ankerplatz - Carolin Schmidt - E-Book

ankerplatz E-Book

Carolin Schmidt

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Beschreibung

Mit der Autobiografie Ankerplatz blickt die Autorin zurück auf 57 Jahre eines turbulenten von existentiellen Entscheidungen, Erfahrungen und Ereignissen geprägtes Leben. Mit 57 erfährt die Autorin vom Tod ihres bis dahin unbekannten Vaters. Diese Nachricht ist der Beginn einer Reise zu ihren familiären Wurzeln und einer bis dahin unbekannten Familie. Nach dem Aufwachsen bei ihrer Grossmutter in einem Dorf in Oberfranken zieht sie nach vielen Etappen in ihren Wunschort Freiburg. Dort legt sie die Grundsteine für eine fünfköpfige Familie und ihren Beruf als Juristin im Umweltrecht. Der mehrfache dramatische Verlust von Freunden und Angehörigen führt sie in persönliche Krisen. Mit fremder Hilfe gelingt es Ihr diese zu meistern, so dass sie heute gestärkt und zuversichtlich in ihre Zukunft sieht. Diese Zuversicht möchte die Autorin mit ihrer Leserschaft teilen, gerade in diesen mitunter unsicheren Zeiten.

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Seitenzahl: 98

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Intro

Erste Erinnerungen

Der hohe Norden

Keine Kompromisse

Leben im Exil

Die Wissenschaft des Rechts

Zwei Bretter und Schnee

Der Weg zum 2. Staatsexamen

Beamtin auf Probe

Der Start in die Familie

Ein Bruder

Jetzt sind wir komplett

Natürliche Ressourcen

Ein Haus am See

Frau Doktor

Ein viel zu kurzes Leben

Zeit für Veränderung

Schönes Tiroler Land

Eine Insel zum Verlieben

Krieg und Spiele

Geysire, Feen und Trolle

Schmetterlinge im Bauch

Ein kreativer Prozess

Ein früher Tod

Momente des freien Falls

Der weiße Rabe

Nachwort

Intro

Kurz nach meinem 57. Geburtstag erhielt ich von meiner Patentante einen Zeitungsausschnitt zugeschickt. Es war die Todes- und Traueranzeige meines Vaters. Unterzeichnet mit „die Angehörigen“, Beisetzung im Familienkreis.

Ich bin bei meiner Großmutter Hildegard aufgewachsen und habe meinen Vater nur zwei Mal in all den Jahren getroffen. Eine Vater-Tochter-Beziehung über zwei Momente des Lebens.

Die Anzeige machte mich daher nicht traurig, sondern neugierig. Wo war er beerdigt, wer waren diese Angehörigen? Über meine Tante fand ich heraus, dass mein Vater Alkoholiker war und mit Mitte siebzig an Krebs gestorben ist. Die Sucht hatte ihn besiegt, seine Beziehungen zerstört. Zuletzt lebte er bei seinem Halbbruder. Ich googelte dessen Adresse und bat ihn, mir den Ort des Grabes meines Vaters mitzuteilen. Einige Wochen später erhielt ich einen Brief mit Babyfotos von meinem Vater und mir, meiner Großmutter Selma und meinen unbekannten Halbgeschwistern sowie weiteren Verwandten. Außerdem eine Anfahrtsskizze zu einem Ruheforst in Oberfranken.

Ich sah es als meine moralische Pflicht an, sein Grab zu besuchen, und fuhr dorthin. „Eine Bestattung in einem Friedwald könnte ich mir auch für mich einmal gut vorstellen“, dachte ich mir, während ich vor seiner Urnenstelle stand. Nichts als Gene und unseren Namen teilten wir.

Auf den mir zugesandten Bildern entdeckte ich Ähnlichkeiten im Aussehen mit meinem Vater. Er spielte als Jugendlicher in einer Band, machte gern Musik, genau wie ich. Außerdem war er in seiner Jugend Ringer, also sportlich, genau wie ich. Gab es noch mehr? Warum war diese Beziehung so rudimentär, dieser Mensch eine Blackbox.

