Annas kleiner Teeladen - Fay Keenan - E-Book
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Annas kleiner Teeladen E-Book

Fay Keenan

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Beschreibung

England, Liebe und der Duft nach Tee: Dieser atmosphärische Liebesroman ist der Auftakt zu der dreibändigen Little-Somerby-Serie von der britischen Autorin Fay Keenan, der mit einer großen Portion Romantik in der Gegend Sommersets spielt. Nach dem traumatischen Tod ihres Mannes möchte Anna noch einmal neu anfangen und übernimmt im englischen Little Somerby den kleinen Teeladen ihrer Patentante. Matthew soll nach einigen Enttäuschungen im Leben die Cider Farm seines Vaters fortführen – ausgerechnet an der Seite seines ungeliebten Bruders. Sein einziger Lichtblick: Die neue Besitzerin des kleinen Teeladens, die er nicht nur wegen ihrer köstlichen Cupcakes anziehend findet ... Urige Dorffeste, Cider-Verkostungen unter den Sternen und die Liebe gehören bald zu Annas und Matthews neuem Leben. Doch dann geschieht eine Tragödie und die Geschichte scheint sich zu wiederholen … Zwei gebrochene Herzen, zwei schwere Vergangenheiten und eine neue Chance für die Liebe.

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Seitenzahl: 484

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Fay Keenan

Annas kleiner Teeladen

Roman

Aus dem Englischen von Simone Jakob

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Nach dem traumatischen Tod ihres Mannes möchte Anna noch einmal neu anfangen und übernimmt im englischen Little Somerby den kleinen Teeladen ihrer Patentante.

Matthew soll nach einigen Enttäuschungen im Leben die Cider Farm seines Vaters fortführen – ausgerechnet an der Seite seines ungeliebten Bruders. Sein einziger Lichtblick: Die neue Besitzerin des kleinen Teeladens, die er nicht nur wegen ihrer köstlichen Cupcakes anziehend findet …

Urige Dorffeste, Cider-Verkostungen unter den Sternen und die Liebe gehören bald zu Annas und Matthews neuem Leben. Doch dann geschieht eine Tragödie und die Geschichte scheint sich zu wiederholen …

Inhaltsübersicht

Widmung

Winter

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

Frühling

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Sommer

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

Herbst

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

Danksagung

 

 

 

 

Für Flora und Roseanna, in Liebe

 

 

 

1

Sind wir bald da?«, fragte eine leise Stimme vom Rücksitz von Anna Hemingways Wagen.

Wir sind auf dem besten Weg, dachte Anna. »In ein paar Minuten.«

Während sie weiterfuhr, betrachtete sie beiläufig ihre Umgebung. Sie hatte Little Somerby, das Dorf in Somerset, in dem sie aufgewachsen war, zwar oft besucht, seit sie vor achtzehn Jahren weggezogen war, und es hatte sich seit dem letzten Mal kaum verändert, doch jetzt, wo sie wieder hier leben würde, sah sie es in neuem Licht.

»Gibt es im Garten eine Schaukel?«, fragte Ellie.

»Ich weiß nicht, mein Schatz. Aber wir können eine kaufen, wenn du möchtest.« Anna erspähte die Kirche mit den Grabsteinen, die von einer makellosen weißen Frostschicht überzogen und von Eiben umgeben waren; auf der anderen Straßenseite befand sich der örtliche Pub »The Stationmaster«, Schauplatz unzähliger durchzechter Nächte und jugendlicher Liebschaften.

»Gleich morgen?«

»Vielleicht später, wenn wir uns ein bisschen eingelebt haben.«

Sie kamen am Postamt und an der Ladenzeile vorbei, die heute bunter gemischt war, als sie sie in Erinnerung hatte. Daneben befand sich der Gemeindesaal, ein stolzer Ziegelbau aus dem 19. Jahrhundert, ein Stück weiter die Werkstatt, wo sie ihren ersten Wagen gekauft hatte, dann folgten die warmen, einladend wirkenden Lichter eines Cafés: The Little Orchard Tea Shop. Durch das Erkerfenster erhaschte sie einen kurzen Blick auf vollbesetzte Tische, und eine gespannte Vorfreude stieg in ihr auf. Von all den Entscheidungen, die sie in den letzten Monaten hatte treffen müssen, war die, das Café zu übernehmen, ihr am schwersten gefallen. Aber der Umzug sollte ein kompletter Neuanfang sein, und es bestand kein Zweifel daran, dass die neue berufliche Aufgabe eine große Veränderung bedeuten würde.

Während sie sich ihrem neuen Zuhause näherten, kamen die weitläufigen Ländereien und die Gebäude der örtlichen Cider Farm in Sicht, die früher nur aus einem Schuppen und einem Geschäft bestanden, sich mittlerweile jedoch zu einem internationalen Betrieb gemausert hatte. Von der dominanten Präsenz der Farm mal abgesehen, sah das Dorf noch fast genauso aus wie früher. Manchmal fiel es ihr schwer zu glauben, wie sehr sie selbst sich dagegen verändert hatte. Doch sie war jetzt eine sechsunddreißigjährige Frau mit Körbchengröße D, einer Kaiserschnittnarbe und einer dreijährigen Tochter und nicht mehr das junge, hoffnungsvolle Mädchen, das das Dorf verlassen hatte, um auf die Uni zu gehen, zu arbeiten und später die Liebe zu finden.

Liebe. Anna schluckte schwer. In diesem Frühling wären sie zehn Jahre verheiratet gewesen. Beherzt schob sie den Gedanken beiseite; heute würde sie den nächsten Schritt in ihr neues Leben wagen.

Sie verspürte einen Anflug von Vorfreude, als sie in die Flowerdown Lane einbog, eine hübsche Seitenstraße etwas abseits des Dorfkerns. Pippin Cottage war das letzte Haus auf der rechten Seite, eines von nur vier Häusern in der Straße; seine weiß getünchten Mauern waren von dunklen, vertikalen Fachwerkbalken durchzogen. Die halbrunde Tür in der Mitte der Fassade lag dank der leicht verwitterten Veranda windgeschützt. Drei Fenster zierten den ersten Stock, zwei weitere befanden sich zu beiden Seiten der Haustür. Das Schieferdach war mehrfach ausgebessert worden, hatte jedoch seinen altmodisch-rustikalen Charme behalten. Der Vorgarten wurde von einer Steinmauer mit einem rostigen schmiedeeisernen Tor eingefasst. Am Ende der Straße lag ein Obstgarten mit ordentlichen Reihen von Apfelbäumen, deren jetzt blattlose Zweige neues Leben verhießen, sobald der Frühling anbrach.

Anna hatte sich für dieses Cottage entschieden, weil es nah genug am Dorfzentrum lag, um sich dort nicht zu isoliert zu fühlen, jedoch als letztes Haus in der Straße auch über ein wenig Abgeschiedenheit verfügte, was ihr nur recht war. Sie hatte es nur einmal gesehen, bevor sie ein Angebot gemacht hatte, auch wenn sie sich fast von dem Makler hätte abschrecken lassen, der bei der Besichtigung so schroff gewesen war, dass es an Unhöflichkeit grenzte. Doch sie hatte sich schon immer ein eigenes Cottage gewünscht, und dieses war fast zu schön, um wahr zu sein. Dass erst ihr schlimmster Albtraum wahr werden musste, bevor sie die Freiheit hatte, sich diesen Traum zu erfüllen, war eine schmerzliche Ironie des Schicksals, die sie auch fast zwei Jahre später noch quälte. Ein plötzlicher Anflug von Trauer schnürte ihr die Kehle zu, und sie musste ein paar Mal tief durchatmen, um sich wieder zu beruhigen.

»Bist du bereit, mein Schatz?« Sie öffnete die Autotür, ging zum Rücksitz und hob ihre kleine Tochter aus dem Wagen. Ellie sah sich kurz um, dann rannte sie durch das Gartentor und den Pfad zum Haus hinunter.

»Komm schon, Mummy!«, rief sie ihr von der Veranda aus zu.

Anna schlug die Autotür zu und sah zu ihrer Tochter hinüber, die auf der Türschwelle ungeduldig von einem Bein aufs andere hüpfte. Es war Zeit.

*

»Könnten Sie mich bitte anrufen und mir Bescheid geben, sobald Sie etwas hören?«, fragte Anna. Dann beendete sie das Telefonat mit der Umzugsfirma. Erneut verfluchte sie die Tatsache, dass sie das Ladekabel für ihr Handy in den letzten Karton gepackt hatte, der auf den Lkw verladen worden war. Er war zwar nur ein paar Minuten nach ihr losgefahren, aber immer noch nicht aufgetaucht. Sie warf das Telefon auf die beklagenswert leere Küchenarbeitsfläche und zuckte zusammen, als plötzlich ein lautes Bellen ertönte und wie aus dem Nichts ein zottiger, schwarz-weißer Border Collie in die Küche gestürmt kam.

