ATLAN X Kreta 1: Lotse im Sandmeer - Hans Kneifel - E-Book

ATLAN X Kreta 1: Lotse im Sandmeer E-Book

Hans Kneifel

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Beschreibung

Im zweiten Jahrtausend vor Beginn der christlichen Zeitrechnung: Über Ägypten, das fruchtbare Land am Nil, herrscht der Pharao Amenemhet; unter seiner Regentschaft blühen Kultur und Wissenschaft. Gleichzeitig gilt es, die Handelswege auszubauen. In der Maske eines Händlers wird Atlan für den Pharao tätig: Er forscht nach den geheimnisvollen Handelswegen durch die Wüste. Noch ahnt er nicht, dass ihn sein Einsatz gegen nomadische Schmuggler in weit entfernte Oasen und tief in den Süden führen wird ... Folgende Romane sind Teil der Kreta-Trilogie: 1. "Lotse im Sandmeer" von Hans Kneifel 2. "Insel der Winde" von Hans Kneifel 3. "Das schwarze Schiff" von Hans Kneifel

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Erster Band der Kreta-Trilogie

Lotse im Sandmeer

von Hans Kneifel

1.Karawane im westlichen Sandmeer

Ipet-Amûn hob den Kopf. Glühendheiße Sandkörner rieselten aus dem kurzen Haar über sein Gesicht. Er blinzelte, halb verdurstet und ausgedörrt, dann zog er den Saum des Umhangs tief in die Stirn. Vor ihm und unter ihm, denn er hatte sich auf einer Anhöhe eingegraben, erstreckte sich eine gelbrote, weite Senke wie der Boden eines seit Urzeiten ausgetrockneten Sees. Reste einstiger Hügel, groß wie Häuser, durch die fast unsichtbar der Pfad in Schlangenlinien lief, hatte der immerwährende Nordwind zu seltsamen Gebilden zerfräst. Trotz des Windes über der Tjehenu-Wüste herrschten tödliche Hitze und flirrende Grelle, die in den Augen wässrige Trugbilder erscheinen ließ. Mitunter tanzten Sandwirbel zwischen den bizarren Statuen aus Lehm, Sand und brüchigem Gestein durch die Ödnis; jetzt erschienen am linken Blickrand drei Männer, in wehende gelbe Gewänder gekleidet, Speere und Bögen in den Händen.

Sie gingen mit weit ausgreifenden Schritten, einen Pfeilschuss von Ipet-Amûn entfernt, bis zum Schatten eines gezackten, grell geäderten Brückenbogens aus verschiedenfarbigem Sandgestein und verschmolzen mit ihm.

»Ihr Götter!«, hauchte der Späher und duckte sich tiefer in das heiße Sandloch unter seinem Kinn. »Es gibt sie wirklich, die Karawane aus dem elenden Kusch!«

Leicht war es, in der Wüste die Spur zu verlieren, ebenso gefährlich, fast tödlich, wenn man einem alten Pfad folgte. Die Karawane bewegte sich zweifellos entlang bestimmter Zeichen, die von Männern wie Ipet-Amûn vor langer Zeit gesetzt worden waren. Den Bewaffneten folgte ein Dutzend nicht allzu schwer beladener Esel, an den Halfterseilen hintereinander festgebunden. Sie trippelten auf dem Pfad, ohne dass sie jemand antrieb. Auch sie verschwanden hinter dem Fuß des steinernen Bogens. Zwei Pferde zogen in Schrittgeschwindigkeit einen Streitwagen mit ungewöhnlich breiten Felgen. Hinter der Wagenbrüstung und unter einem schattenspendenden Leinendach standen zwei dunkelhäutige Männer, die jetzt kurze Befehle riefen. Hinter ihnen kamen drei, vier Dutzend Männer und Frauen, ebenfalls in fadenscheinigen, bodenlangen Gewändern. Die Bewegungen und die Schulterlasten bewiesen, dass es junge Leute waren. Ihre Füße waren durch Sandalen aus Flechtwerk und Leder geschützt; dann schlossen sich wieder drei Bewaffnete mit Kampfaxt, Bogen und kurzen Wurflanzen an.

Neben dem Felsen luden die Träger die Bündel ab, spannten Schattendächer aus Leder und Leinen auf, und zusammen mit den Wächtern begannen sie mit kleinen, schwarzhölzernen Schaufeln zu graben. Als der erste Krug – kniehoch, mit dicken Strohzöpfen und Seilen gepolstert – aus dem Sand gehoben wurde, kamen abermals mehr als ein Dutzend Esel über die niedrige Düne. Zwei Paare trugen an langen Stangen Käfige, in denen der Späher einen jungen Geparden und einen Leoparden erkannte; die Tiere wurden durch Schattentücher vor der grausamen Sonnenhitze bewahrt. Aus den anderen Tragelasten sahen Elefantenzahnpaare hervor, Heboni-Holzbohlen und Ballen, die Futtergras enthielten.

Drei Tiere trugen jeweils zehn leere Tonkrüge, mit Holzpfropfen verschlossen; unter vollen Krügen wären die Esel zusammengebrochen. Hinter den Grautieren trotteten vier Pferde, von deren Rücken kleine Lederbeutel schwer an Riemen herunterhingen. Ipet-Amûn wusste, dass ihm aus jedem Beutel grober oder sandfeiner Goldstaub, gemischt mit erbsengroßen Teilchen, entgegenrieseln würde; Nub vom Hapilauf jenseits des zweiten und dritten Katarakts; Gold, das Fleisch der Götter.

Zwei hellhäutige Krieger bildeten das Ende der Karawane. Es waren unzweifelhaft Rômet, die rômetische Kleidung, wenig, aber kostbaren Schmuck und Waffen trugen und mit selbstbewussten Bewegungen erkennen ließen, dass ihnen die Karawane gehörte.

Der Späher sah regungslos zu, wie sich Menschen und Tiere am Felsen versammelten. Sein Körper war unter dem schützenden Sand mit der mannshohen Düne verschmolzen. Entdeckte man ihn, würde man ihn hetzen und töten.

Ein weiterer Krug wurde ausgegraben, ein winziges Feuer entfacht; die Frauen und Männer tranken, bereiteten Kräutersud und schütteten für die Tiere Wasser in auseinandergefaltete lederne Tränken. Das Scharren eines Reibsteins durchschnitt misstönend die Stille: Korn wurde zu Mehl für Fladenbrote zermahlen.

»Gold, Elefantenzähne, Löwenfelle, vielleicht Straußenfedern und schwarzes Edelholz«, flüsterte Ipet-Amûn in das Winseln des Windes, der die Sandkörner rascheln ließ. »Nachtmin hat am richtigen Gerücht geschnuppert.«

Er wartete, das Gesicht im Sand, der seinen rasenden Herzschlag weiterleitete. Grobe Körner drückten sich kantighart in seine Haut; die Brust schmerzte, die Schenkel schienen abgestorben. Das Gestirn des Sonnengottes wanderte am wolkenlosen Himmel. Erst als nach zwei Stunden alle Menschen und Tiere um den Rauchfaden des Feuerchens zu schlafen schienen, bewegte sich der Späher Fingerbreit um Fingerbreit rückwärts, bis er sich im Sichtschutz des Sandwalls halb aufrichten und davonhuschen konnte, von einer glühendheißen, schwarzen Felsplatte zur anderen. Er lief in den tiefen Dünentälern in seinen eigenen Trittsiegeln nach Osten, sein Schatten tanzte links von ihm über die blendenden Flächen.

Ipet-Amûn fand den eingeritzten Fußabdruck an der Steinmarkierung, grub den Krug aus dem tiefen Sand, trank gierig, aber in winzigen Schlucken, kühlte sein Gesicht und die Unterarme und verschloss das schwere Gefäß, nachdem er seinen Wasserschlauch gefüllt hatte; erst als Rê-Harachtes weißgoldene Scheibe sich dem westlichen Horizont entgegensenkte und rot färbte, beruhigte er sich.

