Träume sind aus Zimt und Zucker - Heidi Swain - E-Book
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Träume sind aus Zimt und Zucker E-Book

Heidi Swain

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Beschreibung

So süß und wohlig warm wie eine Tasse heiße Schokolade

Als ihre Freundinnen Hilfe brauchen, zögert Ruby nicht lange und eilt zurück in ihre verträumte Heimatstadt Wynbridge. Auf dem Weihnachtsmarkt soll sie Leckereien aus dem beliebten Kirschblütencafé verkaufen – der perfekte Ferienjob! Zwischen duftenden Plätzchen und wärmendem Glühwein kann Ruby von ihrer Zukunft träumen. Doch dann taucht ihr Exfreund Steve am Nachbarstand auf, über den sie nie wirklich hinweggekommen ist. Und plötzlich fällt es ihr alles andere als leicht, sich auf die Köstlichkeiten in ihrer Auslage zu konzentrieren …

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Seitenzahl: 521

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HEIDI SWAIN arbeitete nach ihrem Literaturstudium als Journalistin, ehe sie endlich den Mut fand, ihren Kindheitstraum in die Tat umzusetzen: Sie belegte einen Kurs für Kreatives Schreiben und begann mit ihrem ersten Roman. Nach ihrem wunderbaren Debüt Frühling im Kirschblütencafé geht nun die Geschichte um das kleine Nähcafé im verträumten Städtchen Wynbridge weiter.

Außerdem von Heidi Swain lieferbar:

Frühling im Kirschblütencafé

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Heidi Swain

Träumesind ausZimtundZucker

Roman

Aus dem Englischen von Veronika Dünninger

Die englifche Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Mince Pies and Mistletoe at the Christmas Market bei Simon & Schuster, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2016 by Heidi-Jo Swain

Published by Arrangement with Simon & Schuster UK Ltd., London WC1X 8HB, England.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: Bürosüd

Covermotiv: StockFood / Kompanik, Hannah; www.buerosued.de

Redaktion: Rabea Güttler

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24154-4V002

www.penguin-verlag.de

Für AmeliaFröhliche Weihnachten, mein liebes Mädchen

Kapitel 1

Während ich in der eiskalten Küche der winzigen Studentenbude stand, die ich in den letzten drei Jahren mein Zuhause genannt hatte, und darauf wartete, dass das Wasser kochte, wünschte ich unwillkürlich, ich hätte mein Studium geschmissen, bevor die Temperaturen von herbstlich auf arktisch abstürzten. Ich freute mich noch immer nicht wirklich darauf, wieder bei Mum und Dad einzuziehen, aber wenigstens blieb in meinem Kindheitszuhause der Frost entschieden vor die Fenster verbannt, und mein Bett war immer gelüftet und warm.

Es ließ sich nicht leugnen, dass Dad enttäuscht war, dass ich mein Masterstudium und die damit verbundenen Gelegenheiten, von denen er so unbedingt wollte, dass ich sie ergriff, aufgegeben hatte, aber wenigstens hatte ich jetzt, dank Lizzie und Jemma und dem Kirschblütencafé, eine Alternative, um ihn zu beschwichtigen, ganz zu schweigen von einer Gelegenheit, die Ersparnisse für meine hochfliegenden Reisepläne aufzubessern. In der Vorweihnachtszeit einen Marktstand mit Back- und Bastelwaren zu führen, war vielleicht nicht das, was Dad für meinen Status als Hochschulabsolventin mit Auszeichnung vorschwebte, aber wenigstens würde es ihm zeigen, dass ich bereit war, in die Arbeitswelt einzutreten, und nicht erwartete, dass er weiterhin für meinen Unterhalt aufkam, wie er es die letzten drei Jahre so großzügig getan hatte.

Endlich hatte ich eine Art »Lebensplan« entworfen, und ganz abgesehen davon, dass ich damit das Geld aufstocken konnte, das ich dank meiner Teilzeitjobs als Bedienung und in Bars auf die hohe Kante gelegt hatte, sehnte ich mich auch nach der Chance, mich bei Dad wieder lieb Kind zu machen. Ich machte mir Sorgen um ihn, und ich fühlte mich absolut nicht wohl bei dem Gedanken, wie er sich Mums Worten zufolge immer mehr in seine ­Arbeit bei der Stadtverwaltung verkroch. Nach Hause nach Wynbridge zurückzukehren, würde mir die Gelegenheit bieten, vieles in meinem Leben wieder ins Lot zu bringen, und man konnte nie wissen, vielleicht würde ich ja sogar eine Möglichkeit finden, endlich über Steve Dempster hinwegzukommen, den Jungen, der mir das Herz gebrochen hatte und den zu lieben ich nie wirklich aufgehört hatte.

»Und du bist dir wirklich sicher, dass du das tun willst?«, fragte Lizzie aus dem gemütlichen Wohnzimmer ihrer Wohnung über dem Kirschblütencafé zum gefühlt hundertsten Mal. »Ich würde nämlich nicht wollen, dass wir der Grund für noch mehr Knatsch zwischen dir und deinem Dad sind.«

»Es wird alles gut gehen«, versicherte ich ihr, das Telefon ans Ohr gedrückt, während ich meine gefrorenen Zehen zusammenkniff und geistesabwesend einen gehäuften Teelöffel Zucker in meinen Kaffee rührte. »Wie ich bereits sagte, das zusätzliche Geld wird meine Reise­kasse auf­bessern, und meine Bereitschaft, mich in die ­Arbeit zu stürzen, wird zwangsläufig dafür sorgen, dass ich Dads Gunst zurückgewinne. Ehrlich gesagt, ist es die perfekte Gelegenheit für mich, ein paar Brücken wiederaufzubauen«, ergänzte ich, wobei ich nicht nur an meinen Vater dachte.

»Nun, ich weiß, es ist egoistisch von mir«, meinte ­Lizzie, die alles andere als entschuldigend klang, »aber ich für meinen Teil freue mich riesig darauf, dich zu sehen, auch wenn die Umstände besser sein könnten, und ich weiß, dass Bea begeistert sein wird, und Jemma auch.« Sie dämpfte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Wie immer versucht sie, sich selbst um alles zu kümmern, aber das ist unmöglich, und sie ist absolut erschöpft.«

»Also wurde noch immer kein Urlaub gebucht?«, fragte ich, während ich einen Schluck von dem bitteren, billigen Kaffee nahm und in Gedanken die Stunden zählte, bis ich mir wieder eine Tasse der feinsten Mischung des Cafés gönnen konnte.

»Nein«, seufzte Lizzie resigniert. »Ich weiß beim besten Willen nicht, wie sie das schafft.«

Angesichts der Tatsache, dass ich erst kürzlich zweiundzwanzig geworden, Single und die meiste Zeit frei von Sorgen war, wusste ich auch nicht, wie sie das schaffte. Seit Jemma das Café eröffnet hatte, hatte sie sich nur zwei ­Wochen freigenommen, und das war nach der Geburt ihres Sohns Noah gewesen. Irgendwie schaffte sie es, das Geschäft, zwei kleine Kinder und einen Ehemann, der rund um die Uhr arbeitete, unter einen Hut zu kriegen. Allein schon der Gedanke an ihre hektische Work-Life-­Balance war für mich erschöpfend!

»Ich versuche, so viel zu tun, wie ich kann«, fuhr Lizzie fort, »aber diese Idee mit dem Marktstand, zusätzlich zu allem anderen, ist einfach zu viel für uns beide, auch wenn wir uns damit natürlich Erfolg erhoffen.«

»Natürlich. Das verstehe ich vollkommen.«

»Und die Zeit arbeitet dabei wirklich gegen uns«, redete sie unbeirrt weiter. »Wir haben schon fast Mitte November, du liebe Güte!«

»Hör zu«, meinte ich, während ich den Rest meines Kaffees in den Ausguss kippte und den Becher ausspülte. »Macht euch keine Sorgen deswegen. Richtet einfach alles so gut her, wie ihr könnt, und ich kümmere mich um den Rest. In ein paar Tagen werde ich bei euch sein. Nächste Woche um diese Zeit wird alles aufgebaut sein und wie am Schnürchen laufen. Das garantiere ich dir.«

Lizzie antwortete nicht sofort, und ich wusste genau, was sie sich zurechtlegte.

»Und du bist sicher, es wird kein Problem sein, wenn du zufällig …«

Ihre Stimme verlor sich, und ich holte einmal tief Luft, bevor ich antwortete.

»Ach, Lizzie«, sagte ich so neutral, wie ich nur konnte. »Steve Dempster und ich sind seit über drei Jahren nicht mehr zusammen, und in den letzten zwei Jahren ist er mir überhaupt nicht mehr unter die Augen gekommen. Ich glaube, wir sind beide erwachsen genug, um in derselben Stadt leben und arbeiten zu können. Und außerdem«, ergänzte ich mit einem Schulterzucken, das sie nicht sehen konnte, »nach allem, was ich weiß, könnte er inzwischen verheiratet sein und ein paar Kinder haben.«

»Na ja, solange du dir sicher bist«, meinte Lizzie besorgt.

Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie sie auf der Lippe kaute und die Stirn in Falten legte.

