Atlantis kehrt heim - Michael Lorenz - E-Book

Atlantis kehrt heim E-Book

Michael Lorenz

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Beschreibung

Die legendäre Insel Atlantis ist versunken, so sagt man. Aber ist sie das wirklich? In Wahrheit haben die Atlanter der aufstrebenden Menschheit ihren Untergang nur vorgegaukelt. Sie entscheiden, dass die Zeit reif ist, die Erde zu verlassen. Die Jahre des Asyls auf dem blauen Planeten waren die schönsten ihrer Geschichte. Hinter ihnen liegt ein Generationen andauernder galaktischer Krieg mit ihren Erzfeinden, den Santori. Ihre einzige Chance ist der Beistand der Erde und der Menschheit, da sie nur noch wenige Hundert Individuen sind. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit … Werden sie gemeinsam den Untergang verhindern können?

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Michael Lorenz

Atlantis kehrt heim

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1. Kapitel – Erwachen

 

"Erwachet!" Der Ruf tönte durch Raum und Zeit. "Die Zeit ist gekommen."

‚Nein! Nicht aufwachen, nie mehr. Es gibt nur einen Grund zum Aufwachen und den möchte ich nicht erleben. Es darf nicht sein‘, dachte der Schläfer.

"Erwachet! Ihr werdet gebraucht, es ist so weit." Die Stimme erfüllte den hintersten Winkel seines Geistes und er konnte sich nicht länger dem Einfluss entziehen.

Schmerzhaft grelles Licht blendete ihn, obwohl er seine Augen noch geschlossen hatte. Die Aufwachprozedur hatte begonnen. Sämtliche Sinne waren hypersensibel. Sein Gehör leitete unerträglich lautes Brummen und schrilles Sirren an sein Gehirn. Sein Geruchssinn rebellierte aufgrund der Vielfalt an unterschiedlichsten Gerüchen.

Der ganze Körper schien endlos lange in glühende Lava getaucht zu sein. Jede Faser seines Geistes wehrte sich gegen die Rückkehr in die Realität.

Quälende Ewigkeiten später öffnete Sa’ari seine brennenden Augen. Wohltuende Dunkelheit umschmeichelte ihn. Kein Laut war zu hören und die Luft schmeckte frisch und kühl.

‚Ich lebe‘, dachte er. ‚Wieder...‘. Der lange Schlaf ist vorüber. Wie lange er gedauert hatte, konnte er später noch feststellen. Jetzt musste er möglichst schnell die Wiedererweckung vervollständigen, sonst könnten die nächsten Minuten seine letzten sein.

Er formte die notwendigen Gedanken als Befehle an die Zeitkapsel. "Öffne die Kapsel und hol die Medibots herbei." Nichts geschah. War er schon zu schwach um den Befehl zu senden? Oder war die Technik inzwischen zu alt, um seinem Willen folgen zu können? Ganz kurz wollte Panik in ihm aufsteigen, aber er beruhigte sich schnell wieder. Es spielt keine Rolle, ob es hier und jetzt endet oder erst nach Jahren oder Jahrhunderten voller Leid und Schmerz. Sein Leben war mehr als erfüllt. Die Jahrtausende, die hinter ihm lagen, reichten für Aberhunderte Menschenleben.

Einmal wollte er noch den Versuch wagen, sich seiner Zeitkapsel zu entziehen. Danach sollte sich sein Schicksal so oder so erfüllen. Er dachte den Befehl mit mehr Kraft und Hingabe. Vor seinen Augen bildete sich ein kleiner, sich schnell vergrößernder Spalt. Gedämpftes, gelbliches Licht fiel auf sein Gesicht. Beruhigende summende Laute drangen an sein Ohr.

Sein Körper wurde durch die Antischwerkraftfelder der Zeitkapsel sanft emporgehoben. Sekundenlang schwebte er regungslos über der Kapsel. Obwohl er sich nicht bewegen konnte, spürte er die Anwesenheit der medizinischen Roboter. Vielmehr identifizierte er sie anhand der Geräusche. Leichte Berührungen an seinem Körper ließen ihn sicher sein, dass die Regeneration seines Körpers begonnen hatte.

Er schmunzelte innerlich, als er sich vorstellte, welchen Anblick er in diesem Augenblick bot. Ein großer, stattlicher Mann, nackt, frei im Raum schwebend. Um ihn herum sechs bis acht metallische Zylinder mit einer Vielzahl an kleinen Armen und Tentakeln. Und jeder davon verrichtete an die zehn verschiedenen Tätigkeiten an ihm.

