Moody - Penelope Ward - E-Book

Moody E-Book

Penelope Ward

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Beschreibung

Es darf nicht sein - egal, wie sehr mein Herz es will ...

Masseurin Wren McCallister ist sich sicher: Dax Moody - Spitzname: Moody - wird sie nicht noch einmal buchen, so katastrophal verlief ihr erstes Kennenlernen. Es wird ihr schwerfallen, den nachdenklichen und unfassbar attraktiven Geschäftsmann zu vergessen, doch ihr bleibt kaum eine andere Wahl - bis Moody sie plötzlich entgegen aller Erwartungen immer und immer wieder in sein gigantisches Haus einlädt. Die Anziehungskraft zwischen ihnen lässt sich kaum noch leugnen, doch als Wren erfährt, wieso Moody so plötzlich in ihr Leben trat, ändert sich alles - denn ihre Liebe darf niemals sein ...

"Moody gelingt die perfekte Balance zwischen heißer Romance und herzzerreißender Liebesgeschichte." KCRACKBOOKREVIEWS

Der neue Roman von Bestseller-Autorin Penelope Ward

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Seitenzahl: 460

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Teil eins

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

Teil zwei

17

18

19

20

21

22

23

24

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Penelope Ward bei LYX

Leseprobe

Impressum

PENELOPE WARD

Moody

NUR DU SIEHST MICH

Roman

Ins Deutsche übertragen von Katrin Mrugalla

Zu diesem Buch

Masseurin Wren McCallister ist sich sicher: Dax Moody – Spitzname: Moody – wird sie nicht noch einmal buchen, so katastrophal verlief ihr erstes Kennenlernen. Es wird ihr schwerfallen, den nachdenklichen und unfassbar attraktiven Geschäftsmann zu vergessen, doch ihr bleibt kaum eine andere Wahl – bis Moody sie plötzlich entgegen aller Erwartungen immer und immer wieder in sein gigantisches Haus einlädt. Die Anziehungskraft zwischen ihnen lässt sich kaum noch leugnen, doch als Wren erfährt, wieso Moody so plötzlich in ihr Leben trat, ändert sich alles – denn ihre Liebe darf niemals sein …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine

Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für Shannon

Teil eins

1

Wren

Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt, indem ich dafür sorge, dass es Menschen besser geht – ohne sie dafür aufschneiden oder ihnen Medikamente verschreiben zu müssen. Ich finde das ziemlich cool, wenn ihr mich fragt. Als mobile Masseurin mache ich Hausbesuche. Das ist noch so etwas, was ich an meinem Job mag: Ich muss ihn nicht immer in denselben vier Wänden machen. Die Agentur, für die ich arbeite, Elite Massage, hat ein Büro in der Innenstadt. Dorthin gehe ich einmal im Monat, um mich mit allem einzudecken, was ich brauche, und um auf dem Laufenden zu bleiben. Als ich an jenem Nachmittag vorbeikam, hatte meine Chefin, Trina, Neuigkeiten für mich.

»So, ich habe noch einen neuen Termin für dich, falls du es morgen noch reinquetschen kannst«, sagte sie.

»Wo ist es?«, fragte ich und stopfte diverse Öle in meinen Rucksack.

»Brookline. Es wurde übrigens ausdrücklich nach dir gefragt.«

Ich hielt einen Moment inne. »Von wem?«

»Sein Name ist Dax Moody. Schon mal von ihm gehört?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ist mir völlig unbekannt.«

»Nun, er ist jedenfalls in Ordnung.«

Trina überprüfte neue Klienten immer auf Vorstrafen, was ich sehr zu schätzen wusste, schließlich ging ich zu ihnen ins Haus und war oft allein mit diesen Fremden.

»Außerdem habe ich ihn gegoogelt und bin auf der Webseite seiner Firma gelandet«, fuhr sie fort. »Er ist Besitzer einer Kapitalanlagegesellschaft.«

Dax Moody. Hmm … nichts. »Vermutlich bin ich ihm von jemandem empfohlen worden.«

Trina deutete auf ihren Computer. »Schau dir mal dieses Grundstück an. Dort lebt er.« Sie hatte Google Earth aufgerufen und zoomte das Haus heran. Es war ein großes Ziegelgebäude mit einem schwarzen schmiedeeisernen Zaun drum herum.

»Wow«, sagte ich.

»Ja. Vielleicht solltest du dir mal was Hübscheres als das übliche T-Shirt und die zerrissene Jeans anziehen.« Sie zwinkerte mir zu. »Du weißt schon, falls er Single ist.«

»Wenn er in Brookline in einem Haus wie diesem lebt, ist er das garantiert nicht. Aber das ist sowieso egal. Gibt es da nicht die Regel, dass man Arbeit und Vergnügen nicht vermischen soll?«

Sie zuckte mit den Schultern und zoomte das Haus noch näher heran. »Du weißt doch, was man über Regeln sagt.«

Am nächsten Tag parkte ich vor dem weitläufigen Grundstück und fragte mich, woher die Schmetterlinge in meinem Bauch kamen. Ich hatte schon vorher wohlhabende Klienten gehabt. Aber irgendetwas an diesem Auftrag fühlte sich anders an, auch wenn ich nicht hätte sagen können, was es war.

Brookline grenzte direkt an die Stadt an, und mitten durch den Ort fuhr eine Straßenbahn. Durch die Nähe zu den Bostoner Hochschulen wohnte hier eine Mischung aus Studenten und wohlhabenden Professoren, je nach Viertel. Diese spezielle Straße war eine der ruhigeren, gesäumt von großen, wunderschönen Häusern und nicht weit entfernt von dort, wo zwei der New England NFL-Spieler wohnten, wie ich zufällig wusste.

Die Blätter der Bäume, die das Grundstück umstanden, leuchteten in allen Farben. Der Herbst war eindeutig auf seinem Höhepunkt. Beim Blick auf das zweistöckige Ziegelgebäude bemerkte ich in der Auffahrt einen schon älter wirkender Camry, der nicht hierher zu gehören schien.

Mit meiner Arbeitstasche über der Schulter ging ich, die tragbare Massageliege in der Hand, auf die massive schwarze Haustür zu, an der ein farbenprächtiger Kranz aus Herbstblättern hing. Ich klingelte und wartete gespannt.

Eine Frau etwa Mitte vierzig in Stoffhose und einem hübschen Pullover mit Wasserfallausschnitt öffnete die Tür. Das muss Mrs Moody sein.

Sie sah auf die Liege in meiner Hand hinunter und richtete den Blick dann auf mich. »Was kann ich für Sie tun?«

Ich räusperte mich. »Ja, also. Ich möchte zu Dax Moody. Er hat für zwölf Uhr einen Massagetermin mit mir vereinbart.«

Sie kniff die Augen zusammen und lachte kurz auf.

Was ist daran lustig?

»Nun … okay.« Sie winkte mich herein. »Warten Sie bitte hier im Foyer.«

»Danke.«

Ich stellte die schwere Liege ab und ging zu einem großen gerahmten Foto, das an der Wand hing und eine Frau im Hochzeitskleid zeigte. Offenbar war es in Vegas gemacht worden. Mir wurde klar, dass die Frau, die mir die Tür geöffnet hatte, nicht seine Frau war, sie musste wohl hier arbeiten. Die Frau auf dem Foto schaute über die Schulter, ihr langes blondes Haar ergoss sich über ihren Rücken. In der Hand hielt sie einen kleinen Strauß lavendelfarbener Rosen. Sie war wunderschön.

Die Dame kehrte zurück und riss mich aus meinen Gedanken. »Offenbar haben Sie da etwas verwechselt. Mr Moody meint, der Termin sei erst um eins?«

Mir rutschte das Herz in die Hose. »Ach herrje. Lassen Sie mich nachschauen.« Ich sah im Terminkalender meines Handys nach. Sie hatte recht. Wie hatte mir das passieren können? Ich steckte das Handy wieder in die Tasche. »Offenbar habe ich da tatsächlich etwas durcheinandergebracht. Tut mir wirklich leid. Ich komme nachher noch mal wieder.«

Gerade als ich mich umdrehte und die Liege am Griff packte, ertönte hinter mir eine tiefe Stimme. »Warten Sie.«

Ich drehte mich um. Vor mir stand ein großer, umwerfend aussehender Mann mit nacktem Oberkörper, der sich mit einem kleinen weißen Handtuch den Schweiß von der Stirn wischte. Er hatte ein Sixpack, und sein Körper war unglaublich.