»Das bin ich«, sagte ich noch einmal, während ich wünschte, ich könnte eine Möglichkeit finden, uns beide aufrichtig zu überzeugen. »Das bin ich wirklich.«

»Aber das, worum wir dich bitten, wird bedeuten, dass sich eure Wege praktisch jeden Tag zwangsläufig kreuzen werden«, fuhr Lizzie unerbittlich fort. »Aller Wahrscheinlichkeit nach wirst du genau neben ihm arbeiten. Das Obst-und-Gemüse-Imperium der Familie Dempster beherrscht diesen Markt. Du weißt sehr wohl, dass ihr Stand mit Abstand der größte ist.«

»Ja, das weiß ich«, unterbrach ich sie. »Glaub mir, ­Lizzie, ich habe an all das gedacht.«

In den letzten paar Tagen hatte ich an kaum etwas anderes gedacht. Ehrlich gesagt, hatte ich so viel darüber nachgedacht, dass ich losgezogen war und meinen letzten Rest Bargeld dafür verballert hatte, mir die Augenbrauen fädeln und meine dichten, dunklen Haare mit einer großzügigen Heißölbehandlung verwöhnen zu lassen. Aber davon sagte ich Lizzie nichts, denn ich wollte nicht, dass sie einen falschen Eindruck bekam. Schließlich sprach nichts dagegen, dass ein Mädchen auf sich achtete, oder?

»Na schön«, lenkte sie schließlich ein. »Ach, und übrigens …«

»Hmm?«

»Er ist nicht verheiratet, und er hat mit Sicherheit keine Kinder.«

Ich war mir nicht sicher, ob ich mich damit besser oder schlechter fühlte. Ich war bis über beide Ohren in Steve Dempster verliebt gewesen, als er mich abservierte, kurz bevor wir zusammen fort auf die Universität gehen sollten. Ich war mir sicher, ohne den verfrühten Tod seines ­älteren Bruders und Steves Beharren, er müsse bleiben und im Familiengeschäft helfen, wäre es bei unserem Plan geblieben, aber angesichts der tragischen Umstände sollte unsere Beziehung einfach nicht sein.

Natürlich hatte ich es nie geschafft, ihn wirklich dafür zu hassen, dass er dem Lebensmittelunternehmen seiner Familie den Vorrang vor mir gab, denn die ganze Geschichte war einfach zu traurig, und ich wusste, dass die herzzerreißende Entscheidung aus Pflichtgefühl entstanden war. Es war ein absolut selbstloser Akt und einer, durch den ich ihn in gewisser Hinsicht, unglücklicherweise, sogar noch mehr ins Herz schloss.

»Na ja, wie auch immer«, sagte ich und schob alle Gedanken an meinen Ex-Freund beiseite, während ich dachte, dass »abservieren« wirklich ein etwas zu krasses Wort war, um zu beschreiben, was passiert war. »Wie ich bereits sagte, ich freue mich darauf, das für dich und Jemma zu tun. Haltet einfach alles bereit und überlasst den Rest mir.«

»Ich kann es kaum noch erwarten«, sagte Lizzie noch einmal, wobei sich wieder eine merkliche Spur von Aufregung in ihre Stimme schlich. »Dann bis Montag!«

Ich war vielleicht im Begriff, zurück nach Wynbridge zu ziehen, aber in einem Punkt war ich mir sicher – ich würde garantiert nicht »einen auf Lizzie Dixon machen«. Sie war in unsere Heimatstadt zurückgekehrt, als ich kurz vor dem Abitur war, hatte sich unsterblich in Ben Fletcher und ihre Nähstube im Kirschblütencafé verliebt und war nie wieder gegangen. Meine eigenen Pläne hätten wirklich nicht unterschiedlicher als ihre sein können, aber ich war trotzdem dankbar für die Rettungsleine, die sie und Jemma mir zugeworfen hatten.

Dank den beiden war ich mir endlich über meinen Weg nach vorn klar geworden. Ich würde meine Beziehung mit Dad kitten, eine Möglichkeit finden, über Steve Dempster hinwegzukommen, mit meiner besten Freundin Bea Spaß haben, ein bisschen Geld dazuverdienen und dann schnurstracks ins Reisebüro gehen und ein Ticket an irgendeinen heißen, exotischen und aufregenden Ort buchen.

»Da bist du ja endlich!«, rief Mum und stürzte den Weg hinunter, um mir entgegenzukommen und mich zu einer festen Umarmung an sich zu drücken. »Ich habe schon angefangen, mir Sorgen zu machen.«

»Ich habe dir doch gesagt, ich würde nicht vor drei hier sein«, sagte ich lachend, während ich den tröstlichen Duft ihres vertrauten Estée-Lauder-Parfüms einatmete. »Warum halbierst du jedes Mal die Zeit, wenn ich dir sage, wie lange eine Fahrt dauert?«

»Weil ich es nicht erwarten kann, dich zu sehen, natürlich.« Mum lächelte, nahm mein Gesicht in ihre warmen Hände und küsste meine rosigen Wangen. »Und wenn du so ein Schlauberger bist, warum verdoppelst du dann nicht einfach die Zeit, wenn du mir sagst, wie lange du für die Fahrt hierher brauchst?«

Da hatte sie allerdings recht.

»Komm schon«, sagte sie, als sie mich endlich losließ und den Weg wieder hochging. »Rein mit dir. Hier draußen ist es eiskalt.«

»Aber was ist mit meinem Zeug?«

»Das holen wir später.«

Sie wusste ebenso gut wie ich, dass ich den Moment hinauszögerte, ins Haus zu gehen und Dad gegenüberzutreten.

»Jetzt komm schon«, sagte sie und griff nach meiner Hand. »Du wirst dich gleich besser fühlen, wenn du ihn erst gesehen hast.«

Ich persönlich war mir da nicht so sicher, aber ich wusste, dass ich es nicht ewig hinausschieben konnte.

»Sie ist da!«, rief Mum durch die Diele, bevor ich eine Chance hatte, die Treppe hoch in mein Zimmer zu flüchten, und wir gingen zusammen in die Küche.

Dad saß am Küchentisch, die Lokalzeitung vor sich ausgebreitet, einen gelben Textmarker über der Seite in der Schwebe. Alle Schnitzer in der Wochenzeitung anzustreichen, war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, und ich spürte, wie sich meine Lippen zu einem Lächeln ver­zogen. Auch wenn sein kleines Hobby mir früher höllisch auf den Geist gegangen war, war es tröstlich zu wissen, dass ein paar Dinge sich nicht verändert hatten.

»Ruby!« Er schob seinen Stuhl zurück und sprang auf, um mich zu umarmen.

Ich war völlig überrumpelt von seiner demonstrativen Begrüßung und schlang die Arme um seine vertraute massige Gestalt. Er war fast zehn Jahre älter als Mum, aber in diesem Augenblick erschien er mir sogar noch älter. Das Gefühl seiner Arme um mich erinnerte mich an seinen Vater, einen völlig anderen Mann, und ich war dankbar für die warme Umarmung, die ich mehr als einmal vermisst hatte, seit ich fort auf die Universität gegangen war.

»Es tut mir alles so leid, Dad«, sagte ich an seine Brust. »Ich weiß, ich hätte vermutlich durchhalten sollen, aber ich hatte einfach genug.«

»Na komm«, sagte er und küsste mich auf den Kopf. »Mach dir keine Gedanken deswegen. Das verstehe ich doch.«

»Wirklich?«, fragte ich, während ich mich ein wenig zurücklehnte und zu ihm hochsah. Ich fragte mich, ob der Wiederaufbau unserer Beziehung vielleicht doch leichter sein würde, als ich gedacht hatte. Dass ich fort von zu Hause gewesen war und bis ins kleinste Detail über alles nachgegrübelt hatte, hieß vielleicht, dass ich seine Meinung zu meiner Entscheidung, das Studium abzubrechen, über jedes Maß aufgebauscht hatte. »Tust du das wirklich?«

»Aber natürlich«, meinte er beschwichtigend, während er mir den Rücken rieb. »Ich bin kein völliger Unmensch, weißt du!«

»Ich weiß«, lachte ich. Ich putzte mir die Nase mit der Küchenrolle, die Mum mir hinhielt, und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid«, schniefte ich.

»Ich freue mich einfach, dich zu Hause zu haben«, sagte er, schob einen Stuhl für mich zurück und setzte sich wieder an den Tisch. »Du solltest nicht in Bars arbeiten und in diesem moderigen alten Haus leben. Du weißt, dass deine Mum und ich immer nur dein Bestes wollten, und wenn du das Gefühl hattest, dass es das Richtige für dich war, die Universität zu verlassen, dann soll es eben so sein. Ich bin einfach froh, dass du entschieden hast, hierher, zurück zu uns, zu kommen. Hier ist, wo du jetzt sein solltest, habe ich nicht recht, Schatz?«

»Na ja, schon«, erwiderte Mum. Ein Anflug von Zweifel schlich sich in ihren Ton. »Aber natürlich nur, solange hier auch ist, wo sie sein will …«

»Hier ist, wo sie hingehört«, strahlte Dad.

Mum machte den Mund auf, um etwas zu entgegnen, aber ich schnitt ihr das Wort ab.

»Aber du weißt schon, dass das hier nur für ein paar Wochen ist, eigentlich nur über die Ferien, oder, Dad?«, warf ich sanft ein. »Wie ich Mum bereits am Telefon erklärt habe, ist es immer noch mein Plan, im neuen Jahr auf Reisen ins Ausland zu gehen.«

»Absolut«, nickte er zustimmend, »und das klingt wundervoll. Ehrlich gesagt, wünschte ich, ich hätte ein bisschen mehr von der Welt gesehen, als ich in deinem Alter war.«

Ich begann mich wieder zu entspannen, erleichtert, dass er es tatsächlich verstand.

