Annapurna - Alexander Frangel - E-Book

Annapurna E-Book

Alexander Frangel

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Beschreibung

Die Umrundung der Annapurna-Gebirgskette ist eine der schönsten und abwechslungsreichsten Trekkingtouren der Welt. Uralte Kulturen, eingebettet in eine einzigartige Landschaft, werden umrahmt von einigen der gewaltigsten Berge der Erde. Diese Region des Himalaya hinterlässt tiefe Eindrücke; daher ist der Annapurna-Trek auch eine der meist begangenen Trekkingtouren in Nepal. Am 14. Oktober 2014 zieht ein Ausläufer des tropischen Zyklons Hudhud über den höchsten Punkt der Tour, dem Tohrong-La-Pass auf 5416 Metern. Mehr als 300 Menschen werden unter widrigsten Bedingungen gerettet. Dennoch verlieren 43 Menschen ihr Leben in der über sie hereinbrechenden Hölle aus Eis und Schnee. Acht Tage später bricht der Autor zu seiner lang geplanten Reise auf, um genau dorthin zu wandern. In den folgenden Wochen erlebt er den Trek so, wie er früher einmal gewesen sein muss. Die Wege und die Lodges sind oft wie leergefegt. Die Schatten des Unglücks vor Augen, wird es dennoch eine Reise mit prägenden Eindrücken.

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IMPRESSUM

Annapurna

Der Weg ist das Ziel

Alexander Frangel

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über portal.dnb.de abrufbar.

© 2020 | 360° medien | Marie-Curie-Straße 31 | 40822 Mettmann

www.360grad-medien.de

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität.

Redaktion und Lektorat: Christine Walter

Satz und Layout: 360° medien mettmann

Bildnachweis: Alle Fotos von Alexander Frangel

Gedruckt und gebunden:

Himmer GmbH Druckerei & Verlag | Steinerne Furt 95 | DE - 86167 Augsburg | www.himmer.de

ISBN: 978-3-947944-07-1 e-Pub ISBN:978-3-947944-88-0 mobi ISBN:978-3-947944-89-7

Hergestellt in Deutschland

www.360grad-medien.de

Alexander Frangel

Annapurna

Der Weg ist das Ziel

Für

Eva

Lilian

Jan & Ina

In Gedenken an die 43 Menschen, die am 14. Oktober 2014 durch den Zyklon Hudhud nicht mehr zu ihren Familien zurückkamen.

Vorwort

Die Umrundung der Annapurna-Gebirgskette ist eine der schönsten und abwechslungsreichsten Trekkingtouren der Welt. Genau deswegen ist sie auch eine der meist begangenen Trekkingtouren in Nepal. Bis zum Sommer 2012 wusste ich nicht viel über diesen Winkel unserer Erde. Dann aber sah ich die Urlaubsbilder einer globetrottenden Freundin (Danke, Verena!). Diese Bilder zogen mich so in ihren Bann, dass ich begann alles darüber zu lesen, dessen ich habhaft werden konnte. Der Annapurna Circuit, wie er im Englischen genannt wird, ist kein Weg der Extreme mit Eis, Tiefschnee und einem kräftezehrenden Gipfelerlebnis auf dem Dach der Welt, so wie sich viele den Himalaya vorstellen. Nichts beschreibt besser, wie es ist, die Annapurna Gebirgskette zu umrunden, als die mehr als 2500 Jahre alte Weisheit „der Weg ist das Ziel“.

Die großartige Landschaft inmitten der Berge und Menschen, die dort leben, hinterlassen tief prägende Eindrücke. Wegen der guten Infrastruktur wird die Annapurna-Runde auch gerne, und das nicht zu Unrecht, als Applepie Trek oder Teehaus-Trek betitelt. Obwohl man nur knapp über die Höhe des Everest Base Camp hinauskommt, bewegt man sich aber doch in Höhen, welche die der höchsten Berge der Alpen übersteigen. Selbst trainierten Menschen wird einiges abverlangt und am Tohrong-La-Pass, dem höchsten Teil der Tour auf 5416 Meter, kommt es aufgrund der großen Höhe immer wieder zu Todesfällen. Hier gibt es kein engmaschiges Rettungsnetz wie in den Alpen, dies ist der Himalaya. Genau dieser Unterschied ist einigen nicht recht bewusst und sie wähnen sich in trügerischer Sicherheit. So kam es, dass im Oktober 2014 das Gebiet um den Annapurna durch den Zyklon „Hudhud“ für 43 Menschen zur Todesfalle wurde, aus der sie nicht mehr entrinnen konnten. Knapp eine Woche später machte ich mich auf nach Nepal, um genau dort zu wandern, denn der Bann ließ mich nicht mehr los, seit mir meine innere Stimme vor zwei Jahren sagte: Das musst du machen!

Ich komme aus Rheinhessen, im Südwesten Deutschlands, wo jeder größere Hügel schon „Berg“ genannt wird. Meine ersten prägenden Erlebnisse mit den echten Bergen hatte ich, als mir mein Vater 1993 bei einem Urlaub in den Alpen meinen ersten richtigen Wanderrucksack kaufte. Ich war so stolz darauf, füllte ihn mit allem Nötigen und noch mehr Unnötigem, nur damit er voll und schwer war. Beim Wandern war sein Gewicht für mich keine Last, es war eher ein erfüllendes, kindliches Gefühl, wie ein richtiger Bergsteiger in den Bergen umherlaufen zu können. Dieses wunderbare Gefühl habe ich mir bis heute bewahren können, sei es beim Wandern oder wenn ich die Kinder statt im Kinderwagen lieber in einer Kraxe auf dem Rücken trage. Den Rucksack von damals benutze ich übrigens heute noch.

