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AKUPUNKTUR FÜR DIE SEELE Wer auf der Suche nach einer einfachen und effizienten Selbsthilfetechnik ist, um belastende Gefühle jedweder Art rasch aufzulösen und in positive zu transformieren, für den ist dieses Buch genau das richtige. Die Psychotherapeutin Karin Neumann erklärt in diesem Ratgeber die von ihr entwickelte Methode der Psychosomatischen Integration, mit der man zu mehr Selbstliebe, Selbstwert, Lebenszufriedenheit, Leichtigkeit und Glück kommen kann. Alles, was für diese Selbstbehandlung benötiget wird, ist das Wissen um den Behandlungsablauf und die Fingerspitzen – um damit bestimmte Behandlungspunkte auf dem eigenen Körper zu beklopfen, während man emotional auf das Problem eingestimmt ist. Dadurch „beruhigt“ sich schnell das vegetative Nervensystem und man kommt von einem Erregungszustand in einen Ent- spannungszustand. In diesem sind Ängste, Ärger, Phobien & Co physiologisch gar nicht mehr möglich. "Das ist der Trick bei dieser wunderbaren Methode", sagt die Psychotherapeutin.
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Seitenzahl: 512
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Ängste, Schuld, Selbstzweifel?
Erkennen und lösen mit Ψ PSI – Psychosomatische Integration
Autorin: Dr. Karin Neumann
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-903229-09-9
Verlag: delta X, Wien
Satz, DTP & Umschlaggestaltung: Ing. Angelika Steck
Fotos Umschlag: Pixabay/fsHH (1), gellinger (3), keiblack (1)
Fotos Innenteil: Dr. Karin Neumann & Studio Staudigl
Grafiken: Ophir Ariav, BFA
1. Überarbeitung: Mag. Riki Ritter-Börner
Lektorat: Dr. Norbert Regitnig-Tillian
Korrektorat: Ing. Angelika Steck
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Das gilt insbesondere für die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, Übersetzungen sowie die Vervielfältigung auf CD-Rom und allen anderen elektronischen Datenträgern.
Dieses Buch ist meinen Patienten in Dankbarkeit gewidmet, die mir stets ihr Vertrauen geschenkt haben und dadurch meine Erfahrungen und mein Wissen in dieser wunderbare Stressreduktions- und Traumaverarbeitungstechnik, die auch optimal zur Selbstbehandlung geeignet ist, gestärkt haben; ohne sie hätte ich all diese Erfahrungen nicht machen und diese effiziente psychotherapeutische Methode weiterentwickeln können!
Die PSI – Psychosomatische Integration ersetzt keine psychotherapeutische oder medizinische Behandlung, welcher Art auch immer. Die Autorin und der Verlag beabsichtigen nicht, individuelle Diagnosen zu stellen oder Therapieempfehlungen zu geben. Dieses Buch informiert lediglich über Selbsthilfetechniken aus dem Bereich der bifokal-multisensorischen Interventionstechniken, die sich in der Praxis als sicher und effektiv erwiesen haben. Darüber hinaus finden Sie auch diverse Behandlungsabläufe zur Stressverarbeitungen verschiedenster Indikationen für Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzte, Berater, Coachs und alle im Gesundheitswesen Tätigen zur effektiven Arbeit mit ihren PatientInnen und KlientInnen in ihren Praxen bzw. im klinischen Bereich.
Weder die Autorin noch der Verlag haften für eventuell ausbleibende Ergebnisse oder unerwünschte Folgen, auch nicht für etwaige Personen-, Sach- und Vermögensschäden.
Falls Sie mit dem PSI-Selbstbehandlungsablauf zu keinem befriedigenden Ergebnis kommen, wenden Sie sich bitte an erfahrene TherapeutInnen, die in der PSI-Stressreduktions- und Traumaverarbeitungstechnik ausgebildet sind, um ein individuell auf Sie zugeschnittenes Behandlungsprogramm zu bekommen. Kontaktmöglichkeiten finden Sie auf der Website der Autorin: www.karin-neumann.at.
Die PSI – Psychosomatische Integration ist urheberrechtlich sowie patent- und markenrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung sind der Autorin vorbehalten. Kein Teil dieses Buches soll in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder anderweitig verbreitet werden. Falls Sie jedoch Interesse daran haben sollten, wenden Sie sich gerne dafür an die Autorin (Kontaktmöglichkeiten am Ende des Buches).
In diesem Buch wird aus Gründen der Vereinfachung im folgenden Text hauptsächlich die männliche Form verwendet. Die jeweiligen Begriffe gelten jedoch in der männlichen und weiblichen Form entsprechend.
Einleitung
Stress und seine Folgen
Zukunft braucht Herkunft
Die Wirkung von PSI – Psychosomatische Integration
Die Struktur dieses Buches
Wie Sie von diesem Buch am meisten profitieren
Anleitungen und Grafiken der PSI-Behandlungen im Klappentext
I. PRÄGENDE MUSTER AUS DER KINDHEIT ERKENNEN
Drei Modelle im Überblick
Bindung als sichere Basis
Grundformen der Angst
Entwicklungstraumata heilen
II. THEORETISCHER TEIL
PSI – Psychosomatische Integration
PSI und traumatische Ereignisse
PSI zur Stressverarbeitung
PSI – eine bifokal-multisensorische Stimulierung
Die Wirkweise der Methode
Die Wurzeln der Methode
Von der Gen- und Neuronenforschung zur Psychotherapie
Stress in der Kindheit – Krankheit im Erwachsenenalter
Aus Psychologie wird Physiologie
Verändern von Erinnerungen
Befreit von Phobien und Stress
Wachstum und Schutz
Belastende Lebensereignisse
PSI hilft, wenn positives Denken scheitert
Die Speicherfähigkeit des Gehirns
Unbewusste Programmierungen
Das Gedächtnis
Die Technik von PSI
Ab welchem Alter ist PSI zur Stressverarbeitung möglich?
Stress und seine Stressreaktionen
Die PSI-Behandlungsabläufe
Wie oft muss man die PSI-Selbstbehandlung machen?
Wie lange hält der PSI-Behandlungserfolg an?
Wenn die PSI-Behandlung nicht funktioniert
PSI – ein Placebo-Effekt?
Nebenwirkungen bei PSI-Behandlungen
III. PRAKTISCHER TEIL
Einführung
Dysfunktionale Gefühle und negative Grundüberzeugungen
Symptome sind oft „überdosierte Ressourcen“
Wahrnehmen und Ausdrücken von Gefühlen
Überblick über den PSI-Behandlungsablauf zur Stressverarbeitung
Die Messwert-Skala
Hook-ups: Übung zur schnellen Zentrierung
Die 14 PSI-Behandlungspunkte
PSI – Das tägliche Affirmationsprogramm
PSI – Kurzfassung des täglichen Affirmationsprogramms
Emotionen und Affirmationen der Akupunkturpunkte
Weitere Emotionen der fünf Elemente
TEIL III A – PSI ZUR SELBSTBEHANDLUNG
Der PSI-Behandlungsablauf zur emotionalen Freiheit mit PSI
Erstellen Sie Ihr Lebensdiagramm
Erstellen Sie jetzt Ihre Ressourcenliste
Erstellen Sie nun Ihre Belastungs- bzw. Trauma-Liste
PSI-Behandlung zur Stressverarbeitung
Erste Erfahrungen mit der PSI-Methode
PSI-Demo-Videos
PSI-Behandlung: Gusto auf Schokolade auflösen
Mentale PSI-Behandlungen
Erstellen einer Liste mit allen Problemaspekten
Diverse Zugänge zur emotionalen Integration mit PSI
Verschiedene Möglichkeiten zur Integration belastender Gefühle mit PSI
Mit PSI positive Gefühle verstärken
PSI-Behandlung zur Verstärkung positiver Gefühle
Katapultieren Sie sich in Ihre Höchstleistungen
PSI-Behandlung für Höchstleistungen
Glaubenssätze bestimmen unser Leben
Wir haben von Geburt an immer alle Möglichkeiten in uns
Überprüfen Sie Ihre Glaubenssätze
Erstellen einer Liste negativer Glaubenssätze
PSI-Behandlung zur Glaubenssatzänderung
Körperliche Schmerzen
PSI-Behandlung zur Schmerzverarbeitung
Trauer
PSI-Behandlung zur Trauerverarbeitung
PSI-Behandlungen für die Partnerschaft
PSI-Behandlungen für Kinder
PSI für zukünftige Herausforderungen
PSI-Stressverarbeitung für Kinder
PSI-Behandlungen für Jugendliche
Cross Crawl: Zentrierungsübung für Jugendliche
TEIL III B – PSI-BEHANDLUNGEN FÜR DIE PSYCHOTHERAPEUTISCHE PRAXIS UND DEN KLINISCHEN BEREICH
Das triunische Gehirn
Blickrichtungen und Tonspuren zum zusätzlichen Aktivieren bei PSI
Brainspotting
Traumafokus
Hypno meets Brainspotting
Audiofokus
EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing
EMI – Eye Movement Integration
PSI-Behandlung zur Stressreduktion für Profis
Traumata und deren Auswirkungen
Affektbrücken
Der PSI-Ablauf zur Selbstbehandlung vor einer Traumabehandlung
Zusätzliche Ressourcen aktivieren vor einer Traumaverarbeitung
Erdungs- und Entspannungsübung
Erdungs- und Körperwahrnehmungsübung
Aktivierung einer Ressourcensituation
PSI-Behandlung zur Traumaverarbeitung für Profis
Behandlung von Schmerzen im therapeutischen Bereich
Psychische Faktoren können Schmerzen beeinflussen
Ermittlung des Schmerzes
PSI-Behandlung zur Schmerzverarbeitung für Profis
Trauer
Neue Erkenntnisse der Trauertherapie
PSI-Behandlung zur Trauerverarbeitung für Profis
PSI-Behandlungen für Kinder im therapeutischen Bereich
Stress-Skala für Kinder
Mit dem Kind eine Geschichte bezüglich der Ressourcen erarbeiten
TEIL III C – WIE SIE IHR LEBEN MIT PSI NOCH GLÜCKLICHER GESTALTEN KÖNNEN
Die emotionale Vervollständigung
Diverse Übungen zur emotionalen Vervollständigung
Stress schadet der Gesundheit
Stress und psychische Symptome gehören zusammen
Weitere effektive Entspannungsübungen für Gelassenheit
Jetzt geht’s erst richtig los …
Abschlussübung
Schlusswort
FAQ: Häufig gestellte Fragen über die PSI-Methode
Seminare in PSI – Psychosomatischer Integration
Verschiedene Seminare zum Heilen von Beziehungen
Die PSI-BE FREE-Software stellt sich vor
Literaturverzeichnis
Die Autorin
Wollen Sie sich so richtig gut fühlen?
