Rache des Höllenreiters - Andreas Parsberg - E-Book

Rache des Höllenreiters E-Book

Andreas Parsberg

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Beschreibung

Das zweite Spiel verschlägt Cedric in den Wilden Westen, in das Jahr 1865, hinein in die staubigen Straßen von Abilene, wo Gesetzlosigkeit, Blut und Rache das tägliche Leben bestimmen. Zwischen qualmenden Colts, gnadenlosen Banditen und dem unheilvollen Schatten eines Höllenreiters muss er beweisen, ob er den Mut hat, in einer Welt voller Hass, Gewalt und finsterer Mächte zu bestehen. Doch es geht um mehr als bloßes Überleben. In Emily begegnet er einem Mädchen, das sein Herz entfacht, während die Narben der Vergangenheit sie beide einholen. Kann zarte Liebe inmitten von Staub, Schießpulver und dem Fluch der Dämonen bestehen? Als Forcas, der gefürchtete Höllenreiter, die Stadt heimsucht, beginnt ein Kampf, der weit über das Schicksal Abilenes hinausweist. Cedric wird in ein Duell gezwungen, bei dem es nicht nur um Leben und Tod geht, sondern um den Willen, gegen Gegner zu bestehen, die nicht sterben können, und gegen Mächte, die nicht von dieser Welt sind. Wer wird überleben, wenn die Hölle ihre Reiter entsendet? Ein epischer Roman voller Western-Atmosphäre, unheilvoller Geheimnisse und gefährlicher Prüfungen. Band 2 der Serie Spiel der Dämonen verbindet die Wucht klassischer Western mit der düsteren Spannung einer übernatürlichen Saga.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 282

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Andreas Parsberg

Rache des Höllenreiters

Das Spiel der Dämonen (Band 2)

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

Impressum neobooks

1

„Du siehst aus wie Peter Pan“, neckte Vanessa und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Meinst du wirklich?“ Laura ließ den Blick kritisch an sich herabgleiten. Das grüne Sweatshirt, das sie hastig aus dem Schrank gezogen hatte, spannte leicht über ihren Schultern, und die schwarze Strumpfhose glänzte im Schein der Flutlichtlampen.

„Ich wollte eigentlich wie ein Pirat aussehen“, erklärte sie trotzig und stemmte die Hände in die Hüften. „Zu Ehren des Fechtkampfes.“

Vanessa lachte, ihre Augen blitzten vergnügt. „Ich finde, du siehst absolut wie ein Pirat aus. Ein moderner, frecher Pirat, der gerade vom Deck gesprungen ist.“

Übermütig liefen die beiden lachend über den Sportplatz, die kalte Abendluft wehte ihnen um die Gesichter. Als sie schließlich vor der Turnhalle ankamen, wehte ein Transparent im Wind, das von der Dachkante herabhing:

Max-Born-Gymnasium

Fechtwettkämpfe – Turnhalle

Mittwochabend, 20 Uhr

Sie reihten sich in die kleine Schlange vor dem Eingang ein. Laura musterte die wenigen Gesichter, die sich dort versammelt hatten.

„Es sind viel weniger Schüler gekommen, als ich gedacht hätte“, murmelte sie ratlos.

„Ich glaube, Fechten ist in Germering nicht gerade der Renner“, meinte Vanessa trocken.

Laura hob eine Braue. „Dabei finde ich Fechten ziemlich spannend. Es geht darum, präzise Bewegungen zu setzen.“

„Na klar“, grinste Vanessa. „Du musst präzise sein, sonst trifft dich dein Gegner, bevor du überhaupt Luft holen kannst.“

Laura lachte, und gemeinsam suchten sie sich einen guten Platz auf den Tribünen, von dem aus sie alles im Blick hatten.

Punkt acht öffnete sich die Seitentür, und eine Frau trat mit energischen Schritten in die Halle. Schlank und gleichzeitig athletisch, mit einem Florett in der rechten Hand und dicken, gepolsterten Handschuhen in der linken. Die Fechtmaske hatte sie lässig unter den Arm geklemmt, über der Brust glänzte die Schutzweste.

„Sieht ein bisschen wie eine Ninja Turtle aus“, raunte Vanessa und stopfte sich einen Kaugummi in den Mund.

„Das ist Claudia Mertens“, flüsterte Laura ehrfürchtig. „Sie war Mitglied im deutschen Fechtteam bei den Olympischen Spielen in Athen. Warte nur, bis du sie kämpfen siehst.“

Claudia Mertens stellte sich mit fester Stimme vor die Zuschauer. „Vielen Dank, dass ihr heute Abend gekommen seid. Da wir heute eine eher kleine Runde sind, schlage ich vor, ihr rutscht alle etwas zusammen auf die mittlere Tribüne. So könnt ihr den Übungen besser folgen.“

Zögernd, aber folgsam wechselten die Leute die Plätze. Von den oberen Reihen rückten sie nach unten, von den Seitenflügeln in die Mitte.

Höflicher Applaus erfüllte die Halle, als sechs Schüler in voller Schutzkleidung aufmarschierten. Die schwarzen Fechtmasken mit dem dichten Drahtgeflecht ließen sie anonym und beinahe unheimlich wirken. Jeder hielt ein Florett in der Hand, bereit für die Vorführung.

Laura beugte sich zu Vanessa. „Du hattest Recht. Sie sehen tatsächlich ein bisschen wie Ninja Turtles aus. Ich sehe diesen Sport plötzlich mit ganz anderen Augen.“

„Während die Schüler die Übungen demonstrieren, erkläre ich euch die einzelnen Schritte und erzähle ein wenig über die Geschichte des Fechtens“, kündigte Claudia an.

