Arschlagen - Sjors van Gustök - E-Book

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Sjors van Gustök

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Beschreibung

Ein Teil eines Städtchens - in der Region des westfälischen Schinkens, des Steinhägers und des Rolinckbiers - ist Schauplatz von Heimat und Milieu in dieser Erzählung. Unter der Gaslaterne, an der Ecke, am Briefkasten stehen sie immer: Die Jungs, aus denen Männer werden. Jeder hat seine eigene Entwicklung und sein eigenes Schicksal. Eines bleibt bis heute - für die noch im Leben stehen - gleich: Sie können nur die alten Freunde verlieren, keine neuen Freunde mehr gewinnen. Die Vergangenheit zeigt sich stärker als die Gegenwart.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Jungs, ich habe euch nicht vergessen, noch jeden

gut vor Augen. Egal was war, durch euch hatte

ich das, was Heimat genannt wird.

Ich gedenke derer, die nicht mehr sind -

und grüße, die noch sind.

Sjors

.

Meinem Enkel Johnny Jason zugeeinet

Sjors van Gustök

Arschlagen

Romanerzählung

.

© 2021Sjors van Gustök

Umschlag, Illustration: Sjors van Gustök

Druck und Distribution im Auftrag von Sjors van Gustök:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

ISBN

 

Paperback

ISBN 978-3-347-50086-0

Hardcover

ISBN 978-3-347-50087-7

e-Book

ISBN 978-3-347-50088-4

Großschrift

ISBN 978-3-347-53972-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor Sjors van Gustök verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

.

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel: Aus der einen Ecke

2. Kapitel: Aus der anderen Ecke

3. Kapitel: Das Unternehmen

4. Kapitel: Auf dem Block

Glossar

Vorwort

Diese kleine Erzählung hat mich in Corona-Zeiten abgelenkt. Ich habe Ausdrücke verwendet, die teilweise die Sprache auf meiner Straße wiedergeben, woran ich mich gerne erinnere – obwohl es hin und wieder grausam war. Rückblickend möchte ich jedoch nicht ein Wort davon missen. Für diejenigen, die ein Wort, einen Begriff nicht verstehen oder dessen Sinn nicht erkennen, ist als Appendix eine klärende, alphabetisch sortierte Übersicht gegeben.

Sie lesen in ARSCHLAGEN viel von dem, was anfänglich zum Schmunzeln einlädt, also: nur zu! Sie lesen aber auch viel von dem, womit Empathie zu proben ist.

In der Story könnten Mitglieder einer Gang oder einer Clique gemeint und angesprochen sein. Besser ist es, einfach von Eckenstehern zu sprechen. Das kommt am ehesten hin.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Vielleicht können Sie beim Lesen genießen und es gelingt mir, dass Sie dabei sind.

gez. Sjors van Gustök

1. Kapitel: Aus der einen Ecke

„Von welche Ecke kümpt de oder de wech?“, hieß es, wenn jemand aus den anderen Stadtteilen oder eines noch näher bezeichneten anderen Bezirks mehr oder weniger auffällig auftauchte. Die vom Ehreichenplatz waren eben dort zu finden. An Wochenenden immer. An Werktagen schon ab mittags, spätestens ab Feierabend oder zur beginnenden Nacht. Sicherlich konnten sie sich nicht alle von zu Hause so abseilen wie sie wollten, aber mehrheitlich gelang das regelmäßig und es gab ja auch noch den Ausstieg durch die Zimmerfenster oder durch die Hinter- und Kellertüren.

