Atlan-Paket 4: ATLAN exklusiv / USO - Dirk Hess - E-Book

Atlan-Paket 4: ATLAN exklusiv / USO E-Book

Dirk Hess

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Beschreibung

Acht Jahrtausende vor Beginn der irdischen Zeitrechnung ist Atlan auf der Flucht vor den Häschern des arkonidischen Imperators. Orbanaschol III., der sich durch die Ermordung seines Bruders - Atlans Vater - unrechtmäßig an die Spitze des mächtigsten Sternenreichs der Milchstraße setzte, will den lästigen Thronerben beseitigen. Doch der junge Arkonide hat Helfer und Gefährten, die ihn unterstützen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach dem "Stein der Weisen", der rätselhaften Hinterlassenschaft eines uralten Volkes, das überall in der Galaxis Spuren hinterlassen hat. Der Weg zum Ziel ist freilich dornenreich, denn wer das kosmische Rätsel um die mysteriösen Varganen lösen will, muss sein Leben riskieren - und manchmal sogar mehr als das ...

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Veröffentlichungsjahr: 2012

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Band 150-199 – USO/ATLAN-exklusiv – Teil 2

Acht Jahrtausende vor Beginn der irdischen Zeitrechnung ist Atlan auf der Flucht vor den Häschern des arkonidischen Imperators. Orbanaschol III., der sich durch die Ermordung seines Bruders – Atlans Vater – unrechtmäßig an die Spitze des mächtigsten Sternenreichs der Milchstraße setzte, will den lästigen Thronerben beseitigen. Doch der junge Arkonide hat Helfer und Gefährten, die ihn unterstützen.

Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach dem »Stein der Weisen«, der rätselhaften Hinterlassenschaft eines uralten Volkes, das überall in der Galaxis Spuren hinterlassen hat. Der Weg zum Ziel ist freilich dornenreich, denn wer das kosmische Rätsel um die mysteriösen Varganen lösen will, muss sein Leben riskieren – und manchmal sogar mehr als das ...

Nr. 150

– ATLAN exklusiv Band 24 –

Die Göttin und der Barbar

Sie kommt aus der Unendlichkeit – und besucht den grünen Planeten

von Dirk Hess

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht – eine Zeit also, da die Erdbewohner nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen.

Arkon hingegen steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III., ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können.

Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der nach der Aktivierung seines Extrahirns den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen hat und den Sturz des Usurpators anstrebt.

Doch Atlans Möglichkeiten und Mittel sind begrenzt. Ihm bleibt nichts anderes übrig als der Versuch, seinem mächtigen Gegner durch kleine, aber gezielte Aktionen soviel wie möglich zu schaden.

Im Zuge dieser Unternehmungen gelang Atlan und seinen verschworenen Gefährten erst jüngst ein großer Coup. Sie kaperten die KARRETON und befreiten Ra, den mysteriösen Barbaren vom grünen Planeten.

Die Hauptpersonen des Romans

Atlan – Der Kristallprinz bringt einen Stummen zum Reden.

Fartuloon – Der Bauchaufschneider streitet sich.

Ra – Ein junger Barbar begegnet der Göttin von den Sternen.

Pror – Ras Rivale.

Ischtar

1.

Kraumon

Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ mich zusammenzucken. Die Lautsprecher vibrierten sekundenlang. Ein metallischer Ton echote durch den Raum. Ich stellte das Erfrischungsgetränk auf die Schaltkonsole und schaute den angrenzenden Gang hinunter. Doch da war nichts Außergewöhnliches zu sehen. Die Orientierungstafeln schimmerten grünlich, und die Warnblinkleuchten waren nicht einmal eingeschaltet worden.

Ich schlug auf die Taste der Bildsprechanlage.

»Hier Atlan ... wo steckst du, Fartuloon?«

Mein Freund, der Bauchaufschneider, ließ nicht lange auf sich warten. Der Bildschirm über dem Schaltfeld flammte auf und übertrug das Gesicht eines dicken, schwitzenden Mannes, dessen Gesicht von einem schwarzen Kräuselbart eingerahmt war. Fartuloon, Rebell und ehemaliger Bauchaufschneider des arkonidischen Hofes, setzte einen mürrischen Blick auf.

»Ich wollte doch nicht gestört werden, Atlan. Du weißt genau, dass die statischen Berechnungen für die neue Ortungskuppel ungemein schwierig sind. Was gibt's also?«

Das klang nicht gerade freundlich. Aber ich wusste, dass Fartuloon seit mehreren Tagen nicht geschlafen hatte. Sein geheimer Stützpunkt auf Kraumon war ihm ans Herz gewachsen. Trotz der verschiedenen Widerstandsnester in der Galaxis sah er diesen Planeten als seine persönliche Fluchtburg an. Von hier aus sollten entscheidende Schläge gegen den Diktator des Großen Imperiums geführt werden.

»Hast du den höllischen Lärm nicht gehört?«, fragte ich. »Ich befürchtete, dir sei ein Stahlträger ins Kreuz gefallen.«

»Unsinn«, stieß der Bauchaufschneider hervor. »Hier läuft alles wie am Schnürchen. Ich würde mich an deiner Stelle im Ersatzteillager umsehen.«

»Ersatzteillager?« Ich zuckte mit den Schultern.

»Ganz recht. Möglich, dass der Barbar wieder am Werk ist.«

Das war es also! Fartuloon hatte Ra, unser Mitbringsel vom Planeten Dargnis, im Verdacht. Der hünenhafte Kämpfer einer steinzeitlichen Welt hatte sich bereits als gewaltiger Maschinenstürmer erwiesen. Fartuloon war von Anfang an dagegen gewesen, ihn frei im Stützpunkt herumlaufen zu lassen. Ich hatte es nicht leicht gehabt, dem Bauchaufschneider diese Erlaubnis abzutrotzen. Sollte Ra tatsächlich größeren Schaden an den Maschinen verursacht haben, so würde Fartuloon mir ernsthaft zürnen.

»Ich werde nachsehen«, rief ich und beeilte mich, die Verbindung mit Fartuloon zu unterbrechen.

Ich schob den Schockstrahler in den Gürtel und ging vorsichtig in den Gang hinaus. Sicher war sicher. Ich wusste, dass Ra einen unbändigen Freiheitsdrang besaß. Trotz eines langsam wachsenden Verständnisses für seine Probleme besaß ich eine unerklärliche Scheu vor dem Barbaren. Seine ungestüme Vitalität schien trotz der vorangegangenen Ereignisse ungebrochen zu sein.

Ra hatte uns bisher nichts über sein Schicksal berichtet. Dabei war ich mir ganz sicher, dass er uns verstehen konnte. Es war also kein Sprachproblem, das uns aneinander vorbeireden ließ, sondern die Ursache dafür musste in der Vergangenheit des Barbaren liegen. Ich konnte natürlich nicht schlüssig sagen, ob er unter irgendeiner Schockeinwirkung stand, oder ob er sich uns nur grenzenlos unterlegen fühlte. Beides war möglich.

Ich starrte entgeistert auf die zerfetzte Lifttür. Ein scharfkantiger Gegenstand hat die gegeneinander verschiebbaren Türen aus den Gleitschienen gerissen. Vom Bedienungsfeld fehlten sämtliche Knöpfe und Hebel.

Der Barbar wollte in die untere Etage eindringen, wisperte mein Extrasinn. Die Lebensmittelvorräte liegen genau ein Stockwerk tiefer.

Weshalb sollte Ra einen solch sinnlosen Vorstoß unternommen haben?

Ganz einfach! Er ist der geborene Jäger. Er wird sich niemals damit abfinden, täglich die schmackhaftesten Speisen einfach nur vorgesetzt zu bekommen. Er will darum kämpfen. Er will jagen.

Die Erklärung meines Extrasinns klang plausibel. Jetzt erkannte ich auch, weshalb Ra bei der gemeinsamen Speisung lustlos und mürrisch auf den Algensteaks herumgekaut hatte. Es war mir damals schon aufgefallen, dass der Barbar anscheinend mehr Wert darauf legte, Fartuloon heimlich die besten Brocken wegzuschnappen, als sich bedienen zu lassen. Ich musste unwillkürlich grinsen. Fartuloons verblüfftes Gesicht war mir noch genau gegenwärtig. Zuerst hatte er mich in Verdacht gehabt, ihm das Essen gestohlen zu haben, dann war Eiskralle drangewesen. Die Schimpftirade des Bauchaufschneiders war in unserem Gelächter untergegangen. Ra dagegen hatte sich stumm und teilnahmslos verhalten. Sollte diese Erklärung stimmen, so würde ich bei der erstbesten Gelegenheit mit Ra zu einem Jagdausflug starten. Der Stützpunkt war von dichten Wäldern, Bergen und fischreichen Seen umgeben. Ich beschloss, Ra bei einer solchen Gelegenheit nach seiner Vergangenheit auszufragen. Es ließ mir keine Ruhe, so wenig über den kraftvollen Barbaren zu wissen. Wir hatten ihn praktisch den Sklavenhändlern des Orbanaschol unter der Hand weggeschnappt.

Warum war dieser Mann so wichtig für meinen Todfeind?

Was konnte der Barbar einem Herrscher über das arkonidische Sternenreich schon geben?

Zum Stein der Weisen führen anscheinend viele Wege, stellte mein Extrasinn orakelhaft fest.

Selbst wenn Ra wichtige Hinweise zum sagenhaften Stein der Weisen kennen sollte, selbst wenn er ein Bindeglied dazu war, wie sollte ich ihm dieses Wissen entreißen? Ra hatte bis jetzt beharrlich geschwiegen. Zuerst hatte ich vermutet, ihn durch ein Reizwort zum Reden bringen zu können. Doch diese Versuche waren von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Er war weder durch Zureden, noch durch barsche Worte zu einer Entgegnung zu bewegen gewesen.