Die Paare stellten sich auf, ihre Bewegungen wirkten streng einstudiert und zugleich anmutig. Das Paar, das dem Publikum am nächsten stand, trug Westen, die mit einem elektronischen System verbunden waren. Sobald die Florettspitze einen Treffer setzte, flammte ein rotes Licht auf.

„Wow, die sind echt gut“, flüsterte Laura, als das Paar Angriff und Rückzug demonstrierte.

Vanessa grinste schelmisch. „Ich sollte mir auch so ein Ding zulegen. Damit könnte ich mir die Jungs vom Hals halten, die mich mit dämlichen Sprüchen anmachen.“

Laura rollte die Augen. „Das ist kein Schwert, sondern ein Florett. Und wenn du schon einen Jungen durchbohren willst, solltest du wenigstens die richtige Waffe benennen.“

„Einverstanden“, erwiderte Vanessa lachend. Sie reckte sich, hob ein imaginäres Florett und rief gespielt: „Hey, du Vollpfosten, spar dir deine Sprüche – en garde!“

Mit einem theatralischen Sprung schwang sie die unsichtbare Waffe über ihrem Kopf.

„Perfektes Timing!“, rief Claudia Mertens und kam mit einem amüsierten Lächeln auf Vanessa zu. „Ich wollte gerade einen Freiwilligen suchen.“

Vanessa erstarrte. „Aber… ich…“

„Komm doch runter zu uns“, forderte Claudia sie auf und winkte.

„Nein, nein, Sie irren sich“, wehrte Vanessa hastig ab. „Wenn ich dort heruntergehe, durchbohre ich bestimmt meinen eigenen Fuß.“

Die Fechtmeisterin lachte leise und ließ ihren Blick über die Zuschauer schweifen. „Dann eben jemand anderes. Ich brauche jemanden, der gute Körperbeherrschung hat, aber noch nie ein Florett in der Hand gehalten hat.“

„Hier! Hier ist sie!“, rief Vanessa plötzlich und zerrte Laura am Arm nach oben.

„Spinnst du?“, zischte Laura und riss sich los.

„Los, mach schon, du kannst das!“, feuerte Vanessa sie an und schob sie entschlossen nach vorne.

Widerwillig kletterte Laura von der Tribüne. Eine der Fechterinnen legte ihre Ausrüstung ab und reichte ihr Weste, Maske und Handschuhe.

„Ein kleiner Applaus für unsere mutige Freiwillige!“, rief Claudia.

Die Zuschauer klatschten freundlich. Laura hakte die Weste zu, setzte die Maske auf, schlüpfte in die Handschuhe und spürte das Gewicht des Floretts, das sie nun in der Hand hielt.

„Mit dieser Übung möchte ich zeigen, wie zwei Fechter, die sich noch nie begegnet sind, lernen, sich aufeinander einzustellen und die Bewegungen des anderen zu deuten“, erklärte Claudia Mertens.

Sie wandte sich zum Team am Rand der Halle. „Wer von euch tritt an?“

Ein Schüler trat vor. Laura spürte, wie die Metalllasche der Maske unangenehm auf ihren Hinterkopf drückte. Sie rückte sie zurecht, froh darüber, dass das dichte Drahtgeflecht ihr Gesicht vor den neugierigen Blicken verbarg.

„Fechten ist ein wenig wie Tanzen“, erläuterte Claudia dem Publikum. „Nur, dass es in einem echten Duell um Leben und Tod gehen kann.“

Sie stellte sich zwischen Laura und ihren Gegner, die Spannung knisterte in der Halle.

„Gut!“, sagte sie schließlich und trat zurück. „Ihr könnt beginnen.“

Laura atmete tief durch, beugte das Knie, hob den linken Arm und sprang leichtfüßig vor. Ihr Körper gehorchte, als hätte er diese Bewegungen schon unzählige Male ausgeführt. Sie umkreiste ihren Gegner, prüfte seine Haltung, seine Bereitschaft, seinen Rhythmus.

Sie bewegten sich wie Tänzer, die auf den Moment warten, in dem einer die Führung übernimmt.

Jetzt!

Ein Raunen ging durch die Zuschauer, als Laura parierte und elegant zum Ausfall ansetzte. Doch ihr Gegner reagierte blitzschnell, wich aus, griff selbst an. Laura konterte, wich zurück. Angriff und Verteidigung, Aktion und Reaktion – ein Tanz aus Stahl und Präzision.

Ihr Florett wurde zur Verlängerung ihres Armes, und sie spürte, wie sie in den Bann des Duells geriet. Es war wie eine magische Chemie, fast sinnlich, und Laura, die leidenschaftlich gerne tanzte, erkannte die Parallelen sofort.

Plötzlich löste sich eine Schnalle ihrer Weste. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie abgelenkt.

Ihr Gegner nutzte die Gelegenheit!

Mit einem kräftigen Ausfall sprang er nach vorne, sein Florett zischte gefährlich nah an ihrem Ohr vorbei. Laura wich zurück, rang verzweifelt mit dem Verschluss ihrer Weste.

Die Zuschauer riefen durcheinander:

„Pass auf!“

„Greif an!“

Doch ehe sie reagieren konnte, riss ihr Gegner die Initiative an sich. Mit einem geschickten Stoß warf er sie aus dem Gleichgewicht. Laura stürzte, das Florett entglitt ihr und klirrte auf den Boden.

Benommen blickte sie von unten in die Gesichter der Zuschauer.

„Sie ist verletzt!“

„Hat er sie getroffen?“

Die Rufe brandeten auf sie ein. Ihr Herz schlug wie wild, sie wollte am liebsten im Boden versinken. Ihre Augen wurden feucht.

Da spürte sie, wie sie von kräftigen Armen hochgehoben wurde. Jemand trug sie in den Geräteraum hinter der Halle.