Die Schmugglerkarawane lagerte einen Tagesmarsch südlich Zen-Zens, der letzten Oase im Westen Menefrus, die den »Augen und Ohren« des Pharao bekannt war. Jenseits dieses winzigen Fleckchens grünen Lebens in dem Meer aus Dünen, Geröll und Fels bog der Karawanenpfad nach Nordwest ab und führte zur »Wachet Ihuta«, zur Oase Ihuta; dies hatte Sokar-Nachtmin von uralten Hirten erfahren. Selbst der Herrscher war sicher, dass die Karawanen zum Ufer des Wadj-Wer weiterzogen, zum Großen Grünen Meer.

Einen Monat lang hatten Ipet-Amûn und seine Bogenschützen gebraucht, um die wassergefüllten Krüge herbeizuschaffen und an vier Stellen zu vergraben. Von einem Wasserversteck zum nächsten, wie die Schmuggler, in glühender Hitze und eisiger Nacht, unter Abermillionen Sternen und der hungrigen Mondsichel, wanderte Ipet-Amûn dem Sonnenaufgang entgegen. Vier Tage und Nächte später erreichte er den Schilfsaum des Kanals. Ein Fischer setzte ihn ans Ostufer über, mit einem zufällig ablegenden Schnellruderer gelangte er zu den bunten Palastmauern, zum Palasthafen und zu den schmalen Häusern der Wachtruppe.

Beim höchsten Sonnenstand, einen großen Becher kaltes Henket in der Hand, berichtete der Späher im Halbdunkel des Hauses, ausgedörrt, satt und mit schmerzenden Muskeln, was er gesehen und gehört hatte. Der Raum zwischen den vier Ellen dicken Mauern war kühl und abgedunkelt. Sokar-Nachtmin, Anführer der Grenztruppe, starrte ihn mit graugrünen Augen an, mit Blicken wie ein hungriger Nechbet-Geier, und hörte schweigend zu. Auf dem Tisch summten Fliegen um die Reste eines guten, fetten Essens.

»Aus dem elenden Kusch. Kostbare Felle und Abu, Elfenbeinzähne. Zweifellos Gold und junge Sklaven. Lebende Raubtiere.« Sokar-Nachtmin drehte den Goldreif, der die straffen Muskeln seines rechten Oberarms umspannte und in der Haut einen schwachen Abdruck hinterließ. »Womöglich Edelsteine. Weihrauch und Edelholz. Sicherlich auch Salböle. Straußenfedern und Straußeneier. Und sie haben entlang ihres Pfades, so wie wir für dich, Wasserkrüge vergraben.«

Der Späher betrachtete die ölgetränkten Binden um seine Füße und nickte. Ausgeruhte Grenzwächter und getränkte Esel hatten Krüge und gefüllte Ziegenbälge so weit von einer der seltenen Wasserstellen vergraben, dass sie, ohne zu verdursten, zurückkehren und später einen Tagesmarsch tiefer in die Wüste vordringen konnten. »Genug Wasser für die ganze Karawane. Sogar gut genährte Pferde haben sie!«

»Untrügliches Zeichen, dass die Karawane so wertvoll ist wie ein Tempelschatz in Mennefer. Was sagst du? Können wir sie fassen?«

»Wenn wir den Hapi umleiten, haben wir vielleicht Wasser für unsere Truppe. Wo ich auf sie gelauert habe … das ist die kürzeste Entfernung zwischen dem Strom und dem Karawanenpfad, die wir kennen, aber selbst ein kleines Heer würde dabei verdursten!«

Sie starrten einander an, tief in kämpferische Gedanken versunken. Die Priester und die Soldaten-Greise, die in ihrer Jugend die Grenze zu den Tjehenu bewacht hatten, sprachen oft von den Kämpfen am Oberlauf des Hapistroms, jenseits der Hapischnellen, in Kusch, Wawat, Irtjet und Jam, und davon, dass viele Sklaven, Schätze und Waren nicht auf Schiffen hapiabwärts, sondern auf Schleichpfaden zum Meeressaum gebracht wurden, zu einem unbekannten Ort weit westlich von Ka-Suut im Harpunengau. Also waren den Söhnen der Sonne im Großen Haus – dem Zweiten Menthu-Hotep und dessen Vorgängern – schon seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, Abgaben und Tribut gestohlen worden; nicht erst dem Ersten Amenemhet und dessen Sohn und Thronfolger Sesostris.

»Und in einem versteckten Hafen warten Schiffe. Solche, die sich auf das Große Grüne hinauswagen. Sie bringen die Sklaven …«

»Schiffe? Sei still«, schrie Sokar-Nachtmin. Er sprang auf, seine Augen leuchteten, sein dünner, sehniger Körper schien zu beben. Er schlug Ipet-Amûn auf die Schulter, aus dem Becher spritzten Schaum und Bier. »O löwenköpfige Sachmet! Schiffe. Dieses seltsame Schiff, das im Hafen liegt – Kapitän und Steuermänner; die müssen’s wissen!«

»Wovon redest du, Bruder des Irrwegs?« Der Späher wischte Bier von seinen Schenkeln und schüttelte verwirrt den Kopf.

»Wir haben den Mond Mechyr in der Jahreszeit Peret. Die Schiffe warten im Hafen, bis die Hapiflut zurückgeht. Die … wie heißt das Schiff mit dem weißhaarigen Kapitän … etwas mit Bäumen?«

»Die ZEDER AUS GOLD …nein: GOLDENE ZEDER.«

»Die ZEDER ist ein solches Meeresschiff! Wenn wir die Karawanen nicht in der Tjehenu-Wüste fangen können, weil unsere Krieger verdursten, können wir vielleicht ihre Schiffe abfangen«, sagte Sokar-Nachtmin aufgeregt. »Dazu brauchen wir das Wissen mutiger Kapitäne. Unsere Schiffe sind nicht für das Große Grüne gebaut.«

Ipet-Amûn leerte den Becher, wischte seine Lippen trocken und zeigte auf das gemauerte Bett. An den Wänden hingen an Holzpflöcken Schilde, gefüllte Köcher und andere Waffen. Mittagshitze sickerte in die wuchtigen Mauern und schien jedes Leben ringsum zu lähmen.

»Du gehst und redest mit dem Kapitän. Ich habe seit sieben Nächten kaum geschlafen.«

»Nur zu. Nachher schicke ich dir die Badesklaven.« Sokar-Nachtmin nickte. »Träume von Wüstenkämpfen, schnellen Schiffen und Lob vom Herrn im Per-Ao.«

Der Späher wartete, bis Sokar-Nachtmin den Raum verlassen und den Ledervorhang geschlossen hatte. Dann streckte er sich auf den strohgefüllten Matten aus, gähnte und war binnen weniger Atemzüge eingeschlafen.

Der Große Amenemhet, Herr im Per-Ao, dem Großen Haus, hatte die Hauptstadt des Landes Tameri von Mennefer – manche nannten die Stadt noch immer Menefru-Mirê – nach Ammenemmês-Itch-Taui verlegt, an den südöstlichen Rand der Oase Scha-Reset, an den Kanal, der den Hapi mit dem Mu-Wer-See verband. Seit einem Dutzend Jahre wuchsen Itch-Tauis Tempel, Wohnhäuser und der Palast.