Ich war inzwischen zum Treppenabstieg gelangt, der die oberen mit den darunterliegenden Geschossen verband. Solange der defekte Lift nicht repariert worden war, konnte ich nur hier zur Nahrungspositronik gelangen.

Plötzlich stolperte ich über einen metallischen Gegenstand. Ich konnte eine ölige Substanz riechen, die sich langsam auf dem Boden ausbreitete. Ich sprang blitzschnell beiseite und berührte den Sensor der Beleuchtungsanlage.

Sekundenbruchteile später wurde der Treppenschacht von gleißendem Licht überflutet.

Ein gutturaler Laut ließ mich zusammenzucken. Nachdem sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, erkannte ich auch das wüste Durcheinander um mich herum. Dicht vor mir lag ein zertrümmerter Arbeitsroboter. Ein Wunder, dass die Energiebatterie nicht in die Luft geflogen war, dachte ich unwillkürlich. Ein einziger Fußtritt schien den Brustbereich des Roboters eingedrückt zu haben. Der rechte Handlungsarm war herausgerissen worden.

An vielen Stellen fehlten die Wandverkleidungsplatten. Jetzt lagen sie zerschrammt und verbeult im Treppenschacht.

Dann sah ich Ra. Er hockte am untersten Treppenabsatz und hielt etwas Zappelndes in der Hand. Ich konnte sehen, dass er den Arm des Roboters als Waffe quer über seine Schenkel gelegt hatte.

»Warum hast du hier wie ein Wahnsinniger herumgetobt?«

Er schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Er hantierte mit etwas Lebendigem. Ich konnte noch nicht sehen, was es war.

»Ra ...«, versuchte ich es noch einmal. Er reagierte aber nicht.

Ich ging langsam tiefer. Erst als ich seinen muskulösen Rücken vor mir aufragen sah, hielt ich an. Sein Körper verströmte einen intensiven Geruch nach Schweiß und Öl. Erst jetzt sah ich, dass er sich völlig mit Maschinenöl des Arbeitsroboters eingerieben hatte.

Der Barbar drehte sich unverhofft um und starrte mich aus seinen schwarzen Augen an. Seine geöffneten Lippen entblößten ein starkes Gebiss, dessen Eckzähne wuchtig hervorragten. Das verlieh seinem Gesicht ein wildes Aussehen. Ich trat unwillkürlich einige Schritte zurück. Ich sah, wie seine Nasenflügel bebten.

Er grinste, als er mein Zögern bemerkte. Seine Hand ruckte vor, und er amüsierte sich köstlich über meine verschreckte Haltung. Er hielt mir ein kleines, echsenähnliches Tier entgegen, das sich in seiner fettglänzenden Klaue wand.

Ich schüttelte den Kopf.

»Lass den Unsinn, Ra! Wir gehen jetzt in die obere Etage zurück. Die anderen wollen mit dir reden. Und Fartuloon wird nicht gerade begeistert sein, wenn er von diesem Durcheinander erfährt.«

Als ich Fartuloons Namen erwähnte, zuckte Ra nur verächtlich mit den Mundwinkeln. Anscheinend hatte er wenig für den Bauchaufschneider übrig. Ich konnte mir vorstellen, dass Ra dicke Männer für weibisch und verweichlicht hielt. Fest stand jedenfalls, dass beide nicht allzu viel Sympathie füreinander empfanden.

Ra streckte mir noch einmal die kleine Echse entgegen.

Nachdem ich erneut abgelehnt hatte, riss er dem Tier den Kopf ab und saugte das gelbliche Fleisch aus dem Panzer. Er schnalzte verzückt und schleuderte den Rest in eine Ecke.

»Woher hast du das Tier?«

Da hätte ich auch eine Wand fragen können. Ra blieb so schweigsam wie immer. Er zog eine weitere Echse aus seinem Gürtel mit dem der Plastikschurz um seine Hüften befestigt war. Ra hatte die arkonidische Raumfahrerkombination gleich nach unserer Ankunft auf Kraumon abgelegt und sich zu Fartuloons Leidwesen aus dem Kontursessel der KARRETON diese Bekleidung geschnitten.

Ich gab es auf, weiter nach der Herkunft dieser Echsen zu fragen. Ra würde es mir ja doch nicht verraten. Ich ahnte, dass ein barbarischer Jäger nicht einmal seinem besten Freund sagen würde, wo sich die Beutetiere versteckt hielten. Das war das Gesetz der Wildnis, und Ra handelte augenscheinlich noch immer danach.

Verwundert stellte ich fest, dass ich langsam in den Bahnen Ras dachte. Anfangs hatte ich noch darauf bestanden, dass der Barbar die arkonidische Wesensart annehmen sollte – ohne Erfolg natürlich.

»Wir gehen jetzt nach oben!«

Er knurrte unwillig, schloss sich mir aber an.

Der abgerissene Roboterarm hing lässig in seiner Rechten. Ra schien auf diese Neuerwerbung nicht verzichten zu wollen.

*

Fartuloon empfing uns mit einer Schimpfkanonade, die selbst mich das Fürchten lehrte.

»Ich werde diesen Barbaren vierteilen lassen! Der Unhold wird meinen geliebten Stützpunkt dem Erdboden gleichmachen!«

Ich sah, wie der Bauchaufschneider nach Atem rang. Sein Gesicht hatte eine dunkelrote Färbung angenommen. Die Halsadern standen wild pochend hervor. Ich konnte mich nicht daran erinnern, den Bauchaufschneider jemals so erregt gesehen zu haben.

Ich versuchte, ihn zu beruhigen.

»Du musst dich in Ras Psyche versetzen! Für ihn ist das hier alles fremd und beängstigend. Er ist ein Naturbursche.«

Ra grinste provozierend und ließ den Roboterarm vor sich her pendeln.

»Sieh dir diese zweibeinige Kreatur doch an! Eine einzige Herausforderung für einen Kulturmenschen wie mich ... ich war immerhin Bauchaufschneider am Hofe des göttlichen Gonozal!«

Ra beeindruckte das nicht im mindesten. Im Gegenteil, er stieß kehlige Laute aus, die wie das Gurren eines Balzvogels klangen. Das brachte den armen Fartuloon nur noch mehr in Harnisch.

»Ich kann mich nicht mehr beherrschen ... mein armer Bauch!«

Ich sah, wie Fartuloon sich über den Leib fuhr. In Gedanken programmierte er garantiert das nächste Schlemmermahl in die Positronik, dachte ich. Er würde sich im Streit mit Ra genügend Hunger anschreien, um dann in einer gewaltigen Fressorgie alle »Kalorien wieder einzufahren«, wie er es stets mit einem verschämten Lächeln charakterisierte. Doch diesmal war es blutiger Ernst. Ich bemerkte es zu spät.

Fartuloon riss sein Skarg aus der Scheide und ließ die Klinge durch die Luft pfeifen.

Ra sprang gewandt wie eine Wildkatze zurück. Seine Augen blitzten. Seine stämmigen Beine stampften einen hämmernden Rhythmus auf den Boden. Die Arme waren vom Körper abgespreizt. In der Rechten drohte der scharfkantige Roboterarm. Eine furchtbare Waffe, wenn man damit zuzuschlagen verstand. Die Stirnnarben Ras – irgendein Stammeszeichen – glühten auf einmal von innen heraus. Mir war, als würde ich sein Blut pochen sehen.

Der Barbar war bereit.

Ich sprang dazwischen.

»Seid ihr von Sinnen? Ihr schlagt euch hier die Schädel ein, während draußen womöglich die Wachflotte Orbanaschols in den Orbit geht.«

Das war natürlich übertrieben. Bisher deutete nicht darauf hin, dass fremde Raumschiffe auch nur in das Sonnensystem eingeflogen waren. Ich musste die beiden Streithähne unbedingt zur Vernunft bringen.

Ra stieß einen tierischen Schrei aus. Ich zuckte zurück und entging seinem Handkantenschlag um Haaresbreite. Da traf mich sein Fuß und raubte mir sekundenlang den Atem. Ich taumelte bis an die Wand zurück und verfolgte aus brennenden Augen den Zweikampf zwischen Ra und Fartuloon.

Er wird den Bauchaufschneider nicht töten, versicherte mir mein Extrasinn.

Hoffentlich nicht! Wenn der Barbar aber ungeschickt zuschlagen würde, dann war es um Fartuloon geschehen. Andererseits konnte es so nicht weitergehen. Fartuloon und Ra verhielten sich wie Katz und Maus. Die dauernden Reibereien mussten sich einmal im Kampf entladen. Und jetzt war es soweit.

Fartuloon ließ Ra nicht erst an sich herankommen. Er stürzte mit einer Gewandtheit, die man seinem fetten Körper eigentlich gar nicht zugetraut hätte, auf den Gegner zu. Er holte blitzschnell zum Schlag aus und ließ sein Skarg mit aller Kraft herabsausen. Normalerweise hätte er seinem Gegner damit den Schädel gespalten. Doch Ra parierte den Hieb mit Leichtigkeit. Das Skarg glitt schrammend über den Roboterarm und fetzte mehrere Drahtbündel aus dem Drehscharnier heraus.

Ra lachte, was dem Bauchaufschneider erneut die Zornesröte ins Gesicht trieb.

Bevor Fartuloon zum nächsten Schlag kam, hatte Ra ihn am Bart gepackt und mehrmals um die eigene Achse gewirbelt. Fartuloon heulte wütend auf. Er trat ungezielt nach dem Barbaren, der ihm jedoch tänzelnd ausweichen konnte.