Es war ihr Gegner.

Er setzte sie vorsichtig auf einen Stapel Matten, kickte nebenbei Basket- und Volleybälle beiseite. Im nächsten Moment trat auch Claudia Mertens ein.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Ja… mir ist nichts passiert“, murmelte Laura.

„Eher der Stolz“, meinte ihr Gegner trocken.

Claudia nickte. „Macht es dir etwas aus, wenn ich die Vorführung fortsetze?“

„Nein, bitte… machen Sie weiter.“ Laura nahm die Maske ab, rieb sich über den wunden Hinterkopf, an dem die Metalllasche gedrückt hatte.

Ihr Gegner kniete neben ihr.

„Tut mir leid, Laura“, sagte er leise und zog langsam die Maske vom Kopf.

Laura erstarrte. „Du!“

Vor ihr hockte Cedric Vogt.

Seine rehbraunen Augen funkelten, sein Gesicht war verschwitzt und dadurch noch attraktiver. Etwas an ihm wirbelte jedes Mal ihre Gefühle durcheinander.

„Du!“, wiederholte sie fassungslos, diesmal mit einer Mischung aus Wut und Verlegenheit.

„Genau. Ich!“, grinste er. „Freut mich auch, dich wiederzusehen.“

„Wo hast du so fechten gelernt?“, fauchte sie und zog die Handschuhe aus, um ihre schwitzigen Hände an der Weste abzuwischen.

„In Schottland“, antwortete er gelassen.

„In Schottland?“

„Ja“, erwiderte er nachdenklich. „Wie genau ich dort gelandet bin… das ist eine längere Geschichte.“

Laura funkelte ihn an. „Und da hast du gelernt, so unfair zu kämpfen? Einen Gegner überrumpelt man nicht!“

„Ich habe in Schottland gelernt, zu überleben. Aber absichtlich hätte ich dir nie wehgetan“, sagte Cedric und wirkte plötzlich ernst.

„Darauf wette ich!“

„Du hast Recht“, lenkte er ein. Er öffnete die Weste, hängte sie über eine Gewichtsstange und setzte sich neben sie. „Ich war nicht konzentriert genug.“

„Du kannst doch nicht einfach so herumfuchteln, ohne dich auf deinen Gegner zu konzentrieren!“

„Ich weiß, und ich habe dir ja schon gesagt, dass es mir leidtut.“ Er klang beinahe schuldbewusst.

Laura spürte den Schweiß an ihren Schläfen, doch die Hitze kam nicht allein vom Kampf. Cedrics Nähe verwirrte sie.

„Sag mir, warum bist du eigentlich gestürzt?“, fragte er mit ehrlicher Besorgnis und tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.

Laura schluckte, als sie seinen Blick auffing. Er legte behutsam eine Hand auf ihre Schulter, und die Wärme seiner Haut brannte durch den dünnen Stoff ihres T-Shirts.

Unruhig rutschte sie hin und her.

„Warum bist du nicht zurückgetreten, als du gesehen hast, dass ich Probleme mit der Weste hatte?“, fragte sie.

„Ich habe es wirklich nicht bemerkt“, beteuerte er. „Ich würde doch niemals… Ich bin immer sehr vorsichtig.“

Von draußen klang Applaus herüber.

„Ist die Show schon zu Ende?“, fragte Laura.

„Keine Ahnung“, gab er zurück. „Ich bin ja auch erst das zweite Mal im Kurs.“

Laura starrte ihn ungläubig an. „Wie bitte? Nach zwei Trainingsstunden kannst du schon so fechten?“

Er nickte, und als er sie ansah, war da eine Unsicherheit in seinen Augen, die sie überraschte – und gleichzeitig ein elektrisches Prickeln in ihr auslöste. Sein Blick hielt sie fest wie ein Magnet.

Und sie wollte sich gar nicht losreißen.

Sie rückte ein Stück von ihm ab und zuckte scharf zusammen, als ein stechender Schmerz ihr den Rücken hinaufzog.

„Was ist los?“, fragte Cedric sofort, die Besorgnis deutlich in seiner Stimme.

„Keine Ahnung“, murmelte sie. „Ich muss mir irgendwie am Rücken wehgetan haben, als ich hingefallen bin.“

Laura rollte sich auf die Knie, machte vorsichtig einen Katzenbuckel, während der dumpfe Schmerz am Ende ihres Rückgrats bis in die Hüften ausstrahlte.

„Vielleicht solltest du ein paar Schritte gehen, um zu sehen, wie es ist.“

Cedric erhob sich und hielt ihr die Hand hin.

Laura zögerte einen Augenblick, dann legte sie ihre Hand in seine. Seine Finger schlossen sich fest um die ihren, warm und stark, und er zog sie mit einer Leichtigkeit hoch, als wäre sie federleicht.

Einen Augenblick standen sie schweigend voreinander. Lauras Herzschlag beschleunigte sich, und sie hatte das seltsame Gefühl, als würden die Wände des kleinen Geräteraums enger, als rückten sie bedrohlich nahe. Ein erregender Schauer rann ihr zwischen die Schulterblätter. Mit einem entschlossenen Atemzug zwang sie sich, einen Schritt zurückzugehen – weg von Cedrics Bann, auf sichereren Boden.

„Alles okay?“, fragte er sanft.

Laura beugte sich nach vorne, dann zurück, zur Seite, prüfte die Beweglichkeit von Beinen, Hüften, Rücken und Armen.

„Meine Hüfte tut weh“, meinte sie schließlich, „aber gebrochen ist ganz sicher nichts.“

Cedric lächelte erleichtert. „Das ist schon mal ein Anfang.“

Sie gingen langsam auf und ab durch den engen Raum, schlängelten sich zwischen Hantelbänken, Gewichtsscheiben und aufgestapelten Sportgeräten hindurch. Jeder ihrer Schritte schmerzte ein wenig, doch gleichzeitig war es schön, neben Cedric herzugehen. Es tat gut, dass er sich so aufrichtig Sorgen zu machen schien.