Eine empörte weibliche Stimme rief: »Seffy! Komm sofort zurück!«

Obwohl es ein kalter Dezembertag war, hatte Anna die Haustür aus dunklem Eichenholz zum Lüften offen gelassen. Als sie gerade vergeblich nach dem Halsband des Hundes griff, tauchte seine Besitzerin im Türrahmen auf – ein schlankes junges Mädchen mit dunklen Haaren und blasser Haut. Es hatte volle rote Lippen, die strahlendsten blauen Augen, die Anna je gesehen hatte, und trug eine dunkelblaue Jeans, einen weiten gestreiften Pullover und dazu Ballerinas, die für das Dezemberwetter völlig unpassend waren.

»Tut mir schrecklich leid«, sagte das Mädchen, dessen tiefe, wohlmodulierte Stimme auf eine Privatschulbildung schließen ließ. »Ich wollte ihn an die Leine legen, aber er ist mir entwischt.«

Anna lächelte. »Kein Problem, halb so wild.« Als der Hund seine Herrin sah, trottete er gehorsam zu ihr zurück.

Das Mädchen leinte ihn an und lächelte entschuldigend. »Ich heiße übrigens Meredith. Aber die meisten Leute nennen mich Merry.« Sie schaute den Hund an. »Und das ist Sefton.«

»Freut mich, dich kennenzulernen.« Anna beugte sich vor, um den Hund zu streicheln. »Ich bin Anna, und meine Tochter Ellie treibt sich irgendwo im Haus rum.«

»Ziehst du heute ein?«

»Ja, vorausgesetzt, der Umzugswagen kommt irgendwann noch mal an. Ich würde dir ja eine Tasse Tee anbieten, aber ich habe leider noch keinen Wasserkocher.« Sie schaute sich in der Küche um. Der schwere, gusseiserne Rayburn-Ofen – noch etwas, was sie sich schon immer für ihre Traumküche gewünscht hatte – war blassgelb, blitzblank geschrubbt und imposant. Backen war Annas Leidenschaft, und sie freute sich darauf, ihn auszuprobieren, besonders, weil sie in ein, zwei Wochen das Café übernehmen würde. Sie hoffte, dass der Vorbesitzer die Gebrauchsanweisung dagelassen hatte, denn sie hatte keine Ahnung, wie man den Ofen bediente.

»Danke für das Angebot, aber ich kann nicht bleiben, Seffy nervt mich schon den ganzen Tag, und er braucht dringend ein bisschen Bewegung. Aber immer, wenn er eine offene Tür sieht, versteht er das als Einladung. Sorry noch mal.«

»Schon okay. Ich bin mir sicher, er wird nicht der letzte Besucher sein.«

»Nein, definitiv nicht.« Meredith verdrehte die Augen. »Die einheimischen Klatschtanten geben sich hier garantiert bald die Klinke in die Hand. An deiner Stelle würde ich mir eine Überwachungskamera oder einen Hund zulegen, um sie abzuschrecken.«

»Danke für die Warnung, ich werd’s mir überlegen.«

»Tja, dann also willkommen im Dorf – und hoffentlich bis bald«, sagte Meredith, drehte sich um und ging nach draußen.

Anna stand an der Türschwelle und sah ihr nach, bis sie das Ende der Straße erreichte, das Gatter zum Obstgarten öffnete und hineinging. Wenn alle Teenager im Dorf so aussahen, dachte sie, dann hatte sich hier in der Zwischenzeit wohl doch einiges verändert.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Handy vibrierte. Sie ging zurück in die Küche; der Fahrer des Umzugswagens hatte ihr eine Nachricht hinterlassen, er sei durch einen Auffahrunfall auf der M5 aufgehalten worden. Anna verzog das Gesicht, aktivierte die Displaysperre und versuchte, sich auf die vor ihr liegenden Aufgaben zu konzentrieren. Vielleicht sollte sie bei ihrer besten Freundin Charlotte vorbeischauen, die nur zwei Häuser weiter wohnte. Charlotte hatte ihr heute Morgen eine Textnachricht geschickt und gefragt, wann genau sie ankäme. Die Tatsache, dass sie ganz in der Nähe ihrer ältesten und besten Schulfreundin leben würde, war ein weiterer Grund, warum sie sich so schnell für Pippin Cottage entschieden hatte. Anna hatte das Gefühl, dass sie ihre Freunde und ihre Familie in den nächsten Wochen und Monaten brauchen würde. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen erinnerte sie sich daran, dass sie Charlotte noch gar nicht zurückgeschrieben hatte. Sie musste sich endlich zusammenreißen und etwas beeilen, schließlich hatte sie schon um sechs ein Treffen mit Ursula Rowbotham, der Besitzerin des Cafés, und jetzt war es schon fast drei.

Zuerst beschloss sie jedoch, den gusseisernen Rayburn-Ofen anzufeuern, über den sowohl die Zentralheizung als auch der Herd betrieben wurde. Bei Abschluss des Kaufvertrags hatte es zwischen den Rechtsanwälten zähe Verhandlungen um den Rayburn gegeben, aber man hatte ihr versichert, er würde bei der Übergabe gewartet und mit Brennstoff versehen sein. Doch als sie die Schalter und Knöpfe ausprobierte, merkte sie schnell, dass das eiserne Ungetüm gar nicht daran dachte zu funktionieren. Das fehlt mir gerade noch, dachte sie. Keine Möbel, kein Internet und keine gottverdammte Heizung! Sie schluckte ihren Ärger, so gut es ging, hinunter und wählte die Nummer der Immobilienfirma, wo man ihr versicherte, dass sie den Vorbesitzer kontaktieren und so bald wie möglich jemanden vorbeischicken würden. Anna beschloss, sich fürs Erste nicht weiter darüber aufzuregen.

»Komm, Kleines«, rief sie Ellie zu, die sich im leeren Wohnzimmer im Kreis drehte. »Wir gehen mal zu Charlotte und Evan rüber.« Sie nahm das Mädchen, dem immer noch etwas schwindlig war, bei der Hand, schloss die alte Haustür hinter sich und begab sich nach nebenan zu ihrer besten Freundin.

2

Sie mussten nicht weit gehen, denn Charlotte kam ihnen schon auf der Straße entgegen. Sie hatte das kastanienbraune Haar zu einem unordentlichen Knoten hochgebunden, einen Rußfleck vom Holzofen auf der Wange und einen Riss in der Jeans, der so weit oben saß, dass es ans Unanständige grenzte.

»Hast du es also doch noch geschafft.« Charlotte umarmte sie herzlich, und Anna hatte einen Kloß im Hals. Während der Umzugsplanung hatte sie wie auf Autopilot funktioniert, doch jetzt, wo sie endlich hier war und in diese neue Phase ihres Lebens eintreten würde, fühlte sie sich komplett überfordert. Charlotte schien das zu spüren, denn sie ließ Anna los und nahm Ellies Hand. »Kommt rein. Evan sitzt vor dem Fernseher und merkt bestimmt gleich, dass ich weg bin. Ich hab schon gesehen, dass deine Sachen noch nicht angekommen sind, und wozu soll es gut sein, in einem leeren Haus rumzuhängen? Du hast bestimmt Zeit für eine Tasse Tee oder was Stärkeres, wenn dir danach ist, bevor der Umzugswagen kommt. Vorausgesetzt, du hast nichts gegen die Unordnung bei mir zu Hause einzuwenden. Na ja, kein Wunder, so kurz vor Weihnachten.«

Anna bezweifelte nicht, dass es in Haus Nummer zwei hektisch zuging. Was hätte sie nicht dafür gegeben, jetzt mit dem ganz normalen Weihnachtswahnsinn beschäftigt zu sein. Plötzlich verspürte sie einen Anflug von Neid auf ihre Freundin; Charlotte tat, was sie sonst um diese Jahreszeit auch getan hatte, sie bereitete eine große Weihnachtsfeier für die Familie vor, während Anna nur versuchte, sich einigermaßen über Wasser zu halten.

»Wundert mich, dass deine Eltern am Umzugstag nicht da sind«, sagte Charlotte und öffnete die Tür zu ihrem Cottage.

Anna lächelte, als sie über den umgekippten Garderobenständer auf der Veranda stieg und den überquellenden Wäschekorb in einer Ecke entdeckte. Sie hatte sich im Laufe der Jahre an Charlottes ganz eigene Form von organisiertem Chaos gewöhnt. Ihr Zuhause war ein unaufgeräumter, aber glücklicher Ort, und Anna beneidete sie darum; besonders jetzt, wo der Gegensatz zu ihrem eigenen leeren neuen Cottage nicht größer hätte sein können.

