Arne Claasen und die vergessenen Toten - Ole Hansen - E-Book
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Arne Claasen und die vergessenen Toten E-Book

Ole Hansen

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Beschreibung

Wenn der Jäger zum Gejagten wird: Der Hamburg-Krimi »Arne Claasen und die vergessenen Toten« von Bestseller-Autor Ole Hansen als eBook bei dotbooks. Er war der beste Agent des BND, doch jetzt ist er gezwungen, im Kellerarchiv der Hamburger Polizei ungelöste Fälle aufzuarbeiten … Arne Claasen und sein Team wurden bei einem Einsatz gegen eine Terrorzelle von einem Verräter in den eigenen Reihen ans Messer geliefert – nur Claasen hat schwerverletzt überlebt und musste zu seinem eigenen Schutz eine neue Identität als Kriminaldirektor annehmen. Doch während er in der Hansestadt die Abteilung für »Cold Cases« aufbaut, geht Claasen eins nicht aus dem Kopf: Wer ist der Mann, der seine Kameraden auf dem Gewissen hat? Der Verräter konnte nie identifiziert werden und hat keine einzige Spur hinterlassen – bis zu dem Tag, als Claasen ein schicksalhafter Anruf erreicht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Hamburg-Krimi »Arne Claasen und die vergessenen Toten« – nach den Erfolgsserien um die charismatischen Ermittler Jeremias Voss und Marten Hendriksen jetzt die neue Krimi-Reihe von Bestsellerautor Ole Hansen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 343

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Über dieses Buch:

Er war der beste Agent des BND, doch jetzt ist er gezwungen, im Kellerarchiv der Hamburger Polizei ungelöste Fälle aufzuarbeiten … Arne Claasen und sein Team wurden bei einem Einsatz gegen eine Terrorzelle von einem Verräter in den eigenen Reihen ans Messer geliefert – nur Claasen hat schwerverletzt überlebt und musste zu seinem eigenen Schutz eine neue Identität als Kriminaldirektor annehmen. Doch während er in der Hansestadt die Abteilung für »Cold Cases« aufbaut, geht Claasen eins nicht aus dem Kopf: Wer ist der Mann, der seine Kameraden auf dem Gewissen hat? Der Verräter konnte nie identifiziert werden und hat keine einzige Spur hinterlassen – bis zu dem Tag, als Claasen ein schicksalhafter Anruf erreicht …

Über den Autor:

Ole Hansen, geboren in Wedel, ist das Pseudonym des Autors Dr. Dr. (COU) Herbert W. Rhein. Er trat nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker in die Bundeswehr ein. Dort diente er 30 Jahre als Luftwaffenoffizier und arbeitete unter anderem als Lehrer und Vertreter des Verteidigungsministers in den USA. Neben seiner Tätigkeit als Soldat studierte er Chinesisch, Arabisch und das Schreiben. Nachdem er aus dem aktiven Dienst als Oberstleutnant ausschied, widmete er sich ganz seiner Tätigkeit als Autor. Dabei faszinierte ihn vor allem die Forensik – ein Themengebiet, in dem er durch intensive Studien zum ausgewiesenen Experten wurde. Heute wohnt der Autor in Oldenburg an der Ostsee.

Von Ole Hansen sind bei dotbooks bereits die folgenden eBooks erschienen:

Die Jeremias-Voss-Reihe:

»Jeremias Voss und die Tote vom Fischmarkt. Der erste Fall«

»Jeremias Voss und der tote Hengst. Der zweite Fall«

»Jeremias Voss und die Spur ins Nichts. Der dritte Fall«

»Jeremias Voss und die unschuldige Hure. Der vierte Fall«

»Jeremias Voss und der Wettlauf mit dem Tod. Der fünfte Fall«

»Jeremias Voss und der Tote in der Wand. Der sechste Fall«

»Jeremias Voss und der Mörder im Schatten. Der siebte Fall«

»Jeremias Voss und die schwarze Spur. Der achte Fall«

»Jeremias Voss und die Leichen im Eiskeller. Der neunte Fall«

»Jeremias Voss und der Tote im Fleet. Der zehnte Fall«

Die Marten-Hendriksen-Reihe:

»Hendriksen und der mörderische Zufall. Der erste Fall«

»Hendriksen und der Tote aus der Elbe. Der zweite Fall«

»Hendriksen und der falsche Mönch. Der dritte Fall«

»Hendriksen und der Tote auf hoher See. Der vierte Fall«

»Hendriksen und der falsche Erbe. Der fünfte Fall«

Unter seinem Klarnamen Herbert Rhein veröffentlichte der Autor bei dotbooks auch die folgenden eBooks:

»Todesart: Nicht natürlich. Gerichtsmediziner im Kampf gegen das Verbrechen.«

»Todesart: Nicht natürlich. Mit Mikroskop und Skalpell auf Verbrecherjagd.«

***

Originalausgabe Oktober 2020

Copyright © der Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Malivan_Iuliia, Olga Rohulya, Kerrin Ingwersen

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-404-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Ole Hansen

Arne Claasen und die vergessenen Toten

Der erste Fall

dotbooks.

Kapitel 1

Der Mann war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. In seinem Ledergürtel steckte eine schwarze Gesichtsmaske, und ein Nachtglas mit zehnfacher Vergrößerung hing an einem Lederriemen um seinen Hals. Immer wieder hob er es an die Augen und suchte das Meer westlich der Hallig ab. Ein Nachtsichtgerät lag griffbereit vor ihm auf der Fensterbank. Im Zimmer war es dunkel, und der Mann verschmolz mit der Umgebung.

Seit einer Stunde starrte er bereits durch das geöffnete Giebelfenster in die pechschwarze Nacht, nur das Wetterleuchten am Horizont durchdrang die Finsternis. Das Aufleuchten der Blitze reichte aus, um mit dem Nachtglas die Konturen von Booten auf der Nordsee auszumachen.

Er sah auf die Leuchtziffern seiner Uhr. Kurz vor Mitternacht. Der Fischkutter, nach dem er Ausschau hielt, war seit einer halben Stunde überfällig.

Eine weitere Viertelstunde verging. Er überlegte gerade, ob er die Beobachtung abbrechen sollte, als im Licht eines Blitzes die Silhouette eines Kutters zu sehen war. Wie letztes Mal führte er keine Positionslichter.

»Also doch«, murmelte er.

