Anti-Boyfriend - Penelope Ward - E-Book

Anti-Boyfriend E-Book

Penelope Ward

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Beschreibung

Raue Schale, weicher Kern - ein Bad Boy wird von einem Baby gezähmt!

Carys erzieht ihre sechs Monate alte Tochter Sunny allein. Da kann sie es gar nicht gebrauchen, dass ihr ihr gut aussehender Nachbar Deacon durch seine nächtlichen Aktivitäten den wohl verdienten Schlaf raubt. Doch als Sunny eines Nachts gar nicht mehr aufhören will zu weinen und Deacon vor der Tür steht, um sich zu beschweren, ändert sich alles. Denn kaum hört Sunny Deacons Stimme, beruhigt sie sich auf der Stelle. Der Playboy mit den Tattoos scheint ein Babyflüsterer zu sein! Nach dieser Nacht treffen sich Carys und Deacon öfter und werden Freunde, bis sie eines Abends die Grenzen der Freundschaft überschreiten und alles kompliziert wird. Carys weiß, dass eine Beziehung mit Deacon zum Scheitern verurteilt ist, aber was, wenn sie die eine Frau ist, die ihn ändern könnte?

"Dieses Buch ist ein absolutes Muss! Einer der besten Romane in diesem Jahr." BOOK ADDICT REVIEWS

Der neue Roman von Bestseller-Autorin Penelope Ward

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Seitenzahl: 418

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Penelope Ward bei LYX

Leseprobe

Impressum

PENELOPE WARD

Anti-Boyfriend

Roman

Ins Deutsche übertragen von Richard Betzenbichler

Zu diesem Buch

Carys erzieht ihre sechs Monate alte Tochter Sunny allein. Da kann sie es gar nicht gebrauchen, dass ihr ihr gut aussehender Nachbar Deacon durch seine nächtlichen Aktivitäten den wohl verdienten Schlaf raubt. Doch als Sunny eines Nachts gar nicht mehr aufhören will zu weinen und Deacon vor der Tür steht, um sich zu beschweren, ändert sich alles. Denn kaum hört Sunny Deacons Stimme, beruhigt sie sich auf der Stelle. Der Playboy mit den Tattoos scheint ein Babyflüsterer zu sein! Nach dieser Nacht treffen sich Carys und Deacon öfter und werden Freunde, bis sie eines Abends die Grenzen der Freundschaft überschreiten und alles kompliziert wird. Carys weiß, dass eine Beziehung mit Deacon zum Scheitern verurteilt ist, aber was, wenn sie die eine Frau ist, die ihn ändern könnte?

1

Carys

BRÜLLAFFE

Das Geräusch des quietschenden Betts klang in meinen Ohren wie das von Fingernägeln auf einer Schiefertafel. Mein Nachbar Deacon hatte nicht dauernd Frauen zu Besuch, aber wenn eine da war, ging es wirklich zur Sache.

Die heutige Nacht war die lauteste bislang, und der Lärm schien immer dann seinen Höhepunkt zu erreichen, wenn ich gerade eingeschlafen war. Wenn ich aus dem Schlaf gerissen wurde, brauchte ich immer ewig, um wieder einzuschlafen. Man pflegt Müttern zu sagen: Schlaf, sobald dein Baby schläft. Aber das ist kaum möglich, wenn die Wohnung nebenan das Paradies des Bachelors ist.

Das Zimmer meiner Tochter Sunny war auf der anderen Seite unserer Wohnung, sodass sie von dem Lärm aus 5B glücklicherweise nicht wach wurde. Aber mein Zimmer lag Wand an Wand mit Deacons Schlafzimmer. Ich hörte das Ächzen des Betts und jeden Ausdruck von Lust laut und deutlich – jeden Seufzer, jedes Stöhnen und jeden Schrei. Als Bonus spürte ich auch noch sämtliche Vibrationen direkt am Kopfteil meines Betts. Leider war ich selbst Sex seit über einem Jahr nicht näher gekommen als in diesem Moment.

Man sollte meinen, ich müsste den Mut haben, an die Wand zu hämmern, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, ich hätte nicht das Recht, sie zu unterbrechen. Schließlich war er ein Single in den besten Jahren mit einer eigenen Wohnung – er durfte Sex haben. Er war nicht schuld an den dünnen Wänden.

Wäre es schnell gegangen, hätte es mir nicht so viel ausgemacht. Aber er hatte Ausdauer! Wie ein Duracell-Hase auf Drogen.

Habe ich schon erwähnt, dass Deacon wahnsinnig heiß ist? Ich hatte ihn nur ein paarmal im Vorbeigehen gesehen, aber es war nicht leicht, den Blick von seinem perfekten Gesicht mit dem Dreitagebart auf dem markanten Kinn abzuwenden. Zu wissen, wie er aussah, machte die Sache nicht besser. Denn ja, ich war genervt, aber ich konnte mir nur allzu leicht ausmalen, was auf der anderen Seite der Wand vor sich ging. Allein die Vorstellung reichte, um mich wach zu halten.

Dies war also meine bemitleidenswerte Situation.

Schließlich hörte es auf. Die Sexgeräusche gingen in gedämpftes Lachen und Reden über. Während ich versuchte, wieder einzuschlafen, schwor ich mir, Deacon das nächste Mal, wenn ich ihm im Hausflur über den Weg lief, dezent auf die Situation hinzuweisen. Er wusste schließlich nicht, dass unsere Betten Kopfteil an Kopfteil standen, da er nie in meiner Wohnung gewesen war. Es würde ein unangenehmes Gespräch werden, aber es ließ sich nicht vermeiden. Ich brauchte meinen Schlaf. Ich arbeitete zurzeit nicht, weil es ein Vollzeitjob war, mich um meine sechs Monate alte Tochter zu kümmern.

Sunny war das wunderschöne Ergebnis einer kurzen Beziehung mit meinem früheren Chef, der letztendlich zu seiner Ex-Frau zurückgekehrt war, bevor er von meiner Schwangerschaft erfuhr. Kaum dass er wusste, dass das Kind von ihm war, wollte er weder mit mir noch mit dem Baby etwas zu tun haben, und so kümmerte ich mich quasi ohne Hilfe um sie – abgesehen von dem bisschen Geld, das er mir schickte, wenn ihm danach war. Ich sollte betonen, dass seine Frau und er seit über einem Jahr geschieden waren, als ich ihn kennenlernte.

Ich war immer davon ausgegangen, dass ich wieder arbeiten würde, sobald Sunny sechs Monate alt war, aber diesen Meilenstein hatten wir gerade hinter uns gelassen, und noch war nichts geschehen. Mir fehlte es, aus dem Haus zu kommen und jeden Tag Leute zu treffen, und ich sehnte mich danach, zumindest wieder halbtags zu arbeiten. Kinderbetreuung zu finanzieren, war allerdings leichter gesagt als getan. Ganz abgesehen davon war ich noch nicht so richtig bereit, mich von Sunny zu trennen. Aber ich tat mich schwer mit der Entscheidung, weil ich ohne Kontakt zu anderen Erwachsenen allmählich durchdrehte. War ich eine schlechte Mutter, wenn ich Sunny in die Betreuung gab und wieder arbeiten ging?

Das war die Frage, die mich nachts wach hielt – wenn es nicht mein sexy Nachbar war.

Am nächsten Tag machte Sunny gerade ihr Mittagsschläfchen, was mir normalerweise ein bis eineinhalb Stunden ließ, selten auch mal drei Stunden. Diese Zeit war quasi mein einziges heimliches Vergnügen. Zeit nur für mich. Sobald sie eingeschlafen war, machte ich mir Mittagessen und schaute im Fernsehen leise Schatten der Leidenschaft. Ich war nicht unbedingt begeistert von der Serie, aber sie erinnerte mich an meine Kindheit, wenn meine Großmutter für mich sorgte, weil ich krank war und nicht zur Schule gehen konnte.

