Apfelpunsch und Winterleuchten - Heidi Swain - E-Book
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Apfelpunsch und Winterleuchten E-Book

Heidi Swain

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Beschreibung

Eine zuckersüße Kleinstadt, ein verschneites Herrenhaus und romantische Spaziergänge im Schnee

Als kleines Mädchen gab es für Anna nichts Schöneres als einen glitzernd geschmückten Tannenbaum, duftende Plätzchen und frisch gefallenen Schnee. Doch seit sie ihre Mutter nicht mehr hat, möchte sie am liebsten gar nicht mehr an Weihnachten denken. Als Ablenkung kommt ihr dieses Jahr das neue Jobangebot auf Wynthorpe Hall, einem hübschen Herrenhaus unweit des gemütlichen Städtchens Wynbridge, gerade recht. Doch die eigenwilligen Besitzer sind richtige Weihnachtsfans und halten gar nichts davon, dass Anna das Fest ignorieren will. Und dann kehrt auch noch der gut aussehende Sohn Jamie nach langer Zeit nach Hause zurück – er soll das Herrenhaus einmal übernehmen, obwohl er sich ein Leben auf dem Land eigentlich gar nicht vorstellen kann. Anna und Jamie schließen einen Pakt: Anna soll Jamies Liebe zu seiner Heimat wieder erwecken – und Jamie Annas Liebe zu Weihnachten …

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Seitenzahl: 514

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HEIDISWAIN lebt mit ihrer Familie im englischen Norfolk. Sie hat eine ziemlich freche Katze namens Storm und liebt Mince Pies und lange Spaziergänge. Apfelpunsch und Winterleuchten ist ihr neuer Roman in deutscher Sprache.

Außerdem von Heidi Swain lieferbar:Frühling im Kirschblütencafé. RomanTräume sind aus Zimt und Zucker. RomanLiebe, die nach Kirschen schmeckt. Roman

Heidi Swain

Apfelpunsch und Winterleuchten

Roman

Aus dem Englischen von Veronika Dünninger

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel Sleigh Rides and Silver Bells at the Christmas Fair bei Simon & Schuster, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2017 der Originalausgabe by Heidi-Jo Swain

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Published by Arrangement with Simon & Schuster UK Ltd., London.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

Umschlagabbildung: www.buerosued.de

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-28559-3V001

www.penguin-verlag.de

Für OliverEndlich eins für dich.Fröhliche Weihnachten !

Kapitel 1

Den meisten Leuten fällt es irgendwann im Laufe ihres Erwachsenenlebens schwer, sich zu überlegen, was sie auf ihren Wunschzettel setzen sollen, mir jedoch nicht. Seit ich achtzehn war, habe ich mir jedes Jahr das Gleiche zu Weihnachten gewünscht, was sichergestellt hat, dass ich dieses spezielle Problem nie gehabt habe, und jetzt, fast zwanzig Jahre später, steht noch immer derselbe Wunsch ganz oben auf meiner Liste.

Den ganzen Dezember über jeden Tag, einschließlich der Weihnachtsfeiertage, zu arbeiten, ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber für mich hat es sich in den letzten zwei Jahrzehnten als absolute Rettung meiner geistigen Gesundheit erwiesen. Allerdings ist es ein Geschenk, um das ich mich selbst kümmern muss, und es muss rechtzeitig vor dem großen Tag verpackt sein. Um mir die bestmögliche Chance zu geben, die richtige Stelle an Land zu ziehen, beginne ich mit der Suche, wenn im Herbst die ersten Blätter fallen. Und dieses Jahr war keine Ausnahme. Bis Mitte November hatte ich zwei Angebote, aber es war die abgeschiedene Lage der einen Anstellung, der ich nicht widerstehen konnte.

»Und was würden Sie sagen, wie weit abgelegen ist Wynthorpe Hall genau ?«, fragte ich während des kurzen telefonischen Vorstellungsgesprächs mit Angus Connelly, der erpicht darauf schien, dass ich den befristeten Job, den er anzubieten hatte, annahm.

»Sehr«, antwortete er vorsichtig. »Das hier ist wirklich nicht die Art Ort, wo Sie mal eben kurz einkaufen gehen können, fürchte ich. Es sind eher vierzig Minuten in die Stadt und zurück, und es gibt keine anderen Häuser in der Nähe. Glauben Sie, dass das ein Problem sein wird ?«

Er konnte ja nicht ahnen, dass seine Worte Musik in meinen Ohren waren. Der andere Job, der mir angeboten worden war, war im Zentrum Londons, und auch wenn die Bezahlung und die Zulagen um einiges besser waren, konnte man das von der Atmosphäre um diese Jahreszeit nicht gerade behaupten. Die Großstadt würde von Lichtern, kitschigen Melodien und weihnachtlichem Trubel bereits überflutet sein, und aus meiner Sicht war das ein viel zu saftiger Preis für eine zusätzliche Null beim Gehalt. Mich in der kargen und frostigen Fenland-Landschaft zu verschanzen, ohne auch nur einen Sternsinger in Sicht, würde ein sehr willkommener Balsam für meine bekümmerte Seele sein.

»Zugegeben, verglichen mit manch anderen, haben wir nicht allzu viele Anreize zu bieten«, fuhr Mr. Connelly fort, der mein Zögern zweifellos als Ablehnung auffasste, »aber die Arbeit ist leicht, und es wird hier die meiste Zeit ruhig sein. Meine Frau, Catherine, erholt sich inzwischen auch gut von ihrer Operation …«

»Und das ist, was ich nicht wirklich verstehe«, warf ich ein. »Ihrer E-Mail zufolge liegt die Knieoperation Ihrer Frau schon ein paar Wochen zurück. Wenn sie jetzt wieder auf den Beinen ist, braucht sie doch sicher niemanden, der sich um sie kümmert, zumal Sie, wie Sie eben selbst sagten, in diesem Jahr für Weihnachten nichts Großes geplant haben.«

Ich wusste, dass ich unverblümt klang, aber ich musste unbedingt einen Job landen, der mich beschäftigen und auf Trab halten würde. Ich mochte es zu keinem Zeitpunkt des Jahres, Zeit totzuschlagen, aber schon gar nicht im Dezember. Däumchen zu drehen, würde zum Nachdenken führen, und nachzudenken, nachdem die Weihnachtsdekorationen vom Dachboden geholt worden waren, war die eine Sache, die ich mir nie gestattete.

Dieses Telefongespräch war meine eine Gelegenheit, mich zu vergewissern, dass ich nicht von freier Zeit bedrängt werden würde – oder umgekehrt, dass ich nicht eingespannt werden würde, dabei zu helfen, irgendein prächtiges Landhaus-Weihnachten vorzubereiten –, daher war ich entschlossen, jedes mögliche Problem ausgebügelt zu haben, bevor ich meine endgültige Entscheidung traf.

»Na ja, wissen Sie, die Sache ist die, ich kann nicht umhin zu denken, dass sie es in letzter Zeit etwas übertreibt«, führte Mr. Connelly aus, wobei er seine Stimme ein wenig dämpfte. »Sie will natürlich nichts davon wissen, aber ich denke, dass sie sich zu viel zumutet. Sie behauptet beharrlich, dass sie nur ein bisschen herumwerkelt, aber ich fürchte, langfristig wird sie darunter leiden, dabei hat sie schon so viele Fortschritte gemacht. Ich will nur nicht sehen, dass sie wieder ganz von vorne anfangen muss.«

Seine Stimme brach ab, aber die Zärtlichkeit seines Tons hatte mein Herz durchdrungen und unerwartet dafür gesorgt, dass sich meine Augen ein klein wenig verschleierten.

»Wenn sie jemanden hier hätte, an den sie delegieren könnte«, fuhr er seufzend fort, »jemand Diskretes und Unaufdringliches, der ihr unter die Arme greifen und sie unauffällig im Auge behalten könnte …«

»Nun, diskret bin ich«, räumte ich ein.

»Heißt das, Sie werden kommen ?« Nun schwang Hoffnung in seiner Stimme mit. »Sie lässt mich und das Personal kaum etwas für sie tun, daher müssten wir anfangs vielleicht ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten … aber Sie werden den Job doch annehmen, oder ?«

Ich dachte zurück an meine letzten drei Arbeitsverhältnisse, bei denen ich mich in verschiedenen Großstädten des Landes um eine Reihe durchaus verwöhnter Unter-Acht-Jähriger gekümmert hatte, und die Idylle eines kinderfreien, ruhigen Weihnachten mitten im Nirgendwo klang auf einmal verlockender denn je.

Als »Mädchen für alles« hatte ich schon die unterschiedlichsten Jobs, darunter Kindermädchen, Haushälterin, Assistentin, Gesellschafterin und Pflegerin. Ich habe all diese Rollen geliebt, meistens jedenfalls, und diese Position schien, nach der Anzeige zu schließen, praktisch alle davon zu vereinen, mit dem zusätzlichen Vorteil für mich, alles zu vermeiden, was mit einem kommerziellen Großstadtweihnachten einherging.

Selbst wenn mein Schützling anfangs schonend behandelt werden musste, war das hier genau die Art kurzes und unkompliziertes Arrangement, das ich suchte, um mich bis Januar über die Runden zu bringen.

»In Ordnung«, entschied ich. »Ich nehme den Job an. Dann sehen wir uns kommenden Freitagnachmittag, Mr. Connelly.«

»Oh, das ist ja wundervoll !«, rief er freudig aus. »Und bitte, nennen Sie mich doch Angus.«

»Angus. In Ordnung.«

»Und Sie sind ganz sicher, dass Sie nicht zuerst vorbeikommen und sich den Ort ansehen wollen, nur um absolut sicherzugehen, dass Sie hier glücklich sein werden ?«

Ich hatte bereits einen kurzen Blick auf Google Maps geworfen, der mir bestätigt hatte, dass das Herrenhaus tatsächlich der ideale Ort für einen Weihnachtsmuffel wie mich war. Und was mein Glücksempfinden betraf, so nahm ich nicht an, dass ein paar Wochen auch nur annähernd lange genug waren, als dass es bei der Entscheidung eine Rolle spielen musste.

