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Das dritte Spiel verschlägt Cedric in die Zukunft, auf den Planeten Marduk ins Jahr 2265, hinein in die Abgründe eines Reiches, das von Intrigen, Verrat und einem dämonischen Erbe zerfressen ist. An der Seite von Serafina und James gerät er in den Strudel eines gnadenlosen Machtkampfes: ein besessener Graf, Folterkammern, finstere Kreaturen aus der Gruft und ein Virus, das ganze Welten bedroht. Doch das ist nur der Beginn. Denn das "Spiel der Dämonen" gehorcht eigenen, grausamen Regeln: Jede Herausforderung ist eine Prüfung, jede Arena ein Spiegel aus Angst, Kampf und Versuchung. In den Labyrinthen einer futuristischen Arenen zwingt der Dämon Chimay Cedric zu Entscheidungen, die nicht nur sein Leben, sondern auch das Schicksal seiner Freunde bestimmen. Zwischen Zeitreisen, tödlichen Fallen und der Macht uralter Götter entdeckt Cedric die einzige Waffe, die stärker ist als Hass und Finsternis: seine Liebe. Doch reicht sie aus, um dem Spiel der Dämonen zu entkommen, oder wird das unsichtbare Band zu Chimay ihn am Ende verschlingen? Ein packender Fantasy-Thriller voller Zeitreisen, Kämpfe und verborgener Geheimnisse – spannend, bildgewaltig und emotional bis zur letzten Seite.
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Seitenzahl: 316
Veröffentlichungsjahr: 2025
Andreas Parsberg
Arena der Zukunft
Das Spiel der Dämonen (Band 3)
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
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Impressum neobooks
Es war ein herrlich milder Samstagabend, als Fabian vor Lauras Haustür vorfuhr, um sie abzuholen. Die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich auf dem glänzenden Lack seines silbernen Kleinbusses, der in der Abenddämmerung fast ein wenig zu erwachsen für ihn wirkte.
„Gehört meiner Mutter“, erklärte er sofort, als er ihren skeptischen Blick bemerkte.
Laura lachte leise. „Verstehe. Hätte mich auch sehr gewundert. Das Auto passt nicht wirklich zu einem jungen Mann.“
„Na ja, Mütter eben.“ Fabian zuckte die Schultern und fuhr los. „Wenn du Lust hast, könnten wir nach Pasing fahren und durch die Arkaden schlendern.“
„Großartig, klingt schön.“
„Oder wir düsen nach München und gehen ins Kino.“
Laura nickte. „Hört sich auch gut an.“
„Ins Point nach Gilching wirst du sicher nicht wollen. Ich habe gehört, Michelle und Cedric gehen dorthin.“
„Nein, danke.“ Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel.
„Von mir aus könnten wir auch Bowling spielen.“
„Dazu hätte ich auch Lust.“
„Oder wir gehen etwas essen. In Starnberg hat eine neue Pizzeria aufgemacht. Soll klasse sein.“
Laura lächelte. „Ja, gerne. Hunger hätte ich auch.“
„Okay … also, was nun?“ Fabian sah sie fragend an.
„Wir fahren ins Point!“ erklärte Laura plötzlich mit fester Stimme.
Fabian stöhnte gespielt auf und verdrehte übertrieben die Augen, bevor er den Motor startete. „Also gut, dann fahren wir ins Point.“ Innerlich war er verwirrt – eben hatte sie es doch noch so entschieden abgelehnt.
„Gut, wenn du unbedingt willst, dann fahren wir eben in diese blöde Disco“, gab Laura zurück.
„Wie bitte? Wenn ich will? Du hast doch gesagt, du willst ins Point!“
„Nein, natürlich nicht. Das war doch dein Vorschlag.“
„Aha … ja gut. Wenn du nicht willst, können wir auch bowlen.“
„Nein, nein. Du hast beschlossen, dass wir ins Point fahren. Also machen wir das auch. Du bist der Junge und hast bestimmt. Also ziehen wir das jetzt so durch.“
„Genau! Ich habe es beschlossen, also geht’s ins Point.“
„Wenn du unbedingt möchtest“, flötete Laura mit unschuldigem Augenaufschlag.
„Ja, klar!“
Nur fünfzehn Minuten später rollten sie auf den Parkplatz der Diskothek in Gilching. Schon von draußen drang der Bass dumpf durch die Mauern, das Lichtspiel flackerte durch die Glasfront. Drinnen empfing sie ein wogendes Meer aus Körpern, laut dröhnende Musik und ein dämmriges, buntes Licht, das alles in eine fiebrige Atmosphäre tauchte.
„Magst du hier an der Bar bleiben oder lieber einen Sitzplatz suchen?“ fragte Fabian und sah sie prüfend an.
„Wie du willst.“
„Ich würde lieber mit dir ungestört an einem Tisch sitzen.“
„Okay.“
Er ließ den Blick schweifen, suchte nach einer freien Ecke.
„Fabian?“
„Ja, Laura?“
„Kannst du mir an der Bar ein Mineralwasser holen?“
„Natürlich.“
Fabian drängte sich durch die Menge, rief dem Barkeeper seine Bestellung zu. Als er das Glas entgegennahm, spürte er plötzlich Lauras Nähe – sie war direkt neben ihn getreten.
„Der Platz hier ist perfekt“, flüsterte sie in sein Ohr. „Von hier haben wir alles im Blick.“
„Äh … ja, stimmt“, stammelte Fabian. „Aber wollten wir nicht an einem Tisch sitzen?“
„Nein.“
„Okay.“
„Der Platz hier ist genau richtig.“
Laura rang innerlich nach einem Gesprächsthema, doch ihr Kopf blieb leer. Zum Glück war die Musik so laut, dass sie kaum reden mussten. Fabian bestellte ein weiteres Bier, dann noch eines. Nach dem dritten legte er plötzlich den Arm um ihre Schulter. Laura zuckte zusammen, ein Teil von ihr wollte sich sofort lösen. Doch dann dachte sie, es wäre albern, deswegen einen Aufstand zu machen. Gehört das nicht irgendwie dazu, wenn man mit einem Jungen ausgeht?
Trotzdem störte sie die Nähe, so sehr, dass sie kaum noch etwas von der Musik mitbekam. Unsicher warf sie ihm einen Seitenblick zu, während er sie immer enger an sich zog und begann, sie zu streicheln.
