Anmachen für Anfänger - Manfred Theisen - E-Book

Anmachen für Anfänger E-Book

Manfred Theisen

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Beschreibung

Der Klick zum Glück! Das wohl witzigste Jugendbuch über Flirten, Anmachen, Daten - und das alles mit Erfolgsgarantie!Anmach-Strategien, denen keine, aber garantiert keine Frau widerstehen kann? Rundumservice beim Traumfrau-Klarmachen – mit individueller Betreuung von Flirt-Experten? Julian traut seinen Augen kaum, als er im Internet auf einer Dating-Seite auf Christie stößt. Die ist Date-Doc und – ganz klar – die Lösung für alle seine Probleme. Julian will nämlich unbedingt ein Date mit Luise. Und braucht dringend Starthilfe …Witzig, ehrlich, männlich – authentisch wie ein Blog

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Seitenzahl: 340

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Manfred Theisen

Anmachen für Anfänger

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Inhalt

DienstagMittwochDonnerstagFreitagImmer noch FreitagSamstagSonntag

Und das Spiel beginnt …

Dienstag

Der Typ ist echt ein Schwätzer. Erst erzählt er ihr ganz wichtig, dass er schon mal Fallschirm gesprungen sei. Und legt dann gleich nach: Das allergeilste Gefühl überhaupt, labert er, sei aber Kitebuggy fahren. Spliff zieht die Augenbrauen hoch.

»Angeber«, murmelt sie und trinkt einen Schluck Cola.

Jetzt kommt der Typ richtig in Fahrt. Wenn er sich so in seinem Buggy mit siebzig Sachen über den Strand von St. Peter Ording ziehen lasse, schwärmt er, fühle er sich »so unglaublich frei«. Laber Rhabarber.

Spliff gähnt. Das kennt sie schon. Die Nummer ist Standard bei Kerlen wie dem. Jetzt kommt er ihr gleich noch mit dem Boot von seinen Eltern. Sie trommelt ungeduldig mit den Fingernägeln auf die Tischplatte. Na, was ist? Komm, erzähl’s mir, honey. Noch ein Schluck Cola. Kurzer Blick auf die Uhr. Und? Bingo! »Auf dem Wasser cruisen ist aber auch nicht schlecht«, tippt er. »Wir haben übrigens ein ziemlich cooles Teil im Hafen liegen …« Was für ein hohles Blablabla! So wie der angibt, klingt jedes Boot nach Yacht. Oh, und natürlich kennt er alle Surfgelände zwischen Nordseeküste und Barbados. Fehlt nur noch die Platin-Kreditkarte – und jetzt fragt er sie nach ihrer Telefonnummer. »Live kann man sich doch viel besser unterhalten.«

Spliff kichert. Wie bescheuert kann man eigentlich sein?

»Oh Mann«, seufzt sie und schüttelt den Kopf. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Langsam steigt die Empörung in ihr hoch. Was bildet der Typ sich eigentlich ein? Dass alles mit zwei Titten einen Barcode auf dem Hintern hat? Will der sie auf die plumpe Protztour anmachen? Für was hält der sich eigentlich? Und vor allem: Was glaubt er, wen er da vor sich hat?

Ein Schluck Cola zur Abkühlung, dann schreibt sie freundlich und professionell: »An dieser Stelle breche ich ab. So long, Kiter.«

Zack. Auf Wiedersehen. Zufrieden macht Spliff einen Haken auf ihrer Liste. Geschafft, das war vorerst der Letzte. Draußen ist so ein wunderschöner heller Tag, da sollte man sich nicht ärgern. Andererseits: Warum glauben diese Angebertypen eigentlich immer, dass sie jede Frau rumkriegen, einfach so? Talentlose Naturtalente, allesamt!

Spliff zieht scharf die Luft durch die Zähne. Glauben solche Machos allen Ernstes, dass sie mit dieser Tour gute Frauen abkriegen?

Heute hat sie mit acht Männern gechattet. Zwei waren in Ordnung, fünf schlicht verblasene Zeit – und der hier ist einfach nur überheblich.

Spliff schüttelt noch einmal den Kopf. Na gut, sie liest wenigstens noch, was er auf ihre Abfuhr antwortet, nur der Vollständigkeit halber. Damit soll’s das aber auch gewesen sein. Typen wie der sind wie Herpes, sagt Adviye, sie kommen immer wieder. Spliff grinst.

Er schreibt: »Wie? Du brichst unseren Chat ab?«

Sie antwortet: »Tut mir leid, aber meine Mutter ruft nach mir.«

»Deine Mutter?«

»Hast du etwa keine?«

»Du musst verdammt gut aussehen, sonst könntest du nicht so eingebildet sein.«

»Das musst du schon selbst beurteilen. Guck auf mein Bild, links oben. ☺«

Enter.

Spliff hält die Luft an. Scheiße. Was war das denn? Hat sie das da wirklich geschrieben? Muss die Hitze sein, denkt sie. Die vernebelt einem ja das ganze Hirn. Aber trotzdem – unprofessionell war das eben schon. Und zwar so richtig. »Scheiße«, murmelt sie noch einmal und steht auf.

*

»Geht’s noch?«, schnaubt Julian und starrt fassungslos auf den Bildschirm. »Sehr witzig«, tippt er dann und nimmt einen Schluck Sprudel. Zur Abkühlung. Was glaubt die Tante eigentlich, wer sie ist? Schließlich ist auf ihrer Facebook-Profilseite nur das Symbolbild zu sehen, mehr nicht. Was hat ihn da nur geritten, als er überhaupt auf ihre Freundschaftsanfrage eingegangen ist? Langeweile? Er hat ihr sein halbes Leben verraten und sie ihm null von sich. Außer dass sie Christie heißt. Na toll. Verschwendete Zeit. Und wahrscheinlich ist das nicht mal ihr richtiger Name, denkt Julian. Die ist sicher verkniffen wie ’ne Bügelfalte. Totaler Reinfall. Was mache ich hier eigentlich? Bin ich eigentlich bescheuert? Muss die Hitze sein. Die vernebelt einem ja das ganze Hirn.

*

Sie greift nach dem iPad und schlendert damit zum Kleiderschrank. Aus dem Spiegel in der Schranktür lächelt Spliff ihr eigenes Gesicht entgegen: zwei Grübchen rechts und links, tief wie Tropfen. Sie öffnet leicht den Mund und gibt den Blick auf ihre perfekten Zähne frei. Jeder einzelne, weiß und gerade, ist eine Reklame.

