Das kleine Bistro in Little Somerby - Fay Keenan - E-Book

Das kleine Bistro in Little Somerby E-Book

Fay Keenan

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Beschreibung

England, Liebe und der Duft nach Apfelwein: Dieser atmosphärische Liebesroman ist der zweite Teil der dreibändigen Little Somerby-Serie von der britischen Autorin Fay Keenan, der abermals mit einer großen Portion Liebe und Romantik in der Gegend Somersets spielt. Caroline Hemingway sehnt sich nach einem Neuanfang. Auf Anna und Matthew Carters Hochzeit fasst sie den Entschluss, in das idyllische Little Somerby zu ziehen und dort ein Bistro zu eröffnen. Da kommt gerade gelegen, dass die Carters die große Apfelwein-Plantage in Little Somerby besitzen, und so baut sich Caroline in dem romantischen Dörfchen eine gemütliche, kleine Cider Kitchen auf. Bald schon prickelt es nicht nur in den Gläsern, sondern auch zwischen Caroline und Matthews Bruder Jonathan Carter, doch als jemand aus Carolines Vergangenheit in die Quere kommt, werden nicht nur ihre Gefühle, sondern auch die Zukunft des Bistros ordentlich auf die Probe gestellt. Rastlose Herzen, geheime Vergangenheiten und eine neue Chance für die Liebe: Der zweite Liebesroman der prickelnden Serie von Fay Keenan in dem kleinen Dorf Little Somerby. Ein Liebesroman voller Sommerlaune und Romantik, wie nur Fay Keenan ihn zu schreiben weiß

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Seitenzahl: 467

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Fay Keenan

Das kleine Bistro in Little Somerby

Roman

Aus dem Englischen von Simone Jakob

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Rastlose Herzen, große Geheimnisse und eine neue Chance für die Liebe

Caroline sehnt sich nach einem Neuanfang. Als sie für eine Hochzeit ins malerische Little Somerby reist, verliebt sie sich auf der Stelle in das kleine englische Örtchen. Daher ergreift sie ihre Chance und eröffnet in einer alten, wenn auch wunderschönen Scheune ein Cider-Bistro. Schon bald beginnt es zwischen ihr und Jonathan, dem Sohn des örtlichen Cider-Unternehmers, ordentlich zu knistern. Doch als Caroline plötzlich von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, werden nicht nur ihre Gefühle, sondern auch die Zukunft des Bistros hart auf die Probe gestellt.

Der zweite Band der romantischen Little Somerby-Serie von der britischen Autorin Fay Keenan.

Inhaltsübersicht

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Danksagung

 

 

 

 

Für Nick … der es vielleicht schon die ganze Zeit wusste

1

Von all den Dingen, die man tun kann, dachte Caroline Hemingway, gehört es sicherlich zu den seltsamsten, der Witwe des eigenen Bruders dabei zuzusehen, wie sie einen anderen Mann heiratet. Caroline blinzelte in der warmen Frühlingssonne und schaute sich um. Etwa fünfzig Gäste saßen auf den mit weißen Hussen bezogenen Stühlen in der Hauptallee des Apfelgartens von Carter’s Cider und warteten auf die Ankunft der Braut. Es war ein perfekter Tag für eine Maihochzeit. Der Himmel war wolkenlos, und die Bäume standen in voller Blüte, was aussah, als würden sie bauschige Kleider in Hellrosa und Weiß tragen – eine natürliche Ehrengarde von Brautjungfern. In der Luft lagen der Duft von frisch gemähtem Gras und der erste Hauch von Geißblatt, das an der Strawberry Line wuchs, der alten Bahntrasse, die an der Cider-Farm vorbeiführte. Darunter mischte sich der süße Duft von Wiesenkerbel. Der Bräutigam, der auch der Geschäftsführer der Cider-Farm war, sah wenn nicht gerade nervös, so doch definitiv angespannt aus, obwohl sein Gesichtsausdruck seiner charismatischen Ausstrahlung keinen Abbruch tat. Wenn man von der rosa Rose in seinem Knopfloch absah, hätte er in seinem dunklen Nadelstreifenanzug auch geradewegs vom Schreibtisch aufgestanden sein können. Neben ihm stand, deutlich entspannter, sein Trauzeuge, der sich ab und zu vorbeugte und ihm etwas zuflüsterte. Caroline fielen sein hellbraunes Haar, sein lockeres Auftreten und sein breites Lächeln auf, während er versuchte, den ernst dreinblickenden Bräutigam aufzuheitern, und sie erkannte am ähnlichen Körperbau, dass es sich um den Bruder des Bräutigams handeln musste, von dem sie schon einiges gehört hatte.

Der Anblick versetzte ihr einen Stich; der entspannte Umgang der beiden erinnerte sie daran, wie nahe sie und ihr eigener Bruder sich gestanden hatten, dessen Witwe nun im Begriff war, einen anderen Mann zu heiraten. Als die ersten Töne des Hochzeitsmarsches erklangen, musste sie die Tränen zurückhalten. James hätte es verstanden, dachte sie. James hätte gewollt, dass Anna glücklich ist. Sie, Caroline, sollte es ihm gleichtun.

Weil sie sich nicht dazu durchringen konnte, sich umzudrehen und Anna den Gang zwischen den Stuhlreihen entlangschreiten zu sehen, hielt Caroline den Blick weiter auf die beiden Männer gerichtet. Beim Einsetzen der Musik streckte der jüngere Mann die Hand aus und berührte seinen Bruder am Ellbogen, und als der Bräutigam sich umwandte und die Braut erblickte, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus.

Caroline spürte, dass die Braut sich näherte, und schaute sich um. Anna schien vor lauter Glück von innen heraus zu leuchten. Caroline schluckte den Kloß im Hals herunter, als ihre Schwägerin an ihrer Stuhlreihe vorbeiging, mit ihrem Vater Richard an ihrer Seite, der stolz und glücklich aussah, weil er seine Tochter zum Altar führen durfte. Hinter Anna gingen die beiden Brautjungfern, die eine ein hochgewachsener Teenager, die andere eine niedliche Vierjährige, beide im selben Rosaton gekleidet, der zu den Apfelblüten passte.

Annas Blick begegnete Carolines, und sie lächelte sanft, vermutlich weil sie sich bewusst war, wie seltsam die Situation für Caroline sein musste. Dann schritt sie weiter den Gang hinunter, wo ihr Bräutigam, der Trauzeuge und der Hochzeitsredner warteten. Sie hielt inne und übergab ihren Brautstrauß aus Freesien, Rosen und Apfelblüten der älteren Brautjungfer. Caroline beobachtete, wie Anna sich ihrem Bräutigam zuwandte, der anscheinend für einen Moment vergaß, wo sie sich befanden, seiner Braut die Hand auf die Wange legte und sie zärtlich küsste.

»Das macht man erst am Ende, du Dussel«, sagte Jonathan, der Trauzeuge, leise, aber laut genug, dass die versammelten Gäste ihn hören konnten. Die Gemeinde lachte, und Matthew, der Bräutigam, grinste. Carolines Herz machte einen Satz, als er sich hinunterbeugte und Anna etwas ins Ohr flüsterte. Annas Lächeln zeigte deutlich, wie glücklich sie war. Wie sehr die Dinge sich doch für sie gewandelt hatten, dachte Caroline. Wie wunderbar es war, dass sie wieder einen Mann hatte, der sie so sehr liebte. Trotz ihrer widersprüchlichen Gefühle war Caroline auch ein bisschen neidisch. Ihr eigenes Leben war in den letzten Jahren so kompliziert gewesen, dass sie beinahe daran zerbrochen wäre. Aber, dachte sie entschlossen, die Zeit war gekommen, all das hinter sich zu lassen. Es war, als würde sie dadurch, dass sie diese Hochzeit besuchte und Anna so glücklich sah, sich selbst die Erlaubnis geben, die Vergangenheit endgültig hinter sich zu lassen. Nach den Traumata der letzten Jahre war es Zeit für einen Neubeginn. Der Frühling stimmte sie immer hoffnungsvoll, und in dieser wunderschönen Umgebung konnte sie gar nicht anders, als sich optimistisch zu fühlen.

Während der Hochzeitsredner Anna, Matthew und ihre Gäste durch die Zeremonie führte, sah Caroline, wie glücklich sie und die beiden Brautjungfern waren. Meredith, die ältere, war Matthews Tochter, und Ellie, die jüngere, Annas Tochter und Carolines Nichte. Caroline wandte ihre Aufmerksamkeit zwischendurch immer wieder dem Trauzeugen zu. Während er vor der Zeremonie so darauf bedacht gewesen war, seinen Bruder zu beruhigen, betrachtete er nun feierlich das Brautpaar. Er war wirklich attraktiv, stellte sie unwillkürlich fest. Sie wusste, dass es eine Menge Zeit und Gespräche gebraucht hatte, bis die Brüder an diesen Punkt gekommen waren, und dass Anna einen großen Anteil daran gehabt hatte.