Teil der Annapurna-Gebirgskette

Warum?

Was bringt einen dazu, seine Familie, Freunde, alle, die man liebt und für die man verantwortlich ist, zu verlassen, nur um für Wochen im Himalaya wandern zu gehen? Ehrlich gesagt, habe ich keine vernünftige Antwort darauf. Irgendwie war es so, als ob der Weg schon immer da war, ich ihn nur nicht sehen konnte. Aber auf einmal lag er glasklar vor mir, und meine innere Stimme rief immer lauter: Das ist dein Weg! Erhofft habe ich mir dabei, eine Erfahrung fürs Leben zu machen und die eigenen Grenzen auszuloten. Dazu kam wohl auch die innere Sehnsucht nach Freiheit. Um durch das Verbundensein mit der Natur zu innerer Ruhe zu gelangen und um vielleicht ein bisschen geerdeter zurückzukommen.

Das Feedback von Familie und Freunden war durchaus gemischt, welche Frau lässt schon gerne ihren Mann für Wochen allein in die Ferne ziehen. Aber letztendlich bekam ich doch Verständnis und Unterstützung, denn einen Traum soll und kann man nicht unterdrücken. Vorbehalte und Bedenken gab es wohl dennoch von einigen ... wie sagten zum Beispiel meine Eltern so schön: Na ja, wenn du unbedingt meinst da hin zu müssen …

Eigentlich hätte ich in diesen Momenten Überzeugungsarbeit leisten können, tat es aber meist nicht. Denn das Bild derer, die sich wie ich vorher nie groß mit dem Himalaya beschäftigt haben, wurde seit den Tagen George Mellorys in den 1920er-Jahren von den Pionieren des Bergsteigens im Himalaya geprägt, als sich Nationen anschickten, die letzte Herausforderung der Menschheit, die 7000er und 8000er und ganz speziell den Mount Everest zu bezwingen. Heute sind die Namen von Hillary, Norgay, Messner, Herzog und vielen anderen zu Legenden geworden. Trotz der vielen Bücher über die Geschichten dieser Menschen, trotz Internet und der Möglichkeit heute binnen kurzer Zeit beinahe jeden Winkel der Erde erreichen zu können, haftet dem Himalaya, Nepal und Tibet bis heute etwas Mystisches, etwas Außergewöhnliches an.

Vorbereitung

Es ist leider gar nicht so einfach, wie man meint, in Nepal zu trekken. Man sollte gut vorbereitet und natürlich einigermaßen in Form sein.

Da mittlerweile keine Fluglinie mehr direkt von Deutschland aus nach Nepal fliegt, muss man zwangsläufig Umwege machen. Ich entschied mich von Frankfurt am Main nach Neu-Delhi und von dort aus nach Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, zu fliegen.

Zum Glück gibt es mehr als reichlich Informationen über die Annapurna-Umrundung. Schnell erkennt man dann irgendwann, dass hier erst ein gutes Maß an Arbeit und Organisation zu bewältigen ist. Man braucht nicht nur Flugtickets, sondern auch Visa für Indien und Nepal und da könnte man speziell beim Indischen Transitvisum meinen, man wollte die Goldreserven einer Staatsbank besichtigen.

Natürlich kann man den Trek allein begehen, aber einen guten und erfahrenen Guide kann kein noch so guter Reiseführer dieser Welt ersetzen. Daher sollte man sich frühzeitig um einen Guide bemühen. Das geht bequem übers Internet, so habe ich zum Beispiel meinen Guide Bishnu gefunden, oder man fragt bei einem der unzähligen Outdoor-Spezialisten vor Ort. Aber dann hat man eventuell gerade in der Hauptsaison keine große Wahl mehr, und wer will schon mit jemanden wochenlang durch die Gegend laufen, zu dem man keinen Draht bekommt!? Die Regierung von Nepal ist zudem schon länger bestrebt, die Begleitung durch einen Guide zur Pflicht für eine Trekkingerlaubnis zu machen.

Eine gute körperliche Konstitution ist selbstverständlich Grundvoraussetzung. Wie bei jeder Reise in ein anderes Land, sollte man sich wenigstens ein grundlegendes Wissen und Verständnis über das Land, die Gebräuche und die Sprache aneignen. Man sollte sich ausreichend impfen lassen und eine Reiseapotheke für alle Eventualitäten zulegen. Man benötigt eine Ausrüstung, die möglichst alle Anforderungen durch Wetter, Klima, Gelände etc. abdeckt. Hier sei vor allem der Schlafsack erwähnt, aber dasselbe gilt natürlich auch für den Rest der Ausrüstung. Man muss die Sachen übrigens nicht neu kaufen, viele machen so einen Trip nur einmal und verkaufen dann alles wieder im Internet. Mit etwas Geduld kann man so viele Euro sparen.

Wenn man dann alles beisammen hat, muss es jetzt nur noch in den Rucksack passen. Daher sollte alles so kompakt und leicht wie möglich sein. Für Luxus ist da wirklich nicht viel Platz! Wenn man wie ich den Großteil allein tragen möchte, aber den Hang hat, etwas „überausgerüstet“ zu sein, dann sollte man frühzeitig alles vor sich ausbreiten und noch einmal alles wirklich Überflüssige aussortieren. Man muss ja nicht gleich die Zahnbürste um die Hälfte kürzen, aber an langen Wandertagen merkt man irgendwann jedes Gramm. Danach alles ab in den Rucksack, Trinkblase und Flaschen vollmachen und damit Probe-Wandern gehen. Das ist übrigens eine gute Gelegenheit, neues Schuhwerk noch ein bisschen besser einzulaufen.

