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Der Sankt Galler Kommissar Bert Häfeli und sein Appenzeller Kollege, der Rässe Sepp, helfen sich gegenseitg aus der Patsche und lösen unübersichtliche Fälle. Im Hexetöbeli finden sie eine männliche Leiche und einen Wolfskadaver. Im Beichtstuhl der Kirche St. Magdalena wird ein junger Mann niedergestochen. Überraschungen jagen sich.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Vorwort
Ein Traum?
Gespenster kehren zurück
Die Rote Sophie I
Hühner an die Macht
Ruhe im Kloster
Die Rote Sophie II
Bigband am Totenbett
Südwööscht und Appezöller Biber
Sex auf dem Friedhof
Die Rote Sophie III
Prinzessin auf dem Thron
Wieder zwei Wochen später
Personenverzeichnis
Dank
Théo Buff in quirligen Daten
Endzeitzauber
Galgenvögel
Zwischenwelten
Mord in Appenzell? Und in Sankt Gallen. Von Sankt Gallen sind wir uns das ja gewohnt, spätestens seit der Trilogie Mord in Sankt Gallen. Aber Appenzell? Der zauberhafte Hauptort des Kantons Appenzell Innerrhoden mit seiner Hoptgass und den vielen Geschäften und den geschäftstüchtigen Appenzellerinnen und Appenzellern. Im wunderschönen Appenzellerland mit seinen Streusiedelungen, den Alpweiden, seinem vielfältigen und spannenden Brauchtum und seinem urchigen Dialekt. Das alles dem Alpstein und seinem Kronjuwel, dem Säntis, vorgelagert und buchs täblich zu Füssen.
Und nun wird also auch noch in Appenzell gemordet – wer hätte das gedacht. Wird es Kommissar Sepp Räss und seinem Team gelingen, Ordnung zu schaffen und die Appenzellische «Ruhe» wieder herzustellen? Wo viele meinen, die Welt sei hier noch in Ordnung und ganz Verwegene glauben, Appenzell werde bald die Hauptstadt der neu geschaffenen Metropolitan-Region Säntis-Bodensee. Verwaltet werde allerdings nach wie vor in Sankt Gallen. Obwohl die Appenzeller schlau seien, jedenfalls schlauer als die Sankt Gallerinnen, hiess es. In der Regel. Vielleicht zu schlau?
Hinzu kommen nun neuerdings auch noch Wölfe, welche die Bewohner im Appenzellerland beunruhigen und sogar bis nach Sankt Gallenvordringen Ihr Geheul klingt schauerlich durch die Nacht, aber eben nicht nur in der Nacht. Wolfsgeheul.
Schon wieder Chabis? Das Lieblingswort von Kommissar Bertold Häfeli, genannt Bert, der im Kommissariat 2 die Stadt Sankt Gallen und das Amtshaus unsicher macht. Und nun die Reha im Weissbad geniesst und gelegentlich dem Räässen Sepp zu Hilfe eilt. Hatte Kommissar Häfeli seine Krankheit «überhaue»? Würde er in der Appenzeller RehaKlinik auch dank der «frische Loft» wirklich ganz gesund werden und wieder ins Kommissariat 2 der Stadtpolizei im Amtshaus1 an der Neugasse zurückkehren? Oder wer würde seine Stelle nach seiner allfälligen Pensionierung übernehmen?
Was führt sein Stellvertreter Max Kraienbühl mit seinen Reiseprospekten im Schild? Taucht Sabrina, Häfelis Ehefrau, endlich wieder auf? Vor allem aber: Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit mit dem Appenzeller Kommissar, dem Räässen Sepp, und wer ist der Tote vom Aescher …?
Fragen über Fragen. Die Phantasie ist grenzenlos. Und ohne Ende. Wer sie zulässt, geniesst sie. Und schmunzelt dabei.
Der Trilogie Mord in Sankt Gallen und andere Geschichten mit den Bänden Endzeitzauber, Galgenvögel und Zwischenwelten folgt nun also Appenzeller Wolfsgeheul. Man hätte sich durchaus auch für «Der Tote vom Aescher» oder «Mord in Appenzell» als Titel entscheiden können – die Wölfe hätten trotzdem weiter geheult. Definitiv. Und nicht nur im Appenzellerland.
Bei allen diesen Büchern handelt es sich nicht um gewöhnliche Krimis. Es sind auch nicht nur Orts- oder StadtführerRomane durch Sankt Gallens Quartiere und Geheimnisse und nun durchs Appenzellerland, sondern immer auch ein Sack voller Geschichten und Überraschungen, mit kriminalistischen Aspekten, Charme und Spannung mit vielen Zwischentönen. Nebenbei: Personen und Handlungen sind auch in Wolfsgeheul frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Lebenden oder Verstorbenen wären zufällig und nicht beabsichtigt. Suchen Sie also nicht krampfhaft nach passenden Vorbildern für die Akteure, es gibt sie nicht. Alles Mischbilder. Zerrbilder. Bei Fragen oder allfälliger Verwirrung mit den Namen hilft das Personenverzeichnis im Anhang.
