Ari und Dante 2: Aristoteles und Dante springen in den Strudel des Lebens - Benjamin Alire Sáenz - E-Book

Ari und Dante 2: Aristoteles und Dante springen in den Strudel des Lebens E-Book

Benjamin Alire Sáenz

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Beschreibung

Eine Liebesgeschichte, die einer emotionalen Achterbahnfahrt gleicht, die lang ersehnte Fortsetzung von "Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums" ist endlich da! Ab 14 Jahren. 

Ari und Dante haben zueinander gefunden und ihre Gefühle füreinander sind stärker denn je. Nun beginnt das letzte Schuljahr, doch nicht nur der Abschluss und ihre Zukunftspläne beschäftigen die beiden. Im Mittelpunkt ihrer Gedanken steht ihre Beziehung: Hat ihre Liebe eine Zukunft? Die Jungs sind fest entschlossen, sich gemeinsam einen Weg in dieser Welt zu bahnen, die sie nicht zu verstehen scheint. Aber als Ari mit einem schockierenden Verlust konfrontiert wird, gerät er ins Strudeln ...

Eine der schönsten Liebesgeschichten für Jugendliche geht weiter!

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Das Buch

Ari und Dante haben zueinander gefunden und ihre Gefühle füreinander sind stärker denn je. Nun beginnt das letzte Schuljahr, doch nicht nur der Abschluss und ihre Zukunftspläne beschäftigen die beiden. Im Mittelpunkt ihrer Gedanken steht ihre Beziehung: Hat ihre Liebe eine Zukunft? Die Jungs sind fest entschlossen, sich gemeinsam einen Weg in dieser Welt zu bahnen, die sie nicht zu verstehen scheint. Aber als Ari mit einem schockierenden Verlust konfrontiert wird, gerät er ins Strudeln ...

Der Autor

© Vantage Point Studios

Benjamin Alire Sáenz schreibt Lyrik und Prosa für Erwachsene und Jugendliche. Er wurde für seine Bücher für Erwachsene mit dem PEN/Faulkner Award und dem American Book Award ausgezeichnet. Auch seine Jugendbücher, darunter »Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums«, erhielten zahlreiche Auszeichnungen. Er unterrichtet Kreatives Schreiben an der University of Texas in El Paso.

Der Verlag

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Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher und Autor*innen auf:www.thienemann-verlag.de

Thienemann auf Instagram:https://www.instagram.com/thienemannesslinger_booklove

Viel Spaß beim Lesen!

Amanda, ich sehe die Sonne aufgehen und denke an dich. Manchmal höre ich dein Lachen im Zimmer, deine Stimme, die sagt: »Du bist verrückt, Onkel Ben.«

Dieses Buch ist für dich. Ich mag dich – für immer.

An wen ich mich wandte und wohin ich auch ging, jeder wusste etwas über die Liebe. Mütter, Väter, Lehrer, Sänger, Musiker, Dichter, Schriftsteller, Freunde. Liebe war wie die Luft. Wie das Meer. Wie die Sonne. Wie die Blätter an einem Baum im Sommer. Liebe war wie der Regen, der die Dürre bezwang. Sie war das leise Plätschern des Wassers in einem Bach. Und sie war die Brandung, die bei einem Sturm an das Ufer schlug. Für die Liebe fochten wir alle unsere Kämpfe. Für die Liebe lebten und starben wir. Von der Liebe träumten wir im Schlaf. Liebe war die Luft, die wir einatmen wollten, wenn wir aufwachten und den Tag begrüßten. Liebe war die Fackel, die uns aus der Dunkelheit führte. Liebe holte uns aus dem Exil und trug uns in ein Land namens Zugehörigkeit.

Die Kunst der Kartografie entdecken

Ich fragte mich, ob man Dante und mir je erlauben würde, unsere Namen auf die Karte der Welt zu schreiben. Anderen Menschen gibt man Schreibgeräte an die Hand – und wenn sie zur Schule gehen, bringt man ihnen bei, sie zu benutzen. Aber Jungs wie Dante und ich kriegen keine Bleistifte, Kugelschreiber oder Sprühfarbe. Man will, dass wir lesen, aber man will nicht, dass wir schreiben. Womit werden wir unsere Namen schreiben? Und wo auf der Karte würden wir sie schreiben?

Eins

Und da war er, Dante, sein Kopf ruhte an meiner Brust. In der Stille der Dämmerung war nur das Geräusch seines Atems zu hören. Es schien, als hätte das Universum eine Pause eingelegt, nur um auf zwei Jungs herunterzublicken, die seine Geheimnisse entdeckt hatten.

Als ich Dantes Herzschlag unter meiner Hand spürte, wünschte ich, ich könnte in meine Brust greifen, mein eigenes Herz herausreißen und Dante alles zeigen, was es enthielt.

Aber da war noch etwas: Liebe hatte nicht nur etwas mit meinem Herzen zu tun, sondern auch mit meinem Körper. Mein Körper hatte sich noch nie so lebendig gefühlt. Und da begriff ich endlich, was es heißt, zu begehren.

Zwei

Ich weckte ihn nicht gern, aber der Augenblick musste enden. Wir konnten nicht ewig auf der Pritsche meines Pick-ups bleiben. Es war spät, der neue Tag bereits angebrochen, und wir mussten nach Hause, unsere Eltern würden sich Sorgen machen. Ich küsste ihn auf den Kopf. »Dante? Dante! Wach auf.«

»Ich will nie wieder aufwachen«, flüsterte er.

»Wir müssen nach Hause.«

»Ich bin schon zu Hause. Ich bin bei dir.«

Ich lächelte. Eine typische Dante-Antwort. »Komm schon, wir müssen los. Es sieht nach Regen aus. Deine Mutter wird uns umbringen.«

Dante lachte. »Wird sie nicht. Sie wird uns nur einen ihrer strafenden Blicke zuwerfen.«

Ich zog ihn hoch, und wir standen beide da und schauten zum Himmel.

Er nahm meine Hand. »Wirst du mich immer lieben?«

»Ja.«

»Hast du mich von Anfang an so geliebt wie ich dich?«

»Ja, glaub schon. Doch, ja. Für mich ist es schwerer, Dante. Du musst das verstehen. Für mich wird es immer schwerer sein.«

»Nicht alles ist so kompliziert, Ari.«

»Nicht alles ist so einfach, wie du denkst.«

Er wollte etwas sagen, also küsste ich ihn einfach. Wahrscheinlich, damit er die Klappe hielt. Aber auch, weil ich ihn gern küsste.

Er lächelte. »Endlich hast du rausgefunden, wie du einen Streit mit mir gewinnst.«

»Genau«, sagte ich.

»Könnte eine Zeit lang funktionieren«, sagte er.

»Wir müssen nicht immer einer Meinung sein«, erwiderte ich.

»Stimmt.«

»Ich bin froh, dass du anders bist, Dante. Wenn du wie ich wärst, würde ich dich nicht lieben.«

»Hast du gesagt, du liebst mich?« Er lachte.

»Lass das.«

»Lass was?« Und dann küsste er mich und sagte: »Du schmeckst wie der Regen.«

»Ich liebe den Regen über alles.«

»Ich weiß. Ich will der Regen sein.«

»Du bist der Regen, Dante.« Ich wollte sagen: Du bist der Regen und du bist die Wüste und du bist der Radierer, der das Wort »Einsamkeit« auslöscht. Aber das wäre zu viel gewesen, denn ich würde immer jemand sein, der zu wenig sagt, und Dante war jemand, der immer zu viel sagte.