Er setzte das Nachtsichtgerät auf, schwang sich aus dem Fenster und streckte sich nach rechts, bis er den Blitzableiter greifen konnte. Was vor einem Jahr noch ein Kinderspiel gewesen wäre, verursachte ihm jetzt heftige Schmerzen. Er biss die Zähne zusammen und hangelte sich am Blitzableiter zu Boden. Dass dies bei einem aufziehenden Gewitter Selbstmord gleichkommen konnte, interessierte ihn nicht. Wie früher konzentrierte er sich nur auf das Ziel, und das war herauszufinden, warum der Kutter ohne Licht vor der Hallig lag.

Noch vor einem Jahr war er einer der Topagenten des BND gewesen. Dann hatten er und sein Team eine islamistische Terrorzelle entdeckt, und im kleinen Kreis war beschlossen worden, die Zelle auszuheben. Das Auskundschaften und die Vorbereitungen waren unter strengster Geheimhaltung abgelaufen. Nur er selbst und sein Team sowie sein Chef kannten das Datum, an dem zugeschlagen werden sollte. Selbst dem Einsatzteam wurde der Termin erst Stunden vor dem Zugriff bekanntgegeben. Das Zielobjekt lag in einer verlassenen Bauernkate in Ostfriesland, die nur über eine schmale Schotterstraße zu erreichen war. Punkt zwei Uhr nachts, zu einer Zeit, in der die Menschen am tiefsten schlafen, begann der Einsatz. Eine mit einer Wärmebildkamera ausgerüstete Drohne überwachte das Objekt. Das Einsatzteam bestand aus zwei Gruppen, sie näherten sich über die Wiesen aus zwei unterschiedlichen Richtungen und überwanden mit Hilfe von klappbaren Aluminiumleitern die Entwässerungsgräben. 300 Meter vor dem Zielobjekt schwärmte die erste Gruppe aus und bildete einen Kreis um den Bauernhof. Ihre Aufgabe war es, entwichene Terroristen festzunehmen.

Sobald das Team seine Position erreicht hatte, meldete der Führer der Gruppe es an den Befehlshabenden. Das war für das zweite Team das Zeichen zum Zuschlagen. Die Tür wurde mit einem Rammbock aufgestoßen, und unter seiner Führung drangen die kampferprobten Männer in das Gebäude ein, wobei sie gleichzeitig riefen: »Polizei! Auf den Boden! Hände über den Kopf!«

Im gleichen Moment musste jemand eine Bombe gezündet haben. Das Einzige, was der Befehlshabende noch wahrnahm, war eine Stichflamme.

Als er wieder zu sich kam, lag er in einem Bett. Auf dem Kalender an der Wand sah er, dass seit dem Einsatz zwei Wochen vergangen waren. Später erzählte ihm der Arzt, dass, hätte er keinen Helm und keine Schutzweste getragen, er jetzt tot wäre. So hatten die Splitter »nur« seine Beine und Arme getroffen, außerdem hatte die Druckwelle innere Verletzungen verursacht.

Fast ein Jahr hatte er im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz und danach in verschiedenen Reha-Einrichtungen gelegen. Anschließend hatte ihn sein Arbeitgeber in einem sicheren Haus auf der Hallig Runhold untergebracht. Hier sollte er in aller Abgeschiedenheit seine Gesundheit, Kraft, Flexibilität und seine Psyche wiederherstellen.

Während er im Krankenhaus lag, hatte er sich wieder und wieder gefragt, was bei dem Einsatz schiefgelaufen war. Er fand immer nur eine Antwort: Das Unternehmen war verraten worden. Doch wer war der Verräter? Außer seinem Chef im BND und ihm kannte niemand den Zeitplan. Dass sein Chef der Verräter sein könnte, erschien ihm unmöglich. Aber wer dann?

Die Hallig, auf der er sich nun befand, war vom BND als Aufenthaltsort gewählt worden, weil sie vom Festland aus kaum zu erreichen war. Zwei breite Priele umschlossen sie zu drei Vierteln, und kleinere Priele durchzogen das Watt im Osten. Dadurch war auch eine Annäherung über das Watt nahezu unmöglich.

Wenn sich sein Verdacht bestätigen sollte, musste er davon ausgehen, dass er enttarnt worden war. In diesem Fall würden islamistische Terroristen, aber auch der Verräter in den eigenen Reihen Jagd auf ihn machen. Die Konsequenz war, dass er sich auch auf der Hallig nicht hundertprozentig sicher fühlen durfte.

Unsicherheit war für ihn an sich nichts Neues. Als Agent in den Krisengebieten des Nahen Ostens kannte er solche Situationen. Es war ihm daher zur zweiten Natur geworden, kleinste Abweichungen von der Normalität wahrzunehmen und unverzüglich darauf zu reagieren. Wachsamkeit und Reaktionsvermögen entschieden über Leben und Tod. Und ein Kutter ohne Positionslichter stellte für ihn eine solche Abweichung dar.

Der Mann in Schwarz war sicher auf dem Boden gelandet. Er bog sofort um die Hausecke, um aus dem Gefahrenbereich des Blitzableiters zu kommen.

Der Restlichtverstärker des Nachtsichtgeräts lieferte ein grünliches Bild der Umgebung. Es ermöglichte ihm, auf etwa 50 Meter alle Einzelheiten zu erkennen, aber den Kutter auf See vermochte er so nicht auszumachen.

Er schlich zunächst zu den fünf Höfen auf der Warft, um sich zu vergewissern, dass sich niemand im Freien aufhielt. Der Außenbereich war »sauber«. Alle Fenster und Türen waren geschlossen und die Fenster zusätzlich mit Fensterläden gesichert. Nirgends fand er eine Tonne oder sonst einen Gegenstand, hinter dem sich jemand hätte verbergen können. Alles war vor dem Sturm in Sicherheit gebracht worden. Sturmböen hatten auf den ungeschützten Halligen eine solche Gewalt, dass alles, was nicht befestigt war, sich losreißen und durch die Gegend fliegen konnte. Dies hätte schwere Schäden zur Folge gehabt. Die Sicherheit von Mensch, Tier und Material war auf einer Hallig oberstes Gebot.

An seinem Ausgangspunkt angekommen, stieg der Mann in Schwarz von der Warft zur Wiese hinunter, die die Warft an allen Seiten umgab und bis zum Wasser reichte. Er ging tief gebückt, um beim Aufleuchten der Blitze nicht erkannt zu werden. Wieder verschmolz er mit seiner Umgebung.