Wie sah es überhaupt mit meinen erlebten und derzeitigen Beziehungen aus? Welche Menschen, welche Erfahrungen, was genau hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin? Würde ich morgen sterben, hätte ich mir davor jemals die Zeit genommen, mir klarzumachen, was meine Basics wären?

Ich blieb lange in diesem friedlichen Wald, und dann machte ich mich auf die Suche nach meinen Wurzeln und nach Antworten. Und so fing es an.

Erste Erinnerungen

An den Tag meiner Geburt kann ich mich nicht erinnern. Lediglich an ein Foto, das mich auf dem Arm meiner Mutter zeigt.

Meine Mutter verließ meinen Vater, als ich zwei Jahre alt war. Sie ging nach Amerika. Da sie mich nicht mitnehmen und kein Kleinkind betreuen wollte, blieb ich bei meiner Großmutter Hildegard in Gernach. Da sie bereits vier eigene Kinder großgezogen hatte, war sie für meine Mutter eine geeignete Person ihre Tochter aufzuziehen.

Meine besten Freundinnen waren Anna und Conny. Sie wohnten direkt in der Nachbarschaft. Wir trafen uns meist bei Anna im Garten und taten so, als wären wir schon erwachsen. Eine Verabredung „zum Kaffeetrinken“. Da Anna, Conny und ich erst vier Jahre alt waren, hatten wir natürlich ein Miniaturkaffeegeschirr, ähnlich wie das der sieben Zwerge aus Schneewittchen. Oftmals wurde der Kuchen entweder von meiner Patentante Brigitte, die im Haus meiner Großmutter lebte, oder von Annas Mutter gestiftet. Beide waren hervorragende Kuchenbäckerinnen. Anschließend spielten wir mit unseren Puppen. Ich hatte eine Puppe, der man kleine Schallplatten einsetzen konnte. Dann konnte sie sprechen. Mit unseren Kinderwägen gingen wir dann spazieren und besuchten Annas Oma. Eine sehr liebe alte Dame, die aber häufig das Bett hüten musste, da sie aufgrund eines Herzleidens schwächelte.

Der Sommer 1969 war wunderbar, bis Anna angelaufen kam und sagte: „Die Oma ist gestorben!“. Als Kind, gerade mal vier Jahre alt, war ich dem Tod noch nie begegnet. Vor allem hatte ich mir noch nie ein Bild von einem toten Menschen gemacht. Da Annas Familie katholischen Glaubens war, wurde ihre Großmutter eine Woche lang zuhause aufgebahrt. Sie lag in ihrem besten Kleid in einem schwarzen Sarg, der von großen weißen Kerzen umrahmt war. Als ich sie mir ansah, überkam mich keine große Traurigkeit. Ihr Gesicht wirkte so friedlich und freundlich. Sie starb eben, wie sie gelebt hatte. Auch Anna schien nicht übermäßig traurig. Im Alter von 82 Jahren friedlich einzuschlafen war eben ein „schöner Tod“.

Wenn Anna keine Zeit zum Spielen hatte traf ich mich mit Conny. Ihre Eltern hatten kaum Zeit für sie, und so konnten wir oft allein für uns in ihrem großen Haus spielen, was auch immer wir wollten. Wir bauten uns eine Höhle aus allen verfügbaren Decken und verkrochen uns darin. Wenn Connys Mutter dann nach Hause kam, gab es wegen der Unordnung ein riesiges Geschrei. Kaum eine halbe Stunde später gab es dann zur Versöhnung Pommes Frites mit Mayonnaise und Ketchup. Conny hatte zwei Hunde, Trixi und Streuner. Sie waren eine Mischung verschiedenster Rassen und sahen entsprechend wild aus. Mit ihnen tollten wir oft im Garten herum. Wenn sie dann völlig zerzaust waren, badeten und striegelten wir sie, was sie genossen.