»Danke, aber nein«, versicherte ich ihm, »das wird wirklich nicht nötig sein.«

»Na ja, wenn das so ist«, er stieß einen zufrieden Seufzer aus, »dann sehen wir uns nächste Woche.«

Bis zum darauffolgenden Freitag zog Nebel und Frost auf, und die Straßenverhältnisse von meiner letzten Stelle in Winchester zu meiner neuen am Rande der hintersten Ausläufer von Wynbridge hätten nicht schlimmer sein können. Ich hatte nicht vorgehabt, unterwegs überhaupt anzuhalten, aber während aus den drei Stunden Fahrt allmählich vier wurden, begann ich zu schwächeln, und ich wusste, wenn ich mich in Wynthorpe Hall von meiner besten Seite zeigen wollte, würde ich mich vorher noch ein bisschen frisch machen müssen.

Mein Herz schlug augenblicklich schneller, als ich die Brücke zu der kleinen Marktstadt überquerte und mein Blick auf mehrere Grüppchen Einheimischer fiel, die mit Klemmbrettern, Lichterketten und Kartons voller riesiger Weihnachtsbaumkugeln bewaffnet herumwuselten. Auf Wynthorpe Hall hatte man vielleicht eine schlichte Feier geplant, aber hier in der Stadt sah es verdächtig danach aus, als ob die Vorbereitungen für Weihnachten bereits auf Hochtouren liefen.

Ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen im hinteren Teil eines gemütlich aussehenden Cafés namens Kirschblütencafé.

»Was kann ich Ihnen bringen ?«, fragte eine Bedienung in einer Schürze mit Cupcake-Muster. »Wir fangen gleich an, das Mittagessen zu servieren, falls Sie Lust auf etwas Warmes haben.«

Der köstliche Duft, der aus der Küche strömte, genügte, um meinen Magen knurren zu lassen, und obwohl ich normalerweise mittags keine warme Mahlzeit aß, nahm ich an, dass die Kälte in meinen Knochen in diesem Fall eine Ausnahme rechtfertigte. Ich hatte nur ein kurzes Stück von meinem Wagen zu dem Café zurücklegen müssen, aber mein altbewährtes winterliches »Erster-Eindruck-Outfit«, bestehend aus einem grauen Bleistiftrock und einem zart cremefarbenen Kaschmirpullover, half kaum, die Kälte abzuhalten, auch wenn ich noch immer meine Burberry-Steppjacke anhatte.

»Wir starten heute mit unserem speziellen Winter-Menü«, fuhr die Frau fort, als spürte sie, dass ich im Begriff war, einzuknicken. »Die Butternusskürbissuppe wird mit Kürbisbrot gereicht, und zu der gegrillten Gemüsequiche gibt es eine zweifach gebackene Käse-Ofenkartoffel und einen Wintersalat.«

»In dem Fall nehme ich die Quiche, bitte«, gab ich nach. »Und einen Kaffee.«

»Ich lasse Ihnen den Kaffee gleich bringen«, sagte sie mit Blick auf meine Hände, die ich aneinanderrieb. »Der wird Sie aufwärmen.«

In dem gemütlichen Café brauchte ich nicht lange, um aufzutauen, und während ich hungrig die köstliche Quiche verschlang, sah ich interessiert zu, wie ununterbrochen Kunden hereinströmten, von denen die meisten kurze Zeit später mit Gebäck abzogen, ihre Ausbeute sorgsam in mit Kirschen gemusterte Schachteln verpackt.

»Ist bei Ihnen immer so viel los ?«, fragte ich die lockige Bedienung, die kam, um mein Geschirr abzuräumen.

»Immer«, grinste sie, »aber vor allem an Tagen wie diesem. Morgen Abend ist das große Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung, daher ist auf dem Markt die Hölle los. Werden Sie es sich morgen ansehen ?«

»Oh, nein«, antwortete ich, vielleicht ein wenig zu schnell. »Ich bin nur auf der Durchreise.«

»Schade«, meinte sie. »Es wird eine riesiges Spektakel werden.«

»Das kann ich mir gut vorstellen.« Ich sah durchs Fenster zu, wie zwei gewaltige Bäume an beiden Enden des Marktplatzes aufgestellt wurden. Ich wandte den Blick rasch ab und tat, als wäre ich in irgendetwas auf meinem Handy vertieft.

»Möchten Sie noch einen Kaffee ?«

»Nein, danke, aber das Mittagessen war köstlich. Ich sollte nur langsam zusehen, dass ich weiterkomme«, sagte ich mit Blick auf die Uhrzeit auf dem Display. »Ich werde heute Nachmittag auf Wynthorpe Hall erwartet.«

»Ach, dann haben Sie es ja doch gar nicht mehr so weit«, grinste sie. »Sie sind nicht zufällig Anna, oder ?«

»Doch«, erwiderte ich mit einem verblüfften Stirnrunzeln. »Doch, die bin ich.«

»Angus freut sich ja so, dass Sie sich bereit erklärt haben, den Job anzunehmen«, fuhr sie fort, so laut, dass es jeder im Café hören konnte. So viel dazu, diskret zu sein.

»Er ist ernsthaft besorgt, dass Catherine ihre Genesung überstürzt.«

»Was wirklich ironisch ist, oder, Lizzie ?«, schaltete sich die andere Bedienung jetzt in das Gespräch ein. »Schließlich ist es normalerweise sie, die sich seinetwegen Sorgen macht.«

»Jemma hat recht«, erklärte Lizzie mir. »Er ist hier in der Gegend dafür bekannt, dass er ständig mit irgendwelchen durchgeknallten Ideen Unfug ausheckt.«

»Aber er ist ein absoluter Schatz.«

»Völlig exzentrisch, natürlich«, lachte Lizzie, »aber durch und durch liebenswert.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war buchstäblich eben erst in der Grafschaft angekommen, und während meine Einstellung schon jetzt die Runde gemacht hatte, wurde mein Arbeitgeber zwar als liebenswerte, aber wohl auch sehr anstrengende Person beschrieben. Es war eine ungewöhnliche Situation, gelinde gesagt. Ich war die Anonymität der Großstadt gewohnt, daran, an Orten zu leben und zu arbeiten, wo die Eigenheiten meiner Arbeitgeber nicht kommentiert wurden.

»Habe ich das eben richtig gehört ?«, rief ein Mann von der anderen Seite des Cafés herüber. »Sie sind das, die den Job oben auf Wynthorpe Hall angenommen hat ?«

»Ja, Chris, das ist sie«, bestätigte Jemma, bevor ich die Chance hatte, auch nur den Mund aufzumachen.

»Würden Sie mir dann einen Gefallen tun und die Obst- und Gemüsebestellung für Wynthorpe Hall mitnehmen, wenn Sie gehen ? Ich habe heute alle Hände voll zu tun mit den Auslieferungen, die bei diesem Nebel doppelt so lange dauern wie sonst, und dem Baumschmücken für morgen Abend, das ich beaufsichtigen muss.«

»O–kay«, erklärte ich mich zögerlich einverstanden, zu überrumpelt, um abzulehnen.

Ich bedankte mich und bezahlte für mein Mittagessen, dann führte ich Chris Dempster, der sich als der allerbeste Obst- und Gemüsehändler in der Gegend vorstellte, hinüber zu meinem Wagen, wo er prompt meinen Koffer auf den Beifahrersitz verfrachtete und den winzigen Kofferraum mit genügend Obst und Gemüse füllte, um eine kleine Armee zu verköstigen.

»Ich mach das schon«, sagte er mit einem Blick auf mein Outfit.

Als Antwort schnappte ich mir einen großen Sack Kartoffeln und wuchtete ihn auf die Rückbank, bestrebt zu zeigen, dass ich, egal, was er von mir halten mochte, mit Sicherheit keine Prinzessin war. Er zog kichernd eine Augenbraue hoch, gab aber keinen weiteren Kommentar ab.

»Sind Sie sicher, dass das die richtige Bestellung ist ?«, fragte ich mit einem Blick auf die prall gefüllten Säcke mit Karotten und das große Netz Rosenkohl, sobald ich wieder zu Atem gekommen war. »Das scheint mir schrecklich viel zu sein für so wenige Leute.«

»Sie decken sich zweifellos schon für Weihnachten ein«, sagte er, und mein Herz galoppierte prompt wieder los.

»Aber bis dahin sind es doch noch Wochen«, piepste ich, wobei meine coole Fassade in meiner Panik etwas verrutschte. »Und Mr. Connelly sagte, sie hätten dieses Jahr ein eher ruhiges Weihnachten geplant.«

»Ach, darüber würde ich mir an Ihrer Stelle nicht den Kopf zerbrechen«, meinte Chris, bevor er mit einem kehligen Lachen hinzufügte: »Dieses ganze Zeug wird auf Wynthorpe Hall keine fünf Minuten reichen. Ihre Köchin stellt gern sicher, dass die Truppen gut genährt sind. Nächste Woche um diese Zeit werden Sie zweifellos wiederkommen, um Nachschub zu holen.«

Kapitel 2

Dank Mr. Dempsters fundierter Kenntnis der örtlichen Landstraßen näherte ich mich Wynthorpe Hall nicht über das, was er die »heimtückische Flussstraße« nannte, sondern schlängelte mich stattdessen einen gewundenen Weg hinunter, der, auch wenn es länger dauerte als die Route, die mein Navi mir vorgeschlagen hatte, angesichts der immer eisigeren Bedingungen weitaus sicherer zu sein schien.