Wenige Schiffe lagen im unfertigen Hafen Itch-Tauis; die meisten Händler aus Alashia und den Häfen des Zederngebirges liefen Mennefer an. Im Schatten der Palmen, die noch vor dem ersten Herrschaftsjahr Amenemhets gepflanzt worden waren, ging Sokar-Nachtmin durch leere Gassen und über einen Platz, dessen Luft zu brennen schien. Die Stadt schien, bis auf Fliegen, Tauben, Schwalben und Staubwirbel, ausgestorben zu sein. Unter dem Sonnensegel einer leeren Schenke lagen ein Hund und zwei Katzen wie tot nebeneinander.

Das fremdartige Schiff hatte, nachdem es mit geschliffenen, abgedichteten und versiegelten Außenplanken und neuem Beschlag am Kiel wieder zu Wasser gebracht worden war, längsseits am steinernen Kai festgemacht, das Segel war vom Heck zum Mast waagrecht ausgespannt. Neben dem Mast schlief ein Mann auf gefalteten Decken. Er lag nackt auf einem weißen Laken, und sein Körper glänzte vom Nacken bis zu den Fußsohlen von Zedernöl. Nachtmin betrat die Planke; das Deck schwankte kaum wahrnehmbar.

»Ich bin Sokar-Nachtmin, Oberster Anführer der Palastgarde und der Grenzspäher«, stellte er sich laut vor. »Ich brauche den Rat der klugen Steuermänner und des Vaters der Wellen. Darf ich auf deine schönen Planken?«

»Du bist schon an Deck.« Der eingeölte Mann richtete sich auf und blinzelte, die flache Hand schützend über den Augen. Nachtmins Halsschmuck und die Goldreife funkelten unerträglich hell. »Ich bin Ka-aper, Steuermann. Käpten Siren und Steuermann Cheper erfreuen sich der kühlen Leiber von Nehesi-Tänzerinnen oder derlei. Welchen Rat brauchst du, grünäugiger Mann des Kampfbeils?«

»Einen weisen Wasserrat, Schiffsrat, Hafenrat.« Nachtmin trat in den Schatten des Segels. »Was müsste ich tun, wenn ich sehr weit im Westen ein Schiff in einem geheimen Hafen finden und … nun, die gesetzeswidrige Habgier des Kapitäns ernsthaft bestrafen will?«

»Wie ich höre; eine schwierige Frage. Erfordert einen schier unbezahlbaren Meeres-Rat.« Der nackte Ka-aper stand auf, band sich einen Hüftschurz um und wies mit dem Kinn auf die offene Luke. »Setz dich an den Mast, mächtiger Krieger. Ich hole Wein … Irep und kalten Sud.«

Er klapperte im widerhallenden Schiffsbauch mit Krügen und Bechern, kam mit einem silbernen Krug und zwei weißglasierten Tonbechern zurück und schenkte gemischten Wein aus. Aufmerksam betrachtete er die goldenen Fliegen an der Goldkette um Nachtmins Hals; Auszeichnungen des Gottherrschers für beharrliche Tapferkeit. Winzige Wellen gluckerten gegen die Zedernholzplanken. Ein Ibispärchen setzte sich auf den Lotosblütenschnabel des Bugs und äugte zeternd auf die Männer.

Sokar-Nachtmin trank, dankte und begann: »Ich erzähle dir, was meine Späher in der lebensfeindlichen Wüste, auf einem Pfad zwischen den Oasen, gesehen haben …«

Ka-aper dachte nach einigen Sätzen an den hochgewachsenen Kapitän aller Kapitäne, erinnerte sich an die wildesten gemeinsamen Abenteuer, hörte meist schweigend zu und unterbrach den schwitzenden Nachtmin nur mit ganz gezielten Fragen. Schnell erkannte er die große Bedeutung dieser ständigen Unterschlagungen für die Einkünfte der Tempel und die Schatztruhen des Palasts; er grinste in sich hinein, als kenne er die Zukunft.

2.Signale: Ahiram-Acran und Asyrta-Maraye

Es regnete und stürmte seit drei Tagen. In den Sommernächten hallten die Geräusche der Brandung in der warmen Höhle wider. Von den überwucherten Felsen über dem gebissähnlichen Eingang liefen breite Wasservorhänge, sammelten sich im grobem Sand und hinterließen, sobald sie sich Wege zum Strand hinunter bahnten, ein Geäder aus Rinnen, das vielverzweigten Wurzeln glich. Wenn die Sonne kurz durch die Wolken brach, hüllte sich unser Versteck in dick dräuenden Nebel, in dem seltsame Gestalten und Formen erschienen. Von der Nordküste des Großkontinents schleppte der Wind roten Staub auf die Sandaleninsel, der sich selbst tief im Höhleninneren auf unsere Haut legte.

»Bald wachsen uns Schwimmhäute zwischen Zehen und Fingern«, knurrte ich. Wir waren ausgeschlafen, tief gebräunt und trefflich erholt; die Erlebnisse mit dem wahnsinnigen Raumfahrer sanken so wie vieles andere langsam ins Vergessen zurück. »Und in unserem behaglichen Haus aus Blech wuchern in einigen Tagen ungenießbare Pilze und Moose.«

»Sollen wir den Zustand ändern? In ein paar Tagen, an einem anderen Ort, würden wir wieder in der Sonne braten.« Maraye wendete das Fladenbrot auf der heißen Platte. »Essen, trinken, schlafen und lieben – bisher hat es uns genügt.«

»Unsere Einsamkeit hat ihr Gutes.« Ich aktivierte einen Bildschirm und den holografischen Projektor. Auch alle Gegenstände im Wohncontainer zeigten einen feuchten Belag rötlichen Staubs. Im kaum besiedelten Teil der Insel gab es außer uns nur uralte Begräbnisstätten aus bearbeiteten Riesensteinen, kleinwüchsige Tiere und bienenkorbähnliche Bauwerke, in die sich die Eingeborenen – Hirten, Bauern und Fischer – bei Angriffen vom Meer aus zurückzogen. Möwenschreie gellten im Nebel und verhöhnten die Brecher der Brandung. Ich zuckte mit den Schultern. »Wir beide, bisher Nomaden der Meere und Wüsten, sind hier vorläufig zur Ruhe gekommen. Rico beobachtet einen Teil der Welt; vielleicht findet er etwas, das uns ablenkt.«

»Zuerst lenkt uns wohl unser Imbiss ab«, sagte meine schöne Gefährtin. »Bringst du uns etwas Wein?«

Ich nickte und dachte an lange Sonnentage und die leeren Strände, die nur einen Steinwurf von der Höhle von den Brandungswellen gewaschen wurden. Der Sturm würde wieder Treibholz und seltsame Funde auf den Strand werfen, vielleicht aus einer Gegend des Planeten, die wir mit der GOLDENEN ZEDER besucht hatten. Ich zog eine Karaffe aus dem kühlen Sand des Höhlenbodens und füllte zwei Pokale mit hellrotem Wein, stellte sie auf den Tisch und hob grüßend die Hand, als Rico sich auf den Monitor zeigte. Sein Oberkörper trug neutrale Verkleidung, nur die Augen zeigten ein annähernd »menschliches« Aussehen. Er blickte Horus auf einem Truhenschrank an, den robotischen Falken, der krächzend dreimal mit den Schwingen schlug und wieder erstarrte.

»Gruß, o Ahiram-Acran«, sagte der Hochleistungsrobot. »Ich grüße auch Asyrta-Maraye, die Tugendhafte, die Bäckerin leckerer Fladen. Was darf ich für euch tun?«

Ich hob grinsend den Pokal und antwortete: »Einige Szenen der Spionsonden, die uns von Nebel, Regen und hohen Wellen ablenken. Vorausgesetzt, du zeigst uns nicht gewaltige Katastrophen, die uns den Schlaf rauben.«

»Keine Katastrophen, Gebie… welchen Namen bevorzugst du in diesem Sommer?«

»Bleiben wir bei Ahiram-Acran.«

Das erste Bild, das der Projektor aufbaute, erfüllte das Innere des geräumigen Wohnwürfels mit grellem Licht. Wir sahen ein Schiff an einem steinernen Kai, mitten am Tag, die Schlingen der Trossen um steinerne Poller, Schatten werfende Palmenkronen, Gebäude aus Lehmziegeln mit steinernen Säulen und verschiedenfarbigen Mauern – ich erkannte den Bug des Schiffs, den Mast und unter dem Schatten werfenden Segel das Heck.