Denn ob Sie sich gut fühlen oder nicht hängt nur von Ihnen selbst ab: weder von Ihrem Partner, noch von Ihrem Job oder Ihrem Bankkonto; nicht einmal vom Zustand Ihres Körpers. Denn es ist Ihre innere Haltung, Ihr ureigenes Potenzial und Ihre Selbstliebe, die Ihr Leben gestalten!
Ψ PSI, die Psychosomatische Integration, kann Ihnen dabei helfen. „PSI“ ist der 23. Buchstabe des griechischen Alphabets und steht für „Psyche“. Die Psychosomatische Integration kann für Sie zu einem wichtigen Instrument werden, besonders unangenehmen oder schwierigen Lebenssituationen gewappnet zu begegnen. Sie sind diesen nicht mehr hilflos ausgeliefert, sondern bekommen ein Werkzeug in die Hand, ab jetzt aktiv etwas für sich zu tun, um Ängste, Schuldgefühle, Selbstzweifel, Anspannungen und Stressoren aller Art in meist kurzer Zeit in einen Zustand von innerer Gelassenheit zu transformieren.
Diese bifokal-multisensorische Psychotherapietechnik (in Form von Beklopfen bestimmter Akupunkturpunkte, Summen, Zählen, Augenkreisen etc.) trägt zur Verarbeitung belastender Erinnerungen und Emotionen bei. Wir bearbeiten mit PSI all das, was uns auch heute noch belastet, blockiert und uns im Leben nicht voranschreiten lässt. Belastende Gefühle werden durch den PSI-Behandlungsablauf im ersten Schritt neutralisiert, um sie im zweiten Schritt schließlich in Ressourcen zu verwandeln. Diese positiven Gefühle stärken Sie fortan und ermöglichen ein selbstbestimmtes Leben in emotionaler Freiheit.
Sie können die PSI-Behandlung sowohl vorbeugend, als auch in einer belastenden Akutsituation, anwenden. Wenn Sie PSI oft und konsequent nutzen, wirkt es oft noch tiefer, nämlich an der Ursache selbst. Negative Gedankenspiralen werden dadurch aufgelöst und Sie beginnen, sich wie von selbst besser und befreiter zu fühlen. Mit jeder erfolgreich durchgeführten Behandlung sichern Sie Ihren dauerhaften Erfolg, gelassen, glücklich und in Einklang mit sich selbst zu leben, immer mehr.
In den letzten Jahren hat sich unser Dasein extrem verändert. Stress bestimmt unser Leben, weltweit nimmt die Zahl der psychisch und körperlich bzw. psychosomatisch Erkrankten aufgrund von Stressoren aller Art immer mehr zu. Psychische Belastungen können zu Ängsten, Depressionen, Burnout, Suchtverhalten, Selbstwertproblemen und vielem mehr führen. Auch auf der Körperebene wirkt sich Stress aus (z. B. mit Migräne, Verdauungsstörungen, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Wirbelsäulenproblemen, Übergewicht u.v.m.). Daher ist es für ein glückliches und gesundes Leben wichtig, täglich einige kurze Pausen einzulegen, um sich ganz bewusst zu entspannen. Eine wunderbare Möglichkeit dazu bietet der PSI-Behandlungsablauf, den Sie in diesem Buch im Praxisteil (Teil III) lernen werden.
Dieses Buch wendet sich an alle Menschen, die erkennen wollen, weshalb Sie Ängste, Schuldgefühle und Selbstzweifel u.v.m. plagen – und das meist seit vielen Jahren, oft schon ein ganzes Leben lang, – und sie nicht so kraftvoll und selbstbestimmt leben können, wie sie das gerne hätten, um ihre Realität frei und selbstbewusst gestalten zu können.
Im ersten Teil des Buches lesen Sie deshalb drei fundierte Theorien über die psychische Entwicklung des Menschen:
Die Bindungstheorie von John Bowlby und Mary Ainsworth beschäftigen sich mit der Frage, wie ein Kind zu einem ausgeglichenen und selbstsicheren Menschen heranwächst. PSI unterstützt Sie dabei, solche Blockaden zu lösen, um ein glückliches Leben in Gesundheit genießen zu können.
Die zweite Theorie handelt von den vier Grundformen der Angst nach Fritz Riemann. Sie erhalten dadurch einen neuen Blickwinkel für Ihr Leben. PSI unterstützt Sie dabei, Ihre Ängste in Mut und Vertrauen zu transformieren.
Die dritte Theorie handelt von frühen traumatischen Erfahrungen und den diesbezüglichen Überlebensstrukturen, formuliert von Laurence Heller. PSI hilft Ihnen dabei, Ihre Entwicklungstraumata zu erkennen und zu lösen, um Ihre Selbstwahrnehmung und Ihr persönliches Wachstum zu unterstützen. Und noch einen weiteren positiven Effekt hat diese Arbeit, nämlich den, dass Sie Ihre bisherigen leidvollen Beziehungsthemen nicht an Ihre nächsten Generationen, also Ihren Kindern und Enkelkindern, weitergeben!
Durch die Erkenntnisse in diesem Buch können Sie altes Belastendes auflösen und für immer loslassen und neues Positives in Ihr Leben bringen. Mit der PSI-Behandlungstechnik haben Sie ein kraftvolles Werkzeug in der Hand, um dysfunktionale Gefühle, Gedanken, körperliche Symptome sowie Stressoren aller Art in Ihrem Leben leichter zu machen bzw. ganz aufzulösen. Darüber hinaus lernen Sie im Praxisteil viele weitere effektive Methoden, um frei, gelassen und glücklich Ihr Leben zu genießen.
Dass Akupunktur bei Problemen wie Muskelverspannungen, Kopfschmerzen und vielem mehr helfen kann, ist seit langem nachgewiesen. PSI ist eine relativ neue Behandlungstechnik mit alten Wurzeln. Dabei wenden wir die Konzepte, die in der Akupunktur zur Behandlung körperlicher Krankheiten angewendet werden, zur Behandlung von belastenden Emotionen, Stressoren und sonstigen psychischen Problemen an. Menschen, die mit Akupunktur keine Erleichterung ihrer Symptome erfahren haben, können mit PSI dennoch gute Erfolge erzielen. Ein wichtiger Unterschied dabei ist, dass beim PSI-Behandlungsablauf zu Beginn innere Widerstände (sogenannte Selbstsabotagemuster), die oft unbewusst sein können, aufgelöst werden – denn diese können jegliche Zielerreichung blockieren.
Psychische, und manchmal auch körperliche, Belastungen müssen nicht mehr schmerzhaft sein und mit viel Zeitaufwand und Leiden einhergehen. Die Entdeckung, dass Probleme auf so einfache Art und Weise behandelt werden können, ist ein Durchbruch auf dem Gebiet der psychischen und physischen Gesundheit. Daher wird PSI häufig auch als „Akupressur für die Seele“ bezeichnet.
Auch wenn es wenig realistisch erscheinen mag: Durch den PSI-Behandlungsablauf, der aus dem Einstimmen auf ein Problem und dem gleichzeitigen Beklopfen verschiedener Akupunkturpunkte am Körper, dem Durchführen bestimmter Augenbewegungen sowie Summen, Zählen etc. besteht, können Sie Ihre Art zu denken oder fühlen verändern. Ich kenne keine andere Methode, die so schnell und effektiv nachhaltige und positive Veränderungen bringt: Die Erinnerungen an die belastenden oder traumatischen Situationen bleiben wohl erhalten, aber die emotionale Befindlichkeit dazu wird verarbeitet und somit neutralisiert – das verschafft Wohlbefinden und Klarheit im Denken bezüglich des behandelten Themas. Dysfunktionale Gedanken belasten Sie nicht mehr länger, weil die damit verbundenen Emotionen entkoppelt und in Ressourcen transformiert worden sind. Positive Gefühle werden dadurch jedoch nicht beeinflusst (durch die Behandlung kann somit nichts „schlechter“ werden).
Sie müssen nicht an die Wirkung von PSI glauben, damit es wirkt, da die Veränderungen in Ihrem Gehirn, Ihrem Körper und Ihrem Energiesystem passieren – und nicht aufgrund Ihrer Überzeugungen. Dieses Buch soll das tiefe Vertrauen in Ihre Selbstheilungskräfte stärken. Sie finden darin eine Vielzahl an Möglichkeiten, diese mittels strukturierter Behandlungsabläufe in Gang zu setzen.
Sollten Sie mit dieser Selbstbehandlung nicht sofort Erleichterung bezüglich Ihres Problems verspüren, seien Sie bitte nicht enttäuscht und denken, dass diese Methode bei Ihnen nicht wirkt. Bleiben Sie trotzdem beharrlich und behandeln Sie täglich einen Problemaspekt Ihres Lebens nach dem anderen, so wie Sie es in Teil III (Praxisteil) lernen. Für die meisten Menschen ist PSI eine wunderbare Methode, ihren Alltag besser, entspannter und glücklicher zu leben.
Der erste Teil ist dazu gedacht, zu erkennen, weshalb Sie Ängste, Schuldgefühle, Selbstzweifel, Wut, Zorn, Eifersucht, Beziehungsprobleme etc. überhaupt quälen. Als Kind sind wir sicher, dass das richtig sein muss, wie und was unsere Eltern oder andere Erziehungsberechtigte mit uns machen. Wir hinterfragen das oft viele Jahre, manchmal ein ganzes Leben lang, nicht – weil das, was passierte ist, für uns „selbstverständlich“ ist.
Wichtig ist, zu erkennen und auch zuzugeben, dass unsere Erziehungsberechtigten auch manchmal falsch handelten oder wir nicht die Eltern hatten, die wir uns gewünscht hätten. Denn alles, was wir von unserer Zeugung an erlebt haben, macht uns als erwachsene Person aus.
