Aruns Geschichte - Martin Frank - E-Book

Aruns Geschichte E-Book

Martin Frank

4,9

Beschreibung

Mitten im Studium geht Arun das Geld aus. Zum Glück bekommt er einen Job als Dolmetscher für Ernst, einen Studenten aus Europa. Damit sind seine finanziellen Sorgen vorbei, aber er hat ein neues Problem: Ernst ist in ihn verliebt. Arun fühlt sich seinem Wohltäter irgendwie verpflichtet und ist ja auch nicht prüde, aber Ernst muss über alles gleich viele Worte machen, und das ist für Arun ganz einfach anstößig. Außerdem liebt er Mary. Die beiden werden Freunde und studieren zusammen; Arun lernt, Ernst zu verstehen, und Ernst wird jeden Tag etwas indischer. Und dann begegnet Ernst Aruns Bruder Hari, dem im Leben alles so viel leichter fällt. Martin Frank hat mit Arun eine unvergessliche Gestalt erschaffen, einen viel zu dünnhäutigen Mann, der trotz seiner Armut all seinen moralischen Verpflichtungen mit Hingabe nachzukommen versucht. Arun und Ernst führen die Leser in ein Indien, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.

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MARTTIN FRANK

ARUNS GESCHICHTE

ROMAN

Männerschwarm VerlagHamburg 2012

I

OM NAMAH SHIVAYAH!

Des Herrn Braut bin ich,

Meine Lippen sind immer auf den Füßen meines Herrn.

AM TEMPELTEICH

Madhu singt, und sein Lied erzählt von der Schönheit Gott Murugans und ist voll der Süße, ein Tamile zu sein. Madhu ist außerordentlich begabt, und wie ein kräftiger Ringer scheut er sich nicht, seine Stärke zu zeigen. Wir sind Freunde, seitdem wir als Kinder nackt auf der Dorfstraße herumgerannt sind, aber noch immer treibt mir seine Stimme Tränen in die Augen. Wenn er über die Musik spricht, die er in seinen Träumen hört, scheinen seine Augen einen weit entfernten Ort zu sehen, jenseits meines Verständnisses, im Reich der Göttin Saraswati.

Ich will einfach nur Musiker werden, egal ob ich begabt bin oder nicht. Ich träume davon, vor Publikum aufzutreten und nach ÜBERSEE zu gehen. Wenn ich Glück habe, träume ich nachts vom Körper eines bestimmten Mädchens – ich schäme mich davon zu sprechen.

Madhu, Radhu, Vishnu und ich sitzen auf den Stufen des Tempelteichs. Ich kämme mir mit den nassen Fingern ein paar Tropfen duftendes Öl ins Haar, das mir Radhu geschenkt hat, ein effeminierter Nayarjunge, der gerade behutsam Madhus Hals und Nacken massiert.

Neben Madhu sitzt Vishnu, der Sohn des Priesters. Er hat regelmäßige Gesichtszüge, große Augen und einen schlanken, muskulösen Körper. Die Jungen bewundern ihn und die Dorfältesten machen sich Sorgen, denn jedermann vermutet, dass er geheime Affären hat. Ich habe gehört, dass er eingeladen wurde, die Nacht mit dem Sohn eines Industriellen und zwei Frauen in einer Lodge in Ooty zu verbringen. Vishnu ist achtzehn Jahre alt und stolz auf seine Abenteuer. Sein Charakter ist so von Sinnlichkeit geprägt, dass niemand etwas anderes von ihm erwartet.

Hari, mein jüngerer Bruder, steigt aus dem Teich, in dem er mit ein paar Jungen gebadet hat, die eigentlich nicht hierher gehören, Nayars und Geringere als Nayars, sein halbes Kricketteam. Alle tragen nur nasse Unterhosen, und die Jungen machen anzügliche Witze über das, was sich bei Hari darunter abzeichnet. Hari schwingt sich vom Dach des Badehauses zurück ins Wasser. Die alten Männer, die im Schatten sitzen, schimpfen zwar, fügen aber gleich hinzu: «Als wir jung waren, sind wir so oft vom Dach gesprungen, dass es fast eingestürzt ist.»

Auch den alten Knackern fällt nichts Besseres ein, als sich darüber lustig zu machen, dass Haris größte Gabe nicht zwischen seinen Ohren sitzt. Hari tut, als machten ihm die Scherze nichts aus. «Es ist ein Zeichen, dass ich tausend Söhne haben werde.»

Mir geht es auf die Nerven, Tag für Tag den gleichen Scherz zu hören. Die Dorfmädchen werden schon rot, wenn sie Hari in kurzen Hosen Hockey spielen sehen. Er ist der größte Herzensbrecher, ein Sportsheld, Kapitän der Kricketmannschaft und Mitglied jedes Schulsportteams. Er will Gymnastiklehrer werden. Jeder mag ihn, vor allem die Mädchen, die in unserer Küche herumhängen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen, und die kleinen Jungen bewundern ihn: Unser Hinterhof ist ihr Kino. Hari imitiert Schauspieler, tanzt, erzählt Witze, singt Filmsongs für sie. Selbst wenn Hari traurig ist, zwingt er sich, fröhlich zu sein.

Mitten in der Nacht, wenn er rausgeht, um auf die Straße zu pissen, trifft er manchmal Vishnu oder einen anderen von unseren Dorfnichtsnutzen und kommt erst nach einer Stunde zurück. «Wir sind im Tempelteich geschwommen, Subbu, Vishnu und ich.»

Ich fühle mich nicht wohl in Gesellschaft der Nayar-Tunichtgute, die nachts im Dorf herumhängen, um der Aufsicht ihrer strengen Tanten zu entgehen, auf der kleinen Brücke sitzen, Haschisch rauchen, unanständige Witze erzählen und Mädchen anpöbeln. Mir wäre lieber, wenn Hari sich von ihnen fernhalten könnte. Doch Hari ist ihr Guru. Sie beten ihn an, Rikschafahrer, Wäschejungen, Teejungen. Was kann ihm ihre Freundschaft schon nützen?

In den dunkler werdenden Schatten empfinde ich Furcht vor all den großen Fragen. Ich wickle mein Badetuch um die Hüften, ziehe Madhu an der Hand empor, wir gehen.

IN PURAYUR

Wir gehen an unserem weißen Dorftempel vorbei, der nur Brahmanen zugänglich ist, ein Relikt unseres Kastensystems. Madhu singt, und durch sein Lied werden der kleine Tempel und sein goldener Wimpel, der in den letzten Sonnenstrahlen glänzt, wieder zu dem, was sie immer waren: das Herz meines Dorfes, ein Teil meiner selbst.

Wir kommen am Dreschplatz vorbei und erreichen dann das eigentliche Dorf. Links stehen unsere Iyer-Häuser, weiß, mit niedrigen Vordächern und Basler Missionsziegeln. Rechts stehen die Häuser von Madhus Iyengar-Clan, weiß, mit niedrigen Vordächern und Basler Missionsziegeln. Dazwischen liegt unsere Dorfstraße, ein breiter Grasstreifen, auf dem wir zuerst nackt, dann in kurzen Hosen und barfuß gespielt haben. Später schlugen wir in unseren Schuluniformen stolz Kricketbälle und träumten davon, Kapitän einer Kricketmannschaft zu werden. Jetzt ist der Grasstreifen die Bühne, der Schauplatz unseres zukünftigen Triumphs, und wir hoffen, nach dem Studium dort eines Tages aus dem Taxi zu steigen.

Madhus Vater sitzt in einem alten Liegestuhl auf der Veranda und liest eine Zeitung. Er arbeitet als Buchhalter in der Niederlassung der Indian Overseas Bank in Palghat. Madhus Mutter und seine Schwestern sitzen auf dem Boden, schwatzen leise miteinander und putzen Gemüse. Eine Magd bringt Tee und der Vorarbeiter Gemüse, Früchte und Bananenblätter. Wie verschieden ist ihr Haushalt von unserem! Wir haben kein anderes Einkommen als den Ertrag unserer Felder.

IN UNSEREM HAUS

Vater liest in einem Magazin. Er ist heute bei einer Gerichtsverhandlung gewesen, es ging um ein Landstück, das er zusammen mit einigen entfernten Cousins geerbt hat. Vater verbringt die Tage lieber in der Kreisstadt Palghat, als unsere Feldarbeiter zu beaufsichtigen. Er sieht sich noch immer mehr als ein Landbesitzer und nicht als Bauer.

IN UNSERER KÜCHE

Mutter hat Reisnudeln zubereitet, weil es mein letzter Tag im Dorf ist.

IM HAUSE DES METZGERS

Nach dem Essen schleiche ich mich aus dem Haus, um an einem Treffen der lokalen Naxalitenzelle im Haus Ayyapasamys, eines Metzgers, teilzunehmen. Ich fühle mich als Revolutionär, der Verhaftung, Folter und Tod die Stirne bietet, um gegen den indischen Komprador-Kapitalismus zu kämpfen. Ich muss mich auf den roten Terrazzoboden setzen, der aussieht, als wäre er mit frischem Blut gewischt worden. Der rostige alte Ventilator ist zu schwach, um die stickige Luft zu bewegen. Schwärme von Fliegen, die wahrscheinlich zuvor auf einem blutigen Tierkadaver saßen, begrüßen mich. Es stinkt nach gebratenem Fleisch. Mir wird übel, und ich kann das Kotzen nur zurückhalten, indem ich die Zunge gegen den Gaumen presse.