Sie ist niedlich. Keine Frage. Nur mit ihrem Namen hadert sie manchmal. Spliff. Was ist das denn für ein Name? Christie wäre einfacher. Spliff heißt schließlich keiner, den sie kennt. Und wer weiß heute bitte noch, dass sich so nicht nur die deutsche 80er-Jahre-Lieblingsband von ihrer Mutter nannte, sondern dass Spliff auch noch ein anderes Wort für Joints ist. Sie seufzt. Aber was soll man von Mama auch anderes erwarten? »Wer Birgit kennt, den wundert nichts mehr!«, sagt Sandro immer. Und der muss es ja wissen. Schließlich ist er das Beste, was Mama seit Langem passiert ist.

Spliff lächelt. Ihr Spiegelbild lächelt selbstbewusst zurück. Ja, sie ist wirklich hübsch. Wenn sie lächelt, sind die Männer bereit.

 

Sie schlendert zurück zum Schreibtisch und tippt: »Hi, Julian. Ich geb dir einen Hinweis, ganz gratis. Du solltest nicht ständig von dir reden, sondern dich vor allem für deine Chatpartnerin interessieren. Wie ich auf deinem Profil sehe, bist du doch eigentlich ein hübscher Junge, also versau es dir nicht durch dünnes Gerede. Lass einfach mal die ganzen ICHICHICHs weg, dann kommst du garantiert weiter. Es fällt nämlich nicht jede auf dein Platin-Credit-Card-Gehabe rein.«

Seine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: »Kennst du das Märchen vom hässlichen Entlein?«

»Warum?«

»Es könnte dir Hoffnung geben.«

»Nicht jede, die im Netz nicht gleich ihre ganze Identität preisgibt, ist automatisch hässlich.«

»Sondern … ?«

»Ich muss jedenfalls weiter.«

»Haare färben?« Er muss grinsen, als er dies in die Tastatur hackt. Sie hat angebissen. Vielleicht steht sie nicht auf ihn, aber aus der Reserve locken lässt sie sich trotzdem. Gutes Gefühl.

»Okay, ich geb’s zu, Mr SUPERMANN. Ich bin hässlich, hab ’nen Kopf wie ’ne Ananas und bin fett wie ’n Big Mac.«

»Yes, Misses-Know-It-All. I believe that ☺.«

Spliff schäumt. Was bildet sich der Idiot überhaupt ein? Da gibt sie ihm einen guten Rat, ganz gratis und gut gemeint, und was macht der Typ? Hat nichts Besseres zu tun, als sie blöd von der Seite anzumachen. »Geh einfach auf www.a-date-a-day.de und guck dir mal die Frau an, die da fürs Daten zuständig ist«, schreibt sie und könnte sich im nächsten Moment ohrfreigen dafür. Was ist eigentlich los mit dir? Spinnst du jetzt total? Verdammt noch mal, wo bleibt deine Professionalität? Du benimmst dich wie ein bescheuerter Anfänger! Ach Scheiße, und die Cola ist auch leer.

Der Curser blinkt unruhig vor sich hin. Der Typ lässt sich Zeit. Wahrscheinlich surft er gerade auf www.a-date-a-day.de …

 

Doch das tut er nicht, denn Julian gießt sich gerade Sprudel nach und schreibt provozierend: »Du sollst echt fürs Daten zuständig sein?«

»Exakt. Genau das bin ich. Guck nach oder lass es.«

 

Julian pfeift durch die Zähne. »Wow, na, die hat es ja echt nötig.« Doch als er ihr wieder schreiben will, ist sie schon nicht mehr online. Wie ätzend! Andererseits: Wenn sie so viel Wert darauf legt, dass er ihr Foto sieht, kann sie nicht hässlich wie die Nacht sein. Oder doch? Dann hätte sie aber ein richtiges Problem. Soll es aber ja auch geben. Er kann nicht anders, googelt sofort die Seite. Da: www.a-date-a-day.de – Das NetMagazin für Dateprofis.

Er klickt sich durch die einzelnen Kategorien. Startseite, Dating-Hilfe, Pick ups, Flirten lernen, Erfolgsstorys, FAQ, Kontakt. Einen Blog gibt es auch. Julian klickt auf das Icon BLOG. Eine gewisse Spliff Schellmann leitet ihn. Sie ist eine Datedoc – was auch immer das genau sein mag. Dann heißt diese Christie also gar nicht Christie, sondern Spliff? Was für ein abgedrehter Name. Klingt wie die Bezeichnung für ein Karnickel auf Dope.

Er liest:

 

GODZILLA&: »Hab SIE kennengelernt. Bin auf SIE zugegangen, ganz nach Plan. Und SIE? Ist einfach weg. ☺☺☺«

QUEEN17: »Ist irgendwas Abschreckendes an dir? Würde dann vielleicht auch weglaufen.«

GODZILLA&: »Denk nicht!«

QUEEN17: »Hoffe nicht, dass du dich selbst falsch einschätzt.«

HAWAIIFUN: »Ich kenne Godzilla! Der hat zwar keinen BUCKEL, aber seine Körperhaltung ist furchtbar. Schultern vor, Brust zurück. Wenn der irgendwo reinkommt, ist der Raum nicht voller, eher leerer. ☺«

SPLIFF (DATEDOC): »Bitte keine DizzSprüche, lieber HawaiiFUN. Think positive! Du gehst auch nicht immer mit durchgestrecktem Kreuz aufs Target zu.«

HAIWAIIFUN: »Klar tu ich das. ☺ Höre ja stets auf meine Lehrmeisterin Spliff!!!!«

GODZILLA&: »Rufe Datedoc! ☺ Wie soll ich denn auf mein Ziel zugehen???«

SPLIFF (DATEDOC): »Es geht also ums Approachen, um die Annäherung. Wichtigste Grundregel: Du solltest keine Körperhaltung annehmen, als würdest du dich gleich aus einer Kanone schießen lassen. Keine zusammengekniffenen Schultern! Geh gerade, Brust ein wenig vor, Schultern leicht zurück.«

GODZILLA&: »Wie so ’n Alphamännchen, meinst du?«

SPLIFF (DATEDOC): »Nein. Du musst so rüberkommen, als ob du einen Alphastatus hast. Die meisten Männer strecken ihre Brust zu sehr raus. Das wirkt, als ob sie sich angegriffen fühlen und sich verteidigen müssten. Geh mal in den Zoo und guck dir einen Silberrücken bei den Gorillas an. Der streckt auch nur die Brust raus, wenn wirklich Gefahr droht, ansonsten ist der ganz lässig – souverän eben. Frauen stehen auf souveräne Männer, keine hektischen Streitsucher. Ein wahrer Alpha-Kerl kann getrost locker sein. Weil er nämlich sicher weiß, dass ihn keiner anzugreifen wagt! Und noch was: Geh langsam auf die Frau zu. Lass dir Zeit! Fixiere sie mit einem Lächeln.«

GODZILLA&: »Krieg ich nicht hin. Meine Körperhaltung ist echt mies. Da hat HawaiiFUN recht.«

HAWAIIFUN: »Hörst du, Datedoc? Ich bin kein Mobber, sage nur die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit.«