Auch wenn es schmerzlich sein kann, zu verstehen, dass viele Blockaden in unserem Leben bereits aus unserer frühesten Kindheit stammen, ist das heilend, weil wir uns mit diesem Wissen nicht mehr schuldig fühlen und permanent hinterfragen müssen, wenn etwas in unserem Leben nicht klappt. Eben weil uns viele Ängste blockieren oder wir uns für alles verantwortlich fühlen – manche sogar für das schlechte Wetter – und weil wir bisher nicht wussten, warum das so ist und woher diese Muster kommen.
Erkennen Sie daher in Teil I dieses Buches, warum Sie zu der Persönlichkeit geworden sind, die Sie heute sind. Oft können sich Dinge dadurch bereits verändern, einfach, weil sie einem bewusst geworden sind. All das, was Sie nicht alleine mit der PSI-Behandlungstechnik auflösen können, schaffen Sie mit kompetenten Psychotherapeuten, die idealerweise in der PSI-Methode ausgebildet sind (Infos über Therapeuten und Ausbildungen am Ende des Buches). Und selbst wenn Sie durch dieses Werk vieles erkennen und in einem neuen Licht sehen, aber vielleicht noch nicht alles alleine mit der PSI-Behandlungstechnik positiv verändern können, so ist es ein erster Schritt in Ihre neue, freie und selbstbestimmte Zukunft.
Im theoretischen Teil II erfahren Sie mehr über die wissenschaftlichen und neurologischen Grundlagen dieser und verwandter Stressreduktions- und Traumatherapie-Techniken. Dieser Abschnitt ist für jene gedacht, die wissen wollen, welche Auswirkungen die PSI-Behandlungen auf Gehirn und Körper haben. Sollten Sie jedoch eher zu den Praktikern gehören, überspringen Sie diesen Teil einfach. Sie müssen nicht verstehen oder daran glauben, wie diese Veränderungen passieren, um die Behandlungen erfolgreich durchführen zu können. Sie wissen ja auch nicht, wie Ihr Handy technisch funktioniert, um damit telefonieren zu können.
Teil III ist der Praxisteil. Hier finden Sie viele verschiedene Anleitungen zur PSI-Behandlung und weitere Infos zu dieser Methode, wie Sie sich Ihr Leben leichter machen können. Sie lernen auch einen PSI-Behandlungsablauf für Kinder, den diese etwa ab dem vierten Lebensjahr selbst anwenden können, bei kleineren Kindern können Sie als Elternteil die PSI-Behandlung mit ihnen gemeinsam machen.
Außerdem finden Sie diverse PSI-Behandlungsabläufe und Tipps für Psychotherapeuten und all jene, die darin ausgebildet sind, mit Menschen zu arbeiten. Hier können KollegInnen profitieren, die noch kein Wissen in dieser Methode haben, aber auch solche, die damit bereits in Ihren therapeutischen Praxen oder im klinischen Bereich arbeiten.
Am Schluss des Praxisteils finden Sie zahlreiche weitere effektive Methoden zur Stressreduktion- bzw. Stressverarbeitung, um ein glückliches und entspanntes Leben führen zu können.
Jeder Mensch hat seine ganz persönliche Vorliebe, ein Buch zu lesen und durchzuarbeiten. Manche müssen zuerst alles ganz genau studiert haben und lesen manche Kapitel doppelt, um den Inhalt gut verstanden zu haben, bevor sie zur praktischen Anwendung übergehen. Falls Sie zu diesen Lesern gehören, empfehle ich, das Buch von vorne bis hinten zu lesen, um erst danach mit den praktischen Übungen zu beginnen.
Querleser blättern ein Buch interessiert durch und entscheiden dann spontan, was sie am meisten anspricht, um dort in die Tiefe zu gehen.
Dann gibt es wiederum Leute, die sofort, nachdem sie ein Kapitel gelesen haben, es praktisch für sich umsetzen wollen. Auch das ist bei diesem Buch möglich und in Ordnung. Jene, die daher sofort mit dem Praxisteil beginnen wollen, können gleich in Teil III starten. Sie erlernen dort verschiedene effiziente Behandlungstechniken, sowohl zur Selbstanwendung als auch für den psychotherapeutischen und klinischen Bereich, um sich das Leben leichter zu machen. Welche davon für Sie am effektivsten ist, können nur Sie selbst herausfinden. Experimentieren Sie mit allen Anleitungen und erleben Sie, welche für Sie am besten ist.
Wenn Sie die im Teil III (Praxisteil) beschriebenen PSI-Behandlungen durchführen, können Sie auch die Innenseiten des Buchumschlags mit den beiden Klappen verwenden, um die Behandlungsanleitungen und die jeweiligen Behandlungspunkte auf einen Blick vor sich zu haben. Im vorderen Umschlagteil finden Sie den PSI-Behandlungsablauf zur Stressverarbeitung für Erwachsene, im hinteren Umschlagteil jenen für Kinder.
Der erste Teil dieses Buches zeigt, wie Ängste, Schuld und Selbstzweifel überhaupt entstehen können. Dafür stelle ich drei Modelle vor, die sich in meiner psychotherapeutischen Praxis als äußerst effizient erwiesen haben. Wenn ich meinen Patienten davon erzähle, sind sie fasziniert, weil sie sich in mindestens einem sofort wiedererkennen. Manche sagen dann zu mir: »Das ist unglaublich. Das ist geradezu so, als ob ich persönlich beschrieben worden wäre!« Viele dieser Erkenntnisse sind sehr entlastend für diese Menschen. Als Kind glaubt man stets, dass Erwachsene immer alles richtig machen – und dass man selbst „nicht in Ordnung“ oder „schuld“ daran sei, wenn zu Hause etwas nicht klappt, viel gestritten wird oder Gewalt vorherrscht. Daraus entwickeln sich dann falsche Glaubenssätze (sogenannte Grundüberzeugungen), wie z. B. „Ich bin nicht liebenswert“, „Ich bin wertlos“, „Ich bin zu dumm für alles“, „Ich bin schuld, wenn die Eltern streiten“ u.v.m. Wenn man all diese prägenden Muster aus der Kindheit nie hinterfragt, kann es sein, dass man lebenslänglich unbewusst nach ihnen lebt – und sich damit permanent selbst einschränkt und abwertet.
Das erste Modell ist von Dr. John Bowlby und seiner Kollegin Dr. Mary Ainsworth und handelt von früher Bindung und kindlicher Entwicklung als sichere Basis für das spätere Leben. Dabei erfahren Sie, wie man zu einem ausgeglichenen und selbstsicheren Menschen wird. Denn eine sichere Bindung an die Eltern oder eine andere wichtige Bezugsperson ist die Basis, um als Kind die Welt zu erkunden und sich gut zu entwickeln. Misslingt dies, können sich Gefühle wie Angst, Wut, Schuld, Eifersucht, Kummer u.v.m. festigen und einen Menschen lebenslänglich belasten. Wichtig ist, dass Sie Ihre eigene Bindungsgeschichte erkennen und verstehen, wie diese vielleicht auch das Erziehungsverhalten gegenüber Ihren eigenen Kindern prägt, damit solche leidvollen Bindungsbeziehungen gar nicht über Generationen weitergegeben werden müssen.
Das zweite Modell ist von Dr. Fritz Riemann, der die Grundformen der Angst in vier verschiedene Persönlichkeitstypen einteilt. Wer kennt nicht die Angst vor zu engen Bindungen, jedoch auch gleichzeitig die Angst vor dem Verlassen werden? Und wer hat nicht die Angst vor dem Ungewissen bereits durchlebt, genauso wie die Angst vor dem Endgültigen? Angst gehört zu unserem Leben, sie begleitet uns in immer neuen Abwandlungen, von der Geburt bis zum Tod. Im Laufe unseres Lebens versuchen wir, alle Ängste zu vermindern bzw. zu bewältigen. Indem wir Gegenkräfte wie Erkenntnis, Mut und Vertrauen entwickeln, können wir jede Angst annehmen, uns mit ihr auseinandersetzen, um sie schließlich für immer loszulassen.
Das dritte Modell ist von Dr. Laurence Heller und handelt von frühen Bindungsstörungen und Entwicklungstraumatisierungen. Die meisten von uns haben in größerem oder kleinerem Umfang solche frühen traumatischen Erfahrungen erlebt. Diese beeinträchtigen unsere Fähigkeit, mit uns selbst und mit anderen Menschen in gutem Kontakt zu sein. Dadurch werden unser Vertrauen, unsere Lebenskraft sowie unsere Lebendigkeit eingeschränkt. Die meisten psychischen und viele körperliche Symptome finden hier ihren Ursprung.
Jeder Mensch hat fünf biologische Grundbedürfnisse, nämlich: Kontakt, Einstimmung, Vertrauen, Autonomie und Liebe/Sexualität. Werden diese in der Kindheit nicht ausreichend genährt, leiden Identität, Selbstachtung und Selbstregulierung. Indem diese fünf Kernressourcen mithilfe von PSI nachreifen können, müssen wir nicht mehr das Opfer unserer eigenen Geschichte sein!
Nun wünsche ich Ihnen viele neue Selbsterkenntnisse und Aha-Erlebnisse beim Lesen der folgenden drei Modelle. Notieren Sie alles, wo Sie sich wiedererkennen bzw. was auf Sie zutrifft. Seien dies Gefühle, die Sie sich nie erlaubt haben zu leben, weil Ihnen der Ausdruck von Wut oder Aggression als Kind sowieso verboten wurde bzw. blockierende Glaubenssätze u.v.m. All das, was Sie auch heute noch belastet, können Sie sich im Teil III mit PSI leichter machen oder vielleicht sogar ganz auflösen – oder Sie suchen sich einen Psychotherapeuten, der in dieser oder einer anderen Traumatherapiemethode ausgebildet ist, um diese Themen gemeinsam aufzuarbeiten (mehr Infos dazu am Ende des Buches).
Weitgehend unabhängig gingen seit 1930 viele europäische und amerikanische Therapeuten der Frage nach, wie sich frühe Heim- und Klinikaufenthalte, und häufig wechselnde Bezugspersonen auf die kindliche Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Damals wurde die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Bindung vorwiegend dem Füttern zugeordnet. Im Sommer 1951 machte Konrad Lorenz mit seinen Untersuchungen bei Gänse- und Entenküken auf sich aufmerksam. Er verwies auf seine Studien (Lorenz, 1935) und zeigte auf, welch starke Bindung Gänse- und Entenküken an eine Mutterfigur entwickeln, obwohl sie von ihr kein Futter erhalten, sondern sich ihre Nahrung selbst suchen müssen!