Er war bereits seit drei Wochen auf der Hallig und kannte das Terrain wie seine Westentasche. Selbst ohne Nachtsichtgerät hätte er sich in der Dunkelheit zurechtgefunden. Er wusste, wo die Entwässerungsgräben verliefen und an welchen Stellen man sie umgehen konnte.

Immer wieder hielt er an und überprüfte das Umfeld. Dabei nahm er im Unterbewusstsein einen Schatten auf See wahr. Er drehte den Kopf mit dem Nachtsichtgerät vor Augen in die Richtung, in der er den Schatten vermutete, und erkannte, dass sich ein Schlauchboot dem Land näherte. Obwohl der Wind von See her auf die Hallig blies, hörte er kein Motorengeräusch. Elektromotor, schoss es ihm durch den Kopf. Die Sache wurde immer mysteriöser.

Das Schlauchboot nahm Kurs auf den Landungssteg der Hallig. Es tauchte mal auf, dann verschwand es wieder in einem Wellental. Der Wind, der sich stetig zu einem Sturm verstärkte, türmte die Wellen immer höher auf. Die See war so aufgewühlt, dass sich auf ihren Kämmen Schaumkronen bildeten. Der Mann im Schlauchboot durfte inzwischen keinen trockenen Faden mehr am Leib haben. Aber das sollte die kleinste Sorge des Ankömmlings sein. Seine ganze Aufmerksamkeit musste dem Schlauchboot und der See gelten. Je mehr er sich der Hallig näherte, desto flacher wurde der Wasserstand, was dazu führte, dass sich die Wellen immer mehr aufbäumten, überkippten und als Brecher gegen das Land rollten. So ein Brecher konnte ein Schlauchboot unter sich begraben.

Der Mann in Schwarz bewunderte, wie geschickt der Steuermann im Boot jedem Brecher auswich.

Inzwischen war das Gewitter näher gekommen. Blitz auf Blitz erhellte den Himmel. Die ersten Regentropfen fielen, und kurz darauf öffnete der Himmel seine Pforten. Der Mann in Schwarz hatte gerade noch Zeit, seinen Rucksack von der Schulter zu nehmen, eine Regenplane herauszuholen und sie sich über den Körper zu ziehen. Mit vier Schnappverschlüssen befestigte er sie am Körper, damit der Sturm sie nicht wegreißen konnte.

Er war noch 50 Meter von dem Anleger entfernt, als das Schlauchboot dort anlegte. Er kauerte er sich am Boden nieder, um in der blitzhellen Nacht nicht entdeckt zu werden. Wegen der Tarnfarbe der Regenplane würde ein Beobachter ihn auf diese Entfernung für einen niedrigen Busch oder ein Grasbüschel halten.

Der Mann im Schlauchboot hatte einige Probleme, das Boot an den Landungssteg zu manövrieren. Als er es geschafft hatte, hantierte er dort an etwas herum. Um was es sich handelte, konnte der Mann in Schwarz nicht sehen, da das Boot an der ihm abgewandten Seite des Stegs lag. Es dauerte auch nur ein paar Minuten, dann löste sich das Boot wieder vom Steg und manövrierte durch die Brandung Richtung Meer. Kurz darauf war es seinen Augen entschwunden.

Der Beobachter verharrte in seiner geduckten Stellung, während der Regen auf ihn niederprasselte. Als nach einer gefühlten halben Stunde nichts passiert war, schlich er sich in geduckter Haltung zum Steg und suchte mit dem Nachtsichtgerät ständig die Umgebung ab. Er konnte niemanden entdecken, also schwang er sich auf den Steg und robbte, flach auf dem Bauch liegend, zu der Stelle, an der das Schlauchboot festgemacht hatte. Zu seinem Erstaunen fand er weder auf dem Steg noch an den Trägern irgendetwas. Die Unterseite und den Meeresboden konnte er nicht untersuchen, da die Wellen sich am Steg brachen und ihn überspülten. Trotz seiner Regenplane war er innerhalb von Minuten durchnässt. Missmutig und nachdenklich trat er den Rückweg an. Wenn er nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, dass der Mann am Steg hantierte, hätte er an seinem Wahrnehmungsvermögen gezweifelt. Weil er ohnehin bis auf die Haut durchnässt war, nahm er die Regenplane ab und knautschte sie in den Rucksack.

Das Hochklettern am Blitzableiter bereitete ihm wieder Schwierigkeiten. Die Gelenke in Armen und Beinen waren noch nicht wieder so beweglich, wie sie es für solch eine Kletterpartie sein sollten. Er biss die Zähne zusammen, erreichte sein Zimmer und glitt schließlich über die Fensterbank hinein. Die beiden sich nach innen öffnenden Fensterscheiben hatten die Sturmböen unbeschadet überstanden. Auch die Dielen des Zimmerbodens waren zu seiner Erleichterung nicht vom Regenguss nass geworden, da die Regenschleier seitlich am Fenster vorbeigetrieben waren.

Der Mann in Schwarz zog die Holzläden vor die Fensteröffnung, verriegelte sie und schloss das Fenster. Anschließend humpelte er ins Badezimmer. Hier entledigte er sich seiner Kleidung, wrang die klitschnassen Sachen aus und hängte sie einschließlich der Regenplane zum Trocknen in die Dusche oder an die Heizung. Nackt wie er war, schlüpfte er ins Bett und war Minuten später eingeschlafen. Selbst die Donnerschläge, die das Haus erschütterten, weckten ihn nicht auf.

Obwohl er nur vier Stunden geschlafen hatte, war er um sieben Uhr wieder unterwegs. Wie immer in den letzten drei Wochen lief er um diese Zeit einmal um die Hallig. Insgesamt kamen dabei elf Kilometer zusammen.

Und wie an jedem Tag traf er Urs, der morgens mit einem Sack auf der Schulter an der Wasserlinie entlangging, um Strandgut, welches das Meer über Nacht angeschwemmt hatte, aufzusammeln. Besonders originelle Gegenstände verkaufte er an Touristen, die während des Tages die Hallig besuchten. Urs war vor zehn Jahren an diesen Ort gekommen und hier hängen geblieben. Eine Besonderheit, denn er stammte aus dem Kleinwalsertal. Moin war der erste plattdeutsche Begriff, den er gelernt hatte und den er bei jeder Gelegenheit anwandte.

»Moin.«

»Moin, Urs«, erwiderte er.

Als er vor drei Wochen auf der Hallig ankam, war er nicht in der Lage gewesen, die ganze Strecke zu laufen. Immer wieder musste er längere Abschnitte gehen. Doch es wurde von Tag zu Tag besser. Zurzeit lief er die Strecke in einer ganz passablen Zeit.