Ich erwartete, dass sie über die Kampagne gegen die Schuldknechtschaft diskutieren. Doch stattdessen gibt mir Ayyappasamy Unterricht in Joga Asanas. Er wiederholt immer wieder vor seinen Töchtern: «Joga steigert die sexuelle Potenz.» Er nennt mich ständig Mylord wie unsere Arbeiter und tut sein Bestes, mir auf die Nerven zu gehen, indem er über Brahmanen referiert, von Opium für das Volk redet und das Wort Aktion wiederholt, als wäre es ein Zauberwort, das die Welt verändern wird.

Eine von Ayyappasamys zahllosen Töchtern bringt mir einen Stahlbecher. Was immer da drin ist, es riecht nach schlechtem Kaffee und schmeckt wie schlechter Tee. Ich trinke einen Schluck, um zu zeigen, dass ich keine Vorurteile habe.

Auf der anderen Seite des Raums sitzen ein paar übelgelaunte Landarbeiter und Reismühlenarbeiter und argumentieren für einen Landarbeiterstreik, aber als ich frage: «Wie sollen die Arbeiter denn überleben während des Streiks? Was wird aus der Ernte?», antwortet niemand. Der Kerl von der Telefonzentrale in Palghat, der mich hergebracht hat, sitzt neben mir und schweigt. Schämt er sich für ihre Dummheit oder meine?

Einer der missmutigen Landarbeiter fragt mich über unsere Felder aus, wie wir so viel Land behalten konnten, obwohl der Landbesitz gesetzlich geregelt ist, und ob Vater selbst in den Feldern arbeitet. Wollen sie uns denunzieren?

In einem Büchergestell stehen ein paar politische Bücher. Die Wände sind dekoriert mit Bildern von kommunistischen Führern. Über der Tür hängt eine Kugel aus Kuhmist mit ein paar Reishalmen darin; mit Ayyappasamys Atheismus ist es demnach nicht allzu weit her. In der Ecke mir gegenüber steht ein alter Schrank mit einer großen Spiegeltür. Statt ihrer sinnlosen Diskussion zuzuhören, studiere ich mein Spiegelbild. Stimmt es, dass ich wie Sanjay Gandhi aussehe? Ist meine Haut hell genug, um einem Mädchen zu gefallen? Verglichen mit den Gesichtern neben mir wirke ich hell. Die Landarbeiter sehen aus wie Ureinwohner. Auf dem Rückweg im Dunkeln kommt mir der Verdacht, dass das ganze Treffen eine Täuschung war, weil sie mir nicht vertrauen.

PURAYUR

Ich sehe keine Möglichkeit, an die Universität zurückzukehren. Wie kann ich studieren ohne Geld? Ich habe zwar ein Stipendium, das die Studiengebühren bezahlt, doch Wohnheim, Essen, «kleine Geschenke» und Beiträge für die Studentenorganisation muss ich selbst bezahlen. Mein Geld reicht nicht einmal für das Zugticket! Ich denke, Ich gehe nicht, aber ich weiß, dass ich gehen werde. Ich darf mein Problem Vater und Mutter gegenüber nicht erwähnen, sie können mir nicht helfen. Statt der Katastrophe in den Rachen zu schauen, tue ich so, als würde ich glauben, dass der reiche Philanthrop Dr. Raja Krishna Menon oder der Raja von Kollengode mich unterstützen wird, oder dass mein Lehrer den großen Mridangam-Spieler Palghat Mani Iyer um Hilfe bitten wird. Aber keines dieser Wunder wird sich ereignen.

IM OBEREN ZIMMER

Nachts, als ich neben Hari liege, frage ich ihn: «Was denkst du, jüngerer Bruder?»

«Nichts, älterer Bruder. Es ist besser, nicht zu denken.»

«Warum? Was ist damit nicht in Ordnung?»

«Denken ändert nichts. Dinge lassen sich nicht wegdenken.»

Die Hitze in unserem Zimmer ist trotz der offenen Fenster und der zwei rostigen Ventilatoren unerträglich. Hari setzt sich auf und sagt: «Ich kann nicht schlafen.» Er verlässt das Haus, um sich im Tempelteich abzukühlen. Ich kann auch nicht schlafen, und um nicht an meine Sorgen zu denken, denke ich an eine gewisse Person. Mein offizieller Plan ist, reich zu heiraten, und das später wiedergutzumachen, indem ich ein berühmter Musiker werde. Ich würde ohne zu zögern in einer klimatisierten Hölle leben, um das zu erreichen. Nur, meine Chancen ein reiches Mädchen zu heiraten, selbst wenn sie schwarz ist wie ein Wasserbüffel, sind nun mal gleich null. Mein geheimer Plan ist einfacher: Meine Hände unter das Hemdchen eines Mädchens zu schieben und mit den Lippen ihre Haut berühren.

Der Gedanke an den Geruch eines Mädchenhemdchens macht mich wahnsinnig. Ich habe sogar schon einmal Windsor-Talkumpuder für Mutter gekauft, um mich an dem Duft zu berauschen.

Als Hari zurückkommt, erschöpft und nass, versprechen wir einander, dass wir immer für Mutter und Vater und für einander sorgen wollen. Hari respektiert mich mehr, als ich es verdiene. Er schläft dicht neben mir ein, als würde er immer noch glauben, dass ich ihn beschützen kann. Ich lege den Arm um ihn. Es ist meine Pflicht, mich um ihn zu kümmern, doch jetzt kann ich nicht einmal mir selbst helfen.

Endlich schlafe ich ein, doch ich träume nicht die Träume, die ich mir wünsche. In der Frühe wecken mich die Stimmen der Frauen draußen, die im Dunkeln zu arbeiten beginnen. Ich wünsche verzweifelt, dass es wieder gestern wäre und das Heute erst morgen beginnt, doch was kann ich machen? Wenn ich den Mund öffne, schnappt das Schicksal gleich zu. Soll ich mein Glück nicht zumindest versuchen?

IN UNSEREM BADEHAUS

Als ich die schweren Holztüren schließe, kommt es mir vor, als schlösse ich damit meine Probleme aus. Nach der klebrigen Hitze der Nacht, den Stunden von Halbschlaf und obszönen Gedanken, bin ich geborgen in der rauchigen, nach verbrannten Palmblättern riechenden Dunkelheit unseres Badehauses. Ich werde wieder zu dem kleinen Jungen, der sich zum ersten Mal alleine nackt in diesem dunklen und warmen Raum waschen durfte. Von draußen höre ich den schweren Atem unserer Ochsen und die Stimmen der Vögel in den Bäumen. Nackt in dieser Welt der Töne spüre ich meinen Körper, die Begierde. Ich will jetzt lieben und geliebt werden.

Beim Waschen sind meine Gedanken ein erbärmlicher Dialog zwischen mir und mir, in dem ich mich anklage und wieder entschuldige, meinen Traum mit meinem Traum rechtfertige. Ich bin dumm, doch meine Dummheit scheint für meinen zukünftigen Erfolg notwendig zu sein. Den Satz zu sagen, Ich mache einen Handelsabschluss und versuche, einen Job in einer Bank zu bekommen, wäre das Schlimmste, das ich mir vorstellen kann.

Während ich mich abtrockne, überkommt mich schon die Angst davor, das Badehaus zu verlassen. Außerhalb des warmen Halbdunkels lauert die schreckliche Wahrheit.

Ich entriegle und öffne die Tür zum Garten, entschlossen, meinem Traum alles andere zu opfern. Ich fürchte mich nicht. Ich habe die Gewissheit, dass der Traum mich für meine Treue belohnen und mein Leiden mit einem süßen Tod enden wird, romantisch und traurig, warmes Blut, das aus den Venen rinnt.

IN DER KÜCHE

Solange ich frühstücke, hoffe ich noch, dass jemand mit einer guten Nachricht ins Haus stürmen wird, dass ein Brief oder ein Telegramm ankommen wird, aber nichts passiert.

Mutter spricht über das, was ihr auf dem Herzen liegt, meine Heirat. «Mach dir keine Sorgen, Sohn! Mit Hilfe des Astrologen werden wir ein passendes Mädchen finden. Die Zeiten haben sich geändert, du darfst sie kennenlernen, bevor ihr euch entscheidet …»

«Ist gut, Mutter!»

IM OBEREN ZIMMER

Madhu ist noch nicht bereit zum Aufbruch, und ich lese in einer staubigen Romanze; Tränen der Scham erzählt von einer jungen Inderin, die von einem ausgewanderten Inder verführt wird, der in ÜBERSEE bereits verheiratet ist. Es ist schon so heiß, dass ich meine schweißigen Hände am Dhoti abwischen muss, bevor ich umblättern kann.

Was, wenn ich die Frau nicht mag, die Vater für mich auswählt? Was, wenn sie mich nicht liebt und nur hofft, dass ich nicht sterbe und sie zu einer jungen Witwe mache?

Ich schließe die Augen und stelle mir vor, was ich mir am liebsten vorstelle: Dass Mary, das gewisse Mädchen, sich in mich verlieben wird, und dass sie sich wünscht, dass ich sie berühre und küsse. Mary ist katholisch. Ihre Eltern müssen halbe Anglo-Inder sein, wer weiß, ob sie nicht zuhause Englisch sprechen? Ich vermute noch eine Menge mehr, aber ich will nicht über christliche Essgewohnheiten nachdenken.

Früher haben Jungen mit dreizehn oder vierzehn, Mädchen mit zwölf geheiratet. Wie wundervoll muss es gewesen sein, zu genießen, wenn die Begierde da ist, statt einsame Nächte zu verbringen, oder gegenseitige Befriedigung mit einem Freund zu suchen – oder gar geheime Affären, die Vater und Mutter verletzen.

IN UNSEREM HAUSTEMPEL

Ich verabschiede mich um elf Uhr mit Tränen in den Augen von Vater und Mutter, indem ich mich vor ihnen niederwerfe und ihre Füße berühre.

OM NAMAH SHIVAYAH!