Daraufhin erforschten viele Wissenschaftler die Bedeutung der frühen Bindung bei Tieren und bei Menschen – und die Auswirkungen auf das spätere Geschlechtsverhalten. Auf seiner bei der Mutter-Kind-Bindung ansetzenden Suche nach etwaigen Grundmustern psychischer Störungen orientierte sich John Bowlby vorrangig an Konrad Lorenz, dessen empirisch fundierte Feststellungen über die starke Bindung bei Tieren ihn faszinierte. Dieses Thema beschäftigte ihn 20 Jahre lang, weil er eine neue Behandlung für Kinder und Jugendliche entwickeln wollte. Er erkannte, dass es wichtig ist, sich als Kind auf eine sensible Bindungsfigur verlassen zu können, und dass sich Menschen dann geborgen fühlen und diese Beziehung nicht mehr missen möchten. Wir brauchen die Gewissheit, in kritischen Situationen einen vertrauten Menschen um Hilfe bitten zu können, das beruhigt uns. Seither hat die Bindungstheorie einen erheblichen Aufschwung erlebt, unter anderem auch durch Robert Hinde (1974) und Mary Ainsworth (1963, 1969), die viele wegweisende, empirische Eltern-Kind-Studien durchführten.
John Bowlby (2014), britischer Psychoanalytiker und Kinderpsychiater, war einer der Pioniere der Bindungsforschung. Er entwickelte die Bindungstheorie aus seiner Praxis heraus ursprünglich als Hilfsmittel zur Diagnostik und Behandlung für psychisch beeinträchtigte Patienten bzw. Familien. In seinem Vortrag Anfang 1980 an der psychiatrischen Abteilung des Michael Reese Hospital in Chicago erklärte er, dass das Pflegeverhalten der Eltern uns weit bis ins Erwachsenenalter beeinflusst – und sogar noch unseren eigenen Erziehungsstil mitbestimmt. Eine gelungene Erziehung beschert den Eltern reichen Lohn. Scheitern diese Bemühungen jedoch, können sich beim Kind massive Ängste, Frustrationen, Scham- oder Schuldgefühle und Konflikte ausbilden. Erfolgreiche Pflege bedeutet für die Eltern eine „Rund um die Uhr“-Versorgung. Bereits die Pilotstudien von Grinkers in Chicago (1962) bis zu Offer (1969) und viele weitere belegen, dass selbstsichere, ausgeglichene und gesunde Jugendliche und junge Erwachsene aus stabilen Familien kommen, in denen sich die Eltern viel mit ihnen beschäftigten.
Bowlby versteht die traditionell als „Abhängigkeit“ definierte Mutterbindung als Ausdruck eines zum Teil vorprogrammierten spezifischen Verhaltensrepertoires, das sich üblicherweise nach der Geburt ausbildet. Gegen Ende des ersten Lebensjahres prägt die tatsächliche oder vermeintliche Unerreichbarkeit der Mutter das kindliche Bindungsverhalten. So reichen bei geringfügigen Anlässen schon ein paar tröstende Worte, um ein Kind zu besänftigen. Wird es jedoch stärker beunruhigt, sucht es den Körperkontakt zu dieser, und bei großer Angst oder massivem Kummer braucht es eine längere, tröstende Umarmung. Dieses Bindungsverhalten tritt, wenn auch nicht so spontan, bei Jugendlichen in Angst- oder Stresssituationen ebenfalls auf – und genauso auch bei hilfs- und zuwendungsbedürftigen Müttern mit Kleinkindern. Somit kann dieses Verhalten als universal begriffen werden. Wichtig sind die altersunabhängigen Gefühle, die an das Bindungsverhalten gekoppelt sind. So vermitteln positive Gefühle Lebensfreude und Sicherheit, Gefährdungen können Angst, Wut und Eifersucht auslösen und Trennungen haben Niedergeschlagenheit und Kummer zur Folge.
Elterliches Bindungs- und Pflegeverhalten läuft somit bis zu einem gewissen Maß nach vorgegebenen Verhaltensmustern ab, die grundlegenden Entwicklungslinien folgen: Ein weinendes Baby wird getröstet und gewiegt, gewärmt, gefüttert und beschützt. Natürlich müssen wir Menschen wie all die anderen Säugetiere diese Verhaltensmuster erst lernen. Wir tun dies vor allem durch Beobachtung. Wichtig sind dabei unsere eigenen persönlichen Erfahrungen, die wir selbst in unserer Kindheit und Jugend gemacht haben. Bowlby begreift elterliches Pflegeverhalten somit als biologisch verankertes, für den Menschen und seine Nachkommen lebensnotwendiges Verhaltenssystem. Dieses umfasst neben dem Bindungsverhalten auch den Nahrungs-, Sexual- und Explorationstrieb.
Die Bindungstheorie versucht, bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Zusammenhänge zwischen Elternbindung und Persönlichkeitsentwicklung zu erklären. Sie begreift das Streben nach engen emotionalen Beziehungen als menschliches, bereits beim Neugeborenen angelegtes, bis ins Alter vorhandenes Grundelement. Die Bindung an die Eltern bzw. entsprechender Ersatzfiguren sichert im Säuglings- und Kindesalter, neben Schutz und Zuwendung, den Beistand dieser Personen. Diese Bindung bleibt, selbst bei gesunder psychischer Entwicklung, bis weit ins Erwachsenenalter bestehen, ergänzt durch neue Bindungen. Auch wenn der Nahrungs- und Sexualtrieb von großer Bedeutung sind, ist die Bindung wegen ihrer lebenswichtigen Schutzfunktion als solche eigenständig. Unerfahrene und schwächere Individuen, etwa Kinder oder ältere Menschen, brauchen die Nähe und den Beistand von stärkeren und kompetenteren Personen.
Fühlen sich Kinder sicher, so lösen sie sich von ihrer Bindungsfigur, um die Welt zu entdecken. Sind sie jedoch ängstlich, besorgt, müde oder krank, streben sie nach deren Nähe. Das ist ein typisches Muster für die Eltern-Kind-Interaktion. Mary Ainsworth beschrieb dies als verlässliche Basis für die kindliche Umweltexploration (1967). Aufgeschlossene und hilfreich eingreifende Eltern stärken den Explorationsdrang ihrer (körperlich gesunden) Kinder. Sicher gebundene Kinder unternehmen etwa ab zweieinhalb Jahren immer längere und weitere Erkundungen. Eine verlässliche Basis bildet somit eine unverzichtbare Voraussetzung, um das Leben optimal zu leben und psychisch gesund bleiben zu können.
Das eigentliche Bindungsverhalten kristallisiert sich erst zwischen dem siebenten und zwölften Lebensmonat heraus, obwohl Säuglinge innerhalb kürzester Zeit in der Lage sind, ihre Mutter(figur) am Geruch, der Stimme und an der spezifischen Art des Gehaltenwerdens von anderen Personen zu unterscheiden. Die visuelle Differenzierung gelingt erst zwischen dem vierten und sechsten Monat. Babys können anfangs ihre Zufriedenheit nur mimisch kundtun, doch bereits vom zweiten Monat an bestärken sie durch ihr Lächeln die Mutter in der Richtigkeit ihres Pflegeverhaltens und erweitern somit ihr emotionales Kommunikationsrepertoire.
Eine weitere wichtige Frage der Bindungstheorie ist, inwieweit die kindliche Persönlichkeitsentwicklung durch Eltern(figuren) beeinflusst wird bzw. deren Verhalten das in Kindheit oder Pubertät entstehende Bindungsmuster prägt. Die versierten Entwicklungspsychologen Ainsworth (Ainsworth et al., 1978, Ainsworth, 1985) und Grossmann (Grossmann et al., 1986) lieferten dazu Studien mit aufschlussreichen Erkenntnissen.
Ainsworth und Kollegen beschreiben drei bestimmte Bindungsmuster:
Diese Kinder wissen, dass ihnen ihre Eltern emotional in Stress- oder Angstsituationen tatkräftig zur Seite stehen. Sie fördern ihren Explorationsdrang und bieten ihnen Rückhalt und Sicherheit. Sie reagieren feinfühlig auf die Signale ihres Kindes und wenden sich ihm liebevoll zu, beschützen und trösten es.
Diese Kinder leben in der Ungewissheit, ob und – wenn dies der Fall sein sollte – wann sie auf ihre Eltern zählen können. Deshalb entwickeln sie häufig Trennungsängste und klammern, selten zeigen sie einen Explorationsdrang. Laut Studien rührt dieses Bindungsmuster von angedrohten bzw. realen Trennungen oder nur teilweise elterlichem Beistand her.
Diese Kinder wissen, dass sie von ihren Eltern nur Ablehnung zu erwarten haben. Aus diesem Grund verzichten sie fortan auf Zuneigung und fremde Hilfe. Sie streben nach psychischer Autarkie. Später entwickeln sie häufig eine narzisstische Persönlichkeitsstörung oder ein falsches Selbst (Winnicott, 1960), das aus der permanenten Ablehnung seitens der Mutter in Konfliktsituationen resultiert. Viele dieser Kinder sind von Mutter oder Vater nachweislich misshandelt und/oder stark vernachlässigt worden, manche haben aufgrund des unberechenbaren Wesens ihrer (z. B. bipolaren) Mutter seelische Störungen entwickelt.
Einige psychische Störungen lassen sich jedoch auch keinem dieser drei genannten Bindungsmuster zuordnen.
Experimentelle Beobachtungen an zweieinhalbjährigen Kindern zeigen, wie das kindliche Bindungsmuster bei schweren Aufgaben ist, die diese noch nicht alleine lösen können, und wie deren Mütter darauf mit ihnen interagieren (Matas et al., 1978): Die Mütter von sicher gebundenen Kindern wirken dabei aufmerksam, hilfsbereit, sensibel und ermuntern ihr Kind selbst bei Misserfolgen. Mütter von unsicher-vermeidenden bzw. unsicher-ambivalent gebundenen Kindern sind weit weniger aufmerksam und agieren nicht sensibel. Sie greifen entweder zum falschen Zeitpunkt oder auf unsinnige Weise ein. Sie missachten bzw. bremsen die Gefühle und Aktivitäten ihrer Kinder und bieten ihnen keine Hilfe oder Ermutigung an.