Drei

Die Rückfahrt verlief schweigsam.

Dante war still. Vielleicht zu still. Er, der sonst immer redete, der genau wusste, was er wie sagen wollte, ohne Angst zu haben. Dann kam mir der Gedanke, dass Dante vielleicht immer Angst gehabt hatte – genau wie ich. Es war, als hätten wir beide gemeinsam einen Raum betreten und wussten nicht, wie wir uns darin verhalten sollten. Oder vielleicht, vielleicht, vielleicht. Ich konnte einfach nicht aufhören zu denken. Ob ich mir irgendwann nicht mehr den Kopf über alles Mögliche zerbrach?

Plötzlich sagte Dante: »Ich wünschte, ich wäre ein Mädchen.«

Ich schaute ihn entgeistert an. »Was? Ein Mädchen sein zu wollen ist eine ernste Sache. Willst du das wirklich?«

»Nein. Na ja, ich bin gern ein Junge. Ich finde es schön, einen Penis zu haben.«

»Ich hab auch gern einen.«

»Aber wenn ich ein Mädchen wäre,« sagte er, »könnten wir heiraten und, du weißt schon –«

»So weit wird es nie kommen.«

»Ich weiß, Ari.«

»Nicht traurig sein.«

»Bin ich nicht.«

Aber ich wusste, dass er es war.

Ich schaltete das Radio ein und Dante fing an, mit Eric Clapton »My Father’s Eyes« zu singen, seinen neuen Lieblingssong. »Waiting for my prince to come«, flüsterte er. Dann fragte er mich: »Warum singst du eigentlich nie?«

»Singen heißt, dass man glücklich ist.«

»Bist du nicht glücklich?«

»Vielleicht nur, wenn ich bei dir bin.«

Es war schön, wenn ich etwas sagte, das Dante zum Lächeln brachte.

Als wir vor seinem Haus hielten, war die Sonne kurz davor, ihr Antlitz dem neuen Tag zu zeigen. Genauso fühlte es sich an – wie ein neuer Tag. Aber dann kam mir der Gedanke, dass ich nie wissen – oder mir sicher sein – konnte, was ein neuer Tag brachte. Dante sollte nicht wissen, dass ich Angst hatte, sonst dachte er vielleicht, ich würde ihn nicht lieben.

Ich würde ihm meine Angst nie zeigen. Das nahm ich mir fest vor. Aber mir war klar, dass ich diesen Vorsatz nicht einhalten konnte.

»Ich will dich küssen«, sagte Dante.

»Ich weiß.«

»Wir tun so, als würden wir uns küssen.«

Ich grinste – und lachte los, als er die Augen schloss.

»Du lachst mich aus.«

»Nein, tu ich nicht. Ich küsse dich.«

Er sah mich an. Sein Blick war so zuversichtlich. Er sprang aus dem Wagen und schloss die Tür, steckte den Kopf durch das offene Fenster. »Ich sehe eine Sehnsucht in dir, Aristoteles Mendoza.«

»Eine Sehnsucht?«

»Ja. Ein Verlangen.«

»Verlangen?«

Er lachte. »Du verkörperst diese Worte. Schlag sie nach.«

Ich beobachtete, wie er die Stufen hochsprang. Er bewegte sich mit der Anmut des Schwimmers, der er war. Sein Gang war unbeschwert, sorgenfrei.

Er drehte sich um und winkte lächelnd. Ich hoffte, dass mir sein Lächeln genügen würde.

Bitte, lieber Gott, lass sein Lächeln genügen.

Vier

Ich war müde wie noch nie. Ich fiel auf mein Bett, aber der Schlaf wollte mir keinen Besuch abstatten.

Legs sprang zu mir und leckte mein Gesicht. Als sie das Gewitter draußen hörte, kroch sie näher. Ich fragte mich, was der Donner wohl in Legs Kopf auslöste oder ob Hunde überhaupt über solche Dinge nachdachten. Aber ich freute mich über den Donner. In diesem Jahr waren die Gewitter erstaunlich, die erstaunlichsten, die ich je erlebt hatte. Wahrscheinlich war ich weggenickt, denn als ich aufwachte, goss es draußen in Strömen.

Ich beschloss, einen Kaffee zu trinken. Meine Mutter saß am Küchentisch, Kaffeetasse in einer Hand, einen Brief in der anderen.

»Hallo«, flüsterte ich.

»Hallo«, erwiderte sie, wie immer mit einem Lächeln im Gesicht. »Du bist spät nach Hause gekommen.«

»Oder früh – wenn man’s genau bedenkt.«

»Für eine Mutter ist früh spät.«

»Hast du dir Sorgen gemacht?«

»Es liegt in meiner Natur, mir Sorgen zu machen.«

»Dann bist du wie Mrs Quintana.«

»Vielleicht überrascht es dich, aber wir haben vieles gemeinsam.«

»Klar«, sagte ich, »ihr findet beide, dass ihr die schönsten Söhne der Welt habt. Du hast nicht viele Vergleichsmöglichkeiten, stimmt’s, Mom?«

Sie fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Dann hatte sie wieder diesen fragenden Blick, der auf eine Erklärung wartete.

»Dante und ich sind hinten auf dem Pick-up eingeschlafen. Wir haben nichts …« Ich verstummte, zuckte nur die Schultern. »Wir haben nichts gemacht.«

Sie nickte. »Es ist schwer, nicht wahr?«

»Ja. Ist das immer so?«

Sie nickte. »Liebe ist leicht und schwer. Bei mir und deinem Vater war es auch so. Ich habe mich danach gesehnt, dass er mich berührt. Und ich hatte große Angst davor.«

Ich nickte. »Aber wenigstens –«

»Wenigstens war ich ein Mädchen und er ein Junge.«

»Genau.« Sie bedachte mich mit ihrem typischen Blick, der mir so vertraut war. Einem Blick, in dem alles Gute und Schöne lag, was es in diesem bekannten Universum gab.

»Warum, Mom? Warum muss ich so sein? Vielleicht ändere ich mich noch und mag dann Mädchen, wie man es eigentlich von mir erwartet? Vielleicht ist das, was Dante und ich im Moment fühlen, nur eine Phase. Oder vielleicht geht es mir nur mit Dante so? Was ist, wenn ich Jungs gar nicht mag – wenn ich nur Dante mag, weil er Dante ist.«

Sie lächelte leicht. »Mach dir nichts vor, Ari. Du kannst dich da nicht rausreden.«

»Wie kannst du damit so locker umgehen, Mom?

»Locker? Ich bin alles andere als locker. Ich hatte viele innere Kämpfe mit mir ausgetragen wegen deiner Tante Ophelia. Aber ich habe sie geliebt. Mehr als jeden anderen, abgesehen von dir, deinen Schwestern und deinem Vater.« Sie legte eine Pause ein. »Und deinem Bruder.«

»Meinem Bruder?«

»Nur weil ich nicht über ihn rede, heißt das nicht, dass ich nicht an ihn denke. Meine Liebe für ihn ist still. Aber in dieser Stille sind tausend Dinge lebendig.«

Darüber musste ich später nachdenken. Mein Blick auf die Welt veränderte sich, wenn ich ihr nur zuhörte. Ihrer Stimme zuzuhören hieß, ihrer Liebe zuzuhören.