SPLIFF (DATEDOC): »Ja, ja, schon gut, HawaiiFUN. Und einen Rat an dich, Godzilla: Mach ein paar Liegestütze, morgens und abends. Die trainieren genau die Muskeln, die deine Schultern zurückziehen.«

GODZILLA&: »Reicht das etwa schon?«

SPLIFF (DATEDOC): »Unterschätz es nicht. Jeden Tag Liegestütze klingt einfach, aber in ein paar Tagen hast du womöglich keine Lust mehr, wirst faul. Dann heißt es: HALT DURCH! Denn HD tut weh!«

GODZILLA&: »Okay, ich versuch’s.«

 

Julian hat sich festgelesen. Wenn ihre Definition von Alphatier stimmt, sollte er künftig wirklich ein bisschen lockerer sein. Verteidigungshaltung nennt sie das. Komisch, er hat bis gerade eben geglaubt, dass es gut ankommt und Sicherheit ausstrahlt, wenn er ein bisschen breitbeinig geht. O-Beine sind männlich, leichte X-Beine weiblich. So lautet doch die Regel, oder? Tja, Julian, falsch gedacht! Man lernt eben nie aus. Beeindruckend, die Tussi. Hat’s echt drauf. Was sie da so schreibt, klingt logisch. Benedikt ist doch das beste Beispiel: Der wirkt immer und in allen Lebenslagen so souverän. Im Gegensatz zu ihm redet Benedikt auch nicht so viel, sondern hält sich mit Bedacht zurück. Andererseits sieht es in Sachen Frauen auch nicht besser aus als bei ihm: Benedikt verschreckt die Mädels durch seinen messerscharfen Verstand. Naja, egal. Julian klickt sich auf die »Unser Team«-Site und schaut sich Spliffs Foto an. Ihr Gesicht ist schmal, keine Pausbacken, hohe Wangenknochen, voller Mund, große braune Rehaugen – unglaublich attraktiv. Sie hat nicht nur was im Köpfchen, sondern ein hübsches noch dazu. Ein richtig hübsches sogar. Scheiße, ich hätte dranbleiben sollen!, denkt er.

*

Geschafft. Spliff loggt sich aus und betrachtet zufrieden die Liste auf ihrem Schreibtisch. Sie ist durch! Heute war der letzte Tag; zwei Wochen Speed-Anmache; Feldforschung für die Wissenschaft. In dieser Woche hat sie jeweils acht Männer pro Tag auf Facebook angegraben – unter dem Fake-Namen Christie. Vergangene Woche waren die Frauen dran gewesen – da war sie als Josh Kannengießer unterwegs. Mit dem perfekten Profil. Selbstverständlich alles gelogen, aber höchst wirksam bei der Zielgruppe:

 

Job: Student der Medizin, sechstes Semester – denn Frauen mögen Bildung und Top-Jobs (oder wenigstens die Aussicht darauf).

Hobby: Motorrad fahren – denn irgendwie stehen viele Frauen immer noch auf PS. 

Sport: Rudern – denn das lässt auf einen guten Oberkörper schließen –, Ski fahren und Rudern – klingt zwar ein bisschen elitär, vor allem aber nach genug Taschengeld.

 

Spliff grinst, als sie an die Aufregung denkt, die sie mit ihrem Avatar Josh Kannengießer bei ihren Geschlechtsgenossinnen ausgelöst hat. Klar, war ja auch ein sexy Angebot für Frauen, ihr Fake-Traummann: Ein gut aussehender künftiger Versorgertyp, der sich seinem Chatverhalten nach nicht nur mit seinem eigenen Körper gut auskennt und der SIE gut behandelt. In den Gesprächen hat Josh dann noch einfließen lassen, dass seine Zukunft gesichert sei – weil seinem Vater eine gut laufende Praxis gehöre. Mehr war gar nicht nötig. Trefferquote: Hundert Prozent.

Sie blickt auf ihre lange Checkliste mit den Häkchen, denkt an die Namen, schüttelt den Kopf, während sie die Chats noch einmal vorbeiziehen lässt. Knapp 50 Typen und genauso viele Frauen. 100 Gespräche, in denen es nur um das eine ging: Erfolgreich baggern. Eröffnung, Smaltalk und Heartbreak.

Vor allem der Chat mit den Männern war aufschlussreich. Einige Typen sind echt unglaublich – sie verlieren jede Hemmung, wenn sie im Netz unterwegs sind. Die Frauen sind da insgesamt dezenter.

Spliff seufzt. Als Datedoc auf dem Laufenden zu bleiben, ist eine Ochsentour. Tierfilmer kaufen sich einen Geländewagen, fahren in die Serengeti und warten tagelang hinterm Busch, bis die runde Stabheuschrecke endlich mit der eckigen kopuliert. Sie lauert im World Wide Web, bei Facebook, Twitter, friendscout24.de und Planet Liebe, um die Liebenden in freier Wildbahn zu erforschen.

 

Neben Adviyes Profile Picture leuchtet ein grüner Punkt. Sie ist online.

Spliff lächelt. »Na?«, schreibt sie.

»Selber Na?!«, kommt prompt. »Zeit zum Chatten?«

»Klar! Jetzt bin ich nicht mehr im Druck. Hab meine Recherche abgeschlossen.«

ADVIYE: »Na endlich. Willkommen zurück im wahren Leben!«

Spliff schmunzelt; Adviye ist eine echte Off-Line-Freundin. Ihre älteste. Noch aus der Schulzeit. Niemand kennt sie besser als Adviye.

SPLIFF: »Muss nur noch die Ergebnisse auswerten.«

ADVIYE: »War denn auch einer für dich mit dabei?«

SPLIFF: »Gääähn. Frag nicht!!!!«

ADVIYE: »Da bist du die beste Datedoc der Welt – und selbst kommst du nicht in den siebten Himmel.«

SPLIFF: »Du glaubst gar nicht, wie viele peinliche Protztypen im Netz unterwegs sind. Mit denen will ich nicht im Aufzug stecken bleiben! Mein letzter …«

ADVIYE: »… hat dich provoziert? ;-) Ach, Spliff …«

SPLIFF: »Exakt. Aber ich will keine Provokation, ich will Kribbeln im Bauch!«

ADVIYE: »Dann musst du zurück zu Henning.«

SPLIFF: »Nein!«

ADVIYE: »Henning hast du geliebt.«

SPLIFF: »Weiß ich selbst. Aber Untreue ertrag ich nicht.«

ADVIYE: »Hast ja recht. Wenn mein Freund fremdgehen würde, würde ich vermutlich zur Kettenraucherin.«

SPLIFF: »Ich will spüren, dass der Typ auf der anderen Seite nicht nur eine große Klappe hat, sondern auch ein Herz. Verstehst du? Er soll mich an der Seele berühren.«