Es war schon besonders, wenn sich einzelne über die Grenze ihres vertrauten Viertels oder Stadtteils hinweg bewegt haben. Sie mussten erzählen. Eben alles. Gab es nichts Spannendes, gab es ja noch das Flunkern, das Lügen. Manchmal waren auch alle Mann außerhalb und dann gab es nichts zu spinnen, denn jeder war ja dabei und es war ja dann auch ohnehin stets spannend. Es passierte schon was. Immer. Schließlich waren sie unterwegs, um was anzurichten und es hielt sich die Waage, ob die Absichten ihrer Streifzüge von Sinn oder Unsinn geprägt waren. Aber ohne Risiko lief nichts. Übrigens: Mädchen spielten eine untergeordnete Rolle. Diese waren denen zu häuslich, zu sauber, zu anständig. Eifersüchteleien unter den Jungs gab es wegen diesem oder jenem Mädchen schon. Doch mehr kam es zu penetranten Eifersüchteleien, wurde einer vom Ehreichenplatz von einem vom Ehreichenplatz gesehen, wenn er mit anderen, die nicht vom Ehreichenplatz waren, einfach nur sprach. Etwa mit Leuten vom Weberbusch oder vom Kehrkamp oder vom Knechtebrink oder von den Kalkbrüchen. Das Ereignis machte die Runde und das Tribunal wurde aktiv. Es begannen nahezu Verhöre. Das dauerte an, bis die Neugierde befriedigt war oder einmütig festgestellt wurde, dass der Kontakt nicht bedeutend, also harmlos war. Ihre Welt war der gelbe Briefkasten gleich neben der Gaslaterne an der Ecke eines großen Bahnhauses, eines von zweien. Alle Briefkästen der Post waren gelb. Verabredet wurde sich aber ausdrücklich und niemals anders: Am gelben Briefkasten. Im Gegensatz zu den anderen Briefkästen der Stadt war die gelbe Metalllackierung dieses Anlaufpunktes an manchen Stellen porös und auch teilweise völlig abgeplatzt. Schließlich hatte der Kasten ja was mitgemacht. Donnernde Faustschläge vieler schmutziger Hände musste der aushalten, ausgedrückte Kippen und die vielen kleinen eingekratzten Botschaften. Wer dran war, versenkte sein Gesicht in die rechte Armbeuge und lehnte sich gegen den Kasten. Mit dem linken Arm stützte er sich am Laternenpfahl ab. Die ausgeprägten gusseisernen Verzierungen des Pfahls schmeichelten der Hand. Es konnten kleine Figuren oder Symbole erraten werden. Diese waren aber nichts weiter als Ornamente.

„Ich zähle nur bis zehn, dann will ich keinen seh´n, vor mir und neben mir und an beiden Seiten „gildet“ nicht“, lautete der Vers.

Vor mir? Ging gar nicht. Da war ja der Kasten am Haus. Neben mir und an beiden Seiten war auch nur eingeschränkt möglich. Links war ja der Laternenpfahl. Es war aber nicht der Mühe wert, beim Versteckspiel den Spruch zu überdenken oder gar zu korrigieren. Versteckspiel ein Kinderkram? Mitnichten. Einer fuhr schon mit einem Auto vor, viele mit einer Zündapp, Motor fünfzig Kubikzentimeter Hubraum. Vom Briefkasten aus, von der Ecke aus, konnte der gesamte Ehreichenplatz eingesehen werden. Zwischen den großzügig verteilten Eichen auf dem Platz sprang die Bahnschranke ins Auge und das noch kleine Stück der vertrauten Wallgrundstraße, die dahin führte. Ganz rechts begrenzte die Ecke des zweiten Bahnhauses das Panorama. Links am Laternenpfahl vorbei war das große Haus des Hutmachers Plauger zu sehen, der in der Gegend den ersten großen Mercedes hatte und auch schon einen großen Laden in Stadtmitte eröffnen konnte. Das Versteckspiel war in der dunklen Jahreszeit angesagt. Dann, wenn die Laterne brannte. Es musste dazu stets gewartet werden, bis der Stadtbedienstete mit seinem Motorroller vorbei kam und die lange Stange mit dem Haken dran aus dem in einem speziell am Fahrzeug angebrachten Köcher zog. Damit hatte er die noch vorhandenen Gaslaternen der Stadt an dem Ring an einer kleinen Kette in Betrieb zu setzen. Manchmal kam er unnötig. Dann, wenn Jonni mit einer langen Bohnenstange den Job schon gemacht hatte. Das war nicht selten schon mittags. Dem Stadtbediensteten war dann stets anzusehen, dass er grübelte. Er fühlte sich wohl schuldig vergessen zu haben, diese Laterne bei Anbruch des Tageslichtes wieder auszuschalten. Das gehörte nämlich auch zu seinen Aufgaben. Eine automatische Schaltung gab es für solche Laternen nämlich nicht.