Vor Schweiß triefend betrat er seine Herberge. Käthe, die Vermieterin, schien auf ihn gewartet zu haben. Sobald er die Haustür hinter sich geschlossen hatte, trat sie auf ihn zu.

»Guten Morgen, Herr Claasen. Haben Sie sich schon wieder so geschunden, dass Sie ganz durchgeschwitzt sind? Das kann doch nicht gesund sein.«

»Ebenfalls einen schönen guten Morgen. Lassen Sie man gut sein, Käthe. Mein Körper braucht das. Bei der Ruhe auf der Hallig und Ihrem guten Essen wäre ich bald so rund wie ein Kugelfisch.«

Bei dem Ausdruck »gutes Essen« leuchteten ihre Augen auf. Sie mochte den großen, schlanken Mann, der immer ein freundliches Wort für sie übrig hatte.

»Sie haben Besuch. Ihr Bruder ist mit seiner Frau angekommen. Sie warten im Frühstückszimmer.«

»Danke, Käthe, sagen Sie ihnen bitte, ich käme gleich. Ich muss erst duschen.«

Mit keiner Reaktion zeigte er, wie überraschend diese Nachricht für ihn war – denn er hatte gar keinen Bruder.

Drei Stufen auf einmal nehmend, sprang er nach oben, schloss sein Zimmer auf und verriegelte es von innen. Unter die Tür schob er einen Keil, damit niemand sie heimlich öffnen konnte. Dann eilte er ins Badezimmer, warf die nasse Kleidung auf die Toilette und duschte eilig. Wenig später stieg er die Treppe hinunter. In seinem Hosenbund steckte verdeckt seine 9-Millimeter-Pistole, die ihn seit seinem ersten Einsatz im Irak begleitet und niemals versagt hatte.

Er öffnete die Tür zum Frühstücksraum. An einem Vierertisch saß ein seriös aussehender Mann. Er war Anfang 50, hatte graue Haare und stahlgraue Augen. Neben ihm führte eine Frau um die 40 gerade einen Löffel mit Ei zum Mund. Claasen – unter diesem Namen kannte ihn die Zimmervermieterin – entspannte sich.

»Was für eine Freude, dich zu sehen, Bruderherz, und dich natürlich auch, liebste aller Schwägerinnen«, begrüßte er seinen Chef beim BND und Frau Dr. Möhring, die Psychiaterin, die ihn während seines Krankenhaus- und Reha-Aufenthalts betreut hatte. Sie war mittelgroß, schlank und hatte ansprechende Gesichtszüge. Die Haare waren nach neuester Mode frisiert. Er schlug seinem sogenannten Bruder auf die Schulter und küsste Dr. Möhring auf beide Wangen.

»Wie ich sehe, habt ihr euch das Warten mit einem Frühstück vertrieben.«

»Ein ausgezeichnetes Frühstück. Allein deswegen hat es sich gelohnt hierherzukommen«, sagte sein Chef, und Dr. Möhring fügte hinzu: »Wir hatten in Neumünster zu tun und dachten, wir machen einen Abstecher zur Hallig und schauen mal, was du so treibst.«

»Ein ausgezeichneter Gedanke. Wie ihr seht, geht es mir blendend. Ich hole mir schnell etwas zu essen, und dann können wir uns ungestört unterhalten.«

Inzwischen war auch die Wirtin an den Tisch getreten und fragte: »Möchten Sie etwas?«

»Kaffee, wie gehabt.«

»Ihr Pott steht am Tresen, und der Kaffee kommt sofort.«

Claasen ging zum Frühstückstresen und bediente sich an der reichhaltigen Auswahl.

Außer ihnen befanden sich noch ein jüngeres Ehepaar und eine etwa achtzigjährige ehemalige Ärztin im Frühstückszimmer.

Die Wirtin kam mit einer Thermoskanne voll Kaffee zurück und schenkte Claasen ein. Dabei sagte sie mit einem Lächeln: »So einen Kaffeetrinker wie Ihren Bruder habe ich noch nicht erlebt. Herr Claasen trinkt in einer Woche so viel Kaffee wie meine anderen Gäste in einem Vierteljahr.«

»Das liegt daran, dass sonst nur Teetrinker die Hallig besuchen«, erwiderte Claasen.

Nachdem die Wirtin gegangen war, erkundigte er sich nach dem Befinden von Peter und Mirjam, dem hypothetischen Neffen und der Nichte.

Bis das Ehepaar und die alte Ärztin gegangen waren, drehte sich das Gespräch nur um die fiktive Familie.

Als sie schließlich allein waren, fragte Dr. Möhring: »Ich erwartete, einen von der Ruhe und der frischen Meeresbrise erholten Arne Claasen zu sehen und nicht einen müden Mann mit dunklen Ringen unter den Augen. Gibt es etwas, das ich wissen sollte?«

»Das wir wissen sollten«, fügte sein Chef hinzu.

Claasen überlegte, ob er seine Nachforschungen erwähnen sollte, und entschied sich dann dafür.

»Im Grunde geht es mir gut. Nur heute habe ich eine anstrengende Nacht hinter mir und habe kaum geschlafen.«

»Hier auf der Hallig? Kaum zu glauben.« Sein Chef sah ihn prüfend an.

»Ich berichte am besten von Anfang an. Es war vor neun Tagen. Ich konnte nicht einschlafen, weil meine Wunden schmerzten. Ich war aufgestanden, hatte mir ein Glas Wasser aus dem Bad geholt, um eine Schmerztablette zu nehmen. Bis sie wirkte, blieb ich auf. Es herrschte ein Wetter wie gestern, Sturm und Regen. Mein Fenster war geöffnet, um frische Luft ins Zimmer zu lassen. Dabei entdeckte ich einen Fischkutter, der ohne Positionslichter draußen auf dem Meer lag. Ich nahm an, dass er vor der Hallig ankerte. Sie können sich sicher vorstellen, dass ich alarmiert war, denn ich gehe davon aus, dass der Verräter oder die Terroristen noch immer nach mir suchen, und ein Kutter ohne Positionslichter könnte eine Gefahr für mich bedeuten. Am nächsten Morgen durchsuchte ich die Hallig nach Anhaltspunkten, die auf einen Anschlag hindeuten könnten. Ich fand nichts. Alles war so wie an den Tagen zuvor. Ein paar Tage später herrschte wieder stürmisches Wetter, und wieder sah ich einen unbeleuchteten Kutter, und diesmal bemerkte ich ein Schlauchboot, das ohne Licht Kurs auf die Hallig nahm. Am nächsten Morgen checkte ich die Hallig – wieder nichts. Als der Wetterdienst für gestern Abend und heute Nacht abermals ein Sturmtief ankündigte, legte ich mich auf die Lauer. Und wieder erschien der Kutter ohne Positionslichter, wieder setzte er ein Schlauchboot ab, das Kurs auf die Hallig nahm. Damit niemand auf mich aufmerksam wurde, kletterte ich am Blitzableiter hinunter und schlich mich zum Landungssteg, an dem Sie beide angekommen sind. Ich erreichte ihn leider erst, nachdem das Schlauchboot wieder abgelegt hatte. Und jetzt kommt das Erstaunliche. Ich untersuchte den Steg gründlich, jedenfalls soweit es bei dem Wellengang möglich war, und fand auch nicht den geringsten Hinweis, warum das Schlauchboot dort hätte anlegen sollen. Kurz und gut, meine nächtliche Exkursion ist der Grund, warum ich so mitgenommen aussehe.«