»Man könnte sagen, dass ich nicht das erste Mal am Schlag bin.« Sie hatte diesen grimmigen, sturen Ausdruck auf dem Gesicht. »Du bist mein Sohn. Und dein Vater und ich haben beschlossen, dass Schweigen keine Option ist. Du siehst doch, was das Schweigen über deinen Bruder bei uns angerichtet hat – nicht nur bei dir, bei uns allen. Den Fehler machen wir nicht noch mal.«

»Heißt das, ich muss über alles reden?«

In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie leise sagte: »Nicht über alles. Aber du sollst nicht das Gefühl haben, dass du im Exil lebst. Dort draußen ist eine Welt, die dir das Gefühl geben wird, dass du nicht in dieses Land gehörst – oder irgendein anderes Land, was das angeht. Doch in diesem Haus, Ari, gehörst du dazu. Du gehörst zu uns. Und wir zu dir.«

»Aber ist es nicht falsch, schwul zu sein? Offenbar denken das alle.«

»Nicht alle. Das ist eine billige und kleinliche Moral. Deine Tante Ophelia hat sich dieses Ich gehöre nicht dazu sehr zu Herzen genommen. Es hat lange gedauert und war ein mühseliger Weg, bis sie sich davon befreien konnte. Sie wollte wissen, warum. Sie wollte sich ändern – konnte aber nicht. Sie hat einen Mann kennengelernt, der sie liebte. Wer würde eine Frau wie Ophelia nicht lieben? Aber es ging nicht, Ari. Am Ende hat sie ihn verletzt, weil sie ihn nicht so geliebt hat wie Franny. Ihr Leben war ein Geheimnis. Und das ist traurig, Ari. Deine Tante Ophelia war ein wunderbarer Mensch. Von ihr habe ich gelernt, worauf es wirklich ankommt.«

»Was soll ich tun, Mom?«

»Weißt du, was ein Kartograf ist?«

»Natürlich. Ich kenne das Wort von Dante. Das ist jemand, der Landkarten erstellt. Er denkt sich nicht aus, was da ist, sondern bildet es ab und zeigt den Leuten, was da ist.«

»Genau«, erwiderte sie. »Du und Dante, ihr werdet eine neue Welt entwerfen.«

»Und wir werden vieles falsch machen und alles geheim halten müssen, stimmt’s?«

»Tut mir leid, dass die Welt nun mal so ist. Aber du wirst lernen zu überleben – und du wirst dir einen sicheren Raum schaffen und lernen müssen, den richtigen Leuten zu vertrauen. Du wirst einen guten Weg finden. Ich sehe schon jetzt, wie glücklich dich Dante macht. Und das macht mich glücklich – weil ich es schrecklich finde, dich leiden zu sehen. Du und Dante, ihr habt uns und Soledad und Sam. Ihr habt vier Menschen in eurem Baseball-Team.«

»Tja, wir brauchen neun.«

Sie lachte.

Ich hätte mich so gern an sie geschmiegt und geweint. Nicht weil ich mich schämte. Sondern weil ich wusste, dass ich ein miserabler Kartograf sein würde.

»Mom, warum hat mir niemand gesagt, dass Liebe so wehtut?«, fragte ich flüsternd.

»Hätte es etwas geändert, wenn ich es dir gesagt hätte?«

Fünf

Vom Sommer blieb nicht mehr viel übrig. Wie es aussah, lagen noch ein paar Regentage vor uns, bevor sie sich verzogen und wir in der üblichen Trockenzeit zurückblieben. Während ich mein Krafttraining im Keller absolvierte, überlegte ich, ob ich mir irgendein Hobby zulegen sollte. Etwas, das einen besseren Menschen aus mir machen und mich von mir ablenken würde. Eigentlich war ich in nichts wirklich gut. Im Gegensatz zu Dante, der in allem gut war. Ich stellte fest, dass ich keine Hobbys hatte. Mein Hobby war, an Dante zu denken. Mein Hobby war, das Zittern in meinem Körper zu spüren, wenn ich an ihn dachte.

Vielleicht wäre mein echtes Hobby, mein Leben geheimzuhalten. Aber war das ein Hobby? Millionen von Jungs würden mich umbringen wollen, würden mich umbringen, wenn sie wüssten, was in mir vorging. Mich selbst verteidigen zu können war kein Hobby. Es war eine Gabe, die ich vielleicht zum Überleben brauchte.

Ich duschte und beschloss, eine Liste zu erstellen, was ich gern tun würde:

–Gitarre spielen

Ich strich es wieder durch, weil ich wusste, dass ich nie ein guter Spieler wäre. Ich war nicht dafür geschaffen, Andrés Segovia zu sein. Oder Jimi Hendrix. Also setzte ich meine Liste fort.

– Fürs College bewerben

– Mehr lesen

– Mehr Musik hören

– Verreisen (oder wenigstens Campen gehen – mit Dante?)

– Regelmäßig Tagebuch führen (zumindest versuchen)

– Ein Gedicht schreiben (doof)

–Dante lieben

Das strich ich durch. Aber im Kopf konnte ich es nicht durchstreichen. Begehren ließ sich nicht durchstreichen, wenn es in einem lebte.

Sechs

Ich musste an Dante denken, daran, wie groß seine Angst gewesen sein musste, als diese Idioten ihn angegriffen und blutend liegen gelassen hatten. Was, wenn er gestorben wäre? Ihnen wäre das scheißegal gewesen. Ich war nicht da, um ihn zu beschützen. Ich hätte bei ihm sein müssen. Dass ich es nicht war, konnte ich mir nicht verzeihen.

Sieben

Ich schlief beim Lesen ein. Legs lag neben mir, als meine Mutter mich weckte. »Dante ist am Telefon.«

»Was soll das Grinsen?«, fragte ich.

»Welches Grinsen?«

»Mom, hör auf damit.«

Sie schüttelte den Kopf und zog die Schultern hoch, als wollte sie sagen: Ich mach doch gar nichts.

Ich ging ins Wohnzimmer und nahm den Hörer. »Hallo.«

»Was machst du gerade?«

»Ich bin beim Lesen eingeschlafen.«

»Was hast du gelesen?

»Fiesta.«

»Das hab ich nie zu Ende gelesen.«

»Was?! Du verarschst mich.«

»Ja. Aber so verarscht man nur jemanden, den man mag.«

»Ach, du magst mich also.«

»Du fischst nach Komplimenten.«

»Genau.«

Wahrscheinlich lächelte er. »Willst du mich nicht fragen, was ich gerade mache?«

»Wäre noch gekommen.«

»Also, ich hab gerade mit meinem Vater geredet. War echt schräg. Er hat mir alle berühmten Homosexuellen in der Geschichte aufgezählt.«

»Was?«

Wir mussten beide lachen.

»Er bemüht sich, das mit dem Schwulsein ganz locker zu sehen. Irgendwie total süß.«

»Das trifft es auf den Punkt«, sagte ich.