Die vier Bände sind in sich abgeschlossen und unabhängig voneinander geniessbar, jeder etwas anders gestrickt und spielt schwergewichtig an einem anderen Ort, nun im lieblichen Appenzellerland.
Hauptkommissar Major Sepp Räss, ebenfalls ein Original wie sein Sankt Galler Kollege, bittet zu Tisch mit vielen Appenzeller Spezialitäten und Geschichten und ruft seinen Gästen im wunderschönen Appenzeller Dialekt zu:
Chööd zonis – me hettid e oosinnegi Freud. Sönd wöllkomm!
Also, los geht’s. Nach Appenzell.
1Das Hauptquartier der Stadtpolizei ist für den Autor immer noch im pittoresken Amtshaus angesiedelt, mitten in der Altstadt Sankt Gallens, spielt aber in diesem Buch keine grosse Rolle mehr. Wer mehr darüber erfahren möchte führe sich insbesondere Endzeitzauber, Mord in Sankt Gallen und andere Geschichten, Band 1 der Trilogie zu Gemüte.
Bert Häfeli sah sich im Bett liegen. Ein weisses Zimmer, alles weiss. Ein Bett mit Infusionsbaum. Seine Lieblingsschokolade auf dem Nachttisch. Vis-à-vis des Bettes sah er ein wunderschönes Bild, blau, in verschiedenen feinen Abstufungen und Tiefen. Wasser. Eine Lagune. Meer. Wellen plätschern sanft ans Ufer – wie er dieses Geräusch liebte. Musik vom Feinsten. Wo bin ich?
Dann hörte er Stimmen, Frauenstimmen, drei verschiedene Frauen, nacheinander, doch er sah sie nicht. Aber er erkannte sie: Seine Mutter, die längst gestorben war. Anna und eine dritte. Aber wer?
Anna Wetterstein, seine frühere Stellvertreterin im Kommissariat 2, küsste ihn auf die Lippen, streichelte seine Wangen. Er roch ihr Parfüm. «Ich bin schwanger, von dir», flüsterte sie ihm ins Ohr. «Ich freue mich so!»
Schwanger, von mir? Und ich werde Vater im GrossvaterTenue. Ein Witz. Ein Schmäh der Wetterstein?
Auch einige alte Kollegen, die er teilweise aus den Augen verloren und beinahe vergessen hatte, besuchten ihn, nebst Max Kraienbühl, seinem Stellvertreter und Freund. Häfeli freute sich über diese Abwechslung im töteligen, spannungslosen Spital-Alltag. Immer wieder kamen auch seine fast erwachsenen Kinder vorbei, Roberto und Patrizia; beide schienen ihren Weg auch ohne ihn gefunden zu haben. Roberto hatte zwar Mühe, ein passendes Thema für seine Diplomarbeit zu finden, aber das werde sich dann schon noch ergeben. Und plötzlich hatte Häfeli einen seiner Meinung nach genialen Einfälle, oder ein Hirngespinst?
Sankt Gallen im Mittelalter, Leben und Überleben. Er würde das bei Gelegenheit mit Roberto besprechen.
Zurück zu den drei Frauen – besuchten die ihn hier, im Kantonsspital Sankt Gallen, oder wo? Das Zimmer war plötzlich leer. Oder hatte sich der Tod hinter den Gardinen versteckt?
Dann hörte er Céline Fröhlich, die Rechtsmedizinerin, sagen: «Gell Häfeli: Wenn wir überhaupt richtig leben wollen, leben wir im Hier und Jetzt, mit viel Vertrauen und Freude. Schauen in den Himmel hinauf, ohne Angst und Sorge was einmal sein wird – oder nicht. Wir leben immer in Zwischenwelten, zwischen den Welten. Aber vergiss nicht: Das Leben ist schön!»
Im letzten Traum im Spital, an den er sich noch erinnern konnte, war er auf einer Bergtour mit Kraienbühl im Alpstein unterwegs, zugegebenermassen ein ungewöhnliches Szenario. Im Aescher, wo denn sonst, wollten sie etwas kleines Essen, vielleicht eine Rösti oder so. Bevor sie das inzwischen international bekannte Gasthaus betraten, beobachtete er, wie ein älterer Herr auf einer Felsnase ausrutschte und mit einem gellenden Schrei in die Tiefe stürzte. Trotz der vom Tal herauf wabernden Nebelschwaden hatte er das angstverzerrte Gesicht erkannt – das darf doch nicht wahr sein! Häfeli erwachte Schweiss gebadet.
Ein Traum?
Ein Traum im Traum? Und wenn diese Zwischenweltgeschichten so gar nie stattgefunden hätten?
Träumen ist schön. Manchmal gruselig und aufregend.
Wenn man denn auch wieder erwacht.
Irgendwann.
Irgendwo.
Allein?