»Meine Eltern hatten ihren Urlaub schon gebucht, bevor ich den Umzugstermin kannte – wir dachten alle, es wäre erst nach Weihnachten so weit, aber mein Anwalt hat es geschafft, ein früheres Datum auszuhandeln, und meine Eltern sind noch bis zum 23. Dezember weg.«

»Da bleibt ihnen ja nicht mehr viel Zeit für die Weihnachtsvorbereitungen!«, sagte Charlotte und führte Anna und Ellie in ihre ebenfalls unaufgeräumte Küche. »Aber so wie ich deine Eltern kenne, schaffen sie es bestimmt trotzdem, auf die Schnelle was aus dem Hut zu zaubern.« Sie nahm eine Dose mit löslichem Kaffee aus dem überquellenden Küchenschrank. »Tut mir leid, was Besseres habe ich nicht anzubieten, aber in ein paar Wochen hast du wahrscheinlich sowieso die Nase voll von frisch gemahlenem Kaffee.«

»Mum sagt, sie wollen dieses Jahr das Weihnachtsessen wieder bei sich zu Hause machen.« Anna nahm einen Stapel Shirts von einem der Stühle und setzte sich an den großen Esstisch aus Holz, der Charlottes Küche dominierte. »Meine Schwester verbringt Weihnachten bei ihren Schwiegereltern, und mein Bruder bleibt dieses Jahr in Australien, also kommen nur Ellie und ich.« Sie schluckte schwer. Die Trauer drohte sie wieder einmal zu überwältigen, und sie versuchte sich abzulenken, indem sie Ellie und Charlottes kleinem Sohn Evan Kekse aus der Packung reichte, die offen auf dem Tisch stand.

»Sei froh, dass du nicht kochen musst.« Charlotte verzog scherzhaft das Gesicht. »Simons Mutter kommt, also muss ich die ganze Zeit die Zähne zusammenbeißen und eimerweise Prosecco trinken, um den Schmerz zu lindern. Was haben sie gesagt, wann der Umzugswagen kommt?«, fragte sie und nahm sich ebenfalls einen Keks.

»Sie haben gar nichts gesagt«, erwiderte Anna düster. »Und zu allem Überfluss funktioniert der Rayburn nicht, also ist es im Haus eiskalt.«

»Ich dachte, es wäre ausgemacht gewesen, dass bei der Übergabe alles betriebsbereit ist. Damit du Mary Berry spielen kannst, anstatt vernünftig zu sein und das gottverdammte Ding auf den Müll zu werfen.«

»War es auch, aber irgendwas stimmt damit nicht, und so kurz vor Weihnachten halte ich es für unwahrscheinlich, dass noch jemand vorbeikommt und ihn repariert.«

»Hast du den Makler angerufen?«

»Ja. Er hat gesagt, er ruft den Vorbesitzer an.«

»Hast du das Cottage nicht von irgendeiner Firma gekauft?«, fragte Charlotte und runzelte die Stirn. »Die haben doch bestimmt Leute unter ihren Kontakten, die sich um so was kümmern.«

»Das will ich schwer hoffen. Wenn sie sich nicht sofort darum kümmern können, müssen Ellie und ich uns halt aneinanderkuscheln. Es würde uns beiden nichts schaden, früh ins Bett zu gehen.« Sie seufzte. »Aber das hat mir gerade noch gefehlt, wo der Umzugswagen schon zu spät kommt. Ich wünschte …« Sie brach ab.

Charlotte nahm über den Tisch hinweg ihre Hand und drückte sie. »Ich weiß. Und ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schwer es für dich gewesen sein muss, bis an diesen Punkt zu kommen. Aber du hast es geschafft. Jetzt musst du dich nur noch einleben und dein neues Heim genießen. Na ja, zumindest, bis du das Café übernimmst.« Die Freundinnen schauten sich einen Moment lang an.

Plötzlich rumpelte etwas am Küchenfenster vorbei. »Na, Gott sei Dank!« Anna sprang auf, als der Umzugswagen zwei Türen weiter anhielt. »Wollen wir hoffen, dass ich da drin ein paar warme Pullover und Decken finde.«

»Du kannst Ellie eine Weile hierlassen«, sagte Charlotte und deutete auf die beiden Dreijährigen, die sich gerade an Charlottes uralte Katze Gizzy heranpirschten. »Dann kriegst du was geschafft, ohne dass sie dir ständig vor den Füßen rumläuft, und ich kann ihr später einen Snack machen, wenn du möchtest.«

»Bist du sicher? Das wäre wirklich eine große Hilfe.«

»Na klar.« Charlotte grinste. »Und jetzt geh da rüber und sag den Möbelpackern, wo sie was hinstellen sollen, sonst landet dein gutes Porzellan am Ende noch im Gartenschuppen.«

Anna lächelte und fühlte sich schon etwas besser. Die Entscheidung, wieder ins Dorf zu ziehen, war ihr nicht leichtgefallen, aber Charlotte in der Nähe zu haben, gab ihr das Gefühl, dass es die richtige gewesen war. Sie verabschiedete sich mit einem Kuss von Ellie und eilte zu Pippin Cottage zurück.

*

Nachdem der Umzugswagen wieder abgefahren war, ging Anna nervös in der Küche auf und ab. Es wurde immer kälter im Haus, obwohl sie die wenigen noch vorhandenen Holzscheite aus dem Stapel hinten im Garten dazu benutzt hatte, den Holzofen im Wohnzimmer anzuzünden. Wohl zum tausendsten Mal seit dem Tod ihres Mannes sehnte sich Anna nach seiner Gegenwart, seinem Lächeln und, in diesem Fall, nach seiner handfesten Unterstützung. Dazu kam noch, dass sie jetzt inmitten von Kistenstapeln stand, in denen sich all ihre Habseligkeiten befanden. Erneut fühlte sie sich überfordert.

Ein lautes Klopfen ließ sie zusammenzucken. Sie eilte zur Hintertür. Der Mann, der mit gereizter Miene auf der Schwelle stand, kam ihr bekannt vor. Mussten sie ihr ausgerechnet den Makler schicken, der damals so unhöflich zu ihr gewesen war, als sie das Cottage besichtigt hatte?

»Oh. Haben Sie den Vorbesitzer nicht erreicht?«, fragte Anna den Mann, der vermutlich darauf wartete, hereingelassen zu werden.

»Ich bin der Vorbesitzer. Oder vielmehr mein Vater.«

Verblüfft versuchte Anna, ihr Denkvermögen zurückzugewinnen, das sich in dem Moment verflüchtigt zu haben schien, als sie diesem großen Fremden mit dem finsteren Blick die Tür geöffnet hatte. »Oh. Na schön. Sie haben mir das Cottage damals gezeigt, daher dachte ich …«

»Tja, falsch gedacht. Kann ich jetzt reinkommen?«

Anna nickte und trat beiseite, um ihn in die Küche zu lassen. Er war so groß, dass er den Kopf einziehen musste, um sich nicht am Türrahmen zu stoßen; er hatte lockige, dunkle, graumelierte Haare und haselnussbraune Augen, die von feinen Krähenfüßen umgeben waren. Sein Kinn war mit einem leichten Dreitagebart bedeckt, und seine markante Nase sah aus, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen. Er hatte eine breite Brust, trug einen Pullover mit Zopfmuster, und seine langen Beine steckten in Jeans. Aber auch wenn er diesmal lässiger gekleidet war, sah er noch genauso gereizt aus wie an dem Tag, an dem er ihr das Cottage gezeigt hatte. Warum hatte er nicht gleich gesagt, dass er ein Verwandter des Vorbesitzers war?

»Tut mir leid, Sie damit zu belästigen«, sagte Anna in dem Versuch, die Stimmung aufzuhellen. »Aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Der Rayburn funktioniert nicht, dabei hat man mir bei der Bestandsaufnahme zugesichert, dass er beim Einzug betriebsbereit sein würde.«

»Mein Vater hätte sich darum kümmern sollen.«

Anna kam nicht umhin, den ausgeprägten West-Country-Akzent mit dem gerollten R zu bemerken.

Er kniete sich vor den Ofen und untersuchte den Schaltschrank, der hinter einer kleinen Klappe verborgen war. Dann erhob er sich. »Der Tank ist leer. Sie müssen neues Öl bestellen.«

Nach all den Scherereien und dem Ärger verlor Anna die Beherrschung. »Aber auf der Inventarliste stand doch, dass der Tank noch halb voll ist. Das müsste doch wohl reichen, damit das Ding eine Weile läuft?«

»Tja, jetzt ist er nicht mehr halb voll. Vielleicht hat die Kaufabwicklung zu lange gedauert. Ihr Anwalt hat weiß Gott lange genug gebraucht, um sich mit uns in Verbindung zu setzen.«

»Es war nicht meine Schuld, dass zuerst das Dach repariert werden musste!«, entgegnete Anna. »Ihr Anwalt hatte es auch nicht gerade eilig, mir die Bestätigung zuzuschicken, dass es fertig ist. Ich hoffe, zumindest das wurde wie abgesprochen erledigt.«

»Ich bin sicher, die Papiere sind von unserer Seite aus in Ordnung. Wenn Sie noch etwas zu beanstanden haben, wäre es besser, Sie wenden sich an Ihren Anwalt.« Der Mann schien mit sich zu ringen, und sein Blick huschte zwischen dem Ofen und Anna hin und her. »In der Zwischenzeit rufe ich meinen Lieferanten an und sorge dafür, dass Ihr Öltank so schnell wie möglich aufgefüllt wird.«

Anna atmete auf. »Danke.«

Einen Moment lang standen beide da, und ein unbehagliches Schweigen entstand. Ich wünschte, James wäre hier, dachte Anna.