Kapitel 2

Eine Weile herrschte Schweigen. Der Chef und Dr. Möhring schienen über das, was Claasen berichtet hatte, nachzudenken.

»Wie beurteilen Sie die Situation?«, fragte der Chef dann und sah Claasen an.

»Ich denke, die Kuttersache hat nichts mit mir zu tun«, antwortete er.

»Wieso sind Sie sich da so sicher?«, fragte Dr. Möhring.

»Ist das nicht offensichtlich?«, entgegnete Claasen. »Einmal einen Kutter ohne Positionslichter vor Runhold zu sehen, könnte auf einen geplanten Anschlag hindeuten, doch dreimal die gleiche Situation bei ähnlichem Wetter und gleicher Uhrzeit lässt auf ein anderes Unternehmen schließen. Ich tippe auf Schmuggel – Zigaretten oder Rauschgift. Auch wenn ich auf oder am Steg keine Ware gefunden habe, heißt das nicht, dass hier nicht geschmuggelt wird. Wahrscheinlich haben die Schmuggler ein gutes Versteck angelegt.«

»Das sehe ich genauso«, stimmte der Chef zu. »Haben Sie einen Verdacht, wer dahinterstecken könnte? Schließlich leben auf der Hallig nur ein paar Hansel.«

»Verdacht wäre zu viel gesagt. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass Urs, der Strandgutsammler, darin verwickelt ist. Er ist der Einzige, den ich jeden Morgen sehe, wie er die Insel nach angeschwemmten Gegenständen absucht. Es wäre ihm ein Leichtes, die per Schlauchboot angelieferte Ware in seinem Sack verschwinden zu lassen. Niemanden würde es wundern, wenn er mit einem gut gefüllten Sack nach Hause käme.«

»Was darauf hindeutet, dass Rauschgift geschmuggelt wird, denn für Zigaretten wäre der Aufwand zu groß. In einen Sack dürften nicht allzu viele Stangen hineinpassen«, bemerkte Dr. Möhring.

»Richtig«, stimmte Claasen zu. »Ich habe die Absicht, mich heute Nacht bei ihm umzusehen.«

»Lassen wir die Schmuggelei für einen Augenblick beiseite. Ich möchte über den Grund sprechen, warum wir Sie aufgesucht haben«, sagte der Chef. »Es ist jetzt über ein Jahr her, dass Sie Opfer dieses Terrorakts wurden. Der Bundespräsident hat Ihnen als Dank für Ihren Einsatz, der einen Terroranschlag auf die Innenministerkonferenz in Hamburg vereitelt hat, das Bundesverdienstkreuz verliehen. Auf eine offizielle Zeremonie wurde in Anbetracht Ihres besonderen Aufgabenbereichs verzichtet. Da Sie nicht in der Lage waren, die Auszeichnung persönlich entgegenzunehmen, habe ich sie in Empfang genommen.«

Der Chef holte ein Samtetui aus seiner Herrenumhängetasche, öffnete es und reichte es Claasen.

»Mit dem ausdrücklichen Dank der Bundesrepublik«, fügte er hinzu und händigte Claasen die Verleihungsurkunde aus. »Bitte entschuldigen Sie diesen unangemessenen Stil, aber ich befürchtete, dass wir bei einer der Würde dieser Auszeichnung angemessenen Veranstaltung beobachtet werden könnten. Was wiederum zur Ihrer Enttarnung geführt hätte.«

Dr. Möhring ließ es sich nicht nehmen, aufzustehen und Claasen mit einer herzlichen Umarmung und einem Wangenkuss zu gratulieren.

Arne Claasen starrte sprachlos auf das glitzernde Verdienstkreuz. Zwar war er anfangs, als er nach seiner Ohnmacht wieder klar denken konnte, enttäuscht gewesen, dass man von offizieller Seite das Handeln seines Teams nicht gewürdigt hatte. Schließlich hatten sie einen hohen Preis gezahlt, und es war nur der stümperhaften Arbeit der Terroristen zu verdanken, dass es keine Toten gegeben hatte. Dann aber hatte er keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Umso überraschter war er über die Ehre, die ihm jetzt, nach einem Jahr, zuteilwurde. Die Explosion tauchte wieder vor seinem inneren Auge auf, und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Seine Hände zitterten, doch er stellte fest, dass sein Unterbewusstsein nicht mehr so stark reagierte wie noch vor Wochen. Die Freude, die er empfand, galt dieser maßvollen emotionalen Reaktion und nicht so sehr der Auszeichnung. Er schämte sich fast, sie anzunehmen. Dass der Anschlag auf die Ministerkonferenz verhindert worden war, war nicht sein Verdienst gewesen, sondern das seines Teams.

Dr. Möhring, die ihn über Monate behandelt hatte, schien zu verstehen, was in ihm vorging.

»Freuen Sie sich über die Auszeichnung. Sie haben sie verdient. Auch Ihr Team wurde für seine Leistung gewürdigt«, raunte sie ihm zu, während sie ihn umarmt hielt.

Der Chef hatte währenddessen einen Faltordner aus seiner Tasche geholt und ihm ein Dokument entnommen, das er Claasen hinhielt.

»Lesen Sie«, forderte er ihn auf.