»Das wirst du bereuen!«

Fartuloon kam keuchend zur Ruhe. Er stand breitbeinig da und ließ das Skarg abschätzend auf und niederschwingen.

Ra schnalzte mit der Zunge, was so etwas wie Verachtung für den Gegner signalisieren sollte. Das konnte sich der Bauchaufschneider unmöglich gefallen lassen.

Fartuloon brachte einen raschen Hieb mit dem Skarg an, lockte Ra aus der Reserve und riss dem Barbaren den Roboterarm aus der Hand. Doch Ra war nicht müßig. Er packte sofort Fartuloons schwertführenden Arm und drückte mit aller Kraft zu.

Der Bauchaufschneider erstarrte zu einer kraftgeballten Statue. Er wich um keinen Deut zurück. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er begegnete dem Blick Ras, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich konnte sehen, wie er mit den Zähnen malmte.

Da knickte Ra mit den Knien ein, ließ sich fallen und riss den überraschten Fartuloon mit sich zu Boden. Das Skarg fiel polternd gegen die Schaltkonsole unter der Bildschirmreihe.

»Einen schönen Kommandanten haben wir hier, was?«

Eiskralle, der Chretkor, und unser Kopfjäger Corpkor waren soeben in den Raum gekommen. Sie verfolgten amüsiert, wie sich Fartuloon und Ra am Boden wälzten.

»Es wird schon wieder unverschämt heiß! Bei dieser Prügelei kein Wunder, dass die Klimaanlage versagt. Die beiden schwitzen ja wie Tiere.«

Eiskralle hatte Angst, sein durchsichtiger Körper würde sich bei der herrschenden Temperatur verflüssigen. Ein Trauma, von dem ihn wohl auch der geschickteste Galaktopsychologe nicht mehr befreien konnte.

Ra hatte ernüchtert auf den Chretkor gestarrt. Er musste den Durchsichtigen für ein überirdisches oder doch zumindest sehr mächtiges Wesen halten. Und wer Eiskralle einmal kämpfen gesehen hatte, der hielt garantiert Abstand zu ihm.

Fartuloon wollte seinen Gegner durch einen blitzschnellen Dagor-Griff niederstrecken. Doch er glitt auf der eingefetteten Haut Ras ab und schrammte sich die Faust auf dem Boden blutig.

Der Kampf stand wieder unentschieden.

»Sieht aus, als hätte der gute Fartuloon seinen Meister gefunden.«

Eiskralle lachte respektlos, während Corpkor nur die Stirn runzelte.

»Was steht ihr hier überhaupt herum?«

Fartuloon scheuchte seine Freunde mit einer unwirschen Armbewegung zur Seite. Er hob das Skarg auf und schob es in die Scheide.

»Und was diesen Barbaren betrifft«, er hielt einen Augenblick inne, so als suchte er nach der passenden Formulierung, »ich werde ihn ganz bestimmt eines Tages höchst persönlich in den Konverter werfen. Ist hier Gast und benimmt sich wie ein Kralasene. Das ist bestimmt nicht die feinste arkonidische Art.«

Abgesehen davon, dass Fartuloon sehr häufig und zu allen mehr oder weniger unpassenden Gelegenheiten die Sitten der arkonidischen Hofkaste zitierte, hatte sich Ra wirklich nicht sehr höflich benommen.

Fartuloon schien unsere Gedanken erraten zu haben.

»Was wissen wir denn schon von diesem Wilden?«

Er deutete auf Ra, der nachdenklich unter den Bildschirmen stand. Nichts im Gesicht des halbnackten Barbaren deutete darauf hin, dass er Fartuloons Worte verstehen konnte.

»Wir haben gesehen, dass Ra sich im Ernstfall recht gut mit unseren technischen Apparaten auskennt. Er kann sogar ein Raumschiff steuern, wenn man ihm dabei ein wenig zur Hand geht. Ich frage euch, ist das etwa normal? Ein Wilder, dessen Heimatwelt irgendwo am Rande der Galaxis liegen muss, jedenfalls weit außerhalb der Grenzen des Großen Imperiums, kennt die arkonidische Technik. Anstatt uns mehr über sich zu berichten, schweigt er beharrlich.«

Fartuloon schüttelte ärgerlich den Kopf.

Ich wollte den Bauchaufschneider beruhigen.

»Du darfst nicht voreilig über ihn urteilen, Fartuloon. Wir wissen nicht genau, was Orbanaschols Knechte mit ihm getrieben haben. Nicht alle Arkoniden sind so zartbesaitet wie du.«

»Fang jetzt nicht auch noch an!«, stieß der Bauchaufschneider hervor. Er war gereizt und legte alles auf die Goldwaage.

Plötzlich glaubte ich, meinen Ohren nicht trauen zu dürfen.

Ra hatte etwas gesagt!

Der schweigsame Barbar hatte Worte in reinstem Arkonidisch gestammelt. Ich war mir dessen ganz sicher. Erregt packte ich Fartuloon am Arm. Der Bauchaufschneider war ebenso verblüfft wie ich. Er am allerwenigsten hatte noch damit gerechnet, von Ra vernünftige Worte zu hören.

Wir sahen, wie sich Ras Körper versteifte. Sein vorher noch stahlharter Blick war matt und willenlos geworden. Der hilflose Glanz verschreckter Kinderaugen verdrängte das Bild des kampferprobten Jägers. Stammelnde Worte verließen die bebenden Lippen Ras.

*

Farnathia hatte hinter uns den Raum betreten. Ohne, dass ich etwas von ihrer Anwesenheit geahnt hätte, beobachtete sie die Auseinandersetzung zwischen Ra und Fartuloon. Erst als sie über den Zorn des dicken Bauchaufschneiders lachen musste, wurde ich ihrer gewahr.

Sie trug ein langes, goldschimmerndes Kleid, das ihre wohlgeformten Brüste freiließ. Sie hatte sich den Körper nach arkonidischer Sitte mit einem duftenden Puder bestäubt, der ihrer Haut einen blassmetallischen Glanz verlieh. Eine Goldhaube bedeckte ihren Kopf. Sie hatte selbst die Lidschatten mit dem Glanz ihres Kleides abgestimmt. Über dem Schlüsselbein glänzten hochkarätige Edelsteine.

Mein Blick streifte den zitternden Barbaren. Sollte Farnathia ihn derart liebestoll gemacht haben, dass er sein Schweigen brechen würde?

»Ischtar ...«, kam es bebend über Ras Lippen. »Ischtar!«

»Wer, zum Teufel, ist Ischtar?«, fragte ich.

Ra ging auf meine Frage nicht ein. Er wagte jedoch auch nicht, näher an Farnathia heranzutreten.

Sie schien auch bemerkt zu haben, dass sie der Grund für seinen offensichtlich geistesabwesenden Zustand war.

»Es ... es tut mir leid, Atlan!«, sagte sie sofort.

»Schon gut, Farnathia.«

Ich beruhigte sie. Schließlich war sie weder für Ra noch für sonst jemanden auf Kraumon verantwortlich.

»Ischtar ... du bist zu mir zurückgekommen!«, schrie Ra. Sein Gesicht hatte eine fleckige Färbung angenommen. »Du bist von den Sternen herabgestiegen, um deinem Liebsten die Welt seiner Brüder zu Füßen zu legen. Du trauerst nicht mehr um deinen Himmelsstier. Nein, du willst mit mir auf die Jagd gehen. Du willst mich lieben und mit mir über die grünen Hügel meiner Welt ziehen. Wir werden das Geschlecht der Mächtigen begründen und als Unsterbliche bis in alle Ewigkeiten herrschen ...«

Ra hatte seine Hand ausgestreckt. Sie zitterte, als ihre Finger Farnathias Wangen streiften.

Ich griff nicht ein. Eifersüchtig brauchte ich gewiss nicht zu sein, denn Ras Zustand glich einer ekstatischen Entrückung.

»Wer ist diese Ischtar?«, fragte ich.

»Ischtar ...«, begann Ra und senkte den Blick. »Ischtar, die Sternengeborene, die ihrem Liebsten die ewige Jugend verheißt. Ischtar, die gewaltige Jägerin. Ischtar, die ewig junge Göttin!«

Ich konzentrierte mich auf Ras Worte. Plötzlich verschwamm alles um mich herum. Das letzte, was ich erkennen konnte, waren meine Freunde, die gebannt den Worten des Barbaren lauschten.

2.

Ras Planet

»Aiaaaaia ... aiaaaaia!«

Die Jäger stampften im Kreis um ihr loderndes Feuer. Es roch nach Harz und verbrennendem Fleisch. Funken kreisten wie Insekten über der Glut, setzten sich zischend auf die schweißbedeckte Haut der Tanzenden und erloschen.

»Aiaaaaia ... aiaaaaia!«

Solange der weiße Rauch über dem Grabhügel stand, war sie noch bei ihnen. So überlieferte es die Mythologie der Sippe. Ein Wisent hatte ihren Körper in den Schlamm gedrückt, und bevor die Krieger das Tier getötet hatten, war ihr Leben erloschen. Und mit ihr das Leben des ungeborenen Kindes, das sie unter dem Herzen getragen hatte.

Ras Mutter war tot.

Morgen würde keiner mehr daran denken. Ihr Sohn vielleicht, aber sonst niemand mehr. Auch ihr Mann nicht. Das Leben musste weitergehen. Heute starb ein Zweibeiner, morgen ein Tier. Das Gesetz der Wildnis kannte keine Gnade.

Ra saß neben seinem Vater und kaute lustlos an einem halbgaren Bratenstück.