„Lass das“, flüsterte sie.
„Wieso? Gefällt dir das nicht?“ Seine Stimme klang ehrlich erstaunt.
„Nein. Ich will nicht, dass du mich befummelst.“
„Okay, dann nicht.“ Seine Schultern sackten enttäuscht herab.
„Ich muss kurz … zur Toilette“, sagte sie hastig, schob seinen Arm von ihrer Schulter und flüchtete.
Sie war schon fast um die Ecke gebogen, als ihr Herz einen Schlag aussetzte. Cedric. Er lehnte lässig an einer Wand, die Arme locker verschränkt, während sein Blick wie ein Scanner durch die Disco wanderte. Neben ihm stand Michelle – oder besser: Sie klebte an ihm, presste ihren schlanken Körper an seinen und sah ihn von unten mit glühender Verehrung an.
Lauras Vorhaben, zur Toilette zu gehen, war vergessen. Sie schlug einen Bogen, ging in einigen Metern Abstand an den beiden vorbei. Cedrics Augen hatten sie längst erfasst – sie fühlte seinen Blick auf jedem Schritt, wie eine unsichtbare Berührung.
Zurück an der Bar schmiegte sie sich demonstrativ an Fabian, ihre Bewegungen bewusst betont, die Haltung betont elegant. Aus den Augenwinkeln spürte sie Cedrics Blicke.
„Magst du mich nicht in den Arm nehmen?“ fragte sie süßlich.
„Klar, wenn du willst.“ Fabian war sofort dabei.
„Alles, was du möchtest. Du darfst mich auch ein bisschen streicheln“, hauchte Laura.
„Äh … ich dachte, das gefällt dir nicht?“
„Wie kommst du darauf?“
„Na ja, vorhin …“
„Jetzt darfst du.“
Fabian blinzelte verwirrt, dann nahm er einen großen Schluck Bier. Soll er’s hinterfragen? Nein. Hauptsache, er durfte. Also legte er den Arm um ihre Hüfte, zog sie dichter an sich. Seine Hand glitt über ihren Rücken, erst zögerlich, dann mutiger. Er stoppte kurz an ihrem Gürtel, bevor der Alkohol ihm den letzten Rest Vorsicht nahm – seine Finger wanderten tiefer, griffen an ihre Pobacken.
Laura erstarrte. Ein Schock jagte durch sie. Soweit hatte sie es nicht gemeint! Streicheln, ja – aber das? Diese Intimität, diese Dreistigkeit! Besonders nicht von Fabian, dessen Atem nach Bier roch und dessen Grinsen ihr unangenehm war. Sie überlegte ernsthaft, ihn wegzustoßen oder ihm eine Ohrfeige zu verpassen, als eine Stimme hinter ihr ertönte.
„Hallo! Stören wir?“ Cedric stand direkt vor ihnen, sein Blick glitt wie ein Messer zu Fabians Hand. „Ich dachte, ihr wolltet nach München ins Kino?“
„Ja, das wollte ich auch“, erwiderte Laura scharf. „Aber Fabian hat sich für das Point entschieden. Ich hatte kein Mitspracherecht.“
„Du wolltest also unbedingt ins Point, Fabian?“ Cedrics Stimme klang kühl.
„Äh … na ja, so unbedingt auch wieder nicht. Aber Laura …“
„… ließ dich allein entscheiden“, fiel sie ihm ins Wort.
„Ja … oder so.“ Fabian kratzte sich am Kopf. Mädchen waren einfach kompliziert.
Cedric schenkte ihm keine weitere Beachtung, fixierte stattdessen Laura. Er bemerkte zufrieden, dass sie Fabians Hand von ihrem Po entfernt hatte. „Wie gefällt es dir hier?“
„Etwas laut an der Bar“, gestand sie. „Ich wollte lieber mit Fabian an einem ruhigen Tisch sitzen, aber er … na ja, er hat sich anders entschieden.“
„Äh … ja“, murmelte Fabian kleinlaut. Er dachte kurz daran, sie zu korrigieren, verwarf es aber sofort – es hätte ohnehin keinen Sinn. Erst jetzt fiel ihm Michelle auf, die hinter Cedric stand, die Arme besitzergreifend um seinen Bauch geschlungen.
„Hallo, Michelle“, grüßte er und lächelte.
„Hallo, Fabian.“ Michelles Stimme triefte vor Honig. „Schön, dich wiederzusehen. Seit dieser langweiligen Party bei Laura habe ich dich gar nicht mehr gesehen.“
„Langweilige Party?“, fauchte Laura.
„Ach Laura, du bist auch hier!“ Michelle setzte den unschuldigsten Tonfall auf. „Tut mir leid, ich habe dich gar nicht bemerkt. Es ist so dunkel … und du trägst wirklich unauffällige Kleidung. Ist das nicht der gleiche Rock, den du auch schon auf deiner komischen Party anhattest?“
„Ich habe zwei von den Röcken“, presste Laura hervor. Ihre Wut kochte, und sie ärgerte sich gleichzeitig über sich selbst – das war die lahmste Antwort überhaupt!
„Er steht dir wirklich gut“, setzte Michelle mit einem süffisanten Grinsen nach. „Auch wenn dir die Figur für Röcke fehlt. Mit deiner muskulösen Statur passt dir eher eine Hose. Eine Jeans wäre besser gewesen.“
Laura atmete tief ein, dann langsam wieder aus. Sie zählte innerlich bis zehn, während sie sich ausmalte, wie es sich wohl anfühlen würde, Michelle die Nase zu brechen.
„Jetzt reicht’s aber“, warf Cedric ein, der spürte, wie kurz Laura vorm Explodieren stand.
„Hey Mann, unterbrich die Mädels nicht“, mischte sich Fabian ein. „Ich finde ihr Gespräch hochspannend.“
„Hier ist gar nichts spannend“, zischte Michelle. „Dazu bräuchte es zwei ebenbürtige Gegner. Ich habe Laura nur ein Kompliment zu ihrer sportlichen Figur gemacht.“
„Ich finde, sie hat einen Hammer Körper und einen großartigen Po“, warf Fabian begeistert ein. Sein Blick glitt bewundernd über Laura.