Max Kraienbühl wartete ungeduldig auf Roberto und Patrizia, Häfelis beinahe erwachsene Kinder, im Foyer der Klinik im Osten der Stadt Sankt Gallen. Sabrina, Häfelis Frau hatte sich kurzfristig abgemeldet. Sie sei zwar derzeit mit ihrem neuen Goldvreneli2 auf einer Töff-Rundreise in der Schweiz unterwegs, aber, na ja, Gruyère liege nun mal nicht in der Nähe von Sankt Gallen. Sie geniesse es ausserordentlich, die schwere Maschine unter sich und das Goldv-reneli hinter sich zu spüren, den Fahrtwind zu geniessen und selbst zu steuern. Das Handy habe sie auf ihrer Genussreise ausgeschaltet. Das alles hatte sie gemäss Roberto auf einer Postkarte ausrichten lassen.
Ein bisschen altmodisch, aber heillos praktisch, wenn man nicht erreichbar sein wollte, dachte Kraienbühl. Gruyère ist schön, der gleichnamige Käse lecker. Absolut. Und der Mai ja schliesslich die Zeit für Verliebte, auch wenn er sich schon seinem Ende näherte.
Pleite vermeiden.
Tiefes Stirnrunzeln, kein Lächeln auf den Lippen. Dieser Job machte Kraienbühl Mühe, man sah es von hundert Metern Distanz: Seinen Chef im Spital abholen, quasi als federführender Transportführer und Berater – allein mit dessen Sprösslingen. Häfelis Lieblingsnachbar, Gottfried Hugelshofer mit seiner Gertrude konnte er die Teilnahme als Co-Geschwader gerade noch knapp ausschwatzen mit der Begründung, es gäbe sicher noch andere Möglichkeiten für einen Umtrunk. Später. Der Banker, Schwätzer und ehemalige Oberst der Schweizer Armee im Generalstabs-Ruhestand hätte die Sache unnötig verkompliziert, meinte Kraienbühl.
Verspätet trafen Roberto und Patrizia ein, Patrizia begleitet von einem schmuck aufgemachten Jüngling mit ausgewählt penetranter Parfümmähne. Der Schönling stellte sich als HSG-Student im Endstadium vor, der die Gelegenheit nutzen wolle, sich seinem Fast-Schwiegervater endlich vorzustellen. Er habe extra eine Vorlesung ausfallen lassen müssen: Die Pleite vermeiden, Folge 11 von 21. Der propre Jüngling mit dem vielen Gel im Haar schwatzte unermüdlich und unüberhörbar daher, ungebremst, und kam dabei mit dem Kopf Kraienbühl immer näher. Dieser wedelte mit der Hand, um die Parfümwolken, die er grundsätzlich und überall verabscheute, zu verscheuchen, was aber nur mässig gelang. En ganz penetrante Siech mit seinem fettigen Zeugs auf dem Kopf. Das musste derzeit offenbar brutal in sein. Plötzlich sagte Kraienbühl nicht ganz ohne Häme: Das Austrittsgespräch mit den Ärzten dauere offenbar länger, und es gehe hier auch nicht um eine Beerdigung, oder deren Vorbereitung. «Gehen Sie also lieber zurück an Ihre Vorlesung, obwohl die Pleite dort doch längst angerichtet ist. Wir drei warten noch etwas. Mit der Pleite.»
Verdattert und beleidigt zog sich der HSG-Student zurück, Patrizia schmollte und machte ein verärgertes Gesicht, Roberto schmunzelte dezent und hob den Daumen, was Patrizia ein übersteigertes Fauchen entlockte. Sie setzten sich auf die bereitstehenden Ledersofas. Schwiegen. Und warteten. Nun zu dritt.
Endlich wurde Häfeli in einem Rollstuhl von einer Krankenschwester herangefahren, begleitet von einer jungen Ärztin. Dem Patienten war die Lage sichtlich peinlich, wie sein Gesicht zeigte: Der Leiter des Kommissariats 2 fährt grossartig mit dem neuen Rollstuhl in der Spitallounge ein. Furchtbar.
«Sind Sie der Bruder des Patienten – oder wie sagt man hier, sein Vooormund?» fragte die junge Ärztin mit Blick auf Max Kraienbühl. Häfeli liess sich mit einem deutlich hörbaren Chabis vernehmen, was die deutsche Ärztin dazu bewegte, zu bemerken: Der Patient möge in nächster Zeit bitte auf Weiss- und Rotkohl verzichten. Kraienbühl freute sich über das Intermezzo, so schlecht konnte es seinem Chef also nicht gehen, trotz Rollstuhl; er schien auf dem Weg der Besserung zu sein.
Die Patienten-Akten gingen heute noch an den Hausarzt, der bei nicht besonderer Lageveränderung alle zwei Wochen aufzusuchen sei; bei Überraschungen solle sich die ganze Versammlung, die Ärztin machte dabei eine einladende Geste, doch am besten wieder im Notfall der Klinik melden.
Kraienbühl hatte ihr höchst erstaunt und wohl ein Momentchen zu lange auf die Brust gestarrt, aber nicht etwa wegen dem Busen, sondern dem Namensschildchen, das dort etwas gar schräg herumtaumelte: Jasmin Hüttenrausch, FMH/Neurologin, stand dort. Tsss, Namen gibt’s, urkomisch, und Neurologin, hä? «Kannst du selber zum Parkplatz laufen?» fragte er seinen Chef.