Kinder mit sicherer Bindung sind prinzipiell fröhlicher und bekommen allein schon deshalb mehr positive Zuwendung. Sie müssen daher auch nicht so fordernd auftreten wie Kinder mit unsicherer-ambivalenter Bindung, die viel rascher weinen und klammern, oder jene mit einer unsicher-vermeidenden Bindung, die häufig eher auf Distanz bleiben und oft andere Kinder tyrannisieren. Im Kindergarten in Abwesenheit der Mütter beschrieben die Betreuerinnen die zwölf Monate alten Kinder mit sicherer Bindung als kooperativ, kreativ, beliebt und anpassungsfähig und die Kinder mit unsicher-vermeidender Bindung als emotional isoliert, feindselig, unsozial und zugleich geltungsbedürftig. Kinder mit unsicherer-ambivalenter Bindung waren angespannt, impulsiv und leicht frustrierbar oder aber passiv und hilflos.
Bezüglich der Eltern-Kind-Kommunikation wird deutlich, dass sicher gebundene Mutter-Kind-Paare praktisch von Geburt an ungleich spontaner miteinander kommunizieren (Blehar et al., 1977). Die Mütter wissen immer um das psychische Befinden ihres Kindes und dessen Zuwendungsbedürfnis, das sie rechtzeitig wahrnehmen und erwidern. Mütter von unsicher-ambivalenter bzw. unsicher-vermeidender Bindung nehmen das psychische Befinden ihres Kindes nur sporadisch zur Kenntnis und missachten seine Signale häufig bzw. verspätet oder reagieren unangemessen darauf. Gegen Ende des ersten Lebensjahres treten diese Unterschiede deutlich in der spontanen Kommunikation und der von Mary Ainsworth als „fremde Situation“ bezeichneten Testsituation zutage. Anhand dieser Leitlinien erklärt die Bindungstheorie, weshalb gesunde Persönlichkeiten heranreifen – oder aber Depressionen, Angstneurosen bzw. andere psychische Störungen entwickeln, wie z. B. ein „falsches Selbst“.
Die gute Nachricht ist, dass diese ursprünglichen Beziehungsmuster modifizierbar sind. In einer Studie von Sroufe (1985) konnte gezeigt werden, dass sich in den ersten zwei bis drei Lebensjahren vor allem durch die Mutter- oder Vaterbeziehung geprägte Bindungsmuster mit verändertem elterlichen Verhalten ebenfalls wieder wandeln können. Auch eine ermutigende Erkenntnis für alle Psychotherapeuten ist, dass es möglich ist, diesen psychisch beeinträchtigten Menschen zu helfen, indem sie deren Bindungsverhalten respektieren und ihnen eine „sichere“ therapeutische Beziehung bieten.
Im Folgenden thematisiere ich einige der am häufigsten auftretenden Situationen:
Viel zu schnell drohen manche Mütter und Väter ihrem Kind, dass sie es nicht mehr lieb haben, wenn es nicht dies oder jenes mache. Solche allzu leicht ausgesprochenen Drohungen, die Liebe der Eltern entzogen zu bekommen bzw. den ersehnten Beistand und Trost nicht zu erhalten, setzen das Kind bei regelmäßigem Gebrauch massiv unter Druck. Es hat fortan Angst, immer alles richtig machen zu müssen. Abgesehen davon flößt es ihm massive Schuldgefühle ein.
Ist der angedrohte Liebesentzug schon schlimm genug, sind Verlassensdrohungen für ein Kind eine Katastrophe. Vor allem dann, wenn die Mutter oder der Vater nach einer solchen Ankündigung stundenlang verschwunden und unauffindbar ist oder vor dem Kind demonstrativ den Koffer packt und damit das Haus verlässt bzw. dem Kind erklärt wird, es in ein Heim für schwer erziehbare Kinder zu bringen. Die Eltern drohen dabei häufig mit derselben Ankündigung, wie z. B. »Wir werden dich von einem roten Lieferwagen abholen lassen, der dich in eine Anstalt für schlimme und böse Kinder bringt.« Hört man später, auch wenn man bereits erwachsen ist, diesen Satz wieder, kann dieser einen Zugang zu all den traumatischen Erlebnissen öffnen, die damit verbunden sind.
Sind Eltern psychisch krank, können sie sich oft nur noch mit Selbstmorddrohungen helfen. Diese können sie so ganz nebenbei bei einer Auseinandersetzung mit dem Partner fallenlassen oder auch in direktem Kontakt äußern. Bei beiden Varianten wird das Kind von bodenloser Angst befallen. Wenn sich Eltern solche Drohungen an den Kopf werfen, ist das für alle Familienmitglieder schlimm genug. Noch schlimmer jedoch ist es, wenn die Eltern hinterher meinen, dass so etwas nie passiert wäre.
Wenn Eltern leugnen, bestimmte Dinge gesagt oder getan zu haben bzw. durchaus zutreffende Wahrnehmungen des Kindes immer wieder bestreiten, wirkt sich das sehr negativ auf dessen Persönlichkeitsentwicklung aus. Ist die Person schließlich erwachsen, kann sich ein solches elterliches Verhalten in der Kindheit entweder als Zweifel an den Fakten oder aber als Schuldgefühle infolge des Verschweigens gewisser familiärer Vorfälle auswirken.
Besonders negative Erlebnisse und Situationen in der Kindheit für eine positive Entwicklung sind (Bowlby, 2014):
Wenn das Kind ein „falsches“ Geschlecht hat (also z. B. ein Mädchen statt ein Junge geworden ist)
Wenn das Kind zum Sündenbock wurde (z. B. wegen der Schuld an einer Familientragödie, wie dem unabsichtlichen Verursachen eines Unfalls von Schwester oder Bruder)
Wenn die Eltern dem Kind Schuldgefühle einflößen und es unter Druck setzen (z. B. wenn die Mutter häufig sagt, dass das Kind sie krank mache mit seinem Verhalten)
Wenn die Mutter das Kind als Bindungsfigur missbraucht, indem sie seinen Explorationsdrang einschränkt und ihm vermittelt, keine eigenen Wege gehen zu dürfen (damit sie selbst nicht vom Kind allein gelassen oder verlassen wird)
Wenn das Kind außerehelich ist und ihm dies verschwiegen wurde (und es dadurch zum Außenseiter wird)
Wenn die Mutter oder der Vater das Kind mit einer verwandten Person identifiziert (z. B. mit der eigenen Mutter oder dem eigenen Vater, zu der sie selbst eine problematische Beziehung haben/hatten)
Wenn die (Stief-)Mutter oder der (Stief-)Vater das Kind misshandelt hat
Wenn die (Stief-)Mutter oder der (Stief-)Vater oder ein Verwandter das Kind sexuell missbraucht hat
Viele Erwachsene verallgemeinern, wie liebevoll ihre Eltern doch gewesen seien, jedoch ohne über Einzelheiten zu sprechen. So manche Beschreibung einer wunderbaren Mutter oder eines ebensolchen Vaters hält der Prüfung nicht stand. Realistisch ist es, sowohl Positives als auch Negatives bezüglich der Kindheit zu hören. Ähnlich skeptisch sollte man sein, wenn ausschweifende und überzogene Schilderungen bzw. eine undifferenzierte oder widersprüchliche Schwarz-Weiß-Malerei bezüglich der Kindheit und der Eltern betrieben wird. Extreme Idealisierungen oder auch Herabsetzungen haben oft die Ursache darin, dass ein Elternteil das Kind zur Parteinahme gegenüber dem anderen Elternteil angehalten oder jedwede Kritik an seiner Person unterbunden hat.
Viele Therapieerfahrungen zeigen, dass die eigene Elternbindung die Gefühle und Verhaltensweisen der Mutter gegenüber ihrem Baby stark beeinflussen. Es wird angenommen, dass dies genauso für den Vater gilt, wobei es bislang nur wenige Untersuchungen dazu gibt. So fanden Zahn-Waxler, Radke-Yarrow & King (1979) heraus, dass Tröstungs- und Hilfsbereitschaft, in Abhängigkeit von der Mutter-Kind-Beziehung, bereits ab dem zweiten Lebensjahr einsetzen. Sind die Mütter sensibler und wirken auf ihre Kinder beruhigend ein, so können auch deren Kinder unaufgefordert andere Menschen trösten, wobei sie ihre Mütter oft bis ins Detail kopieren. Frühe Erlebnisse der Mütter wirken sich auf den eigenen zukünftigen Erziehungsstil aus. So wiesen Frommer & O’Shea (1973) nach, dass bei Müttern, die vor ihrem elften Lebensjahr von einem oder beiden Eltern getrennt wurden, deutlich öfter Ehekrisen und nachgeburtliche psychische Störungen auftraten. Darüber hinaus litten Babys solcher Mütter öfter an Schlaf- und Essstörungen. Solche trennungsgeschädigten Mütter kommunizierten und beschäftigten sich auch weniger mit ihren Babys und hielten seltener Körper- oder Blickkontakt mit ihnen.
Mütter, die nachweislich in ihrer Kindheit von einem Elternteil misshandelt wurden, lebten als Kind ständig in Angst, von ihrer Mutter oder ihrem Vater verlassen bzw. ins Heim gesteckt zu werden (DeLozier, 1982). Im Erwachsenenalter hatten diese Frauen häufig extreme Verlustängste, nunmehr bezogen auf ihre Partner oder Ehemänner, weswegen sie körperliche Gewalt als unabänderlich hinnahmen und keine Zuneigung und Hilfe vom Partner erwarteten. Lynch (1975) untersuchte die weitere Entwicklung von 25 misshandelten Kindern und deren Geschwistern. Diejenigen, die misshandelt wurden, hatten selbst durchgängig Schwangerschafts-, Wehen- oder Geburtskomplikationen, mehrtägige Trennungen gleich nach der Geburt oder weitere Beziehungsabbrüche im ersten halben Jahr. Die misshandelten Kinder erkrankten viel häufiger als ihre nicht misshandelten Geschwister.
