Atlan 45: Vorstoß der Rebellen (Blauband) - Hans Kneifel - E-Book

Atlan 45: Vorstoß der Rebellen (Blauband) E-Book

Hans Kneifel

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Beschreibung

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Atlan von Gonozal kämpft um sein Erbe. Seit der Vater des Kristallprinzen ermordet wurde, regiert Imperator Orbanaschol III. über Tausende Sonnensysteme des Großen Imperiums. Aber die Macht des Herrschers gerät immer mehr ins Wanken. Während wasserstoffatmende Maahks weiterhin das Sternenreich der Arkoniden angreifen, wagen höchste Würdenträger und Angehörige der Raumflotte den Aufstand. Der Vorstoß der Rebellen ins Herz des Imperiums baut auf prominente Hilfe - Orbanaschols Halbbruder Upoc soll den Imperator ersetzen und dessen Herrschaft beenden. Der Kristallprinz und seine Freunde erreichen ebenfalls Arkon, doch ihnen droht ein Schauprozess. Deshalb setzt der Kosmokriminalist Lebo Axton alles in Bewegung, um Atlan zu retten und Orbanaschol endlich zu stürzen ... Enthaltene ATLAN-Heftromane Heft 292: "Planet des Gerichts" von Hans Kneifel Heft 293: "Im Reich der Ausgestoßenen" von Hans Kneifel Heft 297: "Das Treffen der Rebellen" von Hans Kneifel Heft 298: "Gegner des Imperators" von H. G. Francis Heft 299: "Orbanaschols Ende" von H. G. Francis Enthaltenes PERRY RHODAN-Taschenbuch Taschenbuch 396: "Für Arkons Ehre" von Rainer Castor

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Nr. 45

Vorstoß der Rebellen

Prolog

Aus: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des Historischen Korps der USO, Chamiel Senethi, Sonthrax-Bonning-Verlagsgruppe, Lepso, 1338 Galaktikum-Normzeit (NGZ)

Seit Atlans erstem Bericht über Atlantis an Bord der DRUSUS wurde insbesondere vom Historischen Korps eine große Zahl weiterer solcher spontanen Erzählungen aufgezeichnet. Angepasst an den jeweiligen Zuhörerkreis und die Situation, die den Erinnerungsschub hervorrief, unterscheiden sich jedoch selbst Berichte zum gleichen Thema mitunter deutlich voneinander – sei es, weil Atlan auf die Erwähnung durchaus vorhandener Querverweise verzichtete, sei es, weil die schon an anderer Stelle angesprochenen »Blockierungen« wirksam wurden. Zwangsläufig mussten diese Dokumentationen deshalb unvollständig und zeitlich schwer einzuordnen bleiben, sodass sie bestenfalls nur Mosaiksteinchen eines sehr viel größeren, komplexeren Bildes waren.

Neben diesen Einzelberichten existieren mehrere Sammlungen, die zum Teil als zusammenhängende Berichtfolge entstanden. Bei einer handelt es sich beispielsweise um die Speicherkopie des 2048 von Atlans Lehrmeister Fartuloon erstellten OMIRGOS-Kristalls. Er befreite Atlan vom Druck der Erinnerungen, genau wie er es kurz vor seinem rätselhaften Verschwinden in Atlans Jugend tat, um ihn »Dinge vergessen oder in einem anderen Licht sehen zu lassen«. Eine zweite Sammlung, die in erster Linie auf die Jugendzeit des Arkoniden einging, entstand ab März 2844 und floss 2845 in Auszügen in die »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« von Sean Nell Feyk ein …

Occad-System, Meggion: 7. Juli 2848

Der Smiler lächelte sein eisiges Lächeln, ehe er sagte: »Die sonderbaren Streuemissionen nehmen zu. Noch streiten die Eierköpfe darüber, ob es an der Traummaschine oder an Ken liegt – oder gar an beiden. Aber wir wussten ja, dass nun die Abschlussphase bevorsteht.«

»Wir haben es vermutet.«

Ronald »Tek« Tekener winkte angesichts meiner Richtigstellung ab.

Im Februar 2844 war in den größten Raum der Geheimstation des Thalaika-Tals von Meggion eine von Alfo Zharadins Traummaschinen gebracht worden. Neben dem Konturbett gab es ein separates Lebenserhaltungssystem, das einspringen musste, sollte die Energieversorgung durch den Robotkörper versagen. Die mit einer modifizierten SERT-Haube kombinierte Übermittlerglocke umgab den Kopf seit dem 20. Februar 2844. Sinclair Marout Kennon hatte damals erreicht, dass ich meine Zustimmung gab. Die Anordnung lautete, den USO-Spezialisten ständig zu überwachen, damit er nicht durch eine Panne der Traummaschine oder am Lebenserhaltungssystem umkam. Die Traummaschine sollte ausdrücklich nicht ausgeschaltet werden. Jedenfalls nicht, solange das Gehirn in dem Robotkörper noch lebte. Für Tek war es der Abschied von einem Freund gewesen, mit dem er über viele Jahrhunderte Freude und Leid geteilt hatte und der ihm ans Herz gewachsen war. Nicht nur er hatte sich gefragt, ob es ein Abschied für immer sein würde.

Vor mehr als vier Jahren hatten Chapat und ich selbst ebenfalls in einer solchen Traummaschine gelegen und auf den Arkonwelten zur Zeit Imperator Orbanaschols ein absonderliches Abenteuer erlebt. Kennon und Tekener hatten die Spur aufgenommen und uns befreit. Obwohl Zharadin das Ischtar-Memory ausgebaut hatte, war unser Traum nicht unterbrochen worden. Die Wissenschaftler vermuteten, dass sich die Maschinen regelrecht aufgeladen haben mussten, sodass sie nicht mehr auf die direkte Anwesenheit des Ischtar-Memorys angewiesen waren. Überdies war es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Wechselwirkung auf paramechanischer Ebene mit der verwendeten SERT-Technik gekommen, auf denen die Übermittlerglocken basierten.

»Nach den Berechnungen dauert es noch einige Tage.«

Tekener nickte abermals. »Und niemand weiß, wie es ausgeht.«

»Hoffen wir das Beste, alter Freund.«

Vieles war Anfang 2844 zusammengekommen und hatte sich einem Tsunami gleich aufgeschaukelt: Die gemeinsamen Erlebnisse mit Chapat in der Vergangenheit auf den Arkonwelten unter dem sonderbaren Einfluss von Zharadins Traummaschine; Erinnerungen an Chapats Mutter, die Varganin Ischtar; das Verschwinden meines Sohnes aufgrund des Einflusses des Ischtar-Memorys nach unserer Rettung; die eindringliche Erkenntnis, dass Kennon – ebenfalls durch die Wirkung einer Traummaschine – als Lebo Axton in der Projektionsgestalt seines in unserer Zeit gar nicht mehr existierenden Originalkörpers während meiner Jugendzeit höchst aktiv gewesen war …

Auch Tage nach den Ereignissen hatte mich der Albtraum noch fest im Griff gehalten: Wieder und wieder sah ich Chapat vor mir. Mein Schädel schien zu brennen, von tausend marschierenden Naats erfüllt zu sein und von halutischen Handlungsarmen massiert zu werden. Der Extrasinn war mit stechenden Impulsen bemüht, mein Wachbewusstsein zu erreichen; ich aber war wie in Trance gewesen, hatte das Aufsteigen einer gewaltigen Woge in mir gefühlt und gebebt. Furcht! Ich fürchtete mich vor der Vergangenheit, denn durch Chapat schien ein mächtiger Staudamm gebrochen zu sein. Die OMIRGOS-Blockade versagt! Szenen blitzten auf, verdichteten sich, wurden zu einer unüberschaubaren Wand – eine tobende Begrenzung, die immer näher rückte. Ich fürchtete, zerquetscht zu werden, aufgerieben von den Bildern und den mit ihnen verbundenen Emotionen.

Ich kannte das Gefühl nur zu gut. Die Qualen steigerten sich, Außenreize und Gedanken schwangen in Übereinstimmung mit gespeicherten Erinnerungen des fotografischen Gedächtnisses. Ich wusste, dass ich reden musste. Nur so war der Druck abzubauen. Aber auch dieser Prozess war schmerzvoll, anstrengend, um nicht zu sagen demütigend: Hilflos, am ganzen Leib gelähmt, erfuhr jeder Zuhörer Dinge, die zu meinem Intimsten gehörten. Scham kämpfte an gegen den Wunsch, dem Druck und den Schmerzen auszuweichen.

Kurz vor ein Uhr am 3. März 2844 wurde die Blockade durch Fartuloons OMIRGOS-Kristall endgültig aufgebrochen. Deutlich sah ich den aus dem Zhy Bewussten Seins materialisierten Kristall vor mir, gekennzeichnet durch seine 1024 Facetten und ein goldenes Lumineszenzleuchten. Chapat und Kennon waren die Auslöser gewesen, ebenso Ischtar. Ich übergab mit letzter Kraft Ronald Tekener die Befehlsgewalt in Quinto-Center, wusste genau, dass ich für eine längere Zeit handlungsunfähig sein würde, weil ich den Erinnerungsschub nicht aufhalten konnte.

»Ich werde mich auf die Couch legen«, hatte ich gesagt, »von unseren Medizinmännern betreuen lassen und mir den Mund fusselig reden. Verdammt, manchmal verfluche ich das fotografische Gedächtnis. Irgendwie muss ich es ordnen. Die verschiedensten Szenen überlagern einander, mir heute bekannte Bezüge und Dinge fließen ein. Ein heilloses Durcheinander. Welche Sprache? Satron? Welche Maße und Einheiten? Soll ich übersetzen oder im Original bleiben? Arkons Sternengötter – mein Schädel brummt wie ein Hornissenschwarm.«

Ich hatte erschöpft geschwiegen. Noch war der Sprechzwang zu unterdrücken gewesen. Das Medikament half. Die Mediziner wechselten besorgte Blicke; in Tekeners Gesicht, bleich und übernächtigt, stachen markant die Narben der Lashat-Pocken hervor.

