Apologie des Sokrates - Platon - E-Book

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Platón

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Beschreibung

Die legendäre Verteidigungsrede des griechischen Meisterphilosophen neu übersetzt und kommentiert

Ein hochaktueller moralisch-politischer Grundtext der Demokratie

Es ist eine dramatische Schlüsselszene der Philosophiegeschichte – und zugleich ein Tiefpunkt demokratischer Moralität: die Hinrichtung des athenischen Philosophen Sokrates durch eine ganz und gar parteiische und voreingenommene Polis-Justiz. Dem Sokrates-Schüler Platon verdanken wir die Aufzeichnung jener legendären Verteidigungsrede, die dem freiesten, besonnensten und vorurteilsfreiesten Geist der Antike zwar nicht das Leben bewahrte, aber doch ein ehrendes Andenken der Nachwelt, das seinesgleichen sucht.

Kurt Steinmann, Übersetzer von unvergleichlicher philologischer Autorität, hat sich dieses zentralen Texts der abendländischen Philosophiegeschichte angenommen – und legt damit ein außerordentlich aktuelles Buch vor, in dem Fragen der Moralität ebenso verhandelt werden wie solche der rechtlichen Legitimität staatlicher Willkür.

«Sokrates ging ins Gefängnis und nahm diesem Ort seine Anstößigkeit – es konnte kein Kerker sein, so lange er darin war … Der Ruhm dieses Gefängnisses, der Ruhm der Gespräche, die darin geführt wurden, und das Trinken des Schierlings stellen eine der wunderbarsten Stellen der Weltgeschichte dar.» Ralph Waldo Emerson

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Seitenzahl: 138

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Die eindringliche Verteidigungsrede des «weisesten der Sterblichen» (Arthur Schopenhauer) ist ein intellektuelles Vermächtnis erster Güte – und einmoralisch-politischer Grundtext jeder Demokratie.

Es ist eine dramatischeUr-Szene der abendländischen Philosophie- und Rechtsgeschichte – und zugleich ein Tiefpunkt demokratischer Moralität: Sokrates muss sterben, weil die Polis es so will. Die Verurteilung und Hinrichtung des Philosophen durch eine parteiische Justiz bewegt bis heute. Dem Sokrates-Schüler Platon verdanken wir die Überlieferung jener legendären Verteidigungs rede, in der Fragen der Moralität und des rechten Lebens ebenso verhandelt werden wie die der rechtlichen Legitimität staatlicher Willkür.

Kurt Steinmann, Meisterübersetzer von hoher philologischer Autorität, hat sich des Kerntexts der Philosophiegeschichte angenommen. Seine Fassung zeigt, wie aktuell Platons «Apologie» bis heute ist.

«Die Wahrheit hat keine Klienten, sie hat nur Märtyrer.»

Montesquieu

«Die Erfüllung des griechischen Dramas ist Sokrates. Darum ist er eine ewige Figur: der hellenische Faust.»

Egon Friedell

«Den Prozess hat Sokrates verloren, aber die weitaus bedeutsamere philosophische Auseinandersetzung hat er triumphal gewonnen.»

Otto Schily

Platon

APOLOGIE DES SOKRATES

Aus dem Griechischen übersetzt und kommentiert von Kurt Steinmann

Mit Nachrufen, Reverenzen, Korrespondenzen von Xenophon bis Kundera

Nachwort von Otto Schily

MANESSE VERLAG

Vorspann

Wir schreiben das Jahr 399 vor unserer Zeitrechnung. In Athen steht an einem Februar- oder Märztag ein Siebzigjähriger vor Gericht, ein attischer Bürger, Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme, selbst Familienvater, als ehemaliger Hoplit Kriegsveteran, jetzt philosophischer Fragesteller und moralischer Rigorist, angeklagt gleich mehrerer schwerwiegender Vergehen, die nach Meinung der Anklage die Todesstrafe rechtfertigen sollen.