„Und deine Fummelei hat ihr ja auch gefallen“, höhnte Michelle. „Sie hat regelrecht gestrahlt, als deine Hand ihre Pobacken massierte.“
„Bitte nicht“, murmelte Cedric, während er Laura beobachtete – sie stand kurz vor dem Ausbruch. Er beugte sich dicht zu ihr, seine Lippen streiften ihr Ohr. „Töte sie nicht. Sonst müssen wir gleich das ganze Make-up vom Boden wischen. Und glaub mir – sie hat mehrere Schichten drauf.“
Laura wollte wirklich aufspringen und Michelle eine verpassen. Cedric hatte das gespürt, bevor sie selbst es wusste. Woher kennt er mich nur so gut? schoss es ihr durch den Kopf. Doch dann fühlte sie seine Lippen an ihrem Ohr, hörte sein flüsterndes Spottlächeln – und ihre Wut kippte in ein plötzliches, helles Lachen. Sie strahlte Cedric an, spürte in diesem Moment eine unsichtbare Verbindung.
Michelle bemerkte es und funkelte Laura eiskalt an. Sie holte schon Luft für die nächste Gemeinheit, doch Cedric hob die Hand.
„Wir verstehen uns doch alle prima, richtig?“ fragte er.
Die drei sahen ihn an – völlig irritiert.
„Wer versteht sich hier denn?“
Sogar Michelle wirkte für einen Moment irritiert, als hätte Cedrics Frage sie völlig aus dem Konzept gebracht. Ihre Lippen öffneten sich, doch es kam kein Wort heraus.
„Dann lasst uns doch gemeinsam einen ruhigen Tisch suchen und uns in Ruhe unterhalten“, schlug Cedric schließlich vor und klang dabei so bestimmt, dass es schwer war, ihm zu widersprechen.
„Äh … ich finde es hier an der Bar viel schöner“, wandte Fabian ein und hielt trotzig sein Bierglas fest.
„Ich will mit der da ganz sicher nicht an einem Tisch sitzen!“ Michelle deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung auf Laura, ihre Stimme triefte vor Hochnäsigkeit. „Hier an der Bar wird man wenigstens gesehen.“
Cedric nickte knapp. „Dann bleibt ihr eben an der Bar. Laura und ich suchen uns einen Tisch. Ihr könnt ja nachkommen, wenn ihr genug Publikum hattet.“
„Sehr gerne.“ Laura lächelte ihn an, sprang auf und ergriff ohne Zögern seine Hand. Gemeinsam verließen sie den stickigen Barbereich.
„Okay … dann suchen wir uns halt auch einen Tisch“, knurrte Fabian und stand widerwillig auf. Michelle folgte ihm, die Lippen schmollend, als ginge sie zu einer Strafe.
Kurze Zeit später saßen sie alle an einem kleinen Tisch in einem abgelegenen Winkel der Diskothek. Die Musik war hier gedämpfter, die Stimmen aus dem Saal nur noch ein fernes Murmeln. Fabian starrte verlegen auf sein Bierglas, Michelle zog einen Schmollmund, weil sie nun tatsächlich mit Laura an einem Tisch sitzen musste.
Laura hingegen blühte auf. Sie und Cedric redeten angeregt über Fußball, wechselten sich ab mit Anekdoten und Analysen. Endlich konnte sie wieder einmal ungestört über ihre Leidenschaft fachsimpeln. Cedric schien heute besonders gut aufgelegt – seine ironischen Kommentare saßen, und Laura lachte so sehr, dass ihr fast die Tränen kamen. Sie liebte diesen Witz, diesen scharfen Humor, der ihn so einzigartig machte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie Michelles genervten Gesichtsausdruck. Offenbar konnte das blonde Mädchen mit Sportthemen nichts anfangen und langweilte sich zu Tode.
Plötzlich erhob Michelle sich abrupt und griff nach Cedrics Hand. „Komm, Cedy-Bärli. Bevor ich hier einschlafe.“
Laura ließ sich nicht beirren. Als Michelle sich nach ihrer Handtasche bückte und dabei demonstrativ ihr Hinterteil herausstreckte, flüsterte Laura mit süßem Lächeln: „Michelle?“
Das blonde Mädchen fuhr herum, die Augen voller Wut. „Ja?!“
„Richte Eileen einen schönen Gruß von mir aus. Du wirst doch sicher mit Cedrics Freundin in Kontakt stehen.“
Michelles Gesicht verzog sich zu einer Maske aus blankem Zorn. Ohne eine Antwort stürmte sie Richtung Ausgang.
„Danke“, murmelte Cedric knapp und eilte hinterher.
Laura seufzte, erhob sich und packte Fabian am Arm. „Wir gehen auch.“
„Ich will aber noch nicht fahren.“
„Dann bleib hier. Ich gehe.“
„Eigentlich hast du recht … es wird wirklich langweilig. Lass uns fahren.“
„Wenn du möchtest.“ Sie wandte sich zur Tür, Fabian trottete hinterher.
Draußen, neben dem Kleinbus seiner Mutter, blieb Laura stehen. In einiger Entfernung sah sie, wie Cedric und Michelle in hitziger Gestik miteinander stritten. Der Anblick war wie Balsam auf ihrer Seele. Sie lehnte sich zurück, genoss das Schauspiel.
„Ich will noch ein bisschen hier stehen und frische Luft atmen“, erklärte sie Fabian. „Im Point war es furchtbar stickig.“
„Spazieren gehen?“ Fabian runzelte die Stirn.
„Nein, einfach nur stehen.“
„Weißt du … ich fand das vorhin etwas merkwürdig.“
„Was denn?“
„Du und Cedric. Ihr habt so vertraut gewirkt. Läuft da was?“
Laura schnaubte. „Cedric ist mit Michelle zusammen. Das hast du doch gesehen.“
Fabian musterte sie misstrauisch, als glaube er ihr nicht. Dann trat er näher, legte die Hände an ihre Hüften und zog sie an sich. Laura wollte ihn reflexartig wegstoßen – doch im selben Moment bemerkte sie, dass Cedric zu ihnen herübersah. Also schmiegte sie sich scheinbar bereitwillig an Fabian.
Als Fabian den Kopf senkte und ihre Lippen suchte, ließ sie es geschehen. Der Kuss aber fühlte sich falsch an, leer, mechanisch. Der Kuss mit Cedric hatte sie einst beinahe in den Himmel geschleudert – Fabians hingegen war nichts als dumpfes Aneinanderpressen.