Nepal

In einer hinduistischen Legende heißt es: „Hundert göttliche Zeitalter reichen nicht aus, um alle Wunder des Himalaya zu beschreiben“. Das ist eigentlich die treffendste Beschreibung für Nepal.

Dieses Land ist dank seiner Naturwunder, allen voran natürlich die gewaltigen Berge des Himalaya, den uralten Traditionen und Religionen und letztendlich wegen der dort lebenden Menschen und ihrer Geschichte so unglaublich vielfältig, dass es kaum möglich ist, es in wenigen Worten zu beschreiben. Nepal liegt zwischen dem von China annektierten Tibet und Indien. Auf dem Globus wirkt dieser 985 Kilometer lange und 241 Kilometer breite Landstrich zwischen den beiden großen Nachbarn unscheinbar. Fast genau in der Landesmitte von Nepal befindet sich das Annapurna Sanctuary.

Ausblick auf die Annapurna II

Räumlich ist Nepal in mehrere Hauptregionen gegliedert: Das Tarai (70 bis 150 Meter), in dem die fruchtbaren Tiefebenen liegen. Die Shivalik-Region (bis 1500 Meter) und die Mahabharat-Region (2000 bis 3000 Meter) bilden mit ihren Hügelketten den Übergang vom Flachland in das Mittelland. Der Großteil des Landes liegt in der Hochgebirgsregion (bis 8848 Meter) der Himalaya-Gebirge. Die Klimazonen in diesen Regionen reichen vom tropischen und subtropischen bis hin zum arktischen Klima.

Nepal war und ist ein Schmelztiegel der Kulturen, mehr als hundert verschiedene ethnische Gruppen und Kasten mit mehr als siebzig verschiedenen Sprachen und Dialekten leben hier zusammen. Großen Einfluss auf Kultur und Land hatten die Einwanderer aus Indien und Tibet, die über viele Jahrhunderte in das Gebiet des heutigen Nepals übersiedelten und deren mitgebrachte Religionen, Buddhismus und Hinduismus, das Land bis heute entscheidend prägen. Die meisten Menschen leben von der Landwirtschaft und vom Tourismus, eine nennenswerte Industrie gibt es nicht.

Als sich das über Jahrhunderte selbst abgeschottete Königreich 1949 allmählich für ausländische Gäste öffnete und Tibet kurz vor der Annektierung durch China seine Grenzen schloss, kamen die ersten Bergsteiger, denn allein in Nepal befinden sich acht der 14 Achttausender dieser Welt, unter ihnen der Mount Everest (8848 Meter). Die Bergsteiger schrieben sich in den darauffolgenden Jahrzehnten mit ihren Expeditionen, deren Erfolgen und Misserfolgen in die Geschichtsbücher ein. So drang vor allem seit den 1950er-Jahren immer mehr Wissen über dieses bis dahin fast unbekannte Land zu uns. In den 1970ern folgten die Hippies; auf ihrer Sinnessuche nach Freiheit und dem leicht verfügbaren Cannabis ebneten sie dem heutigen Tourismus den Weg.

Heute ist Nepal eine Sehnsuchtsdestination für all diejenigen, die auf den Pfaden der ersten Bergsteiger und Entdecker wandeln wollen. Außerhalb des Rummels in den wenigen Großstädten kann man hier in eine Welt der Ruhe und Spiritualität eintauchen, die wir zu Hause längst verloren haben. Wer sich auf das Land und seine Bewohner einlässt und sich etwas Zeit nimmt, kann zu Ausgeglichenheit und innerer Ruhe finden.

Für die Bergsteiger, Trekker und Adrenalinjunkies gibt es schier unerschöpfliche Möglichkeiten sich auszuleben. Sogar für die Aussteiger besteht die Möglichkeit, dem, was einst die Hippies dorthin zog, nahe zu kommen. Auf jeden Fall wird man Unvergessliches erleben und prägende Eindrücke mit nach Hause nehmen.

Aber wie bei allem Schönen gibt es natürlich auch eine Kehrseite! Nepal ist eine Welt der Kontraste und des Umbruchs. Auf der einen Seite die uralten Religionen und die tief in ihnen verwurzelten Traditionen, auf der anderen Seite die modernen Einflüsse des 21. Jahrhunderts. Nepal zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Frauensterblichkeit ist aufgrund der häufigen Hausgeburten eine der höchsten der Welt. Die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten in ganz Asien. Die Analphabetenrate (gerade bei Mädchen) ist trotz der Schulpflicht von mindestens fünf Jahren und vieler anderer Programme unglaublich hoch. Das Leben der Menschen ist geprägt von harter Arbeit und ist für viele ein steter Kampf ums Überleben. Darum verlassen viele Nepalesen das Land und ihre Familien für Jahre, um im Ausland zu arbeiten und so den Daheimgebliebenen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Naturgewalten wie starke Erdbeben, Erosion (begünstigt durch den menschengemachten Kahlschlag der Wälder) und die Regenmassen des Monsuns, welche ganze Dörfer zerstören, sind allgegenwärtige Gefahren für die Menschen. Das politische System ist bis hinunter zur Polizei korrupt. Es gab zehn Jahre Bürgerkrieg der Maoisten gegen die Monarchie und das hinduistische Kastensystem, der mehrere tausend Menschenleben forderte. Der gewaltsame Tod der Königsfamilie 2001 und das Ende der Jahrhunderte alten Monarchie im Jahr 2007 ließen das Land lange nicht zur Ruhe kommen.