Häfeli nickte. «Die Karre lassen wir am besten hier stehen, also dann: Auf Wiedersehen oder noch besser: Tschüss. Wartet mal kurz.» Häfeli zeigte auf die rote Boulevardzeitung, die auf einem Tischchen lag. «Gib mal bitte her, oder irre ich mich?» Anschliessend las er laut vor:
«Mord in Appenzell – hat der Wolf wieder zugeschlagen? Oder der Werwolf? Polizei tappt im Nebel herum».
«Oh, da kommt was auf den Räässen Sepp zu; der tut mir schon fast leid. Na ja, er wird sich bald bei mir melden.»
«Wer ist denn dieser Räässe Sepp?» fragte Patrizia.
«Wart’s ab. Und jetzt ab nach Hause; ich habe diese Spitalluft satt.» Häfeli wollte sich gerade selbständig aus dem Rollstuhl hieven, als dessen Handy läute, Lady Madonna. Beatles. Er schaute flüchtig aufs Display und stellte das Gerät ab. «Unser hochverehrter Polizeisekretär möchte sich wohl nach meinem Befinden erkundigen, und ich dachte, der sei längst ausgetreten, aus dem Laden. Oder verstorben. Na ja, lasst ihn mal schön grüssen.»
Roberto und Kraienbühl nahmen Häfeli in die Mitte, Patrizia trottete hinterher. Die Begrüssung mit seinen Liebsten war herzlich gewesen, Häfeli strahlte einen kurzen Moment lang. «Übermorgen oder so suche ich mir einen guten RehaPlatz, todsicher, vielleicht im Appenzellerland? Mit euch muss ich das auch noch besprechen, und mit dem Räässen Sepp, der hat immer gute Lösungen parat. Ja, ja, die Appenzeller sind eben schlau und wissen sich immer zu helfen.»
Die Fahrt verlief ruhig, niemand hatte Lust zu sprechen, über die Zukunft zu rätseln – es schien, als seien ihnen die Worte im Hals stecken geblieben. Kraienbühl begleitete Häfeli und seine fast erwachsenen Kinder noch bis zur Haustüre. «Danke, dass ihr mich abgeholt habt; es tut mir leid, dass ich euch solche Umstände mache.».
«Alles bestens, kein Problem. Erhol’ dich gut» antwortete Kraienbühl. Die beiden Männer umarmten sich. «Na ja, unser erster gemeinsamer Einsatz nach deinem …, äh Spitalexperiment ist gelungen; ich besuche dich morgen wieder so um 9 Uhr, gell. Dann kannst du mir gleich auch erzählen, was die Ärztin gesagt hat, als du mit ihr alleine warst und wann du zurück ins Amtshaus kommst – alle warten dort sehnsüchtig auf dich, und freuen sich. Den Chläusen und Chläusinnen wird es zunehmend langweilig ohne dich.»
«Bist du da so sicher, hat der Polizeivorstand wieder mal eine bahnbrechende Idee oder Weisung erlassen? Ich war übrigens nie mit ihr alleine, falls du die Hüttenrausch meinst, die Ärztin.»
«Kommt ihr wirklich zurecht miteinander»? fragte Kraienbühl besorgt, bevor er sich schliesslich verabschiedete. Die drei nickten und Gipsy, die schwarz-weisse Katze, putzte sich auf der Türvorlage weiter, miaute hin und wieder, als freue sie sich über die Rückkehr ihres Ernährers und Erzählonkels. Auf jeden Fall unterbrach sie hin und wieder ihre Putzerei, strich Häfeli um die Beine und wartete offenbar darauf, bis sich dieser endlich aufs Sofa legte und sie es sich auf seiner Brust, lieber noch auf dem Bauch, bequem machen konnte.
Zwei Leichen, oder drei?
Häfeli hatte noch flüchtig gewunken, er schien wieder müde geworden zu sein, und legte sich auf das Sofa. Doch eines war ihm in der Klinik definitiv klar geworden, er würde sich und sein Leben, oder was ihm davon noch blieb, völlig neu sortieren und aufstellen müssen. Auf seinem Bauch sass Gipsy und schnurrte. Häfeli war glücklich, wieder zu Hause zu sein.
Auf dem Rückweg überlegte Kraienbühl, wo er eigentlich hinwollte: Büro im Amtshaus oder Home-Office? Er entschied sich für letzteres, holte allerdings zuerst beim Gschwend ein paar Cremeschnitten; mindestens eine war für seinen Chef bestimmt, für morgen. Dem Polizeivorstand hatte er noch nie solche Leckerbissen vorbeigebracht. Daran würde sich auch nichts mehr ändern, trotz des laufenden Prozesses in der Causa «Nachfolge Bertold Häfeli» per Datum unbekannt. Sollte dieser eingebildete Gockel, Edmund Freiluft-Dieterle, auch EFD genannt, doch entscheiden wie er wollte. Egal. Den Cremeschnitten war’s egal und allen Hühnern und Affen in Sankt Gallen und Umgebung ebenfalls. Punkt. Was sollte er noch Karriere machen, in seinem Alter? Gut, andere begannen unabhängig jeglichen Alters herumzuschleimen, zu geifern und zu tropfen, sobald eine Stelle in einer höheren Gehaltsklasse frei wurde. Einige dieser Streber schlossen – mindestens gedanklich auch eine Geschlechtsumwandlung nicht aus, hatten doch Frauen heute oft die besseren Chancen. Kraienbühl schauderte. Im Home-Office trank er zunächst einen kräftigen Espresso und begann dann in seinen Reiseprospekten zu blättern. Geniesse Dein Leben, hiess es da auf Seite 13 eines reisserisch aufgemachten in allen Farben schillernden Prospektes. Zum Beispiel. Inzwischen hatte Kraienbühl alle Cremeschnitten aufgegessen.