Sie schob ihn beiseite, gerade als ein Auto vorbeifuhr. Michelles Wagen. Cedric saß auf dem Beifahrersitz, sein Blick traurig auf Laura gerichtet.
Geschieht dir recht, dachte sie zufrieden. Soll er ruhig sehen, wie Fabian mich küsst!
Sie schenkte Fabian ein süßes Lächeln. „Jetzt können wir fahren.“
„Aber ich will dich nochmal küssen.“
„Vergiss es!“
„Warum denn? Du schmeckst so lecker.“
„Das kann ich von dir nicht behaupten – du stinkst nach Bier.“
Wenig später hielt der Kleinbus vor Lauras Haustür. Sie stieg aus, innerlich zufrieden: Es machte ihr inzwischen Spaß, sich mit Jungs zu treffen. So kompliziert war das Ganze gar nicht – und deutlich spannender, als allein zu Hause zu sitzen und Cedric Vogt nachzuweinen.
Fabian stellte den Motor ab, beugte sich vor und schlang die Arme um sie. Laura löste sich sanft aus seiner Umarmung, öffnete die Tür.
„Bis bald, Fabian. War nett mit dir.“
„Ich fand es auch schön.“ Seine Stimme klang ehrlich. „Treffen wir uns nächstes Wochenende wieder?“
„Tut mir leid, Fabian. Ich hätte Lust, aber ich bin schon verabredet.“
Sie hoffte inständig, er würde nicht nachfragen. Mit wem, wusste sie ohnehin noch nicht – nur, dass sie in nächster Zeit so viele Jungs wie möglich kennenlernen wollte.
Das war viel aufregender, als dem blöden Cedric nachzutrauern!
Später, im Badezimmer, als sie sich abschminkte, überkam sie wieder dieses beklemmende Gefühl. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, eine Gänsehaut breitete sich über ihre Arme.
Nein, bitte nicht, dachte sie panisch.
Sie wusste, was nun folgen würde: der Traum. Immer derselbe, immer wieder. Eine Nacht voller Unruhe, voller düsterer Bilder.
Laura kämpfte gegen die Müdigkeit an, die sich wie eine schwere Decke über sie legte. Sie ging erneut ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Die Tropfen perlten an ihren Wangen hinunter, doch es half nichts. Ihre Lider wurden schwer. Vielleicht Kaffee? Normalerweise hasste sie das bittere Zeug, aber in diesem Moment erschien es ihr wie Rettung.
Leise, um die Eltern nicht zu wecken, schlich sie in die Küche. Die würden ohnehin nicht verstehen, was sie durchmachte. Cedric vielleicht … aber Cedric würde nie wieder mit ihr reden. Er hatte gesehen, wie sie Fabian geküsst hatte. Damit war ihre Freundschaft zerstört.
Im Schrank fand sie den Instantkaffee ihres Vaters. Sie rührte einen Löffel in heißes Wasser, fügte Milch und Zucker hinzu. Der Geschmack war grässlich, schlammig, doch sie zwang sich, den Becher mitzunehmen.
Im Wohnzimmer warf sie Kissen auf den Boden, schaltete den Fernseher ein. Nichts Interessantes. Schließlich griff sie zu einer DVD und legte eine Staffel Criminal Minds ein. Das würde sie wachhalten. Hoffentlich.
Während Hotchner sein Team anführte, Dr. Reid brillierte und Derek Morgan die Täter jagte, schlürfte Laura ihren Kaffee. Der Becher wurde leerer, ihre Augen schwerer. Immer wieder nickte sie ein, schreckte auf, nickte wieder ein.
Kurz nach zwei Uhr verlor sie endgültig den Kampf. Der Schlaf riss sie fort – und sofort war sie wieder dort: in diesem Traum.
Ein dunkler Flur. Ihre Schritte hallten, daneben die hastigen Schritte einer zweiten Person. Dann Cedrics Stimme, angstvoll: „Du musst aufwachen. Es ist zu gefährlich in seiner Nähe. Er ist der Tod und will dir wehtun!“
Laura wandte den Kopf. Cedric. Doch nicht wie sonst. Er trug ein gestreiftes Baumwollhemd, darüber eine Weste mit kleinen Taschen, ein gelbes Halstuch, dazu einen Cowboyhut mit breiter Krempe. An den Beinen eine Blue Jeans, an Gesäß und Schenkeln mit Leder verstärkt, die Cowboystiefel klapperten bei jedem Schritt. In seinem Holster steckten zwei silberne Revolver.
„Wie siehst du denn aus?“ rief Laura verblüfft. „Spielst du Cowboy und Indianer oder gehst du auf einen Maskenball?“
Er rannte nun neben ihr, die Augen voller Furcht. Laura spürte seine Angst fast körperlich.
„Cedric! Wovor hast du solche Angst?“
„Er will dich töten, um sich an mir zu rächen. Dein Tod soll seine Rache sein!“
Cedric zog an ihr vorbei, die Treppe hinunter. Sie landeten in einem düsteren Kellerflur vor einer schweren Metalltür.
„Was ist das für ein Raum?“ fragte Laura beklommen.
„Der Heizungsraum. Hier löse ich das Problem – aber ohne dich!“
„Spinnst du? Ich lasse dich doch nicht allein!“
„Nein! Bitte, Emily, wach auf!“
Laura fühlte, wie eine eisige Hand nach ihrem Herzen griff, es zusammendrückte. Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Wer zum Teufel ist Emily?!“ Sie packte nach seiner Schulter – doch sein Körper begann sich aufzulösen.
„Du musst aufwachen, Emily … er will dich töten!“ Seine Stimme wurde schwächer, brüchig.
„Hast du noch mehr Mädchen, von denen ich wissen sollte?!“ schrie sie. „Hey, bleib da und erklär mir das!“
Sie streckte die Hand nach ihm aus – doch Cedric verging wie Nebel im Wind. Wenige Sekunden später war er verschwunden.
„Was tust du hier, Laura?“
Mühsam riss sie die Augen auf. Sie lag auf dem Wohnzimmerteppich vor dem flimmernden Fernseher, das Kinn halb auf ein Kissen gestützt. Ihr Vater stand im Bademantel neben ihr, die Arme verschränkt, der Blick verärgert.