Sein kaltes Lächeln erschien. »Legen Sie sich hin, Lordadmiral. Ich kümmere mich um alles. Sie berichten von Ihrer Jugendzeit, nicht wahr? Wir werden gespannt lauschen.«

»Macht es für mich nicht leichter.« Ich seufzte. »Gut. Ich hab einen Ansatz gefunden. Vom Auslöser Chapat zurück zu den Anfängen, und dann chronologisch weiter. Keine Unterbrechungen, bitte. Ich bin sowieso nicht mehr ansprechbar. Diskussionen in den Pausen, die ich zwangsläufig einlegen muss. Bis dahin dürften auch Kennons erste Gedanken- und Erinnerungsaufzeichnungen vorliegen und meine Berichte ergänzen.«

Es hatte viele Monate beansprucht. Meine Erzählungen dauerten meist an die zehn und mehr Stunden pro Tag, unterbrochen nur von Ruhe- und Schlafphasen, die mein Körper trotz Zellaktivator benötigte, und der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Parallel dazu fanden permanent die Auswertungen des Historischen Korps der USO statt. Querverweise wurden erstellt, Sekundär- und Tertiärquellen herangezogen, Auswertungen kamen hinzu, Kommentare und Fußnoten. Neben dem normalen Betrieb im Hauptquartier der USO nutzten die Spezialisten jede Minute ihrer Freizeit, um – wie es Tek mal formulierte – am Leben des »Alten« teilzunehmen. Alle verfolgten gespannt und fasziniert meine Berichte, Monitoren zeigten Texte und Bilder. Ergänzt wurden die akustischen Informationen um jene Daten, die die modifizierte SERT-Haube lieferte, die meinen Schädel bedeckt hatte.

Speziell trainierte Piloten, die sogenannten Emotionauten, nutzten das Simultane Emotio- und Reflex-Transmission umschriebene Verfahren zur Steuerung von Raumschiffen, bei dem sie ihre rein gedanklichen Steuerbefehle direkt in die Schiffssysteme eingaben. Die über dem Kopf des Emotionauten schwebenden SERT-Hauben dienten als paramechanisches Interface, die sämtliche gedanklichen Befehlsimpulse in positronische Steuerbefehle umwandelten. Im Gegensatz dazu ließen sich modifizierte SERT-Hauben als einfache Verbindung zur Aufzeichnung von Bewusstseinsimpulsen nutzen. Allerdings hatte es Gedankenzeichner oder die direkte Informationsübertragung von Gehirn oder Bewusstsein auf Geräte bereits früher gegeben. Schon eine rein elektronische Abtastung von Hirnaktivitäten war keine Besonderheit. Lange vor der Einführung der SERT-Technik galt die paramechanische Technik der arkonidischen Simultan- und Fiktivprojektoren als ausgereift.

Vor diesem Hintergrund wunderte es niemanden, dass bei Zharadins Traum- oder Illusionsmaschinen auf bewährte Technologie zurückgegriffen wurde. Dementsprechend wurden Kennons Bewusstseinsimpulse ebenfalls aufgezeichnet und analysiert; mit etwas Verzögerung konnten dann die Ergebnisse vorgelegt werden. Chapats und mein Aufenthalt hatte im Traum 27 Pragos oder rund 32 Standardtage beansprucht – in der Gegenwart waren dagegen 69 Tage verstrichen, mehr als das Doppelte.

Kennon unterlag einem vergleichbaren Effekt. Sein »Traummaschinen-Abenteuer« begann am 20. Februar 2844 um 12 Uhr Terrania-Standardzeit. Wie wir inzwischen wussten, verschlug es ihn nach Arkon III zum 10. Prago des Ansoor 10.498 da Ark oder 26. Juni 8022 vor Christus. Aus meinen Erinnerungen wiederum wusste ich, dass Axton kurz nach Orbanaschols Tod am 17. Prago des Dryhan 10.500 da Ark oder 9. Juli 8020 vor Christus spurlos verschwand – nach fast 524 Pragos. Umgerechnet auf die Verlängerung in unserer Zeit musste das rund 1600 Standardtagen entsprechen; als kritischer Termin galt der 12. Juli 2848. Niemand wusste, was genau passieren würde.

»Erwacht Ken schlicht und einfach?«, murmelte Tek. »Wie reagiert das von seinem Originalkörper verbliebene Gehirn in dem Robotkörper – von Ken stets nur Vollprothese genannt? Erleidet es einen Schock? Besteht unter Umständen sogar Lebensgefahr?«

»Wir haben uns, so weit es eben geht, auf alle denkbaren Eventualitäten vorbereitet.«

»Wirklich alle, Sir?«

»Fällt Ihnen noch was ein?«

»Leider nein.«

1.

Aus: Welten des Großen Imperiums, autorisierte Info-Sammlung des Flottenzentralkommandos (Geheimwelten unterliegen Zugriffskode ***-****-**), reich bebildert, 89. Auflage der Kristallchips, 10.495 da Ark

Celkar: Erster von fünf Planeten der kleinen roten Sonne Monhor, die, etwas außerhalb vom Kugelsternhaufen Thantur-Lok, 102 Lichtjahre von Arkon entfernt ist. Bekannt als der Planet des Gerichts – denn es handelt sich um die maßgebliche Gerichtswelt des Großen Imperiums, das juristische Zentrum. Celkar ist einer der Präferenzplaneten, was bedeutet, dass die dort beschäftigten Beamten auf anderen Planeten Sonderrechte genießen.

Basisdaten: Durchmesser: 11.550 Kilometer, Schwerkraft: 0,8 Gravos, Eigenrotation: 18,1 Tontas. Celkar wird von einem 2852 Kilometer durchmessenden Mond umkreist; synodische Umlaufzeit: 30,7 Celkartage. Es gibt keine größeren Landmassen, sondern vier Inselkontinente. In der Nähe des Äquators befindet sich Bassakutena mit der Hauptstadt des Planeten, Kutenarynd (rund 50.000 Einwohner).

Auf Celkar dreht sich buchstäblich alles um Richter, Ankläger, Verteidiger und sämtliche damit zusammenhängenden Aktivitäten. Zentrum ist hierbei der riesige Gebäudekomplex der Arena der Gerechtigkeit. In ihm finden seit den Neuanfängen nach den Archaischen Perioden viele gewöhnliche und nahezu ausnahmslos alle Sensationsprozesse statt.

Der Gefängniskomplex ist eine uneinnehmbare stählerne Festung in Form eines fast einen Kilometer durchmessenden und 200 Meter hohen Rundkegelstumpfes. Die abgeschrägte Außenfassade ist völlig glatt, allerdings von vielen Reihen kleiner Fenster umgeben. Der Innenhof weist ebenfalls glatte und schräge Wände auf. Panzerkuppeln und die Markierungen für Gleiterlandeplätze befinden sich auf dem 800 Meter durchmessenden und 100 Meter breiten Kreisring, der das Dach dieses Komplexes bildet.

Die wahrhaft epochalen Verhandlungen – in den sogenannten Ewigen Annalen der Arena verzeichnete Präzedenzfälle – enden in 75 von 100 Fällen mit öffentlichen Hinrichtungen, ziehen immer wieder gewaltigeMengen Interessierter an, von denen das Hotel- und Dienstleistungsgewerbe der Hauptstadt gut lebt.

Bei wichtigen Gerichtsverfahren gelten die alten, fast archaischen Regeln des Ta Ark’Tussan. Sozusagen Handarbeit als ehrlichste und direkteste Vermittlung von Fakten und Informationen, wenngleich geeignet, die Wahrheit zumindest zu betonen, zu unterstreichen sowie scheinbar unwichtige Fakten in ihrer wirklichen Bedeutung hervorzuheben oder zu mindern. Für den Angeklagten bedeutet dieser altertümliche Verhandlungsstil, dass er keine maschinenhafte Urteilsbegründung erhielt; seine Chancen standen und fielen mit der Geschicklichkeit des Anklägers beziehungsweise des Verteidigers.

Celkar: 2. Prago des Dryhan 10.500 da Ark

Ches Prinkmon lehnte an der Bar der KALIMOUN und starrte den Bildschirm an, der das Empfangsgebäude des Raumhafens zeigte. Die Bauten lagen da wie eine niedrige Mauer, die den Gerichtsplaneten vor Neugierigen abschirmte. In der Abenddämmerung – das Schiff war soeben sanft gelandet – flammten die ersten Scheinwerfer auf. Hinter den Fenstern breitete sich Helligkeit aus. Ches hob das Glas und nickte einigen Gästen zu, die er während des Fluges flüchtig kennengelernt hatte; der bevorstehende Prozess lockte eine gewaltige Masse von Interessierten an.

Die Schiffsmaschinen waren abgeschaltet worden. Als Ches die Szenerie sah, die sich auf dem Bildschirm ausbreitete, fühlte er Erregung in sich aufsteigen. Der Prozess auf Celkar konnte seine größte Chance werden. Ihm blieb nichts anderes mehr übrig, als von Bord zu gehen und auf sein leichtes Gepäck zu warten. Sobald er den Boden des Gerichtsplaneten betreten hatte, war er allein auf sich gestellt. Arkon-Vision war die härteste Schule für Journalismus, die es gab.

Die zerschrammten Glassitplatten fuhren asthmatisch zischend auseinander. Ein Mann kam aus dem beleuchteten Korridor in die Bar hinein. Ches erkannte den Ersten Offizier. Das runde Gesicht war gleichgültig, als der Offizier sagte: »Guten Abend, Prinkmon. In wenigen Zentitontas trennen sich unsere Wege.«

Ches bewegte das Glas und hob fragend die Brauen. »Trinken Sie einen mit? Sie waren ein feiner Zechkumpan.«

»Danke, nein. Muss mich um den Start kümmern, Meister. Sie finden sich allein zurecht in der juristischen Wildnis?«

Ches nickte. »Ja, ich denke schon«, sagte er, trank aus und stellte das Glas zurück. »Unsere Firma hat alles arrangiert.«

»In Ordnung. Warten Sie auf den Summer und die Durchsage. Das Gepäck kriegen Sie dort drüben. Fliegen Sie mal wieder mit uns?«

»Kann sein.«

Sie wechselten einen flüchtigen Händedruck. Der Erste war einer der vielen Männer, die man traf und vergaß, ebenso wie das alte und klapprige Schiff, auf dem er flog. Mit geübtem Blick sah sich der Offizier in der fast leeren Bar um und entdeckte einen Passagier, der ebenfalls hier aussteigen sollte und schlafend in einer Ecke lehnte.

Ches Prinkmon schob ein Trinkgeld über die Theke, gönnte der Barfrau ein kurzes Lächeln und ging langsam hinaus. Nach dem Flug folterte die Stille, die sich von Zentitonta zu Zentitonta verstärkte, innerhalb des Schiffes seine Nerven. Ches fand den Weg in seine Kabine, nahm seine Tasche und hängte sie sich über die Schulter. Er hatte nichts vergessen und nichts zurückgelassen.