»Aber warum überlegst du dir nicht, noch ein bisschen länger zu bleiben?«, fuhr er fort, wobei er mich mit einem bedeutungsvollen Blick fixierte. »Warum wartest du nicht ab, um zu sehen, was das neue Jahr in Wynbridge zu ­bieten hat?«

»Was meinst du damit?«

»Na ja«, sagte er, »für deine Reisen wirst du schließlich Geld brauchen, oder? Und bei der Stadtverwaltung gibt es im Januar immer freie Stellen. Freie Stellen für gute Jobs, Ruby, die eine wertvolle Ergänzung in deinem Lebenslauf wären, bevor du lossaust. Ich hasse die Vorstellung, dass du dich unter Wert verkaufst, vor allem nach der ganzen harten Arbeit, die du in den letzten drei Jahren in deine akademische Karriere gesteckt hast.«

»Aber die Leute, die heutzutage über Personaleinstellungen entscheiden, freuen sich, wenn angehende Mitarbeiter ein bisschen was von der Welt gesehen haben«, beharrte ich. »Sie wollen gern, dass ihre Kandidaten ein bisschen gelebt und etwas Lebenserfahrung gewonnen haben.«

Nur weil Dad seine Arbeit bei der Stadtverwaltung liebte und schon immer ein leidenschaftlicher Botschafter für die kleine Stadt gewesen war, schien er in der Hoffnung zu leben, dass ich eines Tages in seine Fußstapfen treten wollen würde, und offensichtlich scheute er sich nicht, meinen eher dürftigen Lebenslauf zu benutzen, um mich zu manipulieren, meine Pläne zu ändern. Diese neue Auseinandersetzung war kaum mehr als eine aktualisierte Version all derjenigen, die wir schon früher geführt hatten, und sie hatten immer damit geendet, dass ich wusste, dass er irgendwann wieder versuchen würde, mich an die Stadt zu ketten, die ihm immer mehr bedeuten würde als mir.

»Und sie zahlen wundervolle Gehälter«, fuhr er fort, als hätte ich kein Wort gesagt, »vor allem jemandem mit einem Abschluss mit Auszeichnung! Ich schlage nicht eine Sekunde vor, dass du gar nicht auf Reisen gehen sollst, aber warum willst du davor nicht ein paar Monate arbeiten? Auf die Weise wirst du nicht nur deine künftigen Berufsaussichten verbessern, sondern du könntest auch mehr Geld auf die Seite legen und stilvoll reisen, anstatt auf einem dieser gefährlichen All-inclusive-Backpacker­deals vor dich hin zu sumpfen.«

»Absolut nicht«, schniefte ich. Ich ärgerte mich, dass ich mich hatte einlullen lassen zu glauben, meine Heimkehr würde leichter sein, als ich ursprünglich gedacht hatte. »Danke, dass du an mich gedacht hast«, sagte ich so liebenswürdig, wie ich nur konnte, »aber die Antwort ist ­definitiv Nein.«

»Na ja, es war nur so eine Idee.« Er lächelte einvernehmlich. »Aber du musst wirklich ernsthaft darüber nachdenken, womit du deinen Lebensunterhalt verdienen wirst«, rief er mir in Erinnerung. »Wie willst du diese hochfliegenden Globetrotter-Träume, die du hast, denn finanzieren? Ich weiß, du hast Mum gesagt, dass du so viel wie möglich gespart hast, aber Flugtickets sind nicht billig, und du wirst mindestens ein paar Hundert Pfund auf einem Notfallkonto brauchen, nur für den Fall, dass irgendetwas schiefgeht. Du musst wirklich über irgendeine Art Arbeit nachdenken, Ruby.«

»Das habe ich«, sagte ich zu ihm. Ich reckte stolz das Kinn und dankte meinem Schicksal, dass ich tatsächlich alles geregelt hatte. »Ich fange am Montag mit der Arbeit an.«

»Oh, das ist ja wundervoll«, sagte Mum, während sie die Teekanne mit dampfendem Wasser aus dem Kessel füllte. »Ist das nicht wundervoll, Robert?«

»Was für ein Job?«, fragte Dad scharf, die Augen leicht zusammengekniffen, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er mir glaubte.

»Ich werde wieder für Jemma und Lizzie im Kirschblütencafé arbeiten.«

»Kellnern?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Na ja, die Erfahrung hat sie«, warf Mum freundlicherweise ein.

»Nein«, antwortete ich, »nicht kellnern. Sie übernehmen bis Heiligabend einen Marktstand, und den werde ich führen. Lizzie will, dass ich ihre weihnachtlichen Bastel­sachen verkaufe, und Jemma hat sich ein paar besondere saisonale Backwaren einfallen lassen.«

Mein Geständnis stieß auf eisiges Schweigen.

»Ich werde auf dem Markt arbeiten und Mince Pies und Mistelzweige verkaufen, Dad. Wie klingt das?«

»O nein«, entgegnete er streng, und seine umgängliche Art löste sich prompt in Luft auf. »Das kommt überhaupt nicht infrage. Diese verdammten Markthändler haben in den letzten Monaten nichts als Ärger gemacht, und das Letzte, was ich will, ist, dass du dich auf ihre Seite schlägst. Wusstest du von diesem Job, bevor du dich entschieden hast, dein Studium abzubrechen?«, ergänzte er scharf.

»Natürlich nicht«, stieß ich hervor, wütend, dass er dachte, ich hätte hinter seinem Rücken Pläne geschmiedet. »Ich wollte einfach nicht mehr weiterstudieren, und wenn du auch nur auf ein Wort von dem gehört hättest, was ich gesagt habe, nachdem ich letztes Jahr meinen Bache­lorabschluss gemacht hatte, wäre dir das klar gewesen, bevor du mich ermuntert hast, mich für mein Masterstudium einzuschreiben.«

»Entschuldige«, lenkte er ein, als er sah, wie verletzt ich von seiner Anschuldigung war. »Das hätte ich nicht sagen sollen.«

»Nein«, warf Mum kopfschüttelnd ein. »Das hättest du nicht.«

»Aber es ist mir egal, was du sagst«, fuhr er fort. »Ein Job bei der Stadtverwaltung mit mir wird weitaus besser für dich sein, als mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich werde nicht zulassen, dass du bei Wind und Wetter ­draußen auf diesem Marktplatz stehst.«

»Na ja, die Entscheidung liegt nicht bei dir«, entgegnete ich, bemüht, ihn nicht sehen zu lassen, wie aufgewühlt ich war. »Es ist alles arrangiert. Offenbar ist es mit dem Handel in der Stadt in letzter Zeit ein bisschen bergab gegangen, und das ist Jemmas und Lizzies Art zu versuchen, den Leuten für ein paar Wochen auszuhelfen, und ich habe nicht die Absicht, wie du es ausdrückst, mich auf irgendjemands Seite zu schlagen. Ich habe lediglich vor, mir ein bisschen Geld dazuzuverdienen.«

Dads Miene war unergründlich, und ein Teil von mir erwartete, dass er darauf beharren würde, ich sollte ihm, wenn ich schon nicht gewillt war, klein beizugeben, wenigstens versprechen, eine Position bei der Stadtverwaltung in Betracht zu ziehen, nachdem der Stand an Heiligabend geschlossen wurde.

»Ich dachte, du würdest dich freuen«, sagte ich, noch immer bemüht, die Luft zu klären und ihn auf meine Seite zu ziehen. »Ich dachte, du würdest stolz sein, dass ich es geschafft habe, allein etwas zu regeln, bevor ich hierhergekommen bin.«

Er sagte nichts weiter, sondern stand einfach auf und verließ die Küche. Er knallte die Tür hinter sich zu und ließ mich mit einem gewaltigen Schmerz in der Brust und einem unguten Gefühl von Vorahnung zurück. Ich hatte mir solch große Hoffnungen auf ein versöhnliches Wiedersehen gemacht, aber jetzt konnte ich nicht umhin zu denken, dass Mums Sorgen wegen seines Verhaltens vielleicht berechtigt waren. Wohin war der vernünftige Dad, den ich so sehr liebte, verschwunden, fragte ich mich, und was noch wichtiger war, würde es möglich sein, ihn wiederzufinden, bevor ich die Stadt verließ?

Kapitel 2

Im Verlauf der nächsten vierundzwanzig Stunden versuchte Dad still und heimlich jeden nur erdenklichen Trick, um mich davon abzubringen, Jemmas und Lizzies Vorschlag anzunehmen. Er bot sogar an, eines seiner Sparkonten flüssigzumachen, um meine Träume, die Welt zu bereisen, aus seiner eigenen Tasche zu bezahlen.