„Oh, hallo, Vati.“ Sie bemühte sich, möglichst harmlos zu klingen. Schließlich hatte sie nichts Verbotenes getan.
„Was tust du mitten in der Nacht im Wohnzimmer? Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“
„Nein“, gab sie kleinlaut zu und warf einen Blick auf die Digitaluhr des DVD-Players: 03:10.
„Äh … ich muss eingeschlafen sein.“
„Natürlich! Das habe ich auch bemerkt“, schoss er zurück. „Warum bist du nicht in deinem Zimmer? Ich dachte, du wärst längst im Bett.“
„War ich auch“, erklärte sie und wünschte sich, er würde sich nicht so hineinsteigern. „Aber ich konnte nicht schlafen. Da bin ich eben ins Wohnzimmer gegangen, um ein bisschen fernzusehen.“
Er musterte sie erneut streng. Doch sie war seine einzige Tochter; lange konnte er ihr nicht böse sein, erst recht nicht, wenn sie ihn mit diesen großen grünen Augen so verunsichert ansah.
„Jetzt machst du aber den Fernseher aus und gehst wieder in dein Zimmer.“
Laura nickte gehorsam. Gähnend rappelte sie sich hoch. Ihre Knie fühlten sich weich an—sicher noch eine Nachwirkung des schrecklichen Traums. Was würde Cedric sagen, wenn sie ihn auf Emily ansprach? Aber es war doch nur ein Traum … gab es dieses Mädchen überhaupt? Sie nahm sich vor, genau auf seine Reaktion zu achten, sobald sie das Thema Emily erwähnte. Wovor hatte er sie warnen wollen? Seine Stimme hatte so ängstlich geklungen.
Fabian pfiff leise vor sich hin, während er den Kraillinger Joggingpfad durch den Wald entlanglief. Es war erst sieben Uhr morgens, aber er hatte nicht länger schlafen können. Immer wieder musste er an Laura denken—an den Kuss auf dem Parkplatz. Diese wilden Gefühle wühlten ihn innerlich auf.
Er war dabei, sich zu verlieben.
Was sollte es sonst sein?
Es hatte ihn in dem Moment erwischt, als Laura in dem orangefarbenen, eng geschnittenen Etuikleid auf Michelles Party erschienen war. Dieser Anblick hatte ihn förmlich umgehauen.
Bislang hätte er nie geglaubt, einmal so für ein Mädchen zu fühlen. Doch die Liebe hatte ihn fest in ihren Klauen.
Ob Laura wohl dasselbe für ihn empfand? Sein Lächeln erlosch, als ihm dämmerte, dass es vielleicht nicht so war. Den ganzen Abend über hatte sie nur Cedric beeindrucken wollen—trotz des Kusses auf dem Parkplatz.
Na gut, er hatte Zeit. Er würde nicht zulassen, dass Ungeduld diese aufkeimende Sache ruinierte. Wie—das wusste er noch nicht—aber er wollte dafür sorgen, dass Laura sich genauso in ihn verknallte, wie er in sie.
Plötzlich hörte er ein seltsames Geräusch!
Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinab, doch er zwang sich, weder stehenzubleiben noch sich umzudrehen. Er joggte weiter, Schrittmaß unverändert. Vielleicht nur ein Vogel. Oder ein Reh, beruhigte er sich. Oder der Wind, der durch die Blätter fuhr. Es konnte alles Mögliche sein.
Wieder dieses Geräusch!
Diesmal lauter, fordernder—unmöglich zu ignorieren. Kein Vogel. Kein Wind.
Da war jemand!
Und dieser Jemand verlangte mit einem betonten Husten nach Aufmerksamkeit.
Zwei Möglichkeiten schossen Fabian durch den Kopf: einfach lossprinten, ohne zurückzublicken. Oder sich umdrehen und sich dem Problem stellen, das ihm folgte. Laura würde sich nie in einen Feigling verlieben, dachte er trotzig, blieb stehen und wandte sich um.
Etwa fünf Meter entfernt zeichnete sich die dunkle Silhouette einer Person ab. Der Mann kam mit ruhigen, selbstbewussten Schritten näher und blieb direkt vor Fabian stehen. Er trug eine braune Kutte wie ein Mönch; die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen.
Fabians Herz begann zu hämmern. Dennoch brachte er eine feste Stimme hervor.
„Kann ich Ihnen helfen, Herr Pastor?“
Einen Augenblick lang war es still, dann kam ein tiefes, ruhiges „Ja.“
Fabian runzelte die Stirn. Was sollte er darauf sagen? Was wollte dieser Kirchenmann von ihm?
Oder war es nur irgendein Idiot in Verkleidung?
„Sie dürfen mich gern überholen“, sagte Fabian höflich. „Ich lasse Ihnen den Vortritt.“
Der Fremde rührte sich nicht, sichtlich unbeeindruckt.
„Verstehen Sie mich nicht?“
„Laura gehört dir nicht“, erwiderte der Fremde leise, mit gefährlicher Ruhe.
Na großartig, dachte Fabian. Noch einer, der in Laura verliebt ist.
Ein Mönch, ausgerechnet.
Ungewöhnlich, klar. Aber in dieser verrückten Welt gab es offenbar nichts, was es nicht gab.
Fabian atmete tief durch und warf die Schultern zurück.
„Warum sollte Laura mir nicht gehören?“
Der Fremde sah ihn seltsam an, schwieg aber.
„Mir ist das zu blöd, mit einem Unbekannten über Laura zu reden. Lassen Sie mich in Ruhe!“
Er drehte sich um und joggte wieder an, derselben Richtung folgend wie zuvor. Als er über die Schulter blickte, sah er, dass der Mönch ihm mit langen Schritten folgte.
Fabian blieb abrupt stehen, fuhr herum und funkelte ihn genervt an.
„Ich habe gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen!“
„Laura gehört zum Spiel. Lass sie in Ruhe“, sagte der Mann.
„Mich interessiert nicht, was Sie daherreden. Ich flirte mit Laura, solange ich will! Kapiert?“
„Niemand mischt sich in das Spiel ein.“
„Welches Spiel?“ Fabian blinzelte verwirrt. „Bowling?“
„Ich habe gesehen, wie du sie auf dem Parkplatz vor der Diskothek geküsst hast.“
„Hat Ihnen wohl gefallen, was? Sind Sie einer von diesen verrückten Spannern?“
„Laura gehört zum Spiel“, knurrte der merkwürdige Mönch.