Es machte mich nervös, meine schlafende Tochter auch nur eine Minute allein zu lassen, um nach der Post zu sehen. Deshalb flitzte ich nach dem Mittagessen immer so schnell wie möglich nach unten, schaute in den Briefkasten und raste wieder nach oben. Vermutlich brauchte ich nicht einmal eine Minute, und ich hatte immer das Babyfon in der Hand.

Heute, als ich gerade wieder bei meiner Tür war, kam Deacon aus seiner Wohnung.

»Oh, hallo, Carys. Wie geht’s?« Er lächelte mich strahlend an.

Ein Hauch seines umwerfenden Geruchs erweckte meinen Körper zum Leben. Er sah gut aus wie immer. Heute trug er einen beigefarbenen Wintermantel mit Fellkragen. Seine Haut war gebräunt, und die blauen Augen funkelten im Neonlicht über uns, das seinem braunen Haar einen rötlichen Schimmer verlieh. Er war mindestens 1,85 Meter groß, ein Riese im Vergleich zu meinen knapp 1,65.

Dies war die Gelegenheit, ihn auf die vergangene Nacht anzusprechen. Aber jetzt, wo er vor mir aufragte und sein männlicher Geruch die Luft tränkte, fehlten mir die Worte. Dennoch … ich war entschlossen, diesmal den Mund aufzumachen.

Mein Herz schlug schneller. Los jetzt. Noch immer außer Atem von meinem Sprint nach oben sagte ich: »Nun, um die Frage ehrlich zu beantworten: Ich würde gern sagen, dass es mir bestens geht, aber ich konnte letzte Nacht kaum schlafen. Insofern ging es mir schon mal besser.«

Er runzelte die Stirn. »Tut mir leid zu hören.«

»Tatsächlich liegt es gewissermaßen an dir.«

Deacon zog die Stirn noch mehr in Falten. »An mir?«

»Ja. Ich weiß nicht, ob es dir bewusst ist, aber unsere Betten stehen Wand an Wand. Deine … Interaktionen letzte Nacht haben mich aufgeweckt, und es fiel mir schwer, wieder einzuschlafen.«

Bäng.

Geschafft.

Ich hatte es gesagt.

Deacon schloss einen Moment die Augen. »Verdammt. Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du direkt auf der anderen Seite schläfst.«

»Ja. Es ist im Grunde, als wäre ich … quasi dabei.«

»Nun, das war unhöflich von mir. Ich hätte dich einladen sollen mitzumachen.«

Wie bitte? Ich hatte das Gefühl, als würde mir das gesamte Blut in den Kopf schießen.

Er hob abwehrend die Hände. »Ich mache Spaß. Ich glaube, ich entwickle einen seltsamen Humor, wenn ich peinlich berührt bin.«

Ich schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich weiß, dass du nur Spaß gemacht hast.«

»Ganz bestimmt!« Er lächelte. »Aber ich werde nächstes Mal rücksichtsvoller sein, da ich jetzt weiß, dass du alles hören kannst. Du hättest etwas sagen sollen.«

Ich legte den Kopf schief. »Wie genau hätte ich das denn machen sollen? Bei einem nackten Pärchen reinplatzen? Deshalb sage ich ja jetzt was.«

»Gutes Argument. Aber ich nehme an, die letzte Nacht war nicht die erste, in der du was gehört hast.«

Ich sah auf meine Füße hinunter. »Nein.«

»Du hättest zum Beispiel an die Wand klopfen können.«

»Ich bin nicht der Typ, der andere Leute … bei ihren persönlichen Angelegenheiten stört. Ich wollte nur, dass dir die Situation bewusst ist. Wir müssen das nicht weiter diskutieren.«

»Vielleicht sollten wir einen Code vereinbaren.«

»Wie meinst du das?«

»Wenn ich zu laut bin, könntest du laut ein bestimmtes Lied spielen, um mir eine Botschaft zu schicken.« Er schnippte mit den Fingern. »Irgendwas Ironisches wie ›The Sound of Silence‹ von Simon und Garfunkel.«

»Man kann schlecht die Musik laut drehen, wenn ein Baby schläft.«

Sein Lächeln erlosch. »Siehst du? Das zeigt dir, wie ratlos ich bin. Und es tut mir echt leid, Carys. Wirklich. Ich gebe mir Mühe, dass es nicht wieder vorkommt.«

»Das will ich doch hoffen, Freundchen!«, ertönte eine laute Stimme hinter einer der Wohnungstüren.

Deacon und ich fuhren beide herum. Ich sah, dass sich die Tür von Mrs Winsbanger, die gegenüber wohnte, bewegte. Die alte Dame musste gelauscht haben. Sie lebte allein, und ich sah oft, wie sie den Kopf aus der Tür streckte und Leute ausspionierte.

Deacon zog eine Grimasse. »Mrs Winsbanger liebt mich.«

»Offenbar bin ich nicht die Einzige, die letzte Nacht etwas mitbekommen hat«, sagte ich.

Er wurde rot. Dass es ihm so peinlich war, überraschte mich ein wenig. Ich hätte ihn für großspuriger gehalten.

»Ich stelle mein Bett an die andere Wand. Das sollte helfen.«

»Ja, das wäre nett, wenn es nicht zu viel Mühe macht.«

»Natürlich nicht.«

Erleichtert, dass ich das Gespräch hinter mich gebracht hatte, stieß ich einen tiefen Seufzer aus. »Okay, dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag.«

Er rührte sich nicht von der Stelle, sondern musterte mein Gesicht. »Alles in Ordnung mit dir?«

»Ja. Wieso?«

»Du wirkst erschöpft.«

Tja, nun … Ich habe nicht gut geschlafen. Ich versuche, in meiner möglicherweise einzigen freien Stunde am Tag so viel es geht zu erledigen, und wir hatten gerade das seltsamste Gespräch, das ich JEMALS geführt habe.

»Das bin nur ich – mein Leben. Mir bleibt gerade mal eine Stunde, um mein Mittagessen hinunterzuschlingen und mich ein bisschen auszuruhen, bevor meine Tochter von ihrem Mittagsschlaf wach wird.«

»Ah.« Er kratzte sich am Kinn. »Wie alt ist sie jetzt?«

»Sechs Monate.«

Deacon wusste, dass ich eine alleinerziehende Mutter war. Er hatte mir einmal geholfen, Einkäufe hochzutragen, während ich Sunny und den Kinderwagen zu jonglieren versuchte.

Ich wollte gerade wieder in meine Wohnung gehen, als er fragte: »Brauchst du irgendetwas?«

Ich war mir nicht ganz sicher, was er meinte. »Was zum Beispiel?«

»Irgendetwas vom Supermarkt? Vielleicht einen … Kaffee? Ich muss rasch was erledigen, aber ich kann auf dem Rückweg irgendwo reinspringen.«

»Das ist ja wohl das Mindeste, was du tun kannst, Brüllaffe!«, ertönte Mrs Winsbangers Stimme von der anderen Seite des Flurs.

Offenbar lauschte sie noch immer.

»Hat die mich wirklich gerade Brüllaffe genannt?«, flüsterte er.

In dem Moment konnte ich nicht mehr anders. Ich fing an zu lachen, und es dauerte fast eine Minute, bis ich wieder in der Lage war zu sprechen. Deacon lachte ebenfalls, aber wohl eher über meine Reaktion.

»Keine Ahnung, wieso sie dich gerade Brüllaffe genannt hat. Aber so herzhaft habe ich schon seit Wochen nicht mehr gelacht.«

Nachdem ich mich endlich beruhigt hatte, wiederholte Deacon seine Frage von vorher.