Das ist Dax? Ich hatte jemand Älteren erwartet. Dieser Mann sah aus, als wäre er dem Cover von GQ entstiegen. Höchstens Anfang dreißig, sehr muskulös, hellbraunes Haar. Er trug eine schwarze Stoffhose, was für ein Workout eine seltsame Wahl war. Seine gebräunte Haut glänzte vor Schweiß.

»Wir können es auch gleich machen«, sagte er.

Ich schluckte. Der Gedanke, diesen Mann anzufassen, machte mich plötzlich sehr nervös. Da ich mir meinen Lebensunterhalt damit verdiente, Menschen zu berühren, versuchte ich, Beruf und Privates strikt zu trennen. Aber Himmel. Er war unglaublich heiß. Es wäre nett gewesen, wenn man mich vorgewarnt hätte, wie gut er aussah.

»Sind Sie sicher? Es macht mir nichts aus, später noch mal wiederzukommen. Der Fehler lag bei mir.«

»Ja, ich weiß. Aber Sie sind hier, also können wir es auch gleich hinter uns bringen.«

Es hinter uns bringen? Eine Massage sollte etwas Angenehmes und Entspannendes sein. »Schon gut. Sagen Sie mir einfach, wo ich Sie massieren soll.«

Dax starrte mich ein paar Sekunden lang an, bevor er antwortete: »In meinem Büro.«

Ich schluckte und nickte. »Gut, prima.«

»Geben Sie mir das.« Er nahm meine Liege und ging den Flur entlang.

Seine Haushälterin sah mich amüsiert an. Mir war noch immer nicht klar, was sie an all dem so lustig fand.

Während ich ihm folgte, stieg mir der Geruch seines Aftershaves in die Nase, und ich konnte es mir nicht verkneifen, seine Rückenmuskulatur zu bewundern. Dieser Mann trainierte eindeutig sehr viel. Weshalb sich mir die Frage stellte: Erwartete er, dass ich ihn in derart verschwitztem Zustand massierte?

Als wir in sein Büro traten, sagte er: »Hier können Sie aufbauen.«

»Ihre Haushälterin scheint meine Anwesenheit hier ziemlich zu amüsieren.«

»Ja, nun, es sieht mir nicht ähnlich, eine Masseurin ins Haus kommen zu lassen. Und ich hatte ihr nichts davon gesagt, dass Sie kommen. Sie erzählt mir dauernd, ich müsse mich entspannen. Also glaubt sie vermutlich, dies wäre ihrem Einfluss zu verdanken.«

»Verstehe.« Ich schwieg einen Moment. »Ich bin übrigens Wren McCallister. Aber vermutlich wissen Sie das bereits, schließlich haben Sie ausdrücklich um einen Termin bei mir gebeten?«

Er ignorierte meine Frage und sagte stattdessen: »Ich springe rasch unter die Dusche, während Sie aufbauen.«

»Okay.« Ich lächelte.

Ich war dankbar, dass ich einen Moment für mich hatte und dass ich keinen verschwitzten Menschen massieren musste. Also atmete ich tief durch und sah mich um. Auf der einen Seite des Raums waren fast in die gesamte Wand Bücherregale eingebaut. Sein hölzerner Schreibtisch war übersät mit Papierstapeln. Die großen Fenster ließen viel Sonne herein und gewährten einen schönen Blick auf die bunten Blätter draußen. Der Boden war zu weiten Teilen mit einem farbenfrohen persisch aussehenden Teppich bedeckt. Dieses Büro war fast so groß wie die Hälfte meines Hauses.

Nachdem ich meine Liege auseinandergeklappt und in der Ecke aufgebaut hatte, sah ich meine Ölesammlung durch und überlegte, welches am besten für ihn geeignet war. Welcher Geruch stand für finster und Furcht einflößend? Ich entschied mich für Vanille – rauchig und mysteriös.

Etwa zehn Minuten später kehrte Dax zurück. Er sagte nichts, sah mich nur an. Sein Haar war feucht, und er hatte ein weißes T-Shirt angezogen, das sich eng an seine muskulöse Brust schmiegte. Er trug dieselbe schwarze Hose wie vorher, oder vielleicht war es auch eine andere, die nur ähnlich aussah.

Draußen wurde ein Wagen angelassen, was meinen Blick zum Fenster lenkte. Der Wagen, der in der Einfahrt gestanden hatte, fuhr rückwärts davon. War das die Haushälterin? Wenn sie nicht mehr da war, waren Dax und ich vermutlich allein. Ich hatte niemanden sonst im Haus gehört. Seine Frau war vielleicht bei der Arbeit oder einkaufen. Hatten sie Kinder? Allmählich fragte ich mich, ob ich mir Sorgen machen musste, so seltsam, wie er sich benahm. Er schien nicht gerade glücklich, dass ich hier war.

»Sollen wir anfangen?«, zwang ich mich zu fragen.

Er kam ein paar Schritte auf mich zu und verschränkte die beeindruckenden Arme vor der Brust. »Ich weiß nicht.«

»Sie wissen nicht?«

»Ich weiß nicht, ob das so gut ist«, erwiderte er.

Verblüfft sah ich ihn an. »Dass ich hier bin?«

»Ja, diese Massage. Ich glaube, das war vielleicht ein Fehler.«

Mein ungutes Gefühl, mit ihm allein zu sein, löste sich in Nichts auf, als mir klar wurde, dass er der Zögerliche war.

Ich bin total verwirrt. »Hatten Sie schon mal eine?«

»Nein.« Er schaute aus dem Fenster und richtete den Blick dann wieder auf mich. »Noch nie.«

Ich schluckte. »Nun, es ist ziemlich einfach. Sie legen sich auf den Bauch, und dann übernehme ich. Sie brauchen nichts zu tun.«

»Na ja, ich muss mich in Ihre Hände begeben.«

»Ja, das ist tatsächlich der Sinn der Sache.«

»Nun, das ist normalerweise nicht so mein Ding.« Er legte den Kopf schief. »Was genau machen Sie?«

»Ich … stehe neben Ihnen, fahre mit den Händen über Ihre Haut und versuche, einige der Knoten aus Ihrer Muskulatur herauszukneten.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich meine, was tun Sie? Ist dies Ihr Vollzeitjob?«

Ist das eine Beleidigung? »Ja. Nach dem College habe ich eine Ausbildung zur Masseurin gemacht, und ich kann gut davon leben. Massieren ist nichts, was man nebenbei macht. Es ist ein rundum großartiger und erfüllender Beruf«, verteidigte ich mich.

»Ich hatte damit nicht andeuten wollen, dass es anders wäre.« Er fummelte an seiner Uhr herum, die aussah, als wäre sie teurer als mein Auto.

Ich seufzte. »Ich habe auch noch andere Ziele, aber der Verdienst reicht zum Leben, und ich kann auch ein wenig zur Seite legen. Im Moment spare ich auf eine Europareise.«

»Verstehe.« Er starrte aus dem Fenster und wirkte fast, als wollte er die Flucht ergreifen.

Was ist bloß mit diesem Typen los? »Schauen Sie … ich kann wieder gehen, wenn Sie sich nicht wohl damit fühlen.«

»Nein.« Er ging zu einem Schrank und holte eine Flasche mit irgendetwas Alkoholischem heraus. »Ich brauche einfach etwas, um mich zu entspannen.« Er goss sich ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit voll.

Ich starrte seine großen männlichen Hände an. »Also dies ist eine Premiere.«

»Was für eine Premiere?«, fragte er.

»Eine Premiere, dass sich ein Klient vor der entspannenden Massage entspannen muss.« Als ich lachte, gab ich unwillkürlich auch ein Schnauben von mir.