Sollte er den Bettel hinschmeissen oder sollte er nicht? Napoleon, seinen rot-weiss getigerten Kater, konnte er ohnehin nicht mitnehmen. Oder? Dieses Problem würde er separat lösen müssen. Tierheim oder Häfeli. Oder Häfeli im Tierheim? Besucht dort Napoleon? Wir werden sehen.
Noch mehr Sorgen machte er sich um seine Tochter, Laura, die bei ihrer Mutter in Zürich lebte, im geistigen Zentrum der Schweiz, wie die dortigen Bewohnerinnen meinten, und die gelegentlich ausziehen wollte. Ob sie ihn in der Ferne besuchen würde, in Thailand oder Sri Lanka? Er würde sich freuen, gerade weil er Laura derzeit nur noch selten zu Gesicht bekam.
Als Kraienbühl gegangen war, hatte Häfeli den ganzen Artikel in diesem Boulevardblatt gelesen, und war plötzlich hellwach. «Mord in Appenzell». Und es schien ihm, es sei etwas mehr Fleisch am Knochen als allgemein üblich. In diesem Fall buchstäblich, und das gleich zweimal: Im Hexetöbeli3 hatte die Polizei dank des Hinweises eines initiativen Hundebesitzers, der hier nach Pilzen suchte, zwei Leichen gefunden, eine männliche, geschunden, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerstört, zerbissen, angefressen, und etwa zwei Meter davon entfernt jene eines wolfsähnlichen Tieres. Sauber erlegt. Wolf oder Hund, fragte sich der eifrige Journalist in seinem Artikel. Wurden beide Leichen vom selben Täter erschossen? Die Polizei tappe im Dunkeln, werte derzeit noch diverse Spuren und DNA-Proben aus. Gleichzeitig vertröstete er die interessierte und hochverehrte Leserschaft auf eine der nächsten Ausgaben.
Bert Häfeli kratzte sich am Kinn und staunte. Mehr noch, wunderte sich: Ein Wolfskadaver liegt neben einer zerbissenen und angefressenen männlichen Leiche. Das war ja wieder mal ganz was Neues.
Häfeli und Kraienbühl sassen am nächsten Morgen in des Kommissars Stube bei Kaffee und Gipfeli und schwiegen sich an, grübelten vor sich hin. Die Situation erinnerte Häfeli frappant an das Zusammenleben mit seiner Frau, mindestens gegen den Schluss hin war es so, und er hatte es zeitweise als sehr belastend empfunden. Plötzlich läutete unverhofft ein Telefon und beide zuckten zusammen. Überraschend schnell nahm Häfeli ab und meldete sich sogar mit seinem Namen: Häfeli. Es hätte aber auch Jap sein können, oder Irrenanstalt, oder ich kaufe nichts oder abfahre, oder so – jedenfalls extrem charmant. Rasch und wieder überraschend schnell klärte sich seine Stimmung auf:
«Ah, du bist es Sepp; schön, dass du anrufst … Ja, ja, so so la la, ich bin zufrieden. Und du? … Was, Scherereien im Büro, ungelöste Fälle, ganz schwierig? … Ja, ich habe es gelesen, bei euch oben knabbern die Wölfe schon an Leichen herum, das ist natürlich unangenehm, nicht. Äh, nicht lustig, meinte ich ... Du hast recht, ich entschuldige mich. Und klar, ich komm’ dir zu Hilfe, wenn du willst, aber zuerst muss ich noch in die Reha. Hast du eine gute Idee? … Aha … Und Kloster was jetzt? … Sieben Bundesräte, wozu denn … Aha, sieben Engel, tönt schon besser. Gut, ich schau’ was sich machen lässt, obwohl ein Engel bin ich ja auch nicht. Weissbad klingt schon mal sehr verlockend … Was? Schnell geht in Sankt Gallen gar nichts.»
Mit Blick auf Kraienbühl, der unruhig mit den Füssen scharrte, sagte Häfeli zu diesem Sepp: «Sorry, ich bin gerade in einer Besprechung, brauche noch etwas Zeit, auch um die Reha vorzubereiten. Vielen Dank für deine Ideen. Wenn’s wirklich dringend wird, meldest du dich wieder, gell … Und gute Besserung, dir auch. Bis bald. Tschüss.»