Dies sind alles Entwicklungen, die auch viele westliche Länder durchleben mussten, um zu werden, was sie heute sind. Daher sollte man sich ganz neutral und nicht von oben herab sein Urteil bilden! Denn wie heißt es in einem weisen Sprichwort: „Nicht du sollst Nepal verändern, sondern Nepal soll dich verändern.“

Die Nepalesen führen meist ein sehr hartes und entbehrungsreiches Leben, selten aber habe ich so nette und liebenswürdige Menschen kennenlernen dürfen wie dort. Sie sind offen, aber beklagen sich nicht über die Unzulänglichkeiten des Lebens, wie wir es so gerne tun. Sie sind viel zufriedener mit sich und der Welt. Nach relativ kurzer Zeit kann man erkennen, wie gut es uns doch eigentlich geht und wie unnötig schwer wir uns oft selbst das Leben machen.

Boeing 747 kurz vor dem Boarding für Flug LH760 FRA - DEL

Inhaltsverzeichnis

Tag 1 – 22. Oktober 2014

Tag 2 – 23. Oktober 2014

Tag 3 – 24. Oktober 2014

Tag 4 – 25. Oktober 2014

Tag 5 – 26. Oktober 2014

Tag 6 – 27. Oktober 2014

Tag 7 – 28. Oktober 2014

Tag 8 – 29. Oktober 2014

Tag 9 – 30. Oktober 2014

Tag 10 – 31. Oktober 2014

Tag 11 – 1. November 2014

Tag 12 – 2. November 2014

Tag 13 – 3. November 2014

Tag 14 – 4. November 2014

Tag 15 – 5. November 2014

Tag 16 – 6. November 2014

Tag 17 – 7. November 2014

Tag 18 – 8. November 2014

Tag 19 – 9. November 2014

Tag 20 – 10. November 2014

Tag 21 – 11. November 2014

Tag 22 – 12. November 2014

Tag 23 – 13. November 2014

Tag 1 – 22. Oktober 2014

Die Reise beginnt ... dank des Streiks der Lufthansa-Piloten einen Tag später als geplant.

Der Abschied von Eva war schlimm, ich habe noch nie einen Moment mit solch gemischten Gefühlen erlebt. Ich freue mich so unheimlich auf die Reise und das, was auf mich zukommt. Aber zu wissen, dass ich meine Familie die nächsten dreieinhalb Wochen nicht mehr sehen werde, schmerzt unglaublich! Als ich Eva zum gefühlt hundertsten Mal nachwinke, habe ich nicht nur einen riesigen Kloß im Hals, sondern, als ich sie irgendwann wegen der Sicherheitskontrolle nicht mehr sehen kann, auch ein paar Tränen in den Augen.

Als ich am Gate sitze und zusammen mit vielen Indern in ihren bunten Gewändern und Turbanen auf das Boarding warte, muss ich über die vergangenen Monate (eigentlich Jahre) nachdenken, in denen ich diese Reise geplant habe und was sich trotzdem vor ein paar Tagen doch noch alles verändert hat.

Es war mir immer bewusst, dass die Annapurna-Umrundung nicht nur schön, sondern auch gefährlich sein kann. Man muss nur einen unbedachten Schritt machen, sich einfach nur den Fuß verstauchen oder krank werden. Die Gefahr, dass man die Höhe nicht verträgt und unter „AMS“-Symptomen (Höhenkrankheit) leiden kann, ist trotz bester Vorbereitung nie auszuschließen, aber woran man natürlich nicht denkt (oder denken will), ist der Tod. Wie ich schon geschrieben habe, kommt es auf dieser Route immer wieder zu Todesfällen aufgrund der Höhe, durch Abstürze oder Abgänge von Geröll- und Schneelawinen. Aber man verdrängt das natürlich und denkt: „Nein, mir passiert das nicht.“

Und so kommt es, dass einem manchmal das persönliche Glück durch das schlimme Schicksal anderer vor Augen geführt wird.

Eine Woche bevor ich losfliegen wollte, saß ich an einem sonnigen Herbsttag zu Hause im Garten, sah meiner Tochter beim Spielen zu und erklärte meiner Mutter, die doch etwas Angst um ihren Sohn hatte, die ganze Reise sei ja eigentlich harmlos und es könne nichts passieren. Da wusste ich noch nicht, dass genau zur gleichen Zeit unzählige Menschen im Gebiet des Thorong-La-Passes verzweifelt um ihr Leben kämpften.

Am 14. Oktober 2014 zog der tropische Zyklon Hudhud, der sich Tage zuvor über dem Indischen Ozean gebildet hatte und auf dem Weg nach Nepal schon in Indien unglaubliche Zerstörung hinterließ, als Schneesturm über die Annapurna-Kette. Dort löste er vor allem am Thorong-La-Pass ein furchtbares Chaos aus: ungewöhnlich tiefe Temperaturen, unglaublich hohe Windgeschwindigkeiten und starke Schneestürme mit einer riesigen Menge Neuschnee, in dem 43 Menschen, sowohl Einheimische als auch Trekker, den Tod fanden.

Noch Tage später wurde in den Medien über das Unglück und die sehr schwierigen Rettungsbemühungen berichtet. Durch meine Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr bin ich schon oft mit dem Tod in Berührung gekommen, aber es ist doch ein anderes, seltsames Gefühl, sehenden Auges genau dorthin zu wollen, wo gerade nach den vielen Opfern gesucht wurde, deren genaue Zahl man lange nicht festlegen konnte, weil das örtliche Strom- und Kommunikationsnetz zusammengebrochen war und noch viele als vermisst galten.

Von meinem Guide Bishnu wusste ich, dass er zu dieser Zeit auch am Pass gewesen sein musste, und natürlich dauerte es ein paar Tage, bis ich Gewissheit hatte, dass er zum Glück den Pass mit seiner Gruppe kurz vor dem Unglück bereits überschritten hatte.