Als sie an der Tür ankamen, streckte er gerade den Arm aus, um sie zu öffnen, hielt jedoch plötzlich inne. Er wandte sich zu Laura, und sein Blick traf sie so intensiv, dass sie unwillkürlich die Luft anhielt.

Sie versuchte, nicht direkt in seine funkelnden Augen zu sehen, versuchte das nervöse Hüpfen ihres Herzens zu ignorieren.

„Kann ich dich anrufen?“, fragte Cedric mit fester Stimme. „Nur um zu hören, wie es dir geht?“

Laura schluckte. „Sicher, warum nicht?“ Sie nannte ihm ihre Handynummer.

„Gut.“ Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huschte über sein Gesicht, ehe er sich vorbeugte und mit einem kräftigen Stoß die Tür aufdrückte.

Sie traten gemeinsam in die Halle zurück – genau in dem Moment, als die Demonstration endete. Cedric reihte sich bei den anderen Schülern ein, um sich vor den Zuschauern zu verbeugen. Laura blieb stehen und konnte den Blick nicht von ihm lösen. Er wirkte so stolz, so aufrecht, dass ihr Herz schneller schlug.

„Cedric! Hallo Cedric! Hörst du mich?“

Die laute Stimme gellte durch die Halle. Das gesamte Florettteam blieb irritiert stehen, und alle Blicke wandten sich der Zuschauertribüne zu. Dort rannte die attraktive Michelle von Bartenberg die Stufen hinab, ihre langen Haare wehten hinter ihr her, während sie Cedric begeistert zuwinkte.

„Michelle?“, murmelte Cedric überrascht, eine Augenbraue wanderte nach oben.

„Du hast so tapfer gekämpft!“, rief Michelle mit glänzenden Augen. „Was für eine Anmut und Beweglichkeit. Du sahst großartig aus!“

„Danke“, antwortete Cedric verwirrt. Was wollte Michelle plötzlich von ihm? Sie kannten sich doch kaum.

„Darf ich dich kurz sprechen?“, fragte sie. Ohne seine Antwort abzuwarten, ergriff sie seine Hand und zog ihn zum Ausgang der Halle.

Laura konnte den Blick nicht abwenden. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie sah, wie Michelle Cedrics Hand hielt. Heimlich, von Neugierde getrieben, schlich sie den beiden nach.

Was wollte Michelle nur von ihm? Und warum tat es so weh, sie zusammen zu sehen?

Draußen vor der Turnhalle blieb Michelle stehen, zeigte mit einem verklärten Lächeln in den Himmel. „Siehst du den Vollmond? Ist das nicht romantisch?“

Noch ehe Cedric reagieren konnte, schmiegte sie sich eng an seine Schulter.

„Mensch, bist du groß!“ Sie schaute bewundernd zu ihm auf. „Und so muskulös. Weißt du eigentlich, dass du wahnsinnig gut aussiehst?“

Cedric spürte, wie Hitze in sein Gesicht stieg. Er war es nicht gewohnt, Komplimente zu hören, und das verlegene Rot seiner Wangen verriet es.

Soll ich ihr auch etwas sagen? fragte er sich innerlich. Erwartet sie das? Aber das Einzige, was er über Frauen wusste, war, dass er nichts wusste.

Der Vollmond erschien ihm wenig romantisch – für ihn war er nur ein natürlicher Satellit, der kam und ging. Eigentlich fand er es albern, hier zu stehen und so zu tun, als sei es ein Wunder.

„In den Sommerferien war ich mit meinen Eltern in St. Tropez an der Côte d’Azur“, plauderte Michelle weiter. „Dort war der Mond noch viel romantischer. Dir hätte es dort sehr gefallen.“

Cedric nickte stumm. In Wahrheit wäre für ihn nur der Anblick von Michelle im Bikini ein Grund gewesen, Gefallen an St. Tropez zu finden – aber wie sollte er so etwas laut aussprechen?

In diesem Moment klingelte Michelles Handy. „Einen Augenblick“, bat sie, „es ist wichtig.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie zurück in die Turnhalle und ließ Cedric draußen allein zurück.

Er sah ihr verdutzt nach, da hörte er plötzlich hinter einem Mauervorsprung eine Stimme, die Michelles Worte spöttisch nachahmte:

„Oh, mein Cedric! In St. Tropez ist der Mond noch viel romantischer!“

Cedric umrundete den Vorsprung und entdeckte Laura. Verärgert packte er sie am Arm.

„Hast du uns belauscht?“, fragte er mit scharfem Unterton.

„Ich war einfach auf dem Weg nach Hause“, verteidigte sie sich. „Aber Michelles Stimme überhören? Das schafft doch niemand.“

„Warum hast du uns nicht unterbrochen? Ich weiß doch selbst nicht, was Michelle von mir will.“

Laura lachte hell – dieses warme, ungekünstelte Lachen, das Cedric so sehr liebte. „Warum sollte ich euch beide Hübschen stören?“ neckte sie.

Cedric hielt ihre Arme fest, drängte sie spielerisch gegen die Hauswand.

Laura lachte wieder, schaute theatralisch zum Himmel und ahmte Michelles Tonfall nach: „Oh, mein Cedric! Wie groß und muskulös du bist! Weißt du eigentlich, wie gut du aussiehst?“

Er funkelte sie verärgert an, doch als er sich zu ihr beugte, überkam ihn eine plötzliche, ungeahnte Erregung. Sein Blick glitt über die zarte Linie ihres Halses, verweilte bei ihrem Kinn. Wie gern hätte er sie jetzt geküsst.