»Die GOLDENE ZEDER!«, rief ich verblüfft. Die unmittelbare Wirklichkeit und der lautlose Widerhall von Schatten der Vergangenheit, der undeutbare Klang von Bildern und die Farben von Namen wollten sich mit Ereignissen aus dem Vergessen vermischen. Vergeblich. Etwas blockierte meine Erinnerungen.

»In Itch-Taui, der neuen Hauptstadt, am Ende des siebenundzwanzigsten Jahres des Amenemhet. Nur noch Ka-aper, Cheper und Siren sind beim Schiff; die Mannschaft hat sich zerstreut. Wollt ihr wieder segeln? Wohin?«

Ich nahm einen langen Schluck, zog Maraye auf meine Knie und genoss die Rundblicke der Sonde, die vertrauten Formen und Farben, die dreieckigen Totenmale in weiter, flirrender Ferne und die befestigten Ufer des breiten Kanals. Ricos Sondenobjektive zeigten uns das Land Tameri nahe der Stelle, an der sich »die beiden Lande« voneinander trennten, westlich der Spitze des fruchtbaren Mündungsdreiecks.

Tameri, das Sonnenland am Hapi, eine jener jungen Kulturen, die mich zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Ein hermetisches Land, durch Meer und schier endlose Wüsten isoliert, mit kaum wahrnehmbaren Verbindungen zu den Nachbarn. Die Wege dorthin waren noch zu weit und viel zu beschwerlich; manche würden selbst für mutige und gut ausgerüstete »Expeditionen« tödlich sein.

Träge, aber nachdrücklich kommentierte mein Extrasinn: Wobei unter deinen geschätzten Rômet vielleicht einige wenige Phantasten von anderen Weltgegenden träumen. Aber vom Weg dorthin würden selbst sie zurückschrecken, wenn sie die Risiken vor Augen hätten.

Ich streichelte Asyrta-Marayes gebräunte Schulter und nickte. »Das Land, das wahrscheinlich deine Heimat ist«, flüsterte ich und erinnerte mich an die Szene auf dem Sklavenmarkt von Kanesh, dessen schönstes Angebot Maraye vor wenigen Jahren gewesen war, vor der Abfahrt der Wunder-Karawane. Daran erinnerte ich mich. Seltsam.

»Zumindest ich will nicht segeln«, sagte ich nach einer Weile, während der wir Luftbilder der wachsenden Stadt Itch-Taui und die frischen Palmenalleen bestaunten. »Wie steht es mit dir, Gefährtin der Gezeiten?«

Sie schüttelte stumm den Kopf und starrte die Stadt und die Wüste an.

Rico wartete das Ende der langen, dreidimensionalen Sequenz ab und berichtete: »Es war ein Zufall, dass ich ein Gespräch zwischen dem Anführer der Grenztruppen und Ka-aper aufgefangen habe. Das ernste Problem, das Herrscher Amenemhet und sein mitregierender Sohn haben, führte den Krieger zur GOLDENEN ZEDER; von weitgereisten Kapitänen erhoffte er Antworten auf seine Fragen. Willst du hören, was im Land der Säulen der Ewigkeit den Starken Stier im Großen Haus und seine Soldaten verzweifeln lässt?«

»Spiel die Aufnahme ab!«, befahl ich. Maraye sprang auf; der letzte Teigfladen drohte zu verbrennen. Ich lehnte mich zurück und fühlte einen scharfen Impuls der Erregung. Mit dem sonnenerfüllten Land der Rômet verbanden mich Erlebnisse vieler Jahre, tiefer und inniger als viele andere Erinnerungen; die Sprache und die Schrift beherrschte ich nahezu vollkommen. Maraye und ich hörten und verstanden, was Ka-aper mit einem kleinen, sehnigen Krieger namens Sokar-Nachtmin beredete …

Die Wüste, die mit wenigen Ausnahmen am westlichen Ufer des Hapistroms begann und sich in ihrer großartigen, vielgestaltigen Leere von Winden gemartert und geformt bis zum Westrand des Großkontinents hinzog, wasserlos und lebensfeindlich, war noch vor sechs Jahrtausenden eine fruchtbare Savanne gewesen, aus der sich die Menschen Schritt um Schritt vor der Dürre nach Osten zurückgezogen hatten, bis sie an das Ufer des Stroms kamen. Ungezählte Meilen hatte ich einst auf dem Nacken eines Elefanten zurückgelegt; von Jägern, Hirten, Krokodilen, Giraffen und Rinderherden gab es noch grafische Zeugnisse.

Die Oase, von der Sokar-Nachtmin berichtete, hatte zu Beha-tis Zeiten Zen-Zen oder Pforte der Einsamkeit geheißen. Die Pfade, auf denen die Schmuggler sich bewegten und entlang derer sie unersetzliches Wasser in großen Krügen vergruben, waren sicherlich Überbleibsel aus der Zeit, in denen Hirten und Herden die Feuchtsavanne durchstreift hatten; damals, als ich die von Wanderer geflüchteten Androiden befolgt hatte. Jetzt gehörte dieses Sandmeer zu den unfruchtbaren Grenzgebieten, die das Land abschirmten.

Sklaven und wertvolle Güter kamen vom Oberlauf des Hapi. Dort, tausend rômetische »Iteru« von Mennefer entfernt, dehnten sich Sümpfe aus, dort speisten Nebenflüsse den Strom, dort gab es Regen, Wälder, Fruchtbarkeit und Reichtum. Sie wurden geringer, je mehr man sich dem vierten und dritten Katarakt und der Grenze des Neuen Reiches näherte. Seit Jahrhunderten drangen die Truppen des Per-Ao, des herrscherlichen Palasts, an Waset oder No-Amûn vorbei, über den ersten Katarakt vor und unternahmen ebenso Handelsexpeditionen wie Beutezüge: ins elende Kusch, zu den schwarzhäutigen Nehesi, in unbekanntes, feindliches Land. Verschiedene Karawanenwege vermochten die herrscherlichen Truppen zu kontrollieren, aber die Sperrung des Oasenpfades war ohne Logistik, die sowohl Priester als auch das Große Haus hoffnungslos überforderte, nicht zu leisten.

Es waren sicherlich Familien oder Gruppen erfindungsreicher Männer, die den Schmuggel auf dem Oasenpfad als ihr erstaunliches Handwerk begriffen. Der Pfad endete in einer Bucht der Kargen Küste oder einem versteckten Hafen; gäbe es dort eine größere Siedlung, hätte Rico sie längst entdeckt und ausgemessen. Asyrta-Marayes Herkunft war ebenso unsicher wie ihr Name. Ich war fast sicher, dass sie in Tameri geboren war, obschon ihre Körpergröße dagegen sprach. Unwillkürlich umklammerte ich den Zellschwingungsaktivator und begann mir vorzustellen, wie es wäre, wenn … wir konnten unsere Augen von den Bildern nicht losreißen.