Er musste auf einmal daran denken, wie seine Mutter ihn als Kind durch die eisigen Winternächte gebracht hatte. Als der Frost den Höhleneingang verschlossen hatte und die Wölfe vorbeigeschlichen waren. Sie hatte ihn vor dem tobenden Säbelzahntiger bewahrt, indem sie mutig mit einem brennenden Holzscheit aus der Deckung gesprungen war. Sie hatte ihm von ihrer Milch gegeben, sie hatte ihm die Wunden versorgt, als er im Kampf gegen die Feuerdiebe einer anderen Sippe verletzt worden war.

»Aiaaaaia ... aiaaaaaia!«

Von den finsteren Hügeln ertönte das Heulen eines Wolfsrudels.

Ra glaubte, die funkelnden Augen der grauen Räuber erkennen zu können. Er griff unwillkürlich nach seiner Feuersteinaxt.

Sein Vater reichte ihm wortlos ein dampfendes Bratenstück. Jäger machten selten viel Worte um Selbstverständlichkeiten. Sie handelten oder ließen es sein. Es war immer richtig. Jedenfalls für den Betreffenden.

Kauend starrte Ra in die prasselnde Glut. Er hatte die Beine angezogen und das Kinn auf die narbenbedeckten Knie gelegt.

»Mutter ...«, kam es von seinen Lippen. Doch als er den Kopf hob, war der weiße Rauch über dem Grabhügel erloschen. Seine Mutter war endgültig gestorben. Auch wenn er sich eines wehmütigen Gefühls nicht erwehren konnte, beschloss er, sich nun anderen Dingen zuzuwenden.

Er blickte zu den jungen Mädchen hinüber. Sie warfen kichernd mit kleinen, weißen Sumpfhühnerknochen um sich. Das flackernde Feuer verlieh ihren gutgewachsenen Körpern einen bronzenen Farbton. Er sah lächelnd zu, wie sich ihre Hüften im Rhythmus der tanzenden Männer bewegten. Ein Zeichen, dass sie mit der Werbung einverstanden waren.

Aber welche mochte Ras Auserwählte sein?

Ra wollte aufstehen und sich ein Bratenstück abschneiden, doch sein Vater drückte ihn sachte nieder.

Der alte Jäger brauchte nur mit den Brauen zu zwinkern, und Ra blickte in die angedeutete Richtung. Dort saß Pror, der Sohn des Starken Wisent. Ein kräftiger Bursche, narbenbedeckt, und kampferprobt.

Ras geheimer Konkurrent im Wettstreit um die Sippenführerwürde.

Pror nutzt jede nur denkbare Möglichkeit, um Ra zu demütigen. Dabei war er verschlagen und listig genug, um seinen Gegner niemals offen anzugreifen.

Ras Vater wusste, dass sein Junge in dieser Nacht um seine Mutter trauerte. Er würde dem gefährlichen Gegner auf den Leim gehen. Es war sicher, dass Pror die Chance nutzen würde, um Ra während der Werbung um ein Weib lächerlich zu machen.

»Aiaaaaia ... aiaaaaaia!«

Die Männer zerrten letzte Holzscheite aus der Glut und liefen schreiend über den Lagerplatz. An einigen Ständen brannte das trockene Gras lichterloh. Beißender Qualm zwang Ra zum Aufstehen. Er folgte seinem Vater, der zum Grabhügel hinaufging. Zwei mächtige Mammutzähne lagen über der Mulde.

Ra blickte in die sternenflammende Nacht hinauf. Er hatte schon oft versucht, die gleißenden Lichtpünktchen zu zählen. Diesmal war es besonders beeindruckend. Die Sterne schienen von innen heraus zu glühen. Wenn man ihre Positionen mit gedachten Linien aus Bogensehnen verband, so ergab das die seltsamsten Figuren.

Plötzlich kniff Ra die Augenlider zusammen. Täuschte er sich, oder war dort tatsächlich ein Stern größer geworden?

»Dort, Vater!«

Der alte Jäger folgte dem ausgestreckten Arm seines Sohnes.

Hoch oben am Himmel stand ein kleines, goldenes Licht. Man konnte den Eindruck gewinnen, es würde pulsieren.

»Die Tapfersten von uns kehren nach ihrem Tod in die Sonnenwelt zurück. Das ist einer von uns. Er beobachtet uns.«

Ra hatte selten erlebt, dass sein Vater so viele Worte zusammenhängend ausgesprochen hatte.

Als Ra wieder aufblickte, war das goldene Licht verschwunden. In seinem Innersten wusste der junge Krieger, dass der Stern wiederkommen würde. Wenn nicht morgen, so doch an einem anderen Tag.

Denn es war Ras ganz persönlicher Stern.

*

Vom Fluss her drang kehliges Brüllen in das Tal der Sippe.

Die Mädchen, die kleine, bunte Vogelfedern in Grasschnüre flochten, sprangen erregt auf. Sie ließen ihren Zierrat fallen. Erst vor der Höhle hielten sie inne und starrten lauschend zum Hügel hinüber, der das Tal von der Flussniederung her abschirmte.

Pror stand gegen seinen Langschaftspeer gelehnt da und grinste verächtlich. Er wusste, welche Bestie zum Fluss gekommen war. Er war dem großen Tier neulich erst um Haaresbreite entkommen. Ein gefährliches Tier, das der Sippe die Wasserrechte streitig machte.

Pror zögerte die letzte Entscheidung hinaus. Er wartete darauf, dass Ra den Kampf wagen würde. Dann würde er zuschlagen und mit ansehen, wie die Bestie Ra in den Boden stampfte.

Das Gesetz der Sippe ließ keinen Alleingang zu.

Keiner durfte seiner eigenen Wege gehen. Wer damit nicht einverstanden war, wurde aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Ohne Feuer und den Schutz der stets wachsamen Jäger würde er bald das wehrlose Opfer reißender Tiere werden.

Und der Winter stand vor der Sippe. Noch waren die Nächte warm. Noch war die Jagd das reinste Vergnügen, aber sehr bald würde der Fluss zugefroren sein. Dann war es vorbei mit dem Fischen. Man konnte die Tiere auch nicht mehr an ihrer Tränke töten. Keiner wollte jetzt daran denken. Denn noch war es ja nicht soweit.

Ras Vater verwaltete die Sippe verantwortungsvoll und gut. Er passte auf, dass das Feuer niemals erlosch, und er sorgte dafür, dass die Kinder keine Not zu leiden brauchten. Jetzt wurde der Vorrat an wärmenden Fellen ergänzt. Wenn keine andere Sippe kam, und ihnen diese Kostbarkeiten raubte, so hatten sie gute Aussichten, ohne allzu große Opfer durch die kalte Jahreszeit zu kommen.

Plötzlich versteifte sich Prors Haltung.

Oben auf dem Hügelkamm war eine alte Frau aufgetaucht, die ein zappelndes Bündel in den Armen hielt. Die Alte schrie entsetzlich.

Das ist doch Nachtwolfs Kind, dachte Pror bei sich.

Ra stürzte aus der Höhle, gefolgt von seinem Vater, der im Laufen nach einem Steinkeiltomahawk langte.

»Nachtwolfs Kind. Es stirbt.«

Als die Alte die Talsohle erreicht hatte, war das Kind längst tot. Es lag in seinem Blut und regte sich nicht mehr. Etwas Scharfkantiges hatte ihm den Leib aufgeschlitzt. Die Alte beugte sich schreiend über den kleinen Körper und streute stark riechende Kräuter über die Wunde.

Pror stieß demonstrativ den Speer in den Boden.

»Der große Schatten tötet unsere Kinder!«

Die Jäger nickten zustimmend.

»Ohne Kinder sind wir nichts wert. In einigen Sonnenumläufen sind wir schwächer als jede andere Sippe.«

Einige grunzten angriffslustig und schlugen sich gegenseitig auf die Schultern. Ihre sonnenverbrannten Gesichter verzerrten sich. Alle bleckten die kräftigen Zähne. Sie schauten mit unverhohlenem Spott auf Ra, der abseits stand.

»Wir verteilen uns am Fluss!«, schrie Ras Vater.

Ohne Widerrede setzten sich die Männer in Bewegung. Alle hatten Waffen bei sich. Speere aus feuergehärtetem Holz, Steinäxte und Faustkeile.

Die Frauen stimmten einen eintönigen Singsang an. Die Männer antworteten mit anfeuernden Rufen. Sie schrien sich gegenseitig Mut zu. Einige würden auch dieses Mal auf der Strecke bleiben. Das Beruhigende war, dass keiner wusste, wer sterben würde.

Auf dem Hügelkamm verharrte die wilde Horde. Sie starrten angespannt zum Fluss hinunter, der einen großen Bogen beschrieb, von den weißen Gletschern kommend in den dunstigen Morgennebeln verschwinden. Die Männer schnupperten wie Tiere, sogen die Luft tief ein und befeuchteten ihre nervigen Finger mit Speichel.

Der Wind stand günstig. Sie sahen, wie er die Schilfstauden in einem ewig gleichbleibenden Rhythmus bewegte. Bis auf die breite Gasse im Schilfmeer war nichts Außergewöhnliches zu sehen.

Und doch war dort unten ein wehrloses Kind gestorben.

Ra deutete nach unten und machte eine ungeduldige Handbewegung.

Die Jäger packten ihre Waffen fester und schwärmten aus. Ra brauchte ihnen nicht extra zu erklären, was sie jetzt zu tun hatten. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie sich Pror von der Horde absonderte und etwas langsamer wurde. Dann war auch dieser Jäger im hohen Schilf verschwunden.

Ein stechender Geruch drang in Ras geweitete Nasenlöcher.

Das Wollnashorn, durchzuckte es ihn.