Wenden wir uns nun jenen Männern zu, die ihre Ehefrau bzw. Partnerin misshandeln: Viele Männer, die wegen ihrer Gewalttätigkeit der Partnerin gegenüber zu mir in die Praxis kommen, erzählen oft, dass sie dieses Verhalten sehr ängstige. Sie verstehen gar nicht, weshalb sie solche unkontrollierbaren Wutausbrüche bekommen, weil sie ihre Frau ja schließlich lieben. Sehr oft beginnen die tätlichen Angriffe erst nach der Geburt ihres Kindes. Ich berichte ihnen dann von der Studie von Marsen & Owens (1975), die festgestellt hatten, dass solche Wutausbrüche häufig von der Eifersucht auf die Zärtlichkeit herrühren, die die Mutter dem Kind gibt. Die Wissenschaftler halten das für ein Charakteristikum etlicher Männer, die ihre Frauen schlagen. Solche Männer seien als Kind ebenfalls seelisch oder körperlich misshandelt und meist streng oder gar brutal erzogen worden. Viele von ihren Ehemännern bzw. Partnern misshandelte Frauen stammen ebenfalls aus solchen gestörten, emotional abweisenden Familien und wurden auch häufig bereits als Kind misshandelt (Gayford, 1975). Die meisten von ihnen verließen aus diesem Grund bereits vor ihrem 20. Lebensjahr ihr Elternhaus und nahmen sich den erstbesten Mann, der meist in ähnlichen Verhältnissen aufwuchs, und wurden bald darauf schwanger.
Solche Frauen, die völlig unvorbereitet in die Ehe gehen, haben oft gar keine Ahnung, wie sie mit ihrem Baby umgehen sollen und sind vollkommen überfordert mit der Gesamtsituation. Die Versorgung des Säuglings braucht viel Zeit und Zuwendung, die sie nun den Partnern entziehen. Das wiederum weckt bei diesen starke Eifersucht und so entsteht ein generationsübergreifender Zyklus der Gewalt.
Mattinson & Cinclair (1979) trafen bei bestimmten Familien ähnliche Interaktionsmuster an. Bei diesen schien angedrohte oder reale Gewalt auf der Tagesordnung zu stehen. Die Partner trennten sich immer wieder, um nach einiger Zeit doch wieder zusammenzufinden. Auch die Frauen, die von ihren Männern misshandelt wurden, verließen öfter mit den Kindern das Haus, um nach einigen Tagen doch wieder in die alte Umgebung zurückzukommen. Was hielt diese Partner zusammen? Wann immer der Mann gewalttätig wurde und die Frau ihre erbosten Verlassensdrohungen aussprach, bestand eine wechselseitige Angstbindung zwischen den Partnern, die eine Strategie entwickelt hatten, den anderen zu kontrollieren und von einer Trennung abzuhalten. Die erpresserischen Verlassens- oder mitunter sogar in Suizidhandlungen endenden Selbstmorddrohungen lösten beim Partner Schulgefühle und Besorgnis aus, obwohl sie zugleich auch Wutimpulse in ihm weckten. Manche Männer sperrten dann ihre Frauen in den Wohnungen ein und schlossen ihre Kleider weg oder verweigerten ihnen das Haushaltsgeld bzw. erteilten ihnen Einkaufsverbot, um dadurch jeglichen Kontakt zu anderen Menschen zu unterbinden.
Bei manchen Männern nahm diese Ambivalenz geradezu groteske Züge an: Sie warfen ihre Frauen aus der Wohnung und ließen sie nicht mehr hinein, um ihnen dann schließlich nachzulaufen und sie wieder zurückzuholen. Manche Frauen, obwohl sie dieses Verhalten ihrer Männer ablehnten, schienen den Schlägen doch zugleich eine seltsame Befriedigung abzugewinnen. Sie meinten dann triumphierend, dass sie nicht im Entferntesten an eine Trennung dachten und schließlich habe sie ihr Mann ja von der Straße wieder zurückgeholt, also brauche er sie ja doch. Interessant dabei ist, dass die Mehrzahl der Befragten das Gefühl hatten, von ihrem Partner gebraucht zu werden, jedoch die eigenen Zuwendungs- und Geborgenheitsbedürfnisse oft leugneten – mit Ausnahme der riesengroßen Angst vor dem Alleinsein.
Viele traumatisierende Kindheitserlebnisse tragen maßgeblich zur Entstehung von psychischen Störungen bei. Bei manchen Menschen können diese auch zu Fehlwahrnehmungen bzw. Fehleinschätzungen, schweren Amnesien oder multiplen Persönlichkeitsstörungen führen. Bei Kindern, die Zeugen bestimmter Szenen zwischen den Eltern werden, können so manche Eindrücke und Empfindungen bestehen bleiben. Weil sie jedoch loyal mit der Mutter und dem Vater sein und diese nicht belasten wollen, blenden sie die Erinnerungen an belastende Szenen, Eindrücke und Erlebnisse aus. Dies kann kognitive Störungen zur Folge haben, wie chronisches Misstrauen, mangelnde Neugierde am Leben, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung bis hin zu Unwirklichkeitsgefühlen und Persönlichkeitsstörungen.
Manche Mütter oder Väter kaschieren ihr Fehlverhalten dadurch, dass sie ihren Kindern immer wieder mitteilen, wie sehr sie sich doch für sie aufopfern und was sie nicht alles für sie täten. Somit müssten alle bestehenden Probleme vom Kind ausgehen. Obwohl das Kind dies als zutiefst ungerecht empfindet, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als diese Zuschreibung hinzunehmen – und diese wird irgendwann zu seiner tiefsten Wahrheit. In vielen Familien herrschen auch regelrechte Schweigegebote, weil die Eltern dem Kind eingeschärft haben, bestimmte Vorfälle, die ihnen selbst peinlich sind (wie lautstarke oder handgreifliche Auseinandersetzungen mit dem Ehepartner oder dem Kind selbst etc.), zu verheimlichen.
Bowlby (1973) schildert eine Reihe von Begebenheiten (z. B. sexuelle Aktivitäten), die Eltern ihren Kindern zu verheimlichen versuchen, um sie als infantile Einbildung hinzustellen. Mit solchen Methoden wollen Mutter und Vater ihre Kinder zwingen, ein durchgängig positives Bild von ihnen aufzubauen, wobei diese subtilen Druckmittel selbstverständlich genauso nachteilige Auswirkungen auf die kindliche Psyche haben. Vor allem inzestuöse Beziehungen werden nach deren Realisierung oft als Einbildung abgetan. Im Allgemeinen entstehen solche zwischen Vater und Tochter bzw. Stiefvater und Stieftochter. Die Jugendlichen entwickeln daraufhin nicht nur Schlafstörungen und Selbstmordgedanken, sondern fallen auch durch die Vermeidung enger Bindungen auf (Meiselman, 1978, Adams-Tucker 1982). Laut dieser Studie bestätigen Väter, die ihre halbwüchsigen Töchter missbrauchen, dass sie ihnen auch tagsüber verstohlene Blicke zuwerfen, sie heimlich berühren und versteckte Andeutungen machen. Beim Missbrauch von jüngeren Töchtern hingegen tun die Väter tagsüber häufig so, als ob in der Nacht nichts vorgefallen sei, sie leugnen somit die sexuelle Beziehung zu ihren Kindern, oft weit bis in die Pubertät hinein. Diese zerbrechen daran, wenn sie tagsüber einen liebenswerten und geachteten Vater, nachts jedoch einen gänzlich anderen, bedrohlichen haben. Da das Kind niemandem davon erzählen darf, nicht einmal der Mutter, möchte es das Geschehene wenigstens vom Vater bestätigt bekommen, weil es sonst an sich selbst zu zweifeln beginnt. Dass solche Mädchen später Männern generell misstrauen, braucht niemanden zu verwundern.
Viele Kinder hören immer, dass sie tapfer sein müssen und nicht weinen dürfen, selbst wenn ein Elternteil stirbt oder eine Scheidung oder Trennung passiert ist. Es wird ihnen dann aufgetragen, dass sie den anderen Elternteil einfach „vergessen“ und ihm keine Träne nachweinen sollen, weil er es ja sowieso nicht wert sei. Dabei müssen diese Kinder ihre Gefühle absperren bzw. abspalten, um den damit zusammenhängen Schmerz nicht mehr zu spüren. Im schlimmsten Fall müssen sie dann auch noch eine Rollenumkehr in der Form erleben, dass sie ihre sitzengelassene Mutter oder ihren Vater trösten müssen, weil diese Person nach der Trennung Zuwendung braucht und diese bei ihrem Kind sucht – und dabei selbst die Rolle des Kindes einnimmt. Die Wut, die damit einhergeht, muss natürlich unterdrückt werden, weil sie nicht auch noch gegen den „armen“ Elternteil gerichtet werden kann. In dieser Position ist es für das Kind auch schwer, eigene Freundschaften zu schließen und das eigene Leben zu leben. Ähnlich geht es Kindern von Eltern, die, vielleicht aus Angst vor der Erinnerung an ihre eigenen traumatischen Kindheitserlebnisse, eine Depression entwickeln. Diese müssen sich ständig glücklich geben und dürfen nicht ihre eigenen Sorgen zeigen, können nie einsam oder wütend wirken, um nur ja die Mutter oder den Vater nicht zusätzlich zu belasten. Viele Erwachsene erkennen erst in einer Therapie, wie einsam sie als Kind bei einem solchen Elternteil waren und dass sie ihre Gefühle nie zeigen durften!
Dann gibt es wiederum Eltern, die ihre Kinder offen unter Druck setzen und vor allem kleine Kinder mit Verlassensdrohungen zu disziplinieren versuchen. Solche Aussagen können sowohl akute wie chronische Ängste und Depressionen zur Folge haben. Sogar dann, wenn der Elternteil erst viel später verstirbt und die Person überzeugt ist, dass ihn der Verstorbene vorsätzlich und in strafender Absicht verlassen hat (Bowlby, 1973, 1980).
Viele innovative europäische und amerikanische Studien wurden seit 1975 durchgeführt, um die frühen Mutter-Kind-Interaktionen zu erforschen. Die wohl bekanntesten Arbeiten dazu veröffentlichten Klaus, Trause & Kennell (1975), die berichteten, wie ein Neugeborenes gleich nach der Geburt von seiner Mutter aufgenommen und beruhigt wird. Sie streichelt ihm mit den Fingerspitzen über die Wangen und fährt mit der Hand über seinen Kopf und seinen Körper, um es nach etwa fünf oder sechs Minuten an die Brust zu legen. Die Wissenschaftler stellten fest, dass von den Neugeborenen eine große Faszination ausgeht. Die meisten Mütter liebkosen stundenlang ihr Baby und bauen damit eine Vertrauensbeziehung auf bis hin zu dem Gefühl, es gehöre ihnen „ganz alleine“. Bei einigen Müttern passiert dies schon beim ersten Blick- oder Körperkontakt, bei anderen Erstgebärenden, die in einer Klinik entbinden, erst im Laufe einer Woche oder nach deren Entlassung (Robson/Kumar, 1980).
