Apoll und Daphne - Burkhard Müller - E-Book

Apoll und Daphne E-Book

Burkhard Müller

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Beschreibung

Ein liebestoller Gott verfolgt eine Nymphe, die seiner Zudringlichkeit nur dadurch entkommt, dass sie sich in einen Baum verwandelt. Die Geschichte von Daphne und Apoll gehört zu den schönsten und bekanntesten aus Ovids »Metamorphosen«. Über zwei Jahrtausende hinweg hat sie Maler und Bildhauer so fasziniert, dass sie immer wieder den entscheidenden Augenblick der Verwandlung Daphnes zu bannen versuchten. Einige der größten Werke der Kunstgeschichte sind so entstanden. Ovids Text ist heute jedoch mehr denn je eine Herausforderung: Allein schon das antike Versmaß bereitet im Deutschen Kopfzerbrechen. Auch wenn das mythische Geschehen klar erscheint, erweist sich Ovids Sprache als so komplex, dass sich Generationen von Schülern daran die Zähne ausgebissen haben. Wie ist mit einer Sprache umzugehen, die niemandes Muttersprache mehr ist, mit einer literarischen Form, die wir kaum noch durchschauen? Für Burkhard Müller schafft erst die Einsicht in das, was uns von den Zeiten Ovids trennt, die Voraussetzung für eine Annäherung an sein Werk. Indem Müller den Geist der antiken Vorlage einzufangen versucht, bietet er uns einen Schlüssel nicht nur zur lateinischen Dichtkunst, sondern auch zu der von ihr inspirierten abendländischen Kunstgeschichte.

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Seitenzahl: 82

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Reihe zu Klampen Essay Herausgegeben von Anne Hamilton

Burkhard Müller,geboren 1959, ist Dozent für Latein an der Technischen Universität Chemnitz. Er schreibt regelmäßig für die »Süddeutsche Zeitung« und »Die Zeit«. 2008 wurde er mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet. Im zu Klampen Verlag sind von ihm erschienen: »Schlußstrich. Kritik des Christentums« (2004); »Der König hat geweint. Schiller und das Drama der Weltgeschichte« (2005); »Die Tränen des Xerxes. Von der Geschichte der Lebendigen und der Toten« (2006); »Lufthunde. Portraits der deutschen literarischen Moderne« (2008); »Verschollene Länder« (2013) und »Fälschungen, Verwandlungen. Vom schönen Schein der Bilder, Häuser und Menschen« (2016).

BURKHARD MÜLLER

Apoll und Daphne

Geschichte einer Verwandlung

zu KlampenEssay

2020

zu Klampen Verlag

Röse 21 · D-31832 Springe

[email protected] · www.zuklampen.de

Reihenentwurf: Martin Z. Schröder, Berlin Satz: textformart, Göttingen Gesetzt aus Baskerville Ten

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISBN 978-3-86674-754-8

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar:http://dnb.d-nb.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Der Dichter

Die Geschichte

Die Sprache

Die Bilder

Der lateinische Text

Der deutsche Text

Bildnachweise

Textnachweis

Vorwort

EIN Gott verfolgt eine Nymphe, die er begehrt, über Stock und Stein; und sie entzieht sich, indem sie sich in einen Strauch oder Baum verwandelt (denn der Lorbeer kann beides sein) – mehr passiert eigentlich nicht in dieser kleinen mythologischen Geschichte von Apoll und Daphne, die Ovid in seinen »Metamorphosen« erzählt. Sie umfasst kaum mehr als hundert Verse, lässt sich in einer Viertelstunde lesen, alles darin scheint auf der Hand zu liegen.

Und doch bündelt sich unter dieser klaren Oberfläche wie in einem Brennglas das, was uns die Antike zu einer fernen und fremden Zeit macht. Wer sind diese Götter und Nymphen? Glaubt denn der Spätling Ovid noch an sie? Und wie wäre seine Frömmigkeit beschaffen, wenn er sich so offenkundig über sie lustig macht? Welche Rolle spielt in den Reden, die er schwingt, die Schule der Rhetorik? Was besagt dieser Doppellauf über die Beziehung der Geschlechter, über das Verhältnis von Verführung und Gewalt? Wie kann es als Rettung gelten, wenn aus einer Frau ein Baum wird? Und warum kennt jenes Zeitalter keinen Wald, nur Bäume? Wie konnte aus dem uralten Animismus plötzlich die Allegorie erwachsen? Und wieso kam der Autor in seinem Dichten und Denken nicht los von seinem großen Feind, dem Kaiser Augustus?