Claasen hatte sich inzwischen wieder gesetzt und nahm das Papier. Als er den Briefkopf des Schreibens sah, ahnte er, was es bedeutete. Enttäuschung breitete sich in ihm aus. Es war ein Dokument, das entweder Beförderung oder Herabstufung bedeutete. In seinem Fall – nach einem Jahr immer noch nicht wieder dienstfähig – konnte es nur eine Frühpensionierung bedeuten.

So plötzlich die Gefühle ihn übermannt hatten, so schnell hatte er sie auch wieder unter Kontrolle, denn auch das war in den Krisengebieten des Nahen Ostens überlebenswichtig gewesen. Eine Frage schoss ihm durch den Kopf. Warum werde ich gerade jetzt mit Ehren überschüttet? Da gab es nur eine Antwort. Man will mir eine bittere Pille schmackhaft machen.

Er sah seinen Chef mit einem ironischen Lächeln an. »Sie haben doch nicht den weiten Weg von München hierher gemacht, nur um mir den Dank des Vaterlandes zu übermitteln. Dazu lag er doch schon zu lange in Ihrer Schublade, und da hätte er es sicher auch noch so lange ausgehalten, bis ich selber ins Mutterhaus zurückgekommen wäre. Also, Chef, was wollen Sie wirklich?«

»Habe ich es Ihnen nicht gesagt? Man kann Herrn Claasen einfach nichts vormachen«, sagte Dr. Möhring zum Chef.

»Nun gut. Sie haben recht, Claasen«, sagte der Chef. »Es gibt noch etwas, was ich mit Ihnen besprechen will. Sie sind jetzt über ein Jahr in Behandlung, und es ist an der Zeit, dass wir uns überlegen, wie es mit Ihnen weitergehen soll. Was denken Sie? Haben Sie einen Vorschlag?«

»Ich weiß nicht, was die Frage soll. Sobald ich wieder voll einsatzbereit bin – was in naher Zukunft der Fall sein wird –, werde ich dort weitermachen, wo ich aufgehört habe.«

Der Chef sah Claasen einige Augenblicke schweigend an, dann meinte er: »Ich dachte mir, dass Sie das sagen würden. Doch genau das geht nicht. Ich …«

»Wieso nicht?«, unterbrach ihn Claasen.

»Ich habe den Befund der Ärzte gelesen und mit jedem einzelnen von ihnen gesprochen, und sie sind sich einig, dass Sie aufgrund Ihrer Verletzungen nicht mehr für den Außeneinsatz geeignet sind. Es tut mir leid, aber das sind die Fakten.«

»Quatsch! Was wissen die Quacksalber schon von dem, was ich im Außendienst getan habe und was ich bereits wieder leisten kann? Niemand hat mich, seit ich hier auf der Hallig bin, untersucht oder mit mir gesprochen. Ich habe mich bei meinen Läufen rund um die Hallig seit meiner Ankunft um 100 Prozent gesteigert.«

»Das mag ja sein, aber nicht Sie fällen die Entscheidung, sondern die Ärzte, und egal, was Sie einwenden, diese Entscheidung ist gefallen. So gern ich Sie auch wieder in meinem Team hätte, ich habe keinen Einfluss darauf.«

»Und was wird aus der Ermittlung bezüglich des Verräters in unseren Reihen? Soll der ungestraft davonkommen?«

»Davon kann keine Rede sein. In dieser Sache wird ermittelt. Mehr kann und darf ich Ihnen dazu nicht sagen.«

»Sehr beruhigend«, meinte Claasen ätzend. »Was sagen Sie denn zu der Schweinerei, Frau Dr. Möhring? Von all den Medizinern kennen Sie mich doch am besten.«

Sie zögerte. Claasen sah, dass ihr die Antwort schwerfiel.

»Ich habe für Ihren Einsatz im Innendienst gestimmt. Sie sind meiner Auffassung nach psychisch noch nicht wieder so stabil, dass Sie den Knall eines Schusses oder eine Bombenexplosion wegstecken können, ohne Reaktionen zu zeigen. Sie müssen mir zustimmen, dass so eine Reaktion für Sie äußerst gefährlich und für den Einsatz katastrophal sein kann. Glauben Sie mir, ich habe mir die Entscheidung nicht leichtgemacht.«

»Verräterin!«, fuhr Claasen sie an.

»Ich ahnte, dass Sie so reagieren würden. Aber ich bin überzeugt, dass ich dadurch Ihr Leben rette.«

»Genug!« Die Stimme und der Gesichtsausdruck des Chefs ließen keinen Zweifel daran, dass das Thema für ihn beendet war. »Die Würfel sind gefallen. Es hat keinen Sinn, weiter darüber zu lamentieren. Jetzt gilt es, das Beste daraus zu machen.«

»Und, Chef, was haben Sie sich vorgestellt? Soll ich Akten von einem Ort zum anderen tragen oder die Post verteilen? Sie wissen, dass ich für Verwaltungsarbeiten nicht geeignet bin.«

»Jetzt halten Sie einmal den Mund und hören sich an, was ich zu sagen habe«, fuhr ihn der Chef scharf an. »Der Innenminister hat Sie zum Regierungsdirektor mit Wirkung vom Ersten dieses Jahres befördert. Das bedeutet, dass Sie nach Beamtenrecht noch ein Jahr und ein paar Monate Dienst tun müssen, um in den Genuss der vollen Pension eines Direktors zu kommen, sofern Sie mit dem Gedanken spielen, sich pensionieren zu lassen. Es geht also zunächst darum, Ihnen für diese Zeit eine sinnvolle Beschäftigung zu verschaffen.«

»So eine gibt es nicht«, entfuhr es Claasen.

Der Chef sah ihn scharf an.

Claasen hob zum Zeichen der Entschuldigung beide Hände.

»Ich habe mit unserem Dienstherrn, dem Bundesminister des Innern, gesprochen. Er hat mein Anliegen positiv aufgenommen und sich mit dem Ersten Bürgermeister von Hamburg in Verbindung gesetzt. Letzterer hat meinem Vorschlag zugestimmt. Im Klartext heißt das, dass Sie, wenn Sie einverstanden sind, Leiter einer Sonderkommision der Hamburger Polizei werden können. Ihre Sonderkommission wird direkt unter dem Polizeipräsidenten aufgehängt. Damit wären Sie nur ihm verantwortlich. Was sagen Sie dazu?«

»Ich bedanke mich für Ihr Bemühen, mir eine angemessene Verwendung zu beschaffen, und ich entschuldige mich für meine zynischen Worte.«

»Geschenkt. Ich kann Sie ja verstehen.«

»Mich interessiert natürlich, was für eine Aufgabe diese Sonderkommission hat.«

»Sie soll sich mit der Aufklärung alter, nicht gelöster Straftaten befassen. Dafür sind Sie bestens geeignet, oder irre ich mich?«

Zum ersten Mal, seit sie ihm die Entscheidung, ihm die Außendienstfähigkeit abzuerkennen, mitgeteilt hatten, lächelte Claasen.