Als die Zeremonie beendet war und Anna und Matthew sich erneut küssten, kamen Caroline plötzlich die Tränen. Zum Glück war sie nicht die Einzige. Annas Mutter Julia, die neben ihrem Ehemann in der ersten Reihe saß, betupfte sich die Augen diskret mit einem Taschentuch. Der immer noch breit grinsende Matthew wandte sich an die versammelten Freunde und Familienmitglieder. »In Absprache mit meinem neuen Schwiegervater und zur großen Erleichterung meines Bruders wird es an diesem Nachmittag keine formellen Reden geben«, sagte er und lächelte seine Frau an. »Daher möchte ich diese Gelegenheit nutzen und auch im Namen meiner Frau …« – er legte eine Pause ein, als die Gäste laut jubelten –»… auch im Namen meiner Frau Anna euch allen für euer Kommen danken und euch einladen, mit uns gemeinsam hier im Obstgarten zu essen, zu trinken und zu feiern.« Er legte einen Arm um Anna, und zusammen schritten sie durch die versammelten Gäste.

Als Caroline später bei einem Glas Sekt mit Annas bester Freundin Charlotte plauderte, die sie ein paarmal getroffen hatte, als sie Anna in Hampshire besucht hatte, spürte sie plötzlich, wie zwei kleine Arme um ihre Beine geschlungen wurden. »Hallo, Tante Caroline«, rief Ellie. »Gefällt dir mein Kleid?«

Caroline schaute auf das kleine Mädchen hinunter, dessen blondes Haar sich bereits aus den Schleifen löste. Ellies Kinn zierte ein Schokoladenfleck von den Cupcakes, die sie gegessen hatte. Sie sah ihrem verstorbenen Vater, Carolines älterem Bruder James, so ähnlich, dass es Caroline für einen Moment die Sprache verschlug. Sie riss sich zusammen, lächelte und beugte sich hinunter, um ihre Nichte in die Arme zu schließen.

»Du siehst wunderhübsch aus«, sagte sie und atmete den Duft von kleinem Kind und Schokolade ein. »Hattest du einen schönen Tag?«

»Ja«, sagte Ellie, als Caroline sie losließ. »Mummy hat jetzt einen neuen Mann.«

Caroline lächelte. »Ich weiß. Magst du ihn?”

Ellie legte den Kopf schief und schaute ihre Tante an. »Ja. Er ist sehr groß.«

Caroline lachte. »Das ist er wirklich! Warum stellst du mich ihm nicht mal vor?«

»Okay.« Sie nahm Carolines Hand und zog sie mit sich zu den beiden Frischvermählten, die nicht weit entfernt standen und das Geschehen beobachteten. »Mummy, Matthew, Tante Caroline möchte Hallo sagen.«

Caroline war erst heute Morgen nach Little Somerby gefahren statt schon am Abend zuvor, sodass es die erste Gelegenheit für die beiden Frauen war, ein paar Worte zu wechseln.

»Es ist so schön, dich zu sehen.« Anna umarmte Caroline. Ihr langes, cremefarbenes Kleid mit dem schlichten Spitzensaum und dem v-förmigen Rückenausschnitt bildete einen perfekten Kontrast zu ihrem dunklen Haar und den grünen Augen. Annas gerötete Wangen strahlten mit den Apfelblüten in ihrem Brautstrauß um die Wette. »Ich bin so froh, dass du kommen konntest.«

»Das hätte ich mir doch auf keinen Fall entgehen lassen.« Caroline kämpfte immer noch mit den widersprüchlichen Gefühlen, die der heutige Tag in ihr auslöste, aber als Anna sich Matthew zuwandte, um ihn ihr vorzustellen, sah Caroline die tiefe Freude im Blick ihrer Schwägerin und, was ebenso wichtig war, denselben Ausdruck auf dem Gesicht des Bräutigams.

»Das ist Matthew«, sagte Anna leise.

Er schüttelte Carolines Hand. »Schön, dich endlich kennenzulernen. Anna hat mir viel von dir erzählt.«

»Nicht zu viel, hoffe ich!«

Die drei lachten, und Matthew sagte: »Toll, dass du da bist. Wir freuen uns wirklich.« Dann sah er seine Frau an. »Anna sagte, dass du ein Zimmer im Rose Cottage im Dorf genommen hast. Du bist aber auch herzlich eingeladen, bei uns zu übernachten, wenn du magst.«

Caroline lächelte. »Danke, aber ich dachte, ich erspare euch lieber das Theater, während eurer eigenen Hochzeit einen Gast im Haus beherbergen zu müssen. Und das Rose Cottage hat tolle Rezensionen.«

»Bei Trip Advisor hat es schon seit der Eröffnung fünf Sterne«, sagte Anna. »Aber du kommst doch morgen Abend zum Essen?«

»Gern, danke für die Einladung.«

Als sie das Brautpaar und ihre Nichte anschaute, die mit ihrem neuen Leben so glücklich waren, spürte Caroline, wie sie erneut von Trauer überwältigt wurde. Sie verfluchte den verräterischen Glanz in ihren Augen und schaute über Annas Schulter zur Bar. »Ich geh mir mal ein Glas von dem berühmten Cider holen«, sagte sie, in dem Wissen, dass Anna es verstehen würde.

Gerade als sie sich zum Gehen wandte, rief Matthew: »Jonno, komm doch mal kurz rüber.« Er winkte seinen jüngeren Bruder zu sich.

Jonathan Carter, der gerade auf dem Weg zur provisorischen Bar gewesen war, steuerte nun stattdessen auf seinen Bruder zu. Lächelnd näherte er sich ihnen. »Hi, ich bin Jonathan«, sagte er und streckte Caroline die Hand hin. Ihr fielen sofort die ordentlich geschnittenen Nägel und die eleganten, langen Finger auf. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

»Caroline Hemingway. Mich auch.«

»Du bist Annas Schwägerin, oder? Ellies Tante?«

»Stimmt.« Caroline nahm sich einen Moment Zeit, um ihn in Augenschein zu nehmen. Er hatte breite Schultern, wenn auch nicht ganz so breite wie Annas neuer Mann. Aus der Nähe betrachtet wirkte Jonathan wie ein Aquarell, sein Bruder dagegen eher wie ein Ölgemälde. Seine Gesichtszüge ähnelten denen von Matthew, aber Jonathans waren weicher, irgendwie leichter, als würde er mehr zum Lachen neigen als sein aufbrausender älterer Bruder. Caroline gefiel, was sie sah. Der graue Anzug hob seine leichte Sonnenbräune hervor. Unwillkürlich fragte sie sich, wie weit sie wohl bis unter die Kleidung reichte.

»Wirklich schön, dass du kommen konntest«, sagte Jonathan leise. »Das war bestimmt nicht ganz einfach für dich. Darf ich dir einen Drink holen?«

»Ich war selbst gerade auf dem Weg zur Bar«, erwiderte Caroline, die plötzlich das dringende Bedürfnis verspürte, der fast überwältigenden Liebe zwischen Anna und Matthew zu entkommen. »Ich komm einfach mit.«

Jonathan lächelte. »Klingt gut. Ich kann dir zeigen, welcher unserer Cider der beste ist.« Er deutete in Richtung Bar, und Caroline folgte ihm.

Sie unterhielten sich weiter, als sie davongingen. Anna sah ihnen nachdenklich hinterher.

Matthew warf seiner Frau einen Blick zu. »Weshalb lächelst du so?«

Anna lächelte weiter und sah ihn an. »Och, gar nichts.« Sie schob ihre Hand in die von Matthew, die noch an ihrer Taille ruhte. »Du kennst mich doch. Ich beobachte halt gern, was passiert, wenn Menschen neue Bekanntschaften machen.«

»Und wenn ich dich nicht besser kennen würde …« Matthew schüttelte den Kopf. »Aber ich glaube nicht, dass Jonno Hilfe braucht, um neue Bekanntschaften zu machen, wenn die Geschichten stimmen, die Dad mir über die Übernachtungsgäste im Cottage erzählt.«

Anna lachte. »Zieht er immer noch dieselbe alte Masche ab? Und Jack hat nichts dagegen?«

»Machst du Witze? Der hat doch auch eine Schwäche für hübsche Frauen. Und auch wenn er selbst nicht mehr in Bars geht, hat er sicherlich nichts dagegen, wenn Jonathan es tut.«

»Sag bloß, du findest das gut?« Anna runzelte die Stirn. »Du bist doch nicht etwa neidisch?«

Matthew neigte den Kopf und gab seiner Frau einen langen Kuss. »Worauf sollte ich neidisch sein? Ich hab doch dich in meinem Leben«, sagte er leise. Er folgte ihrem Blick und sah zu Caroline und Jonathan hinüber. »Aber wenn die Chance besteht, dass Jonathan mit jemandem so glücklich wird wie ich mit dir … dann bin ich absolut dafür.«

2

Die beiden sehen echt überglücklich aus«, sagte Caroline, als Jonathan sie zu einem Tapeziertisch begleitete, auf dem verschiedene Sorten von Carter’s Cider angerichtet waren. Darunter auch die neueste Kreation, ein leichter Apfelschaumwein. Von den Einheimischen scherzhaft als »Somerset Prosecco« bezeichnet, hatte er sich als überraschend beliebt entpuppt. Jonathan nickte dem Barkeeper zu und ließ sich zwei Gläser geben. Als der Mann ihnen den Rücken zuwandte, um leere Gläser wegzuräumen, zog Jonathan mit einem verschmitzten Blick in Carolines Richtung eine weitere Flasche unter dem Tisch hervor.