Ovid schöpft bereits aus einer tausendjährigen Überlieferung; seither sind zwei weitere Jahrtausende vergangen, in denen sein Text auf vielfältige Weise fortgewirkt hat. Es geht darin um Verwandlung; und verwandelt hat er auch sich selbst. Haben wir heute noch eine Chance, in die Sprache dieses Werks einzudringen? Wie kann es gelingen, für die Gegenwart eine literarische Form zu retten, deren Voraussetzungen uns kaum noch begreiflich sind? Oder was bliebe, wenn wir die alte Form preisgeben müssen? Glückt uns die neue? Kann von einer Kontinuität der Kultur die Rede sein, wenn uns so viel vom Überkommenen trennt? Wollen wir dieses Erbe denn überhaupt haben? Da ist es jedenfalls, denn heute geht in einem materiellen Sinn nichts mehr verloren. Und wenn ja, was sind wir bereit dafür zu bezahlen? Jedes Erbe, mag es auch aussehen wie ein reines Geschenk, hat seinen Preis. Ovid ist bis heute lateinischer Schulautor; aber die Schüler schaffen ihn nicht, und kaum die Lehramtsstudenten, die ihn hassen, wenn er im Staatsexamen drankommt. Für das historische Selbstverständnis einer Gesellschaft ist es wichtig, ob sie im Rahmen der allgemeinen Bildung auch weiterhin für eine Sprache Platz finden will, die keiner mehr mit der unbedachten Instinktsicherheit des native speaker spricht; über die er also nachzudenken hat. Bleibt Latein, das heißt: bleibt es als Schulfach? Das wird sich nicht zuletzt am Umgang mit Ovid entscheiden.

So viele Fragen! Antworten gegeben hat die bildende Kunst, für die in ihren längsten und möglicherweise besten Zeiten die »Metamorphosen« des Ovid, gleich nach den biblisch-christlichen Themen, zur wichtigsten Quelle der Anregung wurden. Gerade Daphne und Apoll haben es ihr angetan. Wie aber kann man eine Verwandlung malen, die Zeit braucht, wo doch ein Bild still stehen muss? Da haben sich die Künstler einiges einfallen lassen. Nicht alles funktioniert; doch interessant ist es immer, es kommen dabei Gesetze und Grenzen der Kunst überhaupt zum Vorschein. Und manche Maler wuchsen über den Schriftsteller hinaus.

Die »Metamorphosen« des Ovid haben zwei Kernsätze: Keinem bleibt seine Gestalt; und: Jeder Ort hat seine Geschichte. Zusammen umreißen sie das, was Tradition bedeutet. Wo sie lebt, da tut sie es in beiden Reichen zugleich, Raum und Zeit, folgenreich selbst dort, wo wir sie kaum mehr erkennen, und substantiell entfremdet gerade in ihren stolzesten Altertümern. Der schmale Korridor, worin Apoll und Daphne spielen, öffnet im perspektivischen Sturz den Blick in die Tiefe.

Der Dichter

VOR einiger Zeit bekam ich in meinem Büro an der Universität Besuch vom erzürnten Vater einer Zehntklässlerin. Diese hatte in einer Latein-Schulaufgabe einen Vierer kassiert, genaugenommen sogar einen Sechser, soweit es die Übersetzungsleistung betraf (nur der Interpretationsteil hatte sie herausgerissen). Sie war immer eine so gute Schülerin gewesen, und jetzt das! Der Vater sah mich, den einzigen akademisch bestallten Lateiner Westsachsens, als zuständige Instanz an, um über diese Gemeinheit von einer Schulaufgabe zu Gericht zu sitzen. Der zu bewältigende Text war aus den »Metamorphosen« des Ovid genommen. Schon ein flüchtiger Blick auf das Blatt ließ erkennen, was los war: Ein Drittel nahm der Text selbst ein, zwei Drittel die Übersetzungshilfen. Ich sah mir also die Aufgabe und die so schlecht bewertete Lösung an und sagte dem aufgebrachten Vater dann zweierlei. Erstens, die Übersetzungsleistung sei zu Recht mit ungenügend benotet worden, denn trotz aller Hilfen lasse sie auch nicht einen Hauch von Verständnis erkennen, worum es eigentlich gehe. Zweitens, es scheine mir völlig verfehlt, einer zehnten Klasse mit spät beginnendem Latein diesen Text zuzumuten. Lehrer, Lehrplan und Kultusministerium machten sich was vor, wenn sie meinten, sie könnten die Schüler auf eine Höhe der Sprachbeherrschung führen, wo sie den »Metamorphosen« gewachsen wären. Ich glaube, als mein Besucher an diesem Tag ging, war er höchstens zur Hälfte befriedigt.