»So, dann mach ich mich jetzt mal wieder auf den Weg.«

Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah ihn an. Er hatte zwar immer noch die Lippen zusammengepresst, doch der Ausdruck in seinen Augen wirkte etwas wärmer als zuvor. »Na schön«, sagte sie, freundlicher als beabsichtigt. Irgendwie kam er ihr bekannt vor; eine längst vergessene Erinnerung stieg in ihr auf, doch sie entglitt ihr gleich wieder wie Sand, der ihr durch die Finger rann. Ich kenne dich, dachte sie. Und nicht erst seit der Hausbesichtigung.

Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, nickte er und verließ wortlos das Haus. Erst als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, bemerkte Anna, dass er sich schon wieder nicht vorgestellt hatte. Im Kaufvertrag für das Haus war Appletree Holdings als Verkäufer eingetragen, und sie wusste immer noch nicht, wer oder was sich dahinter verbarg. Nicht dass es nach dem langen Tag noch eine große Rolle spielte. Sie lehnte sich an die Arbeitsfläche, froh, dass Ellie nicht da war, und ließ den Tränen, die sie den ganzen Tag über zurückgehalten hatte, freien Lauf.

3

Matthew Carter sah auf die Uhr und beschleunigte seine Schritte. Normalerweise genügte ein Spaziergang über die von Eichen, Eschen, Weißbirken und Ackerland gesäumte Strawberry Line – eine ehemalige Bahnstrecke, die zum Fahrradweg umgewandelt worden war und an Little Somerby vorbeiführte –, um ihn von dem abzulenken, was auch immer ihm gerade Stress verursachte. Stechpalmbüsche reckten ihm ihre dornigen, mit Beeren überladenen Zweige entgegen, als wollten sie ihn an die Weihnachtszeit erinnern, und ein frischer Frostgeruch, durchsetzt von einem Hauch Kiefernduft, lag in der Luft. Doch heute Nachmittag hatte Matthew einfach zu viel zu tun, um die Schönheit der Natur zu genießen.

Er hatte beschlossen, diese Woche nachmittags zu Hause zu arbeiten, denn seine Tochter, die im Teenageralter war, hatte Ferien. Das bedeutete allerdings nicht, dass sich sein beachtliches Arbeitspensum dadurch im Geringsten reduzierte. Das Letzte, was er brauchte, war, seinen Arbeitsplatz verlassen und in dem gottverdammten Cottage antanzen zu müssen, um ein Problem zu lösen, für das er nicht zuständig war. Er hätte wirklich mit dem Auto fahren sollen, aber nach mehreren Stunden am Schreibtisch war er fast froh gewesen, sich die Beine vertreten zu können.

Es war ihm unverständlich, wie jemand so kurz vor Weihnachten umziehen konnte. Seine Anwälte hätten das eigentlich schon in ihrem eigenen Interesse verhindern müssen, schließlich wollten sie doch sicher auch entspannte Feiertage haben. Dass er mehreren Leuten das Cottage hatte zeigen müssen, als der Makler zu viele Besichtigungstermine angesetzt hatte, war schon schlimm genug gewesen, aber dann auch noch am Tag des Einzugs herkommen und für ein Problem geradestehen zu müssen, das sein Vater hätte lösen sollen, war wirklich der Gipfel!

Während er weitereilte, spürte er, wie das Handy in seiner Gesäßtasche vibrierte. Er nahm es heraus und erkannte die Nummer seiner persönlichen Assistentin auf dem Display. Anscheinend konnte er sich nicht einmal eine halbe Stunde von der Arbeit loseisen. Er seufzte. »Hallo? Ja, natürlich. Sagen Sie ihnen, ich melde mich morgen. Danke, Jen.« Noch etwas, worum er sich kümmern musste, dachte er. Manchmal fragte er sich, warum er überhaupt jemanden einstellte, wenn am Ende sowieso alles auf seinem Schreibtisch landete. Seine Tochter würde bestimmt einwenden, das liege daran, dass er einfach nicht delegieren könne, aber, dachte er und musste unwillkürlich grinsen, sie würde schon noch selbst merken, dass das nicht ganz so einfach war, wenn sie eines Tages den Familienbetrieb übernahm. Falls sie das tatsächlich vorhatte.

Als er sich dem Haus näherte, fragte er sich, ob sie zu Hause war. Er war sicher, dass er es sich nicht einbildete: Seit er zu Hause arbeitete, schien seine Tochter sich rarzumachen. Er öffnete die Hintertür, die direkt in die Küche führte, und sah seinen Border Collie, der sich, satt vom Abendessen, auf dem Teppich vor dem Kamin ausgestreckt hatte.

»Meredith? Bist du da?« Matthew hörte gedämpfte Fernsehgeräusche aus dem Wohnzimmer und ging durch die Küche in den Flur.

»Ich bin hier.«

Er öffnete die Wohnzimmertür. Seine Tochter lag auf dem abgewetzten braunen Chesterfieldledersofa, die Beine auf einer der runden Armlehnen abgelegt, das Telefon in der einen und eine Scheibe Toast in der anderen Hand. Der Fernseher plärrte vor sich hin, und Matthew griff unwillkürlich nach der Fernbedienung, um ihn leiser zu stellen, so wie früher, als sie noch das Kinderprogramm geschaut hatte.

»Bist du für heute fertig?«

»Fast. Ich muss mir nur noch ein paar Zahlen anschauen. So kurz vor Weihnachten ist noch verdammt viel zu tun, bevor wir den Betrieb über die Feiertage schließen.«

»Bist du denn nie außer Dienst?« Meredith beugte sich vor, um Sefton zu streicheln, der, stets in der Hoffnung, einen Bissen vom Teller seines Frauchens zu ergattern, an ihrer Hand schnüffelte.

Matthew grinste seine Tochter an. »Der Chef sagt, ich kann mir an Weihnachten freinehmen.«

»Ha, ha«, erwiderte Meredith und grinste zurück. »Als ich zuletzt nachgesehen habe, warst du der Chef.«

»Man weiß ja nie.« Matthew warf einen Blick auf Sefton. »Ich geh mal davon aus, dass du heute schon mit ihm draußen warst, so erschöpft, wie er aussieht.«

Meredith kraulte liebevoll das Nackenfell des Border Collies. »Er ist schon seit heute Mittag in der Küche herumgetigert, also dachte ich mir, ich geh besser mit ihm raus. Ich wusste ja auch nicht, wann du nach Hause kommst. Ich war mit ihm im östlichen Obstgarten.«

»Erstaunlich, dass wir uns nicht über den Weg gelaufen sind.«

»Warum? Was hast du denn da gemacht?«

»Eine Frau hat mich angerufen und sich über den Ofen im alten Cottage beschwert, das Granddad kürzlich verkauft hat.« Matthew runzelte bei der Erinnerung an das unerfreuliche Gespräch die Stirn.

»Die Frau heißt Anna«, bemerkte Meredith sarkastisch. »Ich hab sie heute kennengelernt. Sie macht eigentlich einen ganz netten Eindruck.«

»Nett hin oder her, ich hab einfach keine Zeit, mich um Probleme zu kümmern, die dein Großvater längst hätte lösen sollen. Ich muss das meiste von dem, was auf meinem Schreibtisch liegt, noch vor dem morgigen Geschäftsbeginn erledigen, sonst muss ich Weihnachten wirklich im Büro verbringen.« Er sah seine Tochter an; der Hund hatte es sich neben ihr auf dem Sofa bequem gemacht und schaute ohne Reue zu ihm hoch. Meredith zog seinen Kopf in ihren Schoß. »Er hat auf dem Sofa nichts verloren«, sagte Matthew. »Soll ich zum Abendessen Curry bestellen?«

»Nein, Dad. Vergiss nicht, dass ich einen Auflauf für uns vorbereitet habe. Ich schiebe ihn gleich in den Ofen.« Sie küsste Sefton auf die schwarze Nase. »Er braucht ungefähr zwei Stunden.«

»Was würde ich nur ohne meine Tochter tun?«

»Verhungern vermutlich. Oder an einem Herzinfarkt sterben. Jetzt geh endlich arbeiten, damit wir nachher zusammen abhängen und die nächste Folge Game of Thrones schauen können.«

»Schon gut«, murmelte Matthew. Manchmal fragte er sich, wer hier eigentlich der Erziehungsberechtigte und wer das Kind war; er hatte wirklich Glück, eine so praktisch veranlagte und rücksichtsvolle Tochter zu haben.

Als er zu seinem Arbeitszimmer ging, wo ihn ein Stapel Papiere erwartete, hoffte er, dass er dort weitermachen konnte, wo er notgedrungen aufgehört hatte. Zuvor musste er jedoch noch ein paar Anrufe erledigen. Sein Vater konnte noch warten, als Erstes suchte er die Nummer des Öllieferanten heraus und rief ihn an.

»Alles in Ordnung, John? Könntest du eine Ladung Heizöl liefern? Nein, nicht mir, an Pippin Cottage. Ja, mach den Tank voll. Setz es auf meine Rechnung. Wenn du schon dabei bist, kannst du den Tank auch gleich mal überprüfen; sag Bescheid, wenn er ausgetauscht werden muss. Danke, dir ebenfalls schöne Feiertage!«

Als er auflegte, wanderten seine Gedanken zurück zu der neuen Bewohnerin von Pippin Cottage. Er hatte das dumpfe Gefühl, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben, kam aber beim besten Willen nicht darauf, wo. Nicht dass es eine Rolle spielte; das Cottage war verkauft. Wenigstens konnte er jetzt hoffentlich das Haus und die Begegnung mit seiner Besitzerin hinter sich lassen, denn er war aus mehr als einem Grund nicht allzu erpicht darauf, sich noch länger damit zu befassen. Kopfschüttelnd setzte er sich an den Schreibtisch und griff nach dem nächsten Stück Papier in Reichweite.