Kraienbühl wollte nicht dauernd auf die Uhr schauen, hatte sich Zeit genommen, den ganzen Morgen. Eigentlich war er sogar froh, den Verwaltungsmief für einen halben Tag ohne seine Anwesenheit vor sich hin motten lassen zu können. Er vermisste seinen Chef mit seiner Komik und Realsatire und seinen Ideenreichtum. «Also, wie geht es dir, hast du gut geschlafen, wann kommst du zurück ins Büro? Und vor allem, wie ist es dir im Spital wirklich ergangen, was sagen die Ärzte? Und wer war nun das schon wieder am Telefon?
Soll ich dir nochmals einen Espresso rauslassen?»
Seltsame Erscheinungen.
«So viele Fragen auf einmal. Ja bitte, den Espresso zuerst.» Häfeli liess sich liebend gerne bedienen, und das nicht erst, seit er im Spital gewesen war. «Du stellst ja wieder mal Fragen, lieber Max. Das war der Räässe Sepp, Kommandant der Kantonspolizei Appenzell Innerrhoden, genau genommen Josef Räss, mein Zimmergenosse in der Klinik. Ein Glücksfall und eine tolle Abwechslung. Der hatte Probleme mit seinem Blinddarm – und mit seinen Kriminalfällen. So ergaben sich interessante Gespräche. Der Blinddarm ist nun raus, auf nimmer Wiedersehen. Die Probleme sind geblieben.
Du hast ja gehört, er braucht meine Hilfe, dringend, und wird mich demnächst besuchen. Ich habe ihn richtig schätzen gelernt, en originelle Siech. Apropos Spital: Ich kann mich beim besten Willen kaum mehr daran erinnern …, da und dort Bruchstücke, winzig kleine. Ich war ja wesentlich länger dort als der Räässe Sepp.» Genüsslich schlürfte Häfeli seinen Espresso.
«Und was sagen nun diese Weisspelze?»
«Lies doch selbst, das allermeiste dieses medizinischen Quarks, verstehen wir gewöhnlich Sterbenden ohnehin nicht. Ist vielleicht auch besser so.» Häfeli hielt Kraienbühl ein Couvert hin, «mach bitte je eine Kopie für den Polizeivorstand und das Personalamt, die werden sich schaurig dafür interessieren, vor allem wann ich wieder in der Teppichetage im Amtshaus erscheine, oder ob überhaupt. Original bitte nicht in die Papiersammlung, sondern an mich zurück, gell.»
Kraienbühl schluckte leer. «Du kommst doch wieder zurück? Das will ich doch sehr hoffen.»
«Ich soll eine Auszeit nehmen, meinen die Weisspelze im Couvert, dort ist eine Liste von Reha-Stationen: Gais. Heiden. Weissbad oder Kaubad. Oder Gontenbad? Gibt es im ganzen Kanton Sankt Gallen wirklich keine vernünftige Reha, ausser dem Walenstadt Berg vielleicht? Oder Valens?»
Pause.
«Aber weisch was, Chraie, ich habe mich längst entschieden, in allen offenen Fragen, die mir geblieben sind. Die Frage ist nur, wem ich wieviel erzähle. Die Zeit läuft mir davon. Wie geht’s eigentlich Anna, der Wetterstein? Besucht sie mich mal – das würde mich sehr freuen. Mir geht es ja von Tag zu Tag besser; und wenn ich an sie denke, wird es mir warm ums Herz, und nicht nur das. Weisst du was Wallungen sind? Die Ärzte sagen, das komme von den Medikamenten.»
Kraienbühl versuchte, das Eis zu brechen, die richtige Spur zu finden, und dabei nicht auf alle Fragen einzugehen. Doch die Unterhaltung wollte nicht recht und wie geplant in Fahrt kommen, obwohl er auf einem kleinen Zettel eine Traktandenliste zusammengestellt, und auf einem grossen Blatt Aufträge und Fragen des Polizeivorstands, Edmund Freiluft-Dieterle, entgegengenommen hatte. Sollte das alte Chalb den Kommissar doch selbst fragen. Doch diesen Satz schluckte er wieder hinunter, wie so manch andere auch.
«Also, sag jetzt, wann siehst du dein Comeback im Büro, was meinst du, an Weihnachten? Du wirst dringend und sehnlichst erwartet. Von allen.»
«Eher Chabis als Comeback. Und erwartet? Dass ich nicht lache, du meinst als Samichlaus mit Esel oder Christchindli mit Flügeln…? Als Alleinunterhalter? Die Sache braucht Zeit, die Reha und das ganze Zeug.
Der Räss hatte ein paar gute Ideen, die mich reizen. Ich lass’ mir Zeit und überlege, mich vorzeitig pensionieren zu lassen – das kannst du dem Polizeivorstand, schon mal ausrichten. Obwohl ich glaube, mir geht es jeden Tag besser, und ich bin bald wieder so richtig mobil und stabil. Geistig sowieso. Aber jetzt bin ich erstmal krankgeschrieben, und geniesse diese Auszeit. Nur keine falsche Hektik entfachen, keine Panik. Der Polizeivorstand kann sich ja schon mal um eine Nachfolgerin für mich kümmern, Ausschreiben, Planen, herumschwallern. Rätseln.