Neuere Studien zeigen, dass bei entsprechender mütterlicher Sensibilität bereits Neugeborene einfache positive Interaktionen durchführen können. Der Säugling kann bereits weitgehend die Kommunikation autonom einleiten und beenden, die sensible Mutter stimmt sich auf ihr Kind ein und beruhigt es mit sanfter, leicht erhobener Stimme und lässt das Baby dabei den „Ton angeben“, der zur Fortsetzung der beidseitigen Kommunikation animiert. Ähnliches passiert beim Stillen. Die Mutter verhält sich ruhig und passiv, solange der Säugling trinkt. In den Pausen hingegen streichelt und unterhält sie ihr Baby. Collins & Schaffer (1975) haben eine interessante Erfahrung bei der Kommunikation zwischen Müttern und ihren fünf bis zwölf Monate alten Säuglingen gemacht: In einem Raum mit viel buntem Spielzeug schienen Mutter und Kind denselben Gegenstand spontan anzusehen. Die genaue Beobachtung zeigte, dass dieser Impuls vom Baby ausging, bis die Mutter schließlich das Spielzeug in die Hand nahm und es benannte. So schaffte der neugierige Säugling, wenn sich die Mutter leiten ließ, bereits eine Basis für ein gemeinsames Erleben. Ainsworth und ihre Kollegen beobachteten auch noch, dass Babys von sensiblen Müttern seltener schrieen und den Eltern in geringeren Maßen zusetzten als solche von unsensibleren Müttern (Ainsworth et al., 1978).
Wichtig ist somit, wie feinfühlig sich eine Mutter auf ihr Baby einstimmen und dessen Signale deuten kann. Und genauso wichtig ist die Reaktion des Babys auf diese Signale. Manche Mütter nehmen diese häufig gar nicht oder erst viel zu spät wahr bzw. missdeuten sie oder reagieren oft falsch. Kinder entwickeln weitaus häufiger Verhaltensauffälligkeiten, wenn deren Mütter unsensibel reagieren, anderweitig beschäftigt sind oder ihr Kind ablehnen, es vernachlässigen bzw. seinen Expansionsdrang hemmen. Beobachtungen ergaben zwar in den ersten drei Lebensmonaten keinen Unterschied zwischen der Häufigkeit, mit der Babys weinten und der prompten Reaktion der Mütter darauf, jedoch schrieen jene Babys gegen Ende des ersten Lebensjahres wesentlich öfter, deren Mütter sie hatten schreien lassen. Dabei wurde bei Hausbesuchen die Zeit gestoppt, bis die Mütter zu ihren schreienden Babys gingen. Manche ließen ihre Säuglinge so lange schreien, bis sie es selbst nicht mehr aushalten konnten – im Glauben, sie werden sonst noch öfter schreien, wenn sie sich gleich ihnen zugewandt hätten, was die Studien Ainsworths eindeutig widerlegten. Andere Mütter wiederum litten an Depressionen oder Ängsten und waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder hatten zu viel um die Ohren und merkten deshalb überhaupt nicht, wenn ihre Babys geschrien hatten. Um diese ständigen Zurückweisungen und die damit einhergehende Angst, Wut und die Kränkungen nicht ertragen zu müssen, entwickeln diese Kinder, oft bis ins Erwachsenenalter, eine fortdauernde spezifische Bindungsangst, die ihr Bedürfnis nach Trost, Vertrauen und liebevoller Zuwendung unterdrückt.
Für die seelische Gesundheit des Kindes ist es überaus wichtig, in den ersten Lebensjahren eine beständige und intensive Beziehung zur Mutter oder einer Mutterersatzfigur zu haben. Das Kind soll wissen, wie wichtig es seiner Mutter ist, und dass sie Freude und Stolz mit ihm verbindet. Für beide soll es eine Erweiterung ihrer Persönlichkeit sein und sowohl Mutter als auch Kind sollen sich intensiv mit dem anderen identifizieren. Ebenso wie die Mutter das Gefühl braucht, zu ihrem Säugling zu gehören, braucht der Säugling das Gefühl, zu seiner Mutter zu gehören. Das macht es leicht, sich ganz dem Kind zu widmen. Denn die ständige Bereitschaft, 365 Tage und Nächte für das Kind da zu sein, gelingt nur durch eine tiefe Befriedigung in dieser Partnerschaft. Was Mütter und Väter für ihre Kinder leisten, wird oft als selbstverständlich gesehen. In keiner anderen menschlichen Beziehung stehen Individuen so vorbehaltlos und so beständig einer Person zur Verfügung. Was von Kritikern oft vergessen wird ist, dass dies auch bei schlechten Eltern der Fall ist. Selbst wenn eine Mutter ihr Kind vernachlässigt, tut sie trotzdem noch immer viel für dieses. Sie gibt ihm Nahrung, eine Unterkunft, tröstet es in seinem Kummer und lehrt es einfache Fertigkeiten – die schlimmsten Fälle sind dabei natürlich ausgenommen.
Selbst wenn die Eltern nicht gut in der Lage sind, sich um ihr Kind zu kümmern, fühlt es sich geborgen und weiß, dass es jemanden gibt, zu dem es sich zugehörig fühlt, bis es alt genug ist, für sich selbst zu sorgen. Nur von diesem Gesichtspunkt aus kann man verstehen, warum Kinder bei schlechten Eltern besser gedeihen als in guten Heimen, und warum Kinder mit solchen Eltern trotzdem so sehr an ihnen hängen. Ein Drittel aller Kinder, die fünf und mehr Jahre ihres Lebens in Heimen verbrachten, verhielten sich als Erwachsene sozial unangepasst. Traurigerweise werden all diese Erwachsenen größtenteils auch als Eltern versagen bzw. wird in deren Bindungsverhalten und Erziehung viel zu wünschen übrig bleiben. Kinder, die unter emotionaler Deprivation zu leiden hatten, schafften es als Erwachsene ebenfalls nicht, gut für ihre Kinder zu sorgen. Schlimmer jedoch als eine schlechte Familie zu haben, ist keine Familie zu haben! Selbst Kinder, die bei sehr guten Pflegeeltern aufwachsen, fühlen sich in ihrer leiblichen Familie verwurzelt, auch wenn diese sie vernachlässigt oder sogar misshandelt hat. Und sie nehmen jede Kritik über die leiblichen Eltern sehr übel!
Ursachen für das Versagen einer Familie können sein (vgl. Bowlby, 2016):
Uneheliche Geburt
Ein Ernährer ist arbeitslos geworden und es kehrt wirtschaftliche Armut ein
Chronische Krankheit oder seelische Erkrankung eines Elternteils
Labiler Charakter eines Elternteils
Gesellschaftliche Notstände wie Krieg, Hungersnot, Tod eines Elternteils
Eine zu Hospitalisierung führende Krankheit eines Elternteils
Ein Elternteil ist im Gefängnis
Ein Elternteil oder beide haben die Familie verlassen
Trennung oder Scheidung
Auswärtige Beschäftigung eines Elternteils
Volle Berufstätigkeit der Mutter
Ob die Kinder unter obigen Ursachen tatsächlich vernachlässigt werden oder nicht, hängt davon ab,
–ob ein oder beide Elternteile betroffen sind
–wenn nur ein Elternteil betroffen ist, ob Hilfe für die Mutter vorhanden ist
–ob Verwandte oder Nachbarn unterstützen und Hilfeleistungen anbieten
Eltern dienen als verlässliche Basis für Kinder, damit sie sowohl auf Entdeckung gehen können als auch sie jederzeit wieder aufsuchen können – in der Gewissheit, dass sie willkommen sind, verstanden werden, etwas zu essen bekommen und bei Ängsten beruhigt und getröstet werden. Wichtig ist, dass Eltern das Kind akzeptieren, stützen und ermutigen und nur im Ernstfall eingreifen. Kinder und Jugendliche entfernen sich von der elterlichen Basis allerdings nur, wenn sie um die Verlässlichkeit der Eltern wissen. Diese stabilisierende Funktion wird für das Kind, den Jugendlichen bzw. den jungen Erwachsenen schlagartig deutlich, wenn ein Elternteil erkrankt oder stirbt.
Selbstverständlich muss man in der Erziehung Grenzen setzen, jedoch auch Entwicklungsreize bieten bzw. sie bei der Lösung von noch zu schweren Aufgaben unterstützen. Je nachdem, ob die Eltern ihr Kind bei Herausforderungen ermuntern und loben oder es dominieren und bestrafen, ist dies für die weitere Entwicklung prägend.
Main & Weston (1981) untersuchten die jeweilige Elternbindung von etwa 60 Kleinkindern im Abstand von sechs Monaten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die jeweilige Mutter- und Vaterbindung weitgehend ähnlich war. Kinder können jedoch zur Mutter eine ganz andere Bindung als zum Vater haben. Kinder, die sicher an beide Elternteile gebunden waren, traten selbstbewusst und optimistisch auf, im Gegensatz zu den unsicher-vermeidenden und unsicher-ambivalent gebundenen Kindern. Diejenigen, die nur mit einem Elternteil eine sichere Bindung hatten, tendierten nach beiden Seiten. Zahlreiche Studien (Ainsworth, 1978) zeigen auf, dass Väter beim Kind sehr wohl auch die „Mutterstelle“ einnehmen können.
Kindern wird in Familien viel mehr Gewalt angetan, als das bislang angenommen wurde. Gewalt erzeugt Gegengewalt – somit ist sie in etlichen Familien geradezu Tradition. Erfahrungen solcher Art können Auslöser für viele ernsthafte psychische Störungen sein. Wir können heute nicht mehr darüber hinwegsehen, wie viele Kinder von ihren Eltern – bzw. zahlreiche Frauen von ihrem Ehemann bzw. Partner – gedemütigt und/oder misshandelt werden. Statt jedoch die Augen vor diesem entsetzlichen Verhalten der Eltern zu verschließen oder sie generell zu verurteilen, müssen wir ihre eigenen psychischen Störungen verstehen, ihnen seelisch und körperlich beistehen und, vor allem in jungen Familien, die Gewaltausbrüche möglichst unterbinden.