4

Anna hatte keine Zeit, noch länger Trübsal zu blasen. Das Treffen mit Ursula im Little Orchard Tea Shop rückte näher. Was sie geritten hatte, es auf den Tag ihres Einzugs zu legen, wusste sie nicht mehr genau, aber das Kartonauspacken konnte noch eine Weile warten.

Das Café war zu Fuß nur etwa zehn Minuten entfernt, und als sie die High Street hinunterging, war Weihnachten allgegenwärtig. Echte, knapp einen halben Meter hohe Tannen zierten alle Gebäude, und die festlichen Lichter an den Laternenpfählen leuchteten in der winterlichen Dunkelheit. Die Läden hatten noch geöffnet, um so kurz vor Weihnachten noch ein möglichst gutes Geschäft zu machen. Als Anna am Pub »The Stationmaster« vorbeikam, entströmten dem Restaurant köstliche Gerüche. Die kalte Luft verhieß Schnee, aber in diesem Teil der Welt waren weiße Weihnachten sehr unwahrscheinlich. Die wenigen Leute, an denen Anna vorbeikam, nickten und lächelten, und sie lächelte zurück.

Der Little Orchard Tea Shop machte bald zu, und als Anna durch die Tür kam, sah sie, wie Ursula hinter der Theke gerade einen verlockend aussehenden Weihnachtsstollen aufschnitt. Mit ihren wilden grauen Locken erinnerte sie an einen Hippie, doch unter der Mähne verbarg sich ein kluges, geschäftstüchtiges Köpfchen. Der Little Orchard Tea Shop war ein Gemeinschaftsprojekt mit ihrem Mann Brian, der sich hinter den Kulissen um die Finanzen kümmerte. Ursula selbst führte das Lokal seit fast zwanzig Jahren, unterstützt von Lizzie, ihrer Chef-Kellnerin, die gerade auf einem der weichen roten Sofas am anderen Ende des Ladens Platz genommen hatte, und einer Reihe von jugendlichen Hilfskellnerinnen, die den Staffelstab an ihre jüngeren Freundinnen übergaben, wenn sie das Interesse verloren, zur Uni gingen oder eine feste Stelle annahmen. Anna selbst hatte im Sommer, bevor sie auf die Uni gegangen war, im Café ausgeholfen.

Im Laufe der Jahre hatte sie den Little Orchard Tea Shop nie ganz aus den Augen verloren, denn Ursula war nicht nur eine gute Freundin ihrer Mutter, sondern auch Annas Patin. Obwohl sie beide nicht besonders religiös waren, hatten sie immer einen guten Draht zueinander gehabt. Selbst als Anna in einen anderen Teil des Landes gezogen war, hatte sie mit ihr Kontakt gehalten, zunächst über Briefe, später, als Ursula ihre Technikallergie überwunden hatte, über E-Mails. Anna war eine der Ersten, die erfuhr, dass Ursula aus gesundheitlichen Gründen jemanden suchte, der die Leitung des Cafés übernahm, und es erschien beiden die perfekte Gelegenheit für einen Neubeginn.

Das Café hatte sich im Laufe der Jahre zur Goldgrube entwickelt und selbst die eingefleischtesten Teetrinker zu Liebhabern verschiedener Sorten von italienischem und kolumbianischem Kaffee bekehrt. Mit dem finanziellen Polster, das Ursula und Brian für ihren Ruhestand angespart hatten, hatten sie sich eine Villa in Umbrien gekauft, denn das italienische Klima war gut gegen Ursulas Arthritis.

Als Anna über die Schwelle trat, sah Ursula auf und begrüßte sie lächelnd. »Anscheinend bist du also heil angekommen«, sagte sie, legte das Kuchenmesser beiseite, kam hinter der Theke hervor und umarmte ihre Patentochter herzlich.

»So einigermaßen. Meine Möbel haben einen kleinen Umweg gemacht, aber jetzt ist endlich alles da, wo es sein soll.«

»Du hättest das Treffen gerne verschieben können.« Ursula ging zum Sofa hinüber. »Ich meine, du übernimmst das Café ja offiziell erst im neuen Jahr, also haben wir noch ein bisschen Zeit.«

Mitfühlend bemerkte Anna den hölzernen Gehstock, auf den Ursula angewiesen war, und ihre steifen Bewegungen.

»Ich wollte eben so bald wie möglich vorbeikommen und mit dir plaudern.« Anna setzte sich ans andere Ende des Sofas, erleichtert, sich nach dem langen Tag ein bisschen ausruhen zu können. »Und zwischen Weihnachten und Neujahr bleibt mir ja noch genug Zeit, mir anzusehen, wie der Laden läuft.«

Lizzie, die immer noch ihre grüne Schürze mit der eingestickten weißen Aufschrift »Little Orchard Tea Shop« trug, lächelte Anna an, als sie nach einem Stück Stollen griff, den Ursula auf den Tisch gestellt hatte. Sie war Ende vierzig, hatte dichtes, dunkles Haar, ein freundliches Lächeln und verströmte eine Aura der Ruhe. »Hallo, schön, dich wiederzusehen«, sagte sie.

»Ich freue mich auch«, erwiderte Anna.

Ursula goss Anna eine Tasse Tee aus der Kanne ein, die bereits auf dem Tisch stand. »Ich bleibe noch eine Weile in der Nähe, bis das mit Italien in trockenen Tüchern ist. Willst du den Vertrag immer noch über ein Jahr abschließen?«

»Aber sicher«, antwortete Anna. Der Umzug nach Little Somerby war hoffentlich die letzte größere Umstellung in nächster Zeit. »Das Café zu übernehmen ist eine gute Art, wieder im Dorf Fuß zu fassen.« Und, dachte sie, hoffentlich konnte sie damit die letzten Reste der Dunkelheit vertreiben, die sich seit James’ Tod über sie gelegt hatte. Das Café versetzte sie in die Zeiten zurück, bevor ihre »richtige« Karriere begonnen hatte, als sie nach der Uni einen kleinen Sandwichladen übernommen hatte. Sie hoffte, wenn sie erst ein, zwei Wochen hinter der Theke gestanden hatte, würde sie schon zurechtkommen. Und Lizzie würde weiter im Café arbeiten, sodass Anna sich außerhalb der Kinderkrippenzeit um Ellie kümmern und das Backen übernehmen konnte. Und für den Fall, dass Anna Urlaub nehmen wollte, hatte Ursula eine Reihe von einheimischen Händlern zur Hand, die ihr Kuchen liefern konnten. Das gab ihr die dringend erforderliche Sicherheit, denn zu Hause zu backen war das eine, aber professionell zu backen etwas ganz anderes.

»Der sieht köstlich aus«, sagte Anna und nahm einen Bissen von dem Christstollen. Er verdankte seine Saftigkeit nicht den Früchten, sondern einem großzügigen Schuss Cider, der eine nette Abwechslung zu den üblichen mit Brandy getränkten weihnachtlichen Backwaren darstellte.

»Ich habe keinen Zweifel, dass deine Kuchen genauso gut sein werden«, sagte Ursula. »Die Lavendel-Honig-Cupcakes, die du im Sommer zum Geburtstag deiner Mutter gebacken hast, waren köstlich. Die solltest du unbedingt auf die Karte setzen, wenn du den Laden übernimmst. Es gibt ein paar einheimische Imker, die du dir ansehen solltest, das sorgt für den echten Somerset-Geschmack. Im Internet wirst du bestimmt schnell fündig.«

Anna amüsierte sich insgeheim darüber, dass Ursula über das Internet im selben Ton sprach wie über einen räudigen Fuchs. Sie bemerkte, dass Lizzie ihre Erheiterung teilte, und musste ein Lächeln unterdrücken. Sie wusste, dass Ursula bewusst darauf verzichtet hatte, in ihrem Laden WLAN für die Kunden einzurichten, denn die Vorstellung, dass sie »auf ihren Laptops herumtippen, anstatt sich zu unterhalten«, gefiel ihr gar nicht, doch Anna zog es definitiv in Erwägung. Die Zeiten änderten sich eben.

»Und bitte, hab keine Hemmungen, dem Café deinen eigenen Stempel aufzudrücken«, sagte Ursula und nahm sich noch ein Stück Stollen. »Wenn du es neu streichen willst, nur zu, und du kannst auch gerne die Tischdecken austauschen, wenn du willst, obwohl sie noch gut in Schuss sind.«

Anna grinste. »Danke, aber ich werde nichts allzu Haarsträubendes tun, ohne es vorher mit dir abzusprechen.« Sie mochte den Shabby-Chic-Stil des Cafés, und die einzigen Wände, die sie zu streichen gedachte, waren die von Pippin Cottage.