»Familienprivileg«, murmelte er. »Und ich brauche auf jeden Fall mehr als nur ein Glas, auch wenn du mit einem vorliebnimmst.«

Caroline lächelte ein wenig unsicher. »Na ja, bevor ich mich schlagen lasse …« Sie folgte ihm zu einem der Picknicktische, der ein wenig abseits stand.

»So glücklich, wie mein Bruder und seine reizende neue Frau zweifellos sind, dachte ich, du könntest vielleicht etwas Gesellschaft brauchen. Zumal du vermutlich nicht allzu viele Gäste kennst«, sagte Jonathan, als er sich am Tisch niederließ.

»Solltest du als Trauzeuge nicht rumgehen und mit den Leuten sprechen?«

»Hochzeiten sind nicht so mein Ding, selbst wenn es die meines Bruders ist. Da sitze ich lieber hier und unterhalte mich mit dir.«

Sein Tonfall war scherzhaft, aber in seinen Augen lag eine Freundlichkeit, die ihn sympathisch machte. Caroline kannte seine Geschichte. Als Anna sie in Surrey besucht hatte, um ihr zu erzählen, dass sie wieder heiraten würde, hatten sie sich natürlich auch über die Familie unterhalten, in die sie einheiratete. Nach einigen Gläsern Wein und mehreren Tränenausbrüchen auf beiden Seiten hatte Anna ihr die verwickelte Geschichte der Brüder erklärt: Der jüngere Bruder Jonathan war mit Tara, der Frau des älteren Bruders Matthew, durchgebrannt. Anna hatte aber auch betont, dass es unter anderem Jonathan zu verdanken war, dass sie und Matthew vor den Altar traten, und dass Jonathan in den letzten Jahren verantwortungsbewusster geworden war. Trotzdem war Caroline von seiner Abneigung gegen Hochzeiten nicht überrascht. Sie nippte an ihrem Cider. »Nicht übel. Nicht ganz Prosecco, aber lecker.«

»Es ist einfach mal was anderes, und weil wir hier nun mal in einem Apfelgarten sitzen, fand Matthew, dass es gut passt.«

»Und vermutlich komplett steuerlich absetzbar«, sagte Caroline schelmisch. Sie hatte die Chance genutzt und sich nach ihrer Ankunft ein wenig umgesehen. Dabei hatte sie festgestellt, dass zur Cider-Farm einige Morgen Land und mehrere Gebäude gehörten. Diese Art von Wohlstand kam nicht nur von ein bisschen Apfelernte.

»Mein Bruder ist ein cleverer Geschäftsmann, aber keine Sorge, er hat auch ein Herz. Und Anna hat dafür gesorgt, dass er sich während des letzten Jahres wieder daran erinnert hat.«

»Es ist lange her, dass ich sie so glücklich gesehen habe«, sagte Caroline, die erneut mit widerstreitenden Gefühlen kämpfte. Sie trank einen großen Schluck aus ihrem Glas, das nun fast leer war. »Was hältst du davon, diese andere Flasche anzubrechen?«

Jonathan grinste und entkorkte sie routiniert. Als er die Gläser auffüllte, fiel Carolines Blick wieder auf seine Hände. Nun, in einiger Entfernung vom Trubel der Feier, begann sie sich allmählich zu entspannen. Doch das konnte natürlich auch am Cider liegen. Sie hatte keine Ahnung, wie stark er war, aber er tat seine Wirkung. Und etwas Abstand zu ihrem Zuhause in Surrey und der Arbeit konnte auch nicht schaden.

»Erzähl mir was über dich«, bat Jonathan. »Da ich schon weiß, was – oder besser gesagt, wer – dich hierhergebracht hat, was gibt’s sonst noch über dich zu wissen?«

Caroline lächelte und nippte an ihrem Cider. Sie kannte Männer wie Jonathan; sie besaßen die Gabe, einer Frau das Gefühl zu geben, der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Aber Carolines Erfahrung nach konnte ihr Interesse ebenso schnell wieder abflauen. Trotzdem genoss sie seine Gesellschaft und unterhielt sich gern mit ihm. Schließlich kannte sie außer Annas Familie und Charlotte niemanden auf der Feier. »Na ja, du weißt, woher ich Anna kenne und dass ich in Surrey lebe.«

»Und was treibst du so in deiner Ecke des Landes?« Jonathan sprach plötzlich mit sehr übertriebenem Somerset-Akzent, und Caroline musste lachen.

Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte sich ihr Lächeln nicht gezwungen an. »Wenn ich nicht gerade kreuz und quer durchs Land tingele, um an Hochzeiten teilzunehmen, was momentan häufiger vorkommt, arbeite ich als Event- und Hospitality-Managerin.«

»Interessant.« Jonathan beugte sich vor. »Machst du das schon länger?«

»Seit meinem Abschluss, na ja, bis auf ein Jahr nach der Uni, da hab ich als Managerin eines kleinen Restaurants in Sizilien gearbeitet. Ansonsten hab ich Events für große Motorsport-Veranstaltungen wie das Goodwood Festivalund Brands Hatch Circuit organisiert, aber auch speziellere Events. Für kleine, aber feine Firmen.« Sie nippte an ihrem Cider. »Ich sehe gern, wie etwas Gestalt annimmt, das wir für einen Kunden entwickelt haben, sodass es genau zu seiner Marke passt. Aber da erzähle ich dir nichts Neues, stimmt’s?«

»Ich lerne jeden Tag dazu, wenn es um Carter’s Cider geht. Und es gibt immer was zu tun.« Jonathan sah sie nachdenklich an. »Aber an diesem herrlichen Nachmittag willst du doch bestimmt nicht nur übers Geschäft reden, oder? Wenn ich an die ganzen Hochzeiten denke, auf denen ich war und bei denen es wie aus Eimern geschüttet hat, finde ich, dass Anna und Matthew echt Glück haben. Ich war auch auf vielen Feiern in Amerika, aber in letzter Zeit dann auch öfter hier in England. Muss am guten Wasser liegen.« Demonstrativ nahm er einen Schluck Cider. »Es sind entweder Hochzeiten oder Taufen. Und ich bin immer der Pate und so.«

»Und du warst selbst nie in Versuchung?«

»Nein. Zumindest nie genug, um eine Frau vor den Altar zu führen. Und da mein Bruder das ja jetzt schon zum zweiten Mal macht, hoffe ich echt, dass der Rest der Familie mich damit in Zukunft nicht mehr behelligt.« Er warf einen kurzen Blick zu seinem Vater hinüber, der etwas entfernt von ihnen stand. Jack Carter unterhielt sich gerade angeregt mit einer von Annas Tanten, die ihn anstrahlte.

»Frauen zu bezirzen liegt also bei euch in der Familie?«, bemerkte Caroline trocken, die Jonathans Blick gefolgt war.

»Ich fühle mich geschmeichelt. Aber hier in der Gegend bin ich eher als Schuft verschrien.«

Anna hatte erklärt, dass das Dorf auf Jonathans Rückkehr im letzten Jahr zu gleichen Teilen mit Freude und Misstrauen reagiert hatte. Für das Familienunternehmen Carter’s Cider hatte er sich allerdings als äußerst wertvoll erwiesen, weil er eine lukrative Vertriebsvereinbarung mit amerikanischen Geschäftspartnern ausgehandelt und so für neue Arbeitsplätze in der Gegend gesorgt hatte. Das hatte seinem Ruf gutgetan, der zuvor sehr unter der Affäre mit Matthews erster Frau Tara gelitten hatte.