»Jedenfalls, wie ich schon sagte … Kann ich dir einen Kaffee oder sonst irgendwas mitbringen?«

Sein Angebot gab mir zu denken. Es kam selten vor, dass mich jemand fragte, ob ich irgendetwas brauchte. Ich hatte in der Stadt ein paar gute Freunde, aber sie arbeiteten und hatten ein reges Sozialleben. Sie waren nun mal nicht mitten am Tag in der Nähe, um für mich einzukaufen, und da es Herbst in New York war, wurde es so langsam frostig. Ich brauchte schon einen verdammt guten Grund, um mit Sunny nach draußen zu gehen.

Ehrlich gesagt hatte ich wahnsinnige Lust auf einen Caffè Latte von Starbucks. Mal schnell zum Coffeeshop zu gehen, war für Menschen ohne Babys absolut selbstverständlich. Aber es war es nicht wert, Sunny dafür dick einzupacken.

»Ein Vanilla Latte von Starbucks wäre großartig, falls du auf dem Rückweg an einem vorbeikommst«, sagte ich schließlich.

»Kein Problem.« Er lächelte. »Ist das alles?«

»Bloß ein Schuss Vanillesirup, das wäre super.«

»Nur ein Schuss, verstanden. Sonst noch was?«

»Reicht das nicht? Es ist ja nichts Lebensnotwendiges. Ich sollte dich nicht ausnutzen.«

»Doch. Nutz mich aus. Was brauchst du sonst noch? Ernsthaft. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich dich letzte Nacht wach gehalten habe.«

Ausnutzen. Genau. Schon schlagen meine Gedanken die falsche Richtung ein. »Du bist doch nicht mein Mädchen für alles.«

»Carys.« Seine Baritonstimme klang jetzt ernst, und er wiederholte langsam und übertrieben deutlich: »Was brauchst du? Ich könnte zum Supermarkt gehen.«

Es gab tatsächlich etwas, das ich unbedingt brauchte.

»Windeln?«, sagte ich zögerlich.

»Okay.« Er lachte. »Da wirst du mir helfen müssen. Die habe ich noch nie im Leben gekauft.«

Bevor ich ihm die benötigte Größe sagen konnte, reichte er mir sein Handy. Dass sich unsere Hände dabei kurz berührten, war mir nur allzu sehr bewusst.

»Tipp deine Nummer ein. Ich melde mich vom Supermarkt aus, damit ich auf jeden Fall das Richtige mitbringe.«

Ich tat wie geheißen und reichte ihm das Handy zurück. Wieder genoss ich die kurze Berührung, denn mehr als solche flüchtigen Kicks gab es für mich zurzeit nicht.

Er steckte es in die Tasche. »Sonst noch was?«

»Mir fällt nichts ein.«

»Okay, und falls dir doch noch was einfällt, kannst du es mir ja nachher noch sagen.«

»Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

»Bis später«, erwiderte er und verschwand im Flur.

Ich stand in der Tür und sah ihm hinterher. Von hinten sah er genauso gut aus wie von vorne. Und mehr noch, Deacon schien innerlich genauso großartig zu sein wie äußerlich.

»Was für ein heißer Typ«, hörte ich Mrs Winsbanger noch sagen, bevor sie ihre Tür zuknallte.

Etwa eine halbe Stunde später erhielt ich eine Nachricht.

Deacon: Okay, ich stehe jetzt vor den Regalen mit den Windeln. Die Auswahl ist riesig.

Ich musste lächeln, während ich tippte. Wie süß. Die Vorstellung, wie mein atrraktiver Nachbar ratlos vor den Windelregalen stand, war ebenso hinreißend wie witzig. Irgendeine nichtsahnende Mom würde einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie nach Windeleimerbeuteln suchte und stattdessen auf ihn stieß.

Carys: Alles in Größe zwei ist okay.

Deacon: Huggies oder Luvs?

Carys: Was billiger ist.

Deacon: Welche mag sie lieber?

Carys: LOL. Nun, wir haben das nie diskutiert. Sie kann es mir leider nicht sagen.

Deacon: Ah. Stimmt.

Carys: Aber Mommy mag die, die am billigsten sind.

Deacon: Welche magst du lieber?

Carys: Ich habe sie nie richtig verglichen. Beide sind okay.

Da keine weitere Nachricht kam, ging ich davon aus, dass er eine Entscheidung getroffen hatte. Dann piepte mein Handy erneut.

Deacon: Oh … unerwartete Komplikationen!

Ich lachte.

Carys: Was ist?

Deacon: Es gibt auch Pampers.

Carys: Nimm einfach irgendwelche. LOL.

Deacon: Mir kommen jetzt zwei Frauen zu Hilfe. Die glauben, ich komme nicht zurecht.

Klar. Natürlich geht es denen um die Windeln. Ich musste mich für eine Marke entscheiden, um ihn aus seinem Elend zu erlösen.

Carys: Nimm die Luvs.

Deacon: Okay. Erledigt.

Carys: Danke.

Deacon: Sonst noch was, wenn ich schon mal hier bin?

Ich brauchte Tampons und Deo, aber ich hätte es niemals gewagt, ihn danach suchen zu lassen.

Carys: Nein, danke. Das ist alles.

Ein paar Sekunden später kam eine weitere Nachricht.

Deacon: Was ist ein Pipi Tipi?

Himmel. Er musste dringend raus aus der Babyabteilung. Ich hielt mir den Bauch vor Lachen und tippte.

Carys: Das ist wie ein Zelt für dein Pipi.

Deacon: Ein Zelt für MEIN Pipi. Willst du damit sagen, dass ich nach letzter Nacht eins brauche?

Ich konnte nicht glauben, dass er das Thema noch mal ansprach. Gleichzeitig konnte ich kaum glauben, dass ich so heftig lachen musste. Ich hatte heute mehr gelacht als die ganzen letzten Monate. Ich hoffte nur, ich würde Sunny nicht aufwecken.

Carys: Das ist für männliche Babys, damit sie einen nicht anpinkeln.

Deacon: Okay. Dann bin ich aus dem Schneider. Ich habe schon länger niemanden mehr angepinkelt. ;-)

Meine Güte. Wohin würde dieses Gespräch noch führen? Kopfschüttelnd tippte ich.

Carys: Du bist verrückt.

Deacon: Sie haben meine Größe eh nicht da.

Oh mein Gott.

Deacon: Okay. Nun bin ich wirklich fertig hier!

Und mir war jetzt heiß.

Als Deacon eineinhalb Stunden später zurückkam, schlief Sunny noch immer.

Er gab mir die Tüte mit den Windeln. Außerdem hatte er zwei Kaffee auf einem Papptablett dabei. Er reichte mir meinen. »Ich habe dir einen Venti mitgebracht. Ich war mir nicht sicher, ob der nicht zu groß ist.«

»Ein Kaffee kann gar nicht zu groß sein.« Ich lächelte und nahm ihm den Becher ab. »Danke.«

Ich ging zu meiner Handtasche und holte mein Portemonnaie heraus.

Er hob abwehrend die Hand. »Auf keinen Fall. Das geht alles auf mich.«

»Ich kann dich das nicht zahlen lassen.«

»Betrachte es einfach als Entschuldigung, dass du wegen mir letzte Nacht nicht schlafen konntest.«

»Lass mich wenigstens die Windeln bezahlen.«

»Nein.«

»Ernsthaft, ich kann nicht …«

»Doch, du kannst. Ich nehme dein Geld nicht. Also leg dein Portemonnaie weg.«

Ich hatte Geschenke noch nie gut annehmen können, gab aber nach. »Dann … vielen Dank.«

Ich trank den ersten Schluck von dem heißen schaumigen Latte, schloss die Augen und stöhnte – vielleicht ein bisschen zu laut.

»Du klingst wie die Geräusche aus meinem Schlafzimmer letzte Nacht.« Er lachte.

Ich hätte beinahe den Kaffee ausgespuckt.