»Willkommen auf Celkar«, murmelte Ches ironisch und schloss die Kabinentür. Er betrat den ersten Planeten des Monhor-Systems ziemlich unvoreingenommen, denn es gab nur wenig, was er über den Angeklagten namens Ogor wusste; angeblich die zentrale Figur im Prozess des Jahres. Ches zwang sich zur Ruhe, während er über Rampen, schmale Korridore, breite Gänge und schließlich durch den Antigravschacht die alte KALIMOUN verließ. Würzige Luft schlug ihm entgegen, mit hoher Luftfeuchtigkeit, als er die breite Rampe hinunterging und auf den Raumhafenzubringer zusteuerte.

Ein nicht neues, aber sauber aussehendes Gefährt. Automatisch registrierte Ches jede Einzelheit und begann bereits zu formulieren, was er empfand. Celkar. Planet des Gerichts. Arena der Gerechtigkeit. Juristisches Zentrum der Imperiumswelten. Kutenarynd-Raumhafen. Prozessbezirk. Gleiter 24. Diese Schriftzüge umliefen in einem mehrfarbigen Band die lang gestreckte Kabine. Ches setzte sich in einen der Sessel und wartete, zusammen mit anderen Gästen, bis das Gepäck verladen war und die letzten Passagiere das Schiff verlassen hatten. Ein leichter Wind wehte über die riesige Fläche des Raumhafens. Eine ununterbrochene Geschäftigkeit herrschte.

Merkwürdig, dachte Prinkmon und schüttelte sich, seit zwei Jahren versuche ich, einen Auftrag wie diesen zu bekommen. »Gehen Sie nach Celkar! Berichten Sie über den Prozess des Jahres oder machen Sie den Prozess des Jahrzehnts daraus. Und finden Sie etwas Neues. Der Imperator wünscht, dass wir von der innenpolitischen Lage ablenken. Also, bemühen Sie sich, Ches, mein Lieber.« So oder ähnlich hatten sie es auf Arkon I formuliert. Und jetzt, da ich gelandet bin, scheue ich zurück. Es ist ganz sicher nicht Ogor, der mich so unsicher macht. Dieses … Ding! Ich weiß es nicht. Irgendeine verdammte Ahnung.

Zischend schlossen sich die Türen, der Gleiter schwebte langsam an und glitt auf die Landefeldgebäude zu. Die warme Atmosphäre der Abfertigungshalle änderte für kurze Zeit die Gedanken und Überlegungen des Reporters. Ches Prinkmon war siebenundzwanzig Jahre alt, groß und schlank; die Ausbildung als Trivid-Journalist war für ihn leicht gewesen, weil sein Interesse und seine Leidenschaften genau diesem Medium entsprachen. Die harte Arbeit bedeutete für Ches ungeteiltes Vergnügen. Aufmerksam las er die Überschriften einiger lokaler Infodienste. Das Ding Ogor beherrscht die Schlagzeilen.

»Sämtliche Zutaten«, murmelte ein dicker Mann, der unverkennbar Anwaltssekretär sein musste, »sind vorhanden. Meinen Sie nicht auch, junger Mann?«

Höflich drehte sich Ches zum Sprecher um und nickte. »Es verspricht wirklich eine interessante Auseinandersetzung zu werden.«

»Was sagen Sie da, der Prozess des Jahrhunderts wird das. Die Frage, ob man eine Semimaschine töten darf, wird juristisch entschieden werden. Ein zukunftsweisender Aspekt schwebt über allem.«

»Zweifellos«, gab Prinkmon zu. »Indes, hier kommt mein Gepäck. Sie entschuldigen mein mangelndes Interesse?«

»Gewiss doch. Jeder ist sich selbst der Nächste.«

Ches Prinkmon griff nach den beiden mittelgroßen Koffern und bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich um die Bänder drängte. Er durchquerte die Halle, rempelte ein gut aussehendes Mädchen an, wich einer Gruppe leicht betrunkener Raumsoldaten aus und trat auf das langsam laufende Band, das ihn nach einer Fahrt von vierhundert Metern vor dem Anfang einer langen Reihe einheitlich golden lackierter Taxigleiter absetzte. Einer schwebte heran, die Mechanik klappte das Gepäckabteil auf und verschloss es wieder, dann setzte sich Ches neben den Piloten.

»Wohin?« Der alte Mann hatte zerknitterte Gesichtszüge und trug eine große Augenklappe.

»Zuerst zum Erfolgreichen Plädoyer, dann zum Stadtbüro von Arkon-Vision.«

Der Gleiter schwebte los, beschleunigte mit heulenden Absorbern und reihte sich in einer Serie halsbrecherischer Manöver in den Verkehr der Hauptpiste ein. »Sie sind wegen Ogor hier?«

»Warum glauben Sie das?« Ches lehnte sich zitternd zurück, nachdem der Gleiter zwei andere in waghalsiger Geschwindigkeit überholt und deren Spur drastisch geschnitten hatte.

»Alle kommen wegen Ogor. Oder wenigstens die meisten. Sie sehen aus wie ein junger Reporter, der auf die große Sache scharf ist, auf einen Knüller, der mindestens acht Tage die imperialen Überschriften füllt.«

Ches Prinkmon knurrte verblüfft. »Sie hätten Psychologe werden sollen.«

»Jeder Gleitertaxipilot ist nach einem Jahr ein ausgebildeter Psychotherapeut«, gab der andere ungerührt zurück.

»Tatsächlich komme ich wegen Ogor.«

»Eine merkwürdige Figur.«

»Ein mehrfacher Mörder, hörte ich.«

»Wie man’s nimmt. Gerade das soll ja untersucht werden. Er leugnet nichts, aber er schiebt alles auf den Korratz.«

»Wird Ogor mit dem Korratz-Einwand durchkommen?«

»Die Wetten stehen fünfzig zu fünfzig. Ich denke, sie werden ihn verurteilen und schnell töten.«

Ches erkundigte sich, um sein eigenes Bild abzurunden: »Was ist dieser Ogor eigentlich? Warum ist er so wichtig?«

»Aus einigen Handvoll guter Gründe.«

»Kennen Sie diese Gründe?«

»Meine Fahrgäste kannten sie. Jetzt kenne ich sie auch.«

»Kann ich sie erfahren?«

Einige Chronners wechselten den Besitzer. Dann hörte Ches Prinkmon eine verblüffende Geschichte, von der er selbst etwa die Hälfte recherchiert hatte. Zunächst einmal: Von den Sensationsprozessen bildeten die Auseinandersetzungen »das Imperium und der Imperator versus eine einzelne Person oder eine Gruppe« die hervorstechenden Punkte. Im Augenblick war es der Prozess »Imperium versus Ogor«, der die Öffentlichkeit mobilisierte.

Ogor selbst, jene schwer zu klassifizierende Mischung aus einem Arkoniden und einem Roboter, eine Art Baukasten-Cyborg, bildete zwar den Hauptgegenstand des bevorstehenden Verfahrens, aber er war eigentlich nichts anderes als ein mehrfacher Mörder unter vielen anderen, dessen Fälle hier verhandelt wurden. Vielmehr war die Kombination aus einem biologischen Körper und vollrobotischen Ersatzteilen das wahrhaft Aufsehenerregende.

Der einäugige Taxipilot steuerte sein Vehikel so, als gäbe es weder Regeln noch Verkehrsüberwachung. Dabei schilderte er plastisch das, was er von plaudernden Anwälten, Verteidigern oder Schriftführern während vieler Fahrten aufgeschnappt hatte. Es waren nicht mehr als einige Morde, die von Ogor mit scheinbar kalter Perfektion und ohne erkennbare Gemütsbewegung begangen worden waren, die das Gericht ihm vorwarf, und die er im Übrigen auch keineswegs leugnete. Vor Beginn seiner verbrecherischen Karriere war Ogor einer der risikobewusstesten Geschwaderführer des Imperiums gewesen. Aber ehe er die ersten Auszeichnungen einheimsen konnte, schlug der unheilbare Korratz zu.

Es war eine der jüngsten und schrecklichsten Krankheiten des Imperiums. Es begann ganz harmlos damit, dass die Endglieder von Fingern innerhalb von Tagen verdorrten, sich stechend gelb färbten und dann, bei einer unachtsamen Bewegung, abfielen wie brechendes Glas. Die ersten zwei Tage eines Anfalls, der sich immer nur auf eine einzelne Stelle des Körpers konzentrierte, waren von grauenvollen Schmerzen begleitet. Danach spürte das Opfer nichts mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein befallenes Glied ein zweites Mal heimgesucht wurde, stand bei drei zu eins.

»Sagen Sie«, wandte sich der Gleiterpilot am Ende einer atemlos langen Erzählung an den Reporter, »Sie kommen doch ziemlich weit herum. Hat man noch nichts gegen den verdammten Korratz gefunden?«

»Mir ist nichts bekannt.«

»Hm.« Der Pilot wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Verkehr zu. »Miese Aussichten für Ogor. Übrigens, er hat diesen Primm. Ein höchst appetitliches Tierchen. Es bringt in die Berichte von weiblichen Journalisten eine so intensive Note.«

»Diesen … wen?«, fragte Ches. Davon wusste er nichts.

»Primm. Ein hellblaues Ding, kaum handgroß. Mit Flughautflügeln, bewegt sich aber wie ein Schwirrflügler. Primm hat einen beschränkten, aber wirkungsvollen Wortschatz. Flucht ausdauernd in mancherlei kolonialen Dialekten.«

Während der letzten Dezitonta hatte Ches Prinkmon seinen winzigen Rekorder mitlaufen lassen. Die breite Gleiterpiste verzweigte sich jetzt wie eine zehnfingrige Hand, deren einzelne Spinnenglieder in verschiedene Richtungen auseinanderstrebten. Soweit Prinkmon erkannte, raste der Taxipilot die richtige Abzweigung entlang. Kleine Parks tauchten auf, in denen schlanke Kelchtürme aus Glas und Stahl zu sehen waren. Der Belag der Piste glühte phosphorfarben zwischen den Hängen und dem Gebüsch. Es herrschte noch immer starker Verkehr in beiden Richtungen.