»Aber genug von mir.« Jonathan senkte seine Stimme ein wenig. »Was machst du sonst gern, wenn du nicht gerade noblen Prosecco verkostest?«

»Zum Eventmanagement gehört schon ein bisschen mehr«, sagte Caroline pikiert, bevor sie merkte, dass er eher belustigt als zynisch dreinblickte. »Ich wette, ich könnte eurer Marketingabteilung noch das eine oder andere beibringen. Und es ist wohl bei Todesstrafe verboten, hier etwas anderes als Cider zu trinken?« Das leise Summen der Bienen, die sich träge auf die Suche nach Nektar begaben, war trotz der Gespräche der Hochzeitsgäste zu hören, und Caroline wedelte mit der Hand, um eine Hummel zu vertreiben, die sich zu dicht an ihr Glas heranwagte.

»Du bist hier in Somerset, Schätzchen«, sagte Jonathan lächelnd. »Jeder weiß, dass wir uns das Zeug hier sogar über unsere Cornflakes gießen.«

Seine breiten Rs waren vielleicht doch nicht aufgesetzt, dachte Caroline. Sein West-Country-Akzent mochte während der zehn Jahre jenseits des Atlantiks ein wenig abgeschliffen worden sein, doch anscheinend schlich er sich, je länger er in der Heimat weilte, wieder stärker ein.

»Erstaunlich, dass ihr das überlebt.« Der Cider tat seine entspannende Wirkung, und sie fühlte sich leicht wie die in ihrem Glas sprudelnde Flüssigkeit. Die tief stehende Nachmittagssonne tauchte den Garten in weiches Licht und vergoldete das Laub der Bäume. Zu ihrer Linken sah sie Anna und Matthew, immer noch Arm in Arm, die sich mit einigen anderen Gästen unterhielten. Als die Band zu spielen begann, hatte die Feier fast mehr Ähnlichkeit mit einem kleinen Festival als mit einer Hochzeit. Die Musik hatte ebenfalls einen West-Country-Touch: Ein lokaler Nachwuchssänger, den Meredith dazu bewegt hatte, hier aufzutreten, stimmte gerade seinen Hit »Southwest Signpost« an. Bristols Antwort auf Ed Sheeran, dachte Caroline, mit einer Stimme, die perfekt zu der heiteren Stimmung hier passte.

Jonathan lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich bin echt froh, dass der formelle Teil des Tages vorbei ist. Jetzt kann ich mich in Ruhe betrinken und den schrecklichen Tanzstil meines Brüderleins beobachten.«

»Er ist also auch ein mieser Tänzer? James war immer unglaublich stolz auf seine Moves, und Anna hat es nicht über sich gebracht, ihm zu sagen, wie grottenschlecht er ist.« Beim Gedanken an ihren Bruder musste Caroline schlucken. Manchmal war es von der Freude zur Traurigkeit nur ein kleiner Schritt.

Jonathan schien das zu spüren, und als er seine warme, gebräunte Hand auf dem Tisch über ihre legte, sah sie auf und fand Wärme und Mitgefühl in seinem Blick.

»Schon okay«, sagte er leise. »Es ist doch völlig normal, dass du heute gemischte Gefühle hast.« Er schaute hinüber zu Ellie, die mit Meredith auf der Tanzfläche herumhüpfte.

»Sie ist ihrem Vater so ähnlich«, sagte Caroline mit zittrigem Lächeln. »Er hat mich immer aufgezogen, weil ich klein und rothaarig bin. Ich hab mir immer verkniffen, ihn darauf hinzuweisen, dass ein paar seiner Kinder vielleicht auch mal so aussehen werden.« Sie wischte sich die Augen. »Jetzt werde ich nie wissen, ob ich recht behalten hätte.«

»Ich würde sagen, ein wunderschönes Kastanienbraun statt Rot.« Erneut berührte Jonathan leicht ihre Hand. »Das Leben gibt uns ja meistens dann so richtig eins auf den Deckel, wenn wir es am wenigsten erwarten. Aber ich kann dir versichern, mein Bruder hat Anna wahnsinnig glücklich gemacht. Und sie hat ihm sein Herz zurückgegeben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte nie gedacht, ihn mal so zu sehen. Glaub mir, die beiden passen perfekt zusammen. Und Ellie und Meredith sind unzertrennlich.«

Das Gespräch zwischen ihnen plätscherte so leicht dahin wie der Cider, und ehe sie sichs versahen, senkte sich die Dämmerung eines herrlichen Maiabends herab. Caroline stellte fest, dass sie ein bisschen beschwipst war, aber noch nicht so betrunken, dass sie sich nicht mehr im Griff hatte. Und sie fand Jonathan definitiv attraktiv. Nach einigen ausgelassenen Tanzeinlagen, die ihr Herz schneller schlagen ließen, neigte sich die Party dem Ende zu, und Caroline hatte nichts dagegen, dass Jonathan an ihrer Seite blieb, nachdem sie Anna und Matthew eine gute Nacht gewünscht hatte.

»Soll ich dich zu deinem B&B begleiten?«, fragte er. Es war schon spät, und die letzten Gäste hatten sich schweren Herzens verabschiedet.

»Danke, aber ich komme schon zurecht.«

Jonathan lachte. »Es liegt eh auf meinem Heimweg. Little Somerby ist zwar nicht gerade die Bronx, aber ich möchte trotzdem, dass du heil ankommst.«

»Dann gerne. Das wäre sehr nett.«

Es war nur ein kurzer Weg zu ihrer Unterkunft, die nicht weit von der Hauptstraße des kleinen Örtchens entfernt lag. Viele der Hochzeitsgäste gingen zu Fuß nach Hause, was in Anbetracht der Unmengen an Cider, die konsumiert worden waren, wohl auch besser war; einige von ihnen schwankten, während sie unter Straßenlaternen und den Sternen hergingen. Das nächtliche Dorf sah friedlich aus, und der süße Duft des Flieders in den Gärten an der High Street und anderer Blumen in den Töpfen vor den Geschäften lag in der Luft. Zusammen mit Jonathans Aftershave ergab das eine berauschende Mischung. Arm in Arm erreichten sie schon nach kurzer Zeit das malerische Steinhäuschen des Rose Cottage Bed and Breakfast.

»Tja, da wären wir«, sagte Caroline. »Danke für die Begleitung.« Sie lächelte ihn an. Er war ins Licht der viktorianischen Straßenlaterne getaucht, die am Beginn des Weges zur Eingangstür stand, und Caroline verspürte einen plötzlichen Anflug von Verlangen. Bevor sie der Mut verließ, fragte sie: »Soll ich dich noch auf einen Kaffee reinschmuggeln?«

Falls Jonathan überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. »Gern.«

Verheißung lag in der Luft. Es war spät, aber die Nacht war warm, und als die beiden zur Haustür gingen, spürte Caroline, wie Jonathan ihr den Arm um die Taille legte. »Ich möchte nicht, dass du über die Steine stolperst«, flüsterte er ihr zu. Sein Atem kitzelte sie am Hals.

»Wie galant von dir.« Caroline trat näher an ihn heran, als sie die Tür erreichten. »Ich glaub, du willst nur nicht, dass die Leute mitkriegen, wie zuvorkommend du eigentlich bist.«

»Vielleicht. Aber vielleicht steh ich auch einfach nur auf dich und möchte mich vergewissern, dass du gut in deinem Zimmer ankommst.«

Caroline lachte. »Ihr Somerset-Jungs redet nicht um den heißen Brei herum.« Kaffee war so ziemlich das Letzte, was sie beide im Sinn hatten. »Vergessen wir das mit dem Kaffee, und ich nehme dich mit ins Bett?«

»Anna hat erwähnt, dass du sehr direkt bist«, sagte Jonathan leise, »aber ich wollte mir selbst ein Urteil bilden.« Er zog sie noch näher zu sich heran, und sie spürte seine Körperwärme durch die dünnen Schichten seiner Kleidung. Plötzlich wünschte sie sich, dass nichts mehr zwischen ihnen stand.

»Ich hoffe, ich erfülle deine Erwartungen.« Ihre Stimme war rau. »Obwohl ich gestehen muss, dass ich mir noch nicht sicher bin, ob du meine erfüllst.«

»Gib mir eine Chance, dich zu überzeugen.« Sein Tonfall ließ ihren Körper erzittern. Ihr Herz schlug schneller.

»Wir sollten besser machen, dass wir ins Haus kommen, bevor meine Vermieterin runterkommt und dich wegschickt.« Sie kramte ihren Schlüssel hervor.

»Du verlierst keine Zeit, was?«, murmelte Jonathan und zog sie so eng an sich, dass ihre Brüste und ihr Bauch an seinen Körper gepresst wurden. Die Berührung fachte ihr Verlangen an, und in ihrem Unterleib begann es zu pulsieren.

»Wenn ich etwas haben will, bekomme ich es meistens.«

»Daran habe ich keinen Zweifel.« Jonathan beugte sich vor, und Caroline spürte einen köstlichen Schauer der Erregung. Seine Lippen waren nur einen Hauch von ihren entfernt, als er flüsterte: »Also solltest du jetzt besser die Tür aufschließen und mich in dein Zimmer schmuggeln, bevor ich eine Szene mache.«

»Das würdest du dich nicht trauen«, sagte Caroline, die das Gespräch immer aufregender fand.