Außerdem musste ich rot angelaufen sein, denn er fragte: »Zu viel?«

»Eigentlich nicht. Ich finde es gut, dass du das so locker nimmst und mich nicht in die Schublade der nervigen Nachbarin steckst.« Ich trank einen weiteren Schluck. »Der ist so gut. Ich habe schon lange keinen mehr getrunken.«

»Wann immer du einen haben möchtest und nicht wegkannst, sag mir Bescheid. Ich hole dir einen. Starbucks ist doch nur ein Stück die Straße runter.«

So verlockend das klang, würde ich Deacon dennoch nicht so bald bitten, mir wieder einen Kaffee zu holen. Ich hasste es, hilfsbedürftig zu wirken.

Ich sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Wieso musst du so nett sein? Wie soll ich da noch böse auf dich sein?«

»Mir war nicht klar, dass du es dir zum Ziel gesetzt hast, böse auf mich zu sein.« Er lächelte und sah sich um. »Deine Tochter schläft noch?«

»Ja. Schon seit zwei Stunden, das ist mehr als gewöhnlich. Ganz selten schläft sie allerdings sogar drei. Ich liebe es. So eine lange Pause bekomme ich nicht oft.«

»Gut, dann sage ich jetzt nicht noch mal Brüllaffe. Sonst lachst du wieder und weckst sie auf.«

Und schon wieder lachte ich los. Ich legte die Hand vor den Mund, um das Geräusch zu dämpfen. »Meine Güte, das war so witzig.«

»Habe ich schon erwähnt, dass mich Mrs Winsbanger liebt?«, fragte er. »Sie starrt mich auch immer böse an.«

»Hast du sie tatsächlich gesehen? Ich bekomme normalerweise nur mit, dass ihre Tür einen Spalt aufsteht, weil sie Leute im Flur ausspioniert. Ich glaube, ich habe sie nur ein- oder zweimal gesehen.«

»Ich habe mal versucht, ihr zu helfen, ihre Sachen raufzutragen, aber sie hat sich geweigert und mich mit Blicken fast getötet. Man hätte meinen können, ich wollte sie ausrauben. Dabei wollte ich ihr nur helfen.« Er griff nach seinem Handy. »Ich schaue das mal nach.«

»Was schaust du nach?«

»Brüllaffen. Was sind das eigentlich genau für Tiere?« Er tippte etwas ein und scrollte. »Laut diesem Artikel hier gehören Brüllaffen zu den Klammerschwanzaffen und schreien sehr laut.« Er sah hoch. »Na ja. Allzu nett klingt das nicht.« Er blickte wieder auf das Display. »Oh! Schau an. Die Affen, die am tiefsten brüllen, haben die kleinsten Hoden.«

»Man lernt doch jeden Tag etwas Neues.« Ich kicherte.

»Dank Mrs Winsbanger.« Er verdrehte die Augen und steckte das Handy ein.

Oh Mann, meine Wangen taten weh. Seine Anwesenheit machte mir mal wieder bewusst, wie sehr mir der Kontakt mit Erwachsenen fehlte.

Er nahm sein Getränk vom Tablett, und dabei entdeckte ich ein Tattoo an seinem linken Handgelenk, das unter dem Ärmel herauslugte. Ich fragte mich, wie weit es wohl seinen Arm hinaufreichte. Ein Teil des Tattoos war ein Wort, aber ich konnte nur die letzten drei Buchstaben »hie« sehen. Ob es ein Name war? Ruthie? Keine Ahnung.

Er hatte wunderschöne große Hände, mit deutlich sichtbaren Adern und rauer Haut. Lange Finger. Deacon war der Inbegriff von Männlichkeit. Ich zwang mich, meinen bewundernden Blick von ihm abzuwenden, und konzentrierte mich stattdessen auf das, was auf seinem Becher stand. Er hatte sich einen dreifachen Espresso bestellt, schwarz, ohne Milch. Ein starkes Getränk für einen starken Mann.

Er bemerkte, dass ich seinen Becher betrachtete. »Die haben meinen Namen falsch verstanden. Sie haben Beekman geschrieben. Wer zum Teufel heißt schon Beekman?«

»Mein Vater heißt so.« Ich zwang mich, keine Miene zu verziehen.

»Ist das dein Ernst?«

Ich grinste und schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Ah. Carys hat einen Witz gemacht. Vielleicht ist sie doch nicht nur die Prüde von nebenan.«

»Hey!« Ich lachte.

Er zwinkerte mir zu. »Du weißt doch, dass ich nur Spaß mache.«

»Also mein Name steht auch ständig verkehrt auf dem Becher. Sie schreiben gern Mary drauf, obwohl ich das C und das S ziemlich deutlich ausspreche.«

»Oh ja. Carys wie zwei Marys.«

»Manchmal schreiben sie auch Karen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Passiert dauernd.«

Er wandte den Blick keine Sekunde von mir ab. »Carys ist ein ungewöhnlicher Name. Er gefällt mir gut.«

Die Art, wie dieser Mann einen ansah, wenn er sprach, war irgendwie besonders. Er schenkte einem seine volle Aufmerksamkeit. Seine Augen waren wie zwei riesige Scheinwerfer, die den Rest der Welt in Dunkelheit versinken ließen.

Ich spürte, wie ich rot wurde. »Danke. Er ist walisisch.«

»Stammst du aus Wales?«

»Meine Mutter ist Halbwaliserin, ja.«

»Es ist jedenfalls ein sehr schöner Name.«

Ein Schauder lief mir über den Rücken, als hätte er mir ein Kompliment für etwas viel Aufregenderes als meinen Namen gemacht.

Deacons umwerfender Geruch und das köstliche Aroma des Espressos versetzten meine Sinne in einen Freudentaumel – zwei meiner Lieblingsdüfte. Vor allem aber war sich mein Körper fast schon schmerzhaft des großartigen Wesens bewusst, das da vor mir stand. Dieser Mann hatte erst in der vorherigen Nacht eine Frau vor Lust schreien lassen.

Deacon ging zur anderen Seite des Zimmers. Ich genoss seinen Anblick, während er die Fotos auf meinen Regalen betrachtete. Die meisten waren von Sunny, aber er nahm eins von mir in die Hand. Mir war klar, was nun kommen würde, als er zwischen dem Foto und mir hin und her sah.

»Du warst Balletttänzerin?«

Ich nickte. »Ja. Mehrere Jahre lang. Jetzt nicht mehr, wie man sieht.«

»Professionell?«

»Ja. Ich war Solotänzerin beim Manhattan Ballet.«

Sein Blick war vorher schon durchdringend gewesen, doch das war noch nichts im Vergleich zu der Intensität, mit der er mich jetzt musterte.

»Wow.« Er betrachtete wieder das Foto. Es zeigte mich bei einer Arabesque. Er starrte es so lange an, dass es mir unangenehm wurde. »Wieso hast du aufgehört?«

Ich schluckte. Auf dieses Gespräch war ich nicht vorbereitet. »Ich hatte eine Verletzung, die mich zum Aufhören zwang.« Es laut auszusprechen, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.

Er schien zu erstarren, fast als würde es ihn tief treffen, das zu hören. »Es tut mir leid. Das muss hart für dich gewesen sein.«

»Leicht war es nicht.«

Deacon starrte mich an, und mit jeder Sekunde, die verstrich, fühlte ich mich ein wenig entblößter.

»Bis zu dem Zeitpunkt war es das Schlimmste, was ich je durchmachen musste«, räumte ich schließlich ein.

»Was hast du … danach gemacht? Nachdem du nicht mehr tanzen konntest?«

»Ich habe zwei Jahre lang bei derselben Ballettkompanie weitergearbeitet, aber hinter der Bühne.«

»Und was ist daraus geworden?«

»Dann kam Sunny.«

»Ah.« Er seufzte und stellte das Foto wieder auf das Regal. »Natürlich.«

Sein ehrliches Interesse gab mir das Gefühl, ihm noch mehr erzählen zu können. »Nun, dass Sunny kam, ist die Kurzversion. Die längere Version ist, dass ich eine Beziehung mit dem Direktor des Balletts hatte. Charles ist der Sohn des langjährigen Besitzers. Er ist durch Vetternwirtschaft an seinen Posten gekommen. Damals, als ich für ihn gearbeitet habe, war er geschieden. Er hat mich verlassen, um zu seiner Ex-Frau zurückzugehen, nachdem er mich vorher noch geschwängert hatte.«

»Scheiße«, sagte Deacon und trat ein paar Schritte auf mich zu.