»Hat Ogor diesen … Primm schon lange?«

»Seit er eingeliefert wurde.«

»Verblüffend. Tatsächlich habe ich nichts von Primm gewusst.«

Der Pilot setzte ein zufriedenes Grinsen auf. »Trösten Sie sich, junger Mann. Erst vor zwei Planetentagen durfte der erste Korrespondent in die Zelle. Das Ganze ist eine sehr traurige Sache, mein Junge. Ich hoffe, Sie sind keiner der Sensationsgorkii, die jede Information maßlos ausschlachten.«

»Selbst wenn ich das wollte«, schränkte Ches voller Unbehagen ein, »könnte ich es nicht. Schließlich ist Arkon-Vision besonderen Richtlinien unterworfen.«

»Wenn Sie so viele Leute in allen Situationen erlebt hätten wie ich, mein Junge«, sagte der Pilot fast mitleidsvoll, »würden Sie sich nicht wundern, wie schnell sich der eine oder andere binnen Augenblicke ändert und das Tier in sich hervorkriechen lässt. Ich wünsche Ihnen jedenfalls das Beste.«

»Vielen Dank«, knurrte Ches säuerlich. Da waren sie wieder, jene Spannung und Nervosität, die ihn ergriffen hatten, als die KALDVIOUN den Boden des Planeten berührt hatte.

Der Gleiter hielt in der subplanetarischen Zufahrt des Hotels an. Das Gepäck wurde entladen. Ches gab dem Einäugigen ein gutes Trinkgeld und ließ ihn sieben Zentitontas warten. Dann hinterlegte er seinen Schlüssel an der Rezeption und ließ sich zur Arkon-Vision-Redaktion bringen. Ein heilloses Durcheinander, Alkoholdunst und das hysterische Gelächter von Bürochef Fimm Monhole empfingen ihn. Augenscheinlich feierten sie eine Party. Kopfschüttelnd trat Ches Prinkmon näher. Er nahm einer jungen Frau einen Drink ab und blieb neben Aderlohn Dharr stehen. »Hier bin ich. Wo ist die Kamera?«

Sein älterer Kollege starrte ihn wie einen Geist an und brach in dröhnendes Lachen aus. Er war betrunken, das war deutlich zu erkennen.

Die Schreie waren markerschütternd. Im Augenblick hallten sie von den weiß gestrichenen Wänden des viereckigen Innenhofs wider; es waren unheilvolle Schwingungen, von denen alle übrigen Pflanzen beeinträchtigt wurden. Seit Lekos einmal mit einem Hieb seiner messerscharfen Schreibhand eine blutrot blühende Rolpe, eine der schönsten und planetengeschichtlich ältesten Pflanzen in diesem Garten, geköpft hatte, empfanden alle Zierpflanzen in diesem Viereck das Auftauchen des rostigen Körpers als mentale Bedrohung.

Der alte Rechtsanwalt – Kaarfux mit den 777 Tricks – schaltete die verborgenen Lautsprecher aus, drehte an einem Regler und empfing einen Teil der osmotischen Musik jetzt nur über die winzigen Kristalle in seinen Ohrmuscheln. Langsam näherte er sich einem kugelrunden, fast unhörbar zitternden Zierstrauch und fuhr liebkosend mit beiden Handflächen über die Blätter. Langsam hörten die lanzettförmigen Blätter und die feinen, behaarten Stängel auf zu zittern und sich zu schütteln. Kaarfux drehte sich um, kippte mit dem Zeigefinger nacheinander eine Reihe von Schaltern herunter und regelte die Intensität der verstärkten und hörbar gemachten Schwingungen dieses Kugelbusches – Tanifera ragens – neu ein. Eine harmonische Musik erklang stereofon in seinen Ohren.

»Sehr schön, mein kleiner Grüner«, murmelte er und fuhr damit fort, vorsichtig die halbmannshohe Pflanze zu streicheln. Vor zwei Tontas hatte er die vitaminreiche Nährflüssigkeit, mit dem abgemessenen Quantum Wasser vermischt, über die zierlichen Wurzeln versprüht. Die Pflanze schmiegte sich förmlich seinen streichelnden Fingern an. Er spürte die eigenständige Bewegung dieses lebenden, geheimnisvolle chemoelektrische Schwingungen emittierenden Körpers. »Nur ruhig. Lekos wird euch nichts mehr tun. Niemals mehr.«

Aber die meisten Pflanzen waren »intelligent« genug, um die versteckte Bedrohung zu erkennen, die in dem tonnenförmigen Körper von Lekos steckte. Lekos schwebte zwei Meter hinter seinem Herrn und Meister und starrte den ineinander verflochtenen, dschungelartigen Teil des Gartens entlang der drei weißen Mauern an. Riesige Bronzenägel unterbrachen die weißgrüne Fläche; einige Pflanzen klammerten sich an diese schimmernden Haltepunkte.

Kaarfux konzentrierte sich auf Tanifera ragens. Osmotischer Druck und zwischen den Millionen Zellen flutendes Plasma mit all seinen chemischen Bestandteilen erzeugten in Verbindung mit den Nervenadern der Pflanze deutliche elektrische Schwingungen. Die der Wurzeln waren gänzlich anders als diejenige des Stammes oder jene, die in Ästchen und Blättern entstanden. Zusammengenommen bildeten sie eine Harmonie. Einige Dutzend Sensoren waren an und in den Pflanzen befestigt, vereinigten sich zu einem dünnen Kabel, das in einen modulierenden Verstärker mündete.

Der Verstärker und diverse andere technische Einrichtungen transponierten die Schwingungen in einen für Arkoniden hörbaren Bereich hinunter und machten aus Schwingungen Töne. Diese Töne hörte Kaarfux. Er war reich und jenseits von den gewöhnlichen Aufregungen eines handelsüblichen Strafprozesses. Mit Zivilklagen hatte er sich nicht mehr befasst, seit er seine glanzvolle Ausbildung beendet hatte. Die Wirkung von Geschehnissen auf Pflanzen und die dadurch hervorgerufenen musikalischen Wirkungen waren seit fünfzehn Arkonjahren sein Hobby. Von den dreihundert verschiedenen Pflanzen »sangen« zweihundertneunzig. Zehn bildeten den Humus für die Neukulturen; ihr kreatürliches Hintergrundbrummen war für den Mann ebenso indiskutabel wie ein gekaufter Zeuge oder das neueste Gerücht über geheimnisvolle Gänge unterhalb der Arena der Gerechtigkeit.

»Schöne Musik, mein Grüner«, sagte er mit schläfriger Stimme. Die Pflanze belohnte diese liebevolle Zuwendung mit einer Melodienfolge, die an Mondnächte über einem stillen See erinnerte. »Wunderbar …«

Kaarfux ging langsam rückwärts von der Pflanze weg. Er hörte die schrillen Schmerzenslaute nicht, die Grashalme und Moosbüschel unter seinen Sohlen ausstießen. Er grinste diabolisch. Mit den Pflanzen hatte er einen ganz bestimmten Versuch vor. Er interessierte ihn brennend, aber es war nur ein akademisches Problem. Mit Ogor hatte Kaarfux nichts zu tun – obwohl: Hin und wieder zuckte es ihm in den Fingern, einzugreifen und die Macht seines geschliffenen Verstandes und die Summe der Erfahrungen aus fast sechzig Berufsjahren einzusetzen. Grimmig grinsend schüttelte er den kugelrunden, faltigen Kopf. Seine Augen strahlten auf, als er bemerkte, wie Lekos hinter ihm auswich und sich in Richtung auf den Wohnraum zurückzog.

»Darum also sind die Kerlchen so aufgeregt. Zurück zum Pult, und schnell die letzten Informationen abrufen, Blechknecht.«

Zwanzig Lichter auf der eindrucksvollen Leuchtfront des Apparats flackerten in einem bestimmten Rhythmus auf. Eines fernen Tages, dachte Kaarfux, werde ich auch das letzte Geheimnis meines Ratgebers lüften.

Lekos gehorchte, verließ schwebend den Garten und summte durch die weit geöffneten Fenster in den Wohnraum zurück. Langsam wurde es dunkel. Hinter Kaarfux und Lekos spielte das unhörbare Riesenorchester seine unkoordinierten Melodien. Aber es erklangen, nachdem die rostige Maschine den Garten verlassen hatte, keine Schreckensschreie mehr. Seinen Spottnamen verdankte Kaarfux seiner charakterisierenden Fähigkeit, einen scheinbar verfahrenen Prozess in buchstäblich letzter Zentitonta zugunsten seines Klienten und seiner Einkünfte zu einer überraschenden, positiven Wendung zu führen. Kaarfux mit den 777 Tricks. Er schaltete den Verstärker ab und zog die Kristalle aus seinen behaarten Ohrmuscheln. Er schaltete das Visifon ein, genau rechtzeitig, bevor die Nachrichten begannen. Ein weiterer Tastendruck aktivierte das Aufzeichnungsgerät.

Vor dem Bildschirm, halb so groß wie die Wand, baute sich das gestochen scharfe, farbig dreidimensionale Bild auf; schließlich begann der Sprecher: »Vor den Schranken der Arena der Gerechtigkeit wird in zwei Tagen eine denkwürdige Verhandlung ihren Anfang nehmen. Der Prozess Imperium versus Ogor beginnt. Wie inzwischen bekannt wurde, ist Ogor von der Krankheit Korratz gezeichnet worden. Diese Krankheit ist ebenso grässlich wie selten, und es gibt kein Mittel dagegen. Die durch den Schwund einzelner Körperteile hervorgerufenen Verstümmelungen wurden im Fall Ogors von Medizinern durch Prothesen verschiedener Größe und Feinheit ersetzt. Schließlich führte nach Aussagen des Angeklagten ein ganz bestimmter kybernetischer Teil zu schwersten Persönlichkeitsänderungen. Ogor wurde nach Angaben des Untersuchungsrichters zum mehrfachen Mörder. Er ist geständig, aber er lehnt jede Verantwortung ab. Ein vergleichbarer Fall ist selbst in den sogenannten Ewigen Annalen der Arena noch nicht vermerkt. Der Prozess nimmt mit Recht für sich in Anspruch, einmalig zu sein. Der Ausgang und das Urteil werden von richtungweisender Tragweite für sämtliche Verbrechen sein, die unter dem Begriff Cyborg-Untaten zusammengefasst werden können …«

Es folgte ein kurzes Interview mit einem der Verteidiger Ogors. Aus reiner Schadenfreude und Verzweiflung hatte Ogor als Angehöriger der Arkonflotte auf einen Pflichtanwalt Anspruch erhoben, der vom Imperium bezahlt wurde. Er hatte einen der besten bekommen, die es auf dem Gebiet gab, bemerkte Kaarfux mit grimmigem Lachen. Auch dieses Interview schnitt er mit. Dann folgte – zum ersten Mal für eine große Öffentlichkeit – ein kurzer Streifen. Er zeigte Ogor in seinen jungen Jahren, als Kadett der Flottenakademie von Iprasa, als breit grinsenden Risikopiloten, als müde und zerfurcht heimkehrenden Sieger erbitterter Kämpfe gegen die Methanatmer und schließlich als mehr und mehr verfallenden Patienten, der zwischen vielen Operationen immer wieder für Arkon und das Imperium kämpfte. Der Bericht war von einer geradezu brutalen Deutlichkeit.