»Er meinte, ich soll Oscar Wilde lesen.«

»Wer ist das?«

»Ein Engländer. Oder Ire. Weiß nicht mehr. Berühmter Schriftsteller im viktorianischen Zeitalter. Dad meinte, er war seiner Zeit voraus.«

»Und dein Vater liest ihn?«

»Klar. Er ist ein Literaturfreak.«

»Und es beunruhigt ihn nicht, dass – du weißt schon –, dass –«

»Die Vorstellung, dass jemand schwul ist, beunruhigt meinen Vater nicht. Vielleicht ist er ein bisschen traurig, weil er weiß, es wird nicht einfach für mich. Außerdem ist er auf alles neugierig, er hat keine Angst vor Ideen. Ideen bringen dich nicht um, sagt er gern und ziemlich oft.«

Ich dachte an meinen Vater und fragte mich, was er wohl dachte. Ob er meinetwegen traurig oder beunruhigt war. »Ich mag deinen Vater«, sagte ich.

»Er mag dich auch.« Dante schwieg kurz. »Also, wollen wir was unternehmen? Die Schule fängt bald wieder an.«

»Ah, der Kreislauf des Lebens.«

»Du kannst Schule nicht ausstehen, stimmt’s?«

»Irgendwie nicht«, gab ich zu.

»Lernst du dort nichts?«

»Ich hab nicht gesagt, dass ich nichts lerne. Es ist nur so, verstehst du, ich bin bereit für den nächsten Schritt. Ich bin fertig mit Schulfluren, Schließfächern und Idioten, außerdem passe ich da irgendwie nicht rein. Und jetzt, na ja, jetzt passe ich schon gar nicht mehr rein. Scheiße!«

Dante schwieg am anderen Ende der Leitung. Dann sagte er: »Findest du es wirklich so schrecklich, Ari?« Er klang gekränkt.

»Hör zu, ich bin gleich bei dir.«

Dante saß auf der Treppe vor dem Haus. Barfuß.

»Hallo.« Er winkte. »Bist du sauer?«

»Wieso? Weil du keine Schuhe anhast? Stört mich nicht.«

»Niemanden stört es, außer meiner Mutter – sie macht mir gern Vorschriften.«

»So sind Mütter eben. Und warum? Weil sie dich liebt.«

»Correcto. Auf Spanisch würde man das so sagen, oder?«

»Na ja, ein Gringo würde das so sagen.«

Er verdrehte die Augen. »Und wie würde es ein echter Mexikaner sagen? Nicht dass du ein echter Mexikaner bist.«

»Hatten wir die Diskussion nicht schon?«

»Auf dieses Thema werden wir immer wieder zurückkommen, weil wir mitten im verdammten Niemandsland der amerikanischen Identität leben.«

»Aber wir sind Amerikaner. Im Ernst, du siehst überhaupt nicht aus wie ein Mexikaner.«

»Du schon. Aber das macht dich auch nicht mexikanischer. Wir haben beide verräterische Nachnamen, deshalb werden uns manche nie als echte Amerikaner sehen.«

»Wer will das schon sein?«

»Ganz deiner Meinung, Süßer.« Er lächelte schief.

»Probierst du jetzt das ›Süßer‹-Ding aus?«

»Ich wollte es in die Unterhaltung einflechten, ohne dass du’s merkst.«

»Hab ich aber.« Ich verdrehte nicht die Augen, warf ihm aber einen Blick zu, der besagte, dass ich innerlich die Augen verdrehte.

»Was denkst du?«

»Na ja, ich bin ein Süßer«, sagte ich, »aber ›Süßer‹ genannt werden?«

»Nur weil du ein Süßer bist, musst du nicht gleich großspurig werden.« Sein Tonfall klang amüsiert und zugleich verärgert. »Also, ›Süßer‹ kommt für dich nicht infrage. Wie soll ich dich dann nennen?«

»Wie wär’s mit Ari?«

»Wie wär’s mit ›Darling‹?« Mir war klar, dass er nur scherzte.

»Bloß nicht.«

»Und was ist mit ›mi amor‹?«

»Schon besser, aber so nennt meine Mutter meinen Vater.«

»Ja, meine auch.«

»Wollen wir wirklich wie unsere Mütter klingen?«

»Mann, natürlich nicht«, erwiderte Dante. Ich fand es schön, dass er so viel Unbeschwertheit in das erbärmlich-melancholische Jungsdenken brachte, das ich früher ständig betrieb. Ich wollte ihn küssen.

»Völlig klar, Ari, wir sind schräge Vögel.«

»Ja, wir sind schräge Vögel. Wir werden nie richtige Mexikaner sein. Wir werden nie richtige Amerikaner sein. Und wir werden nie richtig hetero sein.«

»Genau«, sagte ich, »und jede Wette, dass wir später auch nicht richtig schwul sind.«

»Wir sind schräge Vögel.«

»Ja, sind wir«, sagte ich. »Schwule sterben an einer Krankheit, für die es kein Heilmittel gibt. Deswegen haben die meisten Leute wahrscheinlich Angst vor uns – Angst, dass wir die Krankheit auf sie übertragen. Aber sie werden mitkriegen, dass es verdammt viele von uns gibt. Sie sehen Millionen von uns auf den Straßen protestieren – in New York, San Francisco, London, Paris und jeder anderen Stadt auf der Welt. Ziemlich viele hätten nichts dagegen, wenn wir alle sterben. Das ist ein ernstes Problem, Dante. Du und ich, wir sind schräge Vögel. Wir. Sind. Schräge. Vögel.

Dante nickte. »Sind wir wirklich, oder?«

Wir saßen beide da und wurden traurig. Zu traurig.

Aber Dante holte uns aus der Traurigkeit heraus. »Wenn wir schon schräge Vögel sind«, sagte er, »könnten wir dann nicht vielleicht auch mal, weiß nicht, vögeln?«

»Gute Idee. Immerhin können wir nicht schwanger werden.« Ich sagte das ganz lässig. Dabei dachte ich ständig nur daran, Sex mit ihm zu haben. Aber ich wollte ihm keinesfalls auf die Nase binden, dass ich fast durchdrehte. Wir waren Jungs. Alle Jungs waren so, ganz gleich, ob schwul oder hetero oder was immer.

»Aber wenn einer von uns schwanger würde, dann dürften wir nicht nur heiraten – wir müssten sogar heiraten.«

»Das ist die intelligenteste blöde Bemerkung, die du je gemacht hast.«

Und Mann, wie ich diesen Typen küssen wollte.

Acht

»Wollen wir ins Kino gehen?«

»Klar«, sagte ich. »Was sehen wir uns an?«

»Da läuft so ein Film, Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers. Den würde ich gern sehen. Soll angeblich gut sein.«

»Und worum geht’s?«

»Ein paar Jungs suchen nach einer Leiche.«

»Klingt cool«, sagte ich.

»Du bist sarkastisch.«

»O ja.«

»Der ist gut.«

»Du hast ihn doch gar nicht gesehen.«

»Aber er gefällt dir bestimmt.«

»Und wenn nicht?«

»Dann geb ich dir dein Geld zurück.«

Es war Mitte der Woche, Spätnachmittag, im Kino waren nicht viele Leute. Wir saßen fast in der letzten Reihe, niemand saß in unserer Nähe. Da war ein junges Pärchen, wahrscheinlich Studenten, das sich küsste. Ich fragte mich, wie es wohl war, jemanden, den man mochte, jederzeit küssen zu können. In aller Öffentlichkeit. Ich würde es nie erfahren. Niemals.

Aber es war echt schön, mit Dante in einem dunklen Kino zu sein. Als wir saßen, zog er als Erstes seine Turnschuhe aus. Wir teilten uns eine große Tüte Popcorn. Manchmal griffen wir beide hinein, und unsere Hände berührten sich.