»Aber ich dachte, du hättest dieses Geld für einen neuen Wintergarten vorgesehen«, rief ich ihm am Samstagabend kurz vor dem Schlafengehen in Erinnerung. »Als du und Mum zu meiner Abschlussfeier gekommen seid, hast du gesagt, du hättest ein paar Jungs aus der Stadt kommen lassen, um das Aufmaß zu nehmen, und du hättest bereits über Designs nachgedacht, die gut zum Garten passen würden!«

»Na ja«, erwiderte er, während er seine mit Text­marker angestrichene Zeitung fein säuberlich zusammenfaltete und beiseitelegte, »das war, bevor ich wusste, was du vorhast.«

Als ich Lizzies Angebot annahm, wusste ich, dass er denken würde, der Job sei unter meiner Würde, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass er außerdem Probleme mit den Händlern hatte. Ich hatte meine Entscheidung zu diesem Schritt zum Teil darauf gestützt, dass der Markt schon immer ein wichtiger Bestandteil der Stadt war. Angesichts von Dads im Allgemeinen glühendem Lokal­patriotismus hatte ich gehofft, er würde sich freuen zu sehen, wie ich inmitten der eng verbundenen Gemeinde arbeitete.

»Nur um das klarzustellen«, sagte ich, als mir auf einmal noch ein anderer Gedanke durch den Kopf schoss, »freust du dich nicht darüber, dass ich auf dem Markt ­arbeiten werde, oder bist du angepisst, weil ich es direkt neben der Familie Dempster tun werde?«

Steves Dad, Chris, und mein Dad hassten sich, seit ich mich erinnern konnte. Es war ein Albtraum, als Steve und ich zusammen waren, aber Steves Mum, Marie, war immer die Freundlichkeit in Person gewesen, und meine Mum hieß Steve stets mit offenen Armen willkommen – solange Dad außer Haus war natürlich.

Weder Steve noch ich hatten den eigentlichen Grund hinter der Fehde unserer Väter je erfahren, aber sie reichte Jahre zurück, und für uns war es eine echte Quälerei gewesen. Die Männer waren beide hier in der Stadt geboren und aufgewachsen und hätten daher dicke Freunde sein sollen, aber sie konnten sich auf den Tod nicht ausstehen. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, der Ursache dafür auf den Grund zu gehen. Vielleicht war jetzt der ideale Zeitpunkt, mit den Nachforschungen anzufangen.

»Zuerst einmal«, begann Dad stirnrunzelnd, »werde ich eine solche Sprache unter meinem Dach nicht dulden, und außerdem hat das hier nichts mit der Familie Dempster zu tun. Hier geht es um dich, Ruby. Du musst ein bisschen Ehrgeiz entwickeln und eine Position anstreben, die deinem Niveau an Ausbildung und Intelligenz entspricht. Was glaubst du denn, wie ›saisonale Markthändlerin‹ auf deinem Lebenslauf aussehen wird?«

»Angesichts der Tatsache, dass Jobs in einer Kleinstadt um diese Jahreszeit schwer zu bekommen sind, arbeitsam und anpassungsfähig, hoffe ich«, entgegnete ich frech, bevor ich aus dem Zimmer schlüpfte und ins Bett ging.

Bedauerlicherweise war mein Vater noch immer in voller Fahrt, als wir uns zu Mums legendärem Roastbeef-Sonntagsessen hinsetzten, und das ging mir erst recht gegen den Strich. Ich hatte mich auf ihre reichhaltige, kräftige Bratensoße und ihre knusprigen Bratkartoffeln seit dem Augenblick gefreut, in dem ich entschieden hatte, nach Hause zu kommen, und ich nahm es ihm übel, dass er den Streit nicht einmal lange genug auf sich beruhen ließ, um mich meinen Teller leer essen zu lassen. Seine immer verbissenere Art ließ mir keinen Zweifel daran, was Mum in der Zeit vor meiner Rückkehr mitgemacht haben musste.

»›So schlimm wird er schon nicht sein!‹«, zischelte ich ihr ins Ohr, als wir zusammen den Geschirrspüler beluden, nachdem wir unsere Teller endlich abgeräumt hatten. »Das waren genau deine Worte, als wir telefoniert haben. ›Ich glaube, er freundet sich allmählich mit dem Gedanken an, dass du früher nach Hause kommst.‹«

»Ich weiß.« Mum biss sich auf die Lippe. »Er scheint tatsächlich ein bisschen angespannt, stimmt’s?«

»Ein bisschen!« Ich furchte die Stirn. »Er hat mir das Sonntagsessen ruiniert, und ich hatte mich seit Wochen auf deine Yorkshire-Puddings gefreut!«

Mum schüttelte den Kopf und schaltete den Geschirrspüler ein.

»Ich kann nicht glauben«, fuhr ich fort, als sie nichts weiter sagte, »dass du ihn nach all den Jahren, die du schon mit ihm verheiratet bist, so schlecht durchschaust!«

»Wenn du mir von diesem Marktstand-Plan erzählt hättest, bevor du nach Hause gekommen bist«, meinte sie weise, »dann hätte ich ihm diese Idee auch schonend beibringen können. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass du diese kleine Nummer in petto hattest?«

»Tut mir leid.« Ich rieb ihr den Arm, voller Schuldgefühle, weil ich von ihr erwartete, die Verantwortung für etwas zu schultern, was ich selbst in Gang gesetzt hatte. »Ich dachte einfach nicht, dass es so ein Riesending sein würde. Ehrlich gesagt, dachte ich, er würde sich freuen, dass ich etwas an Land gezogen habe und nicht den ganzen Tag zu Hause herumhängen und fernsehen werde.«

»Du dachtest, er würde sich freuen, dass du mit deinem wundervollen Abschluss zurück nach Hause ziehst, um in Wynbridge als Markthändlerin zu arbeiten?«, fragte Mum zweifelnd.

»O Gott«, seufzte ich naserümpfend. »Ich habe das nicht wirklich durchdacht, oder?«

»Nein, hast du nicht. Ich nehme an, du warst in Gedanken zu sehr bei …«

»Sag es nicht«, warnte ich sie. »Lizzie und ich haben das Thema bereits durch, und ich habe ihr gesagt, dass alles in Ordnung ist.«

»Was flüstert ihr zwei denn da drinnen?«, rief Dad aus dem Esszimmer.

»Nichts!«, antworteten wir im Chor.

»Wir räumen nur noch das Geschirr weg«, ergänzte Mum.

»Wenn ihr fertig seid, dann komm und sieh dir das an, Ruby«, rief er. »Ich habe im Stellenteil von letzter Woche ein Jobangebot gefunden, das dich interessieren könnte: tolles Gehalt mit Zulagen, und bevor du irgendetwas sagst, es ist nur ein befristeter Vertrag, sechs Monate höchstens. Es wäre die perfekte Stelle und weitaus besser für dich, als jeden Tag Frostbeulen zu riskieren.«

Mum und ich sahen uns an und verdrehten die Augen.

»Bist du noch da?«

»Nein!«, rief Mum und scheuchte mich rasch in den Hauswirtschaftsraum. »Sie ist kurz rausgegangen, um sich die Beine zu vertreten.«

Ich starrte sie mit offenem Mund an.

»Geh schon«, drängte sie mich. »Nimm dir meine Jacke und geh ein bisschen frische Luft schnappen, Herrgott noch mal.«

Draußen war es eiskalt, und es wurde bereits dunkel, aber die Atmosphäre war deutlich entspannter als die, die ich eben hinter mir gelassen hatte. Ich zog mir Mums wollene Gärtnermütze über, schnappte mir ihre alte, verbeulte Wachsjacke und ging los. Wie ironisch war es doch, dass ich mir vorgenommen hatte, bei meinem ­ersten öffent­lichen Auftritt tipptopp und tadellos auszusehen, und hier war ich nun, windzerzaust, mit verkniffenen Gesichts­zügen und durchgefrorenen Fingern und Zehen. Ich schlug ein schnelles Tempo an und entschied, mich am Rand der Stadt zu halten. Ich wünschte, ich hätte daran gedacht, meine Geldbörse einzustecken, um mir ein ­heißes Getränk zu gönnen, sollte ich zufällig auf irgendetwas stoßen, was geöffnet hatte.

Ich ging am Rand des Parks entlang, der, dank der frischen nördlichen Brise, fast verlassen war. Nur die entschlossensten Hundeausführer waren unterwegs, eilten mit gesenktem Kopf vorüber, ohne Zeit oder Lust, die dramatische Silhouette kahler Zweige oder die zerklüfteten Wolken zu bewundern, die über den dunkler werdenden Himmel huschten.

Ich hielt einen Augenblick inne, um den Musikpavillon zu betrachten, Treffpunkt für so manches heimliche Teenager-Rendezvous. Ich hatte unter seinem Dach meinen ersten – und letzten – widerlichen Zug an einer Zigarette getan und viele, viele lang anhaltende Küsse genossen. Ich gab mir einen leichten Ruck und ging wieder weiter. Vielleicht hatte ich doch unterschätzt, welchen Einfluss der Gedanke, Steve wiederzusehen, auf meine Entscheidung, Lizzies und Jemmas Einladung anzunehmen, gehabt hatte.

Egal, wie schnell oder wie weit ich ging, mir wurde einfach nicht warm, und nur ein kleines Stück weiter wurde mir bewusst, dass ich meine Zehen kaum noch spüren konnte. Dankbar schlüpfte ich durch die Pforte der St Mary’s Church. Ich konnte in dem überdachten Eingangsbereich der Kirche ein bisschen auftauen, bevor ich mich auf den Weg zurück nach Hause machte. Ich zwang mich, nicht darüber nachzudenken, wie Steve mir versprochen hatte, dass das hier eines Tages der Ort sein würde, an dem wir heiraten und unsere Kinder taufen lassen würden, oder wie, nur Wochen später, die Beerdigung seines Bruders all diese jugendlichen Fantasien zerstört hatte.