Er zeigte den Weg eines Mannes vom Heranwachsenden zum roboterartigen Wrack auf eine lautlose, erschreckende Weise. Mit einem kurzen Blick in Ogors Zelle, in der er mit Primm spielte, endete auch der Bericht über dieses Thema. Außenpolitische Beiträge folgten. Kaarfux schaltete das Aufnahmegerät ab und nahm mit halbem Interesse den Rest der abendlichen Nachrichten zur Kenntnis. Weder die Krisenlage des Imperiums noch die Aussichten Orbanaschols, doch noch lange am Leben zu bleiben, konnten positiv bewertet werden.

»Es passiert nichts mehr«, rief Kaarfux. »Die Lage ist hoffnungslos, und nicht einmal der Imperator weiß, wie es weitergehen soll. Wohin sind die Tage des siegreichen Imperiums? Was ist aus dem Erbe Gonozals geworden? Ich brauche Aufregungen! Ich muss was tun! Mein Verstand rostet ein, und mich plagt die Eintönigkeit.«

Der Lekos erwiderte blumig: »Einwände, die schon oft zu vernehmen waren. Aber von allen herausragenden Ereignissen ist lediglich der Ogor-Prozess deiner würdig, Gebieter. Aber vielleicht bietet sich dir schon bald eine Gelegenheit, aus der Glut längst erloschener Feuer eine heiße, lodernde Flamme werden zu lassen.«

Seit der Zeit, in der Kaarfux beratender Mitwirkender beim Umbau der Arena der Gerechtigkeit gewesen war, schien sich nahezu alles geändert zu haben, was Innenpolitik und außenpolitische Erfolge des Imperiums betraf. Wie unzählige andere Arkoniden war auch Kaarfux zwar persönlich nicht von irgendwelchen Einschränkungen betroffen, aber er litt darunter. Er war sich völlig darüber im Klaren, dass er selbst nichts dagegen tun konnte; die Idee, sich als alter Mann etwa den Rebellen anzuschließen, war ebenso absurd wie undurchführbar. Aber er sehnte sich mit allen Fasern danach, etwas zu tun, das geeignet war, die frühere Größe und Macht wiederherzustellen. Jetzt, im leeren, dämmerigen Haus, wurde er sich abermals dieser Tatsache bewusst. Aber wohin er auch blickte – er sah keine geeignete Aufgabe. Ebenso deutlich wusste er, dass seine Versuche mit Pflanzen, Ziergräsern und Blumen nichts anderes als ein intellektueller Fluchtversuch waren. Trotzdem bewegten sich seine Finger und überspielten die aufgenommenen Bilder von Ogor auf ein anderes Band, das sie über den besonders konstruierten Wiedergabeschirm schicken würde.

Der Grund dieser technischen Umsetzung war, dass jede Pflanze ihre »Informationen«, die natürlich auch nur modulierte Auszüge aus dem breiten Spektrum sichtbaren und unsichtbaren Lichts, spürbarer und nicht spürbarer Schwingungen, auf gänzlich andere Weise aufnahm. Gleichzeitig schaltete er die Sensoren bestimmter Pflanzen aufgetrennte Aufnahmekanäle, ehe er selbst sich in die »Musik« von Tanifera ragens einschaltete und den schwebenden Bildschirm in den nächtlichen Garten dirigierte.

»Lekos«, rief er und schob die Hörbohnen in die Ohren.

»Hier bin ich, Gebieter. Welche Aufgabe soll ich wahrnehmen?«

Kaarfux deutete mit einer gebieterischen Geste auf den Halbroboter, der vor ihm schwebte und mit den Frontleuchtfeldern blinkte. »Du sollst auf deine dumme Art zusehen und zuhören, welche Wirkung Ogor auf die Pflanzen hat. Denn aus einem von beruflicher Neugierde diktierten Grund habe ich diese seltsamen Versuche unternommen. So, wie der Angeklagte auf die Pflanzen wirkt, wirkt er auch auf die Richter. Damit meine ich nicht die logische Argumentation rechtlicher Begriffe von Unschuld und Schuld, sondern die direkte, einfache Wirkung. Von Herz zu Herz, unter direkter Umgehung der Vernunft und Logik. Kapiert?«

»Da ich seit Unzeiten gewohnt bin, den verschlungenen Windungen der juristischen Sprache zu folgen«, gab Lekos mit seiner knarrenden Stimme zur Antwort, »wird es mir zweifelsohne leichtfallen, deine Intentionen, großer Meister, vorbildlich zu integrieren.«

»Einverstanden. Es geht los.«

Über dem Inselkontinent Bassakutena funkelten stechend klar die im Zentrum dicht gedrängt stehenden Sterne von Thantur-Lok. Im Wohnhaus erlosch nach und nach jedes Licht. Nur die winzigen Leuchtfelder der elektronischen Instrumente waren zu erkennen. Lekos schaltete auch seine Signallichter ab. Der Körper, etwa einen Meter hoch und geformt wie ein rostiges, zerbeultes Fass von rund einem halben Meter Durchmesser, verschmolz mit der Finsternis. Dann flammte der Bildschirm auf. Die Pflanzen, ihrer Natur nach sonnenorientiert, bewegten raschelnd ihre Staubgefäße, die Blüten und die Oberseiten der Blätter in die Richtung des Lichtes. Vor dem drei Quadratmeter großen schwebenden Bildschirm entstand der dreidimensionale Eindruck einer räumlichen Szene.

Die Tanifera ragens gab einen schwellenden Akkord der gespannten Aufmerksamkeit von sich. Abgesehen von den plötzlich ganz anders wirkenden Bildern, sie waren farbverändert und teilweise im Infrarotlicht sichtbar geworden, nahmen die Pflanzen natürlich weder die exakte Bedeutung des Kommentars auf noch sämtliche Einzelheiten des Bildes. Sie reagierten völlig kreatürlich. Sie erfassten Eindrücke. Und wenigstens die Tanifera gab sie sofort wieder zurück.

Als der junge Ogor zu sehen war, antwortete die kugelige Pfahlwurzelpflanze mit einem begehrlichen Girren. Jedenfalls deutete Kaarfux diese trillernde Lautfolge nicht anders. Der Arkonide gefiel ihr. Sie würde es gern sehen, wenn er sich in ihrem runden Schatten ausruhte. Aber von Bildfolge zu Bildfolge, die immer weniger erfreulich waren, änderte sich die Grundmelodie. Die Musik veränderte sich fast synchron mit den schroffen Eindrücken eines langsam absterbenden Körpers. Zwar waren die robotischen Hilfsglieder auf der Bildfolge nur als weniger warm strahlende Teile zu erkennen, aber von dem Arkoniden schien eine Aura aus Düsternis und beginnender Selbstzerstörung auszugehen, die für die Pflanzen immer drohender wirkte. Schließlich, während der letzten Bildfolge, konnte Kaarfux nur zwei ineinander vermischte Empfindungen heraushören: Mitleid und ratlosen Abscheu.

Er schaltete nicht ab, sondern wartete, bis die Bilder ganz verschwunden und an ihre Stelle diejenige Helligkeit getreten war, die einen großen Teil des sonnenlichtähnlichen Spektrums enthielt. Es war, als atme Tanifera auf, als wichen Spannung und osmotischer Krampf aus den Wurzeln, holzigen Teilen und den Blättern, als öffneten sich die Blüten in der Wärme dieses Lichtes begierig und sähen der Hitze und Helligkeit des Tages entgegen. Dann erlosch das Licht. In den Speicherkristallen waren die Ausstrahlungen von einigen Handvoll anderer Pflanzen verzeichnet. Den Rest der Nacht verbrachte der Anwalt damit, seinen ersten Eindruck zu vertiefen. Nahezu sämtliche Pflanzen – für sie waren die Bilder Geschehnisse wie Sturm, Regen, Trockenheit, wie das Messer oder die Säge des Gärtners, wie organischer Dünger oder Windbruch! – reagierten auf die halbwegs chronologisch exakte Bildfolge aus Ogors Leben in gleicher Weise.

Mitleid, Abscheu, Abwehr vor Dingen, die das Verstehen überstiegen, deutliches Unbehagen bis hin zur Gegenwehr, dies waren die Reaktionen des kleinen, mit ausgesucht sinnlich agierenden Pflanzen bestückten Innengartens.

Die ersten Sonnenstrahlen glänzten auf den stählernen Kuppeln der Arena, die sich wie eine Zitadelle über die Stadt Kutenarynd erhob, als Kaarfux seine Analyse fertig hatte. Jetzt würde er wetten können, wie der Prozess ausging. Aber es gab niemanden, mit dem er hätte wetten können.

Celkar: 3. Prago des Dryhan 10.500 da Ark

Ogors rechtes Auge und das System von Fotozellen, Linsen und Selektoren – es sah aus wie sein linkes Auge, war aber eine kybernetisch gesteuerte Apparatur – bemerkten den golden leuchtenden Lichtfleck an der Zellendecke. Die ersten Zeichen des Morgens befanden sich genau diesseits und jenseits des Knicks, den Mauer und Decke bildeten. Der leuchtende Fleck wanderte unmerklich langsam tiefer, je mehr sich die Sonne über den Horizont des Inselkontinents Bassakutena schob. Ogor schloss die Augen, zog sich die Decke über den Kopf und drehte sich zur Seite.

»Verdammter Planet«, murmelte er und wusste, ohne dass er nachsah, dass Primm auf einer der Querstangen des massiven Gitters aus Arkonstahl hing, den Kopf nach unten, die Augen ebenfalls geschlossen, noch nicht genügend von der Sonne erwärmt, um richtig lebendig zu werden. Erst die pfeifenden Worte der morgendlichen Diskussion würden Ogor dazu veranlassen, aufzustehen. Er hatte genügend Zeit zu verschenken. Allerdings fühlte er, dass sein kybernetisches Selbst einer neuen, dramatischen Entscheidung entgegensteuerte. Es gab nicht die geringste Wahrscheinlichkeit dafür, dass es jemals jemandem gelingen würde, die Fehlströme zu diagnostizieren, aber seine gesunden Hirnzellen schienen es dennoch zu merken.