Schließlich hörte ich mich sagen: »Du wirst vom Ufer des Meeres – das die Rômet das Große Grüne nennen –,vom Ende des Schmugglerpfades, bis zu dem Gebiet, aus dem die Schmuggler kommen, Höhenansichten und Karten in der gewohnten Qualität herstellen, Rico. Darüber hinaus: Sende Siren, Ka-aper und Cheper eine Botschaft vom Kapitän der Sterne. Das bin ich, falls es deine Positronen vergessen haben: Sie werden eine kleine Mannschaft sammeln, ohne Eile; gründliche Arbeit und Sorgfalt sind gefordert. Ich werde die ZEDER im westlichsten Mündungsarm oder auf der Fahrt entlang der Kargen Küste nach Sonnenuntergang suchen – wenn sie die Bucht nicht finden.«

»Befehle werden ausgeführt, Kapitän.«

Ich hatte mich halbwegs entschieden, eine Herausforderung anzunehmen, deren Umfang ich längst noch nicht kannte. Mein Logiksektor flüsterte mit hämischem Unterton: Mangelnde Sorgfalt der Selbstanalyse, Arkonide! Du hast dich tatsächlich am Strand, in der Höhle und mit deiner Gefährtin gelangweilt! Ich zuckte mit den Schultern und knurrte: »Nicht mit meiner Gefährtin!«

Asyrta-Maraye und ich gaben uns den Eindrücken der Licht durchfluteten Bilder hin und erkannten, dass der Herrscher viele neue Felder hatte anlegen lassen; die sumpfige Oase um den See, den jedes Hapihochwasser speiste, besaß dank vieler schmaler Entwässerungsgräben außerordentlich fruchtbare Böden.

»Vielleicht erfahre ich zwischen Dünen und Schilf, zwischen Palast und Tempeln, in Mennefer oder Itch-Taui, woher ich wirklich komme«, sagte Maraye leise. Wir setzten uns, ohne die holographischen Bilderfolgen aus den Augen zu lassen, zum Essen.

»Vielleicht«, murmelte ich. »Obwohl ich daran zweifle. Du hast zu wenige Erinnerungen an deine ersten Lebensjahre.«

Sie nickte melancholisch. Ich füllte die Weinpokale und begann, über das Problem der Verwaltung des Hohen Hauses nachzudenken. Sollte ich mich wirklich einmischen? Ich entschloss mich, die Höhenaufnahmen und die Karten – und grundsätzlich mehr Informationen – abzuwarten und erst dann zu entscheiden. Die Wahl fiel mir zweifellos leichter, wenn hier Nebel, Regen und Sturm anhielten. Würde ich mit jenem Sokar-Nachtmin reden oder gar mit Amenemhet, dem Ersten seines Namens – oder mit seinem Sohn –, könnte ich die Aufgabe genauer definieren. Mir war plötzlich, als würde ich diesen Herrscher kennen, aus einer anderen Zeit. Manipulierte ES meine Erinnerungen? Wenn es so war – aus welchem Grund?

Ich fragte Maraye: »Möchtest du Strände und Höhle gegen Hitze und Sand eintauschen?«

»Ich halte es so wie du, Liebster«, sagte sie nachdrücklich. »Je mehr wir wissen, desto sicherer können wir entscheiden. Wie lange soll das Abenteuer dauern? Was denkst du?«

»Einige Monde; fünf, sechs Zehntage … vielleicht länger.« Ich deutete vage nach Süden. »In Tameri ist der Herbst viel heißer als hier der Sommer. Du hast es gesehen: Dort wächst gerade das Korn.«

Während wir aßen und dem Plätschern des Wassers lauschten, versuchte ich mich mit einer neuen Maske und deren wahrscheinlichen Anforderungen vertraut zu machen. Ich erwartete, dass Ricos Bilder aus unbekannten Oasen viel mehr zeigen würden, als ich vermutete; begab ich mich, wenn ich die Höhle verließ, auf die Spur einer Reihe von Geheimnissen?

Täusch dich nicht selbst, Atlan, flüsterte der Extrasinn warnend. In Wirklichkeit bist du längst von dieser unbekannten Herausforderung gefangengenommen!

Wir beendeten unser Essen und gingen Arm in Arm, am stillgelegten Gleiter und der Transmitterplattform vorbei, durch feuchten Sand zum Höhleneingang. Wir erkannten hinter dem Tropfenvorhang und treibenden Nebelfetzen die graugrünen Brecher, die gegen den unratübersäten Strand anrollten und gischtend zerstäubten. Seit Tagen war das Meer vom Sturm aufgewühlt worden; Rico hatte bestätigt, dass sich das grausige Wetter samt der nebeltriefenden Hitze nicht so bald ändern würde. Maraye und ich wechselten einen langen Blick; mir schien, wir dachten das Gleiche.

Plötzlich erfasste mich eine Vorahnung, die ich seit meiner Jugend kannte. Sie entsprach der Erkenntnis während eines Dagorkampfes auf Leben und Tod. Mein Körper in Marayes Arm schien zu Stein zu erstarren. Ich ahnte, dass ich an der Schwelle eines schrecklichen Geheimnisses stand, am Abgrund einer Gefahr aus den Tiefen dieses Planeten, von den Sternen oder den wüsten Träumen eines Schöpfers von Ungeheuern; eines Verhängnisses, das nicht allein die Rômet, sondern mein Leben bedrohte.

Einige Atemzüge später wich die Schreckensstarre. Bilder und Geräusche gewannen ihre unmittelbare Bedeutung zurück. Ich holte tief Luft und verstand, was der Extrasinn murmelte: Es geht um mehr als um eine Verfolgung in der Wüste, Arkonide! Vertraue deinem Misstrauen! Prüfe deine Träume, den Umfang der selbst gewählten Aufgabe und jeden deiner Schritte!

Auf dem Sand zeichnete langblättriger Tang, angeschwemmt und willkürlich ausgebreitet, unlesbare Buchstaben und Muster und Landkarten der Fantasie. Mit einem Mal ahnte ich, dass sich in Tameri unter den Lichtstrahlen Atons etwas verbarg, dessen Furchtbarkeit mich erschrecken würde.

3.Im Tempel des Falkengottes

Im Land Sut der Binse, im schwarzerdigen Kêmet, der Heimat der Schlangengöttin Udjet, südlich des Gaues der »Weißen Mauer«, trieben die vierzig Ruderer die LOB DES PTAH hapiaufwärts, von Mennefer dem unvollendeten Totenmal des Herrschers und der Stadt Itch-Taui entgegen. Der Tageswind aus Norden minderte die Hitze; das Segel des Schiffes war zwischen den knarzenden Rahen prall gespannt. Der Lotse senkte den Stab ins Wasser und rief mit kurzen, schrillen Worten die Tiefe aus. Die bronzenen und goldenen Verzierungen funkelten, die Sonne zauberte auf den kleinen Wellen unerträglichen Glanz; aus den Binsenbooten winkten Fährleute, Fischer und Entenjäger.

Amenemhet, umgeben von Sklavinnen, saß im Schatten des Deckhauses; vor ihm kauerte Sokar-Nachtmin. Der Starke Stier, dessen Körper in mehr als fünfzig Jahren schwer und faltig geworden war, hatte die Augen geschlossen und schien über Nachtmins Bericht nachzudenken.

Schließlich zupfte er das gefältelte Kopftuch zurecht und erklärte mit der Stimme eines viel jüngeren Mannes: »Es ist nicht nur wegen des Goldes, Anführer, oder wegen der Sklaven oder Löwenfelle. Es ist wegen der Bronze und der Bronzewaffen.«

»Ich verstehe nicht, Geliebter des Amûn.« Nachtmin schüttelte den Kopf und nahm aus den Händen der Sklavin einen Becher Henket entgegen. Ihr schlanker, brauner Körper duftete nach Myrrhe und Zedernöl.