Es war kaum zwei Uhr, als ich durch das prunkvolle Eisentor auf die schmale Auffahrt fuhr, aber aufgrund der dichten Wolkendecke wurde es bereits dunkel. Ich ging vom Gas, um eine enge Rechtskurve zu nehmen, und die Auffahrt verschmälerte sich weiter. Hohes Gebüsch verbarg die Sicht auf die weitere Landschaft, sodass ich mich eher wie auf einem überwucherten Waldweg fühlte als auf der Auffahrt zu einem spektakulären Ort.

Um die Aufhängung meines kleinen Fiat 500 zu schonen, bremste ich bis zum Schneckentempo ab, bevor ich die letzten Wellen und Schlaglöcher nahm. Ich sah mit offenem Mund zu, wie die Dunkelheit sich lichtete und das Gebüsch hoch aufragenden Bäumen wich, die wiederum einen Schritt zurückzutreten schienen, um das Geheimnis in ihrem Herzen preiszugeben.

»Wow.«

Meine Internetrecherche hatte eine Fülle an Fotografien und Beschreibungen zutage gefördert, die Wynthorpe Hall allesamt als historisch bedeutsames, denkmalgeschütztes elisabethanisches Herrenhaus bezeichneten, komplett mit atemberaubenden Aussichten, Landschaftsgärten und dem obligatorischen See, aber wo ich es jetzt mit eigenen Augen sah, schien das Anwesen vom ersten Augenblick an so viel mehr zu sein als das, was meine detaillierten Online-Recherchen hatten vermuten lassen.

Ich stieß einen langen Atemzug aus und schauderte, als sich irgendetwas tief in mir zu regen und zu verlagern schien. Ich dachte unwillkürlich, dass das Herrenhaus für einen solch prachtvollen Ort entwaffnend tröstlich und heimelig aussah. Während ich zu den kunstvollen sechseckigen Schornsteinköpfen, steinernen Fensterpfosten und dem terrakottafarbenen Ziermauerwerk hochstarrte, wurde mir bewusst, dass das, was im Internet imposant ausgesehen hatte, von Nahem betrachtet angenehm ungezwungen und beruhigend bewohnt war. Dieses Herrenhaus war ganz offensichtlich jemandes Zuhause, kein museumsartiges Vorzeigemodell, und ich gratulierte mir zu meiner, wie ich schon jetzt wusste, richtigen Entscheidung.

Ich folgte der Auffahrt seitlich ums Haus und durch ein kleines Tor, das zu einer hoch ummauerten Pferdestallung führte. Der Ort sah nicht so aus, als ob er in den letzten Jahren Pferde beherbergt hätte, aber es gab eine Vielzahl kreuz und quer geparkter Fahrzeuge, dazu verschiedene Haufen mit Gerätschaften, einen uralten Kirschpflücker, ein paar Gartenmöbel und, beunruhigenderweise, einen Holzpranger. Das bunte Sammelsurium ließ vermuten, dass der Bereich noch immer genutzt wurde, aber als was, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht war es irgendeine Art Schrottplatz der Oberklasse, oder möglicherweise der Ort, an dem die Dinge, die einst die Grundlage für Mr. Connellys »durchgeknallten Ideen« gebildet hatten, ihre letzte Ruhe fanden.

Ein scharfes Klopfen am Beifahrerfenster brachte mich rasch zur Besinnung.

»Parken Sie gerne, wo immer Sie wollen«, ertönte die bellende Stimme eines Mannes. »Nur bitte nicht hinter dem Landrover.«

Ich parkte meinen kleinen Wagen so weit aus dem Weg, wie ich konnte, tauschte meine Pumps, die ich zum Fahren trug, gegen meine Manolos und strich mein dunkles Haar glatt, bereit, meinem neuen Arbeitgeber gegenüberzutreten.

»Hallo«, sagte ich und lächelte den Mann an, der, nach seinem fadenscheinigen Overall und den Gummistiefeln zu urteilen, offensichtlich doch nicht Angus Connelly war. Oder war er es vielleicht doch ? Nach dem, was die Damen im Kirschblütencafé gesagt hatten, war ich mir jetzt nicht mehr so sicher, wen ich erwarten sollte. »Ich bin Anna.«

»Ich weiß«, erwiderte der Mann, während er seine Pudelmütze abnahm, »und ich bin Mick. Ich bin hier der Hausmeister.«

Also nicht der Boss, aber trotzdem ein freundliches Gesicht.

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mick.«

»Ich bin auch der Gärtner«, ergänzte er.

»Ah, ja.«

»Und der Heimwerker.«

»Okay.«

»Und hin und wieder reinige ich auch einen Abfluss oder ziehe eine Wand hoch.«

»Verstehe.«

»Die Stellenbeschreibungen hier sind ein bisschen vage«, lachte er und rieb sich über sein stoppeliges Kinn, bevor er seine Mütze wieder aufsetzte. »Sie müssen im Grunde darauf vorbereitet sein, überall dort mit anzufassen, wo es gerade nötig ist.«

Ich lächelte. »Das ist kein Problem.« Ich war immer gern bereit, mich an alles anzupassen, was ein Job erforderte. »Aber danke für die Warnung.«

Ich schätzte Mick auf etwa Mitte sechzig, aber nach der Liste von Aufgaben zu urteilen, die er eben heruntergerasselt hatte, war er noch nicht ganz bereit, in Rente zu gehen.

»Sie werden die Verhältnisse hier am Anfang zweifellos etwas seltsam finden«, fuhr er fort, während er vortrat und sich an meinem Kofferraum zu schaffen machte, »aber geben Sie der Sache sechs Monate, dann werden Sie sich nichts mehr dabei denken.«

»Ich werde nur ein paar Wochen hier sein«, warf ich ein, während er begann, das Obst und Gemüse auszuladen. »Woher wussten Sie, dass ich dieses ganze Zeug mitbringen würde ?«

»Ein paar Wochen, ja ?«, meinte er augenzwinkernd.

»Ja.«

»Chris hat vorhin angerufen«, erklärte er, während er seine Aufmerksamkeit den Kisten und Tüten zuwandte. »Er hat Dorothy, der Köchin hier, gesagt, dass Sie unterwegs seien und dass er Sie über den langen Weg außen herum geschickt hätte. Wie waren die Straßen ?«

»Nicht allzu schlimm«, antwortete ich, während ich dachte, dass das alles hier, von der Lebensmittellieferung bis zur Telefonkette, die meine Ankunft angekündigt hatte, wirklich die seltsamste Einführung zu einem Ort war, die ich je erlebt hatte. »Stellenweise ein bisschen vereist.«

»Wäre weitaus schlimmer gewesen, wenn Sie über die Flussstraße gekommen wären«, meinte er düster. »Kommen Sie, lassen Sie uns reingehen.«

Über einen kleinen Innenhof und eine einladende Veranda, die ein Durcheinander aus Gummistiefeln, hingeworfenen Jacken und Regenschirmen beherbergte, gelangten wir schließlich zu einer weitläufigen Küche.

»Hallihallo !«, ertönte eine Stimme, sobald Mick und ich die Schwelle überschritten hatten. »Kommt herein und wärmt euch auf.«

Mit meinen Taschen kämpfend, stolperte ich über ein aufgeregtes schwarz-graues Fellknäuel, das sich als ein flauschiger kleiner Cockerspaniel namens Floss herausstellte, und schlängelte mich an Spülbecken, Geschirrschränken und verschiedenen vorsintflutlichen Geräten vorbei.

»Da sind Sie ja endlich, Liebes«, empfing mich ein Mann, der nur Angus sein konnte.

Ebenso breit wie groß, mit einem wuscheligen Schopf grauer Haare und breiten roten Hosenträgern, beeilte er sich, mir meine Taschen abzunehmen und sie beiseitezustellen, und lotste mich zu dem Platz neben dem Herd.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schön es ist, Sie endlich kennenzulernen«, strahlte er mit funkelnden Augen und glühenden Wangen. »Wir freuen uns ja alle so, dass Sie sich bereit erklärt haben zu kommen.«

Mein erster Eindruck war, dass ich gerade dem Weihnachtsmann gegenüberstand, und das Auftauchen einer zierlichen, weißhaarigen, älteren Weihnachtsfrau in einer mehlbestäubten Schürze verstärkte die Illusion nur noch.

»Sie sehen ja völlig durchgefroren aus«, meinte sie kopfschüttelnd und beeilte sich, den Wasserkocher zu füllen. »Ich mache Ihnen einen Tee – oder ziehen Sie Kaffee vor, Liebes ?«

»Ich bin Angus«, bestätigte der Mann meine Vermutung, bevor ich Zeit hatte, ihr zu antworten, »und das hier ist Dorothy, sie ist unsere treue …«

»Köchin«, warf ich mit einem wissenden Lächeln in Micks Richtung ein.

Dorothy stellte eine Tasse sowie einen Teller mit Vollkornschokoladenkeksen auf den Tisch.

»Ich hoffe, du hast mir wenigstens einen der Vanillecremekekse übrig gelassen, Mick Weaver«, schmollte eine junge Frau, die in diesem Moment geräuschvoll durch eine Tür am anderen Ende der Küche hereinmarschiert kam. Sie schleppte sich mit einem Staubsauger ab und schaffte es, damit beim Eintreten gegen beide Seiten des Türrahmens zu stoßen. Außerdem war sie in die engste Jeans gezwängt, die ich je gesehen hatte.