Während des Films spürte ich immer wieder Dantes Blick auf mir. Ich fragte mich, was er wohl in mir sah, wen er sich vorstellte, wenn er mich anschaute. »Ich will dich küssen«, flüsterte er.

»Schau den Film an«, erwiderte ich, aber er sah, dass ich lächelte.

Und dann küsste er mich.

In einem dunklen Kino, in dem uns niemand sehen konnte, küsste mich ein Junge. Ein Junge, der nach Popcorn schmeckte und den ich zurückküsste.

Neun

Auf der Rückfahrt stellte Dante die Füße aufs Armaturenbrett.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht fassen.«

»Was ist los?

»Du hast deine Schuhe im Kino vergessen.«

»Mist.«

»Soll ich umdrehen?«

»Wen interessiert das schon?«

»Deine Mutter vielleicht?«

»Die merkt es nicht.«

»Wollen wir wetten?«

Zehn

Dantes Eltern saßen vorne auf der Veranda, als wir vom Kino zurückkamen. Dante und ich gingen die Treppe hoch.

»Wo sind deine Schuhe, Dante?«

»Ihr solltet nicht auf der Veranda sitzen und darauf warten, dass ich nach Hause komme. Das nennt man Provozieren-einer-strafbaren-Handlung.«

Mrs Quintana schüttelte den Kopf. »Vielleicht solltest du die Kunst aufgeben und Anwalt werden. Und falls du hoffst, ich hätte vergessen, dass du meine Frage nicht beantwortet hast, denk noch mal nach.«

»Warum sagst du so gern denk noch mal nach?«

Mrs Quintana warf ihm nur einen strengen Blick zu.

»Ich hab sie im Kino ausgezogen. Und dort vergessen.«

Mr Quintana lachte nicht, aber ich merkte, dass er es wollte. »Offenbar machen wir in diesem Punkt keine Fortschritte, Dante.«

»Dad, wer definiert den Begriff ›Fortschritt‹?«

»Ich. Ich bin der Vater.«

»Weißt du, Dad, wenn du den Erwachsenen raushängen lässt, funktioniert das nicht bei mir.«

Mrs Quintana lachte nicht.

Und dann musste Dante natürlich weitermachen. Er konnte nicht anders. »Seht es doch mal so. Irgendein Typ findet sie, sie gefallen ihm und er nimmt sie mit nach Hause. Dann hat er ein Paar neue Turnschuhe. Vielleicht können es sich seine Eltern nicht leisten, ihm ein neues Paar zu kaufen. Also geht alles auf.«

Und ja, ich wollte diesen Typen küssen. Dante war sich nicht bewusst, wie komisch er war. Er sagte solche Sachen nicht, um andere zum Lachen zu bringen. Dafür war er viel zu ehrlich.

Dantes Vater schüttelte nur den Kopf. »Dante, glaubst du eigentlich alles, was du sagst?«

»Ich denke schon. Klar.«

»Das hatte ich befürchtet.«

Mr Quintana und Dante setzten ihr verbales Schachspiel fort, während ich dastand und die beiden beobachtete. Mir fiel auf, dass Mrs Quintana allmählich sehr schwanger aussah. Nun ja, vielleicht nicht sehr. Aber halt schwanger. Was für ein seltsames Wort. Vielleicht sollte es ein schöneres Wort für eine Frau geben, die ein Kind erwartet. Als die beiden sich beruhigt hatten, fragte mich Mrs Quintana: »Wie war der Film?«

»Der war echt gut. Ich glaube, er würde Ihnen gefallen.«

Mr Quintana drückte Mrs Quintanas Hand. »Soledad geht nicht gern ins Kino. Sie arbeitet lieber.«

Sie sah ihren Mann grinsend an. »Stimmt gar nicht. Ich lese nur lieber ein Buch.«

»Klar. Am liebsten ein Buch über die neuesten Theorien zur Entwicklung der menschlichen Psyche – oder die neuesten Theorien über Verhaltensänderung.«

Sie lachte. »Habe ich schon mal deine Vorliebe für postmoderne Lyrik kritisiert?«

Ich fand es schön, wie gut sie sich verstanden. Sie hatten eine nette lockere Art, miteinander zu spielen, echt süß. In Dantes Familie gab es so viel Zuneigung. Mrs Quintana war vielleicht strenger als Mr Quintana. Aber sie war nett. Sie war streng und nett.

Dante schaute seine Mutter an. »Habt ihr schon einen Namen gefunden?«

»Noch nicht, Dante.« Sie wirkte, als würde sie Dantes neues Hobby nerven und zugleich amüsieren. »Wir haben noch vier Monate, um uns zu entscheiden.«

»Es wird ein Junge, weißt du.«

»Mir egal. Junge. Mädchen.« Sie sah Mr Quintana an. »Nicht böse sein, aber ich hoffe, das Baby schlägt eher nach der Mutter.«

Mr Quintana warf ihr einen Blick zu. »Tatsächlich?«

»Komm mir bitte nicht so, Sam. Ich bin in der Unterzahl. Dante ähnelt dir. Ich lebe mit zwei Jungs. Wir brauchen noch einen Erwachsenen in der Familie.«

Ich lächelte. Die drei waren wirklich toll.

»Soll ich dir meine Liste vorlesen?«

»Liste?«

»Du weißt schon, die Namen, die ich für meinen kleinen Bruder ausgesucht habe.« Er lag auf dem Bett, ich saß auf seinem Sessel. Er musterte mich. »Du lachst über mich.«

»Nein. Hörst du mich lachen?«

»Innerlich lachst du über mich. Das weiß ich genau.«

»Klar, ich lache innerlich. Du bist unerbittlich.«

»Das Wort hast du von mir.«

»Ja, natürlich.«

»Und jetzt verwendest du es gegen mich.«

»Sieht so aus.« Ich sah ihn kurz an. »Haben deine Eltern da nicht ein Wörtchen mitzureden?«

»Nicht, wenn es nach mir geht.«

Er ging zu seinem Schreibtisch, holte einen gelben Notizblock aus der Schublade und warf sich wieder aufs Bett. »Das sind bisher die Namen: Rafael –«

»Nett.«

»Michelangelo.«

»Bescheuert!«

»Und das von einem Jungen, der Aristoteles heißt.«

»Halt die Klappe.«

»Tu ich aber nicht.«

»Als ob ich das nicht wüsste.«

»Ari, lässt du mich ausreden? Oder willst du mich nur kommentieren?«

»Ich dachte, wir führen eine Unterhaltung. Du sagst mir ständig, ich wüsste nicht, wie man redet. Also rede ich. Aber ich kann auch die Klappe halten. Im Gegensatz zu dir weiß ich, wie das geht.«

»Ja, klar«, sagte er.

»Ja, klar«, erwiderte ich.

»Hör dir einfach die Liste an, und wenn ich fertig bin, darfst du deine Ironie und deinen Sarkasmus dazugeben.«

»Ich steh nicht auf Ironie.«

»Erzähl das deiner Großmutter.«

Mann, ich wollte ihn küssen. Stundenlang. Ich drehte langsam durch. Verloren die Leute den Verstand, wenn sie jemanden liebten? Wer war ich? Ich kannte mich selbst nicht mehr. Scheiße noch mal.