Die Anklage verdankt Sokrates einem gewissen Meletos, der sich zu Jahresbeginn zur «Königshalle» in der nordwestlichen Agora zum Amtssitz des Jahresbeamten, des Archons Basileus, begeben hat. In dessen Zuständigkeitsbereich fällt nämlich die Aufsicht über religiöse Angelegenheiten und die Ahndung allfälliger Verstöße. In Begleitung seiner beiden «Fürsprecher» Anytos und Lykon erhebt Meletos schwere Anschuldigungen gegen Sokrates wegen Religionsfrevels (Asebie).

Der exakte Wortlaut des Gesetzes, auf dem die Anklage gegen Sokrates beruht, ist nicht überliefert. In der Lebensbeschreibung des Perikles («Vitae parallelae», 32,1) berichtet Plutarch 432 v. Chr. allerdings von einem Gesetzesvorschlag, wonach jeder, der «nicht an die Götter glaubt und sich in wissenschaftlichen Vorträgen mit Himmelserscheinungen befasst», gegen geltendes Recht verstoße – ein Hinweis darauf, dass Asebie in der Rechtsordnung Athens schon Jahrzehnte vor dem Prozess gegen Sokrates als offizieller Straftatbestand betrachtet wird.

DieTragweitedeshiergegendenAngeklagtenerhobenenVorwurfslässtsichindeserstermessen,wennmansichvorAugenführt,dassreligiösesundpolitischesOrdnungsdenkeninderPolisengstensaufeinanderbezogensind.BeiPlatonfindetsichderHinweisaufdietheologischeFundierungaller«nomoi»,denendieVernunftzugrundeliege,diewiederumalsGabederGötterandieMenschenaufgefasstwird.UndbeiXenophonheißtes,«wernachdemGesetzdesStaateshandele,derhandele gottesfürchtig» («Memorabilia», 1,3,1).

Dort, wo «Heiliges» und «Profanes» so sehr ineinander verschränkt sind, schließt das Vergehen mangelnden Respekts gegenüber den Göttern zwangsläufig das Vergehen mangelnden Respekts gegenüber dem Gemeinwesen, seiner göttlichen Ordnung und seiner göttlichen Gesetze mit ein. Kurzum: Wer Frevel an den Göttern übt, macht sich zugleich des Frevels am Staat schuldig.

Nach Einreichung der Klage ist der Archon Basileus aufgerufen, in einem Vorverfahren deren formale Richtigkeit zu prüfen, die Ankläger einen Eid schwören zu lassen und die Gegenüberstellung von Kläger und Angeklagtem vorzunehmen. Daraufhin bestimmt er für die Verhandlung einen freien Tag im Gerichtskalender und legt die Anzahl der Richter (Heliasten) auf fünfhundert fest (denkbar wären auch tausend oder tausendfünfhundert gewesen).

DieöffentlicheKundmachungderKlageerfolgtdurchAushängungeinergeweißtenHolztafel(«sanis»).GemäßdemdurchDiogenesLaertiosüberliefertenWortlautstehtmitKohledaraufgeschrieben:«DieseAnklagehateingebrachtundalswahrbeschworenMeletos,derSohndesMeletos,ausdemDemosPitthos,gegenSokrates,denSohndesSophroniskos,ausdemDemosAlopeke:SokratestutUnrecht,indemernichtandieGötterglaubt,andiedieStadtglaubt,sondernandere,neuedämonischeWeseneinführt;außerdemtuterUnrecht,indemerdieJugendverdirbt.AlsStrafewirdderTodbeantragt» («Leben und Lehre der Philosophen», II, 40).AuchdieGegendarstellungdesAngeklagtenwirdüblicherweiseamselbenOrt –anderHolzumzäunungdesMonumentsdereponymenPhylenheroen –ausgehängt (sie ist in diesem Fall nicht überliefert).