»Ich hatte noch keine Chance, irgendetwas zu essen«, gab Mick zurück, die Hände über den Kopf gehoben, als ergebe er sich. »Schon gar nicht die Vanillecremekekse, auf die du so versessen bist. Komm und sag Hallo zu Anna.«

»Freut mich, dich kennenzulernen, Anna«, begrüßte sie mich. Der Blick ihrer übertrieben stark geschminkten Augen schwenkte in meine Richtung, während sie breit lächelte und den Staubsauger scheppernd auf dem steingefliesten Boden abstellte. »Ich bin Hayley. Wynthorpe Halls Mädchen für alles.«

»… und ein verdammter Plagegeist«, zog Mick das Mädchen auf.

»An den meisten Tagen fuhrwerke ich hier ein bisschen mit dem Staubsauger herum«, erklärte sie, wobei sie Mick geflissentlich ignorierte. »Und hin und wieder schwinge ich auch schon mal den Staubwedel, aber nur, wenn mir danach ist. Aber ich lebe nicht hier.«

»Obwohl wir ein Zimmer für sie bereithalten, sollte sie es wollen«, sagte eine neue Stimme.

»Catherine.« Angus eilte an die Seite seiner Ehefrau. »Das hier ist Anna, meine Liebe.«

Größer als Dorothy und Hayley und schlank, mit vollem silbergrauem Haar, das aus einem lockeren Knoten entwich, war Catherine ungesehen in die Küche geschlüpft.

Mir fiel auf, dass sie keinen Gehstock benutzte und sich stattdessen elegant bewegte, ohne auch nur eine Spur von Unbehagen oder Unwohlsein. Für mich sah sie nicht so aus, als ob sie überhaupt Unterstützung benötigte. Dafür schien sie erstaunlich erfreut, mich zu sehen. Nachdem Angus am Telefon angedeutet hatte, sie würde sich ein wenig gegen die Idee sträuben, Hilfe in Anspruch zu nehmen, hatte ich von ihr eine weitaus kühlere Begrüßung erwartet.

Ich erhob mich verlegen, umrundete den Tisch und streckte die Hand aus.

»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Mrs. Connelly«, lächelte ich. »Wie Sie sicher wissen, hat Angus mich gebeten, hierherzukommen und ein paar Wochen zu bleiben, bis Sie sich vollständig von Ihrer Operation erholt haben.«

Sie ergriff meine Hand und schüttelte sie warmherzig, ohne den Blick von meinem Gesicht abzuwenden. Ich konnte nicht ergründen, was sie dachte, aber ich gab mir alle Mühe, nicht wegzusehen, während sie mich musterte.

»Natürlich«, nickte sie und sah schließlich mit einem Lächeln zu Angus hinüber.

Ich wurde nicht schlau aus dem Blick, den das Paar tauschte, aber irgendetwas wurde in diesem Moment eindeutig zwischen den beiden kommuniziert.

»Ich nehme es meinem Ehemann immer noch übel, dass er dachte, ich würde Hilfe benötigen, aber nachdem ich mit ihm über Ihre Bewerbung gesprochen habe, kann ich verstehen, warum er Sie ausgewählt hat. Und natürlich sind Sie hier aufs Herzlichste willkommen, Liebes, auch wenn Sie nur für solch kurze Zeit hier sein werden.«

Ein Anflug von Belustigung lag in ihrem Ton, als sei die Andeutung, ich würde bald wieder gehen, lachhaft. Und auch Hayley prustete los.

»Nur für ein paar Wochen«, schnaubte sie und verdrehte die Augen, während Dorothy der Hausherrin auf einen bequemen Stuhl half. »Wo habe ich das nur schon gehört ?«

»Und bitte nennen Sie mich Catherine. Und wollen wir uns nicht duzen ?«, schlug Mrs. Connelly – Catherine – vor. »Wir legen hier keinen Wert auf Förmlichkeiten.«

»Das stimmt allerdings«, pflichtete Mick bei, während er Hayley zwei Vanillecremekekse reichte und allen Tee einschenkte.

Ich sah mich in der riesigen, hohen Küche um, wo jede Oberfläche bis auf den letzten Zentimeter mit Papieren, Postkarten, Zeitschriften, Pflanzen und Kuriositäten bedeckt zu sein schien, und dann zu dem lächelnden Personal, das um den massiven Tisch offensichtlich als Familie zusammenkam, und ich fragte mich, worauf ich mich hier nur eingelassen hatte.

»Na dann komm«, sagte Hayley, sobald wir unseren Tee ausgetrunken hatten. »Ich bringe dich hoch zu deinem Zimmer, wenn du willst.«

Ich folgte ihr durch ein scheinbar nicht enden wollendes Labyrinth von Zimmern und Korridoren. Mehr als einmal blieb ich stehen, um ein interessantes Porträt oder Möbelstück zu bewundern, und wurde daraufhin fast von Hayley abgehängt.

»Mach dir keine Sorgen, dass du dich verlaufen könntest«, rief Hayley grinsend über die Schulter zurück, als ich mich beeilte, sie einzuholen. »Jeder braucht am Anfang eine Weile, um sich hier zurechtzufinden, aber am Ende hat es noch jeder geschafft.« Sie blieb stehen, um mich abschätzend anzusehen. »Obwohl ich mal vermute, du bist es gewohnt, dich in vornehmen Häusern wie diesem zurechtzufinden, habe ich recht ?«

»Irgendwie schon«, räumte ich ein, während ich ihr eine Wendeltreppe hoch und einen gewundenen Korridor entlang folgte, »aber ich glaube, ich war noch nie bei jemandem wie Catherine und Angus angestellt.«

Hayley grinste und zog ihre Jeans hoch.

»Natürlich nicht«, sagte sie. »Sie sind die Besten. Ich würde nirgendwo anders arbeiten wollen, nicht einmal für das doppelte Gehalt.«

»Und wie kommt es dann, dass du nicht hier lebst ?«, fragte ich. »Nach dem, was Catherine vorhin gesagt hat, nehme ich an, du wärst mehr als willkommen.«

Ich konnte nicht umhin zu denken, dass das Personal auf Wynthorpe Hall die bunteste Mischung von Charakteren war, die mir je begegnet war. Ich fragte mich, wo ich in diesem seltsamen, aber faszinierenden Haushalt hineinpassen würde.

»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Hayley und blieb dann abrupt vor einer massiven Eichentür stehen. »Wir sind da«, verkündete sie und riss die Tür auf.

»Oh shit !«

Die Worte waren raus, bevor ich mich bremsen konnte, und Hayley grinste. Ich ärgerte mich, dass mir mein höfliches Benehmen für einen Moment entgleist war, aber angesichts des Zimmers, das man mir zugewiesen hatte, war der Fauxpas kaum verwunderlich. Aber ich war trotzdem erleichtert, dass es Hayley und nicht Catherine oder Angus war, die mich hierher begleitet hatte. Vor dem Boss zu fluchen, war nichts, was ich je tun wollen würde, und schon gar nicht an meinem ersten Tag.

»Nicht wahr ?«, strahlte sie.

Meine Taschen standen bereits auf dem Bett, dem massiven Himmelbett, um genau zu sein. Dem mit den altmodischen, mit Teerosen gemusterten Vorhängen, passend zu den Fenstervorhängen und den Kissen auf dem kleinen Sofa, das vor einem knisternden Kaminfeuer stand.

»Angus hat veranlasst, dass wir dich hier unterbringen«, sagte Hayley. »Wir nenne es das ›Rosenzimmer‹. Aus naheliegenden Gründen. Er schien zu glauben, es könnte dir gefallen.«

Plötzliche Tränen traten mir in die Augen, und ich blinzelte sie wütend zurück. Das Rosenmuster hatte mich prompt in ein anderes Schlafzimmer zurückversetzt, nicht annähernd so prächtig, aber dennoch schmerzlich vertraut. Ich schauderte leicht. Wenn ich einen Hang zum Aberglauben hätte, würde ich behaupten, dass sich innerhalb der Mauern von Wynthorpe Hall irgendeine Art Magie abspielte.

Hayley stieß mich leicht mit dem Ellenbogen in die Seite. »Kein Grund, gleich in Tränen auszubrechen.«

Ich schüttelte den Kopf, sagte mir, dass es nur ein Zufall war, nichts weiter.

»Na ja, zumindest nicht, bis du einen Blick hier hineingeworfen hast«, ergänzte Hayley.

Sie zog mich in das En-suite-Badezimmer, das fast genauso groß wie das Schlafzimmer und mollig warm war. Die Badewanne war riesig, und daneben lagen Stapel mit weichen Handtüchern und wunderschön verpackte, zart nach Rosen duftende Jo-Malone-Seifen.

»Bist du sicher, dass das hier das richtige Zimmer ist ?«, fragte ich.

Das hier erinnerte mehr an ein Luxushotel als an Personalunterkünfte. Die meisten historischen Häuser, in denen ich gearbeitet hatte, waren zugig und heruntergekommen gewesen, nicht gemütlich und kuschelig, und man war eher Gefahr gelaufen, mit Frost an den Innenseiten der Fenster aufzuwachen als mit einem glimmenden Feuer im Kamin.

»Hundertprozentig.« Hayley ließ sich aufs Bett fallen und zog die Füße unter sich. »Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, hier werden alle gleich behandelt. Familie, Haustiere, Freunde und Angestellte, um jeden von uns wird sich gekümmert. Manche Teile des Gebäudes sind vielleicht ein bisschen verlottert, aber was Gastfreundschaft angeht, gibt es auf Wynthorpe Hall immer ein herzliches Willkommen.«

Ich glitt mit den Händen über die mit Rosen gemusterten Vorhänge und nickte, bemüht, den Schwall von Emotionen zurückzudrängen, von denen ich gedacht hatte, ich würde es inzwischen geschickt verstehen, sie unter Verschluss zu halten.