Fabian schüttelte ratlos den Kopf.
„Das sagten Sie schon. Sind Sie krank?“ fragte er. „Sie sollten sich helfen lassen.“
Der Fremde funkelte ihn an—mit stechend gelben Augen.
Fabian wandte sich ab und beschleunigte seinen Lauf. Dieser unheimliche Typ jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken.
Doch der Mönch folgte wieder, mühelos im gleichen Tempo.
„Was wollen Sie immer noch von mir?“ rief Fabian—nun mit einem Hauch Unsicherheit in der Stimme.
Vielleicht wollte der Kerl herausfinden, wo er wohnte. Auf keinen Fall durfte er das zulassen!
Er malte sich aus, wie der Wahnsinnige nachts in sein Zimmer schlich und … was? Ihn angriff? Ihn töten wollte?
„Ich habe gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen!“ brüllte er, die Stimme unwillkürlich brüchig vor Verzweiflung.
„Du musst Laura in Ruhe lassen“, fauchte der Fremde.
„Lassen Sie das Mädchen selbst entscheiden!“
Der Mönch schob die Kapuze ein Stück zurück. Fabian sah die gelben, stechenden Augen klar—wie zwei Nadelstiche. Dann sprang der Fremde mit einem einzigen gewaltigen Satz direkt vor ihn.
Fabian blieb die Luft weg.
Alles geschah so schnell, so überraschend, dass sein Verstand nicht hinterherkam. Im fahlen Mondlicht erkannte er das grauenhafte Gesicht: wie aus einem Horrorfilm. Bleich, fleischig, die Haut hing schlaff an den Wangen. Der Mund öffnete sich—gelbliche, spitze Zahnstummel. Ein Atem, faulig, bestialisch, wie verrottet. Es roch nach Tod.
Der Mann grinste teuflisch. Fabian fuhr zusammen vor diesem mörderischen Ausdruck.
So etwas Unmenschliches hatte er noch nie gesehen. Dann begann sein Herz zu rasen, als er begriff, dass das kein Mensch war.
Plötzlich fraß sich ein seltsamer Schmerz durch seinen ganzen Körper.
Er blickte hinunter—und schnappte nach Luft.
Ein Messer steckte in seinem Bauch!
Laura wachte am nächsten Morgen völlig erschöpft um kurz nach zehn Uhr auf. Sie hatte sich in der Nacht hin und her gewälzt, war irgendwann von Sirenengeheul geweckt worden – zu müde, um dem nachzugehen. Halb im Schlaf hatte sie sich nur zur anderen Seite gedreht und war wieder weggedämmert. Nun, im hellen Tageslicht, fragte sie sich, was es damit wohl auf sich gehabt hatte.
Noch etwas benommen zog sie sich den Morgenmantel über, schlurfte ins Wohnzimmer. Dort saß ihre Mutter, eine Tasse dampfenden Kaffees in der Hand, die Augen fest auf den Fernseher gerichtet, wo die Nachrichten liefen.
„Guten Morgen“, murmelte Laura und zwang sich zu einem Lächeln.
„Hallo, mein Schatz“, erwiderte ihre Mutter, ohne aufzusehen, die Stirn leicht gerunzelt.
Laura ging in die Küche, goss sich einen Tee auf und ließ sich dann mit der Tasse neben ihre Mutter auf die Couch fallen.
„Sag mal … was war das heute Morgen für ein Lärm? Ich habe es nur im Halbschlaf gehört.“
Ihre Mutter löste den Blick vom Bildschirm und sah sie an. „Du meinst die Sirenen?“
„Ja.“
„Ein Jugendlicher wurde beim Joggen im Wald mit einem Messer angegriffen“, berichtete sie mit ernster Stimme. „Und das ganz in der Nähe.“
Laura fuhr erschrocken hoch. „Was … was ist denn genau passiert?“
„Die Polizei weiß noch nicht viel. Sie haben den Jungen auf dem Joggingpfad gefunden, mit einer Stichverletzung im Bauch. Er wurde sofort mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.“
„Das ist ja widerlich!“ Lauras Magen zog sich zusammen.
„Ja.“ Ihre Mutter nickte. „Schau – sie bringen gerade den Bericht noch einmal. Der Junge … sieht richtig niedlich aus.“
Laura wandte den Kopf zum Fernseher – und erstarrte. Ihr war, als würde ihr ein Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht gekippt. Mit einem Schlag war sie hellwach.
Sie starrte auf den Bildschirm, dann zurück zu ihrer Mutter, wieder zum Bildschirm. Vielleicht nur eine Ähnlichkeit, redete sie sich panisch ein. Es könnte doch jemand anderes sein …
„Was ist los?“ fragte ihre Mutter und musterte sie.
„Er sieht aus wie …“, begann Laura stockend.
In diesem Moment wiederholte die Sprecherin den Namen des Opfers: Fabian S., aus Gauting bei München.
Alles Blut wich ihr aus dem Kopf. Es war Fabian! Oh Gott – wirklich er!
„Laura, Schatz, ist alles in Ordnung?“
Sie brachte kein Wort heraus. Starr wie versteinert blickte sie auf den Bildschirm, während die Nachrichten längst zum Wetterbericht übergegangen waren.
„Laura … du kanntest diesen Jungen?“
Wie in Trance nickte sie. In ihrem Kopf drehte sich alles. Gestern noch hatte sie mit ihm geredet, gelacht … ihn geküsst.
„Gestern Abend …“, hauchte sie benommen, drehte den Kopf langsam zu ihrer Mutter, die jetzt den Fernseher ausschaltete.
„Du warst gestern Abend mit ihm zusammen?“
Wieder nickte Laura. Mehr konnte sie nicht. Eine Hand schnellte vor ihren Mund, ihr wurde schlecht.
„Schatz, geht es dir gut? Du siehst furchtbar aus.“
„Ich fühle mich auch … fürchterlich“, stammelte Laura. „Ich gehe lieber wieder ins Bett.“
„Ja, tu das.“ Die Stimme ihrer Mutter wurde weich. „Ich bringe dir noch einen Tee und ein bisschen zu essen.“
Vollkommen aufgelöst torkelte Laura in ihr Zimmer zurück, ließ sich ins Bett fallen und wickelte sich eng in die Decke, als könnte sie die Wirklichkeit aussperren. Doch Schlaf kam nicht. Sie sehnte sich verzweifelt danach, dem Grauen für ein paar Stunden entfliehen zu können.