»Wie du willst.« Ursula seufzte. »Ich gehe zwar davon aus, dass ich wieder übernehme, wenn das Jahr um ist, aber um ehrlich zu sein, bekommt das italienische Klima mir einfach zu gut, und ich freue mich schon darauf, endlich wieder malen zu können.«

Anna betrachtete die geschmackvollen, gerahmten Pastellbilder an den Wänden, die vermutlich Ursulas Werk waren. Der italienische Einfluss – warme Farben, weite Landschaften – war offensichtlich. »Das klingt doch wunderbar«, sagte sie und warf einen Blick nach draußen; der Kontrast zwischen den Bildern und dem englischen Wetter hätte nicht größer sein können.

»Ich lasse dir einen Ordner mit allen wichtigen Informationen da; wem wir Rechnungen bezahlen müssen, Lieferanten, die Gebrauchsanweisung für den Herd und so weiter.« Ursula schwieg kurz. »Und natürlich den Kalender, damit ihr zwei euch einigen könnt, wer wann was macht.«

»Alles ist leichter, als den Rayburn zu bedienen, den ich gerade geerbt habe.« Anna lächelte süffisant. »An den muss ich mich erst mal gewöhnen.«

»Du brauchst wahrscheinlich Spezialbackbleche«, warf Lizzie ein. »Die Kinder und ich haben vor ein paar Jahren Urlaub in einem Cottage in Cornwall gemacht, und da gab es auch einen. Ich hab fast den ganzen Urlaub gebraucht, um rauszufinden, dass eins der beiliegenden Backbleche eigentlich als Hitzeschutz für den unteren Teil des Ofens gedacht war. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Sachen mir angebrannt sind, bis eins der Mädchen auf Google nachgesehen hat.«

»Na ja, wie auch immer, wenn du hier in der Küche backen willst, brauchst du ein Gesundheitsschutzzertifikat, aber das ist sicher kein Problem.« Ursula lächelte. »Und was das Übrige angeht, das lernst du schon noch im Laufe der Zeit. Lizzie kennt das Café wie ihre Westentasche, und sie hilft dir gerne weiter.«

»Danke«, sagte Anna und trank ihren Kaffee aus. »Auch dafür, dass du mir all das anvertraust. Es ist gut zu wissen, dass ich jetzt, wo ich wieder hier im Dorf lebe, eine neue Aufgabe habe.«

»Als wären ein Umzug und ein Kleinkind nicht schon Arbeit genug.« Ursula lächelte verständnisvoll. »Und dann auch noch allein.«

»Ich brauche eine neue Herausforderung«, sagte Anna leise. Selbst nach zwei Jahren überfiel sie die Trauer manchmal noch unerwartet, auch wenn sie heute besser mit dem Mitgefühl der Leute umgehen konnte. In den ersten schmerzlichen Monaten hatte sie mehr als einmal die Fassung verloren, aber jetzt kam sie damit einigermaßen klar. Außerdem hatte sie sich nach dem Vorfall mit dem Ofen fürs Erste ausgeweint.

»Okay, dann lassen wir es für heute gut sein«, sagte Ursula forsch. »Ich bin sicher, du hast im neuen Haus noch genug zu tun, und wir müssen das Café für morgen vorbereiten. Dann sehen wir uns frisch und munter im neuen Jahr wieder.«

Als Anna den Little Orchard Tea Shop verließ, empfand sie erneut einen Anflug von Vorfreude. Es war ein langer Tag gewesen, aber das Schlimmste war vorbei. Jetzt lagen nur noch ein Berg von Kartons, die ausgepackt werden wollten, Weihnachten und ihre erste Arbeitswoche vor ihr. Wenn’s weiter nichts ist, dachte sie ironisch und machte sich auf den Rückweg.

5

Auch in der Zeit vor Annas erster Woche im Little Orchard Tea Shop ging nicht alles glatt. Sie und Ellie hatten den ersten Weihnachtstag bei ihren Eltern verbracht und auch dort geschlafen, aber von dem Augenblick an, als sie am zweiten Weihnachtsfeiertag am späten Vormittag die Haustür des Cottages aufschloss, war sie erneut in ein tiefes Loch der Trauer gefallen. Als sie dann auch noch entdeckte, dass eine Schachtel mit James’ alten Liebesbriefen während des Umzugs von einer zerbrochenen Whiskyflasche durchweicht worden war, brachte es das Fass zum Überlaufen. Die Briefe waren völlig ruiniert und befanden sich jetzt in der hässlichen schwarzen Mülltonne an der Hintertür. Dort hatte Charlotte Anna gefunden, als sie ihr Ellies Mütze vorbeibrachte, die am Umzugstag liegen geblieben war. Sie ging mit Anna ins Haus, setzte sie auf einen Küchenstuhl und stellte den Wasserkocher an.

»Es ist einfach nicht fair!«, weinte Anna. »James sollte hier sein, bei mir und Ellie. Es ist verdammt noch mal nicht fair!« Hilflos schluchzend brach sie zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Es tut mir so leid, Schätzchen.« Charlotte legte den Arm um sie und ließ sie weinen. Sie strich ihr übers Haar und flüsterte beruhigend auf sie ein, bis Annas Schluchzen allmählich verebbte.

Schließlich sah Anna auf. »Nein, mir tut es leid. Du hast auch so schon genug um die Ohren, ohne dass ich mich auch noch bei dir ausheule.«

»Mach dir darüber keine Gedanken.« Charlotte grinste reumütig. »Ich habe Simons Mutter mit einer Flasche Sherry und einem Stapel von Simons Socken zurückgelassen, die gestopft werden müssen, schließlich regt sie sich immer darüber auf, dass ich sie nicht selbst flicken will. Damit sollte sie ein paar Stunden beschäftigt sein.«

Anna trocknete sich die Tränen mit dem Ärmel und lächelte. »Das liebe ich so an dir – deinen Optimismus.«

Charlotte verdrehte die Augen. »Bitte, jetzt werd mir bloß nicht rührselig.«

»Wie spät ist es?«, fragte Anna.

»So gegen elf.«

»Gut. Dann kann ich wenigstens noch mein Gesicht in Ordnung bringen, bevor Ellie mich so sieht.« Sie hatte das Mädchen noch bei ihren Eltern gelassen, die sich als Babysitter angeboten hatten, damit sie die letzten Kartons auspacken konnte.

»Es ist okay zu weinen, weißt du?«, sagte Charlotte sanft. »Du hast vor nicht mal zwei Jahren deinen Mann verloren. Das ist doch nur zu erwarten.«

»Seit letzter Woche ist es schon zwei Jahre her. Der Tag, an dem wir – ich in dieses Haus eingezogen bin.«

»Meine Güte, was für ein Timing.«

»Manchmal, wenn ich aufwache, denke ich, er ist noch am Leben. Und ich stelle alles infrage, was ich tue, und denke darüber nach, ob James mit meiner Entscheidung einverstanden wäre. Ob ich nun Milch kaufe oder ein Haus oder Ellie eine Auszeit verordne, immer muss ich darüber nachdenken.«

»Weißt du noch, wie ihr geheiratet habt?«, fragte Charlotte. »Die Kirche, die Blumen, deine kleine Cousine Emily, die mitten auf dem Gang einen Trotzanfall bekam und zu ihrer Mutter gebracht werden musste …«

»Wie Dad vor seiner Rede zu viel Whisky getrunken hat und James’ Mutter tödlich beleidigt war, weil wir Tante Maureen nicht gebeten hatten, die Torte zu backen, obwohl die schon fünfundachtzig und halb blind war …«

»Und James und Simon haben auf dem Rasen mit den leeren Sektflaschen und einem herumliegenden Fußball gekegelt …«

Anna lachte. »Es war so ein schöner Tag. Zur Beerdigung sind nicht ganz so viele gekommen.«

»Sie wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten«, bemerkte Charlotte.

»Nachdem er gestorben ist, haben manche die Straßenseite gewechselt, wenn sie mir begegnet sind.«

Charlotte lächelte traurig.

»Und es gab Zeiten, da kam ich mir ohne ihn völlig verloren vor.«

»Anna.« Charlotte stellte eine frische Tasse Tee vor ihre Freundin. »Du und Ellie, ihr seid das Einzige, was jetzt zählt. James würde wollen, dass ihr glücklich seid. Ich weiß, es ist nicht dasselbe, als wäre er hier bei dir, aber er hat gut für euch gesorgt. Er würde wollen, dass du das tust, was sich für dich und dein süßes kleines Mädchen richtig anfühlt.«

Anna versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Charlotte war nicht umsonst ihre beste Freundin. »Du hast recht«, räumte sie ein und trank einen Schluck Tee.

»Wann hatte ich je unrecht?«

Eine Pause entstand, während die beiden Freundinnen an ihren Keksen knabberten.

»Eins wollte ich dich die ganze Zeit schon fragen«, sagte Charlotte zwischen zwei Bissen. »Warum hat Matthew Carter eigentlich am Tag deines Umzugs an deine Tür geklopft?« Obwohl Charlotte nur zwei Türen weiter wohnte, hatten beide zu viel zu tun gehabt, um sich länger zu unterhalten.