»Ja.« Ich seufzte. »Meine Schwangerschaft hat zwischen uns nichts verändert. Ehrlich gesagt hätte ich ihn sowieso nicht zurückgewollt. Er hat bereits zwei Kinder, und er hat zwar seiner Ex-Frau, die jetzt wieder seine Frau ist, von Sunny erzählt, aber seinen Kindern verschweigt er, dass sie eine Halbschwester haben. Er bat mich, seinen Namen nicht auf die Geburtsurkunde setzen zu lassen.«

»Er unterstützt sie in keiner Weise?«

»Er gibt mir unter der Hand Geld. Es ist nur ein kleiner Betrag, aber es hilft. Ich nehme es, weil mir die Versorgung meiner Tochter wichtiger ist als mein Stolz.«

»Das ist ja echt mies von ihm, dass er nicht mehr Verantwortung übernimmt.«

»Mir ist es eigentlich lieber, wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht Teil ihres Lebens ist. Ich denke, es fühlt sich schlimmer an, von einem Vater zurückgewiesen zu werden, den man gelegentlich sieht, als gar keinen Vater zu haben.«

Er sah mir tief in die Augen. »Du klingst, als würdest du aus Erfahrung sprechen.«

Irgendwie hatte sich dieses Kaffeeholen in eine Therapiestunde verwandelt. Deacon hatte etwas an sich, das mir das Gefühl gab, ihm alles erzählen zu können, ohne dass er mich verurteilte.

»Da hast du recht«, erwiderte ich. »Mein Dad war nicht für mich da.« Ich schüttelte den Kopf und schaute auf den Boden. »Aber ich will dich nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen. Du hast mir einen Kaffee geholt, und das hier gehört nicht zum Deal.«

»Machst du Witze? Ich bin doch derjenige, der die Fragen stellt. Tut mir leid, wenn ich neugierig war.« Er trank einen Schluck aus seinem Becher. »Jedenfalls hoffe ich, es stört dich nicht, wenn ich sage, dass ich schon immer neugierig auf dich war … wie es bei dir läuft, wo der Vater des Kinds abgeblieben ist. Es geht mich natürlich nichts an, aber es hat mich interessiert.«

Ich seufzte. »Nun, jetzt weißt du es.«

»Ja.« Er lächelte.

Da er offenbar nicht vorhatte zu gehen, beschloss ich, ihn auch etwas zu fragen, was mich brennend interessierte.

»Und was ist mit dir? Wie läuft es bei dir so? Bist du aus New York?«

»Nein. Ich komme ursprünglich aus Minnesota. Vor ein paar Jahren bin ich von Kalifornien nach New York gezogen, weil mir der Sinn nach Veränderung stand. Aber ich kann von überall aus arbeiten.«

»Was machst du denn?«

»Ich designe interaktive Spiele für eine Firma mit Hauptsitz in Asien.«

»Das klingt echt cool.«

»Es ist definitiv nicht die Karriere, die ich im Sinn hatte, aber es macht Spaß. Unsere App ist sehr beliebt, und sie verkauft sich gut. Das verschafft mir eine gewisse berufliche Sicherheit im ansonsten unberechenbaren Unterhaltungsgeschäft.«

»Dann brauchst du also nie in ein Büro zu gehen?«

»Die meiste Zeit arbeite ich von zu Hause aus. Ich muss nur ab und zu an Konferenzen im New Yorker Büro der Firma teilnehmen. Der Hauptsitz ist in Japan.«

»Das ist eine großartige Situation.«

»Ja, das ist es. Aber manchmal ist es nicht ganz leicht, sich zu Hause zusammenzureißen. Ich lasse mich oft ablenken.«

»Ja. Ich glaube, diese Ablenkungen habe ich nachmittags schon mal gehört.« Ich zwinkerte ihm zu.

»Aua.« Er zog eine Grimasse. »Und ich dachte, ich hätte dich erfolgreich von deinem ersten Eindruck von mir abgebracht.« Er tippte sich an die Stirn. »Versager.«

Ich lachte. »Ich ziehe dich nur auf.« Es verblüffte mich, wie schnell ich mich in seiner Gegenwart wohlfühlte. Ich genoss seine Gesellschaft.

»Das Gute am Homeoffice ist jedenfalls, dass ich zu jeder Uhrzeit arbeiten kann. Wenn ich tagsüber blaumache, arbeite ich eben nachts.«

»Das muss toll sein, so viel Flexibilität. Ich versuche gerade, einen ähnlich flexiblen Job zu finden. Kennst du irgendwen, der jemanden braucht?«

»Nicht auf Anhieb, aber ich halte die Ohren offen. Was für eine Arbeit suchst du?«

»Na ja, die meiste Erfahrung habe ich mit Verwaltungstätigkeiten. Also vielleicht eine virtuelle Assistentin? Aber ich bin auch offen für Neues. Ich habe einen Abschluss in Sozialwissenschaften, aber ich habe mich so viele Jahre auf das Ballett konzentriert, dass mein Lebenslauf etwas mager ist, abgesehen von den zwei Jahren, die ich hinter der Bühne gearbeitet habe. Ich bin so lange davon ausgegangen, dass ich eine Karriere als Tänzerin haben würde.«

»Natürlich.« Er nickte. »Das leuchtet ein.«

Ich spielte an dem grünen Deckel meines Kaffeebechers herum. »Nicht zu arbeiten, war eine Zeit lang prima. Ich hatte immer vor, mit Sunny am Anfang zu Hause zu bleiben, aber ich glaube, für meine geistige Gesundheit wäre es gut, ein paar Tage die Woche aus dem Haus zu kommen oder etwas zu finden, was ich im Homeoffice erledigen kann. Es ist nicht einfach, den perfekten Weg zu finden. Aber ich will sie definitiv nicht fünf Tage die Woche weggeben.«

Deacon stieß einen tiefen Seufzer aus, fast als würden meine Gedanken ihn überwältigen. »Ein Kind ändert alles, wie?«

»Ja. Das tut es wirklich. Diese sechs Monate sind wie im Flug vergangen. Ich fühle mich, als hätte ich in meiner ganz eigenen Welt gelebt. Aber ich würde nicht tauschen wollen. Meine Tochter bedeutet mir alles.«

»Übrigens denke ich, dass du das großartig machst – auch wenn ich nur wenig mitbekommen habe. Sie wirkt auf mich wie ein glückliches Baby. Du bist eine gute Mom.«

Seine Worte ließen mein Herz schneller schlagen. Soweit ich mich erinnerte, hatte das zuvor noch niemand zu mir gesagt. Und obwohl ich wusste, dass ich jeden Tag mein Bestes gab, war es doch nett, dass jemand das bestätigte.

»Danke, Deacon, du bist wirklich sehr nett.«

»Das höre ich nicht allzu oft, aber okay.« Wir sahen uns in die Augen. Dann schaute er auf einmal auf sein Handy hinunter. »Wie auch immer, ich lasse dich jetzt noch den Rest deiner freien Zeit genießen, bevor sie aufwacht.«

Ich hätte ihm am liebsten gesagt, dass er nicht zu gehen brauchte, aber stattdessen meinte ich: »Ich bin froh, dass wir uns heute ein bisschen kennengelernt haben, damit du weißt, dass ich nicht nur die launische Spielverderber-Nachbarin bin.«

»Und du siehst in mir nun hoffentlich auch mehr als nur die männliche Hure von nebenan.«

»Noch nicht ganz.« Ich zwinkerte ihm zu. »Aber das wird schon noch.«

Er grinste. »Pass auf dich auf, Carys. Und wenn du irgendwas von der Welt da draußen brauchst – ein Wort genügt.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Wie lautet das Wort?«

Er kratzte sich am Kinn. »Da wäre am besten … Brüllaffe.