II

BUSTATION PURAYUR

Madhu und ich steigen in den verbeulten alten Tata-Bus nach Olavakot ein. Hari ruft laut in seinem besten amerikanischen Akzent: «Alle Passagiere mit Air India Flug fünf-fünf-fünf nach ÜBERSEE werden gebeten, jetzt in den Bus zu steigen.» Alle lachen, und der Bus fährt ab. Hari läuft noch ein paar Schritte mit, dann bleibt er stehen und legt die Handflächen vor dem Gesicht zusammen.

IM BUS NACH OLAVAKOT

Madhu weiß, dass ich kein Geld habe, und bezahlt mein Ticket. Ich kontrolliere, ob meine Geige gut verstaut ist. Madhu fragt mich: «Glaubst du, wir werden es je nach ÜBERSEE schaffen?»

Nach ÜBERSEE zu fliegen! Davon träume ich seit der High-School. Einmal bin ich zu einer katholischen Messe gegangen, nur weil mir ein christlicher Student erzählt hatte, dass sie dich zum Studieren nach ÜBERSEE senden, wenn du Priester werden willst. Ich antworte Madhu: «Ohne Zweifel wirst du eines Tages gehen.»

Ich schiebe meine Hand durch das vergitterte Fenster, um den Fahrtwind zu spüren. Wir sind unterwegs. Die Geschwindigkeit des Busses macht mich glauben, dass ich meine Sorgen hinter mir gelassen habe, doch das Mitleid in Madhus Augen erinnert mich daran, dass wir nicht von meinen Problemen wegfahren, sondern auf sie zu.

Wir haben den langen Weg von unserem Dorf bis zur Universität in Chidambaram schon mehrmals zurückgelegt, aber dies ist das erste Mal, dass ich kein Geld habe. Madhu weiß es und bezahlt für mich wie ein Bruder. Wie kann ich das erste Jahr im Musik-College ohne Geld beginnen? Madhu und ich können im Nataraja-Tempel in Chidambaram ein paar Rupien verdienen, wenn Madhu singt und ich ihn auf der Geige begleite. Den Vorbereitungskurs habe ich überlebt, weil die Lehrer uns unterstützt haben. Im Musik-College sind die meisten Lehrer Pillais, die unsere brahmanischen Vorrechte nicht respektieren.

Madhu schaut mich an. «Sorge dich nicht, Bruder, vielleicht findet sich ein Job in der Universität.» Wir haben schon darüber gesprochen. Es gibt Studenten, die in der Kantine servieren oder für Professoren kleine Arbeiten erledigen.

IM BUS

Ich drehe mich zu Madhu. «Hab ich dir schon von letzter Nacht erzählt?»

«Wie war der Film?»

«Nichts Besonderes, aber als Hari und ich rauskamen, trafen wir Annadurai …»

«Annadurai ist tot.»

«Nein, nicht der, unser Wäschejunge, und er trug mein Hemd …»

«So ein Lump!»

«Er hat gesagt: ‚Ich dachte, Sie würden heute nicht ausgehen, Mylord!’»

«Und was hast du gesagt?»

«Hari hat ihm einen Blumenkranz süßester Wörter überreicht.»

Madhu lacht. Ich sehe, dass er glücklich ist, weil ich mir scheinbar keine Sorgen mache. Soll ich aus dem Bus springen und zu Fuß nachhause gehen? Was will ich in der Uni ohne Geld? Vater hat eine Hypothek aufgenommen, um mich durch den Vorbereitungskurs zu bringen. Die Hypothek war meine Idee. Wenn die Ernte ausfällt, haben wir zu wenig Geld, um die Zinsen zu bezahlen.

Außerhalb der vergitterten Busfenster liegen grüne Reisfelder. Studenten und Bauern steigen ein und aus. Die Berge verschwinden. Der Bus schüttelt mich auf dem heißen Plastiksitz herum. Was kann ich in der Universität tun ohne Geld? Am Ende muss ich die Geige verkaufen, um wieder nachhause zu kommen.

IM ZUG VON OLAVAKOT NACH ERODE

Im Bahnhof von Olavakot wartet schon der Zug nach Erode. Riesige dunkelrote Breitspurwagen, die nach heißem Staub, Pisse und Öl riechen. Zum Glück ist der Zug noch fast leer. Wir steigen ein und legen uns auf die hölzernen Pritschen. Ich starre hinüber zu den verriegelten Türen der Lagerhäuser. Die Mittagssonne scheint ihnen eine geheime Bedeutung zu geben, doch dann rattert ein Güterzug vorbei und löscht mit seinem Lärm alles aus. Höre ich in dem Getöse, was ich sonst nicht hören kann, den Klang des Universums?

Die Heimstätten der sieben Töne im Chaos zu unterscheiden, ist Befreiung.

Als der Lärm vorbei ist, versuche ich im Herzen festzuhalten, was ich gehört habe. Aber ich erinnere mich nur der verhassten Melodie, die mich verfolgt, seit ich ein kleiner Junge war. Ich bin froh, als unser Zug losfährt.

Wir fahren an Reisfeldern vorbei durch eine Ebene ohne Schatten. Der Ventilator über dem Fenster schwenkt wirkungslos von rechts nach links. Madhu hat die Augen geschlossen. Er ist keine Schönheit; sein schwerer Körper, sein dunkles Gesicht, seine dicken, widerspenstigen Haare lassen ihn plump erscheinen, aber er ist ein erstklassiger Freund und ein musikalisches Genie.

Solange Madhu bei mir ist, werde ich nicht verhungern. Vielleicht kann ich ein paar Jobs im Tempel für uns reinholen. Mit den Priestern versteh ich mich gut.

IM ZUG

Wir kreuzen eine Dorfstraße. Hinter den Schranken warten Schuljungen auf Fahrrädern und winken uns zu. Sie müssen glauben, wir hätten Glück, weil wir reisen dürfen. Wie fröhlich könnten wir sein, wie schön wäre die Welt ohne Geld.

Madhu singt wieder sein Lied. Ich singe mit und schlage die Trommel auf der Bank. Madhus Stimme beruhigt mich, als ob ihre Süße mich vor der Welt beschützte. Ist die Hingabe an die Gottheit nicht die Essenz der Welt? Die Füße des Herrn anzubeten Tag und Nacht?

Madhu lacht und singt eine Improvisation, die die Ebene der Reisfelder widerspiegelt und unseren Zug, der hindurch rattert. Außer mir darf niemand diese Improvisationen hören. Ich nähme gern die Geige hervor, aber ich möchte seine gute Laune nicht mit meiner Tölpelhaftigkeit verderben und trommle lieber weiter auf der Bank. Ich summe mit, was ich auf der Geige spielen würde, die Melodie der Arbeiter auf den Reisfeldern, der langsamen, schwer beladenen Ochsenkarren, der schnellen Ochsenwagen mit stolzen Kerlen drauf, der Wasserbüffel, die sich in den Kanälen suhlen, und dann ist es wieder reine Musik, Ausdruck unseres Stolzes, Tamilen zu sein.

IM BAHNHOF ERODE

Madhu kauft Vadais und Tee für uns. Während ich esse, schaue ich schlauen Krähen zu, die die Plastikdeckel von Zehn-Liter-Quarkkübeln mit ihren stahlharten Schnäbeln aufhacken. Es freut mich, dass es ihnen gelingt. Um zu überleben, muss man sich den Umständen anpassen. Wir tragen unser Gepäck die riesigen eisernen Treppen hinauf und hinunter. Der Bahnhof ist gigantisch, mit vielen Bahnsteigen. Warum steige ich nicht in einen anderen Zug als ausgerechnet den nach Chidambaram? Wenn Madhu nicht bei mir wäre, würde ich versuchen, nach Bombay und von dort nach ÜBERSEE zu gelangen. Dafür würde ich selbst die Geige verkaufen. Doch Vater, Mutter und Hari hoffen auf mich. Ich muss für sie sorgen. Nach ÜBERSEE zu gehen wäre wundervoll. Dort sind die Menschen frei zu tun, was sie wollen. Hier gibt es so viele Verpflichtungen, dass man stirbt, bevor man alle erfüllt hat. Unsere Armut raubt uns das Leben.

Ich laufe fast gegen einen Bücherstand. Einige Bücher sehen aus, als ob man sie besser nicht lesen sollte, Vergewaltigung, Tödliche Lust, Mann oder Weib? Ich habe schon solche Bücher gelesen, sie sind ziemlich drastisch. Aber ich habe kein Geld und kann Madhu nicht bitten, sein Geld für Schund auszugeben.

High-School-Mädchen in wunderschönen Halbsaris mit Jasminblüten in ihren schwarzen Zöpfen warten auf den Zug. Sie scherzen miteinander und merken nicht, dass ich sie anstarre. Bevor ich an Mädchen denken darf, muss ich Hari durch die Universität bringen!

Der Zug nach Tiruchirapally fährt ein und wieder haben wir Glück, zwei leere Bänke zu finden. Wir wechseln gleich in unsere Lungis und machen es uns bequem. Ich schaue Madhu an, die Hitze muss ihn plagen. Ich würde gern bei ihm liegen, aber die Bänke sind zu schmal.

Werde ich je Geld verdienen? Die Angst vor dem, was in Chidambaram auf mich zukommen mag, schnürt mir den Hals zu. Ich kann mir mit Madhu das Essen und sein Bett teilen. Wir sind Freunde. Es ist keine Schande, von ihm abhängig zu sein, aber wie kann ich die Einschreibegebühr bezahlen? Wie soll ich die Examen bestehen ohne «kleine Geschenke»? Es ist hoffnungslos. Ich habe zwei Hemden und eine Hose, zwei Dhotis und ein Lungi, die ich alle selber waschen kann. Aber meine Sandalen sind geflickt und wiedergeflickt. Neue kosten mindestens fünfundzwanzig Rupien. Und Bücher? Wie werde ich Bücher, Papier, Füllfederhalter, Tinte und Saiten für die Geige bezahlen?