Die Kinder hatten das Tier mit Holzkohle und Lehmfarben an die Höhlenwand gezeichnet. Sie wollten den bösen Geist des großen Schattens bannen, doch einmal würde man sich der Bestie stellen müssen. Da halfen auch keine Beschwörungen. Freien Zugang zum Wasser konnte auf die Dauer nur der Stärkere haben.

Ra sah, wie einige der Jäger Schlammbröckchen fassten und sie durch die Luft schleuderten. Sie schrien wie Tobsüchtige und sprangen mehrmals hoch.

Kaum hatten sie sich zum ersten Angriff verteilt, da sprang ein riesiges, zottiges Ungetüm aus dem Uferschlamm auf. Es schüttelte sich mehrmals, und der Dreck spritzte weit durch die Gegend.

»Der große Schatten!«, ertönte ein vielstimmiger Schrei.

Die Männer rannten jetzt um ihr Leben. Das war das größte Wollnashorn seit langem. Und Pror hatte gewusst, auf was sie sich einlassen würden. Er hatte geahnt, dass man das Tier nicht mit normalen Mitteln erlegen konnte. Anscheinend war es aus einem jener weit entfernten heißen Täler geflohen.

Dort sollten noch die unglaublichsten Bestien leben.

Das Tier hob seinen mit zwei mächtigen Hörnern bewehrten Schädel. Es äugte tückisch blinzelnd in die Runde. Dann senkte es angriffslustig den Kopf und scharrte im Schlamm.

Als es wieder eine Bewegung zu erkennen glaubte, jagte es wie von der Sehne geschnellt vorwärts. Keuchend und schnaufend, das vordere, armlange Horn tief gesenkt.

Die Jäger liefen schreiend um ihr Leben. Einer stolperte im Uferschlick. Die anderen nahmen blindlings Reißaus. Der Gestrauchelte warf sich entsetzt herum, doch er kam nicht mehr rechtzeitig frei. Ein, zwei Atemzüge, dann war das Wollnashorn heran und schlitzte ihm mit einem Ruck den Leib auf. Ungläubig starrte der Mann auf seine herausquellenden Eingeweide. Wenige Augenblicke später schleuderte ihn das Nashorn hoch durch die Luft, und trampelte ihn dann in den Schlamm.

Und schon hetzte die Bestie auf einen anderen Jäger zu.

»Aiiiiiiieeee!«

Ra sprang mutig dazwischen, als er sah, dass der Mann humpelte und nur langsam vorwärts kam. Der Mann hatte eine kaum verheilte Beinwunde. Das Andenken an einen anderen Jagdausflug.

Ra lenkte das Nashorn durch einen blitzschnellen Speerstich in die Seite ab.

Die Wunde reizte den Giganten nur noch mehr. Als er sich das Blut von der Wunde lecken wollte, drehte er sich mehrmals um die eigene Achse. Er kam jedoch nicht an die Wunde heran.

Ras Attacke genügte dem Jäger zur Flucht.

Auch Ra brachte rasch einen Sicherheitsabstand zwischen sich und das schnaufende Wollnashorn. Die rechte Seite des Tieres glänzte vom auslaufenden Blut. Die Speerspitze steckte noch in der Wunde und wippte bei jedem Atemzug.

Jetzt war Prors Stunde gekommen.

Außer ihm und einigen beherzten Jägern war nur noch Ra in der Nähe. Mit etwas Geschick würde er seinen Gegenspieler ein für allemal aus dem Wege räumen können.

Er schickte Langspeer, Schwarzwolf und Gorr in die Kampflinie zwischen sich, Ra und das Wollnashorn. Er konnte keine Zeugen gebrauchen.

Ein grollendes Brüllen schreckte die Männer auf. Sie hatten vorhin gesehen, wie die Bestie mit seinen Gegnern verfuhr. Instinktiv drehten sie sich nach Pror um, doch von dem war nichts mehr zu sehen. Dafür walzte das Wollnashorn aus dem Schilfdickicht genau auf sie zu.

Die Jäger brachten sich durch waghalsige Sprünge in Sicherheit.

Als Langspeer dicht hinter sich das Brechen der Schilfstauden und das Schnaufen des Ungetüms hörte, drehte er sich um und schleuderte seinen Speer in die braune, schlammbedeckte Fellmasse.

Doch die Waffe glitt vom verkrusteten Fell des Tieres ab. Dafür saß der zweite Speer etwas besser, konnte das Ungetüm aber auch nicht ernsthaft verwunden.

Schwarzwolf und Gorr waren dicht neben dem Nashorn aufgetaucht. Sie wollten gerade mit den Steinkeiläxten zuschlagen, als sich der riesige Muskelberg mit einer unglaublich schnellen Drehung zu ihnen umwandte. Gorr wurde mehrere Körperlängen davongeschleudert und blieb stöhnend im Schlamm liegen.

Schwarzwolf rutschte aus und hieb sich mit der eigenen Waffe in den Schenkel. Fluchend humpelte er davon.

Er kam nicht weit.

Sein Todesschrei ging im Stampfen des Nashorns unter.

Langspeer, der keine Waffe mehr hatte, wollte einen großen Stein ergreifen. Da fiel sein Blick auf Schwarzwolfs Axt. Behände ergriff er die Waffe und schleuderte sie auf das heranrasende Nashorn.

Brüllend reckte das Tier seinen Kopf hoch. Die Axt steckte genau in seinem linken Auge. Die hervorquellenden Blutströme nahmen ihm die Sicht. Das war die Rettung für Langspeer und Gorr.

»Aiiiiiiieeee!«

Ra wirbelte um die eigene Achse, als Langspeers Siegesruf ertönte. Das rettete ihm das Leben. Pror wurde vom eigenen Schwung vorwärts gerissen und rutschte an ihm vorbei durch den Sumpf. Der Hieb mit dem Faustkeil wäre absolut tödlich gewesen.

»Verräter!«, knirschte Ra.

Er sprang von hinten auf Pror und drückte ihm den Kopf in den aufspritzenden Schlamm. Immer und immer wieder, dann hatte sich seine Wut gelegt. Er riss den Kopf seines Gegners hoch und starrte ihm in die Augen.

Ra musste plötzlich lachen.

»Du hast Angst, Pror! Angst wie ein alter Wolf, der keine Nahrung mehr reißen kann.«

Pror zitterte. Speichel lief ihm aus den verdreckten Mundwinkeln. Er sagte jedoch keinen Ton.

Dafür begann plötzlich der Boden zu beben. Seitlich war der große Schatten des rasenden Wollnashorns aufgetaucht. Die Schilfstauden brachen knisternd.

»Ist das kein Gegner für dich, Pror?«

Ra riss den Kopf seines Widersachers hoch und drehte ihn in die Richtung des herankommenden Nashorns.

Pror wurde leichenblass.

»Das darfst ... du nicht tun!«

»Nein?«

Ra wartete, bis das Nashorn auf wenige Körperlängen an ihn herangekommen war. Pror schrie wie am Spieß und zuckte unbeherrscht im stahlharten Griff Ras. Dann stieß ihn dieser beiseite und hetzte auf das Nashorn zu.

Ein Sprung genügte, um ihn seitlich an den mächtigen Körper zu bringen. Ra hatte die Feuersteinaxt zwischen den Zähnen. Jetzt klammerte er sich an die langen Fellzotteln des Tieres und ließ sich eine Zeitlang mitschleifen. Als das Nashorn seinen ungebetenen Gast abschütteln wollte und sich niederbeugte, um sich im Schlamm zu wälzen, nutzte Ra die Gelegenheit und sprang dem Tier in den Nacken.

»Aiiiiiieeee!«

Sekundenlang verharrte Ra auf dem Biest, den schimmernden Feuerstein wie eine Flamme in der Faust, dann donnerte er den Stein in den Schädel des Nashorns. Er kannte die Stelle. Sein Vater hatte sie ihm früher im Sand aufgezeichnet. Und wieder schlug Ra zu. Er hielt erst inne, als die Hirnmasse aus der Wunde kam.

Durch das Nashorn ging ein Ruck. Wie vom Blitz gefällt, krachte es auf den Boden. Ra war längst nicht mehr auf dem Nacken des sterbenden Riesen. Er stand abseits und atmete tief durch. Sein schweißglänzender Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg.

Die letzten Zuckungen des Nashorns wirbelten ganze Grasbüschel durch die Luft. Der Tod kam langsam.

Als Ra sicher war, dass kein Leben mehr in dem Koloss war, zückte er einen blanken Faustkeil. Mit wenigen Griffen trennte er die knochige Haut um das vordere Horn auf, stemmte sich dagegen und brach es heraus. Mit der Siegestrophäe in der Hand kehrte er ins Lager zurück. Vor Entkräftung zitternd, aber glücklich den Sieg über Pror und das Wollnashorn davongetragen zu haben.

Sein Vater war stolz und beglückwünschte ihn immer wieder.

Die Mädchen umringten ihn lachend. Sie berührten seine starken Arme und wischten ihm das Blut vom Körper. Bewundernd strichen sie über das mächtige Horn.

Ra schaute sich suchend um. Doch nirgends konnte er Pror entdecken. Sein Widersacher war verschwunden. Dafür war am Horizont ein goldenes Licht größer geworden. Es stand für wenige Augenblicke unter der Sonne, um dann langsam nach Westen abzuwandern. Die Sonnenstrahlen streiften das seltsame Gebilde, das von Ra aus gesehen höchstens ein besonders großer Stern sein konnte, und riefen glitzernde Reflexe hervor. Es verschwand in einer langgezogenen Schleife, wie ein Tropfen glühenden Metalls in der Glut eines Vulkans.

