegensatz zum amerikanischen DSM-5 hält das ICD-10 daran fest, dass bei einer Generalisierten Angststörung auch erhebliche Störungen des vegetativen Nervensystems bestehen können. In diesem Zusammenhang belegt sind – in Verbindung mit genetischen Faktoren und falschem Lebensstil – ein erhöhtes Risiko zu einem Reizdarmsyndrom sowie zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bis hin zu einem Herzinfarkt als Folge von jahrzehntelanger sympathikotoner Daueranspannung bei zu geringer vagotoner Dämpfung, das heißt zu geringer Wirksamkeit des entspannend wirkenden parasympathischen Nervensystems. Eine Schmerzstörung kommt ebenfalls häufig vor.

Die zentralen Merkmale der Ängste und Sorgen

Die Ängste und Sorgen sind unproduktiv

Sorgen sind problembezogene Gedanken über die Zukunft, die sich mit »Was wäre, wenn …?«-Szenarien beschäftigen. Sie treten als kürzere oder längere Ketten von Gedanken auf. Der Hauptzweck von Sorgen besteht in der Vorbereitung auf mögliche negative Ereignisse und deren rechtzeitige Abwehr. Bei der Generalisierten Angststörung sind jedoch sinnvolle Problemlösungsprozesse verloren gegangen. An die Stelle von klugem »Vor-Sorgen« für den Notfall und von liebevoller »Für-Sorge« für Angehörige sind reine Sorgen ohne konkrete Bewältigungsstrategien getreten. Konstruktives und handlungsbereites Sich-Sorgen-Machen ist in unproduktive ängstliche Besorgtheit umgeschlagen.

Man kann das ständige Sich-Sorgen-Machen als Problemlösungsprozess ohne Problemlösung verstehen. Aus Angst vor der intensiven Auseinandersetzung mit möglichen Problemen und Gefahren, die durch die einseitige Konzentration auf negative Ereignisse begünstigt wird, springen die Betroffenen von einer Sorge zur nächsten, von einer möglichen Katastrophe zu einer noch schlimmeren, ohne für irgendein potenzielles Problem tatsächlich konkrete und auch taugliche Lösungsstrategien zu entwickeln. Es entstehen unproduktive Sorgenketten. Die Aneinanderreihung von Gedanken und Bildern nimmt enorm viel Zeit in Anspruch und ersetzt die eine Angst und Sorge durch eine andere im Sinne einer permanenten Ablenkungsstrategie von den ursprünglichen Befürchtungen.

Viele der ständig wechselnden Befürchtungen sind durchaus realistisch und könnten grundsätzlich eintreffen. Das Ausmaß der Wahrscheinlichkeit zahlreicher anderer »Was wäre, wenn …?«-Szenarien ist jedoch sehr gering, während der zeitliche Umfang der diesbezüglichen Sorgen übermäßig ausgeprägt ist, aber keine Lösung des Problems bringt. Statt innere Ruhe und Sicherheit zu gewinnen, führt das anhaltende Sich-Sorgen-Machen um alles Mögliche, vor allem jedoch um das, was einem am wichtigsten ist, aufgrund der äußeren Untätigkeit zu innerer Daueranspannung und Nervosität bis hin zu einem körperlichen Erschöpfungszustand, vor allem auch zu einer psychischen Demoralisierung und Hoffnungslosigkeit, ohne dass deswegen schon von einer Depression gesprochen werden kann.

Sich zu vergegenwärtigen, dass es sich bei einer einzelnen Befürchtung um ein unwahrscheinliches Restrisiko handelt, hilft den Betroffenen im Gegensatz zu anderen Menschen nicht wirklich, zudem tritt danach bereits die nächste, noch schlimmere Sorge auf. Schließlich geht es immer wieder um die prinzipielle Möglichkeit der Bedrohung der wichtigsten Werte im Leben, wie etwa Gesundheit, Geborgenheit, wirtschaftliche Sicherheit, körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.