ADVIYE: »Du willst zu viel, Miss Datedoc. ;-)«

SPLIFF: »Das sagst du!? ☺«

ADVIYE: »Ich bin die Ausnahme. Ich such schließlich den SUPERTÜRKEN. ☺ Bloß: Wie soll ich den in Wedel finden? Es gibt kaum Auswahl im Haifischbecken – kannst du mir glauben. Das ist, als ob du in Istanbul nach Eisbären suchst.«

SPLIFF: »Und deshalb rauchst du Kette?«

ADVIYE: »Vermutlich. Jedenfalls finde ich es gut, dass du mich so durchschaust.«

SPLIFF: »Bei dir im Büro arbeiten doch jede Menge Türken?«

ADVIYE: »Im In- und Export sind nur Schlitzohren unterwegs. Das sind keine Normaltürken, mit denen du zusammen sein möchtest, das sind Ganoven. Die denken nur an Geld und Cabrios. Und außerdem nehmen die eine wie mich nicht geschenkt. Da brauchst du dicke Titten, lange Beine – und Hirn ist verboten.«

SPLIFF: »Lange Beine hast du aber doch!«

ADVIYE: »Schon, aber du brauchst ukrainisch lang. Vielleicht sollte ich mir die Haare kürzer schneiden lassen und …«

SPLIFF: »Lass die Haare. Denk an die Reifezeichen, wenn du bei den Typen erfolgreich sein willst. Du hast schließlich leicht kindliche Pausbacken, da stehen nicht alle drauf – zumindest solange du unter vierzig bist ;-) Die langen Haare kaschieren das etwas.«

ADVIYE: »Du kannst einen echt aufbauen, Frau Doktor.«

SPLIFF: »Na ja, ich muss mir ja irgendwie Patienten für meine künftige Praxis beschaffen.«

ADVIYE: »Mir wirst du es ja wohl kostenlos machen.«

SPLIFF: »Versprochen :D!«

ADVIYE: »Was ist eigentlich mit dem Typen von der Uni, mit dem du dich getroffen hast?«

SPLIFF: »Nicht prickelnd. Ich glaub, ich bin nicht seine Einzige. Ich habe ihn in Facebook etwas ausgeleuchtet.«

*

Wer zum Teufel ist da so penetrant? Das Handy klingelt hartnäckig. Genervt greift Julian in seine Jeans, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen. Er liest immer noch im Chat auf www.a-date-a-day.de und hat null Bock, zu telefonieren.

Benedikt.

Julian seufzt und hebt ab. »Wo bist du gerade?«, fragt er, statt einer Begrüßung.

»Vor deiner Tür.«

Julian schaut aus dem Fenster.

Benedikt winkt.

»Du wolltest doch heute Kitebuggy fahren?«

»Keinen Bock mehr. Los, mach die Tür auf!«, sagt Benedikt und grinst.

»Ne, ich komme.« Julian packt seinen Laptop und geht raus.

Benedikts Augen sind unter der Brille, deren Gläser sich bei Sonnenlicht dunkel färben, kaum auszumachen. Wie er jetzt so dasteht, grinsend, entspannt und wie ein Fragezeichen – Hintern rein, Hüfte raus, sieht er ein bisschen nerdig aus. Er ist genau der Typ Oberstufenschüler, der überall eins steht, ob im LK Physik oder im Grundkurs Deutsch, und er kann dir die Spin-Theorie bis in ihre Einzelheiten hinein erklären. Andererseits: Bene ist sein bester Freund.

»Schlapp nicht rum wie ein Mädchen«, knurrt Julian kurz angebunden und geht voraus in den Garten. »Los, komm, ich muss dir was zeigen.«

»Was denn?« Benedikt schaut gespannt auf den Laptop.

»Guck’s dir an. Ich hatte gerade einen unglaublichen Chat.«

»Mit einer Frau?«

»Nee, mit nem Alien. Klar – mit ner Frau.«

»Wird sowieso nichts draus.«

»Abwarten.«

Die beiden setzen sich auf die Bank im Vorgarten von Julians Eltern. Julian zeigt Benedikt auf dem Laptop die Seite von a-date-a-day.de, dann das Foto von Spliff.

»Wow, die dürfte mich überall hin daten«, witzelt Benedikt und geht näher an den Bildschirm ran. »Die geilen roten Haare sind aber nicht echt oder?«

»Weiß nicht. Müsste man unter der Gürtellinie nachschauen.« Julian ist genervt. »Mann, ich hab nur mit ihr gechattet, klar? Jedenfalls wollte sie mir eben doch tatsächlich erklären, wie es mit den Mädels läuft.« Wie sehr sie ihn mit ihren Infos auf dem Netz überzeugt hat, verschweigt Julian seinem Kumpel lieber.

»Wäre gar nicht schlecht, wenn du mal von einer Frau ein paar Tipps annehmen würdest«, sagt Benedikt mit einem leichten Vorwurf in der Stimme. »Datedoc klingt übrigens gut. Zeig noch mal das Foto. Ne, sieht echt super aus, die Tussi. Irgendwie hat sie aber was Strenges im Gesicht. Vielleicht ist es dieses spitze Kinn … Domina mit Grübchen – das kommt echt so was von geil!«

Die beiden grinsen blöd bei dem Wort ›Domina …‹.

»Der Name ist auch geil: Spliff. Klingt nicht nur abgefahren, ist auch abgefahren.«

»Wieso?«

»Weil das die westindische Bezeichnung für Joint ist. Wer weiß, wie gut die sich mit Drogen auskennt …«

»Woher weißt du denn, was Spliff ist?«

Benedikt zuckt mit den Schultern. »Da Nerds alles wissen, weiß ich eben auch das.«

»Na klar. Aber nur weil du ein Physikstreber bist und eine Hornbrille trägst, bist du noch lange kein Nerd.«

»Wieso?«

»Weil du eine Eins in Sport hast und versaut bist. Haben Nerds eine Eins in Sport und reden versaut?«

»Nein.«

»Na also. Deshalb bist du kein Nerd.«

»Ich kann mich ja über deine versiffte Tastatur aufregen. Bin ich dann einer?«

Julian gähnt. »Lass gut sein.«

»Deine Tastatur ist wirklich versifft. Ist das Brötchen zwischen r und t?« Er pult einen Krümel zwischen den beiden Tasten hervor.