Ich lachte los. »Ah. Perfekte Wahl.«

Als er zu seiner Wohnung ging, rief ich ihm hinterher: »Danke noch mal für die Windeln und den Kaffee.«

Er drehte sich um, ging rückwärts weiter und schenkte mir ein strahlendes Lächeln, das mein Herz ein wenig bluten ließ. »Windeln und Kaffee. Könnte nicht behaupten, dass ich schon mal ein Danke für diese Kombination bekommen habe.« Er zwinkerte mir zu. »War mir ein Vergnügen.«

Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich mich dagegen, einer Ohnmacht nahe.

Wirklich, Carys? Du bist echt zu bemitleiden.

Denk nicht mal daran!

Er würde mich wegen meiner Situation nicht mal mit der Kneifzange anfassen. Das war typisch für mein ausgehungertes Herz, dass es die großzügige Geste eines netten Manns in den Anfang einer unrealistischen Romanze verwandelte.

Nachdem ich den Rest meines Kaffees ausgetrunken hatte, öffnete ich die Tüte mit den Windeln, die er mir gebracht hatte.

Darin befand sich mehr als die Packung Luvs.

Er hatte noch ein Peppa-Pig-Stofftier gekauft.

Und Ohrstöpsel.

2

Carys

BABYFLÜSTERER

Zwei Wochen später hatte ich mit Sunny einen Termin bei ihrem Kinderarzt in der Innenstadt. Da wir eh schon unterwegs waren, traf ich mich mit meiner Freundin Simone zu einem frühen Abendessen in der Nähe der Praxis.

»Was hat der Arzt gesagt?«, fragte Simone, während sie die laminierte Karte mit den Angeboten des Tages studierte.

»Bei der Kontrolle war alles bestens. Der Doktor meinte, sie hätte genau das richtige Gewicht für ihre sechs Monate.«

»Das freut mich.« Sie sah von der Speisekarte hoch. »Und wie geht es dir?«

Ich zögerte, weil ich nicht so recht wusste, was ich antworten sollte. »Gut … gut.«

Es war sinnlos, meine alltäglichen Probleme vor ihr auszubreiten. Simone und ich lebten in zwei völlig unterschiedlichen Welten, und sie würde meine Situation vermutlich nicht verstehen. Als eine der besten Balletttänzerinnen der Stadt hatte sie genau das erreicht, was auch ich vor meiner Verletzung angestrebt hatte. Sie war eine Primaballerina, die abends auftrat, morgens meist lange schlief und nachmittags Proben hatte, dazu ein aktives Sozialleben. Oft waren ihre Erzählungen mein Ersatzleben. Anstatt also zuzugeben, dass ich mich oft einsam fühlte und mir Sorgen um meine Finanzen machte, antwortete ich einfach nur mit gut.

»Kümmerst du dich auch um dich selbst?«, fragte sie.

»Du meinst so etwas wie … self-care?«

»Ja. Nimmst du dir Zeit für dich?«

Ich richtete den Blick auf Sunny, die in ihrem Kinderstuhl saß. Ihre Wangen waren rot, vermutlich von der Impfung, die sie gerade bekommen hatte. Der Arzt hatte mich gewarnt, dass sie eventuell Fieber bekommen würde.

Ich legte die Hand auf ihre Stirn. »Ich ruhe mich aus, wenn sie schläft, aber ich habe selten die Gelegenheit, allein aus dem Haus zu kommen und mir mal eine Massage oder so etwas zu gönnen. Dafür bleibt einfach keine Zeit.«

Unser Essen kam, und während wir uns über die Hamburger und Pommes Frites hermachten, stellte Simone keine weiteren Fragen.

»Willst du eigentlich irgendwann wieder arbeiten?«, fragte sie dann plötzlich.

»Wenn ich jemanden finde, dem ich Sunny guten Gewissens anvertrauen kann, dann ja«, erwiderte ich und wischte mir Ketchup aus dem Mundwinkel. »Allerdings müsste ich die Kosten und Nutzen abwägen.«

»Echt schade, dass deine Mom so weit weg wohnt.«

Guter Witz! »Na ja, ich bin mir sowieso nicht sicher, ob sie damit zurechtkäme.«

Ich liebte meine Mutter, aber sie würde sich nicht um Sunny kümmern. Sie war ziemlich jung gewesen, als sie meinen Bruder und mich bekam, und sie hatte mir gesagt, sie habe mit dem Thema Kinder abgeschlossen, denn jetzt sei sie an der Reihe, ihr Leben zu genießen. Vor ein paar Jahren war sie von New Jersey, wo ich aufgewachsen war, nach Florida gezogen. Die beiden Male, als ich angedeutet hatte, dass ich mehr Besuch ihrerseits durchaus schätzen würde, hatte sie mir ihren Standpunkt eindeutig klargemacht.

Ein Ruck ging durch Simone, als wäre ihr gerade eine glänzende Idee gekommen. »Weißt du was? Cynthia hat mir erzählt, dass sie jemand Neuen für die Öffentlichkeitsarbeit suchen. Ich frage mich gerade, ob sie dich dafür in Betracht ziehen würde. Ich meine, du kennst dich in der Ballettszene aus. Du bist attraktiv, wenn du nicht in deiner Mama-Uniform steckst, und du bist sympathisch. Ich wette, du könntest eine Menge von zu Hause aus erledigen, Presseerklärungen schreiben und all so was. Vermutlich müsstest du nur gelegentlich im Büro oder bei besonderen Anlässen auftauchen.«

Simone tanzte bei einer anderen Ballettkompanie als die, in der ich gewesen war. Zu meiner alten Truppe wäre ich niemals zurückgekehrt, schließlich war Sunnys Vater, der nichts mit seiner Tochter zu tun haben wollte, dort noch immer Direktor. Ein Job bei der Konkurrenz wäre hingegen ideal.

Bei Simones Vorschlag hob sich meine Stimmung. »Du glaubst, sie würde mich in Betracht ziehen?«

»Sie redet immer davon, wie sehr sie dich bewundert. Und versteh das bitte nicht falsch, aber wir bedauern es alle, dass du dir auf dem Höhepunkt deiner Karriere diese Verletzung zugezogen hast. Du bist in vielerlei Hinsicht eine Legende. Alle fragen sich, wie es weitergegangen wäre, wäre Carys Kincaid nicht ausgebremst worden.«

Ihre Worte berührten mich tief. Den Schmerz, nie mehr professionell auftreten zu können, versuchte ich meist zu verdrängen.

»Ich würde zwar lieber tanzen als eine Legende zu sein, aber es ist schön zu wissen, dass ich posthum respektiert werde.«

»Posthum? Du bist nicht tot, Carys.«

»Ich weiß, aber in der Ballettwelt läuft das auf dasselbe hinaus.«

»Sieh es doch mal so: Hättest du nicht den Unfall gehabt, würdest du zwar noch tanzen, hättest dich aber vielleicht nie mit Charles eingelassen, und Sunny hätte es nie gegeben. Sosehr wir Charles jetzt auch hassen, ihm verdankst du Sunny. Alles geschieht aus einem Grund.«

»Na ja, ich bereue es definitiv nicht, sie bekommen zu haben, insofern hast du wohl recht.«

Ich richtete den Blick auf meine Tochter. Sunny lächelte, als würde sie verstehen, worüber wir sprachen. Ich liebte ihr kleines Kürbisgesicht so sehr. Sie hielt Peppa Pig, die Deacon ihr aus dem Laden mitgebracht hatte, in der Hand und wedelte damit herum.

»Was für ein niedliches Spielzeug«, sagte Simone.