Die Ängste und das Sich-Sorgen-Machen von Menschen mit einer Generalisierten Angststörung basieren auf folgenden ineffektiven »Was wäre, wenn …?«-Gedankenprozessen: »Was wäre, wenn X passiert? Gut, dann könnte ich dies oder jenes tun. Aber was wäre, wenn das alles nicht hilft? Und was wäre erst, wenn Y passiert? Hoffentlich nicht, denn das wäre schlimm. Und was wäre vor allem dann, wenn gerade Z geschieht? Das wäre noch viel schlimmer, nur nicht daran denken, sonst drehe ich durch.«

Finden Sie sich wieder in diesem Springen von einer Sorge zur nächsten, ohne echte Problemlösungsstrategie? Wie viel Zeit verschwenden Sie täglich mit Ängsten und Sorgen über theoretisch mögliche Probleme und Gefahren, die höchstwahrscheinlich nie eintreten werden?

Die Schritte 5 und 6, die ich in Teil 3 anleiten werde, sollen Ihnen helfen, mit diesen Ängsten und Sorgen über unwahrscheinliche Probleme besser zurechtzukommen, indem Sie lernen, anders damit umzugehen, anstatt durch unproduktives Sich-Sorgen-Machen und ständige Fixierung auf den Ausschluss eines minimalen Restrisikos die Chancen, die das Leben im Hier und Jetzt bietet, zu versäumen.

Die Ängste und Sorgen haben oft äußere Auslöser

Die Ängste und Sorgen sind bei einer Generalisierten Angststörung nicht auf bestimmte Situationen in der Umgebung beschränkt, wie dies bei einer Phobie der Fall ist, aber auch nicht so »frei flottierend«, wie dies im internationalen Diagnoseschema ICD-10 dargestellt wird. Sie entstehen oft nicht nur durch bestimmte »Was wäre, wenn …?«-Gedanken und spontane innere Bilder (»interne Reize« genannt), sondern vor allem auch durch zahlreiche externe Reize, wie etwa Informationen aus den Medien, Gespräche mit Bekannten oder bestimmte Ereignisse im näheren oder weiteren sozialen Umfeld, in Gesellschaft und Umwelt, vor allem steigende Kriminalität im eigenen Land, Krankheitsepidemien in anderen Ländern, Natur- bzw. Technikkatastrophen, Firmenkonkurse, die wirtschaftliche Lage oder die Flüchtlingssituation.

Zwei Weltkriege haben bei vielen Menschen reale, ganz normale Ängste und Sorgen ausgelöst. Die nachweisbare Zunahme von krankheitswertiger Angst im Laufe der letzten Jahrzehnte ohne Krieg, dokumentiert durch den Umstand, dass jüngere Menschen häufiger unter einer Generalisierten Angststörung leiden als ältere, lässt sich nur durch geänderte äußere Bedingungen erklären. Gene und Persönlichkeitsstrukturen von Menschen ändern sich nicht so schnell.

Die persönliche Neigung zu erhöhter Ängstlichkeit und Besorgtheit wird durch wechselnde äußere Anlässe stets neu entfacht. Die Ereignisse der letzten Jahre im Zusammenhang mit Flüchtlingsströmen aus fernen Ländern und politisch motiviertem Terror lösen gerade bei Menschen mit einer Generalisierten Angststörung noch mehr Sorgen und Befürchtungen aus, als sie ohnehin bereits haben.

Alles, was sich rundherum tut oder tun könnte, wird als Material genommen, um Horrorfantasien bezüglich der Zukunft zu entwickeln. Die Fernsehnachrichten liefern täglich den Stoff dazu, aber auch der ganz normale Familienalltag. Wenn das Kind angeblich zu wenig anhat, könnte es krank werden; wenn der Partner eine weite Reise vor sich hat, könnte er einen Unfall haben; wenn von einem Flugzeugunglück berichtet wird, zeigt dies wieder einmal, wie gefährlich das Fliegen ist; wenn in den Medien über eine Krankheit in einem fernen Land informiert wird, könnte diese bald auch im eigenen Land ausbrechen.

Welche äußeren Umstände können bei Ihnen auf der Stelle eine Angst- und Sorgenspirale auslösen? Welche Situationen haben in der Vergangenheit Ihre ängstliche Besorgtheit angeheizt?