»Wenn Sklaven und Waren aus dem Süden in jenem versteckten Hafen getauscht werden – was erhalten die elenden Nehesi dafür?« Der Herrscher drehte den Kopf, hob die schweren Lider und richtete den Blick auf die Palmen und das dichte Schilf am Ufer. »Gold? Haben sie selbst. Wasser? So kostbar ist Wasser nicht. Sie erhalten Waffen. Oder Metall, aus dem sie Waffen schmieden. Mit diesen Waffen aus Nechoschet töten sie deine Männer, meine Untertanen.«

»Das muss es sein.« Sokar-Nachtmin hob den Arm, dann fuhr seine Hand zum Dolchgriff. »So treiben’s die Schmuggler. Es gibt Kapitäne, die es wagen, zur unbekannten Küste zu segeln, zu diesem Hafen, den niemand kennt.«

»Jener namenlose Hafen ist so weit wie Punt«, sagte Amenemhet. »Können meine Kapitäne ihn finden?«

»Ich habe mit Steuermännern und Kapitänen geredet, Erhabener.« Sokar-Nachtmin sah Dattelpalmen, Säulen und Häuser aus Lehmziegeln, die auf Gras bewachsenen Hügeln standen, am Schiff und den nachfolgenden Booten vorüberziehen. Die Saaten waren längst gesprossen; dieses Jahr würde eine reiche Ernte die Speicher füllen. »Vielleicht fänden sie mit den Schiffen, die nur den Hapistrom befahren, zu diesem Hafen. Viele würde das Große Grüne gnadenlos umbringen. Nur wenige werden zurückkommen. Die Fremden können, sage ich, besser flüchten, sie kämpfen anders, sie kennen die Schrecken des Großen Grünen. Es ist so unendlich fern vom Hapiland, o Herrscher.«

»Zwei Dinge haben mir kluge Priester und listige Späher berichtet.« Amenemhet, dachte Nachtmin, musste sein Wissen von den Göttern haben, so wie sein Sohn seine Träume von ihnen gesandt bekam. Er wusste, dass der Herrscher vor Jahren mit 100.000 Männern nach Geb-teju und von dort aus nach Osten, in ein trockenes Flussbett im Gebirge, gezogen war; dort hatten sie Gold gesucht und Steinblöcke aus den Bergen gebrochen. »Die Männer, denen die GOLDENE ZEDER gehört, sind viel weiter gesegelt als jeder andere Kapitän. Und: Die Nehesi, vielleicht auch die Tjehenu des Westens, erwarten die Ankunft eines Mächtigen, der von den Sternen kommt; mächtiger als ich.«

»Du hast mit dem Kapitän der ZEDER geredet. Was war seine Antwort?«

»Ka-aper, Cheper und Siren würden in deine Dienste treten, Sohn des Rê.« Nachtmin wagte ein zurückhaltendes Lächeln. »Aber sie wollen, dass ihr großer Freund mit ihnen segelt und kämpft. Sie nennen ihn ›Lotsen der Jahre‹ oder ›Steuermann der Sterne‹. Es soll ein Mann sein wie Imhotep der Große, Unvergessliche, Herr.«

»Die Seefahrer der ZEDER liegen in Itch-Taui. Ich hab sie selbst gesehen«, sprach Amenemhet nachdenklich. Einige Atemzüge lang waren nur die Trommelschläge zu hören, die den Takt für die Wajermänner angaben, für die Ruderer. »Dort wartet mein Sohn Sesostris auf mich, beim Tempel, den ich bauen lasse. Wenn es die Götter zulassen, will ich mit diesem erstaunlichen Sternen-Steuermann reden.«

Das Prunkschiff des Herrschers und die fünf besegelten Schnellruderer im Heckwasser strebten der schiffbaren Verbindung zwischen dem Strom und dem Kanal entgegen. In der Ferne erhoben sich die Gerüste um die Pfeiler der Schleusen. Jetzt versperrte noch ein Damm dem Wasser aus dem Mu-Wer-See das Zurückströmen zum Hapi. Für die Königsbarke war eine Durchfahrt vorbereitet worden.

»Es ist schwer, sagt Kapitän Siren von der ZEDER.« Sokar-Nachtmin verbeugte sich tief. »Schwer, mit ihm zu reden. Er sagt, man muss ihn herbeibeten, sozusagen.«

»Mit diesem sinnvollen Zweck werden die Priester des Ptah-Tempels viele Stunden und Nächte verbringen«, sagte der Herrscher mit einem Lächeln fein wie Golddraht. Neben dem Schiff, eine Elle außerhalb des Deckshauses, blitzte das Gefieder eines Eisvogels auf. Als Nachtmin hinsah, vermochte er keinen Vogel zu erkennen, aber er meinte, ein doppelt faustgroßes Auge sähe ihn an. Er schob die weiße Flechtwerkmatte zur Seite, blickte hinaus, aber das fliegende Auge oder der Vogel war verschwunden. Nachtmin zuckte mit den Schultern. Amenemhets dunkelbraune Finger, mit röhrenförmigen Goldringen geschmückt, strichen über die Schenkel der Sklavin. »Bevor ich im Heck der Sonnenbarke ins Totenreich steure, bevor Sesostris über Tameri herrscht, will ich diesen schwärenden Dorn aus meiner Sohle gezogen haben.«

»So soll es geschehen, Goldhorus«, bestätigte Nachtmin verständnisvoll. »Bei Sachmet, der Löwenköpfigen!«

Die Unterhaltung des Herrschers mit dem grünäugigen Obersten Anführer seiner Grenzsoldaten hörte ich dreimal ab. Schweigend verfolgten wir die Fahrt der Schiffe von Mennefer nach Itch-Taui, sahen Kanalbauwerke und schilfgesäumte Dämme, auf deren Flanken Schafe weideten, sahen tausend neugepflanzte Dattelpalmen, Tamarisken, Spaltstammpalmen, Felder, Weiden und Dämme, Häuser auf Fluthügeln und die ummauerten Grundstücke der Stadt, die scheinbar ohne Regeln ins sandige Land hinauswuchs. In einer Geraden am Stadtrand, nach Sonnenaufgang hin, entstanden die Heiligen Teiche, Mauern, Höfe und Säulenhallen eines Tempels, an dem viele hundert Männer arbeiteten.

Die Schiffe legten nahe dem Palast an, die Spionsonde änderte ihren Kurs und verharrte über der GOLDENEN ZEDER. Siren, Cheper und Ka-aper feierten mit einigen Palastgardisten, einer Harfenistin und drei dunkelhäutigen Tänzerinnen ein träges Fest auf dem Deck der ZEDER; Sokar-Nachtmin kam hinzu, als die Sonne die Dünenkämme berührte und Itch-Taui in mattes Rot tauchte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Lautsprecher der Sonde bereits Kapitän Siren ins Ohr geflüstert, was zu tun war. Während die Akkorde der Harfensaiten über die Sandflächen des Hafens zirpten, stellten Asyrta-Maraye und ich im Tiefseeversteck die Teile unserer Ausrüstung zusammen, und Rico programmierte seine Helfer-Roboter. Vor uns lagen Karten und viele meist dreidimensionale Höhenaufnahmen des Schmuggelpfades, vom Ende zu seinem Anfang weit im Süden.

Was wusste ich über den gegenwärtigen Herrscher im Großen Haus Per-Ao? Außer seinen fünf Namen nur wenig: Er hatte mit seiner Hauptgemahlin Neferit-atjenen den Sohn Sesostris und drei Töchter gezeugt. Ich erfuhr von den Prinzessinnen Neferu, Tama-Hathor-Merit und Sat-Hathor-Iunit, also Sesostris’ Schwestern. Von Didit, einer Nebenfrau, hatte er mehrere Töchter, mithin Sesostris’ Nebenschwestern, deren Namen ich nicht kannte. Aber im Frauenhaus und um den alten Herrscher herum – vom Volk liebevoll »Ameni« genannt – wimmelte es von leiblichen Töchtern und Söhnen, von denen aber nur einer als Thronfolger berufen war: Sesostris, Chakaurâ oder Cheper-ka-Rê oder S’enwosret. Es schien, als sei Sesostris, der seit etwa sieben Jahren neben seinem Vater regierte, ein kluger, entschlossener junger Mann, dessen Träume der Wirklichkeit standhalten konnten.