Eine neue Minusphase baute sich auf. Der kybernetische Teil seines Kopfes hatte in diesem Zusammenhang die Eigenschaft eines Kondensators. Hatte die Ladung eine genügend große Stärke erreicht, wurde sie abgegeben, ohne die geringste Rücksicht auf Ort, Zeit und Gelegenheit. Sie verpuffte binnen weniger Zentitontas und übernahm durch die Kraft ihrer aufgestauten Ladung die ausschließliche Kontrolle über sämtliche grob- und feinmotorischen Nervensteuerungen. Ogor würde dann wieder einmal ein willenloses Opfer sein. Zwar beobachtete und fühlte er alles, was er tat und unternahm, aber er befand sich in der wenig beneidenswerten Lage eines Hypnotisierten. Er reagierte wie ferngesteuert. Ehe er jedoch diese furchtbare Vision wieder einmal nachvollzog und schweißgebadet und zitternd auffuhr, wechselte die Natur seiner Empfindungen. Er schlief noch einmal eine Tonta. Als er wieder aufwachte, loderte das Sonnenlicht von dem kleinen Spiegel über dem Waschbecken zurück. Primm schwirrte direkt über seinem Gesicht.

»Wachen auf, schnell-schnell. Sonne sein heiß, blöder Grompf«, kreischte der Kleine mit seiner piepsigen Stimme.

»Reg dich nicht auf, du Segelflieger. Gleich werde ich dich in meiner Frühstücksmilch ersäufen.«

»Blödian! Immer lustig sein werden. Bald Hinrichtung sein werden. Dämlicher Ogor. Turnen-turnen, schnell-schnell.« Der Vogel schwirrte davon, ehe sich der halbrobotische Arm mit den neun robotischen Fingergliedern heben und um den Wicht schließen konnte. Die Bewegung des fliegenden Nagetiers vollzog sich in einer Folge von blitzschnellen Richtungsänderungen in allen drei Ebenen, sodass selbst Präzisionsschützen Primm nur zufällig treffen würden.

»Heute habe ich keine Lust zum Turnen.« Ogor schwang träge die Beine auf den Boden. Die glatten Kacheln waren kühl und ließen ihn zurückschrecken wie jeden Morgen. Während des Anflugs unter schärfster Bewachung hatte der ehemalige Kommandant und Pilot den riesigen, ringförmigen Gefängniskomplex von Celkar gesehen. Er wollte keineswegs ausbrechen, aber er hatte erkennen müssen, dass die mehrfach gestaffelten Sicherheitssysteme jeden Ausbruchsversuch vereiteln würden, wenn er nicht gerade mithilfe von Raumlandetruppen stattfand.

»Geschmeidiger sein werden vor dem Prozess, Ogor.« Primm starrte sein Ebenbild in dem strahlenden Spiegel an. Ogor antwortete mit einem grässlichen Fluch. Primm strich mit den beiden Vorderpfoten sein blau schimmerndes Fell glatt und leckte mit der langen Insektenfangzunge die Arme ab. »Es dem Richter zeigen wollen, diesem alten Idiotensack.«

»Hör endlich auf, meine letzten Chancen zu zerstören.« Ogor gähnte. »Vielleicht wird die Zelle abgehört.«

»Ich nickt zu sein wollen«, kreischte Primm. »Dämlicher Gork!«

Er kannte tatsächlich nahezu alle Schimpfwörter und Flüche von mehreren Dutzend Kolonialwelten. Ogor holte tief Luft und stand auf. Er wusste, was auf ihn wartete. Es gab keinerlei Illusionen mehr. Mit einiger Sicherheit war der Planet Celkar die letzte Welt, auf der er gelandet war. Es würde keinen Start mehr geben. »Selbst ein Gork.«

Er zwang sich, die zwei Drittel seines Gesichts zu waschen und zu rasieren, die noch arkonidisch waren. Sein Körper war ein Stückwerk, ein Puzzle aus normalem Knochenbau, Fleisch und Organen und aus Bauteilen, die ihm nach den Anfällen des Korratz implantiert wurden. Nur er selbst wusste wirklich, was er gelitten hatte, und dass ihn diese verheerende Krankheit in ein körperliches und geistig-seelisches Wrack verwandelt hatte. Und an den neun Morden war nicht er schuldig, sondern der Mikrocomputer.

Ogor stand auf, reckte sich und ging die wenigen Schritte hinüber bis zu dem winzigen Toilettenraum. Die Instrumente und Geräte, alle jene winzigen Dinge aus perfekter Mikrotechnik und geheimnisvoller Biomechanik, die knapp die Hälfte seines Körpers ausmachten, spürte er nicht. Sie waren voll integrierter Bestandteile. Vielleicht, dachte er mit bitterem Humor, kommt bis zum Ende der Verhandlung noch ein Teil dazu. Vielleicht die Milz oder eine Zehe, eine der wenigen, die ich noch habe.

Auch der Minicomputer in Ogors Kopf, geformt wie ein Ausschnitt der Hirnschale, war perfekter als die natürlichen Zellen seines Gehirns. Dieser künstliche Verstand aber hatte keinerlei Moralempfinden, und wenn er das Übergewicht des Einflusses hatte, mordete er. Der fremde Teilverstand mordete. Er zwang den gesamten Körper, so zu handeln, wie er es befahl. Und gerade die kybernetischen Teile der mikrobiologischen Prothesen gehorchten besonders schnell. Zwiespältige Gefühle, gemischt aus endgültiger Resignation und vorsichtigem Optimismus, beherrschten ihn. Das Empfinden, ausgeliefert zu sein, war das stärkste. Er war ausgeliefert an dieses Stück Maschine. Neunmal hatte er die Macht des Minicomputers so stark gespürt, dass er keinen Widerstand mehr aufbringen konnte.

Ogor verließ die Duschkabine, zog sich an und entnahm einem Klappfach das Frühstück. Er wusste, dass seine Portionen besser waren als diejenigen der vielen Tausend Gefangenen in dem riesigen Komplex des planetaren Gefängnisses. Bedächtig begann er zu essen und zu trinken.

»Ich auch haben wollen, Ogor.« Die Schwirrschwingen summten, als Primm im Zickzack heranschwebte und neben dem Teller landete.

»Meinetwegen. Wahrscheinlich wird heute wieder mein Anwalt kommen. Und diese blöden Reporter«, sagte er mehr zu sich selbst. Er ahnte, dass die Art seines Prozesses und die Verteidigung eine Menge Interessierter beschäftigen würden. Dass sein Prozess außerhalb der Gefängnismauern und Sperren bereits jetzt eine Sensation darstellte, wussten weder Ogor noch Primm.

Eine Tonta nach dem Frühstück ertönte der Summer. Die Stimme eines unsichtbaren Lautsprechers sagte leise: »Hier spricht Doomyh Kiln, der Leiter Ihrer Abteilung. In kurzer Zeit wird Ihr Verteidiger in Begleitung eines Korrespondenten von Arkon-Vision zu Ihnen kommen. Sie haben sich bisher als besonnener Gefangener gezeigt, sodass wir nur die minimale Überwachung einschalten. Halten Sie sich bereit.«

»Schon gut.« Jetzt war Ogor wieder ein wenig mehr überzeugt, diesen Planeten lebend verlassen zu können.

Der Primm wischte sich die Schnauze ab und schrie mit seinem pfeifend-wimmernden Stimmchen: »Verteidiger auch nur Blödsinn reden-reden. Aussichtslosige Lage.« Ein grässlicher Fluch folgte. Mit funkelnden Knopfaugen starrte Primm den Untersuchungsgefangenen an, Ogor streckte die Hand aus und streichelte mit dem Zeigefinger den Rücken des Flugtiers zwischen den zusammengelegten Schwingen. Primm seufzte begeistert auf und streckte sich. Dann machte er einen zehn Zentimeter weiten Satz, packte ein dünnes Stück Schinken und rollte es zwischen den Vorderpfoten blitzschnell zusammen. »Was du tun werden, wenn ich anderen Herrn suchen, schnell-schnell?«

»Ich werde mich ärgern und traurig sein. Willst du mich verlassen?«

Vorsichtig breitete Primm die hauchdünnen Flügel aus und kicherte meckernd, stieß einen schrillen Pfiff aus und erhob sich senkrecht zwischen der Tasse und dem Vorratsgefäß. Vor Ogors Gesicht hielt er in der Luft an, umklammerte den Schinken und rief: »Ich warte ab. Wenn du überleben, ich bleiben. Wenn du tot-tot, ich davonfliegen zu anderem.«

Fassungslos blickte Ogor dem Kleinen nach, der im Zickzackflug davonsurrte und seine Beute im hellen Sonnenlicht verspeiste, das auf der Brüstung des vergitterten Zellenfensters lag.

Nach einer Weile stapelte Ogor Teller, Becher und Besteck auf das Tablett, schob es zurück in die Öffnung des winzigen Wandschranks und holte sein Schreibzeug hervor. Er hatte während der vergangenen Wochen seine Verteidigung entworfen, oder wenigstens das getan, was er für das richtige Mittel hielt, die Richter zu überzeugen. Nur jetzt gab er sich den Anschein der Ruhe; innerlich schwankte er nach wie vor zwischen den beiden Aussichten: Freispruch oder Tod. An die dritte Lösung – seine Lösung! – dachte er im Augenblick nicht.

Der Anwalt kam zwanzig Zentitontas später.

Zwei bewaffnete Wächter blieben auf dem Korridor stehen, während Doomyh Kiln das komplizierte Schloss öffnete. Aufmerksam betrachteten die beiden Augen des Gefangenen die Männer in der Zellentür. Die Linsensysteme des Kunstauges akkommodierten sich und vergrößerten die Gesichter der Männer. Der junge Mann neben Rotnam Terna machte einen unruhigen, gespannten Eindruck. Der Verteidiger schüttelte die Hand Ogors und sagte: »Das ist Ches Prinkmon, Korrespondent von Arkon-Vision. Er wird einen Teil der Berichterstattung über Ihren Prozess übernehmen, Ogor.«

Ogor schob seinen Stuhl zurück und stand langsam auf. Er war einen halben Kopf größer als die Männer. Er hatte lernen müssen, dass es meist besser war, weniger oder nichts zu sprechen. Er entsann sich der Phasen nach den einzelnen Schocks, in denen er aus der Kontrolle des Minicomputers erwacht war und festgestellt hatte, dass er ein Mörder geworden war und flüchten musste. »Ich verstehe«, sagte er halblaut. »Soll das eine Empfehlung sein, Terna?«

»Gewissermaßen. Der Umstand, dass Arkon-Vision sozusagen imperiumsweit über Ihren Prozess berichtet, kann außerordentlich günstig sein. Ches, sagen Sie ihm, was Sie vorhaben.«

Ches bohrte seinen Blick förmlich in das Gesicht des Gefangenen. Er versuchte, eine deutliche Grenze zwischen Prothesen und natürlichen Partien zu erkennen. Ches war fasziniert. Hier sah er zum ersten Mal einen Mann, den der Korratz verkrüppelt hatte, und der dennoch wirkte, als ob er gesund wäre. Er versuchte, die innere Lage Ogors zu erraten oder zu erfühlen, aber in den ersten Augenblicken war er vollkommen verwirrt. »Ich habe … nun, Sie können auf eine faire Berichterstattung zählen. Ich bemühe mich, vollkommen neutral zu sein. Im Moment sehe ich noch nicht ganz klar.«

»Das zeichnet uns alle aus«, brummte der Verteidiger. »Ist Ihnen etwas Neues eingefallen, Ogor? In zwei Tagen beginnt die Verhandlung. Ich habe heute früh den Termin erfahren.«

»Nichts Entscheidendes, Verteidiger. Sie haben die Kopien aller Niederschriften.«

»Habe ich. Trotzdem bin ich besorgt, Ogor.«

»Ich bin besorgter als Sie, Rotnam«, gab Ogor zurück. »Aus gutem Grund. Keiner weiß, was aus der Arena der Gerechtigkeit auf uns zukommt. Kennen Sie den Richter bereits?«

Der Imperiumsverteidiger war ein integrer Mann. Rotnam Terna würde alles tun, um einen Freispruch für seinen Mandanten zu erreichen. Sein unerreichbares Vorbild Kaarfux würde sicherlich mehr erreichen und mit einem seiner gefürchteten 777 Tricks arbeiten. Und er würde sicherlich schneller etwas erreichen. Aber beide Versuche Ternas waren von Kaarfux mit einem mürrischen Lächeln abgeschmettert worden.