Nun beginnt das Boarding. Da ich als Angestellter der Lufthansa Stand-by fliege und durch den Streik der Piloten in den letzten Tagen viele Passagiere ihren Flug nicht antreten konnten, weiß ich noch nicht, ob ich überhaupt mitfliegen kann. Erst als die letzten Passagiere einsteigen, winkt mich eine der netten Damen am Schalter zu sich, um mir zu sagen, dass ich nun auch an Bord gehen kann.

Jetzt fällt erst einmal eine riesige Last von mir ab, denn wenn das Ganze noch einen Tag zusätzlich verzögert worden wäre, hätte ich fast kein Zeitpolster mehr gehabt, um in Nepal mal ein paar Tage mit schlechtem Wetter auszusitzen.

Nachdem ich Platz genommen habe und mein (etwas zu großes) Handgepäck verstaut ist, wechsele ich noch ein paar Worte mit meinem indischen Sitznachbarn (es werden auch die einzigen während des ganzen Fluges sein). Als die 747 vom Terminal zur Startbahn rollt, sehe ich zum Fenster hinaus und denke nochmal etwas wehmütig an meine Familie, die ich jetzt für dreieinhalb Wochen zurücklasse.

Der Flug ist dank des Inflight Entertainment nicht langweilig. Als es zu dämmern beginnt, sehe ich lange der untergehenden Sonne nach, die den Himmel in wunderschöne rot, gelb und blaue Nuancen färbt. Langsam verschwindet auch der Kloß, den ich seit der Verabschiedung von Eva im Hals hatte, und ich freue mich auf das, was vor mir liegt.

Tag 2 – 23. Oktober 2014

Wir fliegen nun schon sehr lange im Dunkeln und nach ein paar Gläsern Rotwein habe ich sogar ein bisschen schlafen können. Als wir langsam zum Endanflug auf Neu-Delhi ansetzen, sieht man die Straßen, die beleuchteten Spinnfäden gleich zu kleinen Städten führen, und ich muss wie immer beim Fliegen an die Menschen denken, die dort unten leben und was sie wohl in diesem Moment tun. Langsam kann man vor uns eine Stadt erahnen, denn der Smog, der durch die vielen Lichter am Boden erhellt wird, ist wie eine ockergelbe Käseglocke illuminiert. Als wir hinein fliegen, riecht es auf einmal ein bisschen nach Schwefel, so wie früher, als wir an Fastnacht mit den Spielzeugrevolvern Zündhütchen verballert haben.

Im Flughafen selbst ist alles in gelb, orange und braun gehalten, sogar die Teppiche. Man hat ein bisschen das Gefühl, in die 1970er- oder 1980er-Jahre zurückversetzt zu sein, da waren diese Farben ja auch mal bei uns modern.

Es geht vorbei an einer Armada von Wärmebildkameras. Mit ihnen sollen wohl Leute mit einer Influenza oder aktuell Ebola aus der Menge herausgefiltert werden. Ich beeile mich nicht und sehe mir alles interessiert an, da ich ja immerhin noch mehr als fünf Stunden bis zu meinem Anschlussflug überbrücken muss. Trotzdem dauert es nur eine halbe Stunde, bis ich mein Gepäck habe und durch die Kontrolle bin. Jetzt heißt es Zeit schinden und so erkunde ich den Abflugbereich, fahre Runden mit meinem Gepäckwagen und entdecke vor einem Schalter ein schönes Mandala, das „Happy Diwali“ wünscht. Diwali ist ein sehr bedeutendes, mehrtägiges hinduistisches Fest, auch Lichterfest genannt, und entspricht von seiner Wichtigkeit her unserem Weihnachten. An dieser Stelle sollte ich auch etwas zum Hinduismus sagen, denn von hier ab wird er mir täglich begegnen.

Beginn der Abenddämmerung, irgendwo über dem Schwarzen Meer

Der Hinduismus ist für mich die Religion der unzähligen Götter. So wie ich wissen wahrscheinlich die meisten Europäer wenig bis nichts über die drittgrößte Religion der Erde. Je mehr ich mich im Vorfeld mit dem Hinduismus beschäftigt habe, desto komplexer wurde der Eindruck. Das kommt wahrscheinlich davon, weil diese uralte Religion nicht mit der unsrigen vergleichbar ist. Wie ein Fluss hat der Hinduismus im Laufe der Zeit unterschiedliche Strömungen in Bezug auf die verehrten Gottheiten, Wesen, deren Namen, Inkarnationen und Glaubensrichtungen entwickelt. Tiefgehende Versuche von mir, hier den Hinduismus in seiner Komplexität zu erklären, wären ehrlich gesagt vermessen. Deswegen will ich es bei ein paar Grundfakten belassen. Der wichtigste Gott ist Brahma, der Schöpfer, er ist aber nicht als Gott, wie wir ihn definieren, zu verstehen, sondern eine (weder weibliche noch männliche) göttliche Kraft ohne bestimmte Gestalt. Er ist in allem, und er ist der, der alles lebendig macht. Dann gibt es zum Beispiel Vishnu, den Erhalter, und die wohl auch bei uns mehr oder weniger bekannte Shiva als Zerstörerin oder auch den elefantenköpfigen Ganesha, der für Glück und Weisheit steht. Annapurna bedeutet „die an Nahrung Reiche“, sie ist die namensgebende weibliche Gottheit der Annapurna-Gebirgskette. Kühe sind für Hindus übrigens heilig, in Indien nennt man sie Aghnya, die Unantastbaren. Sie haben immer und überall absolute Narrenfreiheit.