Er kniff die Augen zusammen. »Was zum Teufel sollte das?«

»Tut mir leid, es war nicht meine Absicht zu schnauben. Das passiert manchmal, wenn ich nervös bin. Es kommt einfach raus.«

»Wieso sind Sie nervös?«

»Vielleicht stecken Sie mich an mit Ihrer Nervosität.«

Er kippte den Alkohol hinunter und setzte das Glas mit einem lauten Knall ab. »Tut mir leid. Ich weiß nicht, wie man sich entspannt. Das ist mein Wesen. Selbst wenn ich mich entspannen sollte, verdammt … Allein der Gedanken an Entspannung stresst mich.«

Ich nickte. »Das gibt es tatsächlich. Es nennt sich entspannungsinduzierte Angst.«

Er lächelte. »Danke für die Diagnose.«

»Ich war früher wie Sie. Wenn ich versucht habe zu meditieren, hat die Stille bei mir Panikattacken ausgelöst.«

Er fuhr sich mit der Zunge über den Mundwinkel. »Was vermutlich nicht der Sinn der Sache ist.«

»Genau. Und als ich jünger war, wurde ich schon panisch, wenn ich beim Friseur oder beim Zahnarzt still sitzen musste.«

»Jünger? Sie sind doch ziemlich jung. Wie lange machen Sie das mit der Massage denn schon?«

»Zwei Jahre.«

»Wie sind Sie dazu gekommen?«

»Ich wollte Menschen etwas Gutes tun, und es langweilt mich nicht. Ich muss nicht immer am selben Ort sein.«

»Ist die Bezahlung gut? Wie viel von dem Geld, das ich zahle, dürfen Sie behalten?«

Ich kniff die Augen zusammen. »Sie stellen viele Fragen.«

»Na ja, vielleicht muss ich mich erst mit Ihnen vertraut machen, bevor ich zulasse, dass Sie mich überall anfassen.«

Aus irgendeinem Grund ging mir dieser Kommentar völlig gegen den Strich. Zulassen, dass ich ihn überall anfasste? Als wäre das ein Privileg? (Als könnte er meine Gedanken lesen und spüren, dass ich ihn attraktiv fand? Igitt.)

Etwas lauter erwiderte ich: »Ich dachte, Sie hätten der Agentur erzählt, jemand hätte mich empfohlen. Wieso haben Sie so viele Bedenken?«

»Okay.« Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Bringen wir es hinter uns. Was muss ich tun?«

Oh Mann! Er steht wirklich unter Druck. »Ziehen Sie Ihr T-Shirt aus und legen Sie sich auf die Liege. Die Hose können Sie ausziehen oder anbehalten.«

Er gab einen kehligen Laut von sich. »Meine Hose ausziehen?«

»Ja. Das ist völlig normal. Aber das entscheidet immer der Klient. Wenn Sie möchten, verlasse ich den Raum, während Sie sich ausziehen. Dort liegt ein Handtuch, mit dem Sie sich zudecken können. Aber Ihre Hose können Sie selbstverständlich auch anlassen.«

»Ich werde meine Hose anlassen, besten Dank auch.«

»Okay. Hauptsache, Sie bekommen irgendwie den Stock aus Ihrem Hintern.«

Er starrte mich böse an, rang sich dann aber doch ein Lächeln ab. Das musste mir genügen.

Ich lachte. »Jetzt mal im Ernst: Atmen Sie einfach. Um mehr brauchen Sie sich nicht zu kümmern.« Ich holte tief Luft, denn ich wollte mich auch selbst an meinen Rat halten.

Dax zog sich langsam das T-Shirt über den Kopf und gönnte mir erneut einen Blick auf seine durchtrainierten Muskeln. An seinem Körper war absolut nichts Weiches. Rasch wandte ich mich ab, als ich merkte, dass mein Blick ein bisschen zu lange auf ihm ruhte.

Schließlich setzte er sich auf die Liege und legte sich auf den Bauch. Kurz darauf hörte ich im Flur das Getrappel von Pfoten und das Scheppern eines Metallhalsbands.

Ein riesiger Bobtail schob die Tür auf, kam in den Raum und fing bei meinem Anblick laut an zu bellen. Dann sprang er auf die Liege und landete auf Dax’ Rücken.

»Verdammt, Winston«, brüllte Dax.

Ich hätte nie gedacht, dass solch ein großer Hund so hoch springen konnte. Der Hund sah mich angriffslustig an. Wie willkommen man in diesem Haus doch ist.

»Hallo«, sagte ich leicht verunsichert.

Er knurrte. Offenbar war Hündchen genauso speziell wie sein Herrchen.

»Runter von mir, du Spinner.« Dax stöhnte.

Der Hund knurrte mich weiter an, und ich legte die Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen. »Wieso ist er so wütend?«, fragte ich und versuchte, mir meine Belustigung nicht anmerken zu lassen.

»Stark ausgeprägter Beschützerinstinkt. Als Sie kamen, hat er oben geschlafen. Ich hatte gehofft, er würde weiterschlafen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er runterkommt, aber das war wohl ein Fehler.«

Dax setzte sich auf, schaffte sich das Untier irgendwie vom Leib und sprang von der Liege. »Bin gleich wieder da.« Er ging mit Winston aus dem Raum und den Flur entlang, bis das Geräusch des Halsbands in der Ferne verklang.

Ich nutzte diesen Moment für mich allein, um tief durchzuatmen, und ging zu einem Regal, auf dem unterschiedliche Dinge lagen, darunter eine große weiße Muschel, die in diesem Raum mit seiner ansonsten männlichen Note völlig fehl am Platz schien. Sie war wunderschön. Ich erinnerte mich an etwas, was mir meine Mutter erzählt hatte, als ich klein war, daher hob ich die Muschel ans Ohr, um »dem Ozean« zu lauschen. Als ich das Rauschen im Inneren hörte, schloss ich die Augen und lächelte.

»Fassen Sie das bitte nicht an«, hörte ich Dax hinter mir mit lauter Stimme sagen.

Sein barscher Ton ließ mich zusammenfahren, und die Muschel glitt mir aus der Hand und fiel zu Boden.

Er gab einen durchdringen Schrei von sich.

Meine Hände zitterten. »Es tut mir so leid, ich …« Ich ging in die Knie, um die einzelnen Teile aufzusammeln, aber er schoss auf mich zu und hinderte mich daran.

»Fassen Sie das nicht an!« Seine Stimme war schneidend.

»Wieso nicht? Es war doch meine Schuld«, widersprach ich.

»Stehen Sie bitte einfach auf«, sagte er in noch strengerem Befehlston.

Es war mir derart peinlich, dass mir fast schon übel war. Während ich auf die Bescherung hinunterstarrte, die ich angerichtet hatte, fiel mir auf, dass etwas aus der Muschel herausgefallen war. Es war eine Plastiktüte, gefüllt mit … Asche.

Langsam erhob ich mich und deutete auf den Boden. »Was ist das?«

Er richtete den Blick auf mich, und nach mehreren Sekunden antwortete er schließlich.

»Meine Frau.«

2

Wren

Trina schüttelte unaufhörlich den Kopf. »Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Da gibt es nichts zu sagen. Dafür gibt es keine Worte. Es ist jetzt eine Woche her, und ich habe noch immer keine Ahnung, wie ich beschreiben soll, was passiert ist.«

Ich hatte meiner Chefin gerade von meiner seltsamen Begegnung mit Dax Moody erzählt. Angefangen bei seinem Widerwillen, mich überhaupt in seine Nähe zu lassen, bis zu dem absolut entsetzlichen Moment, als ich die Muschel mit der Asche seiner Frau hatte fallen lassen. Und obwohl die Muschel zerbrach, blieb die Asche in dem versiegelten Beutel zum Glück unversehrt – im Gegensatz zu mir. Ich hatte das Gefühl gehabt, innerlich in tausend Teile zu zerspringen. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt hätte, wenn die Asche nicht geschützt gewesen wäre, sondern sich über den ganzen Boden zerstreut hätte. Dann müsste ich jetzt wahrscheinlich zur Therapie.

»Und wie seid ihr verblieben, bevor du dich dann verabschiedet hast?«, fragte Trina.

»Nachdem er die Scherben aufgesammelt hatte – denn ich durfte nichts berühren –, sagte er, seine Frau sei vor eineinhalb Jahren verstorben, ohne näher darauf einzugehen. Wir waren uns einig, dass es am besten wäre, wenn ich ginge, was ich dann auch tat, kurz nachdem ich noch schnell auf der Toilette war, weil ich mich fast vollgepinkelt hätte.«

Trina runzelte die Stirn. »Du meine Güte, das ist ja echt traurig.«

»Was? Dass ich mich beinahe vollgepinkelt hätte?«

»Ja, das auch. Aber eigentlich meinte ich den Tod seiner Frau. Das erklärt auch das Revierverhalten des Hunds.«

»Klar. Winston dachte vermutlich: Wer ist denn die Schlampe da bei dem Mann meines Frauchens?« Ich schüttelte den Kopf. »Anfangs hielt ich Dax einfach für ein verklemmtes Arschloch. Aber bis ich mich dann verabschiedete, konnte ich verstehen, warum er so verschlossen war. Ich meine, wenn man so jung seine Frau verliert …«

Die Geschichte mit Dax ging mir immer noch nach. Seit diesem Tag letzte Woche konnte ich kaum an etwas anderes denken. So viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf, auf deren Beantwortung ich noch nicht einmal ein Recht hatte. Woran ist sie gestorben? Fühlt er sich einsam? Ich wünschte, er hätte mich ihn massieren lassen, dann wäre er eine Weile der Realität entkommen. Andererseits war ich erleichtert, dass ich keine Gelegenheit bekommen hatte, das auch noch zu vermasseln.