»Mein Nachbar hat es ihr gekauft.«

»Die alte Dame von gegenüber?«

»Nein, nicht die verrückte Mrs Winsbanger. Der Typ in 5B.«

Simone riss die Augen auf. »Der heiße Typ, der gerade ging, als ich dich letztes Mal besucht habe?«

»Ja. Deacon.«

»Er hat ihr ein Spielzeug gekauft?«

Ich nickte. »Er ist vor zwei Wochen für mich zum Supermarkt gefahren und hat es als Überraschung mitgebracht. Und das war, nachdem ich ihm die Meinung gesagt hatte, weil er in der Nacht davor zu laut gevögelt hatte.«

Simone schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh, verdammt. Du hast ihm die Meinung gesagt?«

»Ja. Es war ein ziemlich peinliches Gespräch, aber er hat echt gelassen reagiert, als ich ihn gebeten habe, etwas leiser zu sein.«

Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hätte da eine Idee, wie man das kleine Problem umgehen kann.«

»Und wie?«

»Er könnte dich auf andere Weise wach halten. Du weißt schon … auf deiner Seite der Wand.« Sie zwinkerte mir zu. »Wenn du diejenige bist, mit der er laut ist, brauchst du dich nicht zu beschweren.«

»Sehr witzig«, erwiderte ich zynisch, aber innerlich wurde mir heiß. Es war ja nicht so, dass mir das nicht auch schon in den Sinn gekommen wäre. Bevor ich erklären konnte, wieso es nicht so weit kommen würde, stand sie auf.

»Wie auch immer, ich muss los. Ich habe heute Abend ein Date, für das ich mich noch fertig machen muss. Ich rede mit Cynthia über die PR-Stelle und melde mich dann bei dir, okay?«

Die Aussicht auf einen möglichen Job machte mir genauso viel Angst wie Mut.

»Danke. Ich weiß das echt zu schätzen.«

Ich stand ebenfalls auf, um sie zu umarmen, und sah zu, wie sie meine Tochter auf den Scheitel küsste.

Nachdem Simone gegangen war, fütterte ich Sunny an unserem Tisch mit Babynahrung aus dem Gläschen.

Später, als ich sie anzog, um mit ihr nach draußen zu gehen, sprach ich mit ihr, wie ich das oft tat, auch wenn sie mir nicht antworten konnte.

»Was meinst du? Wäre es okay für dich, wenn ich wieder arbeiten gehen würde? Ich will dich nicht allein lassen, aber ich möchte gerne gut für uns sorgen.«

Sie brabbelte vor sich hin, und ich küsste sie auf die Stirn. »Wir finden eine Lösung, nicht wahr? Das tun wir immer.«

Als Sunny und ich an jenem Abend bei unserem Gebäude ankamen, liefen wir Deacon und »einer Freundin« – einer heißen Rothaarigen – über den Weg. Sie kamen von der entgegengesetzten Seite des Blocks. Ich fragte mich, ob sie die Frau von vor zwei Wochen war.

Als Deacon mich entdeckte, hob er grüßend die Hand. »Hey, Carys.«

»Hey.« Ich blieb mit dem Kinderwagen vor dem Eingang stehen.

»Warte, ich mache euch die Tür auf«, sagte er.

Er hielt uns die Tür auf, und ich schob Sunnys Kinderwagen hindurch. Normalerweise musste ich ihn erst zusammenklappen, um ihn dann in den zweiten Stock zu tragen, während ich das Baby auf dem anderen Arm hielt. Aber kaum hatte ich Sunny herausgenommen, legte Deacon ihn bereits zusammen und trug ihn für mich die Treppe hoch. Die Frau folgte ihm, ohne ein Wort zu sagen.

»Danke für deine Hilfe«, sagte ich. Meine Stimme hallte im Treppenhaus wider.

»Kein Problem.« Er lächelte. Als wir auf unserem Stockwerk angekommen waren, sagte er schließlich. »Dies ist Kendra.«

»Nett, Sie kennenzulernen.« Ich war sofort eifersüchtig. Natürlich war das Unsinn, aber wie es aussah, hatte ich mich ein bisschen in den Typen verknallt.

»Freut mich auch, Sie kennenzulernen«, erwiderte Kendra. »Ihre Tochter ist wirklich bezaubernd.«

»Danke.«

Als wir bei unseren Wohnungstüren angekommen waren, lehnte Deacon den Kinderwagen an die Wand neben meiner.

Sein Blick fiel auf das Spielzeug in Sunnys Hand. »Sieht aus, als mag sie das Schwein.«

»Ja.« Ich lächelte. »Das war eine gute Wahl. Vielen Dank.«

»Ach … das hast du ihr gekauft?«, flötete Kendra. »Wie süß!«

»Ja, wirklich«, sagte ich. »Und es hat sie heute gut getröstet.«

»Was war denn heute?«, fragte Deacon besorgt.

»Sie musste zum Arzt.«

Er kniff die Augen zusammen. »Ist sie krank?«

»Nur eine Routineuntersuchung.«

»Und, alles in Ordnung?«

»Ja. Danke, dass du fragst. Sie brauchte eine Impfung, und das ist immer Stress. Aber es lief prima.«

»Das höre ich gern.« Er lächelte. »Nun … dann schlaft gut, ihr beiden. Wir machen uns jetzt einen netten, ruhigen Abend.« Er blinzelte mir zu. »Vielleicht spielen wir ein bisschen Parcheesi.«

»Oh … na dann, viel Spaß. Ich habe jetzt Ohrstöpsel, falls euer Parcheesi ein bisschen wilder wird.«

Er lachte. »Gute Nacht, Carys.«

»Gute Nacht.« Ich winkte Kendra zu. »War nett, Sie kennenzulernen.«

»Gleichfalls.« Sie grinste.

Ich schluckte meine Eifersucht hinunter und ging in meine Wohnung.

Später am Abend war Sunny untröstlich. Sie hörte nicht auf zu weinen, und ich verfluchte die Impfung heute. Ich rief den ärztlichen Notdienst an, der mir sagte, ihr Fieber von 38,9 sei unter den Umständen normal und ich brauche sie nicht in die Notaufnahme zu bringen. Ich solle sie überwachen und aufpassen, dass sie genügend Flüssigkeit bekam.

Ich nahm sie mit in mein Schlafzimmer, weil ich sie in diesem Zustand nicht allein lassen wollte. Außerdem dachte ich, es würde helfen, wenn ich sie hielt, aber das schien nichts zu bewirken. Immerhin fühlte ich mich besser, wenn ich sie auf dem Arm hatte.

Ich ging im Zimmer auf und ab und wiegte sie, aber sie weinte immer weiter. So hatte ich sie noch nie erlebt.

Beinahe hätte ich wegen ihres Weinens nicht gehört, wie jemand an die Tür klopfte.

Verdammt. Wollte sich einer der Nachbarn beschweren? Dass jemand auf mich sauer war, konnte ich jetzt wirklich nicht brauchen.

Ich ging zur Tür und schaute durch den Spion.

Es war Deacon. Mir fiel wieder ein, dass eine Frau bei ihm war, und ich wand mich innerlich. Die Rollen waren vertauscht. Jetzt störten wir ihn.

Ich riss die Tür auf und redete sofort los, bevor er Gelegenheit hatte, etwas zu sagen. »Ich weiß, wir stören euch, aber sie hört einfach nicht auf zu weinen. Es tut mir wirklich leid. Sie hat Fieber, von der Impfung, nehme ich an, und ich kann nichts tun. Wenn du dich also beschweren willst, wie ich mich bei dir beschwert habe, dann wäre das durchaus verständlich, aber ich kann nichts daran ändern, deshalb …«

»Carys, beruhige dich. Es ist in Ordnung.« Er legte mir die Hände auf die Schultern.