Was wird der Meister sagen? Im Vorbereitungskurs hat uns sein Assistent Shivasamy unterrichtet, der freundlich und geduldig ist. Ab jetzt wird mich der Meister selbst lehren. Er ist ein Schüler Malaikottai Govindaswami Pillais, des legendären Violinisten. Die älteren Studenten sagten uns über den Meister: «Es ist unmöglich, ihn zufrieden zu stellen!»

Shivasamy hat mich im Vorbereitungskurs gut unterrichtet, seine Lektionen waren klar und gut vorbereitet. Er hat mir sehr geholfen, bei ihm habe ich mich nicht unter Druck gefühlt. Werde ich den Meister befriedigen können? Shivasamy hat gesagt: «Sorge dich nicht! Der Meister ist großzügig!»

Wenn ich je eine Stelle als Lehrer finde, möchte ich unterrichten wie Shivasamy. Wir haben gelernt, ohne es zu merken. Ich hätte ihn mehr ehren sollen.

IM BAHNHOF KARUR

Der Zug hält mitten in der Nacht an. Ich schaue aus dem vergitterten Fenster. In der plötzlichen Stille höre ich die Eisenstöcke von Sadhus und den Gesang ihrer rauen Stimmen: «Rama Rama Gnade, Rama Rama Gnade, Rama Rama Gnade …» Sie müssen von oder nach Rameshwaram unterwegs sein. Um mein Herz zu beruhigen, beginne ich zu singen, und Madhu stimmt mit ein:

Wie kann ich die Schönheit meines Herrn singen,

Ohne mich zu verlieren?

Was ist der Tropfen meiner Existenz

Im Ozean des Herrn?

Es beginnt zu regnen. Regentropfen fliegen durch die Gitterstäbe herein. Madhu singt das Kinderlied:

Die Regenzeit fängt an;

Die Bäche beginnen zu fließen.

Wir singen uns in den Schlaf. Ich träume, mit Mary an Bergbächen entlang durch Blumenfelder zu tanzen. Als ich aufwache, bin ich erfüllt von der Schönheit des Traums. Es ist wie ein Versprechen, dass alles gut wird.

ANNAMALAI UNIVERSITÄT

Wir kommen am frühen Morgen an. Kaum sind wir im Wohnheim der Musikstudenten, stellt sich heraus, dass meine Lage schlimmer ist als erwartet. Obwohl ich ein Stipendium habe, verlangen sie mehr als hundert Rupien Einschreibegebühren, plus Vorauszahlungen für das Wohnheim und die Kantine. Warum bin ich nur hierhergekommen?

IM MUSIK-COLLEGE

Shivasamy sagt, dass ich am nächsten Morgen dem Meister meine Aufwartung machen muss, mit einem Geschenk von Früchten, Blumen und Geld. Ich habe zwei Rupien fünfundsechzig Paise in meiner Börse, weniger, als ich für die Börse bezahlt habe. Madhu kann mir nicht helfen. Das Geld, das ihm seine Eltern mitgegeben haben, geht für seine eigenen Gebühren drauf. Er muss schon Geld borgen, um uns etwas zu essen zu kaufen.

HINTER DEM MUSIK-COLLEGE

Die Stimme von Miss Ojha, der Gesangslehrerin der Mädchen, weht vom linken Flügel herüber. Ich versuche nicht zu denken und nur zuzuhören. Sie ist eine gute Sängerin und respektierte Lehrerin, aber es liegt eine Müdigkeit in ihrer Stimme wie eine Klage, dass immer neue Studentinnen kommen, mit denen sie wieder am Anfang beginnen muss, aber auch der mütterliche Wunsch, dass ihre Studentinnen ihre Stimme finden und in die Welt der Klänge hinaustreten sollen.

Miss Ojha hält ein und Marys Stimme singt weiter, klar wie eine Lotusblume aus dem trüben Wasser des Teichs. Ich möchte Mary auf der Geige begleiten, um ihrer Stimme mehr Profil zu geben. Ich nähere mich dem Fenster, um hineinzusehen. Vor dem Fenster hängt ein Vorhang, um Kerle wie mich fernzuhalten. Ich bilde mir ein, ich rieche Jasmin oder Rosen, oder beides, doch als ich näher ans Fenster ranzukommen versuche, ist alles, was ich rieche, der Gestank einer zerbrochenen Kanalisationsröhre.

Marys Stimme verkörpert ihre Schönheit: Sie ist einen Hauch zu entspannt und eilt über die Verzierungen hinweg, als ob sie zu scheu oder zu träge wäre, jede kleine Note ernst zu nehmen. Sie singt nicht mit Madhus Präzision, aber mit einem eigenen Stil. Mädchenhafte Hemmungen und leichte Nachlässigkeiten deuten darauf hin, dass sie gleichzeitig tugendhaft und sinnlich ist.

Ich setze mich auf einen Stapel Ziegelsteine und tue, als würde ich in meinem Heft lesen. Ich will zuhören, doch Marys Stimme irritiert mich und bringt alle meine Probleme zurück. Ist mein Spiel auch so? Ich will nicht vom Ozean träumen, aber dann am Strand zurückbleiben. Ich kämpfe, bis alle Möglichkeiten erschöpft sind. Schlimmstenfalls werde ich den Meister um Hilfe bitten. Vielleicht kennt er einen alten Musiker, der mich als Schüler adoptiert. Ich nehme meinen Kugelschreiber, der sich wie immer zuerst weigert zu schreiben. Nachdem ich auf der Heftrückseite Kreise gekritzelt habe, beginnt die Tinte zu fließen. Ich schreibe in großen, schmierigen Großbuchstaben auf das Deckblatt meines Heftes:

MUSIK ODER TOD!

Ich stehe voller Energie auf, bereit zu kämpfen bis zum Ende, doch schon meldet sich mein anderes Ich und schlägt mir interessantere oder wahrscheinlichere Szenarien vor: mit Mary zusammen zu sein, reich zu heiraten, nach ÜBERSEE zu gehen oder mich umzubringen.

Ich betrete das Musik-College in der Hoffnung, Mary zu treffen. Soll ich Hallo sagen oder eher Hi? Bin ich gut gekämmt? Ich überprüfe den Fall meines Dhotis. Oder soll ich sagen: «Du hast hübsch gesungen, darf ich deinen Kugelschreiber ausleihen?» Die Gewissheit, dass ich morgen oder übermorgen nachhause zurückkehren, nach Bombay abhauen oder mich umbringen muss, gibt mir den Mut, in der Halle zu warten, bis die Stunde zu Ende ist. Als die Tür sich öffnet und die Gesangsstudentinnen herauskommen, gelingt es mir, zu Mary «Hi!» zu sagen, und dann lasse ich Heft, Kugelschreiber, Taschentuch und Kamm fallen und mache mich vollkommen lächerlich. Ich hebe die Sachen bewusst langsam auf, um meine Scham zu verbergen. Als ich aufschaue, lächelt Mary und fragt mich: «Kann ich dir helfen, Bruder?»

Ich frage zurück: «Meine Sachen fallen zu lassen?», und ich lasse sie noch einmal fallen, wobei ich mir witziger als Amitabh Bacchan vorkomme. Mary lacht das wundervollste Mädchenlachen.

«Du hast eine gute Stimme, Schwester!»

«Vielen Dank, aber heute bin ich so erkältet, dass ich fast gar keine Stimme habe!»

Ich höre nur ein leises Kratzen. «Wie heißt das Lied, das du gesungen hast?»

Sie murmelt etwas, das wie schlecht ausgesprochenes Telugu klingt. Ich bin zu nervös, um nachzufragen. «Deine Interpretation hat ihm Ehre erwiesen.»

«Danke! Lass uns ein Stück zusammen gehen, wollen wir, Bruder?»

Außerhalb des Musik-Colleges verabschiedet sich Mary von mir, als wären wir Freunde. Ich stolpere total verwirrt in das Wohnheim, wiederhole mir ihre Worte im Herzen, spreche mit ihr und gebe mir selbst die Antworten. Ich suche Madhu, um ihn zu bitten, Mary durch Shanti etwas ausrichten zu lassen. Aber was soll sie ihr ausrichten? Am besten soll er Shanti fragen, was man Mary am besten ausrichten lassen könnte, und dann sage ich es Madhu, und der sagt es Shanti, und die sagt es Mary. Wie kann ich Mary nur sagen, dass ich sie liebe und möchte, dass wir Freunde werden?

IM WOHNHEIM DER MUSIKSTUDENTEN

Unsere Klassenkameraden aus dem Vorbereitungskurs, Shankar und Murali, schenken Madhu und mir Süßigkeiten, die sie von zuhause mitgebracht haben, doch ihre Augen fragen mich, Was wirst du tun?

Nachts teile ich mit Madhu sein Feldbett im Wohnheim. Der Wärter schimpft, das sei nicht gestattet. Ein Chettiar-Klassenkamerad aus dem Vorbereitungskurs stopft ihm das Maul. Die Sorge, wie ich morgen dem Meister meine Aufwartung machen soll, hält mich wach. Wir stehen rechtzeitig auf. Madhu, Shankar und Murali leihen mir fünfzehn Rupien und schenken mir ein paar Früchte für das Geschenk. Meine Freunde sagen, arm zu sein sei keine Schande. Als könnte man zu einem Priester sagen, Ich bin arm, Herr! Wie wird mich der Meister empfangen?