»Okay«, sagte ich. »Ich halt die Klappe. Lies die Liste vor.«

»Octavio. Javier. Juan Carlos. Oliver. Felipe oder Philip. Constantine. Cesar. Nicholas. Benjamin. Nicht Ben, sondern Benjamin. Adam. Santiago. Joaquin. Francis. Noel. Edgar. Das ist der jetzige Stand. Gewöhnliche Namen hab ich ausgeschlossen.«

»Gewöhnliche Namen?«

»John, Joe, Michael, Edward usw. Was meinst du?«

»Dir ist klar, dass die meisten deiner Namen sehr mexikanisch klingen.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Ich rede nur.«

»Hör mal, Ari, ich will, dass er Mexikaner ist. Er soll alles sein, was ich nicht bin. Er soll Spanisch sprechen. Er soll gut in Mathe sein.«

»Und du willst, dass er hetero ist.«

»Ja«, flüsterte er. Ich fand es unerträglich mit anzusehen, wie ihm die Tränen übers Gesicht liefen. »Ja, Ari, ich will, dass er hetero ist.« Er setzte sich auf, bedeckte das Gesicht mit den Händen – und weinte. Dante und Tränen.

Schweigend setzte ich mich zu ihm und zog ihn an mich, ließ ihn einfach in meine Schulter schluchzen.

Elf

Die ganze Nacht träumte ich von Dante. Von ihm und mir.

Ich träumte von seinen Lippen. Von seiner Berührung. Von seinem Körper.

Wie war das noch mal mit dieser Sache namens Sehnsucht?

Zwölf

Ich saß über meinen Hausaufgaben am Küchentisch, als mein Vater müde und verschwitzt nach Hause kam. Er lächelte mir kurz zu – und sah plötzlich wieder jung aus.

»Wie war die Arbeit?«

»Weder Schnee noch Regen noch Hitze noch Dunkelheit –«

Ich unterbrach ihn und beendete den Satz: »… hindert diese Kuriere am raschen Abschluss ihrer festgelegten Runden.«

Mein Vater sah mich an. »Du hast unser Motto auswendig gelernt?«

»Klar. Schon als ich sieben war.«

Meine Antwort schien ihn zu Tränen zu rühren. Meinem Vater war in seinem Leben mit Sicherheit oft zum Weinen zumute – nur behielt er seine Tränen für sich. Ich war ihm sehr ähnlich. Manchmal übersahen wir, was direkt vor unserer Nase war. Zwischen uns hatte sich einiges verändert. Ich hatte immer geglaubt, ich würde ihn hassen – doch das stimmte nicht. Und ich hatte immer geglaubt, ich wäre ihm völlig egal. Aber inzwischen wusste ich, dass er über mich nachdachte, sich Sorgen um mich machte und mich auf eine Weise liebte, die ich nie ganz verstehen würde.

Er küsste mich vielleicht nicht auf die Wange wie Dantes Vater. Aber das hieß nicht, dass er mich nicht liebte.

»Ich geh mal duschen.«

Ich lächelte ihn an und nickte. Seine ritualisierte Dusche. Jeden Tag, wenn er von der Arbeit kam. Dann schenkte er sich ein Glas Wein ein, ging nach draußen und rauchte zwei Zigaretten.

Als er wieder in die Küche kam, hatte ich ihm schon seinen Wein eingeschenkt. »Ist es okay, wenn ich mich mit dir in den Garten setze? Oder ist das deine Rückzugszeit?«

Er ging zum Kühlschrank, holte eine Dose Dr Pepper und reichte sie mir. »Komm mit und trink einen mit deinem Vater.«

Mein Vater. Mein Vater, mein Vater, mein Vater.

Dreizehn

Legs und ich gingen morgens laufen. Danach badete ich sie – und dann stellte ich mich unter die Dusche. Ich fing an, über Körper nachzudenken und, na ja, keine Ahnung, ich steigerte mich völlig rein. Die Sache mit der Liebe hatte ja nicht nur mit dem Herzen zu tun, sondern auch mit dem Körper. Das mit dem Herzen behagte mir nicht so ganz und das mit dem Körper auch nicht. Ich war also ziemlich verwirrt.

Ich dachte ständig an Dante. Das machte mich wahnsinnig, weil ich mich fragte, ob er auch ständig an mich dachte. Nicht dass ich vorhatte, ihn zu fragen. Das würde ich nie tun. NIEMALS.

»Wollen wir schwimmen gehen?«

»Klar.«

»Wie hast du geschlafen, Ari?

»Komische Frage.«

»Das ist keine Antwort.«

»Ich hab gut geschlafen, Dante.«

»Ich nicht.«

Ich wollte diese Unterhaltung nicht. »Dann schläfst du morgen bestimmt besser. Ich schick dir Legs vorbei. Sie kann bei dir schlafen. Ich schlafe immer besser, wenn sie neben mir liegt.«

»Klingt gut«, sagte er. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Enttäuschung mit. Vielleicht wäre es ihm ja lieber, ich würde neben ihm schlafen und nicht Legs. Aber gingen Jungs zu ihrer Freundin und schliefen unter dem Dach ihrer Eltern bei ihr? Nein. Taten sie nicht. Im Haus seiner Eltern mit Dante in einem Bett schlafen? Niemals. Bei mir zu Hause? Nein. Verdammt nein.

Es wird oft behauptet, Liebe sei eine Art Himmel. Ich fand allmählich, dass Liebe eine Art Hölle ist.

Meine Mutter trank Kaffee und überflog einige Notizen.

»Schreibst du einen neuen Lehrplan?«

»Ich unterrichte den Stoff in jedem Kurs gern ein bisschen anders.« Sie sah mich unvermittelt an. »Du hast letzte Nacht geträumt.«

»Tja, so bin ich nun mal.«

»Du ringst mit dir, Ari.« Sie stand auf und schenkte mir Kaffee ein. »Hast du Hunger?«

»Nicht wirklich.«

»Du magst diesen Jungen sehr, stimmt’s?«

»Das ist eine ziemlich direkte Frage.«

»Bin ich nicht immer direkt?«

Ich nippte an meinem Kaffee. Meine Mutter wusste, wie man guten Kaffee macht – aber ihre Fragen waren unmöglich. Bei ihr und ihren Fragen gab es kein Entkommen. »Ja, ich schätze, ich mag ihn sehr. Manchmal weiß ich nicht, wer ich bin und was ich tun soll.«

»Niemand ist ein Experte, was das Leben angeht. Auch Jesus wusste nicht alles. Hast du schon mal in der Bibel gelesen?«

»Nein, das weißt du genau.«

»Solltest du aber. Es gibt verschiedene Versionen über die Geschichte der Kreuzigung. In einer Version sagt er im Sterben: ›Mich dürstet.‹ In einer anderen sagt er im Sterben: ›Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‹ Mir gibt das Hoffnung.«

»Das gibt dir Hoffnung?«

»Ja.«

»Ich denk drüber nach.« Ich sah sie an. »Ob Gott mich hasst? Mich und Dante?«

»Natürlich nicht. Ich habe nichts in der Bibel gelesen, was darauf hinweist, dass Gott hasst. Hass steht nicht in seiner Stellenbeschreibung.«

»Du klingst so sicher, Mom. Vielleicht bist du gar keine so gute Katholikin.«

»Manche würden das vielleicht behaupten. Aber mir muss niemand sagen, wie ich meinen Glauben lebe.«

»Aber ich, ich bin eine Sünde, oder?«

»Nein, du bist keine Sünde. Du bist ein junger Mann. Du bist ein Mensch.« Sie lächelte. »Und du bist mein Sohn.«

Einen Moment lang saßen wir nur da, ruhig wie das stille Morgenlicht. Bisher war mir nicht aufgefallen, dass ich die Augen meiner Mutter hatte. Ich sah aus wie mein Vater, hatte aber ihre Augen.