Ich hatte den geweihten Boden kaum betreten, als ich den Mann selbst bemerkte, über dem Grabstein seines Bruders kauernd, wo er zärtlich die Blumen arrangierte, die, wie ich wusste, jede Woche, ob Regen oder Sonnenschein, erneuert wurden. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf seinen gesenkten Kopf. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust, und die Kälte des Windes war auf einmal kein Thema mehr. Wenn überhaupt, war ich dankbar für ihre kühlende Wirkung auf meine glühenden Wangen.

Mein erster Instinkt war es, auf dem Absatz kehrtzumachen und das Weite zu suchen, aber ich verscheuchte ihn und hob stattdessen den Blick zum Himmel, schickte ein rasches Gebet hoch und ging den Weg weiter auf ihn zu. Warum sollte ich auf unsere erste Begegnung auf dem überfüllten Marktplatz warten, wenn ich sie hier in der relativen Privatsphäre des Friedhofs hinter mich bringen konnte?

»Steve!« Das Wort blieb mir zuerst in der Kehle stecken, und der Wind trug es dann davon.

Ich trat einen Schritt näher und versuchte es noch einmal.

»Steve!« Es klang seltsam, meine eigene Stimme zu hören, die nach all dieser Zeit seinen Namen rief.

Er schnellte herum, Stirn gerunzelt, sein Gesicht im­mer noch so gut aussehend wie früher, der Ausdruck in seinen dunklen Augen mit den dichten Wimpern aus ­dieser ­Entfernung unergründlich. Er starrte mich gefühlt ­mehrere Minuten an, aber tatsächlich waren es nur Sekunden, dann stand er auf und kam über den Weg auf mich zu.

»Ruby?«, hauchte er, offensichtlich noch immer nicht ganz sicher, dass ich es war.

»Hey«, sagte ich. Im selben Augenblick fiel mir meine Mütze ein. Ich zog sie mir rasch vom Kopf und stopfte sie in meine Jackentasche, dann wippte ich verlegen auf und ab und winkte.

»Ruby Smith«, sagte er noch einmal. Das Stirnrunzeln war fort, stattdessen stahl sich ein zögerndes Lächeln auf seine Lippen. »Mein Gott, was tust du denn hier?«

Im ersten Moment hatte ich keine Antwort für ihn. Ich starrte benommen auf das vertraute, aber veränderte Gesicht des Jungen, der inzwischen ein Mann geworden war – und ein atemberaubendes Exemplar eines Mannes noch dazu. Seine dichten, dunklen Haare waren länger, als ich sie in Erinnerung hatte, und die Stoppeln ein wenig dunkler, aber die tiefbraunen, lächelnden Augen und die, dank des Rugbyfelds, leicht schiefe Nase waren vertraut genug. Er war auch breiter als damals, und größer. Mit einem Ruck wurde mir bewusst, dass der Junge, in den ich mich verliebt hatte, erwachsen war, und ich kann nicht leugnen, dass ich ein flüchtiges, aber sehr eindeutiges Aufflackern von Enttäuschung darüber verspürte, dass ich ­keinen Anspruch mehr auf sein Herz hatte.

»Ich bin für die Weihnachtszeit zurück«, sagte ich schließlich etwas heiser. »Ich besuche meine Eltern.«

»Mein Gott«, sagte er kopfschüttelnd, während er mich mit den Augen verschlang und sein Gesicht ebenso tief errötete wie mein eigenes. »Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier bist.«

Er schien so aufrichtig erfreut, mich zu sehen, dass es mir unmöglich war, mich nicht zu fragen, warum er mich überhaupt hatte gehen lassen. Ich hatte ihn angefleht, einer Fernbeziehung eine Chance zu geben, aber er hatte darauf beharrt, eine saubere Trennung sei die einzige ­Option und die beste Entscheidung für uns beide.

»Du liebe Güte.« Er kratzte sich am Kopf und scharrte mit seiner Stiefelspitze auf dem Boden. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist so lange her.«

»Ich weiß.« Ich schluckte. »Ich wäre fast in die andere Richtung davongelaufen, als ich dich gesehen habe.«

»Nun, ich bin froh, dass du es nicht getan hast«, meinte er. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich mich melden und hören wollte, wie es dir geht.«

Mein Herz raste wieder außer Kontrolle, wie eine Dampflok auf Hochtouren, und ich wünschte unwillkürlich, ich hätte den Mut aufgebracht, mit ihm zu reden, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, anstatt mich abzuwenden und mit dem Hintergrund zu verschmelzen.

»Warum hast du es denn dann nicht getan?«, fragte ich, obwohl ich genau wusste, dass ich selbst auch nicht mutiger gewesen war.

»Weil ich nicht wusste, was ich sagen oder schreiben sollte«, gestand er. »Und ich war mir ziemlich sicher, dass dein Dad nicht allzu begeistert sein würde, wenn ich einfach auf seiner Türschwelle auftauchen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich mit offenen Armen begrüßt hätte, du etwa?«

»Nein.« Ich biss mir auf die Lippe. »Wohl kaum.«

Es war schön zu wissen, dass er an mich gedacht hatte, aber ich wünschte unwillkürlich, er wäre seinen Gefühlen gefolgt.

»Und, was treibst du in letzter Zeit so?«, fragte er. Er rieb die Hände aneinander, bevor er sie tief in seine Jacken­taschen steckte. »Bist du noch immer an der Uni? Inzwischen müsstest du deinen Abschluss doch in der Tasche haben.«

Ich machte den Mund auf, um zu versuchen, irgendeine Antwort zu formulieren, aber zum Glück blieb es mir erspart, erklären zu müssen, dass ich in den nächsten paar Wochen praktisch Seite an Seite mit ihm arbeiten würde. Ehrlich gesagt, war ich mir auf einmal nicht mehr so sicher, ob mein Herz und mein Bauch es verkraften würden, ihn jeden Tag den ganzen Tag zu sehen, vor allem nach ihrem gegenwärtigen Benehmen zu urteilen.

»Steve! Bist du bald fertig? Ich bin am Erfrieren. Diese verdammte Kirche ist so kalt wie ein Leichenhaus!« Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt mit wallenden blonden Haaren, die, wie ich nicht umhinkonnte zu bemerken, trotz der Brise an ihrem Platz blieben, kam um die Ecke. »Oh, hallo.« Sie musterte mich von Kopf bis Fuß, bevor sie sich rasch bei meinem Ex unterhakte. »Und wer bist du?«

»Das ist Ruby«, sagte Steve, bevor ich eine Chance hatte, mich vorzustellen. »Sie ist eine alte Freundin«, ergänzte er. »Wir kennen uns schon lange.«

»Ach ja?« Die Frau klang alles andere als beeindruckt, während sie den Kragen ihres tadellosen roten Wollmantels zurechtrückte.

»Ruby, das ist Mia«, fuhr Steve fort. »Sie ist …«

»Am Erfrieren?«, warf ich ein.

Ich hatte nicht das Bedürfnis, mir die Details ihrer Beziehung anzuhören. Die Art, wie Mia besitzergreifend ­Steves Arm umklammert hielt, war ein ziemlich eindeutiger Hinweis darauf, dass sie seine derzeitige bessere Hälfte war. Mein Herz fühlte sich wie Blei in meiner Brust an, und mein Herzschlag hatte sich wieder verlangsamt.

»Lasst euch von mir nicht aufhalten«, meinte ich, um einen fröhlichen und unbekümmerten Ton bemüht, während ich Mums Mütze aus meiner Jackentasche zog und sie wieder über meine jetzt alles andere als glänzenden ­Locken rammte. »Es ist für mich sowieso Zeit, nach Hause zu gehen.«

Ich hatte es fast bis zur Kirchenpforte geschafft, bevor die Tränen kamen und Steve mir nachrief.

»Hey, Ruby Sue!«, rief er. »Es war wirklich schön, dich wiederzusehen!«

Er war der einzige Mensch auf der Welt, der mich je so genannt hatte. Er hatte mir den Spitznamen nach einer der Figuren aus Schöne Bescherung gegeben. Wir hatten uns an einem verschneiten Sonntag im Dezember unter seiner Bettdecke aneinandergekuschelt und einen Weihnachtsfilm-Marathon angesehen, als er ihn zum ersten Mal sagte, und er war hängen geblieben. Dass Steve diesen Namen nun derart unerwartet aussprach, trug nicht dazu bei, die Flut von Tränen aufzuhalten, während ich nach Hause eilte.

Das einzig Gute an Steves überraschender Verwendung meines Spitznamens war, dass es mir gegenüber meiner besten Freundin Bea aus der Patsche half. Ich war so beschäftigt mit Packen und Planen gewesen, dass ich nicht einmal die Zeit gefunden hatte, ihr zu sagen, dass ich zurück nach Hause ziehen würde, geschweige denn, dass ich auf dem Markt arbeiten würde. Nun drückte ich mir selbst die Daumen, dass ich sie versöhnlich stimmen könnte, indem ich meine Friedhofsbegegnung in allen Einzelheiten vor ihr ausbreitete.