Nun, sagte ich mir, ich würde bald näher an ihn herankommen und ihn besser kennenlernen – ich hatte mich für die Sonne und den Sand Tameris entschieden.

Nicht nur das Sonnenland zeigte sich mir, dank Ricos Aufmerksamkeit und seinen Spionsonden, als Kern einer aufstrebenden Kultur und Zivilisation, sondern mindestens zwei andere hatten meine Aufmerksamkeit geweckt.

Eine Insel im Großen Grünen, dem Binnenmeer, von den Rômet »Keftiu« genannt – obwohl sie nur das Hafengerede weniger Händlerkapitäne kannten –, und ein wachsendes Reich weit östlich von Tameri, im Land der zwei Flüsse Buranun und Idiglat, dessen größte Stadt »Babyla« hieß.

Aber wir waren auf dem Weg ins Reich am Hapi.

Ricos emsige Robots schafften die Ausrüstung durch die Transmitter und zurrten einen Teil auf der Ladefläche des Gleiters fest. Sie untersuchten das Fluggerät, führten einige Reparaturen auch des Robotfalken Horus durch und wurden wieder in die Schutzkuppel zurückgerufen, um den »Sandsegler« zu bauen, in Teilen zur Höhle zu schaffen und dort zu montieren. Ich verwandelte mich mit schulterlangem, schwarz gefärbtem Haar in den Kapitän Ahiram-Acran; eine Injektion färbte meine Augen dunkel. Asyrta-Maraye legte rômetische Kleidung an; wir bildeten ein überzeugendes Paar, das, bis auf die Größe, aus Mennefer hätte stammen können; die meisten Rômet waren einen Kopf kleiner als wir. Die Geräte des Wohncontainers wurden auf Betriebsbereitschaft geschaltet, der Wohntainer verschlossen, und zwei Robots hielten Wache.

Als ich den Gleiter aus dem Höhleneingang steuerte, die Schutzschirme aktiviert, wechselte das Wetter zwischen nassem Nebel und strahlendem Sonnenschein. Die Maschine stieg auf eine Chen-Nub Höhe, etwa 450 Schritte, und schlug mit mäßiger Geschwindigkeit einen Kurs nach Südwest ein. Wo diese gedachte Linie den Nordrand des Wüstenkontinents berührte, vermutete ich die Bucht oder den Hafen der Schmuggler. Die Sonde, die Rico steuerte, würde den Punkt später als wir erreichen. Wir wussten, dass wir das Versteck, aus dem jenes mächtige Sagenwesen der Südvölker kroch, an der Kargen Küste nicht finden würden.

Am späten Mittag verglichen wir die Karte mit der Uferlandschaft. Es gab Dutzende Buchten und Ufereinschnitte an der Kargen Küste. Wir konnten an vielen Stellen den Meeresboden erkennen, aber nirgendwo die gelbe Schwemmgutfahne einer Flussmündung; hier regnete es so gut wie nie. Langsam folgten wir der Küstenlinie und der Brandungsgischt nach Osten; manchmal sahen wir den Schatten des Gleiters auf dem Wasser oder den Felsen und dem Sand. Die Küste schien völlig leblos und menschenleer. Erst abends, als die Schatten lang waren, fanden wir die Bucht und die Schlucht.

Ich schaltete den Deflektorschirm ein. Unsichtbar kreisten wir über der letzten Meile des Pfades, dann über einer Senke, die in eine Schlucht überging und am Strand einer kleinen Bucht endete. Büsche und verkrüppelte Bäume wuchsen an den tiefsten Stellen des Einschnitts. Der Logiksektor flüsterte: Du wirst auch hier eine Quelle finden!

Der natürliche Hafen schützte gegen Winde aus jeder Richtung; östlich des Kaps sahen wir eine überhängende Felswand voller Löcher. Mitunter wehten Sandschleier von der Kante hinunter in die niedrigen Brandungswellen. Nach einer letzten Umkreisung setzte ich den Gleiter am höchsten Punkt der Felsbarriere auf und nickte Maraye zu.

Sie öffnete die Tür, stieg aus und schaltete den Robotfalken ein. Horus breitete seine Schwingen aus, in seinem Inneren summte es einige Herzschläge lang, dann schwebte er mit gleichmäßigem Flügelschlag aufwärts und begann die erste Kreisbahn.

»Ich habe keine Spuren gesehen«, sagte Maraye in das leise Rauschen der Wellen und das anheimelnde Fauchen und Stöhnen des Windes. »Weder von Tieren noch Menschen.«

Es gab nicht einmal Möwen, aber die Ufervögel würden uns bald finden. Ich verließ den Gleiter, nahm Marayes Hand und sah mich im schwindenden Tageslicht um. Es gab hier nichts außer Meer, Fels und Sand. Es war, als habe die Zeit angehalten, und nur der Sand könne sich daran erinnern, dass hier vor Jahrzehntausenden Uferwälder mit rauschenden Baumkronen gewachsen waren.

»Es werden Spuren vorhanden sein. Die Menschen benutzen wahrscheinlich die Höhlen der Felswand.« Ich deutete auf den Sandboden. »Kein Schiff, keine Karawane, kein Geruch nach kaltem Rauch – wir sind allein, bis die Schmuggler aus der Wüste kommen.«

»Wir bleiben und schlafen hier?« Maraye blickte aufs Meer hinaus, das rote Sonnenlicht machte den Falken zu einem Symbol des Schutzes oder eines Wesens, das alles sah.

Ein Bild von erhabener Größe und verborgener Bedeutung. Auf dem höchsten Punkt der Uferlandschaft stand eine schöne Frau, vom rötlichen Sonnenlicht übergossen, deren schwarzes Haar der Wind ausdrucksvoll bewegte; als ob seit undenkbar weit zurückliegenden Zeiten wieder Leben an diese Küste eingekehrt wäre. Als ob der Mensch angefangen hätte, einen Teil der Wüste zurückzuerobern und wieder dort sesshaft zu werden, von wo ihn die Große Dürre verjagt hatte.

Ich schüttelte die kurze Befangenheit ab, deutete schluchtaufwärts und antwortete: »Ja. Kennst du einen schöneren Platz?«

An zwei Stellen unterbrachen senkrechte Spalten die Wand aus Sandstein. Eine Düne hatte sich unter diesem breiten Steinpfeiler abgelagert. Keiner jener Menschen, die sich hier trafen, hatte einen Grund, sich durch rutschenden Sand heraufzukämpfen. Der Gleiter brachte uns dreihundert Schritte weit auf das Plateau, nachdem wir einen Teil der Ausrüstung abgeladen hatten; zwei Kuppelzelte, verschiedene schwere Maschinen, Wasserkanister und Truhen voller kleinerer Gegenstände. Die Sonne versank; Schatten fielen über das Meer und die Wüste. Bevor wir uns im Schutz der Energieschirme auf weichen Kissen ausstreckten, packten wir den mitgebrachten Proviant aus, aßen und tranken und sahen zu, wie dieser Teil des Planeten in vollkommene Finsternis fiel. Noch war der prachtvolle Sternenhimmel mondlos. Leise redeten wir über unser Vorhaben und rätselten, während der Wind erstarb und Kälte vom Wüstensaum herankroch, über die Angst der Menschen vor der Leere und vor dem Fremden, das jenseits der Wüsten und des endlosen Meeres lauerte. Auch wir wussten, dass es neben der Furcht auch Neugierde, Entdeckergeist und die Erwartung gab, in der Ferne zu unermesslichem Reichtum zu kommen.