»Ja. Ich kenne ihn. Ein guter Mann. Thorm da Daccsnor.«

»Das klingt nicht schlecht. Ich habe seinen Namen schon oft gehört.«

Ches Prinkmon lehnte an der Wand der Zelle. Er betrachtete schweigend und konzentriert den Primm, den Angeklagten und seinen Verteidiger. Er wusste, dass er ein außergewöhnlich scharfer Beobachter war. Die Ergebnisse dieses Umsetzungsvorgangs bildeten sein persönliches Geheimnis: Er rief die gespeicherten Informationen ebenfalls unwillkürlich ab und ließ sie jeweils an den besten Stellen in die Berichterstattung einfließen. Diese Fähigkeit kennzeichnete ihn, seine Vorgesetzten hatten dies erkannt, und dies konnte anlässlich des Prozesses seine große persönliche Chance sein.

»Er hat einen Ruf, der Ihnen nur nützen kann, Ogor«, sagte der junge Reporter endlich. »Auf Tiga Ranton wird er teils geschätzt, teilweise misstrauisch betrachtet. Der Imperator liebt seine ausgeprägte Gerechtigkeit und Gesetzestreue nicht.«

»Mir scheint, sie geben sich meinetwegen ziemlich viel Mühe in der Arena«, murmelte Ogor niedergeschlagen.

»Das ist sicher. Die Arkonflotte ist nicht korrumpiert. Wenigstens ihre besten Teile sind ehrlich. Unter diesem Zeichen, denke ich, wird der Prozess geführt. Haben Sie neue Argumente?«, wollte der Reporter wissen.

»Keine mehr, die etwas ändern. Sie haben alles, Terna.«

»Ich komme morgen wieder«, sagte der Verteidiger ruhig. »Ich versuche zu tun, was ich kann. Sind Sie überzeugt, dass Sie einen fairen Prozess bekommen?«

»Was Sie betrifft, bin ich überzeugt. Vielleicht auch von dem jungen Mann hier. Aber was den Rest betrifft, diese Antwort muss ich vorläufig offenlassen. Wir sehen uns morgen?«

»Ja, natürlich. Etwa um dieselbe Zeit. Und übermorgen sehen wir uns in der Arena der Gerechtigkeit. Lesen Sie Ihre Aufzeichnungen noch genau durch, Ogor, und suchen Sie nach Argumenten. Außerdem brauche ich noch einige Daten über die ersten Operationen.«

»Sie werden Ihnen morgen vorliegen«, versprach Ogor und schüttelte mit seiner Dreiviertelprothese die Hände der Männer. Primm schwirrte vom Fenster heran, flog einige beängstigende Kreise um Prinkmons Kopf und schwebte zitternd vor seiner Nase.

»Auch er nicht helfen können«, schrillte Primm aufgeregt.

»Das wissen wir alle«, sagte Ches ruhig. »Aber auch ich kann zumindest dafür sorgen, dass Milliarden von Arkoniden von dem Schicksal Ogors erfahren.«

»Tun Sie’s«, pflichtete ihm Ogor ohne erkennbare Gemütsbewegung bei. Die Wachen erkannten, dass die Besprechung zu Ende war. Die Männer verließen die Zelle, Primm klammerte sich an dem Türgriff fest und starrte schweigend in die Öffnungen des Schlosses hinein. Ogor senkte den Kopf, dann drehte er sich herum und blickte zum kleinen Fenster hinaus. Vor ihm und unter ihm lagen die mehrfach gestaffelten Sicherheitssysteme. Das Fenster befand sich in einer Höhe von nicht weniger als hundert Metern als Unterbrechung einer vollkommen glatten Wand aus Arkonstahlplatten. Unterhalb der glatten Mauer breitete sich die dünne Schicht aus vergiftetem, sandkorngroßem Mineral aus, über einer massiven Platte aus Stahlbeton. Immer wieder unterbrachen Induktionssperren und Energiezäune die künstlich angelegte Ebene. Noch niemals war aus diesem Gefängnis jemand entkommen, und auch nicht aus dem langen Verbindungsgang, der unterirdisch zwischen dem Gefängniskomplex und der Arena verlief.

Ruhig starrte Ogor hinaus auf die Fläche, hinter der sich die Waldzone ausbreitete, jenseits der wiederum die Stadtgrenze Kutenarynds begann. Diesmal waren Ogors Gedanken klar und eindeutig. Er schien zu wissen, dass man ihn verurteilen und hinrichten würde. Jetzt, in den Tontas zwischen Morgen und Mittag, wusste er, dass er hingerichtet werden würde. Sein arkonidischer Körper ebenso wie alle die perfekten Prothesen und der Minicomputer. Sie würden im Feuer der Strahlenkammer vergehen.

»Verdammter Korratz. Die Unschuldigen werden bestraft, nachdem sie acht Jahre lang gelitten haben.«

Nur einen Moment blickte Ogors Verteidiger Rotnam Terna aus dem Fenster und in den flammenden Sonnenuntergang. Immer wieder hatte er die einzelnen Züge seiner Verteidigung durchgearbeitet, hatte mit dem Gerichtscomputer und seinen Helfern gearbeitet und versucht, die Gegenzüge des Anklägers zu erkennen. Nebenher hatten die vier Bildschirme, auf die Nachrichtenagenturen geschaltet, unaufhörlich Meldungen durchgegeben. Der Verteidiger hatte es noch einmal versucht, Kaarfux zu überreden. Auch dieses Mal hätte er sich den Anruf sparen können, obwohl er bei Kaarfux Spuren von Interesse zu erkennen glaubte. Terna zuckte zusammen, als er eine plötzliche Dringend-Nachricht hörte und entsprechende Bilder sah. Augenblicklich drosselte er die Lautstärke der drei anderen Kommunikationsgeräte.

»Soeben befindet sich ein Gefangenentransport im Anflug auf den Raumhafen der Hauptstadt. Der Name des Schiffes wird mit JERRAWON angegeben. Eine Meldung der Untersuchungsbehörden wird in Kürze erwartet. Wie gerüchtweise verlautet, sollen einige Hundert gefangene Deserteure und Verräter an Bord sein, angeblich auf der Welt Serrogat gefasst. Es heißt, dass es Fälle für das Imperiumskriegsgericht oder das Standgericht seien, aber vermutlich wird die Verhandlung mit Rücksicht auf den Ogor-Prozess später angesetzt. Wir melden uns in dieser Sache wieder, sobald mehr Informationen vorliegen.«

Terna pfiff leise durch die Zähne. Aber auch diese neue Entwicklung würde seine Arbeit keineswegs erleichtern. Er schaltete die vier Kommunikatoren wieder auf gleiche Lautstärke und fuhr fort, an seiner Verteidigung zu arbeiten. Immerhin hatte er einige wesentliche Fakten herausarbeiten können, die alle in eine Richtung zielten: Nach der schwierigsten Operation – es war die achte oder neunte – in der Ogor der Mikroprozessor eingepflanzt worden war, konnte niemand Ogor für seine schrecklichen Morde verantwortlich machen. Und noch etwas: Die Morde hatten ausnahmslos auf Planeten stattgefunden, die Monde von beträchtlicher Größe und in regelmäßigen Umlaufbahnen hatten. Jedes Mal, wenn Neumond war, tötete Ogor … oder der Mikrocomputer.

2.

Zwanzig Stockwerke oberhalb der Ebene mit den Anwaltsbüros bewegte sich der hagere Mann mit dem kurzen, weißen Haar wenige Schritte bis zu einem Wandbrett, öffnete dort eine Flasche und goss vom Inhalt drei Finger hoch in ein massives Glas. Der Geruch des kostbaren Getränks breitete sich sofort in dem kleinen Büro aus.

»Wir werden es schwer mit der Wahrheitsfindung haben, Blascal«, sagte Richter Thorm da Daccsnor mit müder, aber fester Stimme.

Sein Assistent hob den Kopf und sah in die großen Augen des alten Richters. »Das ahnten Sie schon, Richter, als man Ihnen den Fall übertrug. Die Wahrheit wird womöglich niemals genau bekannt werden. Allein unsere Akten enthalten eine Anzahl einander widersprechender Fakten. Keine Vermutungen, sondern Beweise. Belegbare und datierte Aussagen, Informationen und Erklärungen. Das Einzige, das feststeht, ist …«

Der Richter trank das Glas leer und beendete den Satz. »… der Umstand, dass Ogor neunmal gemordet hat und in jedem Punkt geständig ist. Daran besteht bei niemandem ein Zweifel.«

Sie hörten die aufgeregte zweite Meldung der Pressestelle des Raumhafens, die diesmal über die interne Dienstleitung kam. »Die Laderäume der JERRAWON sind voller Deserteure und Hochverräter. Acht Schlachtschiffe, von Arkon alarmiert, haben mit ihren Landetruppen die Verbrecher nach verlustreichen Kämpfen gefangen genommen. Der Einsatz geschah auf Befehl von Imperator Orbanaschol persönlich. Kommandeur des Verbands ist Keon’athor Kyslor da Hagthar.«

Der Richter und der Assistent warfen sich einen langen Blick zu. Der Zwischenfall schien doch mehr zu sein als nur eine der unzähligen Pannen in der Phase, unter der das Imperium im Augenblick erzitterte.