Bewirbst du dich für die Stelle, und die Wetterstein? Ich bin gespannt, wer von euch beiden das Rennen macht. Oder die Fröhlich? Frauen haben heute bei gleicher Qualifikation die besseren Karten – das bist du dir schon bewusst. Und wenn sie erst noch so gut aussehen wie die beiden Mädels …»
«Wir werden sehen», sagte Kraienbühl sichtlich bemüht. «Das ganze Procedere wird ja sicher noch etwas dauern. Im Übrigen habe ich meine eigenen Pläne und Projekte ...»
«Welche denn?»
«Das wirst du rechtzeitig erfahren. Was mich im Moment aber mehr beschäftigt, ach was beschäftigt: Unter den Nägeln brennt, sind seltsame Meldungen über noch seltsamere Erscheinungen und Auftritte in der Altstadt, vor allem im Klosterbezirk. Eine Person in einem braunen Mantel oder einer braunen Kutte schleiche nachts herum, beim Einnachten oder wenn es dunkel ist. Sieht offenbar aus wie ein Nachtwächter im Mittelalter. Meist bewaffnet mit einem Beil unterwegs, beim Hauptbahnhof und im Rathaus, gelegentlich auch im Museumsquartier. Der Polizeivorstand befürchtet ein Attentat, vielleicht aus religiösen Gründen? Bis jetzt ist noch nichts passiert …» Kraienbühl fuhr sich zerstreut durch die Haare.
«Erinnerst du dich noch an den Schwarzen Abt in den Korridoren des Amtshauses und unser Medium, Madleina Wohlgemuth? Du glaubst es nicht, die macht auf ihrer Webseite Mad-LeinaX4 bereits schwülstige Prophezeiungen: Demnächst werde etwas ganz Schreckliches passieren. Die gibt sogar den Ort an: Im Kirchhoferhaus an der Museumstrasse, eine Dependance des Kunstmuseums. Unglaublich, die Sache spitzt sich zu. Und EFD wird nervös, wie immer. Bei jedem Windstoss. Also, wann kommst du zurück?»
«Chabis. Das ist doch alles Schall und Rauch, die Wohlgemuth räkelt sich wieder mal in Szene, das kann die gut, und nutzt jede Chance. Eine Hexe, was man darunter auch immer verstehen mag. Ist die denn schon wieder draussen?» fragte Häfeli erstaunt.
«Natürlich nicht, nachdem sie ihren Ehegatten im Wasserturm beim Bahnhof erstochen hat. Geh’ mal auf ihre Webseite: Die macht dort und natürlich auch in den sogenannten Sozialen Medien Reklame für das Gefängnis und liefert täglich Informationen nach dem Motto: News aus dem Knast – die Wohlfühloase mit Super-Service, steht dort. Macht ungeniert Empfehlungen oder eben Prophezeiungen. So sieht sie eine überraschende Erscheinung im Kunstmuseum voraus. Oder eben im Rathaus – das würde mich allerdings wundern. Nächste Woche ist zwar Vollmond. Und für Ende August hat sie auch noch den Rücktritt des Stadtpräsidenten und der Stadtbaumeisterin prophezeit. Gleichzeitig. Die unnütze Show sei nun zu Ende. Endlich.»
«Potz Donnerstag und Donnerwetter – vielleicht heiraten die beiden.» Häfeli lachte. «Die Wohlgemuth spinnt. Oder hat den Verstand verloren. Item.»
«Ach was, heute ist alles möglich; die erzählt ja sowieso nur Bloscht5. Der Kampf der Geschlechter sei nun definitiv vorbei; in sei heute, innerhalb des eigenen Geschlechts zu streiten und zu kämpfen. Alle Mittel seien dabei erlaubt, und erwünscht.» Kraienbühl überlegte, und fuhr dann gedankenverloren weiter: «Ich sage dir, manchmal hat die sogar Recht, dieses Medium im Gefängnis, trifft ab und zu voll ins Schwarze, sie hat einen esoterischen Riecher. Zufalls-Blablabla und Affentheater? Alles ist möglich, sage ich dir.»
Häfeli wollte seinem Stellvertreter bereits ins Wort fallen, was für einmal aber nicht gelang, beziehungsweise bei «Dachschaden …» blieb.
«Ich habe eine Anfrage erhalten, ob ich im Kirchhoferhaus übernachten und die ‘Erscheinung’ gleich verhaften könne», sagte Kraienbühl. «Mit dem Lokalfernsehen auf Pikett, KOnow, heisst die Sendung. Zusammen mit dir. Aber ehrlich gesagt, ich habe ein mulmiges Gefühl und sogar etwas …»
«Mit versteckter Kamera oder was? Das kann ja heiter werden. Und nochmals: Nimm die Wetterstein mit, die ist telegener als ich – und kann das besser. Geister beschwören. Und zaubern. Dich verzaubern. Zum Beispiel. Vielleicht. Oder mich. Was tut die eigentlich jetzt? Oder wie wär’s mit Dr. Fröhlich? Die wird sich ja wohl mal freimachen können. In der Rechtsmedizin, meine ich.»
Musik zur Entspannung.