Es gibt keine primäre Heilige Schrift, jede Glaubensrichtung hat ihre eigenen heiligen Schriften, die Veden. Allen Hindus gleich ist aber der Glaube an die Reinkarnation, dem ewigen Wandern der unsterblichen Seele im Kreislauf aus Geburt, Tod und Wiedergeburt, Samsara genannt. Als was man aber wiedergeboren wird, hängt von den guten oder schlechten Taten im vorherigen Leben ab. Entscheidend für das weitere Schicksal ist daher, ob man entsprechend gutes oder schlechtes Karma im Leben angesammelt hat! Hat man durch Einhaltung eines Verhaltenskodex, des sogenannten Dharma, gelebt, kann man durch Erlösung den Kreislauf verlassen, um zu einer Einheit (Moksha) mit Gott zu gelangen. Dies ist das höchste Ziel eines gläubigen Hindus. Es gibt zehn Lebensregeln, die einem dabei helfen sollen diesen Weg zu beschreiten. Diese sind vom Wortlaut zwar etwas anders als unsere kirchlich überlieferten Gebote, aber vom Sinn her sind sich manche doch erstaunlich gleich! Man soll sich reinhalten, zufrieden sein, freundlich und geduldig sein, sich bilden, sich ganz nach den Göttern richten, nicht zerstören und verletzen, nicht lügen, nicht stehlen, andere nicht beneiden und nicht unbeherrscht und gierig sein.

Bis zum Einchecken sind es noch zwei Stunden. Da ich meinen Büchervorrat (wegen des limitierten Platzes und des Gewichts sind es nur zwei Bücher) nicht zu früh lesen möchte, schlafe ich ein bisschen mit dem Oberkörper auf einem rutschigen Plastiksitz, die Beine flechte ich durch die Rucksackgurte, nicht dass mir das Gepäck gestohlen wird. Leider ist das Ganze nicht so recht bequem, und nach einer Stunde sind meine Beine das einzige, was wirklich eingeschlafen ist. So drehe ich wieder meine Runden und unterhalte mich zwischendurch mit einer älteren Dame aus Österreich, die auch nach Nepal will.

Als der Schalter von Jet Airways endlich öffnet, bin ich natürlich der Erste zum Check-in. Zum Glück auch hier ohne Probleme. Danach geht es durch die Kontrolle, und ab hier bis zum Flugzeug werde ich mindestens fünfmal gefragt wo ich hinwill, woher ich komme und muss immer wieder meine Tickets und den Reisepass vorzeigen. Als ich fast beim Gate bin, suche ich das stille Örtchen auf und ziehe mich erst einmal um, da ich bis jetzt noch in der Kluft unterwegs war, die man als Lufthansa-Mitarbeiter braucht, wenn man in der Business-Klasse Stand-by fliegen will. Hier benutzt man übrigens (was ich bis jetzt nur aus Autobahntoiletten in Frankreich kannte) eine Hocktoilette. Wer das nicht kennt, kann es sich ungefähr so vorstellen: ein quadratisches Porzellanfeld im Boden mit zwei geriffelten Bereichen für die Füße, dazwischen ein Loch, über das man in die Hocke gehen muss …

Indira Gandhi International Airport

Zurück am Gate, versuche ich die restliche Zeit bis zum Boarding schlafend zu verbringen. Zum Glück ist hier alles mit Teppichboden ausgelegt, aber auch hier ist nur ein leichtes Dösen möglich. Als es nur noch eine Stunde bis zum Boarding ist, suche ich mir einen Platz, von dem man eine gute Aussicht auf die Flugzeuge hat, und schreibe ein bisschen in meinem Reisetagebuch. Die meisten Fluggäste sind aus Indien und Nepal; es gibt kaum westliche Ausländer. Es ist wahrscheinlich keine übliche Route, um von Europa aus nach Nepal zu kommen. Die 737 mit der wir fliegen, hat wohl schon ein paar Meilen drauf, macht aber einen guten Eindruck. Sie ist, was mich überrascht, sogar schon mit Inflight Entertainment ausgerüstet, was ganz lustig ist, wenn man sich die indischen Inhalte ansieht. Nachdem wir abgehoben haben, durchstoßen wir nach kurzer Zeit die Smogschicht. Der Himmel ist wieder blau und die Luft in der Kabine fängt an wieder normal zu riechen. Ich muss kurz an eine Meldung in den Luftfahrtnachrichten denken, in der es hieß, dass vor drei Monaten der Pilot und der Copilot einer Maschine dieser Airline auf dem Weg von Mumbai nach Brüssel eingeschlafen sind und das Flugzeug daraufhin mehr als 1500 Meter abgesackt ist (was ich wohlweislich niemandem zu Hause erzählt habe). Da ich mir das Ganze selbst ausgesucht habe und es jetzt sowieso zu spät ist, lehne ich mich zurück und freue mich einfach auf das, was vor mir liegt.

Nach einer Stunde Flug tauchen die ersten Ausläufer des Himalaya vor uns aus dem Dunst auf. Als wir näher kommen, merkt man, dass diese schneebedeckten Berggipfel trotz der Entfernung sehr viel höher sind als alle anderen Berge, die man normal vom Flugzeug aus zu sehen bekommt.

Bei der Landung in Kathmandu ist der Himmel stahlblau. Der Boden aber ist nass, also muss es vor Kurzem geregnet haben, und in der Tat, als wir aussteigen, empfängt uns eine unglaublich schwüle Hitze, die nach Abgasen riecht. Das Flughafengebäude sieht sehr alt aus und ist aus rotem Backstein und Holz gebaut. Überall wachsen große Tagetes-Büsche mit orange und gelb leuchtenden Blüten. Im Keller des Flughafenterminals sind die Gepäckbänder. Hier ist alles so alt, dass man meinen könnte, in die 1950er-Jahre zurückversetzt worden zu sein. Aber alle Räume sind mit schönen Girlanden aus Tagetes-Blüten geschmückt.