»Dein Vater und ich haben uns letzte Nacht unterhalten, als du Dantes Namen geflüstert hast.«

»Muss ein lautes Flüstern gewesen sein. Und worüber habt ihr euch unterhalten?«

»Dass wir einfach nicht wissen, was wir tun sollen. Wir wissen nicht, wie wir dir helfen können. Auch wir müssen lernen, wie man ein Kartograf wird, Ari. Wir lieben dich wirklich sehr.«

»Das weiß ich, Mom.«

»Du bist kein kleiner Junge mehr. Du bist kurz davor, ein Mann zu werden.«

»Ich habe das Gefühl, dass ich am Rand einer Klippe stehe.«

»Männlichkeit ist ein seltsames Land, Ari. Du wirst dieses Land betreten. Schon sehr bald. Aber du wirst nie allein sein. Vergiss das nicht.«

Ich lächelte sie an. »Dante wartet.«

Sie nickte.

Ich ging zur Haustür. Doch bevor ich sie öffnete, machte ich kehrt, ging zurück in die Küche, küsste sie auf die Wange und sagte: »Hab einen schönen Tag.«

Vierzehn

Ich wollte mit ihm wegfahren. Vielleicht könnten wir Campen gehen. Dann wären wir allein, verloren zwischen den Bäumen. Nur Dante und ich. Aber würden unsere Eltern nicht wissen, was wir vorhatten? Ich wollte mich nicht schämen. Aber das Wort »Scham« war etwas, das in mir nagte. Ein Wort, das an mir klebte und sich nicht einfach abstreifen ließ.

Fünfzehn

Mrs Quintana saß auf den Stufen der Veranda. »Hallo«, sagte ich.

»Hallo, Ari«, erwiderte sie.

»Heute keine Arbeit?«

»Ich hab einen Tag freigenommen«, sagte sie. »Wegen eines Arzttermins.«

»Ist alles in Ordnung?«

»Schwangerschaftsvorsorge.«

Ich nickte.

»Komm«, sagte sie, »hilf mir auf.« Es war seltsam und schön zu spüren, wie sie meine Hand nahm, und ihr beim Aufstehen zu helfen. Gebraucht zu werden, das war etwas, worüber ich noch nie nachgedacht hatte.

»Gehen wir ein Stück«, sagte sie. »Ich muss mich bewegen.«

Wir überquerten die Straße, und als wir den Park erreichten und das grüne Gras unter uns spürten, zog sie ihre Schuhe aus.

»Jetzt weiß ich, woher Dante diesen Barfuß-Tick hat.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich geh nicht gern barfuß. Aber meine Füße sind geschwollen. Von der Schwangerschaft.«

»Sie und Dante sind oft in diesem Park, oder?«

Es war seltsam, mit einer Erwachsenen durch einen Park zu schlendern. Kein normales Ereignis in meinem Leben. Ich stellte ihr eine Frage, die ich eigentlich nicht stellen wollte – vor allem, weil ich die Antwort bereits kannte. »Glauben Sie, dass Dante und ich uns verändern? Ich meine. Sie wissen, was ich meine.« Mann, ich war echt blöd.

»Nein, Ari, das glaube ich nicht. Für mich, für Sam oder deine Eltern ist das kein Problem. Aber es gibt ein Problem – ich glaube, dass die meisten Menschen Jungs wie dich und Ari nicht verstehen. Und sie wollen euch auch nicht verstehen.«

»Ich bin froh, dass Sie nicht wie die meisten Menschen sind.«

Sie lächelte. »Ich auch, Ari. Ich möchte nicht wie die meisten Menschen sein.«

Ich erwiderte ihr Lächeln. »Ich dachte immer, Dante ähnelt mehr Mr Quintana als Ihnen. Aber vielleicht lag ich da falsch.«

»Du bist wirklich ein lieber Junge.«

»Ich kenne Sie nicht gut genug, um Ihnen zu widersprechen.«

»Und du bist ein echter Klugscheißer.«

»Ja, stimmt.«

»Wahrscheinlich fragst du dich, ob ich etwas mit dir besprechen wollte.«

Ich nickte.

»Als wir aus Chicago zurückkamen, am ersten Tag, als du zu uns kamst. Du hast mich angesehen, und ich hatte das Gefühl, dass etwas zwischen uns passiert. Etwas sehr Vertrauliches – und damit meine ich nicht etwas Ungehöriges. Aber dir ist etwas an mir aufgefallen.«

»Stimmt«, sagte ich.

»Hast du gewusst, dass ich ein Kind bekomme?«

»Vielleicht. Das heißt, ja. Ich dachte daran und, na ja, doch. Ja, ich wusste es. Etwas an Ihnen war anders.«

»Wie meinst du das?

»Ich weiß nicht. Irgendwie haben Sie gestrahlt. Ich weiß, das klingt albern. Aber da war so viel Leben, keine Ahnung, wie ich es erklären soll. Ist ja nicht so, als hätte ich den sechsten Sinn – nichts dergleichen. Eigentlich albern.«

»Albern? Ist das dein Lieblingswort?«

»Ich schätze, heute schon.«

Sie grinste. »Für mich klingt es nicht albern, dass dir an dem Tag etwas an mir aufgefallen ist. Man braucht keinen sechsten Sinn, um eine sehr scharfe Wahrnehmung zu haben. Du kannst Menschen lesen. Das ist eine Gabe. Und du solltest wissen, dass in dir sehr viel mehr steckt, als dass du Jungs magst.«

Wir blieben im Schatten eines alten Baums stehen.

»Ich liebe diesen Baum«, sagte sie.

Ich lächelte. »Dante auch.«

»Ich weiß nicht warum, aber das überrascht mich nicht.« Sie berührte den Baum und flüsterte Dantes Namen.

Als wir wieder zurückgingen, nahm sie den Schuh, der in ihrer linken Hand baumelte, und warf ihn, so weit sie konnte. Sie lachte und warf den zweiten Schuh, der direkt neben dem ersten landete. »Dantes Spiel ist gar nicht so übel.«

Ich konnte nur grinsen.

Alles war so neu. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich gerade geboren worden. Das Leben, das ich jetzt führte, war wie ein Sprung ins Meer, während ich bisher nur den Swimmingpool kannte. Stürme, sie wurden in den Meeren der Welt geboren.

Schließlich war da noch die Sache mit dem Kartografen. Ein neues Leben zu entwerfen war kompliziert – denn die Karte war nicht nur für mich. Sie musste andere enthalten wie Mrs Quintana. Und Mr Quintana. Meine Eltern und Dante.

Dante.

Sechzehn

Ich sah die Nachrichten mit meinen Eltern. Der tägliche Bericht über Aids erschien auf dem Bildschirm. Tausende von Menschen marschierten durch die Straßen New Yorks. Ein Meer von Kerzen in der Nacht. Die Kamera schwenkte auf eine Frau, deren Augen in Tränen schwammen. Eine jüngere Frau trug ein Schild:

MEIN SOHN HIESS JOSHUA.

ER STARB IM FLUR EINES KRANKENHAUSES.