Laura war so wunderschön, so einzigartig. Nie würde ein Mädchen wie sie einen wie ihn wählen, dachte er bitter.

Er sog scharf den Atem ein und ließ sie abrupt los. Der Zauber des Augenblicks war zerbrochen.

„Was ist mit dir los?“, fragte Laura leise, ein Hauch von Enttäuschung in ihrer Stimme.

„Ach, nichts.“ Cedric wandte sich ab. Wie hätte er ihr erklären sollen, was in ihm vorging? Seine Gefühle überschlugen sich, sein Puls raste, wenn sie in seiner Nähe war. Aber sie würde ihn nicht verstehen – er verstand sich ja selbst kaum.

„Ich glaube, das Training hat mich geschafft“, murmelte er. „Ich sollte nach Hause und mich hinlegen.“

„Du hast doch deiner Michelle versprochen, dass du auf sie wartest“, stichelte Laura.

„Sehr witzig“, fuhr er sie an.

„Soll ich dich nach Hause begleiten?“, fragte sie sanfter.

„Nein, das schaffe ich gerade noch allein.“

Er atmete tief durch, schaute sie einen Moment lang ernst an. Eigentlich war doch nichts passiert. Gut, er hatte den Drang verspürt, sie zu küssen. Aber war das so schlimm? Hauptsache, Laura hatte nichts gemerkt.

„Mir geht’s schon wieder besser“, sagte er schließlich.

Laura musste lachen. Mit seinen verschwitzten Haaren und den rehbraunen Augen sah er einfach zu niedlich aus.

„Schau mal da!“ Ihr Tonfall kippte plötzlich ins Scharfe. „Da kommt deine kleine Freundin.“

„Sie ist nicht meine Freundin“, zischte Cedric gereizt zurück. Im selben Moment bereute er es, sie so angefahren zu haben. Warum war er nur so wütend auf sie? Laura konnte nichts dafür, dass er insgeheim Lust gehabt hatte, sie zu küssen.

Bevor Michelle die beiden erreichte, verabschiedete sich Laura knapp und verschwand in der Dunkelheit.

„Danke, dass du gewartet hast“, säuselte Michelle, als sie Cedric erreichte. „Das war süß von dir.“

„Was wolltest du denn von mir?“, fragte er unruhig. „Ich muss zurück, unsere Trainerin will noch eine Abschlussbesprechung machen.“

„Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, morgen mit mir ins Point zu fahren.“

Die Diskothek in Gilching war ein beliebter Treffpunkt der Jugendlichen.

Cedric fühlte sich geschmeichelt, doch gleichzeitig unwohl. Eigentlich hatte er keine Lust, mit Michelle auszugehen. Worüber sollte er mit ihr reden? Um nicht direkt abzusagen, griff er zu einer Notlüge.

„Ich würde super gern mit dir gehen“, begann er vorsichtig. „Dumm ist nur, dass ich morgen schon mit Laura verabredet bin.“ Er schluckte. Warum hatte er ausgerechnet Laura vorgeschoben? „Wir wollen ins Kino.“

„Tja, wenn du schon mit deiner Freundin verabredet bist…“, begann Michelle.

„Sie ist nicht meine Freundin“, widersprach Cedric hastig.

Michelle lächelte überlegen. „Das dachte ich mir schon. Sie ist nicht dein Typ. Vom Äußeren wirkt sie eher wie ein Junge.“

„Wie bitte?“, stotterte Cedric, völlig überrumpelt.

Michelle wiegte die Hüften, drückte den Rücken durch, sodass ihre Brust sich deutlich abhob. „Nicht jede Frau hat weibliche Kurven. Sie ist doch flach wie ein Brett.“

„Nein… ja… ähhh…“ Cedric starrte verlegen auf die Wölbung unter ihrem Pullover. Verdammt, warum waren Mädchen so verwirrend?

„Bring Laura doch einfach mit“, schlug Michelle plötzlich vor. „Dann fahren wir alle zusammen in die Disco.“

Cedric seufzte innerlich. Er fühlte sich der hübschen Michelle hoffnungslos ausgeliefert.

„Gut, ich ruf sie morgen früh an und frag nach. Aber ich bezweifle, dass sie mitkommt.“

„Okay, mehr als fragen kannst du nicht. Und wenn sie nicht will… dann fahren wir eben allein.“ Michelle zwinkerte, ihre Stimme wurde zu einem leisen Hauchen. „Gib mir einfach Bescheid.“

2

Laura verließ so schnell wie möglich das Schulgelände.

Sie wollte nicht auch noch mitansehen, wie Cedric mit dieser eingebildeten Ziege Michelle plauderte.

Doch kaum war sie auf der Straße, schoss ihr der Gedanke an diesen besonderen Moment durch den Kopf – dieser kurze Augenblick, in dem sie gespürt hatte, dass er tatsächlich etwas für sie empfand. Sie hatte so sehr gehofft, er würde sie küssen. Stattdessen hatte er sich schmollend zurückgezogen und den Zauber zerstört.

Blöde Kerle, dachte sie bitter. Die kapieren einfach nichts!

Zu Hause angekommen, sehnte sie sich nur nach ihrem Bett. Sie wollte die Decke über den Kopf ziehen und die Welt draußen vergessen. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, läutete ihr Handy.

„Hallo, Süße!“, flötete Vanessas Stimme. Sie klang wie immer voller Lebenslust, heiter und fröhlich – genau das, was Laura in diesem Moment brauchte. „Wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“

„Es geht schon wieder“, antwortete Laura matt.

„Was war denn los? Du bist so plötzlich verschwunden.“

„Diese blöde Ziege hat mit Cedric geflirtet“, platzte es aus Laura heraus.