Am angesetzten Gerichtstag versammeln sich die Kandidaten für das Laienrichteramt aus den einzelnen Stadtteilen (Phylen) am frühen Morgen, da das Urteil bis zum Abend gesprochen sein muss. Als Vorbedingungen für die Eintragung in die Richterlisten der Phylen und die Berufung gelten der uneingeschränkte Besitz des athenischen Bürgerrechts und ein Mindestalter von dreißig Jahren. In einem ersten Schritt konstituiert sich der Gerichtshof aus fünfhundert durch das Los bestimmten Geschworenen in einem ausgetüftelten,jedenManipulations-undBestechungsversuchausschließenden Verfahren. Als Zeichen der richterlichen Autorität erhält jeder Heliast einen Richterstab, an dessen Farbe die Zugehörigkeit zum Gerichtshof abzulesen ist.

IstdieKonstitutiondesGerichtshofsabgeschlossen,wirddieeigentlicheVerhandlungdurcheinSignaldesHeroldseröffnet.DerArchonBasileusbetrittdieSzene,gefolgtvondenProzessparteien,Meletos,AnytosundLykoneinerseits,SokratesundseinenUnterstützernandererseits.

NachdemderHerolddievormalseingereichteKlageunddieErwiderungdesBeklagtenverlesenhat,begibtsichderHauptanklägerzumRednerpodiumundbeginntmitderErläuterungderAnklagepunkte,begleitetvomAntrag,dieTodesstrafezuverhängen.Sodannfolgen die Plädoyers der beiden Nebenkläger.

All das gehört zur unmittelbaren Vorgeschichte des von Platon geschilderten Prozesses, eine Vorgeschichte, die dieser bei der Leserschaft seiner Zeit entweder als hinlänglich bekannt voraussetzte oder aber als unerheblich für sein philosophisches Gerichtsdrama erachtete. So beginnt in seinem Werk die Verhandlung gegen Sokrates vor dem athenischen Tribunal gleich mit der Verteidigungsrede des Angeklagten.

Synopsis

Erste Rede

Sokrates bekennt sich dazu, die Wahrheit zu sagen, dabei aber auf rhetorischen Prunk zu verzichten (17 a–18 a 6)

Sokrates referiert frühere Verleumdungen, die er als «erste Anklage» bezeichnet (18 a 7–19 a 7)

Sokrates widmet sich der Widerlegung der Behauptungen der «ersten Anklage» (19 a 8–24 b 2)

Sokrates nimmt Stellung zur aktuellen Anklage und unterzieht seinen Ankläger Meletos einer kritischen Befragung (24 b 3–28 b 2)

Exkurs: Aufklärung darüber, wer Sokrates wirklich ist (28 b 3–34 b 5)

Epilog (34 b 6–35 d 9)

Zweite Rede

Der soeben Verurteilte stellt einen Gegenantrag zur Bestimmung des Strafmaßes (35 e 1–38 b 10)

Dritte Rede

Nach der Verkündigung des Todesurteils hält Sokrates seine Schlussrede vor dem Gericht (38 c–42 a)

I

Erste Rede

Verteidigung des Sokrates gegen den Antrag der Ankläger Anytos, Meletos und Lykon auf die Todesstrafe (17 a–35 d).

(17 a) Welchen Eindruck meine Ankläger in euch, ihr Männer von Athen1, hinterlassen haben, weiß ich nicht. Ich auf alle Fälle wäre unter der Wirkung ihrer Worte um ein Haar an mir selbst irregeworden, so stichhaltig klang, was sie sagten. Wahres allerdings haben sie sozusagen nichts gesagt. Doch am meisten habe ich mich bei ihnen bei dem vielen, das sie dahergelogen haben, über eine Stelle gewundert, nämlich über die, wo sie sagten, ihr solltet auf der Hut sein, nicht von mir hinters Licht geführt zu werden, denn ich sei ein gewaltiger (b) Redner2. Denn dass sie sich nicht schämen, sogleich durch Tatsachen von mir widerlegt zu werden – wenn sich nämlich klar erweist, dass ich auch nicht im Mindesten ein gewaltiger Redner bin –, dies schien mir der Gipfel ihrer Unverschämtheit zu sein, es sei denn, sie nennen den einen gewaltigen Redner, der die Wahrheit sagt; denn sollten sie es so meinen, dann möchte ich ihnen beipflichten, dass ich ein Redner bin – nur eben nicht nach ihrem Sinn.