Die unerwartete Berührung jagte einen Stromstoß durch meinen Körper, und das brachte mich zum Schweigen. Ich seufzte tief auf. »Ich kann mich nicht beruhigen. Mein Baby leidet.«

»Ich bin nicht gekommen, um mich zu beschweren. Das würde ich niemals tun. Du kannst doch nichts dafür.«

»Wieso bist du dann hier?«

»Ich wollte mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«

Mein Herz schmolz dahin, aber ich zwang mich, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. »Du musst nicht nach mir schauen, Deacon.«

»Das weiß ich. Ich wollte es aber. Vermutlich kann ich nichts tun, aber ich kann nicht einfach zuhören, wenn ein Baby zwei Stunden am Stück schreit, ohne zu kommen und meine Hilfe anzubieten.«

Mir dämmerte, dass Deacon diese Frau allein gelassen hatte, um nach uns zu sehen. Kendra.

»Wo ist Kendra?«

»Sie ist nach Hause gegangen.«

»Weil es ihr zu laut war?«

»Sie … muss morgen sehr früh zur Arbeit, deshalb ist sie zum Schlafen nach Hause gegangen.«

»Sunny hat dir heute Nacht dein Date vermasselt. Tut mir leid.«

Tat es mir nicht.

Er winkte ab. »Schon gut.«

»Wenn das hier vorbei ist, kannst du dich revanchieren und jemandem laut und ausgiebig das Gehirn rausvögeln.«

Ich hatte erwartet, dass er lachen würde, stattdessen musterte er mich besorgt. Sofort wünschte ich, ich könnte meinen anzüglichen Witz zurücknehmen.

»Hast du es schon mit einem kühlen Bad versucht? Ich bin kein Experte, aber würde das nicht das Fieber senken? Ich erinnere mich, dass meine Mutter das mit meinem Bruder gemacht hat, wenn er Fieber hatte, als er noch klein war.«

Es schien so offensichtlich, aber es war mir nicht eingefallen, und auch der blöden Krankenschwester nicht, mit der ich telefoniert hatte. »Weißt du was? Das ist eine gute Idee. Ich lasse ihr gleich ein Bad ein. Würdest du sie einen Moment halten, während ich im Badezimmer alles vorbereite?«

Deacon ließ den Blick unsicher durchs Zimmer wandern. Suchte er nach einer Ausrede, sie mir nicht abnehmen zu müssen? »Ähm … klar doch«, sagte er schließlich.

Ich reichte ihm Sunny und genoss ein paar Sekunden lang den Anblick, wie er sie hielt und sanft auf und ab schwang.

Ich eilte ins Badezimmer, damit er es nicht zu sehr mit der Angst bekam. Ich hatte seine Nacht schon genug gestört. Während das Wasser in die Wanne lief, prüfte ich die Temperatur, damit es kühl, aber nicht zu kalt war. Als ich den Wasserhahn schließlich zudrehte, fiel mir etwas Merkwürdiges auf. Stille.

Zum ersten Mal diese Nacht. Sunny weinte nicht mehr. Meine erste instinktive Reaktion war Angst. Ist sie ohnmächtig geworden?

Ich rannte zurück ins Wohnzimmer, aber bevor ich etwas sagen konnte, legte Deacon den Zeigefinger an den Mund.

»Sie ist gerade eingeschlafen«, flüsterte er.

Irgendwie war ich trotzdem noch nicht beruhigt. »Bist du sicher, dass sie atmet?«

»Ganz sicher. Ich spüre es, und ich höre es.« Er schaukelte sie sanft von einer Seite zur anderen. »Ich habe Angst, mit der Bewegung aufzuhören, weil ich sie damit zum Einschlafen gebracht habe.«

Während ich zusah, wie er sie hin und her wiegte, fühlten sich meine Eierstöcke an, als würden sie gleich explodieren. Dieser Mann war schon sexy, wenn er kein Baby auf dem Arm hielt. Aber jetzt? Ich war völlig hin und weg.

»Ich verstehe nicht, wieso ich sie nicht beruhigen konnte, und dann hältst du sie gerade mal fünf Minuten …«

»Ich könnte auch nicht behaupten, dass ich es verstehe.« Er schaute auf sie hinunter. »Ich muss gestehen, dass ich am liebsten die Flucht ergriffen hätte, als du mich gebeten hast, sie zu nehmen. Aber sie hat es mir leicht gemacht.« Deacon zuckte mit den Schultern. »Nicht schlecht dafür, dass ich zum ersten Mal ein Baby auf dem Arm halte, oder?«

Mir fiel die Kinnlade hinunter. »Zum ersten Mal? Du machst Witze.«

»Nein.« Er lachte.

»Das dachte ich mir.«

Es sah so gemütlich aus, wie sie da in seinen starken Armen lag. Kein Wunder, dass sie eingeschlafen war. Es musste sich anfühlen, als läge sie in einem warmen Doppelbett, verglichen mit der üblichen Klappliege mit herausstehenden Federn.

»Ich glaube, du kannst aufhören, sie zu schaukeln. Normalerweise wacht sie nicht so leicht auf, wenn sie einmal schläft.«

»Soll ich sie hinlegen?«, fragte er leise.

Ich hatte es zu sehr genossen, sie in seinen Armen zu sehen, um das selbst vorzuschlagen.

»Ja. Versuchen wir, sie in die Wiege zu legen.«

Deacon folgte mir in Sunnys Zimmer. Behutsam legte er sie auf die Matratze, und zunächst schien es, als wäre er erfolgreich gewesen.

Wir schlichen uns auf Zehenspitzen aus dem Zimmer, offenbar erlöst, doch dann hörten wir es rascheln.

Mist! Und schon fing sie wieder an zu weinen. »Verdammt«, stöhnte er. »Ich dachte, ich wäre vorsichtig gewesen.«

»Warst du auch. Es ist nicht deine Schuld. Irgendwie hat sie es gespürt. Das ist mir auch schon passiert. Sie ist heute wahrscheinlich besonders empfindlich, weil sie krank ist.«

Ich holte sie aus dem Bett, und wieder wollte sie nicht aufhören zu weinen. Es war genau wie vorher.

»Soll ich noch mal versuchen, sie zu schaukeln?«, fragte er.

»Das kann ich nicht von dir verlangen. Das ist doch nicht dein …«

»Kein Problem, Carys. Ehrlich.«

Deacon streckte mir die Arme entgegen, und ich legte Sunny behutsam hinein. Er ging zurück ins Wohnzimmer, setzte sich mit ihr auf die Kante der Couch und wiegte sie.

Langsam, aber sicher ebbte ihr Weinen ab, bis nichts mehr zu hören war. Sunny war erneut in ihrem Doppelbett eingeschlafen.

Ich schüttelte erstaunt den Kopf. »Es gefällt ihr eindeutig, in deinen Armen zu liegen.«

Er lächelte auf sie hinunter. »Falls du irgendetwas erledigen willst, tu es jetzt. Ich glaube nämlich nicht, dass ich so bald aufstehen werde.«

»Du kannst doch nicht die ganze Zeit mit ihr dort sitzen bleiben.«

»Wieso nicht?«

»Weil es schon spät ist. Willst du denn nicht langsam schlafen gehen?«

»Schlaf wird überbewertet. Außerdem darfst du nicht vergessen, dass ich von zu Hause aus arbeite, also kann ich morgen länger schlafen, falls mir danach ist, und später mit der Arbeit anfangen.«

Nachdem ich die halbe Nacht vor Sorge geschwitzt hatte, brauchte ich dringend eine Dusche. Normalerweise duschte ich immer, bevor ich ins Bett ging, aber da Sunny so unruhig gewesen war, war ich nicht dazu gekommen. Wäre es unverschämt, sein Angebot anzunehmen? Ich wollte mich nicht hilfsbedürftig oder unfähig fühlen, aber wenn er sowieso noch eine Weile blieb, wieso sollte ich die Zeit dann nicht nutzen?

»Ich dusche nur schnell, ist das okay?«

»Lass dir Zeit. Keine Hektik. Ich bin hier.«