Wenn wir uns die alltäglichen, milderen Erscheinungsformen von Gewalt ansehen, können wir die Auswüchse in Familien besser verstehen. Wenn sich eine Mutter um das neugeborene Geschwisterchen kümmert, werden kleine aber auch größere Kinder oft zornig, weil sie sich dann weniger wichtig fühlen. Mütter wiederum werden häufig wütend, wenn sich ihr Kind einer Gefahr aussetzt, indem es z. B. blindlings über die Straße läuft. Auch Erwachsene werden oft ärgerlich oder eifersüchtig, wenn sich der Partner zu intensiv für eine andere Person interessiert. Angst und Wut entstehen somit immer dann, wenn wir die Bindung an einen geliebten Menschen bedroht sehen. Sind diese Gefühle situativ angemessen, sind sie durchaus sinnvoll und notwendig, da sie Gefahren abwehren und die Wichtigkeit der anderen Person gegenüber zeigen.
Wütende Reaktionen in Beziehungen können in drei Hauptkategorien gegliedert werden:
Sexuelle Beziehungen (Freund/Freundin, Ehegatte/Ehegattin)
Beziehungen zu den Eltern
Beziehungen zu den Kindern
Diese drei langfristigen Bindungen beeinflussen unsere Gefühle und unsere Grundstimmung. Sind sie intakt, fühlen wir uns ausgeglichen und glücklich. Sind diese gefährdet, werden wir ängstlich und mitunter wütend. Wir bekommen Schuldgefühle, wenn wir die Beziehung aufs Spiel gesetzt haben und wir trauern, wenn diese in die Brüche geht. Wird sie wieder fortgesetzt, leben wir wieder auf. Wahrscheinlich liegen diesem menschlichen Streben nach dauerhaften Beziehungen im Laufe der Evolution starke genetische Dispositionen zugrunde. Somit wirken langfristige, stabile Bindungen im Allgemeinen befriedigend, während gescheiterte Beziehungen Enttäuschung, Angst und Verzweiflung hinterlassen.
Viele Studien über misshandelnde Mütter haben größtenteil ähnliche Resultate erbracht (Spinetta/Rigler, 1972). Kinder werden in der Unterschicht zwar häufiger misshandelt als in der Mittelschicht, bei letzterer jedoch geschieht dies oft unter dem Deckmantel der Ehrbarkeit.
Obwohl die kalten, strafenden, zwanghaften, passiven, unausgeglichenen oder chaotischen Mütter auf den ersten Blick sehr verschieden wirken, haben sie doch psychisch viel gemeinsam, weil auffallend oft festgestellt wird, dass sie an schweren, von gelegentlichen Wutanfällen unterbrochenen, Angstzuständen leiden und trotz starker Abhängigkeitsbedürfnisse keine engen Beziehungen eingehen wollen oder können. Weil sie meist sozial isoliert und ohne Ansprechpartner sind, suchen sie häufig Zuwendung und Trost bei ihren eigenen Kindern, was diese natürlich überfordert (Morris/Gould, 1963). Einschlägige Studien zeigen, dass solche Frauen meist selbst eine bittere Jugend hatten, häufig geschlagen wurden und ohne basale mütterliche Zuwendung aufwuchsen (Steele/Pollock, 1968). Viele solcher Mütter hörten in ihrer eigenen Kindheit von ihren Eltern, dass sie sie verlassen würden – bzw. wurden ihnen Schläge, sonstige Misshandlungen oder gar die Tötung angedroht. Verständlich, dass Menschen mit einer solchen Vorgeschichte phasenweise von ihrem eigenen Kind bemuttert werden möchten und ungeduldig oder unbeherrscht reagieren, wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden.
Gehen wir der Frage nach, wie weit Misshandlungen die Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen, müssen wir auch all die anderen Formen verbaler und körperlicher Zurückweisung seitens der Eltern heranziehen. Schläge sind oft nur die Spitze des Eisbergs, darunter können seelische Grausamkeiten verschiedenster Art liegen, wie z. B. Zurückweisung, Vernachlässigung oder Abwertung. Den Eltern gegenüber verhalten sich misshandelte Kleinkinder meist sehr kühl und äußerst wachsam, weil sie stets ihre Sensoren ausgefahren haben und immer mit dem Schlimmsten rechnen. Solche Kinder lernen früh, ihre psychisch gestörte, gewaltbereite Mutter bereits durch vorauseilendes Fühlen zu besänftigen (Malone, 1966).
Es überrascht somit nicht, dass angesichts der beschriebenen Verhaltensweisen misshandelte Kinder Gleichaltrigen seltsam gefühllos bzw. trostbedürftig begegnen. Liebevoll und fürsorglich aufgezogene Klein- und Vorschulkinder können im Allgemeinen Trost und Mitgefühl zum Ausdruck bringen, wenn sie andere Kinder leiden sehen. Misshandelte Kinder reagieren auf diese jedoch mit einer Mischung aus Angst, Schmerz oder Wut und behandeln ein weinendes Kind eher feindselig oder schlagen es, bevor jemand einschreiten kann (vgl. Zahn-Waxler, Radke-Yarrow & King). Wir erkennen somit im Verhalten oder in den Äußerungen von Kleinkindern die exakte Nachahmung dessen, was sie am eigenen Leibe erfahren haben. Viele abgelehnte und misshandelte Kinder setzen später in ihrer eigenen Familie den Teufelskreis der Gewalt fort und zeigen genau dasselbe Sozialverhalten, wie sie es von klein auf kennen. Es liegt in unserer Natur, andere Menschen genauso zu behandeln, wie wir selbst behandelt wurden. Es ist wichtig, dass alle Eltern das wissen, um diesen Teufelskreis bewusst zu durchbrechen!
Der deutsche Psychoanalytiker Dr. Fritz Riemann (1961, 2017) hat dem Thema Angst viele Jahre seines Lebens gewidmet. Angst ist unvermeidlich mit unserem Sein verbunden und begleitet uns in verschiedensten Abwandlungen von der Geburt bis zum Tod. Wir versuchen immer wieder, sie zu erkennen, zu vermindern und zu überwinden. Zu glauben, dass wir ohne Angst leben können, ist aber eine Illusion. Sie gehört zu uns und ist eine Spiegelung unserer Abhängigkeiten und dem Wissen über unsere Sterblichkeit. Wir können uns nur mit der Angst auseinandersetzen und diese annehmen, um in einen Zustand von Mut, Vertrauen, Hoffnung, Macht, Glaube, Demut und Liebe zu kommen. Nur weil sie ständig unsere Begleiterin ist, bedeutet das nicht, dass wir sie permanent bewusst wahrnehmen. Doch da sie stets gegenwärtig ist, kann sie jeden Augenblick in unser Bewusstsein treten. Gerne vermeiden wir Angst und weichen ihr aus bzw. verdrängen, überspielen oder betäuben sie z. B. mit Alkohol oder anderen Drogen, um ihr nicht ausgesetzt sein zu müssen.
Angst gibt es in allen Kulturen; die Angstobjekte und die Maßnahmen, um dagegen anzukämpfen, ändern sich jedoch. Wir haben im Allgemeinen keine Angst mehr vor Blitz und Donner und können die Sonnen- und Mondfinsternis als interessantes Naturschauspiel bewundern, denn wir wissen, wie all dies entsteht und dass es nicht gefährlich für uns ist. Heute haben wir dafür Ängste entwickelt, die es in früheren Kulturen nicht gab, wie die Angst vor bestimmten Viren und Bakterien oder neue Bedrohungen unserer Gesundheit wie beispielsweise Verkehrsunfälle, aber auch die Angst vor Alter, Einsamkeit und Isoliertheit. Arbeitete man früher mit magischem Gegenzauber, helfen heute Psychotherapien oder Medikamente bei der Konfrontation und Verarbeitung dieser Emotion. Eine neue Angst scheint zu unserem modernen Leben zu gehören, nämlich die, die durch unser eigenes Handeln und Tun gesetzt wird und sich gegen uns wendet. Denken wir nur an die Angst vor den zerstörerischen Kräften in uns selbst – und all die Gefahren, die der Missbrauch von atomaren Kräften auslösen kann oder unsere Eingriffe in die Natur. So bringt der Fortschritt zugleich einen Rückschritt mit sich, der wieder neue Ängste zur Folge haben kann.
Jeder Mensch hat seine individuelle und persönliche Form von Angst – so hat sie eine persönliche Prägung bei aller Gemeinsamkeit dieses Erlebens an sich. Jede Angst hat auch immer eine Entwicklungsgeschichte, die mit unserer Zeugung beginnt.
Angst kann uns einerseits aktiv machen, andererseits kann sie uns lähmen. Sie ist ein Signal und eine Warnung bei Gefahren und trägt den Impuls in sich, sie zu überwinden. Damit bedeutet das Annehmen und Überwinden der Angst auch immer einen Entwicklungsschritt, der uns ein Stück reifen lässt. Ihr Verdrängen lässt uns dagegen stagnieren, macht uns hilflos und handlungsunfähig. Sie hemmt uns in unserer Entwicklung und lässt uns dort kindlich bleiben, wo wir die Angstschranke nicht überwinden können. Sind wir einer Situation noch nicht gewachsen, löst das oft Angst in uns aus. Jeder Reifungsschritt ist mit ihr verbunden, denn er führt uns in etwas Neues und in Situationen, die wir noch nicht erlebt haben und noch nicht kennen. Neben all dem Reiz und der Lust am Erforschen von neuen Abenteuern, begleitet uns dabei fortwährend Angst. Und da uns das Leben immer wieder neue Herausforderungen bietet, ist Angst unsere lebenslängliche Begleiterin.
Natürlich hat jedes Alter mit seinen Reifungsschritten auch seine dazugehörenden Ängste, die gemeistert werden müssen, damit der nächste Schritt gelingen kann. So gibt es ganz normale, alters- und entwicklungsabhängige Ängste, die ein gesunder Mensch bewältigen muss und die für seine Entwicklung wichtig sind. Das sind z. B. die ersten selbständigen Laufschritte eines Kindes, wenn es die Hand der Mutter oder des Vaters loslässt, der Kindergarten- oder Schulbeginn, wenn es in eine fremde Gemeinschaft hineinwachsen muss und sich behaupten soll, die Pubertät mit all ihren Selbstzweifeln, der Berufsbeginn, das Gründen der eigenen Familie und schließlich das Altern und die Begegnung mit dem Tod. Diese Lebensübergänge fordern von uns immer eine Grenzüberschreitung und die Lösung von etwas Gewohntem und Vertrautem, um uns in neue, unbekannte Gebiete zu wagen.