IM MUSIK-COLLEGE

Mein Geschenk sieht jämmerlich aus. Fünfzehn Rupien, drei Bananen und ein kleines Päckchen Räucherstäbchen. Ich will nicht, dass mich jemand sieht, doch es ist der erste Morgen. Studenten und Studentinnen grüßen mich, schauen mein Geschenk an, versuchen zu verstehen, was mit mir los ist. Welche Schande, wenn Mary mich sehen würde! Shivasamy, der im Vorbereitungskurs immer freundlich war, lacht, und als ich vor dem Meister knie, sagte der Meister zu Shivasamy: «Schau, nun kommen auch Bauernjungen zu uns.» Zu mir sagt der Meister: «Das ist hier nicht die Landwirtschaftsabteilung, kleiner Vater! Warum musst du mich plagen?»

«Arun … Arumugan Subramaniam Iyer, Sir», ich nenne unser Dorf und Vaters Namen: «Attapadi Vadivelu Iyer Sirs Schüler, Sir. Shivasamy Sir hat mir gesagt … Sir …»

«Weißt du, wo die Landwirtschaftsabteilung ist, kleiner Vater?»

«Ja, Sir! Ich will nicht Landwirtschaft studieren. Ich muss ein Geiger werden, Sir!»

«Warum, kleiner Vater?»

Was kann ich darauf antworten? Ich möchte weinen. Aus Blöd heit schiebe ich meinen Geigenkasten vor. Der Meister schaut den Kasten an, als hätte er noch nie so etwas gesehen. «Kleiner Vater, lass uns eine kleine Melodie hören!»

Ich beginne Shri Gana Nada im Raga Malahari. Ich hoffe, dass meine Wahl dem Meister gefallen wird. Die höchste Gottheit zu ehren, scheint richtig für diesen Schicksalsmoment.

«Wo hast du so zu spielen gelernt, kleiner Vater?»

Der Meister muss wissen, dass Shivasamy mich im Vorbereitungskurs gelehrt hat. Ich wiederhole den Namen meines Lehrers in Palghat. «Er sendet Ihnen Grüße, Sir!»

«Vadivelu ist alt geworden. Kleiner Vater, du siehst hungrig aus. Hast du gegessen? Nimm eine Banane! Iss, kleiner Vater!»

Der Meister will, dass ich eine Banane esse, die ich ihm als Geschenk gebracht habe, als wäre es Prasadam. Ich erwidere nur ziemlich dumm: «Meine Geige klingt nicht gut, Sir.»

Er gibt mir die Banane, und während ich esse, nimmt er meine Geige. «Hast du nicht gelernt, richtig zu intonieren? Hör zu, kleiner Vater!»

Ich nicke, ich kann ihn nicht mehr sehen wegen der Tränen.

Der Meister spielt die Passage und ich kann den Unterschied hören. Ich sage: «Entschuldigung, Sir. Ich habe einen Fehler gemacht; es wird nicht wieder vorkommen, Sir!»

«Als ich die Reisfelder meines Vaters vor den Krähen geschützt habe, spielte ich auch so», und er imitiert meine Spielweise, schrecklich falsch. «Es hat den Krähen nicht gefallen, kleiner Vater! Besser ist es, so zu spielen.» Er spielt die Exposition. Ich höre das Lied wie zum ersten Mal, so rein, dass ich durch die Tränen lächeln muss. Die Klarheit seiner Intervalle jagt mir heiße und kalte Schauer den Rücken hinunter. Er sollte jeden Tag im All India Radio spielen! Er bricht ab und sagt dann lächelnd: «Kleiner Vater, soll dir Shivasamy den Weg zur Landwirtschaftsabteilung zeigen?»

Des Meisters Stimme klingt freundlich. Er macht sich lustig über mich. Ich habe erwartet, dass er mich ausschimpfen würde, weil mein Geschenk zu klein ist, aber stattdessen lehrt er mich etwas. Was immer er tut, ich werde hier sitzen bleiben. Ich muss sein Schüler werden.

Der Meister gibt mir die Geige zurück, aber meine Hände zittern, ich kann nicht richtig spielen. Ich wische meine Tränen mit dem Hemd von der Violine, aber während ich hier wische, fallen dort neue. Ich sehe kaum, was ich tue.

Der Meister sagt: «Mein Vater ist auch Bauer gewesen», aber ich glaube ihm nicht. Dann befiehlt er mir: «Hör zu, kleiner Vater!», und gibt mir ein Lied in Raga Purvi Kalyani zum Wiederholen und Lernen.

Vor lauter Anstrengung, das Lied nicht zu vergessen, bevor ich mich hinsetzen und es selber so spielen kann, wie der Meister es gespielt hat, laufe ich beim Rausgehen gegen den Türstock. Als ich mich noch einmal verbeuge, um mich zu entschuldigen, sagt Shivasamy: «Am Freitagmorgen gibt es eine Klinik für Violinstudenten. Du musst daran teilnehmen.»

Was ist eine Klinik? Ich bin nicht krank. Es ist ein Befehl, ich muss gehorchen. Ich hätte für Shivasamy auch ein Geschenk bringen sollen.

IM GEBÄUDE DES VORBEREITUNGSKURSES

Ich besuche Narayan Sir, unseren Englischlehrer im Vorbereitungskurs, der Madhu und mich immer wie jüngere Brüder behandelt hat. Er rät mir, den Kanzler zu bitten, ein Gesuch an Raja Muthiah Chettiar von Chettinad zu schreiben, dass mir die Einschreibegebühr erlassen wird. Es soll schon vorgekommen sein, doch vermutlich nicht für Studenten wie mich.

VOR DEM BÜRO DES KANZLERS

Ich warte den ganzen Nachmittag. Es regnet. Mädchen laufen durch den Regen und schützen lachend ihre Haare mit den Büchern oder die Bücher mit ihren Halbsaris. Selbst die Ziegen, Hunde und Krähen scheinen sich über den Regen zu freuen. Der Kanzler ist ein alter Mann, berühmt für seine Gelehrsamkeit und seine schlechte Laune. In den Augen des Bürodieners, der mich hineinbringt, lese ich die Frage, Was hast du ausgefressen? Der Kanzler faucht mich ärgerlich an: «Verschwende nicht meine Zeit! Warum hast du das Stipendium angenommen, wenn du kein Geld hast, um zu studieren? Was glaubst du, wer du bist?» Aber dann sagt er: «Setz dich!», und diktiert mir eine Petition an den Rektor der Universität, mich jetzt einschreiben zu dürfen und später zu bezahlen. «Lass es vom Leiter des Musik-Colleges unterschreiben!»

IM MUSIK-COLLEGE

Der Meister hat schon gehört, dass ich im Wohnheim wohne, ohne zu bezahlen. Er unterschreibt die Petition und sagt: «Du hättest zuerst zu mir kommen sollen!»

IM BÜRO DES REKTORS

Ich besuche den Rektor. Wie der Kanzler ist auch der Rektor ein Brahmane, aber jedermann weiß, wie skrupellos er ist. Er nimmt die Petition ohne aufzuschauen entgegen und sagt: «Der Nächste!»

Der Rektor ist ein ehemaliger Unionsminister, wie kann ich es wagen, ihn zu stören? Ich bin blöd. Und wenn ich die Einschreibung überlebe, was dann?

IN DER VEGETARISCHEN STUDENTENKANTINE

Ich erkundige mich, ob eine Stelle frei ist. Die Studenten, die dort arbeiten, verdienen fünfundsechzig Rupien pro Monat. Ich trage mich in die Warteliste ein.

IM NATARAJA-TEMPEL

Ich besuche den Tempel, um zu beten und den Oberpriester zu sprechen. Er zumindest behandelt mich wie einen Brahmanenbruder. Er gibt mir ein Päckchen Prasadam und verspricht mir Arbeit, irgendwann. Wenn Madhu mitmacht, verdienen wir irgendwann fünfundzwanzig Rupien.

IN CHIDAMBARAM

Auf dem Rückweg grüßt mich der Wäschejunge vom Vorbereitungskurs fröhlich. Er ist besser dran als ich. Jeden Tag verdient er Geld, jeden Abend geht er ins Kino. Warum will ich studieren? Es gibt Millionen junge Männer wie mich. Alle suchen einen Job, alle brauchen Geld, alle träumen davon, nach ÜBERSEE zu gehen. Weiß ich denn nicht, wie schwierig es ist, selbst mit einem Masterabschluss einen Job zu finden?

Zwischen der Brücke und dem Bahnübergang entschließe ich mich aufzugeben. Ich bin nicht begabt, was will ich im Musik-College? Ich werde nie wie Dr. Semmangudi Srinivasa Iyer! Warum leiden, um ein zweitklassiger Musiker zu werden? Niemand wird mich für meine eigene Verstocktheit bemitleiden. Aber wie kann ich mich im Dorf sehen lassen? Die Schande ist schlimmer als der Tod.

VOR DEM MUSIK-COLLEGE

Ich setze mich auf die Stufen vor dem College in der vagen Hoffnung, Marys Stimme ein letztes Mal zu hören. Im Herzen spreche ich mit ihr über ihre Stimme, wie sie sie kräftiger machen kann und dass sie jeden Mikroton mit voller Absicht singen muss, damit die Nuancen nicht zu bloßen Verzierungen verkommen. Das Musik-College ist leer. Ein alter Bürodiener staubt mit einem schmutzigen Lappen die verbeulten Blechstühle des unteren Schulraums ab. Es gibt keine Stimme, keine Spur von Mary. In meinem Herzen lehre ich sie, sie wird berühmt und wir heiraten. Ihre klare Stimme kontrastiert mit dem Seufzen meiner Geige. Wenn ich nur lernen könnte, wie man mit Mädchen spricht! Ich stelle mir Mary distanziert und sinnlich vor. Was will ich ihr sagen? Mich küssen ist gut für deine Stimme? Gib deiner Stimme mehr Körper?