»Gratuliere. Du bist echt auf dem Weg, mich zu nerven«, sagt Julian. Dann klickt er auf das Icon »Richtig flirten/Pick up« und liest Benedikt vor:

»Regel Nr. 1. Sei seriös, mach keine Faxen und erzähl nicht so viel von dir, sondern kümmere dich um sie.« Er stockt. »Das hat sie mir auch beim Chat mit auf den Weg gegeben. Ich kann solche Tanten nicht ab, die wissen immer alles …«

»Lies mal weiter«, unterbricht ihn Benedikt. »Ich finde es gut, wenn es definierte Regeln in Sachen Kennenlernen und Sex gibt. Mir waren bislang nur die Standards bekannt. Nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und rumknutschen erst, wenn – na ja, äh.« Keine Frage, jetzt hat es Benedikt auch erwischt. Die beiden stecken die Köpfe zusammen und lesen fasziniert:

Ihr wollt wissen, warum sich Frauen bei der Wahl ihres Partners prinzipiell anders verhalten als Männer?

Die Antwort müsst ihr Männer doch schon ahnen!

Weil Frauen schwanger werden und Männer nicht!

Ihr werdet lachen – bitteschön –, aber lest erst mal weiter, lernt vom Urweib.

Stellen wir uns einen sexy Urmann und eine hübsche Urfrau vor. Die beiden haben weder Kondom noch Pille, sondern nur Keule und Busch, hinter dem sie sich verkriechen. Und kopulieren. Langes Approachen mit Eröffnung, Augenflirt, Reden etc. war damals noch nicht angesagt.

Julian und Benedikt schauen sich an und grinsen, als würde Dirk Nowitzki gerade für die Dallas Mavericks im entscheidenden NBA-Finale dreißig Körbe werfen.

»Wie die Tiere. So sehen wir es auch! Stimmt’s, Benedikt?« Julian hält seinem Kumpel die Hand hin, der schlägt begeistert ein. Klatschen.

»Los, weiterlesen«, murmelt Benedikt heiser, und schon stecken sie wieder die Köpfe zusammen und starren auf Spliffs Blog.

Langes Approachen mit Eröffnung, Augenflirt, Reden etc. war damals noch nicht angesagt.

Für gerade mal fünfzehn Sekunden Spaß – falls die überhaupt drin waren – riskierte Lady Neandertal neun Monate lang einen dicken Bauch und im Anschluss daran Nachwuchs-Versorgen für die nächsten x Jahre. Und er? Nun, er konnte nach den fünfzehn Sekunden Spaß ganz einfach seine Keule packen und sich damit zur nächsten paarungswilligen Dame aufmachen.

Will heißen: Lady Neandertal musste höllisch aufpassen, dass der Kerl, auf den sie sich einließ, nicht nur gut fürs Bett war, sondern auch noch ein potenzieller Ernährer. Nicht nur ein Liebhaber für eine Nacht, sondern einer, der sie auf lange Sicht und vor allem auch dann noch lieb hat, wenn ihr Bauch rund und der Nachwuchs irgendwann da ist.

Benedikt schaut auf. Sichtlich beeindruckt. »Ganz schön viele Informationen für kostenlos, oder?«

»Du glaubst gar nicht, wie viele Infos die Tante im Chat zu bieten hat.«

»Hä? Im Bett?«, fragt Benedikt und hält seine Hand an die Ohrmuschel. Sein Grinsen spricht Bände.

Julian grölt und schlägt wieder ein. Dann wird er ernst und nickt anerkennend. »Die kennt sich wirklich aus. Egal wie idiotisch die Typen im Chat sind, Lady Datedoc bleibt sachlich, ganz Profi.«

»Bist wohl ein Fan von ihr?«

»Quatsch. Äh, na ja, wie auch immer. Auf alle Fälle sieht sie gut aus. Aber das ganze Gelaber klappt ja sowieso nicht. Am Ende musst du dich ja doch alleine durchschlagen, jeder für sich …«

Benedikt grinst dreckig. »Machete und Dschungel? Durch den Busch? Der hoffentlich so rot ist wie die Haare auf ihrem Kopf …«

Die beiden lachen über Benedikts versauten Spruch. Selbst wenn Bene nicht zum Schuss kommt – seine Sprüche sind erste Sahne. Ob die Frauen das allerdings auch so sehen?

Sie lesen weiter:

Damit wir Frauen unser Herz nicht an den Falschen verschleudern, hat uns die Urfrau eine Grundskepsis gegenüber Männern hinterlassen. Sie steckt tief in unseren Genen wie die Angst vor Spinnen oder Schlangen. Auch wenn wir heute Kondome, Pillen und Alimente haben, ist unser instinktives Verhalten noch immer von dieser Urangst bestimmt. Und deshalb haben wir im Laufe unserer weiblichen Evolution ein paar simple Taktiken entwickelt, um nur die besten Männer an uns heran- und in die verbotene Zone vorzulassen.

Beispiel Poolmethode: Dabei flirtet SIE gleich drei oder vier Männchen an – sozusagen einen ganzen Männer-Pool –, im Chat, im Büro, in der Schule, Uni oder im Sommercamp. Und das alles mit dem einen Ziel: Die Kerle werden von ihr abgecheckt, warmgehalten, aber erst einmal nicht rangelassen. Sie will nämlich ihren Mister Perfect und nicht nur den Good Looking Boy. Dieses Auswahlverfahren dauert seine Zeit und hat zur Folge, dass sie sich ständig alle Männer warmhalten muss, die in der engeren Auswahl sind. Das wiederum hat im Laufe der weiblichen Evolutionsgeschichte allerdings dazu geführt, dass Frauen so schlecht ein »Nein« signalisieren können. Sie sagen zwar ab und an »nein«, aber ihre Körpersignale sprechen eine andere Sprache: Die sagen zu 60 Prozent »jajaja«, wenn sie einen Mann abblitzen lassen wollen.

Euch Mitweibchen sei also geraten, unbedingt gegen eure Natur zu arbeiten, wenn ihr das Männchen nicht wollt, das euch da anbalzt: schreit ihm ein klares »NEIN!« entgegen und guckt dabei auch unbedingt böse. Und im Gegenzug sei den Männern geraten, nicht jedes »Nein« als »ja, ich darf« zu werten, nur weil sie dabei ein wenig lächelt.

 

So weit, so gut. Was heißt das aber alles für unser Paarungsverhalten?

 

Das und noch viel mehr erfahrt ihr, wenn ihr eure Datedoc für EUCH BUCHT. Ich helfe euch, Mister Perfect oder eure Misses Perfect zu finden. Meldet euch einfach unter: [email protected].