An dem Abend saßen Dad und ich zusammen in der Küche. Wenn er keine Spätschicht in der Fabrik hatte, schauten wir oft nach dem Essen noch Jeopardy! im Fernsehen und knackten dabei Pistazien.

Ich schämte mich nicht, dass ich mit vierundzwanzig immer noch mit meinem Dad zu Hause wohnte. Hier gab es massenhaft Platz, und wir kamen gut miteinander aus. Da war es unsinnig, mein Gehalt für Miete auszugeben. Dad war nicht gern allein, und ich half ihm beim Kochen und Putzen und kaufte Lebensmittel ein. So hatten wir beide etwas davon. Ich verdiente zwar genug, um mir eine eigene Wohnung leisten zu können, aber auf die Art konnte ich auf meine geplante Reise nach Übersee sparen. Ich würde mich mit ziemlicher Sicherheit für Europa entscheiden. Endgültig festgelegt hatte ich mich noch nicht, aber ich wollte vor meinem dreißigsten Geburtstag unbedingt andere Länder sehen. Aber bis dahin war ja noch ein wenig Zeit.

»Das könnte dich interessieren.« Dad hielt mir einen Prospekt hin. »Das kam heute mit der Post.«

Es war von meiner Alma Mater, dem Boston College of Music. Sie warben für ein Programm, das es ehemaligen Studenten ermöglichte, in Frankreich Musik zu unterrichten. Vorne drauf war das Foto einer Frau mit Posaune, umzingelt von Kindern irgendwo auf dem Land. So sah es wenigstens aus. Dazu bot der Prospekt Informationen, wie man sich online bewerben konnte.

»Hmm …« Ich bekam große Augen. »Das sehe ich mir näher an.«

»Habe ich mir schon gedacht.« Er lächelte. »Ich muss dann nur zusehen, dass ich mir nicht allzu viele Sorgen mache, wenn du so weit weg bist.«

»An deiner Stelle wäre ich nicht so zuversichtlich.«

Er brach eine Pistazie auf. »Positiv denken!«

Mein Handy meldete eine Nachricht der Terminplan-App von Elite Massage. Als ich mir das Update ansah, blieb mir fast das Herz stehen.

»Was ist los?«, fragte Dad.

Eine Hitzewelle raste durch meinen Körper. »Ich habe gerade … von der Arbeit einen neuen Termin für morgen Abend bekommen.«

»Ist alles in Ordnung?«

Ich erzählte meinem Dad fast alles, aber die Geschichte hatte ich für mich behalten, und jetzt war mir nicht danach, sie wieder aufzuwärmen.

Natürlich war es nicht der Termin an sich, der mich erschütterte. Es war die Person, die ihn gebucht hatte.

Dax Moody.

Es wurde schon dunkel, als ich Mittwochabend vor Dax Haus hielt. Noch bevor sich die Haustür öffnete, hörte ich Winston bellen. Zu meiner Überraschung begrüßte mich Dax persönlich, nicht die Haushälterin wie letztes Mal.

Dax nickte. »Hallo, Wren.« Er trat zur Seite. »Hereinspaziert, es ist kalt.«

»Wo ist Winston?«, fragte ich. Ich rechnete damit, dass er jeden Moment auf mich zuschoss.

»Ich habe ihn in ein anderes Zimmer verfrachtet, um einen weiteren Überfall zu vermeiden.«

»Ist schon gut. Ich komme mit seinem Verhalten klar.«

Er griff nach der Liege. »Ich nehme das.«

Ich ging ein paar Schritte weiter ins Haus hinein. »Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass Sie mich noch mal hierher bestellen würden.«

Einen Moment musterte er mich schweigend. »Ich glaube, über das Sie sind wir hinaus, oder?«

Ich war überrascht, lächelte jedoch. »Das denke ich auch.«

Dax’ Lippen zuckten, als er nickte. »Ich hatte das Gefühl, mich bei dir entschuldigen zu müssen.«

»Wieso solltest du dich entschuldigen? Mein Verhalten war unverzeihlich.«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast es ja nicht gewusst. Und es war ein Unfall. Aber ich habe gespürt, wie aufgewühlt du warst, als du gegangen bist. Deshalb wollte ich mich für meine barsche Reaktion entschuldigen.«

Ich schaute mich um. »Und weshalb hast du einen neuen Termin ausgemacht? Du hättest mir doch über die Firma eine Nachricht schicken können, um dich bei mir zu entschuldigen.«

»Na ja, ich brauche doch immer noch eine Massage. Da habe ich mir gedacht, ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe.« Er hielt kurz inne. »Aber leider kann ich mich heute doch nicht, wie ursprünglich geplant, massieren lassen. Mir ist in letzter Minute etwas dazwischengekommen, und ich konnte nicht mehr rechtzeitig absagen.«

»Was ist denn passiert?«

»Shannon, meine Haushälterin musste früher weg, und Rafe fühlt sich nicht wohl.«

»Rafe?« Ich legte den Kopf schief, als wüsste ich nicht, wer das war. Seit meinem letzten Besuch hier hatte ich den Nachruf auf seine Frau gelesen und wusste, dass sie einen Sohn hinterlassen hat.

Bevor Dax antworten konnte, kam ein Junge die Treppe herunter. Unten blieb er stehen und musterte mich. Er musste zwölf oder dreizehn sein.

Ich winkte ihm zu. »Hallo.«

»Rafe, das ist Wren«, stellte Dax mich vor.

Ohne mich zurückzugrüßen marschierte der Junge durch das Foyer an uns vorbei.

Dax räusperte sich. »Er ist … schüchtern.«

»Ich wusste nicht, dass du einen Sohn hast«, log ich.

Er senkte die Stimme. »Rein formal ist er nicht mein Sohn.«

Damit hatte er mich kalt erwischt – und gleichzeitig meine Neugier geweckt.

Dax blickte in die Richtung, in die Rafe verschwunden war. »Meine verstorbene Frau hat ihn adoptiert, als er acht Jahre alt war – noch bevor wir zusammenkamen. Als Maren starb, kam er plötzlich in meine Obhut. Tag für Tag versuche ich herauszufinden, wie ich für ihn ein richtiger Erziehungsberechtigter sein kann. Diese Situation haben wir uns beide nicht ausgesucht. Ich wüsste nicht, was ich ohne Shannons Hilfe täte.«

»Ist Shannon die Frau, die ich letztes Mal kennengelernt habe?«

»Ja. Sie arbeitet hier wochentags immer bis acht Uhr abends. Im Grunde genommen führt sie das Haus, während ich arbeite. Ihre beiden Söhne sind schon erwachsen, deshalb ist sie zeitlich sehr flexibel.« Er seufzte. »Aber heute ging es ihr nicht so gut, deshalb ist sie vor zehn Minuten nach Hause gegangen. Und wie gesagt, konnte ich den Termin nicht mehr rechtzeitig absagen. Normalerweise braucht Rafe keinen Babysitter, aber heute ist auch er nicht ganz fit – sein Ohr tut ihm weh. Deshalb geht das heute mit der Massage nicht. Tut mir leid.« Er schaute mich von oben bis unten an. »Aber da du nun schon mal den ganzen Weg gefahren sind, möchtest du vielleicht eine Tasse Tee oder so?«

Während ich mir das Angebot noch durch den Kopf gehen ließ, kam Rafe zurück und rauschte an uns vorbei die Treppe wieder hoch. Ich schaute ihm nach, bis er verschwunden war. Meinen Blick immer noch starr auf die Treppe gerichtet, sagte ich: »Ich möchte mich nicht aufdrängen.«

Wegen der späten Absage des Termins war alles bereits bezahlt, und die Agentur würde ihm den Betrag auch nicht erstatten. Obwohl meine neugierige Hälfte gern geblieben wäre, erschien es dem Rest von mir nicht richtig, hier so einzudringen, während Dax gebraucht wurde.