An meinem fünften Geburtstag fuhr meine Großmutter mit mir in den Nachbarort zum Metzger, um für mein Lieblingsessen einzukaufen. Leckere Würstchen mit Kartoffelsalat. Ich saß vorne auf ihrem klapprigen alten Fahrrad in einem Kindersitz, der an ihrem Lenker befestigt war. Plötzlich überholte uns ein LKW mit großer Geschwindigkeit und viel zu knappem Abstand, und wir stürzten. Während des Sturzes geriet mein Fuß in die Speichen des Vorderrades. Ich lag hilflos auf der Straße und mein Fuß steckte im Fahrrad, mehrfach gebrochen, und die Knöchel schauten aus dem blutenden Fuß heraus. Nachdem sich meine Oma aufgerappelt hatte, versuchte sie, ein Auto anzuhalten, um Hilfe zu holen. Zahllose Autos fuhren an uns vorbei. Endlich hielt eines an, und die Fahrerin half uns sofort. Ich musste mit dem Krankenwagen in die Chirurgie nach Schweinfurt gebracht werden. Dort wurde der Fuß gerichtet und behelfsweise bandagiert, damit er wieder zusammenwachsen konnte. Wegen der großen Fleischwunden konnte er nicht gegipst werden. Als ich wieder zuhause war, kam jeden 3. Tag ein Kinderarzt, um den Fuß neu zu verbinden. Nur sehr langsam heilten die großen Wunden. Da ich nicht laufen durfte, wurde mir alles Spielzeug ans Bett gebracht, was ich schön fand. Aber ans Bett gebunden zu sein, fand ich schrecklich, da ich es gewohnt war, den ganzen Tag an der frischen Luft zu verbringen.

Meine Freundinnen kamen oft zum Spielen, damit es mir nicht zu langweilig wurde. Meine Oma weinte oft, da sie große Angst hatte, dass der Fuß nicht gut heilen und ich gehbehindert bleiben würde. Aber alles ging gut, und nach einem halben Jahr konnte ich wieder barfuß herumhüpfen. Die großen Narben von den Austrittsstellen der Knochen sind übrigens noch heute zu sehen.

Meine Großmutter fuhr nach dem Sturz nie mehr Fahrrad mit mir, da der Schock sehr tief saß. Ich wollte aber schon bald selbst Rad fahren. Daher bekam ich zu meinem 6. Geburtstag ein wunderschönes rotes kleines Fahrrad. Damit lernte ich das Radfahren sehr schnell. Die kleinen Stürze mit diesem Rad waren völlig harmlos und führten nie zu Brüchen oder Ähnlichem.

Der Tag meiner Einschulung nahte, da ich im Januar meinen 6. Geburtstag gefeiert hatte. Meine Mutter, die ich nur von Postkarten und Weihnachtspäckchen mit Fotos aus Dallas kannte, hatte inzwischen einen Elektriker aus dem hohen Norden kennengelernt. Sie holten mich ab, da ich künftig bei ihnen leben und zur Schule gehen sollte.

Mit diesen beiden mir fremden Menschen zog ich in den hohen Norden um. Ich ging jedoch nur unter der Bedingung mit, die Sommerferien bei meiner Oma verbringen zu dürfen.

In der ersten Zeit vermisste ich meine Großmutter sehr. Mir fiel es schwer, meine neuen Eltern zu akzeptieren. Meiner Mutter fehlte die Warmherzigkeit meiner Oma. Mein Stiefvater gab sich alle Mühe, ein Vater zu sein. Er unternahm viel mit mir.

So kaufte er mir im ersten Winter Schlittschuhe. Wir fuhren an einen Flusslauf und liefen kilometerweit Schlittschuh auf dem zugefrorenen Fluss. Das Dahingleiten und das Geräusch der kratzenden Kufen auf der glatten Eisfläche des Flusses war wie eine Begleitmusik zu unseren gleichmäßigen Bewegungen. Da mein Stiefvater fast zwei Meter groß war, lief er mit großen ausschweifenden Bewegungen vorneweg. In der kalten Luft kondensierte unser Atem. Zurück im Auto gab es dann einen kindgerechten norddeutschen Grog zu trinken, eine Mischung aus Rum und Schwarztee, die uns aufwärmte. So schlief ich auf der Rückfahrt erschöpft ein.