»Die Tante hat es echt drauf.« Benedikt schaut noch einmal auf das Foto und nickt anerkennend. »Ist ein richtiger Nerd auf ihrem Gebiet.«

»So würde ich es nicht nennen, aber …«

»Hei, guck mal, hier steht was über Schwellkörper und Penis und Steifigkeit. Abgekehrtes Wort: Steifigkeit.«

»Okay, okay, erreg dich mal nicht zu sehr, Bene. Das lesen wir später.«

Auf einmal ist Julian nicht mehr bei der Sache, weil er unwillkürlich an Sarah denken muss. Sie waren nur zweieinhalb Monate zusammen. Die besten zweieinhalb Monate seines Lebens. Und er hatte es versaut. Stichwort Steifigkeit: Sie wollte Sex, aber er konnte nicht. In der Situation nicht. Bei ihr nicht. Warum auch immer. Es war, als hätte er Weichspüler in den Adern. Schwellkörper ohne Schwellung. Nervös war er, nicht nur einmal – jedes Mal. Sarah verstand in diesen Dingen keinen Spaß. Sie fackelte nicht lange und suchte sich einen anderen. Es war die Hölle und er ein Versager. So hatte es sich angefühlt. Demütigend, hoffnungslos, hilflos. Zwei Wochen rief er sie immer wieder an. Zwei Wochen flehen, den Stolz wegwerfen und trotzdem noch mal versuchen. Dabei hatte sie längst schon einen neuen Freund. Wenigstens war sie kurz darauf mit ihren Eltern in den Süden nach Karlsruhe gezogen.

 

»Träumst du?« Bendikt reißt ihn unsanft, aber wenigstens vollständig aus seinen Gedanken.

»Die Sonne nervt«, murmelt Julian. »Findest du nicht?«

Der Himmel ist blau. Makellos wolkenfrei. Ozonlöchrig brennt die Sonne auf die beiden herunter. Selbst die Eichhörnchen brauchen mittlerweile Sunblocker gegen Hautkrebs.

Benedikt beschirmt mit seinen Händen den Laptopbildschirm. Er ist immer noch bei Spliff.

»Soweit ich das sehen kann, ist sie etwa Anfang bis Mitte zwanzig.« Er zieht die Brille aus und kneift die Augen zusammen. »Muss wirklich ein helles Köpfchen sein. Titten hat sie auch. Ich würde sagen anderthalb Hände groß – 800 Gramm.«

Julian schweigt.

»Denkst du über das Gewicht nach? Oder was ist los mit dir?«

»Ach nichts«, sagt Julian. »Sie war ganz okay im Chat.«

»Ist sie denn auf dich abgefahren, du Hengst?« Benedikt setzt die Brille wieder auf die Nase und schiebt sie gegen die Nasenwurzel. Er kann es nicht ausstehen, wenn sie nicht ganz genau und absolut gerade sitzt.

»Auf mich abgefahren? Kann man nicht direkt sagen. Sie schien eher abgestoßen.«

»Tja. So eine kriegst du leider mit deiner Art nicht. Das Höchste, was geht, ist Sarah.« Benedikt kann so gnadenlos sein.

»Was hast du eigentlich gegen Sarah?«

»Stimmt, du hast recht. Verteidige sie nur. Die kann gar nicht so übel sein, schließlich hat sie dich ja auch abserviert. Ne, Julian, ganz im Ernst: Diese Spliff durchschaut dich gleich. Mal ehrlich: Sie hat dich ziemlich abgebügelt, die Tante, oder?«

»Wie? Sie durchschaut mich gleich?«

»Wenn die dich ranlassen würde, würdest du dich an ihr festwanzen. Das sieht eine wie diese Spliff doch gleich. So eine Frau braucht aber Freiheit.«

»…«

»Mann, jetzt gib eben zu, dass du manchmal ein Kontrollfreak bist. Vor allem, wenn du verknallt bist.«

«Ja und?« Julian klappt den Laptop zu. Knall. »Es gibt auch noch andere.«

»Sind da auch Frauen drunter?«

Jetzt reicht es Julian endgültig. »Sehr witzig. Immerhin hab ich ab und an eine Freundin, während bei dir offenbar ja schon länger nichts mehr geht. Seit dem kurzen Zwischenspiel mit Luise ist bei dir doch nichts mehr los, oder? Wie viele Jahre ist das noch mal her?«

Julian ärgert sich sofort über sein lockeres Mundwerk. Luise hätte er besser nicht erwähnt; Benedikt sieht ziemlich fertig aus. Das Gute an seinem Kumpel ist jedoch, dass Bene nicht nachtragend ist. Als er seine Fassung wiedergefunden hat, zwinkert er und meint: »Na los, dann zeig sie mir.«

»Wen?«

»Na, die anderen Frauen, von denen du gerade geredet hast. Ich mein es ernst. Hast du wirklich noch eine in der Hinterhand?«

Julian klappt den Laptop wieder auf. Er klickt seinen Account bei myFLIRT an und Benedikt bekommt sofort runde Augen. Herzchen plusplusplus ist aber auch echt Wahnsinn.

»Ziemliches Gerät, oder?«, sagt Julian stolz. Dass ihr Haar das Gegenteil von Spliffs ist: kurz, glatt und blond, denkt er sich lieber nur.

Bene nickt. »Kann man wohl sagen«, krächzt er heiser. »Babydollface und enger Schmollmund. Mag ich. Hat Rosie Huntington-Whiteley auch. Kommt geil.« Er stürzt sich auf ihr Profil und bekommt noch glänzendere Augen: Herzchen plusplusplus ist schon zwanzig und noch im Radius von 25 Kilometern zu Hause, den Julian als maximale Entfernung für ein Treffen angegeben hat. Und das Allerbeste: Sie hat sich bei ihm gemeldet.

»Mann, hast du ein Schwein!«, sagt Benedikt. »Aber was will so eine geile Frau bei dir Milchgesicht?«

Julian stockt, und eine leichte Röte steigt ihm ins Gesicht. »Na gut, sie glaubt, dass ich schon neunzehn bin«, sagt er leicht verlegen, grinst aber sofort. »Ich wollte ihr nicht gleich auf die Nase binden, dass ich jünger bin als sie. Kommt vielleicht nicht so gut, oder?«

»Hast recht. Und was ist, wenn sie dich abserviert, sobald sie erfährt, dass du viel jünger bist?«

Julian zuckt mit den Schultern. »Dann sage ich mir einfach, dass sie sooooo toll auch wieder nicht ist.«

Benedikt nickt. »Stimmt schon. Wenn man diese Herzchen plusplusplus mal bei Licht betrachtet, ist sie alles andere als perfekt. Ihre Haut ist ein bisschen dunkelbraun … Sonnenbank-frittiert irgendwie. Aber mal ehrlich: Herzchen plusplusplus klingt ja auch wie dreimal Aldi. Ich glaube nicht, dass sie zu den allerhellsten Sternen im Universum zählt.«

Julian schnaubt. »Schluss jetzt mit dem Haare-in-der-Suppe-Suchen. Herzchen plusplusplus ist genau meine Kragenweite. Kommt in den Warenkorb.«

Benedikt schüttelt den Kopf. »Vielleicht hat diese Datetante doch recht. Du solltest es wirklich mal mit Demut probieren.«