IM WOHNHEIM DER MUSIKSTUDENTEN

Madhu, Murali und Shankar kochen im Zimmer, was streng verboten ist. Sie haben eine kleine elektrische Kochplatte. Wie ein Bettler esse ich, was sie mir anbieten. Sie versuchen mich aufzumuntern, doch in ihren Gesichtern lese ich, dass sie keine Hoffnung für mich haben.

Nach dem Essen laden meine Freunde mich ein, gemeinsam zu musizieren. Ich kann nicht nein sagen, obwohl ich nicht in Stimmung bin. Madhu und Murali beginnen ein Lied von Thyagaraja.

Shankars Trommeln macht mich wieder lebendig. Er ist aus einer Nambudiri-Familie und sieht aus, als wäre er jeden Tag seines Lebens in Milch gebadet worden. Schweiß strömt seinen starken und schweren Körper hinunter, aber sonst sieht man ihm keine Anstrengung an. Er ist von Natur aus begabt wie Madhu.

Ich nehme die Geige und folge Madhus Stimme. Es ist mein Gebet um Hilfe an Gott Subramaniam. Ich glaube und vertraue. Wir sollten im Tempel in Palani spielen; die Leute würden uns mit Geld überhäufen.

Der Wärter kommt in die Tür, vermutlich um mich rauszuschmeißen, doch er hört nur eine Weile zu und geht dann weiter. Ist auch er ein Anhänger?

Um uns nach dem Musizieren wieder zu beruhigen, gehen wir im Dunkeln spazieren. Meine Freunde blasen meinen Erfolg bei Mary auf, als würde es viel bedeuten, dass sie mit mir gesprochen hat. Mary und Arun, Geld und Musik, gibt es eine versteckte Bedeutung? Was will ich von Mary? Morgen oder übermorgen muss ich um Geld betteln für das Ticket nachhause.

IM WOHNHEIM DER MUSIKSTUDENTEN

Ich schlafe wieder mit Madhu in seinem Feldbett. Ich liebe Madhu, doch jedes Mal, wenn er sich dreht, muss ich mich auch drehen. Das alte hölzerne Feldbett knarrt und ächzt. Madhu hält mich in seinen starken Armen. Er weiß, dass ich vor Sorgen nicht schlafen kann.

Um zu vergessen, denke ich, was ich immer denke: Wie gut oder schlecht bin ich? Wird je in den Zeitungen über Arun S. Iyer zu lesen sein, den großartigen karnatischen Violinisten, den jungen Meister, den musikalischen Seher, der im Alleingang die karnatische Musik für das einundzwanzigste Jahrhundert neu belebte?

Klimatisierte Autos, Studios, Hotelsuiten mit Drinks und Frauen, werde ich so etwas je besitzen? Meine Freunde sagen: «Du spielst gut», aber wenn Madhu aufstünde und wegginge, würde niemand bleiben und mir zuhören.

Dass Madhu Erfolg haben und nach ÜBERSEE gehen wird, muss mir genügen. Ihm ist vorbestimmt, so zu werden wie die Meister alten Stils, die ihren Tag in einem einfachen Dhoti verbringen, gebunden wie ein Lungi, Betel kauen, fünfmal am Tag essen, mit ihren Studenten scherzen. Die Leute werden seine Kunst immer bewundern. Madhu jammert über seine Hässlichkeit, um mich aufzuziehen, aber Eifersucht und Ehrgeiz werden nie sein Herz vergiften. Die Schönheit seiner Stimme genügt ihm.

Wenn ich nur wie Madhu werden könnte! Zu singen ist besser, als ein Geiger zu sein. Der Geigenton mag strahlen, doch die Grenzen des hölzernen Dings auf meinem rechten Fuß sind auch meine Grenzen. Madhu lässt, was in seinem Herzen ist, durch das weit offene Tor seiner Kehle strömen.

IM MUSIK-COLLEGE

Den nächsten Tag überstehe ich auf die gleiche Weise. Der Meister behandelt mich wie einen Bettler. «Wenn du hungrig bist, komm zu meinem Haus, Sohn! Es gibt immer Essen für dich.»

Der Meister ermahnt mich, meine Geige nachzustimmen. Ich bin so verwirrt, dass die oberste Saite reißt. Shivasamy gibt mir eine neue Saite. Seine Güte in meiner Not treibt mir die Tränen in die Augen. Ich versuche, die Saite in den Wirbel zu fädeln. Meine Finger zittern, und vor Tränen kann ich nicht klar sehen. Was, wenn diese Saite auch reißt? Shivasamy wird mir nicht noch eine geben. Schließlich nimmt er mir die Geige aus der Hand, zieht die Saite ein und stimmt sie. Ich sitze da wie ein idiotischer Anfänger.

Der Meister befiehlt mir, Purvi Kalyani zu spielen, und gibt mir dann eine Kopie der Abhandlung über Musik. «Lern sie auswendig!»

Wozu soll ich ein altes Buch auswendig lernen? Will der Meister mich damit zum Aufgeben bringen, weil er mich nicht unterrichten will?

Ich frage ihn: «Soll ich morgen wiederkommen, Sir?»

«Wenn du vorhast, Geiger zu werden, muss ich dich wohl ertragen. Komm einfach früh am Morgen für ein paar Minuten zu meinem Haus, Sohn!»

Nach der Lektion, im Eingang, stoße ich mit Mary zusammen und verletze sie beinahe. Ihr Halbsari berührt meine Schulter. Sie ergreift meinen Arm, «Ayo! Pass auf, Bruder!», damit ich nicht die Stufen runterfalle. Kein anderes Mädchen hat ein solches Blitzen in den Augen! Wenn wir nur Freunde würden! Die Jasminblüten in ihren Haaren versklaven meine Nase. Ich will keinen Sekundenbruchteil meines Glücks verlieren: Ich will ihr Bild für immer in meinem Herzen bewahren.

IN VIJAYS HAUS

Am Abend nimmt mich Madhu mit zu Vijays Haus. Madhu sagt: «Vielleicht hat Vijays Mutter einen Rat für dich.» Auf dem Weg dorthin verkaufe ich mein Mathematikbuch aus dem Vorbereitungskurs, das ich für Hari behalten wollte. Alles dreht sich. Ich weiß nicht, wo ich hingehe und was ich tue.

Weiß Madhu, wo Mary wohnt? Würde er mich auslachen, wenn ich ihn fragte? Willst du auf ihrer Türschwelle sitzen und fasten, bis du sie heiraten darfst? Madhu schleppt mich zu Vijays Haus, um mich von meinen Sorgen abzulenken. Wenn er mich nur Marys Haus anschauen ließe! Ich muss aufhören, an sie zu denken.

Bei Vijays Mutter sitzen wir im kühlen früheren Brennholzladen. Shanti bietet uns Tee und Snacks an. Wir sprechen über meine Probleme, dann bringt eine Waschfrau gebügelte Kleider und gibt Vijays Mutter ein Buch zurück, dass sie sich ausgeliehen hat. In unserem Haus würde niemand einer Waschfrau erlauben, ein Buch zu berühren.

Vijays Mutter spricht über ihren verstorbenen Ehemann und erklärt mir, wie viel Einkommen sie von den Mietern hat, als ob sie mir sagen wollte, Das ist, was wir zu teilen haben. Es ist kaum genug für sie drei.

Shanti will Primarlehrerin werden, um sobald als möglich Geld zu verdienen. Vijay will Tamil-Lehrer werden, aus dem gleichen Grund. Ich sage: «Vijay sollte Musik studieren, er ist begabter als die meisten Studenten im Musik-College.» In unseren Aufführungen während des Vorbereitungskurses hat er gesungen, getanzt und gespielt wie ein Profi.

Vijay sagt: «Wir können uns nicht leisten, dass ich Musik studiere.» Wenn ich nur so vernünftig wäre wie Vijay!

Madhu scherzt über Vijays Schönheit. Vijay ist anerkanntermaßen der schönste Student der Universität. Andere süß aussehende Jungen werden von verdorbenen Studenten der Reddy und anderer landbesitzenden Kasten belästigt, doch Vijay ist anders. Selbst Studenten der Naturwissenschaften wollen seine Freunde sein. Wo immer er hingeht, folgt ihm eine Gruppe von effeminierten Studenten, die ihn feiern und verwöhnen, plus Nichtstuer und Nichtsnutze, die ihm verfallen sind. Im Vorbereitungskurs war er Studentenvertreter, jetzt ist er Vizepräsident der Studentenorganisation und Delegierter des Jungen Kongresses.

Vijays Mutter rät mir, im Tempel nach Arbeit zu fragen. Sie meint, ich könnte den Priestern als Gehilfe dienen. Sie versteht nicht, dass wir Brahmanen sind, aber keine Priester. Wir stammen von Landbesitzern ab, die Sprüche kennen wir nicht. Die Priester von Chidambaram teilen ihr Geschäft nicht mit auswärtigen Brahmanen. Madhu und ich müssen glücklich sein, wenn sie uns im Tempel spielen lassen.

Vijays Mutter schockiert mich, indem sie über eine allzu bekannte Liebesaffäre an der Universität redet und sie nicht verurteilt, wie sie es sollte, wie Mutter es tun würde. Vijays Mutter spricht darüber, als wäre es ein Film, als ob die verrückten Ausreißer es verdienten, glücklich zu sein. Wirklich, Pillais sind anders als wir. Schon Iyengars sind anders. Madhu und Shanti sprechen miteinander wie Bruder und Schwester. Vijays Mutter scheint nichts dagegen einzuwenden zu haben.