*

In der Nacht schreckte Ra aus dem Schlaf hoch. Es war stockdunkel in der Höhle. Ra schleuderte die Felle von sich und streckte sich. Ihm taten alle Knochen weh. Die nächsten Tage würden nicht gerade angenehm sein. Ihm stand fürchterlicher Muskelkater bevor.

Jetzt wusste er plötzlich, was ihn die ganze Zeit über beunruhigt hatte: Das Feuer war aus!

Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er den Umriss eines Jägers, der dicht am Höhleneingang hockte.

Schmetterfaust, der Wächter des Feuers!

Als Ra an den Mann herangetreten war, erkannte er, dass sein Bruder tot war. Der Streich eines Tomahawks hatte ihm die Kehle gespalten. Die Wunde war bereits trocken. Der feige Überfall lag also schon einige Zeit zurück.

Der Feuertopf war verschwunden!

Ra kauerte nieder und wischte mit der Rechten vorsichtig über den Sandboden. Er ertastete kleine Vertiefungen.

Fußspuren!

Ein einzelner Mann hatte das Feuer geraubt. Aber wer? Ein Verräter der eigenen Sippe oder ein Fremder? Neulich waren fremde Krieger unten am Fluss aufgetaucht. Als sie gesehen hatten, dass mit Ras Brüdern nicht zu spaßen war, hatten sie schleunigst die Flucht ergriffen.

Ra neigte den Kopf und schnüffelte in der Art eines Wolfes über den Boden. Er zog die Stirn kraus und überlegte krampfhaft, an wen ihn der schwache Fährtengeruch erinnerte. Er konnte ihn jedoch vorerst nicht einordnen.

Er weckte seinen Vater.

Im gleichen Augenblick stürzten mehrere Jäger in die Höhle. Sie schleppten einen Verwundeten mit sich. Langsam ließen sie den Stöhnenden auf den Boden gleiten. Ein Faustkeil hatte seine Schulter zerschmettert.

»Pror ... wollte mich töten!«

»Pror? Ich denke, Pror wurde vom Nashorn erledigt.«

Der alte Jäger sah seinen Sohn durchdringend an. Ra berichtete widerstrebend über seinen Zusammenstoß mit Pror.

»Er wollte mich töten, da haben wir miteinander gekämpft. Ich habe Pror besiegt.«

Jetzt war alles klar. Pror hatte sich aus Scham vor der erlittenen Niederlage versteckt gehalten. Erst als er sicher sein konnte, dass alle schliefen, war er heimlich ins Lager zurückgekehrt. Er musste den Plan gefasst haben, Ra und dessen Vater durch den Diebstahl des Feuers unmöglich zu machen. Also tötete er die Feuerwache und verschwand mit dem Tonkrug, der die Glut barg.

Wer das Feuer besaß, der hatte den Sippenführer der Schande preisgegeben. Jeder Sippenführer war für das Feuer verantwortlich. Das war Prors Rache an Ra. Niemand bezweifelte, dass sich der Verräter mit den fremden Kriegern verbünden würde. Eines Tages würde er sie dann angreifen, um sich Ras Kopf zu holen.

»Ich werde das Feuer zurückholen!«

Ras Vater nickte bedächtig.

»Du musst Pror töten!«

»Ja, Vater!«

Ra steckte sich ein paar Trockenfische in den Gürtel. Er ging ohne ein Abschiedswort in den kühlen Morgen hinaus. Ihm würde jetzt niemand beistehen. Das war ganz allein seine Sache. Brachte er das Feuer zurück, so würde sich nichts ändern. Hatte er jedoch keinen Erfolg, so würde man seinen Vater bedenkenlos aus der Sippe verbannen.

Über dem Schilfwald stand Nebel. Die Luft war klar und frisch. Noch tummelten sich die Stechmücken nicht über dem Morast. In der Ferne brüllte ein Säbelzahntiger. Ansonsten war es totenstill. Alles schien voller Erwartung auf das Kommende still zu verharren.

Ra blickte hoch. Er sah einen nadelfeinen Lichtstreifen am düsteren Himmel, der sich langsam über dem Horizont krümmte und dann blitzschnell verschwand.

Die langsam aufsteigende Glutmasse der Sonne verdrängte die Erinnerung an das kleine Himmelslicht. Wenige Augenblicke später überstrahlte sie mit ihrem Glanz die letzten Schatten der Nacht.

Ra ging mit weitausgreifenden Schritten zum Fluss hinunter, überquerte ihn an einer Furt und verschwand in der weiten Ebene. Er hielt genau auf die düstere Bergkette zu, die sich an die Ebene anschloss. Irgendwo im Schutz eines Gletschers musste Pror stecken. Er würde ihn schon aufstöbern.

*

Ra duckte sich hinter eine Felskette.

Das Donnern unzähliger Hufe ließ den Steppenboden erbeben.

Die Rentiere kamen!

In riesigen Herden überfluteten sie das Land. Ra bedauerte, seine treuen Jäger nicht bei sich zu haben. Sie hätten genug Fleisch für viele Monde erbeuten können. Und Felle für den Winter. Jetzt war er allein und musste sich aufs Beobachten beschränken.

Hinter dem Zentrum der Herde sprangen kleine Gestalten auf und nieder. Sie winkten und schrien, als wollten sie die Richtung der Herde ändern.

Fremde Jäger, durchzuckte es Ra. Vielleicht von der Sippe, die jetzt Pror aufgenommen hatte.

Ra wusste, dass die Rentiere niemals von ihrer einmal eingeschlagenen Richtung abzudrängen waren. Sie zogen zu den großen Wasserstellen, und daran konnte sie höchstens ein Flächenbrand größten Ausmaßes hindern.

Das war es, was die Fremden vorhatten.

Ra hob den Kopf und sog die Luft tief ein. Der Wind hatte Brandgeruch nähergetragen.

Plötzlich wurden die Tiere unruhig. Ra konnte sehen, wie besonders die Jungtiere enger an die Muttertiere heranrückten. Dann keilte ein alter Bulle aus und änderte die Richtung. Wie auf ein geheimes Kommando folgte ihm der Haupttrupp.

Schwarze Rauchfahnen standen über der Steppe. Kleine Feuerzungen reckten sich in die Höhe, breiteten sich über die Fläche aus und verbanden sich in kurzer Zeit mit den anderen Flammenherden.

Ra schlich sich gebückt im Sichtschutz der Felsen von der kleinen Hügelerhebung. Er musste jetzt darauf vertrauen, dass die anderen zu sehr mit der Herde beschäftigt waren, um ihn zu entdecken. Ein paar versprengte Rentiere kamen dicht an ihm vorbei. Ihre schwarzen Nasen waren schaumbedeckt. Ra musste den Impuls gewaltsam unterdrücken, eines der Tiere zu erlegen.

Geschickt lief er zwischen mehreren Rentieren hindurch und legte sich der Länge nach auf den Boden. Nicht weit von ihm entfernt waren drei fremde Jäger aufgetaucht. Sie hielten lange Bastschlingen in den Händen, an deren Enden Faustkeile befestigt waren. Sie brauchten ihre Waffen nur über die Köpfe zu schwingen, gegen den Kopf des Gegners prallen zu lassen und sie wieder zurückzuziehen.

Eine raffinierte Erfindung, wie sich Ra zugestehen musste.

Fremde Jäger, fremde Waffen. Gefahr! Er musste soviel wie möglich über die andere Sippe herausfinden, bevor er mit dem Feuer zu den Seinen zurückkehrte.

»Hoiii ... hoiii!«

Die Fremden hatten einen mächtigen Bullen eingekreist. Das Tier wollte durchbrechen, kam aber nicht über die nahestehenden Felsen. Es drehte sich schnaubend um und schüttelte sein ausladendes Geweih. Bevor er entwischen konnte, hatte einer der Fremden seine Seilwaffe erhoben, drehte den Stein mit der Rechten lässig durch die Luft bis ein singender Ton aufkam und ließ kurz entschlossen los.

Das Rentier brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Der Stein hatte den Schädel des Tieres zerschmettert.

Ra nutzte die Gelegenheit aus, um sich still und heimlich im Rücken der erfolgreichen Jäger davonzumachen. Die seltsame Waffe hatte ihm Respekt eingeflößt. Ein Kampf mit diesen Leuten würde viele Opfer fordern. Er war jetzt froh, keinen anderen mitgenommen zu haben. Er würde sich etwas einfallen lassen müssen, wenn es zur offenen Auseinandersetzung mit Prors neuen Freunden kommen sollte.

Ra war sich jetzt ganz sicher, dass Pror bei den Seilschwingern war. Die Spuren des Feuerdiebes führten genau in die Richtung, aus der die Fremden aufgetaucht waren.

Das Donnern der Herde verlor sich in der Ferne. Ab und zu drang der triumphierende Schrei eines Jägers an sein Ohr. Ra glaubte, jetzt in Sicherheit zu sein. Er sprang auf und lief weiter auf die Bergkette zu, die sich wie eine zerrissene Wand vor ihm auftürmte. An einigen Stellen waren die Berggipfel abgeplattet und flach. Dunkle Wolken hingen darüber. Als Ra die Luft einatmete, die von den Bergen kam, hatte er das Gefühl, etwas Verbranntes zu riechen. Er dachte zunächst nicht weiter darüber nach, denn von einem Lagerfeuer war weit und breit nichts zu sehen.

Es wurde rasch dunkel.

Ra suchte sich eine windgeschützte Mulde und verzehrte seine Trockenfische. Er schlief sofort ein, während hoch über ihm ein goldener Schemen schwebte.

*

Ra konnte jetzt jede Einzelheit der vor ihm liegenden Tafelberge erkennen. Da sich die fremden Jäger nicht mehr blicken ließen, ging er aufrecht auf eine breitgefächerte Geröllhalde zu, die vor ihm sanft anstieg. Die Gegend war völlig vegetationslos.