»Wetten?« Jonathans Stimme war heiser. »Wir wissen doch beide, was wir wollen. Die Frage ist also, warum wir hier immer noch Zeit mit Reden vergeuden. Die Nacht wird nicht jünger.«

»Recht hast du.« Ohne zu zögern, zog sie die Haustürschlüssel hervor und drückte die quietschende Tür so leise wie möglich auf. Sie umklammerte Jonathans Hand und fühlte sich wie ein ungezogenes Schulmädchen, das jeden Moment von der Fluraufsicht erwischt werden kann, während sie ihn durch den dunklen Korridor die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer führte.

*

Als Caroline am nächsten Morgen erwachte, war sie nicht überrascht, dass Jonathan bereits fort war. Es störte sie auch nicht. Anna hatte mit der Annahme recht gehabt, dass er ihr Typ war. Er war genau das, was sie in diesem Moment gebraucht hatte, und sie war sich sicher, dass er das genauso sah. Sie wusste, dass Anna die romantische Vorstellung hatte, Caroline könnte von Jonathan genauso hingerissen sein wie Anna von Matthew, aber zu diesem Zeitpunkt in ihrem Leben war das überhaupt nicht das, was sie wollte. Nein, Jonathan war einfach ein toller One-Night-Stand gewesen, und genau das würde er auch bleiben. In Surrey hatte sie im Moment genug um die Ohren. Sie konnte keine weiteren Komplikationen gebrauchen.

Als sie aufstand, stellte sie überrascht fest, dass ein Zettel unter ihrer Tür hindurchgeschoben worden war.

 

Danke für die tolle Nacht. Sorry, dass ich so früh losmusste, aber ich wollte deine Vermieterin nicht erschrecken.

Ruf mich an! J x

 

Darunter stand eine Handynummer. Mit einem schiefen Lächeln warf Caroline den Zettel in den Papierkorb.

3

Alles klar, prima, dann also bis morgen um zehn.« Anna legte den Hörer des Küchentelefons auf. Die Vermietungsfirma der Tische und Stühle von der Hochzeitsfeier hatte angerufen und die Abholung auf den nächsten Tag verschoben. Da die Apfelgärten gerade nicht groß genutzt wurden, war das kein Problem, und Anna hatte zugestimmt. Ihren ersten richtigen Tag als Mrs Carter hatte sie ruhig angehen lassen. Abgesehen von einem einzigen Glas Sekt nach der Trauung hatte sie keinen Alkohol getrunken, aber es war schön, ein bisschen zu faulenzen. Beim zweiten Mal – und dann auch noch mit zwei Kindern – war so eine Hochzeitsfeier doch eine etwas andere Sache, dafür aber nicht weniger schön. Jetzt brach der Abend an, und sie freute sich auf das Essen mit Caroline, die früh am nächsten Morgen zurück nach Surrey fahren wollte. Sie hatte den Tag bei ihnen in der Cowslip Barn verbracht und mit Ellie im Garten gespielt, war aber jetzt kurz zurück ins B&B gegangen, um sich frisch zu machen. Ellie machte sich gerade erschöpft und glücklich fertig fürs Bett. Anna hatte es genossen, sich in Ruhe mit Caroline zu unterhalten, und das Abendessen würde das Sahnehäubchen auf der Hochzeitstorte werden.

Anna war im Vorfeld der Hochzeit so vergesslich geworden, dass sie wusste, wenn sie sich nicht jede Kleinigkeit aufschrieb, würde sie sie bis zum Schlafengehen vergessen haben. Also notierte sie sich die geänderten Pläne auf dem Block, der auf dem Küchentisch neben den Tulpen lag, die ihre Mutter vor zwei Tagen vorbeigebracht hatte. Für ihre Zerstreutheit gab es natürlich einen guten Grund, und mit Matthew hatte sie bereits darüber gesprochen, als sie sich sicher gewesen war. Sie hatte aber bis nach der Hochzeit warten wollen, um den anderen die guten Neuigkeiten mitzuteilen. Sie hatte keine Lust auf die Sprüche von Freunden und Familie über die vermeintlichen Gründe für die Eheschließung. Sie wusste, dass die zweite Schwangerschaft oft früher sichtbar wurde als die erste, also würde sie es nicht lange geheim halten können. Und Ellie und Meredith würden es so bald wie möglich wissen wollen. Besonders Meredith wäre verletzt, wenn sie über zwei Ecken davon erfahren würde.

Anna war glücklich, eine so gute Beziehung zu ihrer Stieftochter zu haben. Gleich vom ersten Tag an hatten Meredith und sie sich gut verstanden, sogar noch bevor Anna und Matthew sich kennenlernten. Meredith war ihre erste Besucherin in Pippin Cottage gewesen, wenn man von ihrem Hund Sefton absah, der damals mir nichts, dir nichts zur Tür hereingestürmt war, und sie hatten augenblicklich Freundschaft geschlossen. Sie hoffte, Meredith würde sich über die Neuigkeiten freuen. Ellie, die immer unabhängiger wurde und ihre Meinung lautstark vertrat, würde auf jeden Fall begeistert sein, ein Baby im Haus zu haben.

»Alles okay?« Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Anna lächelte, als eine Hand sich um ihre Hüfte legte und dann über ihren Bauch strich, wo sich bald eine Rundung abzeichnen würde. Sie lehnte sich zurück und spürte, wie sich eine beruhigend solide breite Brust an ihren Rücken schmiegte.

»Alles gut.« Sie hielt einen Moment inne und genoss die Umarmung, dann drehte sie den Kopf, um Matthew zu küssen.

»Ich dachte, du könntest ein bisschen Hilfe beim Aufräumen gebrauchen.« Er lächelte seine frischgebackene Ehefrau an.

»Oh, das meiste ist erledigt. Wir haben uns ja bewusst gegen eine zu aufwendige Dekoration entschieden, damit es nicht so viel aufzuräumen gibt.«

Matthew grinste. »Ich glaube, im Apfelgarten sind sogar noch ein paar Flaschen Sekt übrig. Nicht dass du davon etwas trinken solltest!«

»Keine Sorge, das hatte ich nicht vor. Hab ich dir schon erzählt, dass ich Caroline zum Abendessen eingeladen habe?«

Wieder küsste er sie. »Ich war doch dabei, als du sie eingeladen hast, Dummerchen.«

Anna lachte. »Ach ja. Tut mir leid, die Schwangerschaftsdemenz hat anscheinend schon eingesetzt, dabei bin ich noch nicht mal in der sechsten Woche.« Sie schüttelte den Kopf. »Das wird in den nächsten siebeneinhalb Monaten bestimmt nicht besser.«

»Wir kommen schon klar.« Matthew lächelte immer noch. »Immerhin hast du keine Morgenübelkeit. Tara hat es damals mit Meredith ziemlich schlimm erwischt, praktisch die ganze Schwangerschaft hindurch.«

»Oje. Bei Ellie hatte ich Glück. Mir war kaum übel, dafür konnte ich während der Schwangerschaft und auch noch etwa anderthalb Jahre danach keinen Kartoffelbrei ausstehen. Ich bin gespannt, ob mich diesmal auch wieder irgendetwas Komisches erwischt?«

»Wird interessant, das herauszufinden.«

Wieder einmal staunte Anna darüber, wie gut sich alles für sie entwickelt hatte. In manchen Nächten lag sie immer noch wach und fragte sich, wie ihr Leben jetzt wohl aussähe, wenn ihr erster Mann James nicht in einer kalten Winternacht von einem Teenager in einem viel zu schnellen Auto überfahren worden wäre. Eines war sicher: Sie war sich jeden Tag bewusst, was für ein Glück sie gehabt hatte. Sie war dankbar für Ellie, dafür, dass sie zurück nach Little Somerby gezogen war und dort den Little Orchard Tea Shop übernommen hatte, und dafür, dass Matthew und Meredith in ihr Leben getreten waren. Matthew sagte oft, dass Anna ihn gerettet habe. Sie wusste aber ohne jeden Zweifel, dass er auch sie gerettet hatte.

Gleich darauf unterbrach ein verstohlenes Husten von der Tür Anna und Matthew.

»Sorry, ich wollte nicht stören«, sagte Caroline. »Hätte ich anklopfen sollen?«

Anna lachte. »Red keinen Quatsch. Komm rein.« Sie trat von Matthews Seite. »Möchtest du ein Glas Wein?«

»Gern.« Carolines dunkelrotes Haar war noch feucht vom Duschen und aus dem Gesicht gekämmt, was ihre großen grünen Augen noch besser zur Geltung brachte. Sie war schlanker als Anna, etwa zehn Zentimeter kleiner und besaß die grazile Figur einer Tänzerin. Doch diejenigen, die sie aufgrund ihrer Zartheit unterschätzten, waren oft überrascht, wenn sie die volle Macht ihrer Charakterstärke enthüllte.