„Du meinst Flachzange Michelle?“

„Natürlich die“, stöhnte Laura. „Sie hat ihn richtig angehimmelt.“

„Ach, und da hatte er keine Augen mehr für dich?“

„Nein“, erklärte Laura empört. „Er hat mit Blondchen geflirtet. Vollmond in St. Tropez! Ha, ha – dass ich nicht lache.“

„Hattest du wieder den Traum?“, fragte Vanessa plötzlich ernst.

„Ja, leider.“ Laura seufzte und schüttelte bedrückt den Kopf. „Seit zwei Wochen träume ich jede Nacht dasselbe. Was das wohl zu bedeuten hat?“

„Erzähl ihn mir noch einmal“, bat Vanessa.

Laura schloss die Augen, als würde allein die Erinnerung sie hineinziehen. „Ich renne durch die Dunkelheit. Immer mitten in der Nacht. Es ist heiß, stickig, und ich glaube, ich befinde mich in einem riesigen Gebäude. Ich renne einen breiten Flur entlang – und ich habe Angst. Große Angst.“

„Was hast du an in diesem Traum?“

„Das weiß ich nicht. Alles spielt sich aus meiner Sicht ab. Ich kann alles sehen, nur mich selbst nicht.“

„Und andere Menschen?“, fragte Vanessa leise.

„Ich höre jemanden. Einen Jungen. Er läuft neben mir. Ich kann seinen Atem hören, wie er hastet.“

„Kennst du ihn?“

„Im Traum habe ich ihn nie gesehen. Aber vom Gefühl her…“ Laura stockte. „Vom Gefühl her ist es Cedric. Ich spüre dieses Kribbeln, wenn er in meiner Nähe ist. Und genau dasselbe Gefühl habe ich auch im Traum.“

„Erkennst du das Gebäude, in dem ihr rennt?“

„Nicht wirklich. Manchmal wirkt es wie ein Gang im Max-Born-Gymnasium. Aber das ist eher eine Ahnung. Es ist alles verschwommen, wie durch Nebel.“

„Aber du hast das Gefühl, dass du in Gefahr bist?“

Laura nickte, obwohl Vanessa es nicht sehen konnte. „Ja. Es ist, als würde der Tod auf uns warten. Auf ihn und auf mich.“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil ich es spüre. So intensiv, dass ich fast sicher bin: Der Tod erwartet uns in diesem Gebäude.“

„Du sagst, du träumst das seit zwei Wochen?“

„Ja, ungefähr. Ich weiß nicht mehr genau, wann es angefangen hat.“

„Das war doch ziemlich genau nach Michelles Fete, oder?“

„Ja… das könnte hinkommen. Aber warum?“

„Ouija-Brett“, murmelte Vanessa. „Die Geisterbeschwörung. Seitdem träumst du das, stimmt’s?“

„Ja.“

„Und es sind alles unheimliche Dinge, die du träumst, oder?“

„Genau“, bestätigte Laura leise.

„Du solltest mit Cedric darüber sprechen“, schlug Vanessa vor. „Er war schließlich auch dabei. Vielleicht träumt er Ähnliches.“

„Ich weiß. Aber ich konnte bisher nicht ungestört mit ihm reden.“

„Und wann willst du das nachholen?“

„Er sagte, er ruft mich an. Ich habe ihm meine Nummer gegeben. Dann werde ich es tun“, versprach Laura.

„Gut so, Süße. Dann mach das“, sagte Vanessa beruhigend. „Und jetzt: Schlaf. Versuch, nicht wieder zu träumen.“

Laura schnaubte. „Du hast gut reden. Wie soll ich das ausschalten?“

„Willst du heute Nacht bei mir übernachten?“, fragte Vanessa zögernd.

„Nein, das geht schon. Ich komme klar.“

„So hörst du dich aber nicht an.“

Laura unterdrückte ein Gähnen. „Ich bin einfach total kaputt. Nach unserem Gespräch lege ich mich sofort hin.“

„Laura, wenn irgendwas ist, ruf mich bitte an. Oder schreib eine SMS. Versprich mir das.“

„Versprochen“, murmelte Laura. „Jetzt aber gute Nacht. Ich kann kaum noch die Augen offenhalten. Ciao, Vanessa.“

„Melde dich morgen früh bei mir!“, bat Vanessa eindringlich, ehe sie auflegte.

Laura war plötzlich so müde, dass sie nicht einmal mehr duschte. Sie zog ihr Nachthemd über, putzte hastig die Zähne und knipste das Licht aus. Noch einmal überprüfte sie, ob das Fenster geschlossen war, dann kroch sie ins Bett und kuschelte sich tief in die Decke.

Wenige Sekunden später war sie eingeschlafen.

Und sofort war sie wieder in ihrem Traum!

Diesmal jedoch fühlte es sich erschreckend real an, beinahe wie hellwach. Sie konnte das Gebäude klarer erkennen, die Schatten schärfer, die Wände drückender. Hinter einer Wand hörte sie eine unheimliche, männliche Stimme. Wieder rannte sie einen langen Gang entlang, Schritte hinter ihr, schneller werdend.

Sie spürte, dass der Junge dicht bei ihr war. „Hallo?“, rief sie verzweifelt in die Dunkelheit.

Jemand keuchte. Hoffentlich Cedric – und nicht der Tod, der dort auf sie wartete.

Die Schritte kamen näher. Plötzlich bog der Junge um die Ecke und rannte an ihr vorbei. Laura stürzte hinterher, versuchte, ihn einzuholen, doch er war schneller.

Am Ende des Ganges tauchte eine Gestalt auf. Ein Mann in einer Mönchskutte. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Nur zwei stechende, gelbe Augen glühten aus dem Schatten.