Kraienbühl schwieg zunächst und tat, als ob er nachdenke; dann sagte er: «Nein, nein, ich hätte da eher an dich gedacht, wir sind doch ein eingespieltes Team … Wenn du gesund bist ... Und mit diesen Frauen könnte es noch gefährlich werden, in der Nacht, meine ich. Im dunklen Kirchhoferhaus.»
«Ach was, das haben wir doch mehrfach erlebt. Seit wann hast denn du plötzlich Angst vor Frauen? Musst dich halt zusammenreissen. Beherrschen! Das sollte doch einmal möglich sein. Zudem hat es im Kunstmuseum, und dazu gehört das Kirchhoferhaus, überall Überwachungskameras…
Hast du es noch immer nicht verstanden? Ich bin krankgeschrieben, und mag nicht auf Gespensterjagd gehen. So ein Schwachsinn. Zuerst gehe ich in die Reha. Punkt.»
«Na ja, überleg’ es dir, du hast noch genug Zeit. EFD plant zwar bereits eine Sonderkommission zu gründen – stell dir das mal vor. Ich besuche dich wieder.» Kraienbühl hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben. «Übrigens: Was macht die Hühnerversammlung in deinem Garten?»
«Hühner, spinnsch, bei mir? Jetzt kommst du auch noch damit!» Obwohl, Häfeli hatte sich auch schon über das Gegacker und Gekrächze in der Nacht gewundert. Hühner hier, in diesem ruhigen Quartier, wo es von Spiessern, Pedanten und Rasenrobotern nur so wimmelte – das könnte für die Igel gefährlich werden. Hinzu kamen die zertifizierten Gutmenschen und gewieften Giftmischerinnen im häuslichen Garten. Ohalätz. Zu dieser Kategorie gehörten unter anderem Häfelis Nachbarn auf der anderen Seite der Sackgasse, die beim letzten Fasnachtsball im Hotel Blaues Kreuz in Winkeln durch eine veritable Schlägerei unangenehm aufgefallen waren und sich danach scheiden lassen wollten6. Tempi passati. Vorläufig. Bis der werte Ehegatte am frühen Morgen oder mitten in der Nacht wieder einmal vor Häfelis Türe erschienen war und herumlamentierte, das dauernde Gegacker gehe ihnen so was auf den Wecker und selbst beim Coitus Interruptus gackere noch jemand dazwischen. So könne man sich nicht mehr richtig konzentrieren. Logisch. Was meist zu einem Fiasko und einer verärgerten Ehegattin führe. Wenn es zu einer Scheidung käme, würden sie die Familie Häfeli für die Zerstörung ihres Eheglücks haftbar machen. Auch finanziell. Ja, du hast verstanden.»
Klar, dieses Hühnerproblem müsse dringend irgendwie gelöst werden. Schwieriger werde es aber wohl mit den Gespenstern. Gespenster in Sankt Gallen oder Geister – und wo ist denn da der Unterschied? Goht’s no. Träume und Traumgeschichten, Realität oder Fiktion? Und nun auch noch wilde Hühner in seinem Garten? Bliebe immerhin noch die Chance, dass der Fuchs da irgendwann mal durchgreifen würde, überlegte Häfeli.
Manchmal hörte er die Stimmen von Patrizia und Roberto, wie sie offensichtlich mit Hühnern sprachen, fachsimpelten und hin und wieder und immer wieder «Bibibibi Bibibibi» riefen. So würde er sich wohl oder übel Roberto und Patrizia wegen dieser Hühnerschaft zur Brust nehmen müssen, womöglich noch vor seinem Aufenthalt in der Reha. Aufräumen. Wichtiger als die Hühner war ihm allerdings seine Situation im Büro. Endzeitzauber in Reinkultur? Ob er sich einen Williams genehmigen sollte, oder zwei? Am Schluss waren es drei. Kraienbühl war längst wieder ins Büro zurückgekehrt.
Die Frage, wo ist das Ende (zu Ende) und wann blieb im Dunkeln. Von allen guten Geistern verlassen, so fühlte er sich manchmal wie im Spital. Allein. Dabei war ihm oft nicht ganz klar gewesen, in welchen Sphären er sich dort bewegt hatte. Er würde sich nicht wundern, wenn sich in seinem Garten bald auch noch Schwarznasenschafe, Füchse oder nebst den Brombeerdieben auch noch Eierdiebe und nächtliche Rosenkavaliere herumtreiben würden. Sowit chonnt’s no! Soweit durfte er es nicht kommen lassen. Häfeli begann zur Entspannung etwas Musik zu hören:
Zuerst Bilder im Kopf, von Sido, ein deutscher Rapper, auf den er zufällig gestossen war:
«In einem schwarzen Fotoalbum mit silbernem Knopf, bewahre ich alle diese Bilder im Kopf … Es war einmal vor langer, langer Zeit, vor 32 Jahren als Mama schwanger war, sie schreit, ich komme, ich war so süss ohne die Haare am Sack, aber die wachsen schon noch, warte mal ab … Bilder im Kopf.»
Bilder im Kopf, das kam ihm verdammt bekannt vor. Dann hörte er The Lesson, von Philipp Fankhauser:
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