»Also, wie sehen die Pläne für morgen Abend aus ?«, fragte Angus beim Abendessen.

Ich saß gespannt da, während er Teller mit einem herzhaften Eintopf und Klößen füllte und anschließend an Dorothy weiterreichte, die dann so viel Gemüse darauf häufte, wie der Teller fassen konnte. Chris Dempster hatte recht damit gehabt, dass sie gern sicherstellte, dass die Truppen gut genährt waren.

»Werden wir den Wagen und den Landrover nehmen oder nur den Wagen und zweimal fahren ?«

»Ich denke, es wäre sinnvoller, beide zu nehmen«, meinte Mick. »Dann können wir Hayley mitnehmen und getrennt zurückfahren, falls wir nicht alle zur selben Zeit nach Hause wollen.«

Mick hatte Hayley für den Abend bereits zurück nach Wynbridge gefahren. Normalerweise, hatte sie erklärt, während sie mir eifrig half, meine Taschen auszupacken, und dabei heimlich meine kostbaren Schuhe anprobierte, fuhr sie mit dem Fahrrad nach Wynthorpe Hall und zurück, aber jetzt, wo die Straßen so heimtückisch waren, übernahmen Mick und Angus es abwechselnd, sie zu fahren. Ich nahm mir vor, anzubieten, sie ebenfalls zu fahren, sollte ich gebraucht werden.

»Wundervoll, so machen wir’s«, pflichtete Angus bei. »Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich schon darauf freue, vor allem jetzt, wo Ruby und Steve wieder in der Stadt sind.«

»Worum geht es überhaupt ?«, flüsterte ich Dorothy zu, während ich den ersten Bissen kostete, der mir auf der Zunge zerging und mich verlockte, gleich noch einen Happen zu nehmen.

»Das Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung«, erklärte Angus, seine Augen leuchtend vor kindlicher Aufregung. »Das findet morgen Abend in Wynbridge statt, und das junge Paar, das es organisiert, war vor ein paar Jahren dafür verantwortlich, den Markt wiederzubeleben.«

»Na ja, das war eigentlich hauptsächlich Rubys Verdienst«, warf Dorothy ein.

»Na ja, gut, du hast recht«, überlegte Angus. »Jedenfalls, Ruby und ihre bessere Hälfte, Steve …«

»Chris Dempsters Sohn«, fügte Dorothy in meine Richtung hinzu.

»… waren auf Weltreise.«

»Nicht unähnlich unserem Jamie«, warf Dorothy ein.

»Aber sie haben es eben noch rechtzeitig zurück nach Hause geschafft, um in Wynbridge den Startschuss für Weihnachten zu geben.«

»Anders als Jamie, leider«, seufzte Catherine.

»Und alle sind schon so gespannt darauf, sie wiederzusehen.«

»Wer ist denn Jamie ?«, fragte ich, bemüht, die Namen und Informationen zu verarbeiten, mit denen ich eben bombardiert worden war.

»Unser Jüngster«, erklärte Angus. »Er ist jetzt seit ein paar Monaten fort von zu Hause.«

»Um genau zu sein, ist es eher ein Jahr«, korrigierte ihn Catherine.

Ich hatte den Eindruck, dass sie ihren Sohn vermisste, und obwohl ich gern mehr über ihn erfahren wollte, hatte ich das Gefühl, dass es mir nicht zustand, danach zu fragen, vor allem da ich buchstäblich eben erst angekommen war.

»Also«, lenkte Mick die allgemeine Aufmerksamkeit zum Glück wieder auf die vor uns liegende Angelegenheit, »dann fahren wir alle zusammen.«

Auf einmal wurde mir bewusst, dass ich in diesen weihnachtlichen Ausflug in die Stadt einbezogen wurde.

»Das ist das Einzige, wovon jeder seit Wochen reden kann«, sagte Catherine, deren Begeisterung für das Ereignis wieder zunahm, jetzt, wo sich das Gespräch von ihrem derzeit leeren Nest abwandte.

»Und es wird sogar eine noch größere Feier sein als sonst«, sagte Mick, während er mit einem Augenzwinkern zu Angus hinübersah. »Denn es geht das Gerücht um, dass der Weihnachtsmann dieses Jahr etwas früher in Wynbridge vorbeischauen wird.«

Ich schluckte schwer und starrte auf meinen Teller, während mir meine Pläne, ein ruhiges Weihnachten mitten im Nirgendwo zu verbringen, immer weiter zu entgleiten schienen. Nach dem, was ich in der Stadt bereits mit eigenen Augen gesehen hatte, würde ich, wenn ich jetzt nicht die Bremse zog, spätestens morgen um diese Zeit bis zum Hals in Weihnachtsglasur stecken. Ich schauderte bei dem Gedanken. »Würde es euch allen etwas ausmachen, wenn ich nicht mitkäme ?«, platzte ich heraus.

Die vier verfielen in Schweigen und sahen mich erstaunt an.

»Es ist nur so, ich habe für Menschenmengen nicht viel übrig«, ergänzte ich rasch. »Und wenn ich nicht mitkomme, braucht ihr auch nur einen Wagen zu nehmen.«

»Aber wenn du nicht hingehst«, meinte Dorothy mit geknickter Miene, »kann Catherine auch nicht hingehen.«

Ich sah von ihr zu Catherine.

»Schon gut«, meinte diese. Ihre Miene ließ vermuten, dass sie mein Zögern irgendwie spürte, auch wenn sie den Grund dafür nicht kannte, und ich war dankbar für ihre Freundlichkeit und Rücksichtnahme. Für ungefähr dreißig Sekunden.

»Vermutlich wäre es sowieso zu viel für mich«, fuhr sie fort, bemüht, den Grund für ihren Verzicht zu rechtfertigen. »Schließlich habe ich nur hier zu Hause herumgewerkelt, seit ich aus dem Krankenhaus zurück bin, und Anna hat recht, es wird ein Riesengedränge sein.«

»Ich könnte auf dich aufpassen«, schlug Mick vor.

»Aber du wirst für das Schwein am Spieß zuständig sein«, rief Catherine ihm in Erinnerung. »Und Dorothy«, fuhr sie fort, bevor die ältere Dame die Chance hatte, den Mund aufzumachen, »du wirst mit dem Fraueninstitut alle Hände voll zu tun haben.«

Ich fühlte mich fürchterlich mit dem Wissen, dass sie durch mein Verschulden den ganzen Spaß verpassen würde. Das war wohl kaum der gute erste Eindruck, den ich gehofft hatte zu machen.

»Aber was ist mit dir, Angus ?«, schlug ich vor, in der Hoffnung, dass er in die Bresche springen könnte.

»Ho, ho, ho«, sagte er nur und zuckte die Schultern.

Offensichtlich hatte er seine eigenen wichtigen Verpflichtungen, denen er nachkommen musste.

»Oh, okay, na schön.« Ich schluckte und setzte ein Lächeln auf, in dem Wissen, dass ich im Grunde keine andere Wahl hatte. »In dem Fall …«

Kapitel 3

Selbst nach dem stundenlangen Einweichen in der riesigen, schaumgefüllten Wanne fand ich an jenem Abend keinen Schlaf. Es war nicht ungewöhnlich für mich, dass ich an meinem ersten Abend in einem neuen Bett nicht einschlafen konnte, aber an diesem Abend hatte ich verdammt viel mehr, worüber ich nachgrübeln musste, als die Festigkeit der Matratze und die etwas beunruhigende Vertrautheit des allgegenwärtigen Rosenmusters.

Diese ganze Situation auf Wynthorpe Hall war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich hatte noch nie an einem Ort gearbeitet, wo die Familie und das Personal Seite an Seite zusammenlebten wie ein einziger großer, glücklicher Clan. In meiner Eigenschaft als Kindermädchen hatte ich gelegentlich Mahlzeiten mit meinen Arbeitgebern eingenommen, aber in den meisten Fällen wurde dabei von mir erwartet, die unbändigen Kinder, für die ich zuständig war, in Schach zu halten, nicht um am Ende eines langen Tages bei einem Glas Wein Neuigkeiten auszutauschen.

Und ganz abgesehen von dem Versuch, mit dem potenziell klaustrophobischen Gefühl von Familie klarzukommen, was ich absolut nicht gewohnt war, gab es jetzt auch noch das große Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung von Wynbridge, mit dem ich mich auseinandersetzen musste.

So viel zu ein paar ruhigen Wochen auf dem Land.

Früh am nächsten Morgen ging ich den Inhalt meines Kleiderschranks durch, und mit Blick auf was alle anderen am Tag zuvor getragen hatten, kam ich zu dem Schluss, dass ich meinen etwas unpraktischen Rock gegen eine elegante Hose, Stiefel und einen warmen Pullover und Schal tauschen sollte.

Als ich zum Frühstück herunterkam, war der Tisch bereits gedeckt.

»Willst du ein gekochtes Ei oder zwei zum Frühstück ?«, fragte Dorothy von ihrer Station vor dem Herd.

»Keine Eier für mich, Dorothy«, sagte ich, während ich zum Müsli griff, »aber trotzdem danke.«

»Dann vielleicht ein paar Scheiben Toast mit Honig ?«, schlug sie vor, während sie einen Laib aus dem altmodischen Brotkasten hervorholte. »Das ist Vollkorn, selbst gebacken.«

»Na schön«, knickte ich ein, »aber bitte, ich kann ihn mir selbst machen.«

Dorothy schüttelte den Kopf.

»Ich mache und serviere das Frühstück«, beharrte sie. »Und ihr anderen kümmert euch um den Abwasch, während ich mit Floss eine Runde im Garten gehe.«

Dagegen war nichts zu sagen.