Der Junge erreichte ihn, stellte sich vor ihn. „Lass Laura in Ruhe!“

Es war eindeutig Cedrics Stimme.

Laura riss die Augen auf und fuhr schweißgebadet hoch. Ihr Herz raste, ihr Körper bebte.

Kurz nach zwei, zeigte die Uhr. Sollte sie Vanessa anrufen? Nach kurzem Zögern entschied sie sich dagegen. Morgen früh würde sie es ihr erzählen. Hoffentlich erinnerte sie sich dann noch an jedes Detail.

Mit einem Seufzen ließ sie sich zurück ins Kissen fallen. Wenn ich doch nur mit Cedric reden könnte, dachte sie traurig.

Wenige Minuten später schlief sie erneut ein.

Das Klingeln ihres Handys riss sie aus dem Schlaf.

Es war bereits hell, die Sonne stand hoch. Verschlafen blickte sie auf die Uhr: kurz nach zehn.

„Hallo?“, meldete sie sich verschlafen.

„Äh, hallo Laura, hier ist Cedric.“ Seine Stimme klang zögerlich, aber warm. „Ich wollte wissen, wie es dir geht. Hast du noch Schmerzen von dem Sturz?“

„Hi Cedric. Danke für deinen Anruf. Ich spüre fast nichts mehr“, antwortete Laura und wurde allmählich wacher.

„Das freut mich. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen. Hättest du Lust, heute Abend etwas zu unternehmen?“

„Was schlägst du vor?“, fragte sie, während ihr Herzschlag schneller wurde.

„Wie wär’s mit dem Point? Michelle würde auch mitkommen.“

„Ich soll mit dir und Michelle in die Disco?“

„Ja. Sie hat mich gestern gefragt, und ich habe zugesagt. Ich würde mich freuen, wenn du auch mitkämst.“

„Du kannst ruhig mit ihr gehen, Cedric“, entgegnete Laura scharf. „Ich bleibe lieber zu Hause und erhole mich von meinem Sturz – den ich dank deiner Rücksicht beim Fechten habe.“

„Ich habe mich doch schon entschuldigt“, warf er ein. „Sei nicht so nachtragend und komm mit. Ich würde mich wirklich freuen.“

„Kapierst du es nicht? Ich habe keine Lust, mit dir und Michelle ins Point zu gehen!“

„Ach Laura, bitte, sei doch nicht so“, bat er eindringlich – aber sie hatte schon aufgelegt. Verwirrt starrte er auf den Summton in der Leitung.

Cedric verbrachte den Samstag zunächst mit Hausaufgaben, ehe er sich am Nachmittag vor den Fernseher setzte, um die Sky-Bundesliga-Konferenz zu verfolgen. Seine Laune stieg, als Bayern München durch einen Doppelschlag von Kroos und Müller auf Schalke mit 2:0 in Führung ging. Wird sicher ein toller Abend, dachte er zufrieden.

Nach dem Abpfiff ging er in die Küche.

„Hinten im Topf ist eine leckere Gemüsesuppe“, rief seine Mutter, als sie seinen suchenden Blick bemerkte.

Hungrig schöpfte Cedric sich einen Teller, schnitt sich eine Scheibe Brot ab und aß. Anschließend räumte er den Teller in die Spülmaschine.

„Heute Abend fahre ich übrigens mit Michelle nach Gilching ins Point“, erklärte er so beiläufig wie möglich.

„Ist das die hübsche Blonde mit den blauen Augen?“, fragte sein Vater.

„Du meinst die affektierte Blonde mit dem blauen Lidschatten“, korrigierte ihn seine Mutter spitz. „Na dann – viel Spaß.“

Um kurz vor acht Uhr erreichte Cedric die mächtige Villa von Michelles Eltern. Das Haus wirkte beinahe einschüchternd – hohe Mauern, breite Stufen, eine schwere Tür aus dunklem Holz, neben der eine moderne Gegensprechanlage glänzte. Mit einem entschlossenen Atemzug drückte er auf die Klingel.

Die Tür öffnete sich, und ein junges Mädchen stand vor ihm. Sehr attraktiv, mit langen, tiefschwarzen Haaren, die in sanften Wellen über ihre Schultern fielen. Sie lächelte freundlich, musterte ihn neugierig und blickte ihn unverhohlen an.

„Hallo, ich bin Cedric und mit Michelle verabredet“, stellte er sich höflich vor.

„Oh, du Armer“, erwiderte sie mit einem breiten Grinsen.

Cedric runzelte die Stirn. „Wie bitte?“

„Ich bin Chloé, die jüngere Schwester von Michelle.“ Sie lachte leise.

„Warum sagst du ‚du Armer‘ zu mir?“ fragte Cedric irritiert.

Chloé hob entschuldigend die Hände. „Entschuldige, Cedric, das war nicht böse gemeint. Es ist nur so – mir tut jeder leid, der seine Zeit mit Michelle verbringen muss.“

„Du magst deine Schwester nicht?“ Cedric konnte seine Verwunderung nicht verbergen.

„Mag ist zu viel gesagt. Ich finde, sie ist eine eingebildete Kuh.“ Sie senkte verschwörerisch die Stimme. „Aber das bitte nicht weitertratschen, sonst habe ich hier zu Hause die Hölle los.“

Cedric grinste und zwinkerte ihr zu. „Versprochen. Das bleibt unser Geheimnis.“

„Danke“, erwiderte Chloé. „Dann darfst du auch reinkommen.“

Er trat über die Schwelle. „Ist deine Schwester schon fertig?“

Chloé sah ihn an, dann brach sie in schallendes Gelächter aus.

„Was ist daran so lustig?“ fragte er verdutzt.