Irgendwann dämmerte sie doch weg.
Stunden später wurde sie durch eine sanfte Berührung geweckt. „Ein Mann von der Kriminalpolizei ist hier und möchte mit dir sprechen“, flüsterte ihre Mutter.
Laura richtete sich schwerfällig auf. Alles, was nun folgte, nahm sie wie durch Watte wahr. Der Besucher stellte sich als Kriminalhauptkommissar Albrecht Schubert vom Kriminalfachdezernat 1 in München vor – ein kleiner, gedrungener Mann mit wachen, bohrenden Augen.
Er stellte Fragen im Sekundentakt:
Wann haben Sie Fabian S. zuletzt gesehen?
Wo genau?
Worüber haben Sie beide gesprochen?
Gab es Streit?
Sind Sie ein Paar?
Wie lange kennen Sie sich?
Die Befragung schien endlos zu dauern. Laura fühlte sich, als würde man sie mit Scheinwerfern fixieren, jede Bewegung unter die Lupe nehmen. Später erfuhr sie von ihrer Mutter, dass es kaum dreißig Minuten gewesen waren – für Laura jedoch hatte es sich wie Stunden angefühlt. Schließlich verabschiedete sich der Kommissar.
Laura ließ sich zurück ins Bett fallen. Er verdächtigt mich, dachte sie fassungslos. Jemand musste ihm erzählt haben, dass sie gestern Abend mit Fabian unterwegs gewesen war. Wahrscheinlich war sie die Letzte gewesen, die ihn lebend gesehen hatte.
Armer Fabian.
Tränen stiegen ihr in die Augen, tropften unaufhörlich auf das Kopfkissen. Sie musste dringend erfahren, wie es ihm ging. Aber wer konnte ihr Auskunft geben?
Vielleicht Cedric. Vielleicht hatte er Kontakt zu Fabians Familie.
Sie beschloss, so schnell wie möglich Cedric anzurufen.
Am nächsten Morgen war Cedrics Wut längst nicht verraucht.
Laura hatte Fabian geküsst!
Was hat dieser Mistkerl, dass ich nicht habe?
Missmutig und ohne rechten Appetit schaufelte er sein Müsli in sich hinein. Die frischen Obststücke schmeckten nach nichts, nur fade und trocken.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte seine Mutter erstaunt und musterte ihn über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg. „War’s gestern Abend nicht schön?“
„Nicht besonders“, knurrte Cedric.
„Aber warum triffst du dich dann ständig mit Michelle, wenn dir die Abende mit ihr nicht gefallen?“
„Weiß nicht.“
„Mir gefällt Laura besser“, meinte sie unvermittelt. „Ich finde, sie ist süß.“
„Die süße Laura!“ Cedric knallte den Löffel in die Schüssel, die Milch spritzte über den Tisch. „Wie kommst du auf so einen Schwachsinn? Du hast ja keine Ahnung!“
„Warum also Michelle?“
„Ich habe meine Gründe.“
„Nämlich?“
„Ach, lass mich doch in Ruhe!“
Wutentbrannt schob er den Stuhl zurück und stapfte aus der Küche. Warum mischten sich alle ständig in seine Angelegenheiten ein?
Er musste Laura anrufen. Sofort. Jemand musste diesem Mädchen endlich klarmachen, wie albern es war, mit Fabian zu flirten.
Nervös wählte er ihre Nummer.
„Cedric? Weißt du, wie es Fabian geht?“ Ihre Stimme klang verschlafen, weich – und doch war da nichts als Sorge um Fabian.
Cedric spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. „Du kannst wohl nur an Fabian denken!“
„Was meinst du? Weißt du, wie es ihm geht?“ Ihre Stimme stolperte, voller Unsicherheit.
„Du hast ihn geküsst!“
„Was hat das jetzt damit zu tun?“
Laura wurde unruhig. Wichtig war doch nicht dieser Kuss – sondern ob Fabian den Angriff überlebt hatte.
„Ja, ich finde, der Kuss war unter deiner Würde!“
„Was regst du dich so auf, Cedric?“ Ihre Stimme war nun gefährlich leise geworden. Zorn vibrierte darin.
„Komm, sei nicht gleich sauer, Laura.“ Er versuchte, zurückzurudern. „Ich meine es doch nur gut. Gestern hast du dich echt blöd benommen.“
„Und du? Hör mal gut zu: Ich sah bestimmt nicht so beknackt aus wie diese Michelle, mit der du dich herumtreibst!“
„Das ist etwas anderes! Wir reden hier über dich, nicht über Michelle.“
„Falsch, Cedric. Gerede war’s. Thema beendet.“
„Mensch, Laura, was soll das Theater?“
„Sag mir lieber: Weißt du, wie es Fabian geht? Wird er überleben?“
„Überleben?“ Cedric stutzte. „Was für ein Angriff?“
„Du weißt gar nichts?“
„Nein! Was ist geschehen?“
„Fabian wurde heute Morgen beim Joggen mit einem Messer angegriffen. Er liegt im Krankenhaus!“
„Mist! Verdammt!“ Cedric sog scharf Luft ein. „Entschuldige, Laura. Ich versuche, etwas herauszubekommen.“
„Sag mir sofort Bescheid, wenn du was erfährst.“
„Ja, klar“, versprach er. „Ich melde mich.“
Den Rest des Tages fraß ihn das schlechte Gewissen. Er hatte Laura beschimpft, während sie nur voller Sorge um Fabian war – Fabian, der nun schwer verletzt im Krankenhaus lag. Ob er überleben würde, wusste niemand. Cedric hatte lediglich kurz mit Fabians älterem Bruder sprechen können, doch auch der wusste nichts Genaues.
Noch am Abend rief er Laura erneut an, berichtete ihr, was er erfahren hatte. Doch sie klang gereizt, genervt – erzählte etwas von einem Polizisten, der sie befragte. Später sprach Cedric nur noch mit ihrer Mutter; Laura schlief tief und fest, nicht mehr ansprechbar.
Am nächsten Morgen entdeckte er sie in der Pausenhalle, umringt von Paul und Bernd. Er ging sofort zu ihr, packte leicht ihren Arm.