»Ich mache mir ohnehin Tee«, sagte er. »Du drängst dich also nicht auf. Im Gegenteil, ich bestehe sogar darauf.«

»In Ordnung.« Ich nickte. »Dann trinke ich gern einen mit.«

Als ich ihm in die Küche folgte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Sie war der Traum eines jeden Kochs – mit einer riesigen rustikalen Kücheninsel samt Arbeitsplatte aus Ahornholz, auf der eine Schüssel mit Papayas stand. Hinter dem allermodernsten Viking-Herd war eine offene Ziegelwand zu sehen. Seitlich daneben befand sich ein gemauerter Ofen. Ich stellte mir vor, wie Dax in glücklicheren Tagen mit seiner Frau hier zu einem Glas Wein Pizza backte. Mir zog sich das Herz zusammen.

Ich setzte mich an den Tisch und beobachtete Dax, der den Schrank öffnete, darin herumwühlte und schließlich zwei Tassen zum Vorschein brachte.

»Ich habe schwarzen Tee, grünen Tee …« Er hob eine Blechdose hoch und kniff die Augen zusammen, um die Aufschrift lesen zu können. »Und das ist Zimttee mit Orangenschalen. Ich glaube, der gehört Shannon.«

»Zimt klingt hervorragend. Danke.«

»Nimmst du Milch dazu?«

»Nur einen Spritzer.«

Wir schwiegen, bis der Teekessel pfiff. Dax goss zwei Tassen ein, trug sie herüber und stellte eine vor mich auf den Tisch.

»Danke.« Ich nippte zu schnell daran und verbrannte mir die Zunge. Ich zuckte zusammen. Der Zimtgeschmack war süßer, als ich es mir vorgestellt hatte.

»Zu heiß?«, fragte er.

Ich pustete auf die Tasse. »In einer Minute ist er perfekt.«

Auf dem Tisch stand eine Schüssel mit diversen Süßigkeiten. Dax musste meinen Blick bemerkt haben, weil er sie zu mir herüberschob. »Bedien dich ruhig. Shannon hat offenbar schon einiges von dem Halloween-Zeug besorgt, das mittlerweile ja schon so früh in den Läden verkauft wird.

Ich hob abwehrend die Hand. »Nein, danke.«

Er griff in die Schüssel, zog einen der kleinen Schokoriegel heraus und legte ihn vor mich hin. »Ich denke, der da passt.«

Oh mein Gott! Butterfinger – Tollpatsch! Das war eindeutig eine Anspielung, weil ich seine Muschel zerbrochen hatte. Ich seufzte. »Mr Moody, war das etwa der Versuch eines Scherzes? Das passt nämlich gar nicht zu dir.«

»Ein armseliger Versuch. Ich gebe es zu.« Er lächelte. »Tut mir leid, aber das konnte ich mir nicht verkneifen.«

»Hast du die etwa nur deshalb da hingestellt, um den Spruch loszuwerden?«

»Nein, das war Glück.«

Nach einigen Augenblicken peinlichen Schweigens stellte ich die Frage, die mir auf der Zunge brannte: »Konntest du … die Muschel ersetzen?«

Er wollte gerade von seinem Tee trinken, setzte die Tasse aber wieder ab. »Ich habe eine andere online bestellt. Sie müsste nächste Woche hier sein.«

»Da bin ich froh.« Ich hätte ihm noch mal anbieten können, dafür aufzukommen, aber er hatte schon beim ersten Mal, als ich das letzte Woche getan hatte, entschieden abgelehnt, also sparte ich mir das und starrte in meine Tasse. »Es tut mir wirklich furchtbar leid.«

Er nickte. »Wieso hast du dir die Muschel überhaupt ans Ohr gehalten?«

Ich lachte nervös. »Das Meer.«

Er kniff die Augen zusammen. »Das Meer?«

»Ja. Ist dir das neu? Wenn man sich eine Muschel ans Ohr legt, hört man darin das Meer.«

»Aha, das ist mir tatsächlich neu.« Er starrte mich weiterhin an, als wäre ich verrückt.

»Meine Mutter hat mir das erzählt, als ich noch klein war … vor ihrem Tod. Sie starb, als ich fünf war.«

Er zog die Stirn in Falten. »Das tut mir leid, Wren. Das ist ja schrecklich.«

Ich nickte und ließ den Blick durch die Küche schweifen. »Darf ich dich fragen, was deiner Frau zugestoßen ist?«

Er zögerte kurz. »Zerebrales Aneurysma. Es kam völlig überraschend.«

»Sie war noch sehr jung?«

Er schluckte. »Zweiundvierzig.«

»Älter als du …«

Er hob die Augenbrauen. »Woher weißt du, wie alt ich bin?«

Ich wollte nicht zugeben, dass ich sie gegoogelt hatte. In dem Artikel des Boston Globe über Marens Tod war die Todesursache nicht erwähnt worden. Mir war allerdings aufgefallen, dass sie seinen Nachnamen nicht angenommen hatte, sondern Maren Wade hieß.

»Nur eine Vermutung«, antwortete ich schließlich. »Du siehst jünger aus.«

»Sie war zehn Jahre älter als ich. Ich bin zweiunddreißig.« Er hielt kurz inne. »Wie alt bist du?«

»Vierundzwanzig.«

Er wippte mit den Beinen, offenbar immer noch sehr verspannt. Eine Massage hätte ihm definitiv gutgetan.

Plötzlich tauchte Rafe am Eingang zur Küche auf.

»Was ist los?«, fragte Dax.

Der Junge sagte nichts, deutete nur auf sein Ohr.

»Mist. Ist es schlimmer geworden?«

Er nickte.

Rafe hatte dichtes, widerspenstiges hellbraunes Haar, schöne nussbraune Augen, in denen sich allerdings ein Hauch von Schwermut zeigte.

»Ich schau mal nach, wo Shannon das Medikament hingeräumt hat.« Dax dreht sich zu mir. »Bin gleich wieder da.«

Er stand auf und hinterließ eine Wolke männlichen Dufts, als er Rafe aus dem Zimmer folgte. Ich bekam ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich dabei Dax’ Hintern betrachtete. Aber seine dunkle Jeans betonte ihn wirklich sehr gut.

Ich hörte die beiden die Treppe hochgehen.

Nachdem ich eine Weile so dagesessen hatte, hörte ich das Klappern eines Hundehalsbands. In dem Moment stand auch schon Winston in der Küche.

»Wo bist du denn ausgebrochen? Hast du die Sperre niedergerissen?«

Er knurrte und bellte, ehe er sich auf den Boden legte.

Ich nahm meine Tasse und ging zur Kücheninsel, in deren Nähe er sich niedergelassen hatte. Dort setzte ich mich auf einen Hocker und stellte den Tee ab. »Weißt du, Winston, du bist furchtbar flauschig und süß für jemanden, der zugleich so grimmig ist. Normalerweise stecke ich meine Nase nicht gern in das Fell von Leuten, die mich hassen.«

Erneut knurrte er. »Wuff!«

»Schau, ich will keinen Ärger. Ich weiß, du hast viel durchgemacht. Das gilt eindeutig für alle hier.«

»Winston ist wahrscheinlich noch der ausgeglichenste im ganzen Haus.« Dax’ Stimme erschreckte mich, sodass ich mich ruckartig zu ihm umdrehte und dabei mit dem Arm die Tasse von der Arbeitsplatte fegte. Sie fiel zu Boden und zerbrach.

Nicht schon wieder!

Ich schlug mir die Hand vor den Mund. »Oh nein!«

Dax streckte die Arme aus. »Bleib, Winston!« Er ging um die Insel und führte den Hund hinaus.

Ich bückte mich, um die Scherben aufzuheben.

Eine Minute später kam Dax zurück und fand mich auf allen vieren.

»Steh auf, Wren.«

Ich hörte nicht auf ihn und machte weiter. »Das ist mir so peinlich.«

Er sprach etwas lauter. »Steh auf. Ich habe Kehrblech und Feger. Ich kümmere mich darum.«

Widerwillig erhob ich mich und schaute ihm zu, wie er sich hinkniete und die Scherben zusammenfegte.

Ich lief hin und her. »Ein Déjà-vu. Wie konnte mir das nun schon zum zweiten Mal passieren?«

»Ist schon gut.« Er blickte zu mir hoch. »Es ist ja niemand gestorben.«

Ich dachte kurz über seine Wortwahl nach. »Keiner gestorben? Versuchst du schon wieder, witzig zu sein?«

»Eigentlich nicht, aber jetzt, da du es sagst … Es könnte eine Anspielung gewesen sein, weil dir schon mal etwas runtergefallen ist, oder?«

Na großartig! Jetzt machte ich also Witze über die Asche seiner toten Frau.

Dax warf die Scherben in den Abfall. Dann wischte er den vergossenen Tee auf und verstaute Schaufel und Handfeger in einem Schrank außerhalb der Küche.