Die Ängste und Sorgen drehen sich oft um zwischenmenschliche Themen

Personen mit einer Generalisierten Angststörung sorgen sich zwar um alles Mögliche, vor allem jedoch um Themen, die mit anderen Menschen, insbesondere nahestehenden Personen, zu tun haben. Die Ängste und Sorgen gelten mehr dem Wohlergehen der anderen als der eigenen Person. Das persönliche Wohlbefinden ist vor allem wichtig, um für andere bestmöglich tätig sein zu können. Es dominiert das Motto: »Wenn es allen gut geht, geht es auch mir gut – und umgekehrt.«

Das sind oft die größten Ängste und Sorgen: Familienmitglieder könnten demnächst erkranken, oder der Arbeitsplatz eines Angehörigen könnte verloren gehen. Der Partner könnte tödlich verunglücken oder den Arbeitsplatz verlieren. Aus den Kindern könnte nichts werden, wenn sie die Schule nicht schaffen, oder sie könnten einen schweren Unfall mit dem Moped oder Auto erleiden. Die naive und vertrauensselige Tochter könnte vergewaltigt werden, der Sohn könnte in sportlicher Hinsicht zu wagemutig sein. Die geliebte Mutter könnte aufgrund ihres Alters bald sterben, aber auch um den Vater muss man sich wegen seines Herzens ständig sorgen.

Die zentralen Wünsche hinter vielen Formen ängstlicher Besorgtheit drehen sich oft um die Themen Sicherheit, Geborgenheit und Stabilität von Beziehungen. Dies wiederum hängt oft eng mit der Lebensgeschichte der Betroffenen zusammen, die durch gegenteilige Erfahrungen charakterisiert ist. Hinter der Angst vor schweren Erkrankungen von Angehörigen oder der eigenen Person steht letztlich die Bedrohung der Sicherheit und Geborgenheit im Kreis der Familie. Selbst der unerschütterliche Glaube an ein Jenseits, an ein späteres endgültiges Zusammenleben im Himmel, stellt für jene Menschen keine Hilfe dar, die den Tod eines Familienmitglieds als Verlust der Geborgenheit im Hier und Jetzt erleben.

Das Grundproblem ängstlicher Besorgtheit sind nicht die ganz normalen Themen und Konflikte des menschlichen Zusammenlebens, sondern die Unfähigkeit, ein gewisses Ausmaß an Unsicherheit zu ertragen, und nicht zu wissen, ob alles gut ausgehen wird. Erst dadurch treten oft unnötige Beziehungskonflikte auf, weil sich die Familienangehörigen gegen gut gemeinte Kontrolle und ängstliche Überbehütung zu wehren versuchen. Partner bzw. Partnerin und Kinder fühlen sich genervt von den ständigen schwarzseherischen Vorhersagen, was alles schiefgehen könnte, wenn man nicht besser aufpasst als bisher.

Die Ängste und Sorgen drücken ein hohes Verantwortungsgefühl aus

Hinter den Ängsten und Sorgen um das bestmögliche Wohlbefinden der Angehörigen und der nächsten sozialen Umgebung steht letztlich ein hohesVerantwortungsgefühl für deren Wohlergehen, bis hin zu einem großen Schuldgefühl, sollte man dieser Aufgabe nicht gerecht werden. Sich um andere zu sorgen, ist eine grundsätzlich sehr positive Eigenschaft, die ein starkes Mitgefühl und eine tiefe Anteilnahme am Schicksal anderer ausdrückt, also ein hohes Ausmaß an durchaus wünschenswerter Empathiefähigkeit in einer Welt, in der die Menschen zunehmend teilnahmslos nebeneinander herleben.

In ähnlicher Weise sind normale Ängste und Sorgen um den Zustand der näheren und weiteren Umgebung, ja sogar der ganzen Welt, die Voraussetzung für ein sozial-, gesellschafts- und umweltpolitisches Engagement mit dem Ziel einer besseren Welt. Die Emotion der Angst mit den damit verbundenen körperlichen und psychischen Alarmreaktionen macht aus unserer Besorgtheit eine erhöhte Handlungsbereitschaft zur Sicherung des Überlebens, zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse und damit zur Verbesserung unserer Lebensqualität.