Anna warf einen Blick auf den Rayburn-Ofen, in dem der Frühlingslammeintopf schmorte. »Abendessen gibt’s gegen sieben.«

»Ich ruf kurz bei Dad an«, sagte Matthew. »Falls du Hilfe brauchst, ich bin im Arbeitszimmer. Ich hab ihn auch zum Essen eingeladen, als wir heute Morgen telefoniert haben, aber er meinte, er sei von gestern noch ziemlich erledigt. Jonno hat gefragt, ob er doch noch vorbeikommen kann, ist das okay für dich?«

»Oh, ich dachte, er hat was vor«, sagte Anna. »Aber er kann gern kommen. Wir haben genug zu essen. Ich geb ihm auch einen Teller für deinen Vater mit.«

»Da wird er sich freuen«, rief Matthew über die Schulter, schon auf dem Weg zum Arbeitszimmer.

Täuschte sie sich, oder war Caroline bei der Erwähnung von Jonathans Namen leicht errötet? Am Vortag auf der Feier hatten sie sich allem Anschein nach ziemlich gut verstanden, auch wenn Caroline heute nichts gesagt hatte, als sie mit Ellie gespielt hatte. Sie war allerdings notorisch zugeknöpft, was ihr Privatleben anging, deshalb sprach Anna das Thema fürs Erste nicht an. Es war schön, Zeit mit ihrer Schwägerin verbringen und unbefangen über James sprechen zu können.

»Ellie hat sich total gefreut, so viel Zeit mit dir zu haben«, sagte Anna, als sie Caroline ein Glas Rotwein reichte. »Sie hat gefragt, wann du uns wieder besuchen kommst.«

Caroline lächelte. »Wir hatten wirklich viel Spaß zusammen.« Eigentlich war Ellie ihre einzige noch lebende Verwandte, aber auch wenn Anna wieder geheiratet hatte, würde Caroline sie immer als ihre Schwägerin betrachten.

»In einem Jahr um diese Zeit geht sie schon zur Schule.« Anna schenkte sich ein Glas Holunderlimonade aus der Flasche von der Anrichte ein. »Ein bisschen zu viel Alkohol gestern«, sagte sie hastig. Sie flunkerte Caroline nicht gern an, aber unter den gegebenen Umständen war das wohl entschuldbar.

Sie setzten sich an den langen, geschrubbten Küchentisch. »Ich weiß, ich hab das schon eine Million Mal gesagt, aber ich freue mich so, dich wiederzusehen, Caroline. Bei allem, was in den letzten Jahren passiert ist, brauchte ich die Verbindung zu meinem alten Leben und zu meiner Familie. Und ich musste mit eigenen Augen sehen, dass es für dich wirklich okay ist, wie sich mein Leben entwickelt hat.«

»Ach, jetzt hör aber auf!« Carolines Augen füllten sich mit Tränen. »Natürlich ist das okay für mich. Wieso denn auch nicht? Du siehst überglücklich aus, und ich weiß, dass dein neues Leben mit Matthew der Grund dafür ist.« Sie drückte Annas Hand. »James hätte nicht gewollt, dass du für den Rest deines Lebens alleine bleibst, und ich genauso wenig. Und weißt du was? Ich glaube, James hätte deine Wahl gutgeheißen.«

Auch Anna standen Tränen in den Augen. »Das bedeutet mir eine Menge, Caroline.«

»Und ich hab jedes Wort so gemeint.« Caroline lächelte sie zittrig an. »Schenkst du mir jetzt endlich nach, oder muss ich verdursten?«

Anna erwiderte ihr Lächeln und konnte nicht widerstehen, das Geheimnis zu lüften. »Dann trinkst du wohl besser einen für mich mit, denn ich darf auf ärztliche Anweisung keinen Alkohol trinken.«

»Warum?«, fragte Caroline. Dann fiel der Groschen. »Das gibt’s ja nicht! Du machst keine halben Sachen, was? Dabei hast du gerade mal einen Tag den Ring an deinem Finger!«

Anna lachte. »Es sind schon ein paar Wochen mehr. Nicht geplant, aber höchst willkommen.« Sie blickte Caroline forschend an. »Geht das für dich in Ordnung?«

»Hör endlich auf, mich ständig zu fragen, ob deine Lebensentscheidungen für mich okay sind«, sagte sie sanft. »Es liegt doch ganz bei dir. So war es immer schon. James ist fort. Du brauchst dich nicht zu sorgen, wie ich mich fühle.«

Anna lächelte traurig. »Ich weiß. Es kommt mir nur … seltsam vor.«

»Ich geb zu, es war schon ein bisschen merkwürdig, zuzuschauen, wie du einen anderen heiratest«, sagte Caroline leise. »Aber das Leben geht weiter. Und die Liebe auch. Das Leben ist zu kurz, um sich ständig Sorgen zu machen. Also hör bitte damit auf. Auf der Stelle.«

Anna lächelte. »In Ordnung. Solange ich dir eine Frage stellen darf.«

Caroline sah jetzt verschlossener aus. »Kommt ganz drauf an.« Sie hatte ihrer Schwägerin in den vergangenen Jahren eine Menge Dinge verheimlicht, um sie zu schützen, und war deshalb auf der Hut, wenn Anna zu sehr nachbohrte. Wenn sie nur die Hälfte von dem wüsste, was in den Jahren nach James’ Tod passiert war, würde Anna sie nie mehr so betrachten wie zuvor. Es gab einige Dinge, die besser nie ans Licht kamen.

»Hast du dich gestern mit Jonathan, äh, gut verstanden?«

Caroline sah sie fragend an, obwohl sie erwog, einfach damit herauszuplatzen. »Wie meinst du das?«

Anna versuchte erfolglos, unschuldig dreinzublicken. »Na ja, als Meredith heute Morgen mit Sefton Gassi gehen war, hat sie Jonathan aus dem B&B schleichen sehen. Sie hat eins und eins zusammengezählt, fürchte ich.«

Caroline hüstelte in ihr Weinglas. »Neuigkeiten sprechen sich hier schnell rum, was? Ach, schon gut. Er hat mich zum B&B begleitet und ist noch auf einen Kaffee hochgekommen.«

Anna zog eine Augenbraue hoch. »Die ganze Nacht?«

»Es war ein ziemlich großer Kaffee«, sagte Caroline, entschlossen, sich nichts aus der Nase ziehen zu lassen. »Wirklich nichts, worüber sich zu spekulieren lohnt.«

»Würd ich nie tun. Ich fand nur, dass ihr euch gestern auf der Party gut verstanden habt, das ist alles.«

»Ich lass mich nicht von dir mit deinem neuen Schwager verkuppeln. Die Mühe kannst du dir sparen.«

»Schon gut. Aber von da, wo ich stand …«

»Hättest du dich nicht besser auf deine eigene Hochzeit konzentrieren sollen als darauf, was Jonathan und ich treiben?«, tadelte Caroline sie und griff nach der Weinflasche.

»Ach, mach dir darum keine Gedanken. Als Mutter und Stiefmutter bin ich eine Meisterin darin, meine Aufmerksamkeit vierzehnfach zu teilen. Und ich kam nicht umhin, zu bemerken …«

»Gib’s auf«, sagte Caroline. »Ich werde nicht zum zweiten Mal deine Schwägerin, egal, wie sexy Jonathan ist.«

»Du gibst also zu, dass er sexy ist?«

»Ich bin ja nicht blind.«

»Also mochtest du ihn?«

»Kein Kommentar.«

»Okay, okay, ich halt die Klappe. Fürs Erste. Aber ich muss dir sagen, dass ihm eine feste Beziehung guttun würde. Er hat sich erst kürzlich beschwert, dass er einfach nicht die Richtige findet.«

»Mir hat er erzählt, dass er wieder bei seinem Dad eingezogen ist.«

»Na ja, zumindest für den Moment«, sagte Anna. »Und um ehrlich zu sein, ist das vielleicht auch ganz gut so. Jack glaubt, er wäre fit wie ein Turnschuh, aber sein Herz macht ihm seit Jahren zu schaffen, und so kann Jonathan ihn im Auge behalten.«

»Hmm.« Caroline hob skeptisch eine Augenbraue. »Du glaubst also nicht, er tut das nur, um nicht erwachsen werden zu müssen?«

»Jonathan wird nie erwachsen sein, selbst dann nicht, wenn er seine eigene Hypothek aufgenommen hat«, sagte Matthew, der gerade zurück in die Küche kam und das Ende des Gesprächs aufgeschnappt hatte. »Aber wer weiß? Jetzt, wo er wieder ins Familienunternehmen eingestiegen ist, fängt er vielleicht endlich damit an, sich seinem Alter gemäß zu benehmen.«

»Wessen Alter?« Wie aufs Stichwort kam Jonathan durch die Hintertür in die Küche. Ohne zu zögern, ging er über den Fliesenboden zu Anna und küsste sie auf die Wange. »Hallo, schöne Frau. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich hier so reinplatze, weil ich plötzlich festgestellt habe, dass ich heute nichts vorhabe.«

»Natürlich nicht. Caroline kennst du ja schon.«

»Ja, klar. Hi.« Jonathan schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. Es schien ihn nicht zu verunsichern, sie so schnell wiederzusehen, also war Caroline entschlossen, sich ebenfalls nichts anmerken zu lassen. Von ihrem Platz am Tisch lächelte sie ihm zu.