Ra kletterte geschickt über die porösen Felsen hinweg. Wenig später türmten sich vor ihm bizarr geschnittene Felsblöcke auf. Er vermisste das Eis der tiefliegenden Gletscher. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es ungewöhnlich warm war.

Er legte die Hand auf den sandigen Boden.

Er konnte es sich nicht erklären, weshalb es hier so warm war, aber er akzeptierte diese Tatsache. Wenn es bloß Pflanzen geben würde, ging es ihm durch den Kopf, dann könnte meine Sippe hier leben.

Ra musste an die Geschichten von den heißen Tälern denken. Seine Sippe hatte schon viele Sommer nach einem solchen Tal gesucht, aber bis jetzt keinen Erfolg gehabt. Sollte er zufällig auf ein heißes Tal gestoßen sein?

Dann brauchte er der Sippe das gestohlene Feuer nicht zurückbringen. Das war ohnehin nur ein symbolischer Akt, denn mit Hilfe der Feuersteine und trockenem Moos würde der Sippenälteste ohne weiteres Feuer herbeizaubern können. Die dazu notwendigen Zeremonien waren zeitraubend, aber man würde sie gern über sich ergehen lassen.

Ein heißes Tal für den Winter! Der Gedanke ließ Ra nicht mehr los. Seine Stellung als zukünftiger Sippenführer wäre so gut wie sicher. Außerdem würden seine Brüder und Schwestern leichter über die kalte Jahreszeit kommen. Aber da waren noch die Fremden. Sie besaßen bessere Waffen und schienen ausgezeichnete Jäger zu sein. Wenn ihnen das heiße Tal gehörte, so würde es zu einem gnadenlosen Kampf kommen.

Ra beschloss, soviel wie möglich über die fremden Jäger in Erfahrung zu bringen. Er fühlte sich als Kundschafter seiner Sippe. An ihm würde es liegen, ob sich kurz vor der kalten Jahreszeit ein sicherer Winterplatz erobern ließ. Ra ahnte, dass die fremden Jäger nur durch eine Kriegslist zu schlagen sein würden.

Als Ra sich wieder einmal über einen, der mächtigen Felsbrocken schwang, stand er unvermittelt vor einem Fetisch der Fremden.

Der Anblick des grinsenden Totenschädels kam so plötzlich für den Barbaren, dass er vergaß, nach den anderen Ausschau zu halten.

Die Seilschwinger hatten ihn längst entdeckt.

Der gelbe Schädel war mit bunten Vogelfedern verziert. Er steckte auf einer Bambusstange. Ohne Zweifel die Grenzmarkierung der anderen Sippe. Auch ein Schutz gegen böse Geister, die man von dem angrenzenden Tal fernhalten wollte.

Plötzlich vernahm Ra ein leises Stöhnen. Es kam genau aus der Richtung, die er jetzt eingeschlagen hatte. Er packte seinen Faustkeil und hielt sich gebückt in der Deckung hoch aufragender Felsen.

Er konnte noch nichts Außergewöhnliches erkennen.

Vielleicht ein Wachtposten der Fremden, der in eine Schlucht gestürzt war?

Beißender Schwefelgeruch war auf einmal in der Luft. Ra hustete unterdrückt. Wenige Körperlängen vor ihm drangen gelbliche Dämpfe aus dem Boden. Und je näher er sich der Felsspalte genähert hatte, desto deutlicher war das Stöhnen des Unbekannten geworden.

Ra beging den Fehler, die schwefligen Dämpfe einzuatmen. Er musste sich mehrmals gegen die Felsen lehnen, so schwindlig war ihm auf einmal geworden. Vor seinen Augen tanzten bizarre Schemen. Er wollte danach greifen, doch sie entzogen sich geschickt seinem Zugriff. Er bereute es, nicht auf den Fetisch der fremden Jäger geachtet zu haben.

Das Stöhnen wurde lauter.

Ra biss die Zähne aufeinander und taumelte vorwärts. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre in eine der dampferfüllten Felsspalten gestürzt. Tief unten brodelte kochender Schlamm.

Die Hitze stach ihm in die Lungen. Kleine, gelbschimmernde Kristalle hatten sich auf seine Haut gelegt. Als er darüber wegwischte, hinterließen sie eine schmierige Spur.

Dann sah er den Stöhnenden. Es war Pror!

An eine biegsame Gerte gefesselt, hing der Verräter über einer Felsspalte, aus der gelber Dampf stieg. Pror war schon viel zu erschöpft, um noch gegen die Fesselung ankämpfen zu können. Sie hatten ihm Sehnen um jeden einzelnen Finger geschlungen und die Schnüre an die halbmondförmig über seinen Kopf gespannte Gerte geknüpft.

Ra erschauerte, als er sich die entsetzlichen Qualen vorzustellen versuchte, unter denen Pror zu leiden hatte.

»Tötet mich ... tötet mich!«

Die Dämpfe hatten Prors Beine mit einem glitzernden Kristallüberzug versehen. Es würde nicht lange dauern, und die Schwefelkristalle bedeckten den gesamten Körper des Unglücklichen.

Ra ergriff seinen Faustkeil. Er wollte Pror helfen. Die fremden Jäger hatten einen Stammesbruder gemartert. Pror war zwar ein Verräter, aber noch immer ein Blutsverwandter Ras. Persönliche Auseinandersetzungen waren daher zweitrangig.

Ra musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um nicht ebenfalls von den Dämpfen betäubt zu werden. Wie durch einen Schleier hindurch erkannte er den schlaff herunterhängenden Pror, umgeben von den teuflischen Schwefeldünsten. Ra streckte die Hand aus, um die linke Hand Prors von den Fesseln zu lösen. Er musste kurz innehalten.

Im gleichen Augenblick traf ihn ein mörderischer Schlag. Ra merkte nicht mehr, wie er kopfüber in den Schwefelsand stürzte und regungslos liegen blieb.

Dicht neben ihm lag ein glattpolierter Kieselstein.

Die fremden Jäger kamen aus der Deckung und grinsten zufrieden. Es kam so gut wie nie vor, dass sie ein Ziel mit ihren Schleudern verfehlten. Darin waren sie Meister. Und deshalb gehörte ihnen das heiße Tal auch. Keine andere Sippe hatte es ihnen bisher wegnehmen können.

*

Ra nahm seine Umgebung wie durch einen Flammenvorhang wahr.

Alles an ihm schmerzte. Seine Beine, sein Leib, seine Arme und sein Kopf. Er wollte sich über die verkrusteten Augen streichen, doch er brachte keine Bewegung zustande.

Ich bin gefesselt, durchzuckte es ihn.

In den Fingerspitzen war kein Gefühl mehr. Diese Erkenntnis erschreckte ihn zutiefst. Er hatte schon oft miterlebt, wie tapfere Jäger nach einem Jagdunfall gelähmt waren. Sie hatten sich meist etwas gebrochen und konnten von diesem Augenblick an niemals wieder aufstehen.

Ra hatte entsetzliche Angst.

Er versuchte gewaltsam, die Augen zu öffnen. Gelblicher Kleister hatte seine Lider verklebt. Als er sie einen Spalt breit geöffnet hatte, sah er nur gelbliches Wabern.

Seine Brust war wie eingeschnürt. Er bekam kaum noch Luft. Jeder Atemzug sog das Stechende tiefer in ihn hinein.

Als er seinen Kopf ein wenig drehte, sah er neben sich eine Gestalt hängen. Der Mann war bewusstlos. Und soweit Ra erkennen konnte, atmete der Unglückliche nicht mehr.

Pror!, durchzuckte es ihn.

Und im gleichen Augenblick wusste Ra, dass sie mit ihm dasselbe getan hatten wie mit Pror. Er hing über den giftigen Dämpfen, und es war nur eine Frage der Zeit, wann er sterben würde.

Tiefe Mutlosigkeit überkam den jungen Jäger. Er hatte immer in der Gefahr gelebt, von einem Tier zerrissen zu werden. Ein schneller Tod machte ihm nichts aus, aber dieses langsame Sterben brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Er wollte kämpfend sterben, aber nicht wie ein krankes Weib dahinsiechen.

Als er das Gewicht von einem Arm auf den anderen verlagerte, durchzuckte ihn glühender Schmerz. Seine Finger waren blau angelaufen. Sie mussten auf einmal sein ganzes Gewicht tragen. Er biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte er laut geschrien. Der Schweiß seiner Stirn verband sich mit den schwefligen Dämpfen und bildete graugelbe Muster auf seinem Gesicht.

Nur mit äußerster Willensanstrengung gelang es ihm, den Mund immer mehr seinem rechten Handgelenk zu nähern. Dabei musste er die gefesselten Beine wie ein Gewicht in die andere Richtung verlagern. Dicht vor seinen fiebernden Augen kamen die Sehnen ins Blickfeld, die seine Finger umschnürten. Er knickte den Arm noch ein bisschen weiter ein, dann schnappten seine Zähne zu.

Er würde die Fesseln niemals in seinem Leben wieder freigeben. Anstatt sie zu zernagen, malmten seine Zähne wie Mühlsteine aufeinander. Ra konnte später nicht mehr sagen, wie lange er so zugebracht hatte. Seine Gelenke schienen erstarrt zu sein. Die andere Hand war völlig taub geworden.

Dann gab es einen höllischen Ruck, und die zerkauten Sehnen rutschten von den Fingern. Ra krallte die ersterbenden Fingerglieder mehrmals ruckartig zusammen, dann leckte er sie ab. Mit dem Speichel kehrte auch ein wenig Elastizität zurück. Mit etwas Übung würde er die Hand wieder zum Jagen gebrauchen können. Jetzt konnte er es wagen, die noch gefesselte Hand von seinem Körpergewicht zu entlasten, indem er dicht daneben zupackte und sich herumschwang.