Jonni kam aus der Jessefamilie. Die wohnten im ersten Bahnhaus, ganz unten rechts. In den fünfstöckigen Bahnhäusern wohnten ausschließlich Bedienstete der Deutschen Bundesbahn, daher die allseitig bekannte Bezeichnung Bahnhäuser. Jonni galt als Rüpel, Bunke und Klauhans. Wenn in der nicht weit entfernt gelegenen Mariahilfkirche die Glocken mitten in der Nacht oder mitten in der Woche am Tag grundlos langanhaltend läuteten, war das auf Jonni zurückzuführen. Die warnende Bimmel der Bahnschranke, wenn sie runter- oder hochgekurbelt wurde, war das zweite Instrument in dem Konzert. Das dritte Instrument war dazu das mehrstimmig einsetzende Hundegebell und bisweilen auch Hundejaulen, bedingt durch eben empfindliche Ohren. Lag Schnee, war die Illusion von Wolfsrudeln in eisigen sibirischen Wäldern perfekt. Jonni hatte stoßweise ordentlich Geld in der Tasche. Er wusste, wo der leicht zu erreichende Schlüssel zu der Wohnung seiner Tante im anderen Stadtteil auf dem Balkon in einem Blumenkasten versteckt war. Diese Tante sammelte das Hartgeld ab Fuchs aufwärts in einer Kaffeekanne im oberen Regal des Küchenschrankes. Daraus bediente er sich, wenn er von der Abwesenheit der Tante ausgehen konnte. Von dem Geld kaufte er sich seine Pannenkacker, die nicht billig waren. Meistens Brieftauben als Pärchen, wovon er sich viel Küken versprach.

„Der Alte kann wohl nicht oder die Alte will wohl nicht brüten!“, meckerte er im Taubenschlag oben im Dachgeschoss eines Anbaus des Bahnhauses. „Wenn da nichts kommt, reiß ich denen den Kopp ab!“, gab er gnadenlos von sich. Klar, eines Tages musste auch Schluss mit dem Geldsegen sein. Der Schlüssel lag nicht mehr an der gleichen Stelle. Die Tante bemerkte, wenn auch nach sehr langer Zeit, weil es eine große Kaffeekanne war, dass mit ihrem Sparvorrat etwas nicht stimmte. Sie hatte konkret ihren Neffen Jonni, in Verdacht. Mangels Beweis lief aber ihre Anzeige bei der Polizei ins Leere und die Eltern von Jonni waren es ohnehin leid, den Anschuldigungen gegen ihr schwarzes Schaf nachzugehen. Sie hatten kraftlos aufgegeben. Es gab zu viele davon. Sapi Enne, auch Satan Enne bemerkte der Unschuldige dann immer. „Sie verfolgen mich wieder.“ Es waren dann die Tschakos gemeint, die ihm Unrecht antun wollten. Selbst dann, wenn er verkehrt herum auf dem hinteren Sitz eines wieder einmal von ihm und Hanno englisch ausgeliehenem zweisitzigen Mopeds mit Grimassen und dem Zeigen der langen Nase in Richtung des mit Martinshorn und Blaulicht verfolgenden Polizeikäfers die Wallgrundstraße herunter raste und den Kumpels am Rande ein einmaliges Schauspiel bot. Hanno, der gerne die praktische Anwendung von Parisern übte, trug eine Brille, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Zum Beispiel beim Fahren mit einem Moped. Schließlich hatte die Brille die notwendigen stärksten optischen Gläser, die vorstellbar waren, und damit sahen seine Augen aus wie Fischmäuler am Glas eines Aquariums. Mit dieser Brille konnte er aber gut das Pättken finden, das kurz vor dem hochgelegenen Bahndamm der Privatbahn am Anfang der Wallgrundstraße rechtwinkelig abzweigte. Hanno und Jonni schossen halsbrecherisch durch die beiden metallischen Sperrpoller des Pättkens hindurch und damit war Indischen für die Tschakos, wie Jonni sich auszudrücken pflegte, als er in heldenhafter Pose nach Stunden wieder den Weg zum gelben Briefkasten gefunden hatte. Hanno galt an diesem Tag und auch in der Nacht als verschwunden. Die Mutter war verzweifelt und trieb ihren Mann an, den Sohn überall zu suchen. Der hatte sich aber gut vor den Tschakos am alten Güterbahnhof der Privatbahn samt Moped versteckt und tauchte erst am nächsten Tag spät abends mit einem Grinsen im Gesicht am gelben Briefkasten unter der Laterne auf. Als die Jungs ihn langsam auf sich zukommen sahen, meinten sie, einen tastenden Blinden zu erkennen. Gar nicht weit gefehlt, denn Hanno hatte die Brille wieder nicht auf und verließ sich voll und ganz auf seine den Weg gewohnten Beine. Erst als er das Gejohle und Feixen der Jungs vernahm, wurden seine Schritte schneller und zielstrebiger. Unter der Laterne gaben sie sich der Sensation hin, bis auf die anwesenden Brüder von Jonni, die sich eher besorgt und zurückhaltend zeigten. Die beiden Mopedfahrer genossen jedoch die überwiegend erteilte volle Anerkennung. Aus mehreren Richtungen wurde den beiden Helden Fluppen angeboten und der wegen seiner hohen Stimme so genannte Piepse, auch einer aus dem ersten Bahnhaus, dritter Stock rechts, frisch zugezogen, führte zur Feier des Abends sein neues Kofferradio vor, was von da ab an häufiger an der Ecke zu hören war. Der rauschende und in seiner Lautstärke ständig wechselnde Empfang des Mittelwellensenders von Radio Luxemburg irritierte die älteren Anwohner nicht nur, sondern ließe sie sich auch zu Schimpftiriaden und Drohungen hinreißen. Nur, wenn es nicht aus einer Familie der Jungs kam, führte das zu schallendem Gelächter und es wurde noch weiter aufgedreht. Machte sich ein hemdsärmeliger Mann aus einem der umliegenden Wohnhäuser verärgert auf den Weg zu der lärmenden Truppe, verdünnisierten sie sich schnell in den Innenbereich eines der Bahnhäuser. Dort waren sie sicher. Es gab dort auf den Höfen jeweils eine Reihe von Barackenschuppen mit Plumpsklos, Schweine- und Hühnerställen und eine große ummauerte Pissecke für die Männer, die oft bis zum Rand gefüllt war und nicht selten überlief. Auch gab es kleine Backsteinhäuschen für Gerätschaften und mit einer Waschküche mit zu befeuerndem Waschkessel und verschiedenen Bassins, in denen an heißen Sommertagen die Kinder im kalten Wasser Urlaub spielten, und es gab Reihen von Beeten, eingefriedet von dichten und mannshohen Hecken. Ideal. Dort irgendwo stellten sie sich hin und hielten die Schnauze.