»Meinst du, Catherine und Angus hätten etwas dagegen, wenn ich morgens auf dem Gelände joggen gehe ?«, fragte ich.

»Joggen ?«

»Ja, ich laufe gern ein paar Kilometer, bevor der Tag beginnt«, erklärte ich. »Meinst du, sie hätten etwas dagegen ?«

»Sicherlich nicht«, meinte sie schulterzuckend. »Oh, pass auf«, sie legte den Kopf auf die Seite, um zu lauschen, während die Hintertür aufging und dann zugeschlagen wurde. »Gleich geht’s los. Mach dich bereit, Liebes, hier kommt der Nordwind.«

Mit einem lauten »Morgen« rauschte Hayley in die Küche, einen gefühlt arktischen Windstoß mit sich bringend. »Anna, du siehst ja völlig …«

»Vorsicht«, warnte Mick, der hinter ihr hereingestapft war.

»Na ja«, meinte sie, die dunklen Ringe unter meinen Augen musternd, bevor sie wieder loslegte. »Du siehst völlig fertig aus. Hast du nicht geschlafen ? Und was ist das für eine Geschichte, dass du heute Abend nicht mit zum Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung kommen willst ?«

Für jemanden, der mich noch nicht einmal einen Tag kannte, nahm sie auf jeden Fall kein Blatt vor den Mund. Takt, nahm ich an, war ein unbekanntes Konzept für jemanden, der so geradeheraus war wie Hayley.

Dorothy warf Mick hinter ihrem Rücken einen Blick zu, und er zuckte die Schultern und formte mit seinen Lippen ein lautloses »Tut mir leid«.

»Guten Morgen, Hayley«, sagte ich. »Nein, ich habe nicht besonders gut geschlafen, aber das tue ich in einem neuen Bett selten. Und keine Sorge, ich komme heute mit zum Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung.«

»Na dann ist ja alles gut«, meinte sie, streckte einen Arm über den Tisch aus und schnappte sich die zwei Scheiben Toast, die ich eben leicht gebuttert hatte. »Was sollte dann das ganze Getue, Mick ?«

»Es gab kein Getue«, antwortete er entnervt. »Wirklich, Anna, ich habe nur gesagt, dass du zuerst einmal keine Lust hattest, mit in die Stadt zu kommen.«

Mir wurde bewusst, dass ich mich in Hayleys Nähe würde vorsehen müssen. Ich hatte den Eindruck, dass sie in null Komma nichts Geheimnisse aus anderen Leuten herauskitzeln konnte, und ich hatte absolut nicht die Absicht, irgendjemanden wissen zu lassen, warum ich vorhatte, das x-te Jahr in Folge Weihnachten durchzuarbeiten.

Nachdem sie ein Frühstückstablett vorbereitet hatte, das ich Catherine bringen sollte, ging Dorothy mit Floss in den Garten, und Hayley machte sich daran, den restlichen Abwasch zu erledigen und ihre Mammutaufgabe, das ganze Haus zu staubsaugen, in Angriff zu nehmen. Von Angus war weit und breit keine Spur zu sehen.

Ich griff nach dem Tablett und klopfte kurz darauf leise an die Tür zum passend betitelten Frühstückszimmer und ging rückwärts hinein, um nicht mit dem Tablett anzustoßen. Catherine saß an einem Schreibtisch am Fenster und starrte wie gebannt auf ein großes Foto in einem silbernen Rahmen.

»Ach du liebe Güte«, entfuhr es ihr, als sie sah, was ich in den Händen trug. »Das ist ja ein Luxus ! Normalerweise frühstücken wir alle zusammen in der Küche, aber offenbar habe ich heute Morgen die Zeit vergessen. Das sieht ja alles köstlich aus«, ergänzte sie mit einem Blick auf das sorgfältig hergerichtete Tablett. »Sehr Downton-Abbey-mäßig.«

»Das war Dorothys Idee«, erklärte ich. »Soll ich dir Tee einschenken ?«

»Ja, bitte«, sagte sie, »aber schenk gleich zwei Tassen ein. Du wirst mir doch Gesellschaft leisten, oder, Anna ?«

Ihr Vorschlag war ein weiterer Hinweis auf den ungewöhnlichen Charakter des Connelly-Haushalts. Das Frühstückstablett war vielleicht Downton Abbey, aber die entspannte Einstellung war eindeutig Wynthorpe Hall.

»Gern«, stimmte ich zu. »Danke. Dann können wir vielleicht durchgehen, wobei genau ich dir helfen soll, während ich hier bin.«

»Ach, das hat keine Eile.« Sie tat die Idee mit einer Handbewegung ab. »Ich bin sicher, früher oder später wird uns schon irgendetwas für dich einfallen.«

Allmählich begann ich mich zu fragen, ob ich für meinen Lebensunterhalt auf Wynthorpe Hall überhaupt würde arbeiten müssen.

Sobald Catherine es bequem hatte und ich uns beiden Tee eingeschenkt hatte, setzte ich mich mit meiner Tasse auf die Kante des Sofas gegenüber.

»Und, was hältst du von unseren drei Jungen ?«, fragte sie mit einem Nicken in Richtung des Fotos, das ihre Aufmerksamkeit gefesselt hatte, als ich hereinkam. »Sie sind ein gut aussehendes Trio, findest du nicht ? Oder ist das nur die voreingenommene, liebende Mutter, die da aus mir spricht ?«

Ich stellte meinen Tee ab und trat an den Schreibtisch. Die drei Connelly-Brüder sahen lachend zu mir hoch. Sie waren auf jeden Fall alle gut aussehend, die perfekte Kombination aus Angus’ schelmischer Persönlichkeit und Catherines vornehmen Zügen, aber wohl kaum noch als Jungen zu bezeichnen. Die drei waren alle irgendwo in den Dreißigern, vielleicht sogar Vierzigern.

»Das dort rechts ist Christopher«, erklärte Catherine. »Er ist unser Ältester, und mit Abstand der vernünftigste, inzwischen verheiratet und selbst Vater von zwei Söhnen. Er hat in diesem Sommer seinen Vierzigsten gefeiert. Und das links ist Jamie.«

»Jamie ist der, der auf Reisen ist, richtig ?«, fragte ich, während ich das Meer von Sommersprossen und die lässig gestylten Haare betrachtete. Er war sehr gut aussehend, und während ich seine Augen ansah, wünschte ich unwillkürlich, das Foto wäre in Farbe, nicht in Schwarz-Weiß.

»So ist es«, bestätigte Catherine, und ein Anflug von Melancholie schlich sich in ihren Ton. »Ich hatte eigentlich gehofft, er würde inzwischen wieder zu Hause sein, aber …«

Ihre Stimme brach ab, und ich warf verstohlen einen Blick in ihre Richtung. Genau wie am Abend zuvor, als wir in der Küche gegessen hatten und das Gespräch sich ihrem abwesenden Sohn zugewandt hatte, blickte sie auf einmal unglaublich traurig drein.

»Und das da ist Archie«, sagte sie und wies mit einem Nicken wieder auf das Foto. »Er ist unser mittlerer. Er lebt und arbeitet zurzeit in London.«

Sie seufzte, fügte aber nichts weiter hinzu, und ich hatte den deutlichen Eindruck, dass hinter der Beziehung der drei Brüder auf jeden Fall mehr steckte, als das Foto verriet. Nach dem bisschen, was ich aus eigener Erfahrung über Familienleben wusste, war es in meinen Augen unabhängig vom Wohnort oder vom sozialen Stand im Allgemeinen kompliziert, gelegentlich sogar furchtbar schmerzhaft, und ich persönlich fühlte mich in diesem Moment gesegnet, nicht damit belastet zu sein.

Während Catherine ihr Frühstück beendete, saßen wir beide schweigend da, jede in ihre eigenen Gedanken verloren.

Später spazierten wir gemächlich durch die Gärten, wobei wir von Zeit zu Zeit innehielten, um die feurigen Skelette der Hartriegel in all ihrer winterlichen Pracht zu bewundern und zuzusehen, wie sich die Amseln um die letzten glänzenden roten Feuerdornbeeren kabbelten. Der Nebel hatte sich endlich zu lichten begonnen und man konnte den schwachen Umriss der Sonne gerade so erkennen, aber es war noch immer bitterkalt.

»Lass uns zur Laube im Farngarten gehen und uns setzen«, schlug Catherine vor, die von der frischen Luft und dem Vogelgezwitscher deutlich gestärkt schien. »Wir können bei der Gelegenheit schauen, wie der Nieswurz sich macht.«

Als wir in dem kleinen Häuschen am anderen Ende des derzeit schlummernden Farngartens saßen, war Catherine dankbar für die Decke und die Thermoskanne, die ich mitgebracht hatte.

»Also«, begann sie in einem besorgten Ton. »Was diesen Ausflug in die Stadt heute Abend angeht, Anna. Wenn du wirklich nicht mitkommen willst, macht es mir nichts aus.«

»Nein«, flunkerte ich, »schon gut, ehrlich. Ich habe überhaupt nichts dagegen. Gestern Abend war ich einfach müde von der Anreise und ich dachte nicht, dass ich Lust dazu haben würde, aber heute fühle ich mich schon viel besser.«

»Aber du hast doch gesagt, du wolltest nicht hingehen, weil du keine Menschenmengen magst«, meinte Catherine stirnrunzelnd. »Und ich würde dich in keine Situation bringen wollen, in der du dich unwohl fühlst.«

Meine Mum hatte recht gehabt – man sollte niemals lügen. Jetzt hatte ich nicht nur ein schlechtes Gewissen, weil ich gelogen hatte, ich hatte außerdem jemand anders das Gefühl gegeben, dafür verantwortlich zu sein, dass ich in eine unangenehme Lage gebracht wurde, was überhaupt nicht stimmte. Meine Abneigung galt allem, was mit Weihnachten zu tun hatte – Weihnachtsbäume waren ein Albtraum, Weihnachtslieder klangen wie die Hölle auf Erden, und Weihnachtsbeleuchtungen waren aufreibend fröhlich –, aber mit Menschenmengen kam ich klar.