Ich könnte nie mit Mary sprechen, wie Madhu mit Shanti spricht. Ich will Mary küssen und umarmen, einen Ort finden, wo ich mit ihr allein sein kann. Was nützt es zu sprechen, wenn du innerlich brennst? Haben die Mädchen am Musik-College recht? Bin ich widerlich und verdorben?

IN DER SOUTH MARKET STREET

Auf dem Rückweg bitte ich Madhu: «Zeig mir Marys Haus!»

Madhu lacht mich aus, gibt aber nach, obwohl es ein Umweg ist. Wir gehen durch die South Market Street, wo er mir eine der Privatkliniken zeigt. Es ist kein neues Haus, aber frisch blau gestrichen. Ein riesiges Schild verkündet, dass Doktor Thomas hier Patienten empfängt. Ein paar zusätzliche Zeilen beschreiben, wofür er Spezialist ist. Er muss ein Vermögen verdienen. Woher weiß Madhu, dass Mary hier wohnt? Ich schaue mir das Haus an. Neben dem vergitterten Fenster hängt eine Klimaanlage. Könnte jemand, der hier lebt, mich mögen? Ich stelle mir vor, wie Marys Tante oder jemand anderes mich anschauen und mir Fragen stellen würde. Ich müsste antworten Musik, Purayur, Bauer, worauf sie mich anstarren würde, als sei ich übergeschnappt. Wie kann ich an ihre Nichte denken, weiß ich denn nicht, dass ich arm bin?

Madhu fragt mich: «Bist du verliebt in Mary?»

«Ja, mehr als verliebt …» Mir wird klar, was ich da sage, was Madhu über mich denken muss. Mary ist eine Christin. Will ich Vater und Mutter noch unglücklicher machen? Reicht es nicht, dass ich Musik studiere?

IM WOHNHEIM DER MUSIKSTUDENTEN

Nachts, in Madhus starken Armen, überlege ich mir, ob ich bereit wäre, ein Mädchen zu heiraten, das mein Vater für mich auswählt. Vater und Mutter würden die «freien» Ansichten von Vijays Mutter nicht gutheißen. In unserem Dorf sind die Regeln strenger, du kannst versuchen zu bekommen, was du willst, aber nur im Verborgenen.

IM HAUS DES MEISTERS

Am nächsten Morgen, als ich den Meister begrüße, befiehlt er mir, die Pflanzen im Garten zu gießen. Ich gehorche wütend. Ich bin nicht sein Gärtner. Nach einer halben Stunde kommt der Meister in den Garten und lobt, wie gut ich die Pflanzen wässere. Als er meine Laune gründlich verdorben hat, beginnt er mich über Rasa zu befragen. Ich rezitiere, was ich gelernt habe. Er ruft einen anderen Studenten und befiehlt ihm, weiterzugießen. Der Meister nimmt mich mit ins Haus und sagt zur Köchin: «Das ist mein Sohn Arun, mach Tee mit viel Milch für ihn! Er ist ein hervorragender Gärtner!»

Der Meister fragt mich, ob ich das Kapitel über Rasa in der Abhandlung über Musik schon gelernt habe, aber bevor ich antworten kann, kommt ein anderer Student und hält dem Meister ein Papier hin. Der Meister wendet sich wieder zu mir. «Schau dir diesen Aufsatz an, Sohn! Ich muss zu einer Sitzung.»

Der Aufsatz ist über Rasa! Ich lese und korrigiere ihn entsprechend dem, was ich von Shivasamy gelernt habe. Der Student ehrt mich, als wäre ich ein älterer Student.

IN DER VEGETARISCHEN STUDENTENKANTINE

Shivasamy lädt mich zum Tiffin ein und fragt mich über meine Probleme aus. Er lässt mich essen. «Der Meister wird sich sorgen, wenn du hungrig aussiehst, kleiner Vater.»

IM MUSIK-COLLEGE

Der Meister fragt mich: «Bist du ein Freund von Madhu, dem Sänger? Seid ihr aus dem gleichen Dorf? Er hat eine volle Stimme. Sag ihm, er soll mich besuchen kommen, Sohn!»

Als Madhu ihn besucht, trägt ihm der Meister Grüße auf an «deinen Freund, den Bauernjungen», und fügt auf Sanskrit hinzu: «Der Zerstörer der Feinde der Kunst der Musik.» Oder hat er gemeint: «Der Zerstörer und Feind der Kunst der Musik?» Des Meisters Ausdruck ist zweideutig.

IM HAUSE NARAYAN SIRS

Narayan Sir lädt Madhu und mich zum Essen in sein Haus ein. Er hat eine junge Ehefrau, zwei kleine Töchter und wenig Geld. Das Essen ist gut, doch die Armut scheint durch wie der Boden des Tellers nach dem Essen. Er sagt immer noch,

Aufgeber gewinnen nie,

Gewinner geben nie auf !

aber die Energie und der Optimismus, den er hatte, als er uns im Vorbereitungskurs unterrichtete, sind aus seiner Stimme verschwunden. Er hatte größere Pläne, als im Vorbereitungskurs Englisch zu unterrichten. Ohne Überzeugung rät er mir, nochmals den Kanzler anzusprechen. «Er ist ein Brahmane, er muss dir helfen.» Narayan Sir ist ein Nayar. Weiß er, wie wenig Brahmanenbrüderschaft zählt?

CHIDAMBARAM

Auf dem Rückweg spricht Madhu über Frauen. Was können mir Frauen noch bedeuten? Ich muss reich und berühmt sein wie Ravi Shankar, bevor ich Mary heiraten darf. Warum weiterleben? Worauf hoffe ich? Ich sollte zuhause Vater mit den Reisfeldern helfen. Vielleicht könnte ich einen Jungbauernverein organisieren und vor den Wahlen ein zinsloses, nicht-rückzahlbares «Darlehen» für uns herausholen.

Madhu fragt mich: «Woran denkst du?»

«Ich muss nachhause gehen. Ohne Geld habe ich keine Chance.»

«Narayan Sir hat gesagt …»

«Narayan Sir war traurig.»

Madhu sagt einen Vers eines Thyagaraja-Liedes in Telugu. Ich lege ihm einen Arm um die Schultern und fühle die Stimme in seinem Körper schwingen. Ich möchte mitsingen, doch ich bin kaum fähig, mitzusummen. Sein Lied scheint zu bedeuten,

Wer dich anbetet, Gott Rama, erreicht sein Ziel hier und im Jenseits.

Aber wo ist meine Hingabe? Ich will nur Ruhm, Geld, Frauen und nach ÜBERSEE fliegen. Wenn ich Glück habe, verdiene ich eines Tages genug, um ein Trinker zu werden. Kein Wunder, dass Göttin Saraswati nicht will, dass ich ihr Reich beschmutze!

IM WOHNHEIM DER MUSIKSTUDENTEN

Ich erlaube mir, was immer mein Körper will. Ich genieße, dass Madhu mich befriedigt, es ist nur ein Gefühl, ich denke dabei nicht an ihn. Wenn ich ihn befriedige, genieße ich in meiner Vorstellung die Gefühle, die ich ihm verschaffe. Doch die Vorstellung ist nichts im Vergleich zum Genuss des Schmerzes, der Lust genannt wird. Ist es schlimmer für Vater und Mutter, wenn ich nach Bombay abhaue oder wenn ich mit geborgtem Geld ins Dorf zurückkehre und sie mit Schande überhäufe?

IM HAUS DES MEISTERS

Der Meister fragt mich über die Gesundheit meines früheren Lehrers aus, als wollte er sagen, Ist er noch bei Sinnen? Wie kann er mir einen Studenten wie dich senden?

Der Meister deutet an, dass ich besser im alten Stil einem Meister als Schüler dienen würde, was bedeutet, in eines Meisters Haus zu leben und ihm zu dienen in der Hoffnung, dass der Meister dich jeden Tag eine halbe Stunde unterrichtet. Meint der Meister, ich könnte sein Diener-Schüler werden, oder macht er sich nur wieder lustig über mich? Heute kommen die besten Künstler aus den Musik-Colleges.

IM BÜRO DES KANZLERS

Am nächsten Morgen besuche ich wieder den Kanzler, der mich ohne Gruß fragt: «Was willst du?»

Der Kanzler ist auch Brahmane, na und? Er fragt mich ärgerlich nach Vaters und Großvaters Namen und sagt grob: «Komm Montag um acht Uhr! Warte vor dem Büro!»

Dann macht er eine unwirsche Handbewegung, dass ich verschwinden soll. Wird er mir helfen? Ich bin zu allem bereit.

IM WOHNHEIMDER MUSIKSTUDENTEN

Ich sage: «Mir ist nicht gut», und tue so, als ob ich schlafe. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Ich versuche, an Mary zu denken, um meine Probleme zu vergessen, aber meine Freunde lassen mich nicht in Ruhe. Ich muss mit ihnen essen und spazieren gehen, bis zum Bahnhof und zurück.

IM MUSIK-COLLEGE

Am Freitag nehme ich an der Violinklinik teil. Mehrere Studenten sitzen am Boden mit ihren Geigen, und der Meister schimpft sie lächelnd aus. Einige der Studenten lächeln auch, andere sind verwirrt wie ich. Der Meister lässt einen Studenten etwas spielen, kritisiert ihn unbarmherzig, lässt den nächsten spielen, schimpft mit dem, bis ich an der Reihe bin. Ich will ihn mit allen Mitteln zufrieden stellen und sage: «Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwende, Sir!»

«Wenn du weißt, dass du meine Zeit verschwendest, warum tust du es dann, Sohn? Hast du kein Schamgefühl?»

«Bitte, Sir, Sie müssen mich schlagen!»