Diese also haben, wie ich meine, so gut wie nichts Wahres gesagt; ihr aber sollt von mir die ganze Wahrheit hören – allerdings, beim Zeus, ihr Männer von Athen, keine schön ziselierten Sätze3, wie die meiner Ankläger, mit feinsinnigen Redensarten und Phrasen und (c) kunstvoll angeordnet, nein, ihr werdet von mir schlichte Alltagsrede4 zu hören bekommen, wie sie mir gerade einfällt5 – denn ich bin fest überzeugt, dass das, was ich sage, richtig ist –, und keiner von euch soll etwas anderes erwarten. Es wäre doch wohl auch für mich unangemessen, ihr Männer, in meinem Alter, als wäre ich ein junger Bursche, Worte drechselnd vor euch hinzutreten. Doch eindringlich bitte und ersuche ich euch, ihr Männer von Athen, um Folgendes: Wenn ihr mich mit denselben Worten verteidigen hört, wie ich sie auf dem Markt bei den Tischen der Geldwechsler6, wo mir viele von euch zugehört haben, wie auch andernorts zu verwenden pflege, dann (d) wundert euch deswegen nicht und fallt mir nicht ins Wort7. Denn es verhält sich so: Heute stehe ich zum ersten Mal vor Gericht, im Alter von siebzig Jahren; die hier geläufige Ausdrucksweise ist mir daher völlig fremd.8 Wie ihr nun, wenn ich tatsächlich ein Ausländer wäre, es mir doch wohl nachsehen würdet, wenn ich nach jener Art und in der Redeweise spräche, in (18 a) der ich aufgewachsen bin, so bitte ich euch denn auch in dieser Situation, und diese Bitte erscheint mir recht und billig, mir meine Art zu reden durchgehen zu lassen – vielleicht ist sie schlechter, vielleicht aber auch besser – und das allein ins Auge zu fassen und darauf eure Aufmerksamkeit zu richten, ob das, was ich sage, rechtens und richtig ist oder nicht. Denn darin zeigt sich der spezifische Auftrag des Richters, der des Redners aber darin, die Wahrheit zu sagen.

(18 a 7) Zunächst also, ihr Männer von Athen, muss ich mich gegen die unbegründeten Anklagen, die zuerst gegen mich erhoben worden sind, verteidigen, und gegen die ersten Ankläger9, dann erst gegen die späteren Anklagen und die (b) späteren Ankläger. Denn gegen mich sind bei euch viele Ankläger am Werk, und das seit Langem, schon seit vielen Jahren, ohne ein wahres Wort zu sagen: Die fürchte ich mehr als die Gruppe um Anytos10, wenngleich auch diese gefährlich ist. Gefährlicher aber, ihr Männer, sind diejenigen, die die meisten von euch seit frühester Jugend ins Visier genommen, beeinflusst und mich völlig wahrheitswidrig beschuldigt haben, es gäbe da einen gewissen Sokrates, einen klugen Mann11, der über die Himmelskörper12 nachdenke, die Dinge unter der Erde, und zwar alle insgesamt, erforsche und das schwächere Argument zum stärkeren mache.13Die Leute, ihr Männer von Athen, die (c) dieses Gerücht verbreitet haben, sind unter meinen Anklägern die wirklich gefährlichen; denn wer das hört, nimmt an, dass jene, die solche Forschungen betreiben, auch nicht an die Existenz von Göttern glauben. Ferner sind diese Ankläger zahlreich und klagen mich schon seit langer Zeit an, und zudem sprachen sie zu euch, als ihr in dem besonders leichtgläubigen Alter wart, da einige von euch noch Kinder oder junge Burschen waren, und sie klagten geradezu einen Abwesenden an, den niemand verteidigte. Das Absurdeste aber ist, dass man nicht einmal ihre Namen erfahren und nennen kann – (d) außer es handle sich dabei zufällig um einen Komödiendichter14. All die aber, die aus Missgunst und Verleumdungssucht auf euch einredeten – und diejenigen, die, selbst beeinflusst, andere beeinflussten –, die sind am allerwenigsten zu fassen. Denn es ist unmöglich, einen von ihnen hier auftreten zu lassen und ihn zu verhören,15 vielmehr man muss bei seiner Verteidigung wie ein Schattenboxer kämpfen und Fragen stellen, ohne dass einer darauf antwortet. Anerkennt also auch ihr, dass ich, wie ich behaupte, zwei Gruppen von Anklägern habe: die einen, die mich eben erst angeklagt haben, und die andern (e),die, wie gesagt, dies schon seit Langem tun, und glaubt mir, dass ich mich ihnen gegenüber zuerst verteidigen muss; auch ihr habt ja deren Anklagen früher gehört und viel eindringlicher als die der späteren.