Jonni, Popp, Schmuddelflunke, Spucki und Manni, der seinen Körper mit griffigen Gewichten aus selbst gegossenen Betonteilen stählte, blickten wie so oft eines Tages zu späterer Stunde an einem Herbsttag auf Jutta Jensch und machten alle anderen auf sie aufmerksam. Auch Öli, er wohnte ein Stück weiter weg, stellte sich ein. Schwarze Lederjacke und weiße Mokassin. Der wahre Rocker. Harri, aus dem ersten Bahnhaus, sehr engagiert bei den Fußballturnieren auf dem Ehreichenplatz, ansonsten nur immer kurz dabei, wurde neugierig und wollte sich jetzt alle Zeit der Welt nehmen. Die Jensch wohnte in einer Parallelstraße der Wallgrundstraße und ging über die grell erleuchtete Bahnschranke in Richtung ihres Zuhauses, Droschestraße. Gleich gegenüber der Fabrik. Sie wohnte in einem schmalen Eigenheim der Eltern und hatte ihr Zimmer im Obergeschoss.

„Die hat Titten, mannmannmann, und wie die geht … und der kurze Rock … Leute …, die weiß, was sie macht“, waren sie sich schnell einig. Und dann kam es heraus: Popp, wieder mit viel Paste im Haar, hatte die Idee. Ausnahmsweise dieses Mal nicht Jonni. Popp war einmal vor ihrem Haus. Er betonte, nicht aufgefallen zu sein. Er wäre auf der anderen Straßenseite gewesen und hätte sich Das da mehr im Vorbeigehen und schräg rüber angesehen.

„Die könnten wir bepillern, das geht, könnten wir jetzt machen, ist ja schon dunkel“, schlug er vor.

„Was wird gemacht?“, fragte Jögen.

Er bekam keine Antwort. Keiner reagierte. Hilflos blickte er zu Motz, der mindestens zwei Jahre älter war als er und zu dem er besonderes Vertrauen hatte. Motz hatte einen Tarzan-Fimmel, einen Old Shatterhand-Fimmel und auch Herkules-Fimmel. Mehr Fimmel gingen bald nicht mehr. Daran konnte Jögen vollen Anteil haben. Wie in einer Schulung erfuhr er von Tarzans Fähigkeiten und dass die Elefanten seine Freunde waren und dass Old Shatterhand allen überlegen war mit seinem Freund Winnetou und der Herkules Kraft ohne Ende hatte, der habe Paläste zum Einstürzen gebracht.