Sa’ari wusste, dass die Regeneration mehrere Stunden dauern würde. Solange wollte er das Zentralgehirn kontaktieren, um zu erfahren, warum er geweckt wurde.

"Hier spricht der oberste Führer Sa’ari. Zustandsbericht aller Systeme!" Auch diesen Befehl formulierte er wieder im Geiste, da dies der schnellste Weg zu den Computersystemen der Basis war. Genauso gut konnte man die Kommandos aussprechen oder auch in Terminals eingeben.

"Sei gegrüßt, Sa’ari", ertönte die Antwort in seinem Kopf. "Deinem Wunsch kann im Augenblick nicht entsprochen werden, da die zurückliegenden Ereignisse die Anwesenheit aller Führer notwendig macht."

Diese Sätze ließen Sa’ari das Blut in den Adern gefrieren. Das konnte unmöglich richtig sein. Die Antwort des Zentralgehirns ließ nur einen Schluss zu. Er selbst hatte die drei Stufen, die zum Wiedererwecken seines Volkes führen durften, formuliert und strengen Regeln unterzogen. Die Anwesenheit aller verbliebenen Führer konnte nur bedeuten, dass die Galaxis in Gefahr war. Sollten die Santori zurückgekehrt sein? Nein, unmöglich. Waren doch er und seine Gefährten die letzten Überlebenden der entscheidenden Schlacht gegen diesen mächtigen Gegner gewesen. Nur ihr Flaggschiff, die Olymp, war übrig geblieben. Aber nur ein Ereignis gleicher Wichtigkeit hätte seinen Schlaf beenden dürfen.

Jetzt hieß es abwarten. Das ganze Simulieren und Nachdenken war ohne Fakten sinnlos und verzögerte nur seine Genesung. So zwang er sich zur Ruhe, um die Medibots schnellstmöglich ihre wichtige Arbeit beenden zu lassen.

Irgendwann hörte die Betriebsamkeit um ihn herum auf und so wusste er, dass er nun bald wieder seine ersten Schritte gehen konnte. Kaum hatte er dies gedacht, positionierte ihn das Schwerkraftfeld in eine senkrechte Lage und ließ ihn sanft auf den Boden hinab. Die Medibots hatten ganze Arbeit geleistet. Sein Körper funktionierte, als ob er nie geruht hätte. Jeder Muskel in seinem Körper gehorchte ihm anstandslos.

"Reanimation für Mu'uri und Ta'alak einleiten." Dieses Mal formulierte er den Befehl verbal. Lächelnd lauschte er seiner Stimme nach. Ein angenehm sonorer Klang. ‚Keine Zeit für Eitelkeiten‘, dachte er amüsiert.

"Vollzugsmeldung an mich, sobald beide wieder geistig gesund und rege sind".

Aus allen Richtungen schwebten Medibots in den Raum. Verwundert stellte Sa'ari fest, dass sich die Formen der Roboter geändert hatten. Es gab zwar noch die ihm bekannten Modelle. Allerdings entdeckte er zwei Hominide und mehrere Ei-förmige Maschinen.

"Zustandsbericht der Systeme", befahl er daraufhin.

"Alle Systeme laufen ohne Probleme und sind auf 100%. Keine Veränderung der absoluten Position im All. Notwendige Reparaturen und Ausbauten der Reserven vollendet." So lautete die Antwort des Zentralgehirns.

"Definiere Ausbauten", hakte Sa'ari nach.

"Erneuerung aller Defensiv- und Offensivsysteme. 1.000 neue, kleine Robotgleiter, 250 schwere Kampfgleiter und drei große Basisschiffe stehen zur Verfügung. Weiterentwicklung diverser Roboteinheiten. Gesamtbestand – 5.000 Multieinheiten, 500 Serviceroboter und 1.000 medizinische Einheiten. Neu dazugekommen sind 25 wissenschaftliche Androiden."

"Basisschiffe? Neue wissenschaftliche Androiden? Von wem stammt der Befehl und die Technik?" Sa'ari traute seinen Ohren nicht. Soweit er sich erinnern konnte, waren die damaligen Computer zu solchen Leistungen gar nicht fähig gewesen. Was war hier los? War einer seiner Gefährten lange vor ihm erwacht? Das musste die Lösung sein.