»Okay. Überredet. Ich probier’s.«

Julian schreibt an Herzchen plusplusplus: »Nett, dass du mich zulässt. Hab dein Profil gelesen, aber da steht außer Shoppen, mit Freunden chillen und Kino nicht viel drin. Magst du mir mehr verraten?«

»Klingt richtig unterwürfig«, sagt Benedikt. »Könnte funktionieren, falls sie auf Schoßhündchen steht.«

Julian zieht die Augenbrauen hoch. »Kann ich mir nicht vorstellen, dass die Tante auf die humorfreie Nummer abfährt.«

Doch zu seiner Überraschung antwortet Herzchen plusplusplus nett: Sie erzählt, dass ihre Haare nun kürzer seien als auf dem Foto, dass ihre Freundinnen das aber viel besser fänden. Klar, schiebt sie dann hinterher, sie wisse natürlich, dass Männer lange Haare bei Frauen lieber mögen, blablabla. »Aber sie wachsen ja wieder, weißt? – Und du, Julian? Siehst du denn noch so aus wie auf dem Foto?«

Benedikt muss lachen: »Was ist das denn für ein Geschwurbel? Entweder ist die strohdumm oder …«

»In der Ausbildung bei einem Immobilienmakler«, grinst Julian.

»Muss man dafür fit im Kopf sein?«

»Denk mal an die Mum von Charly Harper.«

»Sprichst du von der Tante aus Two and a half Men?«

»Von wem sonst, du Blitzmerker? Die Oma ist doch auch Immobilienmaklerin, hat Geld, ist reich, unten offen und …«

»Stell dir mal deine Oma vor, wenn die so über Sex reden würde.«

Julian nickt. »Kann ich nicht. Ganz ehrlich. Das wäre irgendwie … total pervers. Oder? Ich meine, meine Oma … Ne, geht gar nicht.«

 

Plötzlich ist den beiden ihr Gespräch peinlich. Sie haben ziemlich laut geredet. Ob sie jemand aus der Nachbarschaft gehört hat? Vorsichtig schauen sie über den Laptop hinweg wie über einen Gartenzaun. Aber da sind nur der Herbstwind, ein paar in der Ferne kreischende Möwen und ein paar Wagen, die verstreut am Straßenrand stehen. Keine Seele auf dem Bürgersteig. Gott sei Dank. Die Leute gehen hier nicht spazieren. Sie kutschieren höchstens mal ihre pubertierenden Kinder in den Autos hin und her – zum Ballett, zum Fußball, zum Tennis, zum Schwimmbad, zur Nachhilfe, zum Zahnarzt.

Vor ein paar Jahren, als sie noch Kinder waren, haben die beiden auf der Straße gespielt. Und mit ihnen noch mindestens vier, fünf Gleichaltrige aus der Nachbarschaft. Diese Zeiten sind jedoch in jeder Hinsicht vorbei – es gibt kaum mehr Kinder im Viertel. Dementsprechend still ist es geworden. Niemand ist unterwegs, und keiner hier in der Siedlung ahnt, worüber sie gerade geredet und gelacht haben.

Erleichtert nicken Julian und Benedikt sich zu und schauen dann wieder konzentriert auf den Bildschirm. »Was soll ich antworten? Dass ich heute noch besser aussehe als auf dem Foto?«, fragt Julian. Mit demselben Grinsen, aber leiser als vorher.

»Sachlich sollst du bleiben, seriös, wie deine Datedoc sagt.«

Julian nickt und tippt: »Wenn ich mich verändere, ändere ich auch das Foto auf dem Netz. Ich will nicht lügen, auch nicht mit Worten. Das finde ich genauso blöd wie mit Fotos oder so.«

Benedikt kriegt sich kaum mehr ein beim Mitlesen. »Wie geil ist das denn? Du machst auf ehrliche Haut.«

Weiter kommt er aber nicht, denn sie antwortet bereits: »Das ist gut. Mit offenen Karten spielen. Was machst du sonst?«

»Die ist reif«, erklärt Julian und streicht zufrieden über die goldenen Härchen auf seinem braun gebrannten Oberarm.

»Nun kannst du härtere Geschütze auffahren. Lass mal kurz durchblicken, dass du ein Goldjunge bist«, rät ihm Bene.

Julian beginnt die Sache richtig Spaß zu machen und er tippt: »Ich fahr gern Wasserski. Seit sich meine Eltern das Boot gekauft haben, können meine Freunde und ich so oft damit fahren, wie wir wollen.«

»Hallo? Du magst doch überhaupt kein Wasserski?«, erinnert ihn Benedikt kopfschüttelnd.

»Klingt aber gut, oder? Und ein Boot haben wir …«

»… im Trockendock, du Angeber.«

»Wirkt aber, schau!« Julian grinst siegessicher.

Herzchen plusplusplus hat geantwortet. »Vielleicht sollten wir uns mal treffen?«

Die beiden schlagen wieder ein und Julian macht ein Date fest.

Benedikt ist beeindruckt. »Ich glaub es ja nicht, die bieder-öde Tour hat funktioniert. Wir haben der Urfrau die Angst genommen.«

»Und werden sie ins Bett bekommen«, reimt Julian. Er klappt zufrieden den Rechner zu. »Genug jetzt. Komm, wir gehen rein. Noch ein bisschen zocken.«

*

Spliff seufzt, als es von drüben zu rumpeln beginnt. Irgendwas quietscht.

»Meine Mutter wird wach. Könnte sein, dass ich gleich gehen muss«, schreibt sie Adviye.

»Okay ☺ – grüß sie mal lieb.«

»Heeee habblfgse«, ruft es undeutlich und von ziemlich weit weg.

»Es geht schon los«, schreibt Spliff. »Keine Ahnung, was sie will.«

»Dann frag sie doch!«

»Besser nicht. Wenn sie mit ihrem Power-Napping fertig ist, ist sie so was von ausgeschlafen, dass man ihr besser aus dem Weg geht. Wer weiß, was ihr sonst so alles einfällt ;-)«

»Ist sie immer noch so chaotisch wie früher?«

»Gar kein Ausdruck. Wusstest du, dass sie sich mittlerweile auf Paartherapien spezialisiert hat?«

»Hast du den Hanf gegossen?«, grölt es jetzt quer durchs Wohnzimmer, quer durch die Küche und nur allzu deutlich bis zu Spliff. In diesem Moment ist Spliff dankbar, dass sie in einem umgebauten Bauernhof am Rand von Wedel leben und garantiert niemand mithört, was bei ihnen so gesprochen wird. Okay, es ist zwar ein wenig einsam hier draußen, aber die Nähe des kleinen Städtchens zu Helgoland, die Nähe von ihrem Haus zum Strand, die Nähe zu Hamburg und der Uni, zu Adviye und dem monatlichen Mädelsabend in der Badebucht sind nicht zu verachten.