»Klingt mehr als aufregend.« Blascal war ein junger Mann mit adlerartigen Gesichtszügen und einem blitzschnell funktionierenden Sachverstand.

»Abwarten«, kommentierte der erfahrene Richter.

Mit mühsam gedrosselter Erregung fuhr der Sprecher fort: »Offensichtlich hat ein arkonidischer Edelmann – immerhin ein Agh’tiga und Einsonnenträger –, dessen Namen von dem Leiter der Einsatzkommandos mit Helcaar Zunth da Helonk angegeben wird, als Inhaber des pharmazeutischen Konzerns TUUMAC auf Serrogat eine Privatarmee von abrufbereiten Söldnern aufbauen wollen. Das Depot wurde gefunden und zerstört, TUUMAC-Mitarbeiter und Deserteure verhaftet. Schon zuvor hat da Helonk – als Mitglied der Macht der Sonnen genannten Putschisten – alles gestanden, sich durch Freitod aber dem eigenen Prozess entzogen. Der Imperator hat daraufhin angeordnet, dass auf dem schnellsten Weg in der Arena der Gerechtigkeit ein Standgericht zusammentreten und die Hochverräter verurteilen soll. Die Urteile sind auf imperiale Anordnung ebenfalls unmittelbar nach dem Urteilsspruch zu vollziehen. Der Kristallpalast wünscht, dass in Zeiten der nachlassenden Kampfmoral ein Schauprozess durchgeführt wird. Sonnenträger Twellzock, der Kommandant der JERRAWON, hat angeboten, Mitglieder seiner Kommandoeinheiten als Bewachungspersonal zu stellen. Das Schiff ist gelandet. Sämtliche Gefangenen werden schwerstens bewacht nach Celkars Gefängniskomplex gebracht. Weitere Meldungen folgen.«

Der Richter sagte leise: »Die Öffentlichkeit wird diese Meldungen vermutlich noch heute Nacht, spätestens morgen früh erfahren, einen Tag vor Prozessbeginn.«

»Trotzdem bin ich sicher, dass der Schauprozess unsere Vorbereitungen nicht unterbrechen wird. Die Institution, selbst wenn sie so hervorragend funktioniert wie die Organisation dieses Hauses, braucht einige Zeit. Das beginnt mit der Feststellung der Namen.«

»Sie haben recht. Machen wir weiter.«

Beiden Männern wäre auch ohne ihre langjährige Erfahrung und ohne juristischen Instinkt klar geworden, dass keiner der Hunderte von Verrätern die nächste Arkonperiode überleben würde. In solchen Dingen tobte sich der Imperator aus, und er brauchte einen solchen Schauprozess, um seine schwindende Macht zu festigen.

Celkar: 3. Prago des Dryhan 10.500 da Ark

Auch ohne den Hinweis des Logiksektors war mir bewusst, dass meine und Fartuloons Biomolplastmasken nicht mehr lange bestehen würden. Nach und nach verwandelten wir uns wieder zurück – verbunden mit der Gefahr, dass die wahre Identität der desertierten Raumsoldaten Lothor und Premcest zutage trat. Ich konnte mich ebenso wenig rühren wie die anderen dreißig Insassen dieses gepanzerten Gleiters. Er bewegte sich, von einigen Beibooten des Schlachtschiffes eskortiert, in rasender Geschwindigkeit etwa dreihundert Meter über dem Boden des Planeten dahin.

Ihr wisst, wohin man euch bringt, sagte der Logiksektor warnend.

Has’athor Twellzock hatte mit kalter Stimme über Lautsprecher mitgeteilt, dass der Gefängniskomplex von Celkar für uns der Vorhof des Todes sein würde. Dort vorn tauchte das Gefängnis auf. Es war eindeutig als abstoßender Fremdkörper in der Landschaft konzipiert worden. Schon äußerlich wirkte der Rundkegelstumpf in der graugelb funkelnden Ebene wie eine uneinnehmbare stählerne Festung. Mein Lehrmeister und Pflegevater, noch immer unerkannt wie ich, saß mehrere Reihen hinter mir. Im Augenblick war es sinnlos, mit ihm in Verbindung treten zu wollen, denn dadurch würde sich nichts ändern.

Das letzte Sonnenlicht funkelte auf den abgeschrägten Außenwänden der Festung. Sie schienen aus Arkonstahl zu sein oder waren zumindest mit Stahl beschichtet, von vielen Reihen kleiner Fenster durchbrochen. Das Gefängnis war mindestens zweihundert Meter hoch. Als sich der Gleiter näherte, erkannten diejenigen von uns, die noch nicht apathisch geworden waren oder schliefen, dass es einen tiefen Innenhof gab, ebenfalls mit schrägen, völlig glatten Stahlwänden. Panzerkuppeln ragten aus dem dunkelgrauen Dachkreisring. Der Versuch, von dort auszubrechen, schien absolut hoffnungslos zu sein.

Auch Fartuloon alias Premcest musste das in diesen Augenblicken erkennen. Natürlich beschäftigten sich unsere Gedanken ununterbrochen mit den verschwindend wenigen Möglichkeiten, unerkannt zu entkommen. Wir hatten niemanden, der uns von außen helfen konnte.

Denkst du an eine Revolte?, erkundigte sich der Extrasinn.

Gedanken oder Überlegungen dieser Art lagen nahe. Ich wusste, dass es zwischen innen und außen, zwischen der scheinbaren Uneinnehmbarkeit dieses stählernen Gefangenenforts und den Korridoren, Gängen, Räumen und den zahllosen Winkeln einen Unterschied gab. Er konnte sich letzten Endes zu unseren Gunsten auswirken. Erst mal müssen wir diese Möglichkeiten kennen …

Der Gleiter ging tiefer, verringerte seine Geschwindigkeit und steuerte auf einen Begrenzungsmast zu, dessen Signallichter blinkten. Markierungen für Gleiterlandeplätze wurden sichtbar. Die Beiboote der JERRAWON kamen bedrohlich näher. Wir erkannten, dass die Schutzklappen vor den Geschützprojektoren zurückgefahren waren. Sie gingen wirklich kein Risiko ein, genau wie während des Fluges hierher, von der Hauptebene der Öden Insel zur etwas mehr als hundert Lichtjahre vom Arkonsystem entfernten Gerichtswelt. Serrogat war etwas mehr als 21.000 Lichtjahre entfernt, für deren Überwindung der Distanz ein halbes Dutzend Transitionen erforderlich gewesen waren.

Vorsichtig steuerte der Gleiter die Landemarkierung an. Wir hörten die Stimme des Piloten, der sich mit der Kontrollmannschaft des Turmes unterhielt. Dann landeten wir. Die Türen öffneten sich, die schweigenden Wächter sprangen heraus und entsicherten ihre Waffen. Aus dem glatten Boden des Daches schoben sich drei würfelförmige Metallkäfige. Nachdem die schweren Türen zur Seite gefahren waren, bemerkten wir, dass es Lifts waren.

»Herauskommen. Jeweils zehn Männer in einen Lift«, sagte der Pilot über Lautsprecher. »Fluchtversuche sind sinnlos. Es gibt nur diese Einstiege.«

Er hatte recht. Das kreisringförmige Dach war flach und eben. Es gab nicht einmal ein Geländer oder eine Brüstung. Entweder verdursten oder verhungern – oder vorher der Absturz über die glatten Wände. Andere Chancen gab es nicht. Wir schoben uns aus dem Gleiter heraus und auf die Lifts zu. Fartuloon und ich – oder Premcest und Lothor – bewegten uns so geschickt, dass wir die Ersten im dritten Lift waren. Die Kabine raste wie ein Geschoss fauchend in die Tiefe. Wir zählten mit und rechneten. Vermutlich waren wir, als die Kabine abbremste, etwa auf dem Niveau des Bodens angekommen. Wir traten in einem schmalen Gang, der voller robotischer Einrichtungen war.

Stimmen ertönten, Lichtpfeile flammten auf, Absperrgitter und Energieschirme trieben die einzelnen Gruppen in verschiedene Richtungen. Zusammen mit acht anderen Männern kamen Fartuloon und ich in eine große, saubere Zelle, in der es sogar Kommunikationsschirme gab, hinter dicken Panzerglasscheiben vor Zerstörung geschützt. Die schmalen Pritschen waren mit sauberer Einwegwäsche überzogen. Wir setzten uns schweigend und sahen alle gleichzeitig zu der massiven Tür hin, die sich geräuschlos schloss.

»Aus dieser Festung, Freunde, kommen wir nur dann wieder hinaus, wenn es die anderen erlauben. Und nach allem, was wir wissen, wird es niemand erlauben.«

»Keine Vollstreckung ohne Urteil«, brummte ein anderer Gefangener. Aus der Ecke lachte jemand sarkastisch.

»Sie werden uns verurteilt haben, noch ehe wir uns hier häuslich eingerichtet haben«, sagte ich. »Unsere einzige Chance, eine Änderung unserer Lage herbeizuführen, liegt vor den Schranken des Gerichts.«

Wir mussten als sicher annehmen, dass dieser Raum beobachtet und schärfstens abgehört wurde. Auf keinen Fall durften wir unsere vorläufige Verkleidung preisgeben. Wir waren nichts anderes als zwei Gefangene aus der großen Schar.

»Meinst du«, erkundigte sich Fartuloon spöttisch, »dass sie übergroße Milde walten lassen werden?«

Ein Summer ertönte, dann knarrte eine Roboterstimme und unterbrach die Unterhaltung der zehn Gefangenen. »Sie finden neben der Tür zehn nummerierte Fächer. Sie öffnen sich auf Knopfdruck. In den Fächern findet sich Essen und alles Nötige für die nächsten Tage. Rechts und links der Zelle führen die schmalen Türen in die Hygieneräume. Die Gefangenen behalten die kennzeichnenden Nummern für die Dauer des Aufenthaltes. Die Fächer sind öffnungsbereit.«

Gleichzeitig leuchteten Zahlen von eins bis zehn auf. Fartuloon und ich nahmen die Nummern sechs und sieben. Die Fächer enthielten in Einwegverpackung die angekündigten Dinge.

Leise sagte der Bauchaufschneider: »Wir haben mindestens ein paar Tage Ruhe. Vielleicht fällt uns etwas ein, das unsere Chancen verbessert.«

Ich bezweifelte es.

Arkon I, Gwalon-Kelch: 4. Prago des Dryhan 10.500 da Ark