„Hey, Laura, ich muss dringend mit dir reden.“
Sie schüttelte ihn unwillig ab, trat einen Schritt zurück. „Später, Cedric. Ich muss in den Physikraum.“
Danach sah er sie noch zweimal – beide Male tat sie so, als existiere er nicht. In der Mittagspause dann der Stich ins Herz: Laura flirtete mit einem älteren Jungen, lachte, spielte mit ihren Haaren. Cedric stand da, musste es mit ansehen.
Noch nie hatte sie ihn so fasziniert wie in diesem Moment. Wie hübsch, wie erwachsen sie aussah.
Nach dem Unterricht stellte er sie schließlich vor der Schule. Sie kam gerade mit ein paar Jungs lachend heraus.
„Laura, du hast versprochen, mit mir zu reden. Ich warte.“
Sie zögerte. Dann legte sie Philip freundschaftlich die Hand auf die Schulter. „Okay, Philip, dann holst du mich um sieben Uhr ab?“
Philip grinste, nickte und verschwand mit den anderen.
Cedric öffnete den Mund – doch Laura schnitt ihm das Wort ab.
„Wie geht es Fabian?“
„Er wurde in der Nacht operiert. Jetzt liegt er auf der Intensivstation.“
„Wird er überleben?“
„Das kann noch keiner sagen.“
„Danke, Cedric.“
„Gehst du heute Abend wirklich mit Philip weg?“
„Ja, warum?“
„Du hast den ganzen Tag mit Jungs geflirtet!“
„Hast du mich beobachtet?“ Ihre Stimme bekam einen prickelnden Unterton.
„Das gefällt mir nicht.“
„Bist du etwa eifersüchtig?“
„Nein, natürlich nicht“, wehrte er ab und spielte nervös mit seinen Fingern.
In diesem Moment klingelte Lauras Handy. „Moment, Cedric.“ Sie zog es heraus.
„Ja?“ Cedric hörte das laute Geschnatter von Vanessa.
„Ja, klar. Reservier für Samstag eine Bowlingbahn … sieben Uhr passt. Ruf mich später nochmal an, ich spreche gerade mit Cedric. Okay, bis dann.“
Sie steckte das Handy zurück.
„Ihr geht Samstag Bowling spielen?“
„Ja, warum?“
„Mit Jungs aus der Schule?“
„Du bist hoffnungslos, Cedric. Warum soll ich keine anderen Jungs kennenlernen?“
„Kennenlernen? Du schmeißt dich ihnen doch regelrecht an den Hals.“
„Ach, wirklich?“ Sie zog die Augenbrauen spöttisch hoch.
„Ja! Bitte, lass das.“
„Du übersiehst etwas: Ich denke nicht daran, meine Freiheit aufzugeben. Es macht mir Spaß, abends mit Jungs loszuziehen und mich zu amüsieren.“
„Du triffst dich also wirklich heute mit Philip?“
„Nicht nur mit Philip. Auch mit anderen Jungs.“ Laura lächelte herausfordernd.
Cedrics Kopf rauschte.
„Aber ich kann dich beruhigen“, setzte sie nach.
„Ja?“ Hoffnung blitzte in seinen Augen.
„Am Samstag sind keine Jungs dabei. Ich gehe nur mit Vanessa und Anna zum Bowling.“
Einen Moment standen sie schweigend voreinander.
Dann drehte Laura sich um und ging. Sie konnte es nicht mehr ertragen. Er war doch ihr Leben – und dennoch musste sie Abstand halten.
Cedric sah ihr unglücklich nach, wie sie beschwingt über die Landsberger Straße schritt.
Was haben nur die anderen Jungs, was ich nicht habe? dachte er verzweifelt.
Laura fand den Abend mit Philip recht unterhaltsam.
Sie gingen ins Kino und schauten den neuesten James-Bond-Film. Das grelle Licht der Explosionen, das Schimmern exotischer Schauplätze und das ständige Wummern der Musik begleiteten sie zwei Stunden lang durch die Handlung. Doch während Philip gebannt auf die Leinwand starrte, ertappte sich Laura mehrmals dabei, dass sie abschweifte – nicht Bond beschäftigte sie, sondern ihre eigenen Gedanken.
Auf dem Heimweg wollte sie Philip das Geld für die Karten zurückgeben. „Hier, Philip. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen so viel ausgibst.“
„Du spinnst doch, Laura“, erwiderte er lachend. „Ich lade dich gern ein. Du bist ganz anders als die anderen Mädchen. Nicht so eingebildet und zickig.“
Laura spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Verlegenheit machte sich breit. Sie mochte Philip. Er war nett, höflich, aufmerksam. Doch während sie neben ihm herging, wurde ihr klar: Ein wirklich enger Freund konnte er nie für sie werden. Dazu war er zu still, zu ernst. Gespräche mit ihm liefen schnell ins Leere, während sie bei Cedric nie überlegen musste, was sie als Nächstes sagen sollte.
Als Philip sie schließlich vor ihrem Elternhaus absetzte, war sie erschöpft – nicht von der Uhrzeit, sondern von dem angestrengten Dauerlächeln. Den ganzen Abend hatte sie so getan, als fände sie seine Witze großartig, als hätte sie unheimlich Spaß. Alles nur, um ihn nicht zu verletzen.
Ich bin ja schon fast wie Michelle, dachte sie angewidert. Statt ehrlich zu sein, spielte sie Theater. Diese aufgesetzte Art gefiel ihr nicht. Auch wenn die Jungs es mochten und sie Komplimente bekam – sie fühlte sich unecht.
Am nächsten Morgen klingelte das Telefon. Kevin meldete sich. Sie kannte ihn kaum – den älteren Bruder von Paul, der bereits eine Lehrstelle und ein eigenes Auto hatte. Nervös erzählte sie ihrer Mutter, dass sich ein älterer Junge mit ihr treffen wolle.
„Schon wieder ein anderer Typ?“ Ihre Mutter sah sie missbilligend an. „Übertreibst du es nicht langsam?“
„Keine Sorge. Ich werde nicht so spät heimkommen.“
„Ich möchte nicht, dass man dich eine Rumtreiberin nennt!“
„Nonsens, Mama!“ Laura hob die Hände abwehrend. „Andere Mütter sind froh, wenn ihre Kinder viele Freunde haben.“