Ovids »Metamorphosen«: Das war einmal, neben der Bibel, das langdauernd wirkungsmächtigste Buch Europas. (Denn Shakespeare und alles Weitere sind ja weitaus jünger und zudem in ihre Regionalsprache gebannt, und die Griechen begann man erst in der Neuzeit wieder auszugraben.) Aber es hat sich, offenbar ohne dass es wirklich bemerkt oder jedenfalls thematisiert worden wäre, im Lauf der Zeit eine Schwelle zu diesem Werk aufgebaut, die immer höher wurde, bis sie zuletzt für praktische, zum Beispiel schulische Zwecke den Punkt der Unübersteigbarkeit erreicht hat. Die »Metamorphosen« im Original zu lesen, ist heute nicht mehr vielen Menschen möglich; die Sprache ist zu schwer, und zu schwer das Bildungsgepäck, das man mitführen muss, um hier durchzufinden. Auch wer die »Metamorphosen« auf Deutsch liest, muss damit zurechtkommen, dass »Kikonentöchter« die Bewohnerinnen der Landschaft Thrakien umschreibt (denn bei den ungefähr hier zu denkenden Kikonen hatte Odysseus auf seinen Irrfahrten Station gemacht), mit den Thrakerinnen aber wiederum die Mänaden gemeint sind, die rasenden Begleiterinnen des Gottes Dionysos, der seinen Weg nach Griechenland über Thrakien nahm. So, über mehrere Bande wie beim Billard, spielt der raffinierte, der gelehrte Dichter Publius Ovidius Naso seine mythologischen Geschichten. Bei einem Seminar über die »Metamorphosen« habe ich ganz selbstverständlich eine deutsche Übertragung verwendet; zum Original fanden die Teilnehmer keinen Zugang. Und so erscheint die Frage nicht überflüssig, in welcher Weise dieser einst berühmteste aller Dichter zweitausend Jahre nach der antiken und zweihundert Jahre nach der deutschen Klassik eigentlich noch lebt, das heißt: für uns lebt.

Anders als in den dunklen Zeitaltern gehen heute keine Bücher mehr verloren, da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Das Werk des Ovid ist da, so komplett und umfangreich wie bei kaum einem anderen alten Autor. Das muss man zunächst einmal als beruhigend bezeichnen. Auch wenn wir damit nichts würden anfangen wollen, werden wir es doch einer möglicherweise interessierteren Nachwelt unbeschädigt weiterreichen. Sauber und unverdaut ginge es dann durch unser Zeitalter hindurch wie ein Kirschkern durch den Darm eines Vogels, um erst, wenn es am anderen Ende, in einer noch in weiter Ferne liegenden Zukunft, wieder herauskommt, möglicherweise neu auszukeimen. Aber eine Tradition bildet ein solch rein materielles Fortdauern im Wartestand, ein derartiger Winterschlaf natürlich nicht. Dazu müsste ein Buch gelesen und gekannt sein, es müsste sich darum eine Kultur des Zitierens und der sogleich verständlichen Anspielung ranken; es müsste in unserem Leben mindestens so stark anwesend sein wie, sagen wir, ein vor nicht allzu langer Zeit verstorbener Onkel.

Dies kann dem Original in direkter Form heute nicht mehr gelingen. Um so drängender stellt sich die Frage, wie es denn dann präsent ist und sein könnte. Ovid und seine »Metamorphosen« müssen heute Umwege nehmen. Aber das hat auch Vorzüge: Diese Umwege bringen die Rezeption ins Spiel, die vergangene und die gegenwärtige, und verwandeln, was des Dichters einzige Stimme war, in einen vielstimmigen Chor der Jahrhunderte. Ovid erreicht uns heute als Übersetzung, und dies auf dreifache Weise: übersetzt vom Lateinischen in unser heutiges Deutsch; übersetzt aus Sprache in Musik (es gibt Dutzende von Opern, die sich von den »Metamorphosen« haben anregen lassen, und die erste Oper überhaupt, um die Mitte des 16. Jahrhunderts, heißt nach der Nymphe, mit der auch ich mich gleich beschäftigen möchte: Daphne); übersetzt aus der Literatur in die bildende Kunst, die sich für Ovids Geschichten als besonders dankbar erwiesen hat. Zuvor allerdings möchte ich einiges über den Dichter, die Metamorphosen im allgemeinen und speziell über jenen Ausschnitt sagen, den ich mir als Beispiel für das Ganze vorgenommen habe.

Publius Ovidius Naso wurde in der Schlussphase der Römischen Republik geboren, in der fast ununterbrochen Bürgerkrieg herrschte. Statt der Jahreszahl verwendeten die Römer die Namen der zwei