Bea war meine engste Freundin, seit wir uns kennen­gelernt hatten. Ich lernte damals in der College-Bibliothek fürs Abitur, und sie arbeitete in dem holistischen Gesundheitszentrum ihrer Familie und ging Teilzeit aufs College. Normalerweise hätten sich unsere Wege nicht gekreuzt, aber Bea hatte eine Vorliebe für Kuchen – alles Süße, um genau zu sein –, und meistens war ich diejenige, die sie an ihrem Tisch im Kirschblütencafé bediente, als ich dort arbeitete. Als wir uns auf dem College über den Weg liefen, kamen wir bald ins Gespräch und schmiedeten eine Freundschaft, die bis heute gehalten hatte.

Es hatte nur eine einzige unangenehme Phase in unserer Beziehung gegeben, und das war, als sie anfing, mit Steves bestem Freund, Sam, auszugehen. Aber zum Glück hatte ich mich bereits ins Studentenleben gestürzt, als die beiden zusammenkamen, und da ich wusste, wie verrückt sie nach ihm war, wusste ich auch, dass ich kein Recht hatte, deswegen einen Aufstand zu machen. Ich war vielleicht noch keine zwanzig, aber ich erkannte wahre Liebe, wenn ich sie sah.

»Weißt du, du hättest mir wirklich sagen sollen, dass du beschlossen hast, zurückzukommen«, schmollte Bea, als ich sie später an diesem Tag anrief und erklärte, was ich vorhatte. »Als ich das letzte Mal von dir gehört habe, wolltest du über Weihnachten in deiner schmuddeligen kleinen Studentenbude bleiben. Ich kann nicht glauben, dass du all diese Entscheidungen ohne mich getroffen hast. Ich dachte, ich bin deine beste Freundin!«

Wie ich gehofft hatte, war eine tief empfundene Entschuldigung, ergänzt mit all den schlüpfrigen Details meines Wiedersehens mit Steve (ausgenommen der unbefriedigenden Reaktion meines Herzens), genug gewesen, um Beas Vergebung zu gewinnen. Zugegeben, es war durchaus nett, unter der Bettdecke versteckt ein heimliches Telefonat über Jungen zu führen, hoffentlich außer Hörweite meines missbilligenden Dads. Ich glaube, wir fühlten uns beide wieder ungefähr wie siebzehn.

»Und er hat dich tatsächlich Ruby Sue genannt?«, keuchte Bea auf, als ich ihr erzählte, wie mein kleiner Kirchenbesuch geendet hatte.

»O ja«, bestätigte ich. »Hat es so laut gebrüllt, dass es die ganze Welt hören konnte.«

»Dieser freche Lümmel.«

»Ich weiß.« Ich biss mir auf die Lippe, froh, dass sie am anderen Ende der Telefonleitung war und nicht vor mir stand, denn die Art, wie sich meine Augen wieder mit Tränen füllten, hätte ihr garantiert verraten, wie ich mich wirklich wegen dem fühlte, was passiert war.

Ich konnte noch immer nicht glauben, dass er es gesagt hatte, vor allem nicht, während sich die schöne Mia an ihn klammerte. Als er mich sah, war er mir anfangs unbeholfen und etwas um Worte verlegen erschienen, aber er hatte sich ganz offensichtlich ziemlich schnell gefangen. Unter seiner verführerischen Rüstung steckte auf jeden Fall noch immer ein verteufelt freches Mundwerk.

»Und wie geht’s dir und Sam?«, erkundigte ich mich, in dem Wissen, dass es für Bea nichts Schöneres gab als eine Gelegenheit, über ihren Freund, den muskelbepackten Feuerwehrmann, zu reden (der zufälligerweise noch immer Steves bester Kumpel war). »Wie läuft’s?«

Untypischerweise klang sie verunsichert, als sie dumpf antwortete: »Ganz gut … Nehme ich an.«

»Nur ganz gut?« Ich runzelte die Stirn. »Das klingt so gar nicht nach euch beiden. Normalerweise, wenn ich dich nach ihm frage, überschlägst du dich, um mir alles von seiner letzten großen romantischen Geste zu erzählen.«

»Ja, na ja, davon gab es in letzter Zeit nicht allzu viele.«

»Oh. Tut mir leid, das zu hören.«

»Mir auch«, entgegnete sie mürrisch. »Ich dachte wirklich, er wäre der Eine, Ruby, aber mein Traum von einem Weihnachtsantrag scheint mir mit jedem Tag mehr zu entgleiten.«

»Oh, Bea«, seufzte ich mitfühlend. Inzwischen wünschte ich, wir wären doch zusammen, damit ich sie umarmen könnte.

Ich wusste, dass sie auf der ganzen Welt nichts lieber wollte, als ihr Leben so zu leben, als wäre es direkt aus den Seiten eines Liebesromans entnommen. Und seit sie mit Sam zusammen war, hoffte sie, dass er der Eine war, der ihren Herzenswunsch erfüllen würde, zusammen mit dem erträumten weihnachtlichen Heiratsantrag.

»Ach, egal«, sagte sie kurzerhand. »Erzähl mir noch ein bisschen mehr darüber, was Mia anhatte.«

»Nein«, antwortete ich, nicht gewillt, das alles noch einmal von vorn durchzukauen, auch wenn ich wusste, dass sie aufgemuntert werden musste. »Ich habe dir schon alles erzählt, woran ich mich erinnern kann. Gott«, seufzte ich, »kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn die beiden sich an Weihnachten verloben würden?«

»Nicht sehr wahrscheinlich«, schniefte Bea. »Ich wusste nicht einmal, dass sie zusammen sind, und Sam erzählt mir alles über Steves Liebesleben. Manchmal kann ich nicht umhin zu denken, dass er seinen besten Freund um dessen Freiheit beneidet, jede Woche nach Belieben eine andere Frau aufzugabeln.«

Ich kann nicht leugnen, dass ich mich bei der Vorstellung, wie sich Steve auf wöchentlicher Rotationsbasis mit Frauen traf, mehr als nur ein wenig unbehaglich fühlte.

Kapitel 3

Ich war noch nie ein Frühaufsteher, schon gar nicht mitten im Winter, wenn der Tag mehr Dunkelheit als Licht bereithält, daher war der Wecker, der am nächsten Morgen um sechs losging, alles andere als willkommen. Ich hatte mich die ganze Nacht hin und her gewälzt und darüber nachgedacht, wie anders mein Leben verlaufen wäre, wenn das Motorrad von Steves Bruder es um die scharfe Rechtskurve bei Hecate’s Rest geschafft hätte. Es war ein schockierender Gedanke, dass ich mit zweiundzwanzig bereits mehr Jahre gelebt hatte, als Sean ­Dempster je gewährt wurden.

Unerträglicherweise für Steve und seine Eltern, hatte es nie einen eindeutigen Beweis dafür gegeben, was Sean veranlasst haben könnte, in jener Nacht die Bäume zu ­stutzen, die die Kreuzung säumten. Überhöhte Geschwindigkeit wurde vermutet, obwohl jeder, der ihn kannte, das für unwahrscheinlich hielt. Ein Reh auf der Straße oder die Beteiligung eines anderen Fahrzeugs wurden ebenfalls nicht ausgeschlossen, aber die schlichte Wahrheit war, dass es niemand wusste und die Familie, zusammen mit ihren Freunden, sich damit abfinden musste, dass sie es wohl nie erfahren würde.

»Und, bist du startklar?«, fragte Mum lächelnd, während sie mir einen dampfenden Becher Tee und ein Glas Orangensaft hinstellte. Ich saß zusammengesackt am Küchentisch und drehte mir die Haare zu einem lockeren Knoten hoch. »Du strahlst ja nicht gerade vor Freude.«

Ich gähnte. »Ich hasse es, im Dunkeln aufzustehen, das weißt du doch.«

»Na ja, daran wirst du dich wohl gewöhnen müssen«, meinte Dad wenig hilfreich, als er angezogen, rasiert und unerträglich bereit, seinen Arbeitstag in Angriff zu nehmen, in die Küche kam. »Markthändler arbeiten zu unchristlichen Zeiten. Früher als jetzt, um genau zu sein«, ergänzte er mit einem Blick auf die Uhr. »O nein, du bist schon gleich zu Beginn zu spät, Ruby!«

»Um genau zu sein«, fauchte ich, während ich mir den Becher mit Tee schnappte, »bin ich früh dran. Wir richten heute nur alles her. Morgen um diese Zeit werde ich aufbauen.«

Meine Eingeweide stöhnten bei dem Gedanken, aber ich würde Dad nicht wissen lassen, wie sehr mir auf einmal vor den frühen, frostigen Morgen graute.

Ich schlenderte am Rand des Marktplatzes entlang. Meine Händlerkollegen sahen alle aus, als seien sie fast fertig mit dem Aufbau und bereit, mit dem Verkaufen zu beginnen. Ich schauderte nervös bei dem Gedanken, dass ich morgen eine von ihnen sein würde, und schlug den Weg zum Kirschblütencafé ein. Meine gedämpfte Stimmung stieg prompt, als ich die Tür aufdrückte. Das reiche Aroma des sehnlichst erwarteten Kaffees schlug mir entgegen, und die kleine Glocke über mir verkündete meine Ankunft mit einem aufgeregten Bimmeln. Ich konnte noch nie sagen, was genau dieses Café so perfekt machte, aber die begeisterte und warme Begrüßung, die mich umfing, trug auf jeden Fall dazu bei.