Motz, jetzt schon fünfzehn, kam mit seinen Eltern und dem Bruder Hansi aus dem nahen Stemmen. Es war der, dessen Bett mitihm drin auf einem Güterwagenwaggon landete. Das ist zwei bis drei Jahre vorher gewesen. Es wurde davon gesprochen. Es stand seinerzeit alles in der Zeitung und eindrucksvolle Bilder dazu waren auch abgedruckt. Ein Güterzug raste mit zu hoher Geschwindigkeit in einer Schienenkurve in ein Wohn-Bahnwärter-Haus, in dem die Familie wohnte. Außer Sachschaden und leichten Verletzungen war nichts passiert. Der Vater bediente dort die Schranken. Das geschah noch mit der Kurbel und geschah auf dem Podest vor dem Haus. Was war schon Schrankenwärter oder Kurbeldreher? Motz hatte dazu oft die passende Erklärung auf Lager:

„Das ist einer, der sein Geld im Handumdrehen verdient, und das ist was, was nicht jeder kann.“

Das leuchtete ein. Wenn jetzt sein Alter auf dem Posten am Ehreichenplatz Dienst tat und sich oben auf dem ausgelagerten Podest des Bahnwärterhauses zeigte, wenn er die Schranken runter und wieder hoch bewegte, wenn die durchdringende Bimmel der Anlage dann die heimatlichen Klänge von sich gab, nickten die Jungs anerkennend zu Motz rüber.

Es gab noch einen weiteren Schrankenwärter. Den egozentrischen Mann aus der Wallgrundstraße: Zischke. Der hatte in der Regel Nachtdienst und es blieb nicht verborgen, dass der oft die eine oder andere Witwe dort oben beglückte.

Nun, der hatte es mit Weibern, Motzes Vater mit dem in seiner Kneipe abgefüllten Gestritztem. Deshalb wirkte der für Wartende an der Schranke im hellen Sonnenlicht oft so außergewöhnlich fröhlich. Er winkte oft, pfiff und tänzelte. Nicht selten rauschte auch ein Zug durch, ohne dass die Bahnschranken unten waren. Nicht begreiflich, dass keine Passanten erfasst wurden. Nicht einmal Beschwerden hat es gegeben. Der fröhliche Bahnwärter war über alle Maßen beliebt.

„Ich weiß auch noch nicht genau, wie wir pillern“, warte ab, Popp macht das schon und du kommst natürlich mit, halte dich aber hinter mir“, sagte Motz leise zu Jögen. Es war soweit. Popp, der zeichnete sich durch schwulstige Lippen aus, auf Fotos sah er aus wie ein geschminkter Clown, und übernahm die Führung. Auf in die Dunkelheit. In Reihe folgten Jonni, der Stinki, als den ihn in brenzligen Situationen rettenden Kumpan hinter sich wusste, dann Jonnis ältere Brüder Franz und Barni, die gerne in den Nachbargärten in der Dunkelheit durch die heruntergelassenen Rollläden spannten, saure Äpfel stahlen, um sie abends im Bett bei einem Schmöker zu essen, Jonnis jüngster Bruder Kuddel, der noch bis zu Beginn seiner Lehre als Autoschlosser auf der Straße beim Indianerspiel mit den kleinen Krotzen dabei war und als Cowboy das Whiskywegkippen an der Bar mit einem Schnapsglas und Wasser traumverloren simulierte. Als Bar hatte er sich dazu eine riesige und schwere Bahngleisschwelle auf zwei aufgeschichtete Ziegelsteintürme hoch gewuppt, was ihm eines Tages schwarze Zehen einbrachte. Der Umsturz war nicht zu verhindern und auch absehbar. Gleich hinter Kuddel marschierte Spucki, der unter Spuckzwang stand und sehr geschickt in der Annahme von hochgeschossenen Pässen der Pille war. Erst Brust, dann nickte er die Pille mit der Stirn runter vor seine Füße.