»Alles erledigt«, sagte er und betrachtete mich. »Du siehst aus, als ginge es dir nicht so gut.«

Am liebsten hätte ich mich in einem Loch verkrochen. »Mir geht es auch nicht besonders. Ich fühle mich, als hätte ich von meinem ersten Missgeschick hier eine posttraumatische Belastungsstörung oder so was Ähnliches.« Ich atmete zittrig aus.

Er kam zu mir herüber und legte mir die Hände auf die Schultern. »Entspann dich.«

Oh. Mein Puls reagierte augenblicklich auf seine Hände. Seine Berührung fühlte sich schön an, aber ich musste verrückt sein, wenn ich in so einer Situation eine leichte Erregung verspürte. »Du rätst mir, ich solle mich entspannen? Ist das aus deinem Mund nicht irgendwie ironisch?«

Er lächelte und nahm die Hände weg – sehr zu meinem Missfallen. »Setz dich wieder. Ich mache dir noch eine Tasse Tee.«

Ich wollte ihm schon sagen, das sei nicht nötig, aber da hatte er die Herdplatte mit dem Kessel schon angedreht, also hielt ich den Mund.

Schweigend beobachtete ich ihn, und mein Blick fiel erneut auf seinen Hintern. Dax hatte breite Schultern, und seine Rückenmuskeln zeichneten sich unter dem cremefarbenen Hemd ab. Es war seltsam, von jemandem eingeschüchtert zu sein, der einen gleichzeitig bediente. Es kam nicht jeden Tag vor, dass mir ein so gut aussehender Mann Tee servierte.

Als der Kessel pfiff, goss er mir eine Tasse ein und brachte sie mir herüber, dann füllte er das restliche Wasser in seine Tasse.

»Danke.« Ich räusperte mich. »Wie geht es Rafe?«

Dax ging wieder zu seinem Stuhl hinüber. »Er bekommt immer wieder diese chronischen Ohrentzündungen. Immerhin habe ich die Schmerzmittel gefunden, die Shannon heute gekauft hat. Morgen bringe ich ihn zum Arzt.« Er holte tief Luft. »Rafe macht gerade eine schweigsame Phase durch. Er redet nicht gern, deshalb ist es für mich schwer herauszufinden, wie stark seine Schmerzen tatsächlich sind.«

»Aha. Er will also nicht reden. Das war mir nicht ganz klar.«

Dax nickte. »Der Doktor sagt, es handle sich um eine Form von Mutismus.«

»Ich dachte, er leide vielleicht unter einer Entwicklungsstörung.«

»Nein. Bevor seine Mutter starb, hat er ganz normal geredet. Erst danach hat er sich verändert.«

Oh Mann! »Wie alt ist er?«

»Dreizehn.«

»Ein schwieriges Alter. Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie schwer es für ihn sein muss, die Mutter verloren zu haben.«

»Ja. Damals war er elf, und jetzt hat er einen Kerl am Hals, den er von Beginn an nicht leiden konnte und der ganz sicher nicht aus dem Holz geschnitzt ist, aus dem Eltern gemacht werden.«

»Du gibst bestimmt dein Bestes.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte er beinahe abwehrend.

»Na ja, ich wurde von meinem Dad großgezogen. Wie ich schon gesagt habe, starb meine Mutter bei einem Autounfall, als ich fünf war. Mein Vater und ich stehen uns sehr nahe. Aber ich weiß, wie schwer es für meinen Dad war, ein alleinerziehender Vater zu sein. Trotzdem hat er es verdammt gut hingekriegt.«

»Dann nimmst du also an, ich müsste so sein wie er und dass ich es verdiene, die Verantwortung für ein Kind zu tragen? Nun, da liegst du falsch. Ich habe es mir nicht ausgesucht, Rafe zu adoptieren. Maren hat das getan, bevor ich auf der Bildfläche erschienen bin. Als wir heirateten, habe ich ihr klipp und klar gesagt, dass ich nicht reif sei, für ihren Sohn den Vater zu spielen. Für sie spielte das keine Rolle, da Rafe eben ihr Sohn war. Sie meinte, ich könne es mir aussuchen, welche Rolle ich in seinem Leben einnehmen wolle. Das Problem ist nur: Wir konnten das nicht mehr gemeinsam herausfinden und haben auch nie geklärt, was werden soll, wenn ihr etwas zustoßen würde.« Er klang angespannt. »Ich kann meine Firma leiten und Investment-Tipps geben bis zum jüngsten Gericht. Aber wenn es um den Jungen geht? Da stehe ich im Grund genommen völlig auf dem Schlauch. Und zu allem Überfluss redet er nicht mal mit mir, was mir das Ganze nicht gerade erleichtert.« Er stieß den Atem aus.

Der Druck, der auf ihm lastete, war körperlich spürbar. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Schließlich schlug ich vor: »Wahrscheinlich braucht er einfach Zeit.«

»Es ist jetzt eineinhalb Jahre her.« Dax lachte verärgert auf.

»Mehr Zeit?« Ich zuckte mit den Schultern und schaute ihn mitfühlend an.

Ein paar Sekunden starrte er mich an, dann wechselte er das Thema. »Wren ist ein interessanter Name.«

»Er bedeutet ursprünglich kleiner Vogel. Meine Mutter hat ihn ausgesucht.«

»Kleiner Vogel.« Er nickte. »Das passt zu dir.«

Meine Wangen glühten. Er musterte mich so eindringlich, dass ich anfing, nervös an den Knöpfen meines Pullis herumzuzupfen. Ich kam mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch, das kein Ende nehmen wollte. Gleichzeitig fand ich ihn so unglaublich attraktiv, dass es schon fast wehtat. Solche Gefühle war ich nicht gewohnt. Es musste so offensichtlich sein, wie nervös er mich machte, dass er es mir zweifellos vom Gesicht ablesen konnte. Ich wollte gar nicht mehr aufhören, ihn anzusehen, gleichzeitig wäre ich am liebsten davongerannt. Ein merkwürdiger Widerspruch. Außerdem kam es mir falsch vor, scharf auf den Mann einer toten Frau zu sein.

»Du hast beim letzten Mal davon erzählt«, sagte er schließlich, »dass du auf eine Reise nach Europa sparst?«

»Ja, das habe ich vor.«

»Das klingt gut. Ich wünschte, ich wäre früher mehr zum Vergnügen herumgereist, ehe ich so gebunden war.«

Als er den Blick abwandte, betrachtete ich sein Profil. Er hatte eine perfekte Nase und einen Dreitagebart, den ich genau richtig fand. Aber wie auch bei Rafe sah ich in seinen Augen einen Anflug von Schwermut, den ich gern weggewischt hätte. »Alles in Ordnung, Dax?«

Ruckartig drehte er sich wieder zu mir und kniff die Augen zusammen. »Wieso fragst du mich das?«

»Stellt dir denn sonst nie jemand diese Frage?«

Er seufzte und fuhr mit dem Finger über den Rand seiner Tasse. »Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Ich bin am Leben und wohlhabend. Ich kann es mir leisten, Leute anzustellen, die mir helfen. Es gibt viele Menschen, die ihren Partner verloren haben, ohne diese Privilegien genießen zu können.«

»Das stimmt, aber Geld allein macht nicht glücklich. Deine Frau kannst du dir nicht zurückkaufen.« Ich machte eine kurze Pause. »Manchmal hilft es, mit jemandem zu reden. Ich habe den Eindruck, dass du das nicht sehr oft tust. Du machst einfach irgendwie weiter.«

Der Hauch eines Lächelns trat auf seine Lippen. »Und den Eindruck hast du, weil ich … so verspannt bin?«

»Ehrlich?« Ich zog eine Augenbraue hoch. »Ja. Du musst lernen, auch mal locker zu lassen und in jedem Tag etwas Schönes zu sehen. Es spielt keine Rolle, wie erfolgreich du bist, wenn du ein Leben ohne Freude führst. Welchen Sinn sollte das haben? Alles Geld der Welt nützt dir nichts, wenn du dich elend fühlst.«

»Wozu das Ganze …?«, murmelte er vor sich hin. »Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit immer wieder.« Eine Weile starrte er in seine Tasse. »Was machst du zu deinem Vergnügen, Wren?«

»Das muss gar nichts Besonderes sein. Manchmal genügt es, frische Herbstluft einzuatmen oder allein mit seinen Gedanken zu sein – oder eine Tasse Tee mit einem Fremden zu trinken, der einen gleichermaßen fasziniert und ängstigt.«

Er riss die Augen auf. »Ich mache dir Angst?«

»Genauer gesagt: Mich ängstigt eher, wie blöd ich mich in deiner Gegenwart anstelle.« Ich räusperte mich. »Jedenfalls, um Freude in dein Leben zu bringen, ist es weniger entscheidend, was du unternimmst, als dass du es bewusst tust. Du musst verhindern, dass dein Verstand dich mit unschönen Gedanken bombardiert, die dich aus der Gegenwart entführen.«

»Du hast eine tolle Sicht auf die Dinge. Kannst du etwas davon für mich in ein kleines Glas abfüllen?«

»Das könnte ich schon, aber ich würde das Glas wahrscheinlich zerbrechen.« Ich zwinkerte ihm zu.