»Ach, so heißt er also? Er war so abweisend, dass ich mir gar nicht die Mühe gemacht habe, ihn danach zu fragen.«

»Na, ob abweisend oder nicht, er sieht immer noch verdammt gut aus. Den würde ich nicht von der Bettkante schubsen, wenn ich nicht schon mit der Liebe meines Lebens verheiratet wäre.«

»Wenn man auf den Typ steht.«

»Wer würde nicht auf so was stehen?«, erwiderte Charlotte. »Groß, dunkelhaarig – na gut, mittlerweile leicht angegraut, aber er ist ja auch schon über vierzig – aktiver Typ, gebräunt, muskulös und obendrein stinkreich.« Sie seufzte, als Anna ihr einen fragenden Blick zuwarf. »Du weißt schon … Carter’s Cider? Der Matthew Carter?«

Dann fiel der Groschen. »Aber natürlich! Ich dachte mir gleich, dass ich ihn irgendwoher kenne. Hat er uns nicht vor ungefähr einer Million Jahren die Cider Farm gezeigt, als wir bei den Pfadfinderinnen ausgeholfen haben?«

Charlotte lachte. »Du bist auf der Scheunentreppe gestolpert, und er musste dir aufhelfen. Und die gottverdammten Mädchen haben die ganze Zeit durcheinandergekichert. Gott sei Dank mussten wir kurz danach zur Uni.«

Anna lachte. »Tja, anscheinend hat er sich nur ungern von dem Cottage getrennt, denn am Umzugstag und auch bei der Besichtigung hat er die ganze Zeit ein miesepetriges Gesicht gemacht.«

»Wirklich?« Charlotte sah überrascht aus. »Hast du nicht erzählt, es wäre der Makler gewesen, der sich damals wie der letzte Arsch aufgeführt hat?«

»Ich dachte, er wäre der Makler.« Anna runzelte die Stirn. »Aber anscheinend ist er nur eingesprungen. Das habe ich aber erst rausgefunden, als er neulich hier war. Im Kaufvertrag steht nur der Name einer Holdinggesellschaft.«

»Wie clever vom alten Jack«, erwiderte Charlotte. »Das Grundstück all die Jahre als Unternehmensinvestition zu behalten.« Sie trank ihre Teetasse aus. »Keine Ahnung, warum Matthew so unfreundlich war, als du das Haus besichtigt hast. Vielleicht hat Jack über seinen Kopf hinweg gehandelt, und Matthew, der Kontrollfreak, hat sich auf die Zehen getreten gefühlt, weil sein Dad die Entscheidung getroffen hat, ohne ihn zu fragen. Matthews Bruder Jonathan hat eine Weile in dem Cottage gelebt, und seitdem war es immer vermietet. Vielleicht wollte Matthew es ja lieber weiterhin vermieten.«

»Ach ja, stimmt«, sagte Anna. »Ich hatte ganz vergessen, dass es noch einen Carter-Bruder gibt. Ich schätze, weil sie beide älter sind als wir, haben wir uns nicht in den gleichen Kreisen bewegt.«

»Sprich nur für dich selbst«, sagte Charlotte ironisch. »Aber Jonathan sieht genauso gut aus, unerreichbar wie ein Model. Schade, dass er nicht mehr hier wohnt.« Sie grinste. »Wie ich höre, hat irgendeine durchgeknallte junge Mutter das Cottage gekauft.«

Anna schnaubte. »Charmant wie immer, du blöde Kuh!« Sie gab Charlotte einen spielerischen Klaps auf den Arm. »Und, was ist aus ihm geworden? Dem noch besser aussehenden Bruder, meine ich?«

»Niemand weiß es genau. Er hat noch Kontakt zu Jack, wie ich höre, aber er hat sich schon seit Jahren nicht mehr im Dorf blicken lassen.«

Anna sah auf die Uhr. »Ich muss los – es gibt gleich Mittagessen bei Mum und Dad.«

»Also muss ich Matthew Carter weiterhin aus der Ferne bewundern, du lustige Witwe?«, zog Charlotte sie auf.

Anna verzog das Gesicht. »Kein Interesse, Charlotte. Und hör auf, mich so zu nennen.«

»Sind dir Tee, Mitleid und herablassendes Handtätscheln etwa lieber? Wir zwei haben nie ein Blatt vor den Mund genommen – und ich werd jetzt nicht damit anfangen.«

»Schon gut«, sagte Anna mit einem kleinen Lächeln. Es gab schlimmere Spitznamen. »Aber auf das andere kannst du lange warten.«

»Wir werden sehen.« Charlotte grinste. »Nach ein paar Monaten wirst du merken, dass solche Sahneschnittchen hier dünn gesät sind. Matthew Carter ist bei Weitem das Beste, was wir zu bieten haben, wenn du nicht gerade auf altersschwache Milchbauern stehst.«

Anna ersparte sich die Antwort und stand auf, um ihren Mantel und ihre Schlüssel zu holen.

*

»Tschüss, Mum, danke, dass ihr euch um Ellie gekümmert habt.« Anna küsste ihre Mutter zum Abschied und nahm die Hand ihrer kleinen Tochter.

»Bist du sicher, dass Dad dich nicht nach Hause fahren soll?« Julia Clarke sah ihre Tochter besorgt an und runzelte die Stirn.

»Nein, nein – an so einem schönen Tag könnten wir noch einen kleinen Spaziergang über die Strawberry Line machen.« Anna war dankbar, dass sie nicht weiter nachbohrte. Das sensible Gespür ihrer Mutter war etwas, worauf sie sich verlassen konnte, ganz besonders jetzt. Falls sie beim Mittagessen bemerkt hatte, dass die Augen ihrer Tochter immer noch leicht gerötet waren, erwähnte sie es mit keinem Wort.

»Dann viel Spaß – ich hoffe, es ist nicht zu weit für Ellie.« Julia küsste ihre Tochter und ihre Enkelin und begleitete sie die Auffahrt hinunter.

»Danke – ein bisschen frische Luft wird uns guttun.« Anna umarmte ihre Mutter und machte sich mit Ellie auf den Weg. Die Strahlen der Wintersonne fielen durch die kahlen Zweige der Bäume, als sie die Strawberry Line entlangschlenderten. Der Spaziergang entspannte Anna, und die kalte Winterluft wirkte belebend.

Am Wegrand entdeckte sie die alten Reitwege, über die sie früher in ihrer Jugend an diesigen Sommertagen allein oder gelegentlich zusammen mit ihrem damaligen Freund geschlendert war. Als Teenager war sie viel durch die Natur gestreift; wenn man auf dem Land aufwuchs, hatte man gewisse Freiheiten, die sie damals für selbstverständlich gehalten hatte, aber heute zu schätzen wusste. Während sie sich umsah, die Landschaft und Gerüche des sonnigen Wintertags in sich aufnahm, spürte sie, dass sie auf dem besten Weg war, sich hier wieder zu Hause zu fühlen.

Ellie, die ein Stück vorausgerannt war, genoss es anscheinend ebenso sehr, im Freien zu sein. Wehmütig dachte Anna daran, wie schnell die Zeit verging; bald war ihre Tochter kein Kleinkind mehr, und in nicht allzu ferner Zukunft würde sie alt genug sein, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.

Ellie war so lange nicht mehr draußen gewesen, dass sie zu viel überschüssige Energie hatte, und als sie ein Stück die Straße hinunter einen schwarz-weißen Hund erspähte, rannte sie einfach auf ihn zu. Nicht zum ersten Mal wünschte sich Anna, sie hätte ihr das Laufgeschirr angelegt, als sie eine Sekunde zu spät nach der Kapuze ihres pinken Anoraks griff.

»Eleanor Mary Hemingway, komm sofort zurück!«, rief Anna ihrer Tochter nach. Sie vergaß ihre gesamte Würde und rannte ihr hinterher, in der Hoffnung, dass Ellie klug genug war, sich von dem Hund fernzuhalten.

Zum Glück kam in dem Moment der Besitzer des Tiers in Sicht. Er hatte die Leine in der Hand und beschleunigte seine Schritte, als er das kleine Mädchen sah. Als Anna Ellie erreichte, streichelte sie den Hund und unterhielt sich angeregt mit dessen Besitzer.

»Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«, hörte sie ihre helle Stimme durch die Winterluft schallen.

»Ein Junge«, erwiderte der Mann. Er hatte Anna den Rücken zugewandt und sich zu Ellie hinuntergebeugt, sodass nur seine dunklen Locken und seine Tweedkappe sichtbar waren.

»Ellie, wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst nicht einfach so weglaufen?« Schwer atmend verfluchte Anna die zusätzlichen Pfunde, die sie sich über Weihnachten angefuttert hatte.

»Ist ja nichts passiert«, sagte der Hundebesitzer. »Er mag Kinder.«

Als der Mann sich umdrehte, erkannte Anna, dass sich ihre und Matthew Carters Wege erneut gekreuzt hatten.

»Oh. Hallo.« Danach wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte. Ihre Begegnungen waren ja bisher alles andere als freundlich verlaufen.