Seufzend blickt Spliff von ihrem Rechner auf. Auch wenn sie zurzeit ein bisschen viel im Netz unterwegs gewesen ist, gibt es ihr das Gefühl, nicht außen vor zu sein. Wenn Hamburg das Tor zur Welt ist, ist das Netz die Tür zum Universum. Ihr Blog auf www.a-date-a-day.de hat schon eine echte Fangemeinde. 370987 Zugriffe. Sie versucht beharrlich, ihre Mutter zu ignorieren, doch die ist hartnäckig und ruft wieder: »Beeil dich, Spliff!!! He, wie wär’s wenigstens mit Antworten?«

»So long«, tippt sie für Adviye, loggt sich aus und ruft in Richtung ihrer Mutter: »Mach ich ja gleich!«

»He, Schätzchen, gleich ist zu spät! Mach es jetzt!!!! Der Hanf braucht dich!!!!«

Ihre Mutter klingt so munter, dass Spliff sich spontan alt fühlt. Alt und spießig. Hoffentlich hat sie nichts eingeworfen, denkt Spliff. Sie zieht das »iiiii« in »diiiich« wie eine Steinschleuder.

Die Hanfpflanzen gehen Spliff gehörig auf den Keks. Die Scheißplantage im Gewächshaus fliegt eines Tages mal auf, so riesig wie die ist. Mit den Hanfmengen könnte man ganz Holland unter Drogen setzen. Scheißkifferei. Sie selbst raucht höchstens mal Shisha oder Bong, aber auf die Tüten ihrer Mutter hat sie schon aus Prinzip keine Lust. Wer will schon Drogen nehmen, wenn die eigene Mama die Tüte dreht? Nein, sie ist Passiv-Cannabis-Raucherin. Und diese Dosis ist schon nicht schlecht …

»Splihiiiiiiiiiff! Der Hahaaaanf!«

Jetzt reißt ihr endgültig der Geduldsfaden. »Geht es noch lauter, Mama! Die Eskimos am Nordpol wissen noch nichts von deinem Acker im Hof. Sonst aber echt bald jeder, wenn du so grölst!«, schimpft sie. »Ich kann auch gleich die Polizei anrufen!« Birgit Schellmann steht grinsend im Türrahmen und sieht ihre Tochter amüsiert an.

»Äh, Entschuldigung«, ächzt Spliff und starrt ihre Mutter an wie ein Phantom. Die hat sich ihren blond gefärbten buschigen Schopf wild nach hinten gebürstet und mit einem breiten rosafarbenen Haarband zusammengebunden. Das wäre ja an und für sich noch nicht so schlimm – aber dass das Band aus grobem Strick ist und dass auch noch ein fetter Plastik-Schmetterling als Krönung der Geschmacklosigkeit daran befestigt ist, macht Spliff total fertig. Trotz ihrer 40+ hat Birgit Schellmann was von einer Fruchtbarkeitsgöttin mit Feuer im Hintern.

»Schätzchen, was ist denn nur los mit dir?«, fragt diese besorgt und geht einen Schritt auf Spliff zu, als wolle sie ihr die Hand auf die Stirn legen.

»Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht, Mama?«

»Gefällt es dir?«

Spliff macht große Augen. »Nee, im Ernst, das geht gar nicht.«

Ihre Mutter runzelt irritiert die Stirn.

Oh Mann, stöhnt Spliff innerlich. War ja klar, dass sie sich nicht vorstellen kann, wie bescheuert sie aussieht! Wenn sie sich nur sehen könnte, wie sie so dasteht … Lady in pink. Jeder normale Mensch würde ihr recht geben. Aber Mama hat ja keinen Kontakt mit normalen Leuten. Deshalb merkt sie es gar nicht, wie lächerlich sie sich manchmal macht.

Ihre Mutter räuspert sich und fährt sich über das Haarband. »Findest du? Ich mag es.«

Spliff seufzt. Gegen Mama kommt man nicht an.

Nicht mal Sandro, Spliffs Stiefvater, kann ihr etwas entgegensetzen, obwohl er ein Bär von Mann ist. Und deshalb hat er sein Arbeitszimmer ganz hinten in den umgebauten Kuhstall verlegt und sich auch gleich noch ein schmales Bett in die Ecke gestellt. Weil er zumindest nachts seine Ruhe braucht. Das Ehebett ist ihm zu anstrengend. Spliff grinst. Sandro ist ein echter Gentleman; mehr lässt er zu diesem Thema nicht raus. Und wenn sie ganz ehrlich ist, hat Spliff tiefes Verständnis für ihren Stiefvater. Sie hält ihre Mutter für hyperaktiv, auch sexuell. Ganz im Gegensatz zu Sandro. Der ist eher der Gemütliche und weniger Experte für Sex als in Sachen Schnulzen. Er schreibt Liebesroman-Heftchen. Die Sorte, die aussieht wie auf Klopapier gedruckt und die die Omas sich für zwei Euro fünfzig am Kiosk kaufen. Sie erzählen von Förstern, die sich in unschuldige Dorfmädchen verlieben, von Prinzessinnen, die sich in unschuldige Bauern verlieben, von Bankern, die sich in unschuldige Schuhverkäuferinnen verlieben und … dass er sich ausgerechnet in Mama verlieben musste, ist Ironie des Schicksals. Nein, die Ironie des Schicksals ist vielleicht eher, dass Mama sich zurückverliebt hat. Spliff grinst.

Birgit Schellmann räuspert sich vernehmlich: »Schätzchen, die jungen Pflanzen, die wir letzte Woche eingesetzt haben, haben wir gestern dursten lassen, damit sie sich heute mit ihren zarten Wurzeln nach dem Wasser in der dunklen Erde strecken und richtig fest anwachsen – aber nun brauchen sie wirklich Wasser, Schätzchen. Sonst verdursten sie. Und das wäre doch grausam, oder nicht? Der Hanf muss mit dem Boden eins werden. Das weißt du doch.«

Spliff funkelt ihre Mutter böse an. Sie will nicht eins mit dem Gestrüpp werden. Sie hat keine Lust aufs Gewächshaus, wo es schweißtreibend heiß ist und stinkt. Selbst wenn ihre Mutter zurzeit einen rappelvollen Terminkalender hat und sich nicht immer allein um den Cannabis-Dschungel kümmern kann – sie will es jedenfalls auch nicht. Aber bis man Mama das alles erklärt hat … Sie gibt sich innerlich geschlagen und steht auf. »Ja, Mama, ist schon gut. Ich geh ja gleich.«

»Nicht gleich, Rehäuglein«, widerspricht Frau Schellmann grinsend. »Bei mir wirkt dein Bambi-Blick nicht. Den kannst du dir für die Männer aufsparen. Ich bin deine Mutter, ich treibe dich an, das weißt du doch. Ich bin gnadenlos. Also geh jetzt und mach dein Ding, okay? Das Zeugs ernährt uns immerhin.«