»Ich schaffe das schon«, beharrte ich, etwas betrübt darüber, dass mein überwältigendes Bedürfnis, mich von allem Weihnachtlichen fernzuhalten, mich schon jetzt bei einem Job in die Bredouille gebracht hatte, bei dem ich nicht eine Sekunde gedacht hatte, es würde je ein Problem sein.

»Na ja, wenn du dir wirklich sicher bist ?«, fragte Catherine zweifelnd.

»Versprochen«, sagte ich, während ich mir in meiner Jackentasche die Daumen drückte, »aber wie wär’s, wenn wir zusätzlich zum Landrover meinen Wagen nehmen anstatt den von Angus ? Auf diese Weise können wir, falls du müde wirst oder ich wieder zu schwächeln beginne, zusammen zurückfahren, ohne allen anderen zur Last zu fallen.«

»Das klingt nach einer wundervollen Idee«, pflichtete sie mir bei. »Eine Win-win-Situation für alle.«

Nicht ganz, dachte ich, aber ich würde mein Bestes tun, um es so aussehen zu lassen.

Während ich an jenem Abend Arm in Arm mit Catherine durch die lebhafte kleine Marktstadt Wynbridge schlenderte, musste ich mir eingestehen, dass es ein Jammer war, dass jeder Schicksalsschlag, den das Leben mir je ausgeteilt hatte, immer genau zu dieser Jahreszeit gekommen war, denn das Einschalten der Weihnachtsbeleuchtung wäre das perfekte Ereignis gewesen, um in Weihnachtsstimmung zu kommen.

Die Stadt war erfüllt von lächelnden Familien, aufgeregten Kindern, entzückenden selbst gebastelten Geschenken (viele davon, wie ich erfuhr, das Handwerk von Lizzie vom Kirschblütencafé) und verlockenden Düften. Die Sternsinger sangen im perfekten Einklang, die Lebkuchenfamilien waren mit einem zauberhaften Zuckerguss überzogen, und selbst die Wolken hatten sich gelichtet, um dem Feuerwerk einen himmlischen Hintergrund zu verleihen.

Es war ein schwerer Schlag, mir einzugestehen, dass mein Schmerz und meine Verbitterung gegenüber der Weihnachtszeit zum ersten Mal überhaupt von Traurigkeit darüber getrübt wurden, dass ich mich nicht wirklich darauf einlassen konnte.

»Geht es dir gut ?«, fragte Catherine, als ich einmal tief ausatmete in dem Versuch, meine Nerven zu beruhigen.

Ich riss mich aus meiner Tagträumerei, in dem Wissen, dass es genau genommen mein Job war, ihr diese Frage zu stellen.

»Ja«, antwortete ich und setzte wieder mein fröhliches Lächeln auf. »Es geht mir gut. Bin nur immer noch ein bisschen schockiert von dem Anblick, wie Angus mit seinem Schlitten in einem solchen Tempo diese Runde um den Platz gedreht hat.«

Angus hatte es sichtlich genossen, die Rolle des fröhlichen Weihnachtsmanns zu spielen, und die Kinder, an die er die Geschenke verteilt hatte, waren restlos überzeugt von seiner Authentizität gewesen.

»Er war richtig gut, was ?«, lachte Catherine. »Sogar noch besser als letztes Mal, glaube ich.«

»Das heißt, das hier war nicht sein erster Auftritt ?«

»Ach nein, und es wird auch nicht sein letzter gewesen sein. Ganz zu Anfang hat Steve einmal die Rolle übernommen, als man feststellte, dass der damalige Weihnachtsmann dem Rum zu sehr zugetan war, aber jetzt gehört diese Rolle Angus, und ich würde mich überhaupt nicht wundern, wenn er diesen Schlitten für Wynthorpe Hall beschlagnahmen würde.«

Sie klang ernsthaft besorgt, aber ich konnte nicht umhin zu denken, dass der Schlitten dann vermutlich über kurz oder lang ebenfalls im Stallhof enden würde, zusammen mit all dem anderen Krempel, der im Laufe der Jahre für kurze Zeit Angus’ Aufmerksamkeit gefesselt hatte.

»Oh, sieh mal«, riss Catherine mich aus meinen Gedanken, »da ist Ruby. Ruby !«

»Hallo !«, rief ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen, einen jungen Mann im Schlepptau.

»Ich freue mich ja so, dich zu sehen«, strahlte Catherine und zog sie zu einer Umarmung an sich. »Und dich, Steve. Erzählt schon, wie war die Weltreise ? !«

»Berauschend«, lachte Ruby, im selben Moment, in dem Steve »Bezaubernd«, sagte. Die beiden lächelten sich mit unverhohlener Liebe an.

»Aber Jamie hat dir das alles doch sicher schon berichtet ?«, meinte Ruby mit einem Blick über ihre Schulter, als erwartete sie, dass der Mann selbst jeden Moment auftauchte.

»Nein«, seufzte Catherine, und ihr Lächeln schwand unversehens. »Er ist noch nicht nach Hause gekommen.«

»Oh.« Ruby schien verblüfft. »Als ich vor ein paar Monaten mit Mum über ihn gesprochen habe, hatte ich den Eindruck, dass er lange vor dem Winter wieder zurück auf Wynthorpe sein würde.«

»Na ja, das haben wir eine Zeit lang auch gedacht«, meinte Catherine bedrückt, und meine Neugier bezüglich des Grunds hinter Jamies verlängerter Abwesenheit war jetzt gründlich geweckt. »Wie auch immer«, fuhr sie dann, an mich gewandt, fort. »Anna, bitte entschuldige meine schockierenden Manieren. Ruby und Steve, ich möchte euch gern mit dem neuesten Mitglied des Wynthorpe-Teams bekannt machen. Das hier ist Anna. Sie ist erst gestern angekommen, aber sie ist schon jetzt ein Teil der Familie.«

»Hallo, Anna«, sagten die beiden einstimmig.

»Hallo«, lächelte ich zurück, geschmeichelt, als Familie bezeichnet zu werden.

»Und«, fragte Steve, »wie lange hast du vor, auf Wynthorpe Hall zu bleiben ?«

»Ehrlich gesagt, nur ein paar Wochen«, erklärte ich. »Mitte Januar werde ich schon wieder woanders sein.«

»Das sagen sie alle, stimmt’s ?«, sagte er lachend, womit er mich an die Kommentare erinnerte, die Mick und Hayley am Tag zuvor gemacht hatten.

Catherine nickte, widersprach ihm aber nicht.

»Ich weiß ja nicht, wie es euch geht«, sagte sie stattdessen, »aber ich finde, es wird langsam viel zu kalt, um hier draußen herumzustehen. Ich denke, wir sollten uns ein gemütliches Plätzchen im Mermaid suchen.«

»Klingt gut«, stimmten ihr die beiden zu, und ich nickte ebenfalls.

Der Pub war warm, gut besucht und, zumindest für mich, eine willkommene Zuflucht vor den Weihnachtsliedern und dem Trubel auf dem Marktplatz. Der köstliche Apfelpunsch, erhitzt und mit einer Prise Zimt gewürzt, vertrieb die Kälte rasch, und binnen weniger Minuten saß der ganze Wynthorpe-Clan, zusammen mit Ruby und Steve, um das Kaminfeuer versammelt und verglich die Ausbeute vom Markt.

»Die hier habe ich am Kirschblütenstand gefunden«, verkündete Dorothy und hielt zwei entzückende Wimpelketten hoch, die aus weihnachtlichen Stoffresten gemacht waren. »Ich dachte, sie würden sich in der Küche gut machen, über dem Herd vielleicht ?«

»Und die hier«, warf Hayley ein, während sie zwei etwas zu dick ausgestopfte Filz-Rotkehlchen und ein paar Zellophantüten mit Fudge hervorholte, »sind vom Stand der Grundschule. Nicht dass ich damit rechne, dass das Fudge den ersten Dezember erleben wird, geschweige denn Heiligabend !«

Als jeder seine Funde präsentiert hatte, richteten sich aller Augen auf mich.

»Hast du gar nichts gekauft ?«, fragte Hayley stirnrunzelnd, während sie auf die leere Stelle neben meinen Füßen sah.

»Nein.« Meine Stimme blieb mir in der Kehle stecken, und lästige Tränen traten mir aus heiterem Himmel in die Augen. »Heute nicht.«

Ich versuchte, entspannt zu blicken, entschlossen, die Tatsache herunterzuspielen.

»Wynbridge ist der ideale Ort, um regional hergestellte Geschenke zu kaufen«, sagte Dorothy. »Wir haben hier in der Stadt so viele talentierte Kunsthandwerker, weißt du.«

»Nicht eine Sache ?«, hakte Hayley hartnäckig nach.

»Nein«, sagte ich noch einmal, während ich mich tiefer in die Sofakissen sinken ließ, in der Hoffnung, von ihnen verschluckt zu werden.

»Hast du denn niemanden, für den du Geschenke kaufen musst ?«

Ich setzte mich wieder auf. »Ich denke, das geht dich wohl kaum etwas an, oder ?«, fauchte ich Hayley an.