Er legte den Kopf in den Nacken. »Ach ja, das stimmt.«

Dann schauten wir uns in die Augen, und ich spürte, wie meine Knie zu zittern begannen. Ja, genau. Das ist dein Stichwort, zu verschwinden.

Ich stand auf und stellte die Tasse auf den Tresen – vorsichtig. »Also, der Tee war sehr gut, aber jetzt lasse ich dich lieber in Ruhe an deinem freien Abend.«

Dax stand auf. »Du musst noch nicht gehen.«

»Doch, ich sollte wirklich los.«

Dax nickte und folgte mir ins Foyer. Als ich ihn hinter mir spürte, stellten sich meine Nackenhärchen auf. Ich hob meine tragbare Liege hoch, schlang mir die Arbeitstasche über die Schulter und ging Richtung Tür. Als ich den Türknauf drehte, rief er meinen Namen.

»Wren …«

Ich drehte mich um. »Ja?«

»Danke, dass du gefragt hast – ob mit mir alles in Ordnung ist. Danke, dass du dir Gedanken machst und solch eine Frage stellst. Die meisten Menschen tun das nicht. Und danke auch für deine Ratschläge. Tut mir leid, dass aus der Massage nichts geworden ist – schon wieder nicht.«

»Ja.« Ich zuckte mit den Schultern. »Es soll wohl nicht sein.«

»Vielleicht versuche ich es noch einmal. Irgendwann.«

»Vielleicht sind ja aller guten Dinge drei?« Ich grinste. »Wer weiß, was ich noch alles zerbreche.«

Er lachte. »Bevor du kommst, werde ich alles, was aus Glas ist, in Luftpolsterfolie verpacken.«

Die Aussicht auf ein neues Treffen verursachte mir eine Gänsehaut. Ich hoffte bei Gott, dass er einen neuen Termin vereinbarte, denn ich würde mich niemals trauen, mich bei ihm zu melden. Und dann würde ich ihn vielleicht nie wiedersehen. Obwohl ich Dax kaum kannte, fand ich diesen Gedanken schrecklich.

Bevor ich das Haus verließ, schaute ich noch einmal hoch zur Treppe und sah, dass Rafe von oben zu uns herunterschaute. Ich winkte ihm zu, aber auch jetzt erwiderte er den Gruß nicht.

3

Dax

Adriana rollte sich aus ihrem Bett und zog sich rasch an. Wir würden beide zu spät zur Arbeit kommen. Nachdem Rafe am Montagmorgen zur Schule gegangen war, hatte ich beschlossen, mir ein wenig »Freude« zu gönnen, statt direkt ins Büro zu fahren. Wenigstens hatte ich es versucht. So übermäßig »freudig« war es mit Adriana nicht – nur ein bedeutungsloser Quickie, eine kurze Flucht aus der Realität mit einer Freundin, mit der ich seit einigen Monaten hin und wieder schlief. Wären da Gefühle gewesen, hätte dies den ganzen Zweck der Übung, nämlich keine Gefühle zu haben, torpediert.

Adriana war die Ex-Frau eines Konkurrenten. Aus heiterem Himmel hatte sie mir eines Tages in einer Nachricht von ihrer Scheidung erzählt und mich gefragt, ob wir uns nicht auf einen Drink treffen wollten.

Höchst verstörend war, dass mir mitten beim Sex mit Adriana heute Morgen Wren in den Sinn gekommen war. Wie unglaublich verkorkst kann man eigentlich sein? Ihr hübsches Gesicht, ihr kupferrotes Haar, ihr graziler Hals. Ihre riesigen blauen Augen. Die Art, wie sich ihr Atem bei meiner Berührung beschleunigt hatte, nachdem sie ihre Tasse Tee hatte fallen lassen. In Anbetracht meiner Lebensumstände – ganz zu schweigen davon, dass sie acht Jahre jünger war als ich – war die Reaktion, die mein Schwanz daraufhin zeigte, wirklich das Allerletzte. In den fünf Tagen, seit Wren bei mir gewesen war, hatte ich viel an sie gedacht, und das musste aufhören.

Aber unsere Unterhaltung neulich Abend hatte bei mir nachgewirkt. Mir war klar geworden, dass ich gar nicht richtig lebte. Warum waren diese Gedanken an sie so hartnäckig? Deshalb hatte ich Adriana angerufen und das Einzige getan, was mir einfiel, um Wren aus meinem Verstand zu vertreiben. Leider ging der Schuss ganz offensichtlich nach hinten los.

»Ich habe mich gewundert, dass du angerufen hast«, sagte Adriana, während sie ihre Bluse zuknöpfte. »Normalerweise bin ich diejenige, die sich meldet. Wir sollten das bald mal wiederholen. Das letzte Mal ist ja schon eine ganze Weile her, sodass ich beinahe dachte, du hättest mich vergessen.«

Ich schlüpfte in die Hose und schnallte den Gürtel zu. »Ich hatte einfach viel um die Ohren. Massenhaft Stress in der Arbeit.«

Sie schüttelte ihr langes braunes Haar. »Tja, ich bin immer froh, wenn ich dich ablenken kann.«

»Ich weiß. Danke. Es hat … Spaß gemacht.«

»Hast du heute viel zu tun?«, fragte sie.

Ich band mir die Krawatte. »Ja, ab zehn habe ich einen Termin nach dem anderen.«

»Na dann viel Erfolg.«

»Danke.« Ich küsste sie züchtig auf die Wange, dann ging ich zur Tür. Unsere Treffen erinnerten mich immer an einen Geschäftstermin.

Kaum atmete ich außerhalb ihrer Wohnung frische Luft, verspürte ich Erleichterung. Wenn wir Sex hatten, bekam ich hinterher stets ein schlechtes Gewissen. Vor meinem ersten Zusammensein mit Adriana vor wenigen Monaten hatte ich seit Marens Tod mit keiner Frau geschlafen. Ich gestand mir diese Treffen nur deshalb zu, weil sie klipp und klar erklärt hatte, sie habe gerade die Scheidung hinter sich und suche nichts Ernsthaftes. Das war für mich perfekt, denn außer meinem Schwanz hatte ich ihr absolut nichts zu bieten. Wir küssten uns kaum. Es ging nur um Sex. Keine Intimität. Für mich war das die einzige Möglichkeit.

Bei der Arbeit leitete ich zunächst einige direkt aufeinanderfolgende Meetings, ehe ich wieder in mein Büro zurückkehrte. Kaum saß ich, meldete sich meine Assistentin.

»Ich habe Serena Kravitz von der Phillipson Academy in der Leitung.«

Rafes Schule. Scheiße! »Danke.« Ich nahm das Gespräch entgegen. »Dax Moody.«

»Mr Moody, mit Rafe ist alles in Ordnung, keine Sorge. Aber hätten Sie kurz Zeit für mich, um einige Dinge zu besprechen?«

Mein Puls verlangsamte sich wieder ein wenig. »Ja, natürlich.«

»Wie Sie wissen, weigert sich Rafe seit einiger Zeit zu sprechen. Wir haben alles Mögliche unternommen, um ihm entgegenzukommen. Aber demnächst steht ein Rezitationsprogramm an, an dem er nicht wird teilnehmen können. Und ich fürchte, das wird sich nachteilig auf seine Noten auswirken, wenn es uns nicht gelingt, ihn zum Sprechen zu bewegen.«

»Haben Sie einen Zauberstab, Mrs Kravitz? Ich bin, ehrlich gesagt, mit meinem Latein am Ende.«

»Ich weiß, dass der Tod seiner Mutter ein traumatisches Erlebnis für ihn war.«

»Traumatisch beschreibt es nicht annähernd. Ihm waren nur wenige Jahre mit ihr vergönnt, und sie war sein Ein und Alles – der einzige Mensch in seinem Leben, der sich je für ihn interessiert hat.« Ich hatte nicht laut werden wollen, aber ich war derart frustriert.