«Du kannst ein Bronzegefäß so lange schlagen wie du willst, es wird trotzdem nie zu Gold. Shivasamy hätte dich verprügeln sollen, doch in letzter Zeit ist er faul geworden.»

Es wird immer schlimmer, der Meister schimpft mit mir die ganze Zeit, während er mich unterrichtet. «Wenn du nicht lernst, richtig zu intonieren, werde ich …» Er beschreibt ausführlich, wie er mir den Bauch aufschneiden und die Därme als Blumenkranz um den Hals hängen will. «Aber ich fürchte, ich würde dich vermissen, Sohn! Ich mag die schlimmsten Studenten am liebsten.»

Der Meister lädt uns ein, von den Früchten zu essen, die die Studenten gebracht haben. Als wir gehen, schärft er mir nochmal ein, ihn jeden Tag zu besuchen, was bedeutet, dass ich gut bin. Als ich mich verneige, sagt er: «Deine Bauernjungentöne erinnern mich an das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Die Viehhüter, die auf Rohrflöten bliesen, hatten auch keinen Sinn für Melodie und Rhythmus.»

HINTER DEM MUSIK-COLLEGE

Ich will zum Wohnheim zurückgehen, doch meine Füße tragen mich um die Ecke hinter das Musik-College, auf die Seite, wo die Mädchen unterrichtet werden, um Mary singen zu hören. Ein dummer Trommler schlägt mechanisch drauflos. Er wäre perfekt für einen Hochzeitsumzug, doch hier verdirbt er allen das Gefühl für den natürlichen Fluss der Musik. Ich will weglaufen, doch die Hoffnung, dass ich plötzlich Marys Stimme höre, hält mich zurück. Ich setze mich in den Schatten unter einen Baum. Ein paar Studenten spielen Kricket. Eine Ziege meckert, nachdem sie einen sauberen Kreis um den Pflock gefressen hat, an dem sie angebunden ist. Ich bin müde und durstig und schlafe fast ein.

Die Stimmen der Gesangsstudenten, der unermüdliche Trommler, die meckernde Ziege verschmelzen und erscheinen mir in meinem Halbschlaf als die neue Musik, nach der ich suche. Stimmen und Instrumente, die sich kreuzen, Melodielinien und Rhythmen, die sich anfreunden und befeinden, Liedstrophen, die sich gegenseitig antworten. In meinem Tagtraum klingt es wie eine wundervolle Komposition. Wenn wir so etwas versuchten, würde es vermutlich ein primitives Potpourri.

IM HAUS DES MEISTERS

Am Sonntagmorgen gehe ich zum Haus des Meisters. Ich setze mich auf die Stufe vor der Eingangstür. Vielleicht wird er mir einen Rat geben. Nach einer halben Stunde kommt der Meister in Lungi und Unterhemd nach draußen und fragt mich: «Was willst du, Sohn?»

Ich beginne zu weinen.

«Setz dich, Sohn! Hast du schon gefrühstückt?»

Ich schüttle den Kopf.

«Wie kannst du von Erfolg träumen, wenn du kein Frühstück isst? Ein richtiges Frühstück ist von größter Wichtigkeit für einen Jungen, der Buchhalter werden will.»

Weiß der Meister nicht, dass ich kein Geld habe? Er teilt sein Frühstück mit mir, wobei er mir wie nebenbei erzählt, dass die Köchin eine brahmanische Witwe ist. Sie spricht und kocht wie Mutter. Sie ermutigt mich, mehr zu essen.

Nach dem Frühstück frage ich den Meister: «Was raten Sie mir,

Sir?» «Was ist deine Idee, Sohn?» «Ich habe keine Idee, Sir!» «Dann ist Buchhaltung das richtige für dich, Sohn.» «Sir, Sie sagten, ich solle Landwirtschaft studieren.» «Buchhalter verdienen regelmäßig Geld, Sohn.» «Ich will nicht Buchhalter werden, Sir.» «Warum nicht, Sohn? Künstler sind unglückliche Menschen,

schau mich an», er lächelt glücklich. «Raten Sie mir aufzugeben, Sir?» «Und Buchhalter werden? Änderst du deine Meinung, Sohn?

Der Professor für Buchhaltung ist ein netter Mann. Ich kenne ihn gut und kann dich empfehlen. Buchhaltung lohnt sich.»

Shivasamy stößt hinzu. Der Meister sagt zu ihm: «Ich liebe Sohn Arun. Es wäre schade, wenn er ein Bauer würde, er sieht zu gut aus dafür. Jetzt hat er sich entschlossen, Buchhalter zu werden. Ich bin froh. Buchhalter haben glückliche Familien, leben glückliche Leben. Künstler sind traurige Existenzen, suchen Schönheit, wo nur Schmerz, Krankheit und Tod sind.»

Der Meister schaut mich lächelnd an, trinkt seinen Tee, befrie

digt. Ich frage ihn nochmals: «Bitte, Sir, soll ich aufgeben?» Der Meister steht auf und sagt streng zu Shivasamy: «Wenn er Buchhalter werden will, halte ihn nicht davon ab!» Der Meister geht hinein.

Ich sitze verwirrt und weinend da. Shivasamy sagt leise: «Jüngerer Bruder, gib nicht auf !»

Und die Köchin sagt zu mir: «Iss mehr, kleiner Vater, und komm wieder, es gibt immer zu essen für dich!»

ANNAMALAI UNIVERSITÄT

Ich gehe spazieren, um Klarheit zu finden. Was meint der Meister? Will er mir helfen? Shivasamy und die Köchin haben Mitleid mit mir, aber niemand wird mir Geld geben. Warum spricht der Meister ständig von meinem Aussehen?

BAHNHOF CHIDAMBARAM

Am Bahnhof hängt die übliche Mischung von nutzlosen Studenten rum, die den Mädchen nachschauen, Erdnüsse essen, sich eine Flasche Campa-Cola teilen. Ich bin nicht in Stimmung und gehe weiter. Plötzlich bin ich in der South Market Street.

IN DER SOUTH MARKET STREET

Ich wage nicht, vor Marys Haus stehen zu bleiben. Ich gehe auf der anderen Straßenseite daran vorbei und starre unauffällig hinüber. Was würde ich tun, wenn ich sie hier treffen würde? Hallo sagen?

Als ich das zweite Mal am Haus vorbeigehe, höre ich Marys Stimme. Sie singt das Lied der heiligen Mirabai, das Miss Ojha sie lehrt. Mary scheint zur einen Hälfte die sinnliche Schönheit des Liedes zu genießen, zur anderen Hälfte wahre Hingabe zu fühlen, als würde sie das Lied an ihren christlichen Gott richten. Sie spielt ihr kleines Harmonium selbst und pumpt immer erst dann, wenn sie Atem holt. Miss Ojha sollte strenger mit ihr sein!

Ich möchte zuhören, solange Mary singt, doch es wäre schrecklich, wenn mich jemand entdeckte, dass ich hier stehe wie ein Rüde, der einer läufigen Hündin nachschnüffelt.

IM TEMPEL

Ich betrete den Tempel. Das Getriebe und Gedränge ist unerträglich. Ich setze mich in eine schattige Ecke im äußeren Hof und versuche, mich an das Lied zu erinnern. Marys Stimme hat eine glatte, seidige, pudrige Qualität, als ob sie zu träge wäre, zurückzuweichen, wenn ich sie zu küssen versuchte. Was würde sie sagen, wenn sie von meinen Problemen hörte? Warum will ich, dass ein Mädchen, das ich nie heiraten darf, mich liebt?

CHIDAMBARAM

Um Buße zu tun, fasse ich mir vor dem kleinen Tempel Gott Ganeshas in der ersten Seitenstraße überkreuz an die Ohrläppchen und springe auf und nieder. Es gibt einen Gott für jeden, auch für Idioten wie mich.

VOR DEM BÜRO DES KANZLERS

Früh am Montagmorgen bin ich in Hosen und Hemd vor dem Büro des Kanzlers. Noch ist niemand da. Die Bank vor seinem Büro ist nass vom Regen. Ich habe kein Taschentuch und wage nicht, einen Bürodiener zu bitten, die Bank abzuwischen. Ich stehe und tue, als ob ich die Gebäude anschauen würde, die ich so gut kenne – die riesigen Säulen, die vergessenen offenen Gräben hinter den Wohnheimen, die Milane, Geier, Krähen, Ziegen, Kühe, Hunde und Katzen. Es ist der beeindruckendste und schönste Ort, den ich je gesehen habe, aber was habe ich schon gesehen? Tippu Sultans Fort, den Golden Rock Tempel, den Palani Tempel, das ist es schon, und einmal das Meer. Mein Stolz, mich in diesen schönen alten Gebäuden aufhalten zu dürfen, ist ein Grund, warum ich unbedingt weiter studieren will, obwohl es mein Ruin und der meiner Familie ist.

Langsam belebt sich das Universitätsgelände. Zuerst schlurfen die Nachtwächter in ihre Decken gewickelt schläfrig nachhause. Dann trotten kleine Jungen vorbei, die den Professoren ihr Frühstück bringen. Studenten und Lehrbeauftragte fahren langsam auf ihren glänzenden Fahrrädern durch. Schließlich kommen zu Fuß Gruppen von Studentinnen in Saris und Halbsaris, mit Blumen in den Haaren, schwatzend und lachend. Sie sehen so hübsch aus, dass ich meine Müdigkeit vergesse.

Der Kanzler kommt um neun und sagt zu mir: «Warte!»

Solange ich Mädchen anschauen kann, ist mir egal, wie lang ich warten muss. Der Kanzler ist der Hauptdrahtzieher an der Universität. Wenn er mich hineinruft, werde ich so oft wie möglich Bitte, Sir! und Vielen Dank, Sir!