Also denn: Ich muss mich jetzt verteidigen, ihr Männer von Athen, und (19 a) versuchen, euch vom Vorurteil abzubringen, das bei euch seit geraumer Zeit Wurzeln geschlagen hat – und das in so kurzer Zeit. Ich wünschte, dass es gelänge, soweit es sowohl für euch als auch für mich vorteilhaft ist, und dass ich mit meiner Verteidigung etwas ausrichte; ich glaube freilich, es ist schwierig, und wie schwierig es ist, darüber mache ich mir keine Illusionen. Gleichwohl nehme nun dies seinen Lauf, wie es Gott gefällt; meine Aufgabe aber ist es, dem Gesetz zu gehorchen und mich zu verteidigen.

Nehmen wir also von Anfang an auf, was für eine Beschuldigung es ist, aufgrund derer die Verleumdung gegen mich aufgekommen ist, auf die sich denn auch (b) Meletos16 stützte, als er die vorliegende Klageschrift gegen mich einreichte. Also: Mit welchen Behauptungen verleumdeten mich meine Verleumder? Denn wie die von wirklichen Anklägern muss man ihre Klageschrift, als wäre sie eidesstattlich bekräftigt, verlesen: «Sokrates verstößt gegen die Gesetze und stellt hirnverbrannte Dinge an, indem er das, was unter der Erde und am Himmel ist, erforscht, das schwächere Argument zum stärkeren macht und andere eben darin unterweist.» (c) So in etwa ist der Wortlaut. Das konntet ihr ja selbst in der Komödie des Aristophanes sehen, wie dort ein gewisser Sokrates [in einem Korb] hin und her pendelt und behauptet, er könne in der Luft wandeln,17 und noch viel anderes dummes Zeug schwätzt, lauter Dinge, von denen ich nichts, aber auch gar nichts verstehe. Und ich sage das nicht, weil ich von derlei Dingen nichts hielte, wenn einer sich darin wirklich auskennt – hoffentlich behelligt mich Meletos nicht auch noch mit diesem schwerwiegenden Vorwurf! –, sondern weil ich, ihr Männer von Athen, mit diesen Dingen nichts zu schaffen habe. Als Zeugen dafür (d) kann ich die große Mehrheit von euch aufrufen, und ich fordere euch auf, dass ihr euch gegenseitig austauscht und darüber aufklärt, soweit ihr mir je bei einer Diskussion zugehört habt – und das sind viele von euch. Verständigt euch also, ob einer von euch mich je auch nur im Ansatz über solche Dinge hat diskutieren hören. Und daraus könnt ihr dann ersehen, dass es so auch mit allem andern steht, was die Menge über mich behauptet.