Außerdem fuhr er zusammen mit seinem Halbbruder Motorrad-Trail-Rennen. Sie fuhren ein Horex-Gespann. Ich durfte dann im Fahrerlager mit einem roten Minimoped herumrasen und beim Säubern der Maschinen helfen. Überall roch es nach Rennbenzin. Wenn Sie gewonnen hatten, nahm mich mein Vater im

Beiwagen mit zur Siegerehrung. Den Siegerkranz bekam ich dann umgehängt. Zu dritt fuhren wir dann eine Ehrenrunde. Nach mehreren solchen Abenteuern bauten wir nach und nach eine familiäre Beziehung zueinander auf.

Doch nicht alles lief so gut. Oft kam es zwischen meinen Eltern über meine Erziehung, insbesondere welche Freiheiten ich haben sollte, zu Meinungsverschiedenheiten. Und mir fehlten die Möglichkeiten, die ich in Unterfranken gehabt hatte. Dort durfte ich in dem kleinen Dorf den ganzen Tag unterwegs sein, weil mich dort alle kannten. Hier musste ich mich an den Tagesablauf meiner berufstätigen Eltern anpassen. So verbrachte ich meine Zeit oftmals im Friseursalon, in dem meine Mutter arbeitete, bis sie fertig war. Dann gingen wir zusammen nach Hause. Am Abend kam dann mein Stiefvater aus seiner Elektrowerkstatt dazu. Wir wohnten direkt an einem Bahnübergang im Obergeschoss des Hauses meiner Großeltern stiefväterlicherseits. Da sie Kinder im Haus nicht gewohnt waren, regten sie sich über jeglichen Lärm auf. Freunde durfte ich nur nach Absprache treffen.

Meine Eltern kauften schließlich ein Haus in der Nähe, das mehr Platz bot und vor allem einen riesigen Garten hatte. Direkt hinter dem Garten lag ein großer Bauernhof mit Pferden. Jetzt konnte ich die Nachmittage auf dem Bauernhof verbringen, da ich mich schnell mit der Bauersfamilie anfreundete. Sie hatten ein altes Pony in Pflege, Sally, um das ich mich allein kümmern durfte. Allen ging es mit dieser neuen Wohnsituation viel besser. Dennoch vermisste ich mein Leben bei meiner Großmutter und meine Freiheit, ganz eng verbunden mit der Natur zu leben.

Natur, das war von Beginn an mein Ankerplatz, ebenso wie die enge Bindung zu meiner Großmutter.

Der hohe Norden

Der erste Schultag stand an, und ich stand mit meiner Schultüte in einer Reihe vieler aufgeregter Kinder. Meine langen dunkelblonden Haare waren zu zwei großen Zöpfen gebunden, mit denen ich mich wie Pippi Langstrumpf fühlte. Noch immer musste ich mich an die norddeutsche Sprache gewöhnen, die gänzlich anders war als mein unterfränkischer Dialekt, mit rollendem R und weichen D`s und T`s. Meine Klassenlehrerin war jedoch sehr sympathisch. Sie war für die damalige Zeit schon sehr modern gekleidet, hatte sehr kurz geschnittene Haare und sie strahlte eine natürliche Autorität aus. In unserer ersten Fibel stand: Emil geht zur Schule. Es dauerte eine Weile, bis wir das schreiben und lesen konnten. Mir fielen die ersten Schuljahre indes sehr leicht. Ich war immer neugierig, Neues zu lernen.

Meine Sitznachbarin an meinem kleinen Tisch auf unseren kleinen Stühlchen im Klassenraum 1b war Claudia (Claudi). Ihre Eltern hatten einen Gasthof im Ort. Wir freundeten uns sehr schnell an. Jeden Morgen gingen wir gemeinsam zur Schule. Mein Vater, den ich Papi nannte, brachte mich anfangs zur Kreuzung, an der wir uns jeden Morgen trafen. Manchmal durfte ich auch nach der Schule noch bei Claudi bleiben. Dann machte sie uns Pommes in der großen Küchenfritteuse. Am Nachmittag machten wir dann unsere Schulaufgaben gemeinsam.