Nachdem ich mein Gepäck habe, suche ich die einzige offene Wechselstube im Flughafen auf, um meine Euro in Nepalesische Rupien umzutauschen. Seltsamerweise kommt der gute Mann hinter dem Tresen auf eine ganz andere Summe als ich, also lege ich ihm die Euro-Scheine in Hunderter-Häufchen hin und wir zählen gemeinsam. Er kommt immer noch auf eine andere Summe als ich, also nochmal, irgendwann merke ich, dass ihn das Ganze etwas überfordert und denke: „Toll, der einzige Geldwechsler in Nepal, der Schwierigkeiten mit dem Zählen hat und ausgerechnet den erwische ich.“ Wir kommen, nachdem ich ihm zweimal alles vorgerechnet habe, auf die ungefähr richtige Wechselsumme (der Wechselkurs schwankt in Nepal täglich) und so habe ich einen riesigen Haufen Tausend-Rupien-Scheine in der Hand, die gleich in meinem Geldgürtel verschwinden. Da man in den Bergen nicht einfach mal so an einem Automaten Geld bekommen kann, habe ich noch zur Sicherheit ein paar Notgroschen in Euro und Dollar mitgenommen, die aber in einem Versteck tief in meinem Rucksack schlummern.

Als ich aus dem Terminal herauskomme, steht auch schon ein älterer Herr mit einem Schild, auf dem „Mr. Frangel“ steht, bereit und freut sich, mich gefunden zu haben. Er kommt von meinem Hotel, denn ich hatte bei der Buchung darum gebeten mich abzuholen, um mir die berüchtigte Werberei der vielen Taxifahrer zu ersparen, die hier am Flughafen um die Gunst der Kundschaft buhlen.

Mein Gepäck kommt auf die Pritsche und ich auf die Rücksitzbank, dann geht es los Richtung Thamel, dem Stadtteil von Kathmandu, in dem die meisten Touristen und Hotels zu finden sind. Die Straße ist teilweise in einem so desolaten Zustand, dass man bei uns eher schlechter Feldweg dazu sagen würde, aber man sollte nicht unseren Maßstab anlegen, denn man ist als Gast in diesem Land unterwegs, daher will ich mich hier immer an folgendes Sprichwort halten: „Nepal soll dich verändern, nicht du Nepal!“

Wir fahren also immer weiter und kommen an unzähligen brennenden Müllhäufchen vorbei. Es sieht fast so aus, als würde der Unrat, der überall zu finden ist, einfach zusammengekehrt und dann vor Ort verbrannt. Zusammen mit den Abgasen der unzähligen Autos, Lastwagen, Roller und Motorräder (die alle bestimmt weder einen Katalysator haben noch durch irgendeine Art von TÜV überprüft werden) ergibt das Ganze ein Luftgemisch, das nicht gesund sein kann und auch wirklich übel riecht! Insgesamt ist das hier eigentlich ein großes Chaos, das trotzdem irgendwie funktioniert. Das Zweitwichtigste an jedem Fahrzeug (nach dem Motor) scheint die Hupe zu sein, es wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit gehupt, die Bremse hingegen wird nur halb so oft benutzt.

Straße nach Thamel, in Nepal herrscht Linksverkehr

Irgendwann halten wir in einer Gasse vor einem mehrstöckigen Haus mit einem schmutzigen Schild auf dem „Down Under“ steht. Seltsam, mein Hotel hieß doch anders! Das Schild meines Hotels „Hotel Impala Garden“ entdecke ich erst auf den zweiten Blick ein paar Meter oberhalb. Na ja, denke ich, so berauschend sieht es nicht aus, aber ich wollte es ja so! Kein unnötiger Luxus in diesem Urlaub.

Ich checke ein und bekomme ein Zimmer im dritten Obergeschoss. Als ich hochgehe, sehe ich mir aus Gewohnheit die Treppe an und ob es im Fall eines Brandes Fluchtwege gibt. Was soll ich sagen? Ich hoffe und vertraue einfach mal darauf, dass es wenigstens heute nicht brennen möge.

Mein Zimmer ist klein, aber gemütlich, und zum Glück mit zwei Betten ausgestattet. Durch das Fenster hat man einen genialen Blick über Kathmandu. Zuerst räume ich meinen Koffer aus und breite alles auf dem zweiten Bett aus. Während des Treks lasse ich alles im Hotel zurück, was ich nicht brauche wie zum Beispiel mein Business-Outfit und ein paar andere Sachen, die ich nur für die Hin- und Rückreise benötige. Nachdem mein großer Rucksack und der kleine Rucksack für Bishnu gepackt sind, stelle ich noch die Uhr auf die nepalesische Ortszeit (fünf Stunden 45 Minuten vor der Zeit in Deutschland) um. Da mich Neugier und Durst plagen, mache ich mich auf zu einer ersten Erkundungstour durch Thamel.

Die Straßen und schmalen Gassen sind voller Leben. Hier trifft Backpacker-Café-Kultur auf die nepalesische Kultur. Die meisten Touristen sind wie ich von Kopf bis Fuß mit Hightech-Klamotten ausgestattet, andere wiederum sehen aus wie Hippies aus den 1970er-Jahren. Dazwischen drängeln sich Rikschas und die ständig hupenden Autos und Mopeds. Für die Nase ist der Mix aus Essensgeruch, Abgasen, Räucherstäbchen und dem einen oder anderen Joint eine echte Reizüberflutung. Die Outdoor-Geschäfte reihen sich hier aneinander und haben ein unglaubliches Sortiment an Fake-Artikeln aller namhafter Hersteller im Angebot. Ich glaube es gibt hier mehr Fälschungen als die Firmen in ihren originalen Sortimenten haben. Außer den vielen Hotels und Restaurants gibt es Andenken- und Postkartengeschäfte, Buchläden und dazwischen liegen immer wieder kleine Supermärkte und Massage-Studios. Das Ganze wird umrahmt von den teilweise sehr alten Häusern mit ihren kunstvoll handgeschnitzten Holzfassaden. Leider stehen dazwischen hässliche graue Betonbauten. In zwei bis drei Metern Höhe läuft beidseitig der Straßen und Gassen ein wilder Wust aus dicken und dünnen Kabelbündeln, der jedem Elektriker sicherlich die Haare zu Berge stehen lassen würde.