»Ruby!«, rief Ella, Jemmas Tochter, während sie zwischen den Tischen und Stühlen hervorschoss. »Du bist da!«

»Das bin ich.« Ich strahlte sie an. »Du liebe Güte, sieh dich einer an! Wie groß bist du denn geworden?!«

»Zu groß«, meinte Jemma, die in diesem Augenblick hinter dem Tresen auftauchte. »Sie ist schon jetzt aus den Schulschuhen herausgewachsen, die sie im September bekommen hat!«

»Jemma«, rief ich und stürzte auf sie zu. »Gott, es ist so schön, dich zu sehen.«

»Und dich erst! Ich kann dir gar nicht sagen, was für eine Erleichterung es war, als Lizzie sagte, du würdest ­darüber nachdenken, uns bei dieser Marktstand-Idee zu helfen.«

»Na ja, ich denke nicht mehr nur darüber nach«, entgegnete ich, »es passiert tatsächlich. Ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten, loszulegen!«

Wenn ich nicht so absurd früh dafür aufstehen müsste, wäre ich tatsächlich so begeistert gewesen, wie ich mich gab, aber ich würde nichts sagen, um das Lächeln von ­Jemmas hübschem Gesicht zu wischen.

»Warte nur, bis du siehst, was du verkaufen wirst«, sagte Ella verträumt. »Alles, was Lizzie gemacht hat, ist so glitzernd und hübsch. Ich habe schon vieles davon auf meinen Wunschzettel geschrieben!«

»Wunschzettel!«, zog ich sie auf. »Ella, wir haben Mitte November! Du kannst doch unmöglich jetzt schon an Weihnachten denken?«

»Natürlich kann ich das«, gab sie todernst zurück. »Das ist meine Art, Mummy und Daddy zu helfen, die Kosten zu verteilen.«

Jemma sah mich an und verdrehte die Augen.

»Sie ist ein echter Schatz, die Kleine!«, sagte sie lachend. »Komm und nimm dir einen Kaffee. Tom wird jeden Augenblick mit Noah hier sein. Er kutschiert heute die Kinder herum, damit wir ein paar Minuten haben, um zu plaudern und den Warenbestand durchzugehen, bevor der Ansturm beginnt.«

Sie schob einen Becher über den Tresen, und ich nahm ihn ehrfürchtig mit beiden Händen entgegen, schloss die Augen und atmete tief ein.

»Du sollst ihn trinken«, sagte Lizzie, die sich in diesem Moment durch den Perlenvorhang schob, der ihre Wohnung über dem Café von ihrer Arbeitsstätte trennte, »nicht inhalieren!«

»Weiß ich doch«, antwortete ich, »und das werde ich auch, aber zuerst will ich einfach den Moment genießen.«

»Studenten-Dispokredite und Kellnerinnenlöhne reichen wohl nicht für die feinste Mischung, nehme ich an?«, fragte sie, während sie sich ihre hübsche, mit Cupcakes gemusterte Schürze umband.

»Leider nicht«, seufzte ich. »Aber glaub mir«, ich nahm meinen ersten Schluck, »für das hier hat sich das Warten absolut gelohnt!«

Ein plötzlicher kalter Windstoß kündigte Toms ­Ankunft mit Ellas lockigem kleinem Bruder Noah an. Gleich darauf gesellte sich Angela, das dritte Mitglied der Kirschblütencafé-Belegschaft, zu dem Gedränge, und das Café versank für einen Moment im Chaos.

Angela stellte sicher, dass Noah es in seinem Buggy ­bequem hatte, und Jemma vergewisserte sich, dass Ella ­daran gedacht hatte, ihre Hausaufgaben in ihren Schulranzen zu packen.

»Also …«, wandte Tom sich an mich, während er sich einen Kaffee nahm. »Wie hat dein Dad die Neuigkeit aufgenommen?«

»Na ja, er war natürlich hellauf begeistert davon, dass ich entschieden habe, mein Masterstudium nicht abzuschließen.«

»Ach, Ruby«, meinte er ungeduldig. »Du weißt genau, wovon ich rede. Ich habe es nicht gewagt, irgendetwas von dieser Marktstand-Idee zu erwähnen, wenn ich ihn in der Arbeit gesehen habe. In letzter Zeit benimmt er sich ohne­hin schon zu den besten Zeiten wie ein Bär mit einem Brummschädel.«

»Wirklich?«, fragte ich stirnrunzelnd. »Wieso das denn?«

Das klang absolut nicht nach Dad. Normalerweise war er bei der Arbeit in seinem Element. Manchmal war er dort sogar glücklicher als zu Hause.

Tom zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich habe das Gefühl, dass irgendetwas Komisches vor sich geht, von dem ich nichts weiß. Und ich glaube, dein Dad steht im Mittelpunkt davon.«

»Wow, das hört sich gar nicht nach meinem Dad an«, meinte ich. »Ich glaube, deine Fantasie geht mit dir durch, Tom. Du weißt doch ebenso gut wie ich, dass Dad den Laden fest im Griff hat. Er würde nicht zulassen, dass irgendetwas Ungehöriges ›vor sich geht‹, wie du es ausdrückst.«

Tom seufzte. »Ich hoffe, du hast recht, und die ganze Sache wird sich bestimmt bald von selbst klären, aber in einem Punkt bin ich mir sicher: Wenn er Wind davon bekommt, dass ich von deinen Plänen wusste, den Mädchen mit dem Marktstand zu helfen, wird mein Leben nicht mehr lebenswert sein.«

»Keine Sorge«, beschwichtigte ich ihn. »Dein Name ist zu Hause nicht gefallen, das heißt, ich an deiner Stelle würde jedes Wissen leugnen. Gib uns Mädchen die Schuld.«

»Du könntest es sogar so hinstellen, als ob du mit der Idee nicht glücklich wärst«, schlug Angela vor, während sie mir im Vorbeirauschen einen flüchtigen Kuss auf die Wange drückte. »Ich habe etwas für dich, Ruby«, flüsterte sie.

Wie zuvor bei Jemma und Lizzie, freute ich mich auch, Angela zu sehen. Sie hatte damals meine wenigen Stunden übernommen, als Dad mich zwang, den Job aufzugeben, um fürs Abitur zu lernen, und sie war ein Volltreffer gewesen. Sie passte perfekt in das Café, und es dauerte nicht lange, bis sie ebenso viel Zeit in der Küche verbrachte wie Jemma. Ursprünglich hatte sie den Job angenommen, um nach dem Tod ihres Mannes über eine schwere Zeit hinwegzukommen, aber inzwischen konnte sich niemand mehr das Café ohne sie vorstellen. Ihre Tochter war schon vor langer Zeit nach Australien ausgewandert, und ich war mir sicher, dass sowohl Lizzie als auch Jemma sie als eine Art zweite Mum ansahen.

»Ehrlich gesagt«, meinte Tom, wobei er so laut sprach, dass Jemma ihn hören konnte, »bin ich mir nicht so sicher, dass ich mich darüber freue. Jemma hat im Moment schon genug um die Ohren, auch ohne dieses ganze zusätzliche Backen für den Stand, über das sie sich den Kopf zerbrechen muss, selbst wenn es nur für ein paar Wochen ist.«

»Fang gar nicht erst damit an«, warnte ihn Jemma und zeigte auf die Uhr an der Wand. »Dafür ist keine Zeit, und überhaupt ist Ruby hier, um die Lage zu retten. Jetzt wird alles gut.«

»War es vorher denn nicht gut?«, fragte ich Angela, als sie wieder aus der Küche auftauchte.

»Frag lieber nicht«, flüsterte sie und drehte mich herum, um mir die Schürze zuzubinden. Sie grinste. »So. Ich glaube, Jemma hat immer gehofft, zu sehen, dass du die hier wieder trägst!«

Ich strich den hübsch gemusterten Stoff glatt und lächelte in das Meer von Gesichtern vor mir. Es fühlte sich gut an, wieder ein Teil der Kirschblütencafé-Familie zu sein.

Als Tom, Ella und Noah endlich zur Tür hinaus waren, packten wir die Gelegenheit beim Schopf, um uns in den Bereich des Cafés zu setzen, der für die Handarbeitskurse vorgesehen war, die Lizzie gab, und gingen die Pläne und Produkte durch, die sie und Jemma sich für den Marktstand hatten einfallen lassen.

»Ihr solltet da nicht so durchhecheln«, beharrte Angela, während sie meinen Becher auffüllte und Jemma und ­Lizzie ebenfalls Tassen reichte. »Es ist noch jede Menge Zeit.«

»Okay«, seufzte Jemma, während sie ein Notizbuch und einen Stift aus ihrer Schürzentasche nahm. »Danke, Angela. Also, Ruby, wie du vielleicht oder vielleicht auch nicht weißt, ist es mit dem Handel auf dem Markt in den letzten Monaten ein bisschen bergab gegangen.«

Ich nickte. »Ich weiß ein bisschen über die Situation Bescheid. Lizzie hat mich auf dem Laufenden gehalten.«

»Und vor diesem Hintergrund«, fuhr sie fort, »wird es daher, erst einmal nur in der Vorweihnachtszeit, ein paar zusätzliche Stände geben, um zu versuchen, die Kunden wieder anzulocken.«

»Das heißt, ich werde nicht der einzige Neuling sein?«, fragte ich, erfreut über diese unerwartete Neuigkeit. Wenigs­tens würde ich nicht die Einzige sein, die noch nie zuvor einen Stand geführt hatte.