»Sie irren sich nicht. Ob jedoch meine Ermittlungsmethoden mit denen der Polizei konform gehen, wage ich zu bezweifeln.«

»Da müssen Sie eben flexibel sein. Ein erster Ansatz wäre, dass Sie bei Ihren Nachforschungen die Pistole zu Hause lassen.«

Claasen antwortete darauf nicht, sondern fragte: »Bis wann muss ich mich entscheiden?«

»Sie haben nicht sehr viel Zeit, darüber nachzudenken. In einer Stunde werden wir abgeholt. Bis dahin brauche ich Ihre Antwort. Bei so einem Projekt müssen wir Nägel mit Köpfen machen. Nicht, dass einer der hohen Herren abspringt, bevor wir die Sache in trockenen Tüchern haben.«

»Offenbar hat sich an der Arbeitsweise des BND, seit ich weg bin, nichts geändert.«

»Warum sollte es? Hat doch bis jetzt gut funktioniert.«

»Stimmt, solange man nicht der Betroffene ist. Um es kurz zu machen, ich stimme dem Projekt zu.«

»Sehr vernünftig. Ich sehe, Sie sind tatsächlich auf dem Wege der Besserung.«

Während er sprach, hatte er sein Smartphone aus der Tasche gezogen und eine Nummer gewählt. Als sich der Teilnehmer meldete, gab er eine Codenummer durch und sagte: »Der Kandidat ist einverstanden.«

Als der Chef das Smartphone wieder eingesteckt hatte, fragte Claasen: »Wie geht es jetzt weiter?«

»Sie melden sich am nächsten Montag um neun Uhr beim Innensenator in Hamburg. Bis dahin sollten Sie sich um eine Bleibe dort kümmern. In das Haus Ihrer Eltern sollten Sie nicht einziehen. Wenn Sie enttarnt wurden – wofür wir bis jetzt aber keinen Beweis haben –, könnte es sein, dass das Haus überwacht wird. Hier sollten Sie Ihre Zelte so bald wie möglich abbrechen. Wenn Sie Ihren Dienst in Hamburg angetreten haben, bin ich für Sie nicht mehr zuständig. Sollten Sie jedoch dienstlich oder privat Hilfe brauchen, bin ich immer für Sie da.«

»Das Gleiche gilt auch für mich«, fügte Dr. Möhring hinzu. »Wenn Sie Informationen über den Stand der Ermittlungen bezüglich des möglichen Verräters in unseren Reihen haben, bin ich Ihr Ansprechpartner. Das ist weniger auffällig, als wenn Sie sich an den Chef wenden.«

»Das ist also das Ende meiner Tätigkeit beim BND. Erstaunlicherweise bin ich noch nicht einmal traurig, obwohl ich anfangs ziemlich wütend war. Ich denke, die Arbeit als Sonderermittler für Aktenleichen könnte mir Spaß machen. Sie ist auf jeden Fall eine Herausforderung. Für Ihre Bemühung bedanke ich mich, und natürlich auch für Ihr Angebot, mir im Notfall zu helfen.« Er wandte sich an Dr. Möhring. »Auch Ihnen ganz herzlichen Dank für die vielen Stunden, die Sie mir geduldig zugehört haben.«

Claasen stand auf und schüttelte dem Chef die Hand. Dr. Möhring umarmte er.

»Wir werden jetzt gehen. Ein Spaziergang an der frischen Seeluft wird uns guttun«, sagte der Chef.

Claasen begleitete sie zur Eingangstür. Als sie an dem kleinen Souvenirstand vorbeikamen, blieb er stehen.

»Einen Augenblick«, sagte er.

Er wählte zwei der am kitschigsten aussehenden Souvenirs aus dem Angebot.

»Für meinen Neffen und meine Nichte«, sagte er so laut, dass die Wirtin, die gerade neue Ware einsortierte, es hörte. Dann reichte er seinem Noch-Chef und Frau Dr. Möhring die Geschenke.

Claasen ging zurück auf sein Zimmer, öffnete das Fenster und setzte sich davor, um die frische Meeresbrise einzuatmen. Auch er wollte spazieren gehen, doch er wollte dabei allein sein, um ungehindert seinen Gedanken nachhängen zu können.

Eine Stunde, nachdem seine Besucher abgeholt worden waren, schlenderte er den Pfad, den er am Morgen gelaufen war, entlang. Nach dem Sturm hatte das Wetter aufgeklart. Der Himmel war blau, die Sonne strahlte, und die frische Brise aus Nordwest sorgte dafür, dass der Körper nicht zu sehr aufgeheizt wurde. Die noch in der Nacht aufgewühlte See hatte sich beruhigt, und die Wellen plätscherten leise gegen den Strand an der Westküste der Hallig. Ein Wetter, wie es sich Nordseeurlauber erträumten.

Claasen hatte die Hände in die Taschen seines Windbreakers geschoben und ließ das Gespräch Revue passieren. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr freundete er sich mit der Idee an, als Sonderbeauftragter zu arbeiten und Verbrechen aufzuklären, bei denen andere versagt hatten. Er war seinem Chef dankbar, dass er ihm einen Aufgabenbereich in Hamburg angeboten hatte. Er kannte und liebte die Stadt der vielen Facetten. Ob im Hafen, an der Elbe, auf der Bille, an der Alster oder dem Klövensteen, immer waren das Milieu und der Geruch verschieden. Er war dort geboren, hatte dort Abitur gemacht, war zur Polizei gegangen, hatte die Polizeiakademie besucht und war nach einer kurzen Zeit als Streifenpolizist in den Kriminaldienst übernommen worden. Er wäre hier wohl auch in Pension gegangen, wenn ihn nicht der BND abgeworben hätte. Als Sohn eines Botschafters im Nahen Osten hatte er die arabische Sprache gelernt. Er sprach sie fließend und beherrschte darüber hinaus auch noch die Idiome, die im Irak oder im Iran benutzt wurden. Für den BND waren solche Kenntnisse Gold wert. Dass ihm außerdem der Spionagedienst lag, war ein weiterer Vorteil, der dazu führte, dass er die Karriereleiter schneller als andere hochgestiegen war. Ein Umstand, der ihm nicht nur Freunde eingebracht hatte.