Anna zog ihre Ofenhandschuhe an, öffnete die Klappe und holte eine große Le-Creuset-Kasserole heraus. Sie nahm den Deckel ab, rührte den Eintopf um, kostete ihn und schob ihn zurück in den Ofen. Dann nahm sie ein paar in Alufolie eingewickelte Knoblauchbaguettes und schob sie ebenfalls in den Ofen.

»Dein Rezept oder das deines Ehemanns?«, fragte Caroline, begierig, das Thema zu wechseln.

Auf dem Weg zurück zu ihrem Stuhl sah Anna Matthew liebevoll an. »Meins. Matthew macht ganz gute Bohnen auf Toast, und man munkelt, dass er sich gelegentlich an Spaghetti bolognese heranwagt, aber ansonsten hat er mit Kochen nicht allzu viel am Hut.« Ihre Augen funkelten. »Du bist ein ziemlich guter Koch, Jonathan, oder?«

»Ganz passabel.« Jonathan schenkte sich ein Glas Wein ein. »Ich komm nicht oft dazu, weil Dad seinen Appetit wohl verloren hat, aber ich bringe ein ganz gutes Boeuf Bourguignon zustande, wenn’s sein muss.«

Als sie kurz darauf das Abendessen genossen, vibrierte Matthews Handy, und er warf einen Blick auf das Display. Während er die Nachricht las, wurde seine Miene weicher.

»Meredith ist gut in Cornwall angekommen und schreibt, das Cottage von Flynns Eltern ist ›voll cool‹.« Seine Schultern entspannten sich sichtlich, und, als ob die Nachricht seiner Tochter ihm Erlaubnis dazu gegeben hätte, schenkte er sich und Caroline noch ein Glas Wein und seiner schwangeren Frau Holunderlimonade ein.

»Schön, dass sie gut angekommen ist und Spaß hat«, sagte Anna. Die sechzehnjährigeMeredith hatte am Morgen den Zug nach Cornwall genommen und würde nun eine Woche dortbleiben. Anna vermisste sie schon jetzt, aber Flynn O’Connell, der zwei Jahre älter war als Meredith, war ein netter Kerl. Im letzten Jahr war die Beziehung der Carters und der O’Connells ziemlich belastet gewesen, nachdem Flynn mit Meredith auf dem Beifahrersitz einen Autounfall gebaut hatte, wodurch Meredith mit einer schweren Kopfverletzung im Krankenhaus gelandet war. Ihre Genesung und die Tatsache, dass die Unfallermittler feststellten, dass Flynn den Unfall nicht allein verschuldet hatte, hatten viel dazu beigetragen, dass sich die Familien wieder angenähert hatten. Matthew und Anna verstanden sich gut mit Flynns Eltern, die ihnen versichert hatten, dass die Teenager die gesamte Woche über in getrennten Zimmern übernachten würden. Anna war sich nicht sicher, ob sie das glauben sollte, aber sie sagte sich, dass nicht viel schiefgehen konnte, solange aufmerksame Eltern im selben Haus waren.

Nun wandte sie sich wieder Caroline zu. »Vorhin meintest du, dass du in deinem Leben einiges ändern willst, aber durch die ganzen Unterbrechungen von Ellie und die Aufräumarbeiten von gestern hatten wir kaum eine Chance, in Ruhe darüber zu reden.«

Caroline nahm das Weinglas, um Zeit zu gewinnen, während sie ihre Gedanken sammelte. Sie musste sich sehr genau überlegen, wie sie ihre Worte wählen sollte. Zu viele Informationen, und Anna würde sich Sorgen machen; zu wenige, und sie würde misstrauisch werden. »Na ja, jetzt wo du’s sagst, ja, das habe ich tatsächlich vor.«

»Woran hast du gedacht?«

»Ich überlege, aus dem Südosten wegzuziehen«, gestand Caroline. »Seit Mum, Dad und James gestorben sind und du hierhergezogen bist, frage ich mich, was mich eigentlich noch in Farnham hält.« Sie schwieg kurz und schaute die Frischvermählten an. »Versteht mich nicht falsch. Ich habe gute Freunde dort, aber es langweilt mich, mir immer ausgefallenere Dinge zu überlegen, um eine Veranstaltung einzigartig und unvergesslich zu machen. Wenn die hundertste Eisskulptur am Ende des Tages vor sich hinschmilzt, ist das irgendwann nicht mehr so spannend.«

»Wo willst du denn hinziehen?«, fragte Anna. »Ich meine, du hast ja keine Bindungen, also kannst du hingehen, wo immer du willst. Vielleicht sogar nach Übersee. Warum nicht zurück nach Italien? Dort hast du doch gern gearbeitet, bevor du deinen jetzigen Job angenommen hast.«

Caroline schüttelte den Kopf. »Ich hab’s gern gemacht, und es war toll, in dem Restaurant zu arbeiten.« Sie hatte dort ein Jahr den Servicebereich eines kleinen Restaurants auf Sizilien geleitet, bevor sie ihre Karriere als Eventmanagerin begann. »Aber wenn ich in den letzten Jahren eins gelernt habe, dann dass man Dinge wie Familie nicht als selbstverständlich hinnehmen darf. Ich glaube, es ist Zeit, dass ich mich darum kümmere, was ich noch habe, solange ich es noch kann.«

»Das klingt so, als hättest du schon eine Idee.«

»Um ehrlich zu sein, denke ich schon eine Weile über einen Tapetenwechsel nach. Firmen wie die, für die ich arbeite, rationalisieren ja, um bessere Geschäfte machen zu können. Vor ein paar Monaten wurde mir ein Aufhebungsvertragangeboten, und ich habe ihn angenommen. Ich liebe meine Arbeit, aber die Zeiten ändern sich. Ich würde gern weiter im Gastgewerbe arbeiten, wäre aber lieber meine eigene Chefin.« Auf die persönlichen Gründe für den Tapetenwechsel wollte Caroline nicht näher eingehen, nachdem sie gerade so ein glückliches Familienfest wie die Hochzeit gesehen hatte. Wenn sie Anna jemals reinen Wein einschenkte, würde sie den richtigen Moment abwarten, und der war definitiv noch nicht gekommen.

»Meine Güte«, sagte Anna, »das ist aber eine große Entscheidung. Ich würde fragen, ob du dir sicher bist, aber du hast dich ja bereits entschieden. Nicht dass mich das überrascht.« Sie wandte sich an Jonathan und Matthew. »Caroline hat eine tolle Karriere hingelegt. Ihr Team hat so viele Preise für die Events gewonnen, die es organisiert hat. Und sie selbst als Managerin auch. Ich erinnere mich noch gut an die Preisverleihung von Goodwood für deinen Award zur Managerin des Jahres. Ich hab dich begleitet und so viel Schampus getrunken, dass ich am nächsten Tag nicht aus dem Bett kam.«

Caroline lachte. »Stimmt, das Event wurde von Moët gesponsert! James hat sich über dich lustig gemacht, weil du den guten Champagner nicht vertragen hast. Er meinte, in Zukunft sollte ich dir besser Asti Spumante geben.«

»Und wie sieht dein Plan jetzt aus?«

»Ich hab genug von Surrey. Ich hab ein bisschen Geld vom Erbe meiner Eltern zurückgelegt, dazu kommt die Abfindung. Davon kann ich eine Weile leben, während ich mir überlege, worauf ich Lust habe.«

Plötzlich mischte sich Jonathan ein, der bislang schweigend zugehört hatte. »Du bist also völlig frei und ungebunden? Beruflich gesehen, meine ich?«

Caroline sah ihn fragend an. »Ich denke schon. Warum?«

Er legte Messer und Gabel nieder, nahm den letzten Schluck Wein und warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu, bevor er weitersprach. Matthew hob schweigend eine Augenbraue. Jonathan wandte sich an Anna. »Hör mal, macht es dir was aus, wenn ich mir Caroline für eine halbe Stunde ausleihe? Ich möchte ihr was zeigen. Ich weiß, es ist unhöflich, vor dem Kaffee abzuzischen, aber ich hoffe, in diesem Fall ist es das wert.«

Caroline vermied es, Anna anzuschauen, um nicht laut loszulachen, und sagte zu Jonathan: »Hab ich auch ein Wörtchen dabei mitzureden, ob ich, äh, ausgeliehen werden will?«

»Klar. Aber ich hoffe mal, dass du Lust auf einen kleinen Spaziergang vor Einbruch der Dunkelheit hast.«

Sie erinnerte sich daran, wo sie in der vergangenen Nacht nach einem kurzen Spaziergang gelandet waren, und errötete. »Wir kommen also hierher zurück?«

»Sobald der Abwasch erledigt ist«, sagte Jonathan. »Falls es dir nichts ausmacht, dass wir kurz weg sind?«, wandte er sich wieder an Anna.