Ra stöhnte verhalten. Die Linke war gefühllos und klamm. Er hätte sich am liebsten dem Todesrausch der gelben Dämpfe überlassen, doch sein Lebenswille war ausgeprägter.

Er klammerte sich dicht neben die noch gefesselte Hand und begann von neuem, die einzelnen Sehnen zu lockern. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Die Fesseln gaben nur langsam nach. Endlich war es dann so weit: Er hatte beide Hände frei.

Aufmerksam schaute er unter sich. Die Felsspalte war etwa körperbreit. Wenn er sich wie ein Pendel hin und her schwang, konnte er trotz seiner gefesselten Füße den sicheren Boden erreichen.

Er krachte dumpf auf eine Felsplatte.

Ra gönnte sich keinen Augenblick der Ruhe. Er begann sofort, die Fußfesseln an einem scharfkantigen Stein aufzureiben. Die verletzten Hände waren noch nicht wieder zu gebrauchen. Als er wenig später auf schwankenden Beinen stand, suchte er sich zuerst eine Waffe. Er fand einen spitzen Stein, der wie ein Schwert in seiner Faust lag.

Zufrieden wog er das Ding in der Rechten. Damit würde er dem ersten fremden Jäger den Schädel einschlagen, der ihm über den Weg lief.

Er war unbekleidet, aber die Nacktheit störte ihn nicht.

Ra wollte gerade zwischen den engstehenden Felsen verschwinden, als er eine schwache Stimme hörte.

»Lass mich ... nicht zurück.«

Pror lebte noch. Er hatte die Rettungsaktion seines Sippenbruders mitverfolgt, aber nichts gesagt. Mit letzter Kraft schien er diese Worte ausgestoßen zu haben, denn jetzt hing ihm der Kopf wieder schlaff auf die Brust hinunter.

Ohne lange zu überlegen, kletterte Ra auf die Felsen und stemmte die starke Gerte aus den mit Keilen verschlossenen Öffnungen. Ein kurzer Ruck, und der Gefesselte lag dicht neben der Schwefelquelle. Ra achtete nicht darauf, ob Pror sich verletzt hatte. Er durchtrennte die Sehnen, indem er sie auf einen Stein legte und mit einem anderen darauf schlug.

Er wollte Pror nicht töten. Seine Rache konnte er immer noch befriedigen. Er wollte nur nicht, dass der Gegenspieler den fremden Jägern in die Hände fiel. Das verstieß einfach gegen die Sippenmoral. Ein Mann seines Namens durfte nicht von fremder Hand gerichtet werden.

Ra schulterte den Stöhnenden und verschwand mit ihm in der Dämmerung. Je weiter er sich von den gelben Dämpfen entfernte, desto besser begann er sich zu fühlen. Er sog die klare Bergluft tief in seine Lungen ein. Weit im Westen versank die Sonne. Ra konnte fast zusehen, wie die Nacht über die Felsen und den Bergrand kroch. Er musste jetzt vorsichtig sein, sonst stürzte er in eine Schlucht oder eine der vielen Felsspalten. Er war schon ziemlich weit hochgeklettert, als er das Plätschern einer kleinen Quelle vernahm.

Er legte Pror auf den Boden und trank in tiefen Zügen.

Hinter ihm gähnte schwarze Finsternis. Als er ein paar Schritte vortrat, lösten sich kleine Steine und verschwanden im bodenlosen Nichts. Blitzschnell trat er zurück. Vor ihm musste es viele Körperlängen steil bergab gehen.

Warmer Wind kam ihm entgegen. Es roch nach Pflanzen und modernder Erde.

Das heiße Tal, kam es Ra in den Sinn.

Die ersten Sonnenstrahlen würden ihm das Geheimnis der fremden Jäger zeigen. Bis dahin war noch viel Zeit. Er kauerte sich neben die Quelle nieder und schlief vor Erschöpfung sofort ein.

*

Ra war schon lange auf den Beinen. Eher jedenfalls, als die Wachtposten der Talbewohner abgelöst werden konnten. Er hatte sich lautlos wie eine Katze an sie herangeschlichen und einen nach dem anderen mit dem Granitkeil erschlagen.

Er hatte sich vom Rand des riesigen Kraters einen ersten Überblick über das heiße Tal verschaffen können. Die steilen Bergwände umschlossen ein fruchtbares Gebiet, das ein normaler Jäger in etwa einem Tag durchmessen konnte. Hier wäre die ideale Heimat für seine Sippe zu erobern gewesen, wenn ihm die fremden Jäger dabei nicht im Wege gestanden hätten.

Das Brüllen urweltlicher Tiere drang an sein Ohr. Dann stimmten die Berichte also, dass in den heißen Tälern riesige Bestien hausten. Ra fragte sich, wie die Seilschwinger damit fertig wurden.

Er sprang sofort in Deckung, als er das Knacken eines Zweiges hörte. Vor ihm in Laufrichtung waren zwei Gestalten aufgetaucht. Sie hielten die Seilschlingen lässig in den Händen und unterhielten sich gedämpft. Der eine deutete dabei mehrmals hinter sich und lachte. Ihre Sprache erinnerte Ra an das Knurren wilder Tiere. Verstehen konnte er sie jedenfalls nicht.

Ra wollte auch keine Verständigung mit den Fremden herbeiführen. Nach allem, was sie mit ihm angestellt hatten, brannte er vor Rache. Er wartete, bis sie dicht neben ihm standen und sich suchend umschauten. Bevor die beiden wussten, was mit ihnen geschah, war Ra hochgesprungen, hatte eine der Seilschlingen gepackt und sie um die Nacken der beiden geschlungen.

Ein kräftiger Ruck, und der Schrei der Gegner erstickte in einem kraftlosen Gurgeln.

Irgendwo vor ihm musste sich das Lager dieser Sippe befinden.

Ra fragte sich, was die beiden hier gesucht hatten. Wachen waren es bestimmt nicht, dafür hatten sie sich zu auffällig benommen. Sie mochten vielleicht Fährtensucher oder einfache Jäger gewesen sein, aber niemals spezialisierte Krieger.

Das Brüllen eines Tieres wurde erneut hörbar. Ra hatte es vorhin schon einmal vernommen, aber diesmal war es viel näher. Es schien aus der Tiefe zu kommen, so dass Ra unwillkürlich auf den Boden schaute. Er sah die Abdrücke einiger Jäger im weichen Grasboden. Dazwischen waren die Spuren eines großen Tieres zu erkennen. Ra schnüffelte an den Spuren.

Dann kroch er durch Dickicht und gelangte auf eine Lichtung. Breitgefächerte Gewächse säumten den Waldrand. An den Baumriesen hing schimmerndes Moos, und bunte Orchideen verströmten einen betäubenden Duft.

Die Spuren des großen Tieres führten genau auf eine Grube zu.

Ra sah, dass spitze Äste seitlich hochragten.

Eine Fallgrube!

Er lief rasch näher und schaute hinunter. Ohrenbetäubendes Brüllen ließ ihn zurückschrecken. Ein mächtiger Säbelzahntiger sprang an den Grubenrändern hoch. Ra nahm allen Mut zusammen und schaute der Bestie in die gelblich schimmernden Lichter. Die Grube war eng und erlaubte dem gefangenen Tier kaum einen Auslauf. Ganz unten erkannte Ra ein blutiges Bündel. Der Tiger hatte es zerfetzt.

Ein Kind, schoss es dem Jäger durch den Kopf.

Die fremden Jäger opferten also ihre eigenen Artgenossen, um der gefährlichen Bestien des heißen Tales habhaft zu werden. Ra schüttelte sich vor Abscheu und Entsetzen. Das verstieß nicht nur gegen die ungeschriebenen Gesetze seiner Sippe, sondern verletzte auch sein eigenes Empfinden. Er ahnte, dass die Nomaden und Jägerstämme des weiten Landes den Sinn für das Natürliche und Normale bewahrt hatten, während die ansässigen Stämme – dem täglichen Lebenskampf entwöhnt – fremden Göttern und abscheulichen Gewohnheiten ergeben waren.

Ra hatte auf einmal keine Skrupel mehr, die Gegner aus dem heißen Tal zu vertreiben. Er freute sich sogar auf den entscheidenden Kampf. Aber dazu musste er zuerst zu seinen Brüdern zurückkehren. Und wie die Lage aussah, standen seine Chancen nicht besonders gut.

»Aiiiii ... hoiiii ... hoiiii!«

Ra wirbelte herum.

Mehr als zwanzig Krieger waren aus dem Wald getreten und schwangen ihre Seile in den Händen.

Ra drehte sich wieder um.

»Aiiihoiiii ... hoiii!«

Sie hatten ihn umzingelt. Die ersten Steine flogen ihm um die Ohren. Einer traf seinen Oberschenkel. Blut spritzte aus der Wunde.

Ra bückte sich und entging den nächsten Würfen. Dann hetzte er wie ein in die Enge getriebenes Tier über die Lichtung. Ein schwerer Stamm versperrte ihm den Weg.

Er erkannte, dass er gegen die Übermacht der ansässigen Jäger nicht ankämpfen konnte. Als er sich gegen den Baumstamm presste, um den Steinwürfen zu entgehen, merkte er, dass das Holz morsch war. Er stemmte sich mit aller Kraft dagegen.

Das Schreien der Angreifer vermischte sich mit dem Prasseln der aufschlagenden Steine und dem Brüllen des gefangenen Tigers.