„Du hast ja auch ein Gesicht wie eine Rutschbahn“, stänkerte Jonni ihn an, wenn dem Spucki das gelang, was auch er gerne gekonnt hätte. Spucki hatte tatsächlich ein etwas abgeschrägtes Gesicht, also eines mit Gefälle und die Gesichtsform musste schon als dreieckig bezeichnet werden. Anders als bei seinem Bruder Schmuddelflunke und auch mit von der Partie. Der hatte im Gegensatz zu seinem Bruder Spucki mehr ein rechtwinkeliges Gesicht, erinnerte an einen kleinen hochgestellten Schuhkarton, auf einer langen und schlanken Statur. Den Namen Schmuddelflunke wurde er nicht mehr los und der wurde ihm damals verpasst, als Motz noch als Edelcowboy die Rollen und Funktionen bei den Kampfspielen verteilte, gar anordnete, und er musste eben den Stamm der Schwarzfußindianer vertreten. Dann Hanno. Voller Erwartung und keuchend tippelte er mit. Natürlich jetzt mit der Brille auf der Nase und der geilen Hoffnung, dass es was zu sehen geben werde. Das Schlusslicht des Spähtrupps bildeten Jögen, gefolgt von Motz, in einer gewissen Schutzfunktion für ihn und Piepse, der beim Laufen mehr nach hinten sah als nach vorne. Ach so – Olli ist noch hinzugestoßen. Sohn des Schlossermeisters in der kopfsteingepflasterten Wallgrundstraße. Der hatte schon so eine Schnapsnase wie der Vater, der richtig mit dem Saufen anfing, als er sich zum Schützenkönig vom Ehreichenplatz hochgeschossen hatte. Er hatte bereits seine Gesellenprüfung bestanden, galt schon als Juniorchef und freute sich auf Schmuddelflunke, der mit nachbarschaftlichem Vorzug eine Lehrstelle als Eisenstift, wie es hieß, zugesagt bekommen hatte. Olli hatte sich schon die Quälereien für ihn ausgedacht und würde sein Programm fahren, sobald der neue Lehrling im Blaumann stecken würde. Die Älteren, Bodo von den Jesses, schon verheiratet mit einer, über die schon viele rüber gegangen sein sollen, Adolf von den Jesses, schon dreißig Jahre alt, Epileptiker, Kirchgänger, belesen und stets sehr korrekt in Anzug mit Hemd und Krawatte auftretend, waren nicht dabei. Auch Hansi, Motzes Bruder, nicht, der war viel zu vernünftig.

Motz sollte am nächsten Tag was erleben. Der hatte am Vortag unerlaubter Weise die Vespa des älteren Bruders aus dem Schuppen geholt und damit hoch feierlich seine Runden durch die ganze Gegend gedreht. Das wurde bemerkt. Hansi war mit seiner Vespa sehr eigen, nicht mal anfassen durften die Jungs. Aber gerade die Jungs hatten ihm das gesteckt. Sie freuten sich schon darauf, wenn Motz seine derbe Arschlage bekäme. Es gab ein gewisses Gespür für Zeitpunkte und Betroffene von Arschlagen. Dann ging es darum, die Darbietung nicht zu verpassen. Manchmal gab es was zu sehen, zu hören aber immer. So um die Ecke herum oder unter dem Fenster oder in hervorragender Tonqualität im Hausflur.

Jetzt ging es aber zunächst darum, Jutta Jensch zu bespannen. Auf dem kurzen Weg dahin, im Schatten der Dunkelheit, im Schatten der schwachen Straßenlaternenbeleuchtung, musste keiner einen anderen Kumpel ermahnen, leise zu sein, nicht zu sprechen, nicht zu lachen. Das war im Klub Routine, jeder wusste, was gebacken war. Einer nach dem anderen schlich sich hinter Popp durch das Gartentor in den schmalen Zugangsweg bis fast vor die Haustüre. Popp instruierte flüsternd:

„Da oben, das Fenster. Es ist schon Licht an. Wir können alles sehen. Keine Gardinen. Gleich geht sie ins Bett. Sie zieht sich dann vorher auch in dem Zimmer immer aus. Das weiß ich. Wenn sie den BH abnimmt, ja, ja dann könnt ihr voll ihre Titten sehen, vielleicht sogar alles. Wir können hier in den Ästen der Tanne hochklettern. Die steht doch ideal da, perfekter Aussichtsturm. Los geht es!“ Popp kletterte in die hohe Tanne, die einfach einladend dastand. Auf den stabil wirkenden Ästen, die vom Stamm ausgingen, gelangte er ziemlich hoch und hatte einen Blick von oben in das Fenster, gegeben wie von einer Theaterloge aus. Jonni drängte sich vor, er wollte der zweite von den ungebetenen Gästen sein. Olli