»Hören Sie«, sagte Matthew, als auch Anna sich aufgerichtet hatte. »Es tut mir leid, dass ich wegen der Sache mit dem Ofen neulich so unhöflich zu Ihnen war. Es war ja nicht Ihre Schuld, dass der Öltank leer war; das war ein lausiger Einstand in Ihrem neuen Zuhause, nicht wahr?« Er nahm die Tweedkappe ab und fuhr sich durch die Haare.

Anna war überrascht, nicht nur über die Entschuldigung, sondern auch darüber, wie verlegen er wirkte. Schließlich leitete der Mann ein erfolgreiches Geschäftsimperium. Warum sollte ihm das etwas ausmachen? Sie beschloss, nachsichtig zu sein.

»Entschuldigung angenommen«, sagte sie lächelnd. »Schon okay.« Sie hielt ihm die Hand hin. »Sollen wir noch mal von vorne anfangen? Ich bin Anna Hemingway.«

Grinsend ergriff Matthew ihre Hand. »Matthew Carter.« Er sah sie fragend an. »Sie kommen mir irgendwie so bekannt vor … Kennen wir uns von irgendwoher? Ich meine, von vor der Sache mit dem Cottage?«

Anna konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Haben Sie das wirklich gerade gesagt?«

»Nein, im Ernst! Ich nehme Sie nicht auf den Arm, versprochen.« Er sah sie nachdenklich an. »Haben Sie … Haben Sie mal die Farm besichtigt?«

Anna lächelte. »Wie es der Zufall will, habe ich vorhin mit meiner Freundin Charlotte darüber geredet. Sie hat Sie an dem Tag, als ich eingezogen bin, ins Cottage gehen sehen und mich daran erinnert.« Als sie Matthew anschaute, stiegen weitere Erinnerungen an jenen Tag in ihr auf. Eine kurze Begegnung in jungen Jahren; blitzende Augen an einem öffentlichen Ort; fliegende Funken, die auch andere bemerkt hatten; ein flüchtiger Moment, der sich nie wiederholt hatte. Der Geruch fermentierter Äpfel an einem Herbstabend; ein sanftes, verständnisvolles Lächeln und ein hauchfeines Prickeln.

»Ich habe die Führung gemacht – und Sie haben die ganze Zeit versucht, die Pfadfinderinnen dazu zu bringen, endlich mit dem Kichern aufzuhören. Und waren es Sie oder Ihre Freundin, die auf der Treppe in der Scheune gestolpert ist?«

Anna lief rot an, als wäre es gestern gewesen. »Ich«, gab sie zu. »Sie waren sehr geduldig, unter den Umständen.«

»Es gab damals wesentlich schlechtere Arten, einen Abend zu verbringen.«

»Tja … schön, Sie wiederzusehen«, sagte Anna, als eine Pause entstand. Plötzlich fiel ihr der Rayburn wieder ein. »Könnten Sie mir eventuell die Nummer des Öllieferanten geben, damit ich die Rechnung für den Tank bezahlen kann?«

Wieder lächelte Matthew, und Anna ertappte sich bei dem Gedanken, wie viel attraktiver er dadurch wirkte. Ein himmelweiter Unterschied zu der mürrischen Miene, die er zur Schau getragen hatte, als er ihr das Cottage gezeigt hatte. »Lassen Sie nur. Das war unser Fehler, wir kommen auch dafür auf.«

»Das brauchen Sie nicht. Ganz ehrlich.«

»Ich möchte es aber.«

Anna lächelte. »Wie Sie meinen. Vielen Dank.«

Sie sahen sich einen Moment lang an, unsicher, wie es weitergehen sollte. Anna war ihrer Tochter fast dankbar, als sie das Schweigen brach und von einem Bein aufs andere hüpfte.

»Ich muss mal, Mummy!«

»Bin ich froh, dass meine Tochter Meredith aus dem Alter raus ist.«

Anna war innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal überrascht. »Sie sind Merediths Vater?« Jetzt fiel ihr auf, dass die beiden die gleichen dunklen Haare, die gleiche Größe und das gleiche Lächeln hatten. Allerdings waren Matthews Augen haselnussbraun, während Merediths eisblau waren.

Matthew nickte. »Sie hat mir erzählt, dass sie Sie kennengelernt hat. Ich hoffe, sie ist Ihnen nicht zur Last gefallen.«

»Überhaupt nicht.« Anna nahm Ellies Hand. Das Mädchen hopste immer noch auf der Stelle. »Komm, Kleines, schauen wir mal, ob wir irgendwo eine Toilette finden.«

»Bis bald«, sagte Matthew und legte Sefton die Leine an.

Nachdem sie sich verabschiedet hatte, machte sich Anna auf den Heimweg. Wer hätte gedacht, dass Matthew Carter sich nach all den Jahren immer noch an die Besichtigung erinnerte oder die Rechnung für das Öl übernehmen würde? Das war zwar nur ein Taschengeld für ihn, aber trotzdem eine nette Geste. Als sie zu Hause in den Flurspiegel schaute, war sie überrascht, dass ihre Wangen Farbe bekommen hatten und ihre Augen funkelten. Der Spaziergang hatte ihr offensichtlich gutgetan.

6

Bevor Anna den Little Orchard Tea Shop übernahm, konzentrierte sie sich darauf, Pippin Cottage so wohnlich wie möglich einzurichten. Einen Ort für ihre Habseligkeiten zu finden, hatte seltsamerweise eine fast therapeutische Wirkung, und sie ertappte sich dabei, dass sie in ihrem neuen Heim und ihrem neuen Leben, wenn noch nicht direkt glücklich, so doch zumindest zufrieden war.

Meredith Carter kam noch einmal vorbei, ehe die Schule wieder anfing. Sie verstand sich auf Anhieb gut mit Ellie und beschäftigte sich zwei Stunden lang mit ihr, während Anna versuchte, Ordnung ins Chaos zu bringen. Meredith besuchte, wie Anna aufgrund ihres Akzents vermutet hatte, tatsächlich eine Privatschule, wohnte jedoch nicht dort, sondern kam, je nachdem, an welchen Nachmittagsaktivitäten sie teilnahm, meist erst gegen Abend nach Hause. Sie wollte lieber zu Hause bei ihrem Vater wohnen als im Internat.

»Dad würde innerhalb kürzester Zeit an einem Herzinfarkt sterben, wenn ich nicht mehr da wäre«, erklärte sie Anna. »Er kocht praktisch nie und isst tagsüber kaum was, also muss ich jeden Abend dafür sorgen, dass er nicht ständig zur Frittenbude rennt.«

»Aber verpasst du denn nichts, wenn du nicht im Internat lebst?« Anna war fasziniert von Privatschulen und stellte sich vor, dort würde ständig Lacrosse gespielt und es gäbe immer klebrige, schwere Kuchen zum Tee.

»Eigentlich nicht. Am liebsten würde ich auch tagsüber hierbleiben.«

»Aber du gehst schon gern zur Schule?«

»Ja, klar! Aber ich komme auch gern wieder nach Hause in mein eigenes Zimmer.«

Anna lächelte in sich hinein und wunderte sich darüber, dass ein Einzelkind wie Meredith so viel Geduld mit Ellie hatte.

»Ich hab mir immer eine kleine Schwester gewünscht«, sagte Meredith. »Und sie ist so lieb.«

»Wenn sie sich ausnahmsweise benimmt oder schläft«, erwiderte Anna.

»Warum kommst du nicht am Samstag mit ihr zur Apfelbaumsegnung?«, fragte Meredith. »Das gefällt ihr bestimmt. Tanz, Gesang, Schrotflinten …« Sie lachte über Annas entsetztes Gesicht. »Keine Sorge, damit werden nur Salutschüsse abgegeben.«

»Was genau ist das?«, fragte Anna neugierig.

»Dad veranstaltet das jedes Jahr, seit er das Geschäft übernommen hat. Die Moriskentänzer tanzen eine Runde, alle trinken heißen Gewürz-Cider und essen Schweinebraten, und na ja, dann werden die Apfelbäume gesegnet.«

»Klingt ja witzig. Sind alle eingeladen?«

Meredith überlegte kurz. »Na ja, schon. Wir laden all unsere Freunde ein, wenn du verstehst. Und da du meine Freundin bist, dachte ich mir, ich lade dich ein.«

»Bist du sicher, dass dein Vater nichts dagegen hat, wenn ich komme?«

»Überhaupt nicht – du lebst ja praktisch in einem der Apfelgärten, warum solltest du also nicht mitfeiern?«

Anna lächelte. »Das ist lieb von dir, Merry – wir überlegen es uns.«

»Und nach der ersten Woche im Café kannst du ein bisschen Erholung sicher gut gebrauchen«, fügte Meredith hinzu. »Wenn du willst, kann ich ein paar Werbezettel an der St. Jude’s School auslegen.«

»Ich weiß nicht, ob das Café und ich einen Schüleransturm verkraften würden!« Anna lachte. »Obwohl es mich überrascht, dass noch nicht alle Schüler hier waren.«

Meredith grinste. »Ursula kann ganz schön Furcht einflößend sein. Nachdem eine Gruppe von Schülern aus dem Jahrgang über mir eine Essensschlacht veranstaltet hat, hat sie sie verbannt.«