»Ich kann mich nicht erinnern, dass du je angeboten hast, den Abwasch zu übernehmen, Jonathan Carter«, sagte Anna, die aufgestanden war und begann, den Tisch abzuräumen. »Warum sollte es also heute Abend anders sein? Seid aber auf jeden Fall zum Nachtisch zurück. Wir haben noch einen Berg Himbeer-Pavlova von der Hochzeit übrig.«

»Ich sorge dafür, dass sie, so schnell es geht, wohlbehalten wieder hier ist. Aber wir müssen uns beeilen, wenn wir dort sein wollen, bevor es zu dunkel ist.«

Neugierig stand Caroline vom Tisch auf und folgte ihm durch die Hintertür.

Cowslip Barn, das Haus von Anna und Matthew, lag am Rand der weitläufigen Cider-Farm. In den letzten Jahren waren auch Wirtschaftsgebäude auf dem Grundstück errichtet worden, aber das Haus selbst lag abgeschirmt hinter vielen Apfelbäumen. Als sie durch die Reihen ordentlich gepflanzter Bäume spazierten, erblickte Caroline in der Ferne ein Gebäude, das etwas abseits des Zentrums der Farm lag. Ein frisch asphaltierter Weg, der von der Rückseite des Royal Orchard kommen musste, führte dorthin. Als klar wurde, dass dieses Gebäude ihr Ziel war, fragte sie Jonathan danach.

»Das ist unser neues Projekt. Vor einem Jahr war es noch eine verfallene Scheune, in der wir alte Fässer und Ausrüstungsteile gelagert haben, aber als ich Dads Papierkram in Ordnung gebracht habe, bin ich auf einen Antrag auf Nutzungsänderung an den Gemeinderat gestoßen. Er muss ihn ausgefüllt und dann vergessen haben. Die Erlaubnis war erteilt worden, stand aber kurz vor dem Ablaufen, also dachte ich mir, dass wir schleunigst etwas damit unternehmen sollten.«

»Was habt ihr denn damit vor?«, fragte Caroline. Als sie sich der alten Scheune näherten, konnte sie sehen, dass die Grundstruktur aus Stein und Eichenholz liebevoll restauriert worden war und das Gebäude nun ein neues Dach und schöne zweiflügelige Glastüren an zwei Seiten hatte.

»Es soll ein Restaurant namens Cider Kitchen werden. Somerset gehört, was regional produzierte Lebensmittel angeht, zu den besten Gegenden Englands. Wir haben Käse und Erdbeeren aus Cheddar, das eine Weltkulturerbestätte ist, mindestens zwei große Eiscrememarken, Joghurts und natürlich unzählige alkoholische Getränke, darunter auch unseren eigenen Cider. Da ist es doch nur logisch, das alles richtig zur Geltung zu bringen, und weil wir eh die Scheune hier haben, mussten wir nicht lange überlegen.«

Caroline nahm das Gebäude genauer in Augenschein. »Und ihr wollt schon zur Sommersaison eröffnen?«, fragte sie und spähte durch ein Fenster. Innen war es noch kahl, auch wenn die Wände schon verputzt waren und anscheinend im hinteren Teil ein Zwischengeschoss mit einer hübschen, hellen Eichentreppe eingebaut worden war. Von der Decke baumelten Drähte für die Beleuchtung, und eine weitere Tür an der Seite führte vermutlich zur Küche.

»Jawohl. Wir haben einen begabten jungen Koch an der Hand, der am Weston College gelernt und bei Carluccio’s in Bristol gearbeitet hat und uns sehr empfohlen wurde, und wir stellen gerade das Serviceteamzusammen. Die Baufirma arbeitet Tag und Nacht daran, die Renovierungsarbeiten rechtzeitig abzuschließen, sodass es jetzt nur noch darum geht, die Inneneinrichtung zu planen und einen Manager zu finden.«

»Nur noch?«, wiederholte Caroline. »Das ist noch eine Menge Arbeit, sofern du hier von Wochen sprichst und nicht von Monaten.« Auch wenn sie gerade außer Dienst war, schaltete ihr Gehirn sofort in den Eventmanager-Modus. Es war schön und gut, ein Gebäude umzubauen, aber ein neues Geschäftsprojekt brachte immer Risiken mit sich, selbst mit einer großen Firma wie Carter’s Cider im Rücken.

»Du kennst die Carters noch nicht allzu gut, was? Wenn wir eins können, dann Projekte durchboxen.«

Caroline versuchte, sich von seinem Eifer nicht zu sehr beeindrucken zu lassen. »Wissen du und dein Bruder denn überhaupt irgendetwas darüber, wie man ein Restaurant führt? Oder ist das nur eine leichte Übung beim Ausbau eures Cider-Imperiums?«

»Na ja, wir werden schon jemanden brauchen, der das Tagesgeschäft managt«, räumte Jonathan ein. »Das Konzept ist schließlich recht simpel, aber die Ausführung erfordert Zeit und Mühe. Anna hilft uns zwar mit ihrem Know-how über lokale Trendsaus dem Café, aber wir brauchen so schnell wie möglich einen richtigen Manager.«

»Es würde auf jeden Fall helfen, jetzt jemanden an Bord zu holen«, stimmte Caroline ihm zu. »Das ist schließlich eine ziemlich große Sache. Und ich nehme an, ihr habt noch eine Menge anderer Dinge zu tun.«

»Ich hatte eigentlich geplant, schon früher einen Manager einzustellen«, gestand Jonathan, »aber der Typ, mit dem wir uns bereits geeinigt hatten, bekam ein besseres Angebot in einem neuen Restaurant an der Bristol Harbourside und hat uns vor einigen Wochen eine Absage erteilt. Leider war der Vertrag noch nicht unterzeichnet, sodass wir ihn verloren haben.«

»Und nun steht ihr also ohne Manager da«, sagte Caroline. Als sie erneut durch das Fenster schaute, auf den großen, leeren Raum mit dem schönen, neuen Kalksteinboden und den kahlen Wänden, stellte sie sich vor, was man daraus machen könnte, wenn die Aufgabe in die richtigen Hände kam. In ihre Hände. Sie würde die Eichenstruktur der Scheune in den Tischen und Stühlen aufgreifen. Einfache, schmiedeeiserne Lampen an den Wänden, Kronleuchter an der hohen Decke. Schlicht gehaltene Tische mit gestärkten, weißen Stoffservietten und glänzendem Silberbesteck würden dem Raum eine schlichte Eleganz verleihen. Die Wände würden gerahmte Drucke und Fotos zieren, die die Geschichte und das Erbe des Gebäudes illustrierten. Ein klassischer und zugleich zeitgenössischer Look, schlicht und kultiviert. Es juckte sie plötzlich in den Fingern, Pläne zu zeichnen und Ideen festzuhalten.

»Was denkst du?«, fragte Jonathan, der offensichtlich ihren abwesenden Gesichtsausdruck bemerkt hatte.

»Dass ihr hier etwas ganz Besonderes schaffen könnt. Und in den richtigen Händen könnte es eine Goldgrube werden.«

»Das hoffen wir«, sagte er, den Blick noch immer auf ihr Gesicht gerichtet. Sie errötete.

»Entschuldige. Ich drifte manchmal in den beruflichen Autopiloten, wenn ich so was sehe. Hier ist einfach so viel Potenzial. Wer auch immer dieses Restaurant leiten soll, wird erstklassige Managementfähigkeiten benötigen und Fingerspitzengefühl, um das Wesen von Somerset in diesen vier Wänden einzufangen.«

»Mir gefällt deine Leidenschaft. Du hast echt verstanden, worum es uns hier geht, obwohl du die Scheune gerade erst gesehen hast.« Jonathan musterte sie immer noch aufmerksam. »Das ist genau das, was ich mir erhofft hatte.«

»Wieso?«, fragte Caroline verdutzt. »Was hat das mit mir zu tun?«