Während seines Rundgangs machte er einen Abstecher zum Steg. Unauffällig sah er sich die Stelle an, an der das Schlauchboot angelegt hatte. Wieder konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken – außer einem Hohlblockmauerstein, der unter dem Steg lag und an dem eine Kette befestigt war. Sie war verrostet, sodass es den Anschein hatte, als läge sie schon lange im Wasser. Claasen beachtete sie nicht weiter und setzte seinen Spaziergang fort.

Wieder zurück in der Pension, ging er ins Frühstückszimmer und nahm einen Briefbogen aus einem Ständer. Bei der Wirtin bestellte er ein Bier und setzte sich an einen Fenstertisch. Eine Zeitlang überlegte er, wer mit ihm zusammen auf der Polizeiakademie gewesen war, und notierte jeden Namen auf dem Zettel. Als seine Erinnerung erschöpft war, ging er aufs Zimmer und schaltete den Laptop an. Mittels Telefonbuch, Google und Facebook suchte er nach Eintragungen im Internet. Bei etwa der Hälfte der Namen wurde er fündig. Dabei stellte er zu seiner Freude fest, dass einer seiner Ausbilder, zu dem er ein besonders gutes Verhältnis gehabt hatte, jetzt Leiter der Mordkommission war.

Nach dem Mittagessen, das aus einer Brotzeit bestand, legte er sich schlafen. Er musste den versäumten Schlaf der letzten Nacht nachholen und für die kommende vorschlafen. Das Fenster ließ er weit offen, damit er die frische Brise spürte und den Geruch des Wassers in sich aufnehmen konnte. Auf beides würde er in Kürze verzichten müssen. Das Plätschern der Wellen ließ ihn einschlafen.

Pünktlich zum Abendessen wachte er auf. Er duschte, zog sich an und ging nach unten. Heute gab es außer ihm nur noch einen Übernachtungsgast. Das junge Ehepaar war mit der Abendfähre, die die Tagestouristen abholte, abgereist. Die Wirtin hatte sein Gedeck mit auf den Tisch der alten Ärztin gelegt. Zwar hätte er lieber allein gegessen, doch das hätte sonderbar ausgesehen, und Aufsehen wollte er vermeiden. Er sollte es nicht bereuen. Die Ärztin war eine lebhafte Frau, mit der er sich bei einer in Speck gebratenen Scholle gut unterhalten konnte. Seit sie ihre Praxis in Hamburg aufgegeben hatte, kam sie jedes Jahr um die gleiche Zeit für einen Monat auf die Hallig. Von ihr erfuhr er, dass Urs, der hier in einem ehemaligen Schafstall wohnte, auf dem Festland in der Nähe von Husum einen Resthof besaß. Auch hatte er ein Motorboot, mit dem er das, was er aus den angeschwemmten Gegenständen herstellte, nach Husum brachte, um es dort zu verkaufen. Er hatte sie einmal zu seinem Hof mitgenommen, und sie war überrascht gewesen, wie stilecht die Anlage restauriert und wie geschmackvoll sein Haus eingerichtet war. Claasen war sofort neugierig, denn von dem, was Urs in den letzten drei Wochen eingesammelt hatte, konnte er allenfalls einen kargen Lebensunterhalt bestreiten.

Nach der Unterhaltung stellte Claasen seine Pläne für den Abend um. Als er sich von der Ärztin getrennt hatte, suchte er die Wirtin auf und informierte sie, dass er noch am Abend auschecken müsse, und bat sie, ihn in etwa einer Stunde ans Festland bringen zu lassen. Für die Wirtin war es keine ungewöhnliche Forderung. Auf einer Hallig von der Größe Runholds gab es immer Gäste, die selbst mitten in der Nacht ans Festland gebracht werden wollten.

Claasen eilte aufs Zimmer, packte seine Sachen und war nach einer Dreiviertelstunde abfahrbereit. Von seinem Zimmer aus bestellte er für die Nacht ein Hotelzimmer in Husum und ging dann nach unten. Hier wartete bereits der Sohn der Wirtin, um ihn ans Festland zu bringen. Während der Flut war die Überfahrt kein Problem. Mit dem flachen Motorboot brauchte sich der junge Mann nicht an die ausgewiesenen Fahrrinnen zu halten, sondern konnte den direkten Weg nehmen.

Kapitel 3

Vom Boot aus bestellte Claasen ein Taxi zum Anleger. Sobald sein Fahrgast das Motorboot verlassen hatte, fuhr der junge Mann wieder zurück nach Runhold.

Claasen ging zum Taxi.

»Zum Hotel Altes Gymnasium«, wies er den Taxifahrer an.

Der Empfang dort war mit einer jungen Frau besetzt. Nachdem er das obligatorische Anmeldeformular ausgefüllt hatte, fragte er: »Ich brauche ein Fahrrad. Besteht die Möglichkeit, in Husum noch eins zu mieten?«

»Um diese Uhrzeit nicht mehr«, antwortete die junge Frau mit einem bedauernden Lächeln. »Wie lange benötigen Sie es denn?«

»Ich will einen Freund besuchen, der in Schobüll wohnt. Ich denke, ich bin so gegen zwei Uhr morgens zurück.«

»Wenn Sie mir versprechen, vorsichtig zu sein, könnte ich Ihnen meins geben. Ich habe Nachtdienst und müsste es spätestens um acht Uhr morgens wiederhaben.«

»Super! Das ist sehr lieb von Ihnen. Ich verspreche, ich werde es wie meinen Augapfel hüten.«

»So vorsichtig müssen Sie nun auch wieder nicht sein«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln. Ihr schien der fremde Mann zu gefallen. »Aber wenn etwas kaputtgeht, müssen Sie die Reparatur bezahlen.«

»Das versteht sich von selbst.«

»Gut, das Fahrrad steht auf dem Hof. Hier ist der Schlüssel fürs Schloss. Es ist das mit dem roten Rahmen.« Sie zog den Schlüssel aus der Hosentasche und reichte ihn über den Tresen.

Claasen hatte währenddessen sein Portemonnaie aus der Hosentasche gezogen. Er öffnete es, nahm einen Zwanzigeuroschein hervor und schob ihn der netten Angestellten hinüber.

»Leihgebühr«, sagte er.

Die Frau wollte ablehnen, doch Claasen bestand darauf, dass sie den Schein einsteckte.