Ich schüttelte den Kopf, hasste mich selbst dafür, dass ich die Beherrschung verloren hatte. Es sah mir absolut nicht ähnlich, und die arme Hayley blickte zutiefst beschämt. Ich glaube, sie war ebenso schockiert von meinem Ausbruch wie ich.

»Es tut mir so leid,« entschuldigte ich mich rasch, während sie und Dorothy einen Blick tauschten. »Ich wollte dich nicht anschnauzen.«

Catherine richtete sich etwas höher auf und heftete den Blick auf ihre jüngste Angestellte.

»Ich bin sicher, dass Anna rundum gut organisiert ist, Hayley«, erklärte sie in einem fast strengen Ton. »Sie hat ihre Weihnachtseinkäufe zweifellos bereits alle erledigt. Stimmt’s, Liebes ?«

»Ja«, log ich, dankbar für ihre Hilfe. »Ich habe alles schon besorgt.«

»Na, dann ist ja alles gut.« Hayley zuckte mit den Schultern. »Ich dachte eben schon, ich wäre ins Fettnäpfchen getreten. Dass du dich als totale Einzelgängerin entpuppst. Also, wer will noch einen Apfelpunsch ?«

Kapitel 4

Es war ein Riesenglück, dass Mick, anders als der Rest von uns, entschieden hatte, keinen Tropfen Apfelpunsch anzurühren, da sich das Gebräu als weitaus berauschender erwies, als mir anfangs bewusst gewesen war. Als es Zeit zum Aufbruch war, wunderte ich mich, dass ich, obwohl ich mich verglichen mit manch anderen sehr zurückgehalten hatte, ein bisschen schwankte, und es war ausgeschlossen, dass ich selbst zurück nach Wynthorpe Hall fahren würde. Mick bot an, mich mitzunehmen und am nächsten Tag mit mir zurückzukommen, um meinen Wagen zu holen. Er hatte Catherine, Angus und Dorothy bereits vor einer Weile mit dem Landrover zurückgefahren, genug Platz gab es also.

»Weißt du was«, sagte ich zu Hayley, als wir losfuhren, um sie nach Hause zu bringen.

»Was denn ?« Sie sah nüchtern zu mir herüber, und ich staunte über die Tatsache, dass sie dreimal so viel getrunken hatte wie ich, aber nicht im Geringsten beschwipst zu sein schien.

»Du hattest wirklich recht.«

»Womit ?«

»Damit, dass ich eine totale Einzelgängerin bin«, sagte ich, meine übliche Abneigung dagegen, über mich selbst zu reden, gedämpft von den Folgen der zwei köstlichen kleinen Gläser Skylark Scrumpy.

»Natürlich bist du das«, witzelte sie, bevor sie schallend loslachte.

Ich starrte sie mit offenem Mund an, aufrichtig entsetzt darüber, dass sie meine mutige Erklärung, und erst recht meine alkoholbedingte Verzweiflung, so amüsant fand.

»Deswegen bist du doch auf Wynthorpe Hall gelandet, Liebes«, sagte Mick leise.

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. »Was ?«

»Als Angus die Bewerbungen für den Job durchgesehen hat …«, begann Hayley.

»Hayley«, warnte Mick, aber sie redete einfach weiter.

»Deine war die einzige, die nicht ausdrücklich erklärte, dass du am Weihnachtstag nicht arbeiten können würdest. Alle anderen schrieben, sie würden am Fünfundzwanzigsten nicht zur Verfügung stehen, da sie den Tag mit ihren Familien verbringen würden, nur du nicht.«

»Nicht dass er irgendeine Bewerbung je im Detail mit uns besprechen würde«, meinte Mick abwehrend.

»Na ja, nein«, lenkte Hayley ein, die leicht errötete, als ihr schließlich klar wurde, was genau sie da andeutete. »Er hat sie eher nebenbei erwähnt, aber deine stach offenbar hervor. Und er wusste es.«

»Wusste was ?«, schniefte ich.

»Dass er die richtige Person für den Job gefunden hatte.«

»Wie, weil ich so einsam, ungeliebt und ungewollt ausgesehen habe ?«

Selbst in meinem beschwipsten Zustand fühlte ich mich nicht besonders wohl bei der Vorstellung, dass es mein trauriger, freundloser Einsiedler-Status war, der mir den Job verschafft hatte, nicht meine reichen Erfahrungen und glänzenden Referenzen.

»Genau.« Hayley beugte sich herüber, um mein Knie zu tätscheln, während sie sich losschnallte. »Er hatte das Gefühl, du und deine Mikrowellen-Singlemahlzeit-Soloexistenz seien das fehlende Glied in der Wynthorpe-Kette, und ich glaube, da hatte er recht. Wir sehen uns am Montag, Mick«, rief sie, während sie aus dem Wagen sprang. »Und Kopf hoch, Anna«, ergänzte sie. »Es gibt schlimmere Orte, an denen du hättest landen können.«

Am Sonntagmorgen hatte ich nicht einmal den Anflug eines Katers und war noch vor dem Weckerklingeln aus dem Bett. In der Küche schlüpfte ich in meine Joggingschuhe, fuhr meinen Fitness-Tracker hoch und überredete Floss, mich auf eine Runde über das Gelände zu begleiten, bevor der Rest der Welt erwachte.

Ich dachte über ein paar Gesprächsfetzen vom Abend zuvor nach, während ich mich auflockerte und dann loslief. Meine Füße hämmerten über die vereisten Wege, und Floss hechelte, noch bevor wir den Garten überhaupt erreicht hatten.

Es begann eben, hell zu werden, als ich rund vierzig Minuten später wieder an der Verandatür ankam, und ich sah belustigt zu, wie der kleine Hund, der praktisch die ganze Zeit jammernd hinter mir hergehechelt war, einen letzten Energieschub verspürte, als er den salzigen Geruch von Frühstücksspeck wahrnahm, der durch ein offenes Fenster in den Äther hinausdrang.

»Großer Gott !«, kreischte Dorothy, als ich die Hintertür mit vielleicht etwas mehr Wucht als nötig schloss. »Wo in aller Welt kommst du denn jetzt her ?«

»Ich war laufen«, keuchte ich, während ich meine Joggingschuhe auszog und Floss’ Wassernapf füllte.

»Du hast mich halb zu Tode erschreckt«, meinte sie vorwurfsvoll, aber ich war schon halb zur Tür heraus in freudiger Erwartung einer heißen Dusche.

»Auch wenn wir am Sonntag alle einen Tag freihaben«, erklärte Dorothy, als wir uns später zum Sonntagsbraten hinsetzten, »essen wir gern alle zusammen, wenn wir nicht irgendwo anders sein müssen. Auf die Weise können wir auch gleich alle Pläne für die darauffolgende Woche besprechen.«

Das klang für mich nach einer entzückenden Idee, und die Tatsache, dass das Roastbeef von meiner Leibspeise – dicken Scheiben Yorkshire-Pudding – begleitet wurde, machte es nur umso verlockender.

Ich begann außerdem, mich weitaus schneller einzuleben, als ich je für möglich gehalten hätte. Wynthorpe Hall hatte eine magische Art, einem ein Gefühl von Zuhause zu geben, vom ersten Moment an, in dem man über seine Schwelle trat.

»Und sobald der Abwasch erledigt ist«, sagte Mick, während er nach dem Meerrettich griff, »fahren wir los und holen deinen Wagen, Anna.«

»Danke, Mick«, sagte ich und wandte meine Aufmerksamkeit dann Catherine zu. »Und wie fühlst du dich heute, Catherine ?«

Für mich sah sie rundum gesund aus. Ihre Wangen strahlten eindeutig, und sie hatte ein Funkeln in den Augen, das es fast mit Angus’ aufnehmen konnte.

»Ich fühle mich wunderbar«, bestätigte sie, was wir alle selbst sehen konnten. »Es war ein solches Vergnügen, aus dem Haus zu kommen, und erst recht für einen solch aufregenden Abend.«

Alle murmelten zustimmend, und ich war froh, dass mein Ausbruch im Pub nicht erwähnt wurde.

»Ich habe mich natürlich gefragt, ob ich nach dem ganzen Laufen ein bisschen steif sein würde, aber ich habe überhaupt keine Schmerzen im Knie.«

»Für mich klingt es auf jeden Fall so, als ob du auf einem guten Weg der Genesung bist«, nickte ich, »auch wenn ich das vielleicht besser nicht sagen sollte. Wenn sie in dem Tempo weitermacht, wirst du mich spätestens Ende der Woche wegschicken, Angus.«

Es war mir noch immer ein Rätsel, warum er überhaupt ein zusätzliches Paar Hände auf Wynthorpe Hall haben wollte. Nach dem, was ich bisher gesehen hatte, war Catherine durchaus imstande, sich ihre Kräfte einzuteilen, auch wenn ihr Ehemann anderer Meinung war, und auch der Haushalt lief, dank des Einsatzes von Mick, Hayley und Dorothy, wie am Schnürchen.

»Das werde ich ganz sicher nicht tun«, erwiderte er, während sein Blick von dem Blatt Papier, das er studierte, hochschnellte. »Um genau zu sein«, ergänzte er, wobei sich seine Wangen scharlachrot färbten, »sieht es ganz danach aus, als ob wir dich jetzt mehr als je zuvor brauchen werden, Liebes.«

»Was führst du im Schilde, Angus Connelly ?«, fragte Catherine stirnrunzelnd. »Ich glaube, mir gefällt absolut nicht, wie sich das anhört. Du hattest doch sicher für den Rest deines Lebens genug Aufregung, als du gestern Abend mit diesem Schlitten um den Marktplatz geschossen bist ?«

Dorothy und Mick schüttelten den Kopf.

»Wir reden aber schon noch von demselben Angus Connelly, oder, Catherine ?«, fragte Mick.