Der Ausblick aus meinem Zimmer über Kathmandu

Gesegnet und mit Blütenblättern bestreut – nun kann nichts mehr schiefgehen.

Als ich durch eine schmale Seitengasse gehe, bleiben plötzlich alle stehen und sehen zwei Mädchen zu, die einen Handkarren mit riesigen Musikboxen darauf vor ein Geschäft gestellt haben und zu einer unglaublich lauten Musik tanzen. Das muss wohl mit dem Diwali-Fest zu tun haben, denke ich, weil auch hier alle Häuser mit den gelben und orangenen Tagetes-Girlanden verziert sind. Die Mädchen tanzen super synchron und auf einmal gesellen sich zwei junge Männer dazu und tanzen mit ihnen. Die Szene sieht aus wie aus einem Bollywood-Film und ich muss schmunzeln, weil mir das Ganze irgendwie verrückt vorkommt. Es kommen immer mehr Leute dazu, um sich das Schauspiel anzusehen. Auf einmal steht ein Bettelmönch vor mir und will eine Spende. Ich bin total überrumpelt und habe durch den Wasserkauf zwar ein paar 100er-Scheine, deren Gegenwert in Euro kenne ich aber leider noch nicht so recht. Er zeigt mir ein paar europäische Cent-Münzen und Rupien-Scheine, und als ich im Kopf nachrechne, merke ich, wie wenig er eigentlich will, und so bin ich dann zwar 200 Rupien ärmer, aber um eine Erfahrung und einen roten Segenspunkt auf der Stirn reicher.

So langsam merke ich, dass es auch etwas für sich hat, allein unterwegs zu sein, denn nur so kann man solch tolle Erfahrungen machen.

Ich gehe zum Hotel zurück und lege mich hin, um endlich ein wenig richtigen Schlaf zu bekommen, und in der Tat schlafe ich drei Stunden und werde erst wach, als das Telefon in meinem Zimmer klingelt. Total benommen gehe ich ran und verstehe erst im zweiten Anlauf, dass unten ein Guide auf mich warten würde. Jetzt bin ich hellwach, Bishnu ist da! Ich sause die Treppe hinunter und unten steht ein junger Mann, der sich schüchtern vorstellt. Wir verstehen uns auf Anhieb und er erklärt mir nochmal, was die Musik und die Blumengirlanden genau bedeuten. Das Diwali-Fest (Lichterfest) ist, wie ich schon geschrieben habe, eines der größten Hindu-Feste und ungefähr mit unserem Weihnachten zu vergleichen.

Damit kommt aber auch ein Problem auf uns zu, denn wenn die mehrtägigen Feierlichkeiten ihren Höhepunkt erreichen, kommt der Verkehr wohl zum Erliegen (ist anscheinend so, als ob man bei uns abends am 24. Dezember mit dem Bus irgendwo hin möchte). Bishnu sagt, er hätte für morgen früh noch zwei Plätze in einem Einheimischen-Bus bekommen. Der wird uns nach Besisahar, dem Ausgangspunkt des Treks, bringen. Wir besprechen noch ein paar Details und verabreden uns für morgen früh um 6:30 Uhr.

Die alten Gebäude tragen noch ihre handgeschnitzten Fassaden.

Thamel am ersten Abend des Diwali-Festes, ein Überfluss an Eindrücken

Nachdem Bishnu gegangen ist, habe ich das Gefühl mit ihm einen Glücksgriff getan zu haben. Er ist sehr nett und macht einen offenen und höflichen Eindruck, ich glaube, wir werden gut miteinander klarkommen. Das ist deswegen so wichtig, weil ich des Öfteren gelesen habe, dass Trekker mit den von den örtlichen Trekking-Agenturen gestellten Guides nicht glücklich waren und sich auch teilweise während der Reise von ihnen getrennt haben.

Es wird langsam dunkel und so gehe ich los, um ein wenig mehr von Thamel zu sehen und um etwas zum Abendessen zu finden.

Ich bin positiv überrascht, die Gehwege sind gekehrt und mit Wasser gereinigt. Die Häuser sind mit Tagetes-Girlanden geschmückt. Überall stehen kleine brennende Diyas (Öl- oder Butterlämpchen) und Obst, in dem qualmende Räucherstäbchen stecken. Dazu kommen wunderschöne Kolams (Mandalas aus buntem Reismehl), die die Bewohner der Häuser kunstvoll von Hand machen. Sie sollen am dritten Tag der Feierlichkeiten die Göttin des Glücks, Lakshmi, in die Häuser locken. An den Wänden und über den Wegen werden unzählige Lichterketten angebracht. So entsteht eine unglaubliche Atmosphäre, die einen in ihren Bann zieht und verzaubert. In den nächsten Tagen feiern die Hindus den Sieg des Guten über das Böse, deswegen die vielen Lichter. Sie stehen symbolisch für den Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Ich merke, dass ich riesiges Glück habe, genau heute hier zu sein. So hat auch die Verspätung wegen des Streiks zu Hause letztendlich doch noch etwas Gutes.