»Ich verstehe das.«

»Seine Therapeutin kann ihn nicht zum Sprechen bewegen, und auch die Frau nicht, die sich hauptsächlich um ihn kümmert. Und ich bin der Letzte, der das schaffen würde. Er und ich waren gerade erst dabei, eine Beziehung aufzubauen, als seine Mutter starb. Ab dem Zeitpunkt ging gar nichts mehr. Die Erde hatte aufgehört, sich zu drehen, und wir machten keinerlei Fortschritte mehr.« Ich kratzte mich am Kopf. »Ich glaube, er vertraut mir nicht.«

»Vielleicht sollten wir uns demnächst zusammensetzen – mit dem Schulpsychologen und seiner Therapeutin, um ein Team zu bilden, das ihm hilft.« Sie hielt kurz inne. »Haben Sie schon mal an Medikamente gedacht?«

»Ich stopfe ihn doch nicht mit beschissenen Arzneimitteln voll, wenn ich nicht genau weiß, wo das Problem liegt.« Ich riss mich zusammen und senkte die Stimme wieder. »Entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise, aber ich werde ihn nicht blind behandeln lassen, solange er mir nicht sagen kann, was in seinem Kopf vorgeht. Ist es eine Depression? Sind es Angstzustände? Eine Mischung aus beidem?« Ich zupfte an meinen Haaren herum. »Jedenfalls, so ein Treffen wäre gut. Ich tue alles, was ich kann.«

»Mr Moody, es tut mir wirklich leid.«

Bekäme ich einen Penny für jedes Mal, wo ich jemandem leidtue, wäre ich reicher als ohnehin schon.

»Danke«, sagte ich.

Nachdem das Telefonat beendet war, beschloss ich, früher Schluss zu machen.

Das Einzige, was mich aus der allgegenwärtigen Angst, die mein Leben mittlerweile bestimmte, herausreißen konnte, war ein Besuch im Fitnessstudio. Ich hatte zwar im Keller unseres Hauses einen Trainingsraum eingerichtet, war aber auch immer noch Mitglied in einem luxuriösen Fitnessstudio im obersten Stockwerk meines Bürogebäudes mitten in Boston.

Während ich Gewichte stemmte, platzte ich fast vor Energie. Ich wusste, es war in Kraft umgewandelte Wut. Als ich das Siebzig-Pfund-Gewicht absetzte, wünschte ich, ich könnte die unsichtbare Last auf meinen Schultern ebenso leicht ablegen.

An dem Abend saßen Rafe und ich einander gegenüber am Esstisch. Während der Woche bereitete immer Shannon das Abendessen vor. Am Wochenende hatte sie frei, und da holte ich uns in der Regel etwas von auswärts. Für heute Abend hatte sie ein leckeres Nudelgericht mit Hühnchen und Brokkoli zubereitet.

Ich wickelte Nudeln um meine Gabel. »Geht es deinem Ohr wieder besser?«

Rafe zuckte mit den Schultern und schaute auf seinen Teller.

»Was bedeutet das? Ja oder nein?«

Er zog am Ohr und schüttelte den Kopf.

»Scheiße«, grummelte ich.

Ich hatte den Besuch beim Arzt – in Begleitung von mir oder von Shannon – um einen Tag verschoben, weil ihn in letzter Zeit alles aufregte. Ich hatte gedacht, dass seine Ohrentzündung vielleicht wie durch Zauberhand von selbst verschwinden würde, aber jetzt war ein Arztbesuch wohl unvermeidlich.

»Also, morgen gehst du zum Doktor. Vermutlich brauchst du wieder Antibiotika.«

Ich hasste es, dass er dieses Jahr schon übermäßig viel von diesen Medikamenten hatte nehmen müssen. Das konnte für seinen Körper nicht gut sein.

Als er weiterhin auf seinen Teller starrte, sagte ich: »Schau mich bitte an.«

Das tat er auch. Der Anruf aus seiner Schule hatte mir klargemacht, dass ich die Dinge schon viel zu lange hatte schleifen lassen.

»Rafe, irgendwann wirst du wieder sprechen müssen. So kannst du nicht ewig weitermachen. Auch dein Schweigen wird sie dir nicht mehr zurückbringen. Du müsstest dir eigentlich alles Mögliche von der Seele reden, aber du tust das genaue Gegenteil. In der Schule wird das langsam zum Problem.« Ich seufzte. »Man hat mich heute angerufen.«

Seine Ohren wurden ganz rot.

»Sie wollen ein Team zusammenstellen, das dir helfen soll. Aber, Rafe, wir können dir nicht helfen, wenn du dir nicht helfen lässt. Ich weiß, dass du dich mit mir nicht hundertprozentig wohlfühlst, aber deine Mom ist davon ausgegangen, dass ich mich um dich kümmere. Und genau das versuche ich. Wir beide sitzen nun mal im selben Boot. Sie fehlt uns beiden. Wir wünschen uns beide, alles wäre anders. Deshalb müssen wir zusammenhalten und daran arbeiten, dass wir glücklich werden. Das würde sie sich wünschen. Wie die Dinge derzeit laufen, würde sie sicher schrecklich finden.«

Seine Ohren wurden noch röter, und ich vermutete, das lag nicht an der Entzündung, sondern an Wut und Enttäuschung. Er wollte von dieser einseitigen Unterhaltung nichts hören.

»Na schön, ich höre jetzt auf, dich zu nerven – vorläufig jedenfalls. Aber ich hoffe, du hast verstanden, was ich gesagt habe.«

Nachdem Rafe sich die Hände gewaschen hatte und auf sein Zimmer gegangen war, warf mir Shannon einen mitfühlenden Blick zu. Sie hatte von der anderen Seite der Küche aus mitgehört. Jetzt legte sie sich ihre Handtasche über die Schulter und machte sich bereit für den Nachhauseweg.

Ich knallte die Serviette auf den Tisch und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich bin dafür einfach nicht gemacht.«

Sie kam zu mir herüber. »Und trotzdem wurdest du für diese Aufgabe ausgewählt. Jemand da oben muss also anderer Meinung sein.«

»Jemand da oben hat einen makabren Sinn für Humor, wenn er glaubt, ich könnte ein guter Vater für einen Teenager sein, der mich hasst wie die Pest.«

Sie setzte sich mir gegenüber und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Du bist doch nicht schuld. Du bist nicht der Grund, warum er schweigt. Ich weiß, du glaubst, wenn er in der Obhut von jemand anderem wäre, gäbe es die Probleme nicht.«

Ich rieb mir die Augen. »Ich weiß schon, dass es nicht direkt mit mir zu tun hat, trotzdem denke ich die ganze Zeit, dass die Dinge tatsächlich anders laufen würden, wenn ein geeigneterer Mann an meiner Stelle wäre. Hätte ich mich mehr angestrengt, schon zu Marens Lebzeiten eine bessere Beziehung zu ihm aufzubauen, stünden wir jetzt nicht da, wo wir sind.«

»Du weißt doch, dass es Energieverschwendung ist, über die Vergangenheit nachzugrübeln, oder? Da geht es um Reue. Und über die Zukunft nachzugrübeln erzeugt Angst. Frieden findet man einzig und allein dazwischen, im Hier und Jetzt.«

Das erinnerte mich an das, was Wren neulich zum Thema Achtsamkeit gesagt hatte.

»Seit wann bist du denn so eine Zen-Kennerin, Shannon?«

»Ich bin fünfzehn Jahre älter als du. Weisheit kommt mit dem Alter.« Shannon grinste. »Apropos Zen: Wie lief es denn mit der Massage neulich Abend?«

War ja klar, dass das kommen musste. Die ganze Zeit hatte ich schon gewartet, dass sie mich danach fragen würde. Ich hatte ihren Gesichtsausdruck gesehen, als Wren kam. Wahrscheinlich hatte sie sich gefragt, ob hinter dem Termin nicht mehr steckte. Dabei hatte ich ja keine Ahnung gehabt, wie attraktiv dieses Mädchen sein würde. Da Shannon kurz nach Wrens Eintreffen das Weite gesucht hatte, war bei mir der Eindruck entstanden, sie wollte uns ein wenig Privatsphäre gönnen für den Fall, dass ich mehr als nur eine gewöhnliche Massage gebucht hatte. Da lag sie völlig falsch.

»Es hat nicht geklappt«, sagte ich.

»Was meinst du damit?«

»Die Massage. Dazu ist es nie gekommen. Lange Geschichte.«

»Du hast sie nach Hause geschickt?«

»Ich habe meine Meinung geändert.«