Der Mond, eine fette gelbe Sichel, kam zwischen Dünenkämmen herauf, breitete seinen Glanz auf den Wellen aus und änderte seine Farbe.

Die weißgoldene Scheibe des Amûn, Rê-Harachtes Gestirn, stieg hinter dem Horizont in den Morgen. Die letzten Spuren nächtlicher Leidenschaft und albtraumhafter Beklemmung vergingen im Tageswind und im Duft erhitzten Kräutersuds und warmer, fleischgefüllter Fladenbrotrollen – der Morgen begann friedlich. Wir betrachteten die holografischen Aufnahmen des alten Herrschers, der ZEDER und des schmalgesichtigen Krieger-Anführers, des unfertigen Tempels und der Stadt, während wir das optische System des Falken kontrollierten. Ich schaltete das Schutzfeld um die halb im Sand versunkene Ausrüstung ein. Maraye setzte sich vor die Armaturen und strahlte mich an; eine schlanke, hochgewachsene Rôme mit seidigem, schwarzem Haar einige Stunden vor dem Betreten ihrer Heimat.

»Rico wird uns sagen, wo uns der Herrscher zu sehen wünscht«, kündigte ich an, startete den Gleiter und hüllte ihn wieder ins Deflektorfeld. Wir jagten entlang der Küste nach Osten und kippten nach Süden, als ich voraus den Rand des fruchtbaren Mündungsdreiecks erkannte, das Land der Geiergöttin Nechbet, über dem sich kleine Wolken bildeten. Dies alles war mir wohlvertraut. Ich folgte langsam dem westlichsten Mündungsarm, überflog Mennefer und Kokome, umkreiste die drei riesigen Totenpyramiden des Chufu, Men-kau-Rê und Cha-ef-Râ und folgte dem schroffen Bergzug bis zur Scha-Resi-Oase. Unter uns gleißte Sonnenspiegelung auf dem Mu-Wer-See, als ich den Gleiter sinken ließ und einen sicheren Landeplatz in Itch-Taui zu suchen begann. Den Hafen und den Palast aus Lehmziegeln sahen wir auf den ersten Blick.

»Cheper und Siren erwarten uns«, sagte ich leise. Im Mechyr oder Phamenat, im zweiten oder dritten Mond der zweiten Jahreszeit Peret, grünte jeder Halm, blühte jede Blume, wuchsen den Palmen frische Wedel; tief war der Hapischlamm in den Boden eingesickert. »Es ist unnötig, dass wir stundenlang zu Fuß zur ZEDER laufen.«

»Dort, bei den vielen Ziegeln!«, wies mich Maraye an. Ich landete den Gleiter, sicherte ihn, und wir stiegen aus. Die Schaltungen verbargen sich im Gürtel, in den Armbändern und im Wesech, dem halbmondförmigen Halsschmuck. Hand in Hand gingen wir zwischen langen Reihen trocknender Lehmziegel auf den Pfad hinaus – nach zwei Dutzend Schritten überfielen mich Geräusche, Gerüche, Hitze, Bilder und Empfindungen; binnen weniger Atemzüge tauchte ich wie ein Schwimmer in kühles Wasser, in all meine herrlichen Erinnerungen an das Hapiland ein. Wirklich alle? Ein einzigartiges Gefühl, wie eine Heimkehr ins Vertraute, hatte mich in seinen Bann geschlagen.

Wir verließen den Schutz der Unsichtbarkeit; ich trug einen nachgeahmten Tonkrug voll gutem Wein. Aus dem grünenden Schilf, hinter dessen Halmen Frösche, Enten und Gänse lärmten, gaukelten Schmetterlinge. Libellen und Eisvögel flogen zuckend umher. Das Klirren dutzender Bronzemeißel ertönte, es roch nach frischem Gras, Herdfeuerrauch, Schafen und Rinderkot. Das Sonnenlicht, das alles tränkte, schien nach Sand und Hapiwasser zu riechen; Mückenschwärme tanzten über dem Schilf, Taubenschwärme kreisten über den Dattelpalmen, Fliegen und Bienen surrten um die Blüten unter den Palmwedeln, die Lotosblüten hatten sich geöffnet. Vom Hafen her, dem wir uns Schritt um Schritt näherte, hörten wir Sägen und Hämmer, Raspeln und das Schleifen der Steine, mit denen Planken und Schäfte geglättet wurden; jemand blies Flöte, ein Hund bellte, Gelächter, Kommandos, Flüche und das stetige, unverkennbare Knistern von Sandkörnern auf Palmwedeldächern. Weiße Ibisse zeterten in den Kronen der Sykomoren. Aus dem Schatten eines Lagerhauses heraus betraten wir eine Sandfläche, die in einem steinernen Kai endete.

Die Mannschaft hat die GOLDENE ZEDER instandgesetzt, verschönert und in erstklassigem Zustand erhalten, meinte der Extrasinn.

»Komm, Liebste«, sagte ich grinsend. »Erschrecken wir die furchtbaren Drei.«

Am Ende des Platzes, unter Schilfdächern und Schattensegeln, hatten die Bauern einen kleinen Markt aufgebaut. Einige neugierige Blicke trafen uns, bis wir vor der Planke zum Schiff standen; wir waren eine oder zwei Handbreiten größer als die meisten Rômet. Niemand war an Deck, aber Arbeitsgeräusche drangen dumpf aus dem Schiffsbauch. Hintereinander, bewusst schwer auftretend, gingen wir an Deck.

Das Schiff schwankte; ich rief: »Siren! Ka-aper! Cheper! Es ist Zeit für die erste Pause. Bringt die guten Becher zum Heck, in den Schatten!«

Ein paar Herzschläge lang war Stille, dann kletterten die Freunde auf die Planken, blickten sich blinzelnd und ungläubig um und entdeckten uns. Wir umarmten uns, schlugen uns auf die Schultern und riefen törichte Begrüßungen. Käpten Sirens Haar, zwei Finger kurz, war weiß geworden. Ich hatte den Krug auf der Hecktruhe abgestellt.

»Hier sind wir!«, sagte ich laut. »Worum es geht – ihr wisst es schon. Könnt ihr den Rest unserer Mannschaft zusammenrufen?«

Die Tonbecher klapperten. Ka-aper mischte ungesüßten kalten Sud mit dem Wein. Siren zuckte mit den Schultern.

»Vielleicht die Hälfte. Aber Sokar-Nachtmin, der mit den grünen Augen, weiß Rat, Atlan … Acran. Ein guter Mann. Er wird dir gefallen, Kapitän!«

»Du bist der Kapitän«, sagte ich. Die Genauigkeit, Umständlichkeit und Langsamkeit der Verwaltung waren mir bekannt. »Ich werde, glaube ich, ein reicher, geiziger Händler vom Zederngebirge sein. Lasst uns trinken und über alles reden.«

»Mittag bringt Nachtmin ein paar Handwerker. Wir können in zwei Tagen ablegen.«

»Vorausgesetzt«, schränkte Maraye ein und hob den Becher, »es geschieht alles so, wie Acran und ich es besprochen haben.«

»Und so, wie die Befehle – oder Bitten? – des Herrschers Amenemhet es vorschreiben.« Wie kam es, dass er mich »Atlan« genannt hatte? Ich vermied, über die Erscheinungslegenden der Menschen in Kusch und Wawat zu reden. »Hört zu, welchen Plan wir besprochen haben, um die Gefährlichkeit der Schmugglerkarawanen zu mindern …«

Wir füllten die Becher, saßen im schattigen Heck, warteten auf Sokar-Nachtmin und entwickelten mehr Einzelheiten unseres bevorstehenden Abenteuers. Unser Gelächter ging im Lärmen des Marktes unter. Später halfen mir die Freunde, unser wichtigstes Gepäck aus dem Gleiter zu holen.