„Michelle und pünktlich fertig!“ Sie schüttelte den Kopf. „Das war ein guter Witz. Du wirst wohl noch warten müssen. Sie ist nie pünktlich, aber das Glück, bei unseren Eltern im Wohnzimmer zu warten, gehört heute dir.“

„Äh, vielen Dank auch“, murmelte Cedric trocken.

Chloé kicherte. „Mach dir nichts draus. Sie sind gar nicht so schlimm. Du wirst es überleben.“

Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und ließ ihn vor dem Wohnzimmer zurück. Cedric konnte nicht umhin, Chloé sympathisch zu finden. Sie war das Gegenteil von Michelle – natürlich, locker, auf Anhieb mochte er sie.

Dann öffnete er die Tür und trat ins Wohnzimmer.

Die Eltern von Michelle empfingen ihn höflich. Cedric setzte sich schicksalsergeben auf die Couch. Oh je, worauf hatte er sich eingelassen? Er ahnte, dass er nun eine gefühlte Ewigkeit über belanglose Themen würde reden müssen. Ein Entkommen war unmöglich.

Er ließ den Blick durch die gewaltige Wohnhalle schweifen. Der Raum wirkte protzig, fast wie ein Ausstellungsstück. Dabei erinnerte er sich an Michelles Party – an die Geisterbeschwörung, die dort stattgefunden hatte. Ein kalter Schauder kroch ihm über den Rücken.

Zum Glück begann Michelles Mutter sofort von St. Tropez zu schwärmen. Cedric beschränkte sich darauf, gelegentlich ein „Ja“, „Nein“ oder ein „das glaube ich“ einzustreuen.

Erst fast eine Stunde später erschien Michelle.

„Hallo, Cedric! Du bist ja schon da!“ rief sie erstaunt, als hätte sie ihn nicht erwartet.

Cedric war so verblüfft, dass ihm keine passende Antwort einfiel. Doch Michelle wartete ohnehin nicht. Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn ohne Umschweife aus dem Haus.

Vor der Villa stand ein rotes Cabrio mit 245 PS, glänzend wie frisch aus dem Autohaus – selbstverständlich ein Geschenk ihrer Eltern. Michelle, Führerschein in der Tasche, strahlte ihn mit ihren leuchtend blauen Augen an, öffnete ihm die Beifahrertür und bugsierte ihn charmant in den Wagen.

Die Fahrt auf der A96 dauerte nur wenige Minuten. In Gilching parkte sie den Wagen auf dem Disco-Parkplatz, griff erneut nach seiner Hand und zog ihn entschlossen mit sich hinein.

Drinnen im „Point“ tobte das Leben. Laute Musik dröhnte aus den Boxen, Lichter zuckten, überall drängten sich Jugendliche. Michelle schien jeden zu kennen. Sie begrüßte ausgelassen eine ganze Schar Bekannter, redete pausenlos, kicherte und warf bedeutungslose Anekdoten in die Runde. Cedric stand dabei, fühlte sich überflüssig und kam kaum zu Wort.

Plötzlich drehte Michelle den Kopf, fixierte ihn und erklärte drohend: „Cedric Vogt, du kommst jetzt sofort her und unterhältst dich mit mir. Den ganzen Abend hast du dich nicht um mich gekümmert!“

Am liebsten hätte er geantwortet, dass sie ihm gar keine Gelegenheit dazu gegeben hatte. Doch er schwieg, um keinen Streit vom Zaun zu brechen.

Inzwischen wechselte die Musik zu ruhigeren Tönen. Pärchen bewegten sich eng umschlungen auf der Tanzfläche, manche flüsterten sich ins Ohr, andere küssten sich im Halbdunkel.

Michelle hakte sich bei ihm ein. „Komm, wir tanzen“, sagte sie bestimmt.

Noch ehe er widersprechen konnte, zog sie ihn auf die Tanzfläche. Mit überraschender Intimität legte sie beide Hände um seine Taille, presste ihren Körper eng an seinen. Cedric spürte die Hitze ihres Körpers, den Druck ihrer Nähe, während sie sich langsam drehend im Kreis bewegten.

Michelle schloss die Augen. In ihr flackerte ein Gefühl von Triumph – Cedric gehörte jetzt ihr, nicht dieser langweiligen Laura.

Als er den Kopf leicht bewegte, streifte ihr seidiges Haar seine Wange. Ein Kribbeln breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Ihre Fingernägel glitten sanft über seinen Rücken.

Cedric hielt den Atem an.

„Cedric…“, flüsterte sie leise.

Er reagierte nicht.

„Cedy-Bärli“, hauchte sie, ihre Stimme schmeichelnd. Mit einer Hand hob sie sanft sein Kinn.

Cedy-Bärli? Cedric schluckte irritiert. Wie kam sie auf so einen Spitznamen?

„Bitte, sieh mich an“, bat sie.

Er wusste genau, was gleichkommen würde. Ob er es wollte, wusste er nicht. Mit Mühe zwang er sich, ihrem Wunsch nachzukommen.

Ihre tiefblauen Augen fesselten ihn. Ihr Atem strich über seinen Hals, ihr Parfüm legte sich wie ein Schleier um ihn. Und dann berührten ihre Lippen seinen Mund – weich, warm, eindringlich.

Er blieb erstarrt. Sein ganzer Körper bebte, als sie ihre Zunge über seine Lippen gleiten ließ.

Michelle küsst mich! Michelle von Bartenberg, das Mädchen, das alle Jungs um den Verstand bringt, küsst mich!

Zerrissen zwischen Erregung und schlechtem Gewissen verharrte er. Doch warum eigentlich ein schlechtes Gewissen?

Michelle löste sich von ihm, sah ihn strahlend an. „Na?“, fragte sie, als erwarte sie Beifall.