Daran ist also überhaupt nichts, auch nicht daran, solltet ihr von irgendjemandem gehört haben, ich versuchte, Menschen zu erziehen, und dafür (e) ein Honorar nehme: Auch das ist nicht wahr. Allerdings scheint mir auch dies eine gute Sache zu sein, wenn einer imstande sein sollte, Menschen zu erziehen, wie etwa Gorgias aus Leontinoi oder Prodikos aus Keos oder Hippias aus Elis.18 Von den Genannten, ihr Männer, ist nämlich ein jeder in der Lage, indem er von einer Stadt zur andern zieht, auf die jungen Leute einzuwirken, denen es doch freisteht, unentgeltlich mit jedem Mitbürger ihrer Wahl Umgang zu haben. Diese bearbeiten sie, den Kontakt mit den Mitbürgern(20 a) abzubrechen, sich ihnen gegen Bezahlung anzuschließen und ihnen obendrein noch dankbar zu sein. Da gibt es übrigens noch einen andern Mann, einen Intellektuellen aus Paros,19 der sich, wie ich erfuhr, hier im Lande aufhält. Ich traf nämlich zufällig einen Mann, der den Sophisten mehr Geld gezahlt hat als alle andern zusammen, Kallias20, den Sohn des Hipponikos21. Ihn also fragte ich – er ist nämlich Vater von zwei Söhnen: «Kallias», sagte ich, «wenn deine beiden Söhne Füllen oder Kälber wären, dann wüssten wir für sie einen Aufseher zu finden und in Sold zu nehmen, von dem zu erwarten wäre, dass er sie gut und gewandt machen würde (b) in der ihnen eigentümlichen Vortrefflichkeit, und jener wäre ein Fachmann für Pferde oder ein Viehzüchter. Da sie nun aber beide Menschen sind, wen beabsichtigst du für sie als Aufseher einzustellen? Wer versteht sich auf diese Vortrefflichkeit, die auf den Menschen als Mensch und als Bürger abzielt? Denn ich denke, du wirst dir darüber Gedanken gemacht haben, da du Söhne hast. Gibt es so einen», fragte ich, «oder nicht?»

«Aber gewiss», antwortete er.

«Wer ist es», fuhr ich fort, «und woher kommt er, und was kostet sein Unterricht?»

«Euenos, mein Sokrates», sagte er, «aus Paros, fünf Minen22.»

Und ich pries den Euenos glücklich, wenn er denn tatsächlich über dieses(c) Können verfügen sollte und zu so angemessenem Honorar unterrichtet. Ich jedenfalls würde mich selbst rühmen und mir auf die Schultern klopfen, wenn ich mich darauf verstünde, aber ich verstehe mich eben nicht darauf, ihr Männer von Athen.

Es könnte nun einer von euch vielleicht einwenden: «Aber, Sokrates, worin besteht denn eigentlich deine Tätigkeit? Woher rühren diese Verleumdungen gegen dich? Denn würdest du nicht etwas betreiben, was sich vom normalen Tun der anderen deutlich unterscheidet, wäre doch gewiss nicht im Gefolge ein so massives Gerücht und Gerede entstanden – wenn du nicht etwas von der großen Masse Grundverschiedenes tätest. Sag uns doch, was es ist, damit wir nicht vorschnell über dich (d) urteilen.» Dieser Einwand scheint mir berechtigt, und ich will versuchen, euch aufzuzeigen, was es denn ist, was mir die Bezeichnung [Sophist] und die Verleumdung eingetragen hat. So hört denn. Und vielleicht werden einige von euch den Eindruck haben, ich scherze. Ihr sollt jedoch wissen: Ich werde euch die volle Wahrheit sagen. Ich habe nämlich, ihr Männer von Athen, aus keinem anderen Grund als wegen einer bestimmten Art von Wissen dieses Etikett angeheftet bekommen. Aufgrund welchen Wissens denn? Es handelt sich vermutlich um menschliches Wissen23