Ein Mann, sichtlich bemüht um Fassung, sprach in das Mikrofon eines Reporters. »In diesem Land brauchen wir keine Gesundheitsfürsorge. Wozu Gesundheitsfürsorge, wenn wir die Leute einfach sterben lassen können?«

Eine Gruppe trug ein Transparent mit der Aufschrift: ALLE 12 MINUTEN EIN AIDS-TOTER.

Eine andere trug ein Banner mit der Aufschrift: WIR HASSEN UNSER LAND NICHT – ABER UNSER LAND HASST UNS.

Die Kamera schwenkte ab – und wechselte zum nächsten Bericht.

»Mom, wann hört das endlich auf?«

»Wahrscheinlich glauben die meisten, dass es einfach verschwindet. Die Fähigkeit, uns selbst zu belügen, ist erstaunlich.«

Siebzehn

Ich beobachtete Dante beim Schwimmen. Ich dachte an den Tag, als ich ihn kennenlernte. Es war Zufall, ungeplant. Ich war kein Typ für Pläne. Dinge passierten einfach. Das heißt, eigentlich passierte gar nichts. Bis ich Dante traf. Es war ein Sommertag wie heute. Jeden Tag treffen Fremde aufeinander – und normalerweise bleiben sie Fremde. Ich dachte an den Klang seiner Stimme, als ich sie zum ersten Mal hörte. Ich wusste nicht, dass diese Stimme mein Leben verändern würde. Ich dachte, er würde mir nur das Schwimmen im Wasser dieses Schwimmbads beibringen. Stattdessen brachte er mir bei, in den Strudel des Lebens zu springen.

Ich würde gern sagen, das Universum brachte uns zusammen. Und vielleicht war es so. Vielleicht wollte ich das nur glauben. Ich wusste nicht viel über das Universum oder Gott. Aber eines wusste ich: Es schien, als hätte ich ihn schon mein ganzes Leben gekannt. Dante behauptete, er hätte auf mich gewartet. Dante war ein Romantiker, dafür bewunderte ich ihn. Ich hatte den Eindruck, als weigerte er sich, seine Unschuld aufzugeben. Aber ich war nicht Dante.

Ich beobachtete ihn – wie anmutig er sich bewegte. Als wäre das Wasser sein zweites Element. Vielleicht liebte er es so sehr wie ich die Wüste. Es war schön, einfach am Beckenrand zu sitzen und ihn eine Bahn nach der anderen schwimmen zu sehen. Ihm fiel alles so leicht. Bei ihm wirkte vieles so unangestrengt. Als fühlte er sich überall zu Hause – nur dass er mich liebte. Und das hieß, dass er vielleicht nie wieder ein Zuhause haben würde.

Ein Wasserschwall traf mich. »He! Wo bist du?«

»Hier?«, sagte ich.

»Du warst wieder in Gedanken versunken.«

»Bin ich öfter.«

»Manchmal wüsste ich gern, was du denkst.«

»Keine gute Idee.«

Dante zog mich ins Wasser, und wir lieferten uns eine Wasserschlacht, tauchten uns lachend gegenseitig unter. Wir schwammen, und er zeigte mir ein paar neue Tricks. Inzwischen war ich besser geworden, aber ich würde nie ein guter Schwimmer sein. Nicht dass ich es unbedingt wollte. Mir genügte schon, mit ihm im Wasser zu sein. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass Dante das Wasser war.

Er kletterte die Leiter hoch, ging zum Rand des Sprungbretts und winkte mir zu. Dann stellte er die Füße fest aufs Brett, ging auf die Zehenspitzen, holte tief Luft – und hatte diesen unglaublich gelassenen Blick. Dante strahlte eine Sicherheit aus, die ich nie gehabt hatte. Und dann stieß er sich ruhig und furchtlos ab, streckte die Arme hoch, als wollte er sich den Himmel greifen, beugte sich vor, sprang einen perfekten Abwärtsbogen, drehte sich einmal im Kreis und landete mit kaum einem Spritzer im Wasser. Sein grandioser Sprung verschlug mir den Atem.

Ich liebte ihn nicht nur. Ich bewunderte ihn.

Auf dem Rückweg sah Dante mich an und sagte: »Ich bin aus dem Schwimmteam ausgestiegen.«

»Warum? Das ist verrückt.«

»Es frisst zu viel Zeit. Das Training hat schon angefangen, und ich hab dem Coach gesagt, dass ich einfach nicht mehr in der Mannschaft sein will.«

»Aber warum?«

»Wie gesagt, es frisst zu viel Zeit. Außerdem hab ich das letzte Jahr verpasst, sie werden mich also nicht wirklich vermissen. Ich müsste mich wieder neu bewähren.«

»Als ob du es nicht ins Team schaffen würdest. Echt jetzt?«

»Und dann ist da noch das klitzekleine Problem, dass ich viele Jungs im Team nicht leiden kann. Sie sind solche Idioten. Reden nur über Mädchen und sagen blödes Zeug über ihre Titten. Was haben die Typen bloß immer mit Titten? Ich mag keine Idioten. Also bin ich ausgestiegen.«

»Nein, Dante, tu das nicht. Du bist zu gut. Du darfst nicht aussteigen.«

»Doch.«

»Tu’s nicht, Dante.« Wahrscheinlich wollte er nur mehr Zeit mit mir verbringen – vor allem, weil wir nicht auf dieselbe Schule gingen. Ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass Dante sich zurücknahm. »Du bist viel zu gut, um aufzuhören.«

»Na und? Ist ja nicht so, als würde ich an der Olympiade teilnehmen.«

»Aber du schwimmst gern.«

»Das Schwimmen gebe ich nicht auf. Nur das Schwimmteam.«

»Was haben deine Eltern gesagt?«

»Mein Vater hat nichts dagegen. Meine Mutter, na ja, die war nicht begeistert. Wir haben uns ein bisschen angeschrien. Aber sieh es mal von der Seite – so können wir mehr Zeit zusammen verbringen.«

»Dante, wir sind ständig zusammen.«

Er sagte nichts. Ich merkte, dass er aufgewühlt war. Dann flüsterte er: »Ich habe meiner Mutter sogar gesagt, dass ich auf die Austin Highschool wechseln will. Nur damit wir mehr Zeit miteinander verbringen können. Offenbar ist das bei dir anders.« Er bemühte sich, seine Tränen zurückzuhalten. Manchmal wünschte ich, er würde nicht so verdammt oft weinen.

»Nein, ist es nicht. Aber –«

»Glaubst du nicht, es wäre viel schöner, wenn wir auf dieselbe Schule gingen?«

Ich sagte nichts.

»Du denkst wie meine Mutter.«

»Dante –«

»Ari, sei still. Sei einfach still. Ich bin gerade zu wütend auf dich.«

»Wir können nicht ständig zusammen sein.«

»Ari, ich sagte, sei still.«

Während wir uns eingehüllt von Schweigen und Dantes Wut seinem Haus näherten, einem Schweigen, das ich nicht brechen durfte, überlegte ich, warum Dante so unvernünftig war. Doch ich kannte die Antwort schon. Dante mochte einen brillanten Verstand haben, aber er wurde von seinen Gefühlen beherrscht. Außerdem war er stur wie ein Esel. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Wahrscheinlich musste ich das lernen.

Wir erreichten sein Haus – und standen beide da und schwiegen.

Dante verabschiedete sich nicht, schaute mich nicht mal an. Ich beobachtete, wie er ins Haus ging und die Tür hinter sich zuknallte.