»Na ja, neue Verkäufer standen nicht unbedingt Schlange für die Standplätze«, räumte Lizzie ein. »Bis jetzt wurden die zusätzlichen Stände von uns, einem Maronenverkäufer und Simon und Jude ausgefüllt, einem Pärchen, das Vintage-Krimskrams verkauft.«

»Aber dieser ganze Retro-Vibe ist im Moment total angesagt«, nickte Jemma. »Und nach dem, was ich gesehen habe, ist ihre Ware vom Feinsten, das heißt, hoffentlich wird den Leuten gefallen, was sie im Angebot haben, und vielleicht schauen sie sich dann auch den Rest des Marktes an.«

»Und was genau werde ich verkaufen?«, erkundigte ich mich. »Ich weiß, dass Ella ziemlich begeistert von dem war, was du machst, Lizzie.«

»Ich gehe und hole ein paar Teile, die du dir ansehen kannst, während Jemma mit dir die Liste mit Dingen durchgeht, die sie sich hat einfallen lassen.« Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Ich kann es nicht riskieren, noch mehr von diesen süßen Weihnachtsleckereien zu essen oder auch nur davon zu hören. Wenn es so weitergeht, platze ich bald aus allen Nähten!«

»Oh.« Ich rieb mir erwartungsvoll die Hände. »So gut, ja?«

»So gut!«, bestätigte Lizzie, und sie hatte nicht zu viel versprochen.

»Mhm … Mince Pies mit Sternenmuster und glasierte Gewürzbrötchen und Zimt-Cranberry-Blech­kuchen«, sagte ich ein paar Minuten später. »Das klingt wirklich ­lecker.«

»Ganz zu schweigen von dem Sticky Toffee, den kandierten Äpfeln und den Tüten mit Rocky Road Fudge mit Marshmallow-Füllung«, nahm Lizzie sabbernd den Faden auf, während sie noch eine Schachtel auf den Tisch stellte.

»Und die Miniatur-Lebkuchenfamilie, inklusive Hund«, setzte ich noch eins drauf. »Aber wie in aller Welt wirst du mit der Nachfrage mithalten, Jemma?«

Sie biss sich auf die Lippe. »Weißt du, im Moment habe ich nicht die geringste Ahnung, aber wir werden das schon schaffen. Ich sage Tom immer wieder, dass ich das hinkriege, daher werde ich einfach eine Möglichkeit finden müssen.«

»Und ich werde natürlich helfen«, warf Angela ein, die in diesem Augenblick vorbeiwuselte, um das Caféschild von »Geschlossen« auf »Geöffnet« umzudrehen. »Wir werden alle etwas beisteuern.«

Als ich auch alles durchgesehen hatte, was Lizzie gemacht hatte, konnte ich es wirklich kaum noch erwarten, loszulegen. Und ich konnte absolut verstehen, warum Ella schon jetzt einen solch gigantischen Wunschzettel hatte.

»Diese Adventskalender sind so hübsch«, sagte ich zu Lizzie. »Und die Idee, so viele Dinge zum Zusammenbauen in kleinen Säckchen zu präsentieren, ist einfach genial!« Ich nahm einen der Beutel in die Hand, während ich darüber nachdachte, wie die Nachfrage nach Selbstgebasteltem und -gestricktem ständig zu steigen schien. »Die Leute haben nicht immer die Zeit, Dinge von Grund auf selbst zu machen, daher sind diese Säckchen der ­ideale Kompromiss.«

Lizzie lächelte. »Freut mich, dass es dir gefällt. Es ist schön zu wissen, dass Jemma, Angela und ich nicht die Einzigen sind, die die Stücke mögen.«

»Sie lieben«, berichtigte ich.

Die Kalender bestanden aus vierundzwanzig durchnummerierten Kordelzugbeuteln in verschiedenen Farben und Mustern, die mit kleinen Klammern an einem Stück Draht oder Band befestigt werden konnten.

»Dafür musst du ja eine Ewigkeit gebraucht haben«, stellte ich fest, als ich sie genauer betrachtete.

»Eigentlich nicht«, antwortete sie schulterzuckend, als seien ihre cleveren Bemühungen nicht der Rede wert. »Du glaubst nicht, wie gut so was von der Hand geht, sobald du erst einmal eine Produktionslinie in Gang gesetzt hast.«

»Und ich liebe diese Strümpfe«, schwärmte ich weiter, »und diese Weihnachtswimpel.«

»Und was ist mit diesem Lebkuchenschmuck für den Baum?«, warf Jemma ein. »Sieht der Junge nicht süß aus mit seiner kleinen Lebkuchen-Halsbinde?«

»Er ist entzückend«, nickte ich, »aber ich glaube, das hier sind meine absoluten Lieblingsstücke.« Ich streckte die Hand nach einem der Einmachgläser aus, das eine kleine verschneite Szene, komplett mit einem winzigen Reh und ein paar Tannenbäumen, enthielt.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Jemma und Lizzie ein rasches Lächeln tauschten.

»Wisst ihr«, sagte ich, während ich wieder zurück zu dem Tisch sah, der mit Lizzies weihnachtlichen Basteleien beladen war, »ich denke, dieser Stand wird nur eine Woche, höchstens zwei geöffnet sein.«

»Was?«, rief Lizzie. Sie klang zutiefst empört, und ich musste unwillkürlich lachen, als ihr Gesicht ebenso rot anlief wie ihr wilder Lockenschopf. »Wieso das denn?«

»Weil ich nicht sehen kann«, antwortete ich kopfschüttelnd, »wie du genügend Ware haben willst, damit sie bis Weihnachten reicht.«

Lizzie blickte erleichtert und fiel in mein Lachen mit ein.

»Oh, aber die hat sie.« Jemma wies auf die Schränke, die in der Handarbeitsecke verliefen. »Glaub mir, es wird ein Wunder sein, sollte sie tatsächlich alles verkaufen!«

»Dann macht euch auf ein Wunder gefasst, Ladys, denn ich gehe davon aus, dass dieses Zeug reißenden Absatz finden wird.«

»Alles, was wir jetzt noch brauchen«, meinte Jemma, während sie auf dem Ende ihres Stiftes kaute, »ist ein Name für das Unternehmen.«

»Oh, darüber habe ich schon nachgedacht«, warf ich ein. »Wie wär’s mit ›Back- und Bastelkunst aus dem Kirschblütencafé‹?«

»O ja!« Jemma klatschte in die Hände. »Ich liebe es!«

»Ich werde gleich heute Nachmittag ein Banner ­malen!«, rief Lizzie und schnappte sich Jemmas Notizbuch und Stift.

Kapitel 4

Bis zum Mittag hatte ich Lizzies hübsche Weihnachtsbasteleien durchgesehen und wieder verpackt, ihr geholfen, das Banner zu malen, das wir über dem Stand aufhängen wollten, und mit Jemma die ungefähren Mengen für ihre Großproduktion von Plätzchen und süßen Brötchen überschlagen. Lizzies Pläne waren natürlich weitaus einfacher, da ihre Produkte kein Verfallsdatum hatten, und während ich zusah, wie Jemma hin und her hetzte, um alles auf die Reihe zu kriegen, begann ich zu verstehen, was Lizzie mir bei unseren Telefonaten zu erklären versucht hatte. Während ich Jemma auf Hochtouren arbeiten sah, konnte ich auch begreifen, warum Tom noch immer nicht allzu angetan von der Idee mit dem Marktstand war, aber ich hoffte, dass er seine Meinung ändern würde, wenn der Stand erst aufgebaut und am Laufen war und wir eine Routine entwickelt hatten.

»Zeit für ein schnelles Sandwich und einen Schwatz?«, hörte ich eine vertraute Stimme neben meinem Ohr.

»Bea!«, kreischte ich, sprang auf und zog sie zu einer Umarmung an mich. »Ich habe nicht damit gerechnet, dich heute zu sehen! Ich dachte, du bist in der Arbeit!«

»Das bin ich auch«, antwortete sie, »aber mein nächster Klient kommt erst um eins, daher hat Mum vorgeschlagen, dass ich vorbeikomme und dich überrasche. Überraschung!« Sie lachte.

»Oh, wow!« Ich grinste zurück. »Es ist so schön, dich zu sehen.«

Beas Familienunternehmen lag praktischerweise genau gegenüber dem Kirschblütencafé am Marktplatz und daher an einem idealen Standort, um kurz vorbeizuschauen, um sich mit Kaffee und Gebäck einzudecken.

»Komm schon«, sagte sie und zog an einem Zipfel meiner Schürze. »Schnappen wir uns einen Tisch, bevor keiner mehr frei ist, und dann können wir in Ruhe quatschen.«

Nachdem wir unsere Paninis und Getränke bestellt hatten, saßen wir ins Gespräch vertieft da, die Köpfe zusammengesteckt, ohne irgendetwas davon mitzukriegen, was um uns herum stattfand.

»Ich muss schon sagen«, lächelte ich, während ich ihren tadellosen Teint und ihre manikürten Nägel bewunderte, »für einen Arbeitstag siehst du unglaublich zurechtgemacht aus. Was ist der Anlass?«

»Nichts.« Sie zuckte mit den Schultern, aber eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen. »Soll das etwa heißen, dass ich normalerweise so schluffig aussehe wie du in diesem Moment, mit diesem Nest auf dem Kopf und deiner verschmierten Mascara? Was ist denn los mit dir? Normalerweise fühle ich mich als die Verlotterte von uns beiden, wenn wir zusammen sind. Hast du dich völlig gehen lassen, oder ist heute eine Ausnahme?«