"Computer, welche Lebewesen sind im Augenblick im Wachzustand?" Formulierte er deshalb seine nächste Frage.

"Zurzeit sind Sa'ari, Mu'uri und Ta'alak aus dem Tiefschlaf erweckt worden."

"Woher stammen die Pläne und Befehle für die Neubauten und das Auffüllen unserer Technik?" präzisierte Sa'ari seine Nachfrage.

"Sa'ari! Hier spricht Demek, mein alter Freund. Du bist jetzt bestimmt sehr erstaunt, noch einmal von mir zu hören."

"Demek!? Das ist unmöglich. Ich weiß noch, wie wir deinen zerstörten Körper den Sternen übergeben haben. Du bist in der Schlacht von Deneb gefallen!" Sa'ari schrie die Worte in die Stille der Medi-Station.

"Du hast Recht. Ich bin in dieser Schlacht gefallen und habe fortan aufgehört als einer der Euren zu existieren. Vielleicht hatte ich eine Ahnung oder ich war einfach zu ehrgeizig. Sei es, wie es will. Aber ich habe Monate vor meinem Tod mit der Entwicklung einer neuen Technology begonnen. Es ist mir nach Jahren der Forschung gelungen, künstliche Gehirne mit dem Bewusstsein unseres Volkes zu füllen. Und schließlich konnte ich einen Weg finden, diese Gehirne mit dem Computer der Station zu verbinden. Wenige Wochen nach meinem Tod, kurz nachdem ihr in den ewigen Schlaf gegangen seid, hat der Zentralcomputer meine Integration eingeleitet."

Erschüttert und zugleich unendlich erleichtert vernahm Sa'ari die Worte seines alten Freundes. Demek war nicht nur einer der Ältesten seines Volkes. Er war auch ihr geistiger Führer und Tudor in allen Lebenslagen gewesen. Seine jetzige Anwesenheit ließ alle kommenden Gefahren plötzlich kleiner erscheinen.

"Weißt du schon, was geschehen ist?“ Erklang die sanfte Stimme Mu'uris hinter Sa'ari. "Nein, keine Ahnung", antwortete an seiner statt Ta'alak. Lachend fielen sich die Freunde in die Arme. Doch schnell holte sie die Realität wieder ein.

"Es tut mir leid, wenn ich eure Wiedersehensfeier unterbrechen muss", meldete sich Demek durch den Hauptcomputer zurück. "So unglaublich es auch klingen mag, aber innerhalb der Milchstraße wurde eindeutig Santori-Technik verwendet. Mehrere Sensoren bestätigten die Signaturen von Santoriwaffen und auch von mindestens einem Raumschiff."

Genauso hatte es auch damals begonnen. Zuerst kam ein Späher-Schiff, danach eine Vorhut und nicht lange danach die größte Raumschiff-Armada, die die Milchstraße jemals gesehen hatte.

"Apropos damals", fuhr Sa'ari fort. "In welcher Zeit leben wir denn eigentlich, Demek?"

"Nach der Zeitrechnung unseres letzten Exils, der Erde, sind mehr als 12.000 Jahre vergangen!"

Langes, erschüttertes Schweigen erfüllte den Raum. 12.000 Jahre. Eine schier unendlich lange, für Menschen nicht vorstellbare Zeit. Sein Volk hatte schon vor Ewigkeiten die biologische Sterblichkeit überwunden. Selbst schlimmste Verletzungen konnte sein Volk korrigieren und den drohenden Tod abwenden. Aber selbst ihrem umfangreichen Wissen waren noch Grenzen gesetzt und so starben viele seiner Gefährten in den schweren Schlachten mit den Santori.

"Demek", sprach Sa'ari seinen Freund direkt an, "wie viele Schläfer haben die Zeiten überdauert?"

"Alle, die nach der letzten Schlacht noch lebten, könnten reanimiert werden. Wenn du so willst, lebt das gesamte Volk der Atlanter noch. Stolze 349 unsterbliche Krieger, Weise und Forscher!"

"Was weißt du über das Schiff der Santori?" wollte Ta'alak wissen.

"Es ist ein Schiff der B-Klasse. Wie es aussieht, ist es voll einsatzfähig. Das Problem ist sein Kurs. Es wird in wenigen Wochen die Erde erreichen. Wie es scheint, ist die Besatzung auf der Suche nach uns. Und das wird unsere ‚Kinder‘, die Terraner in größte Schwierigkeiten bringen", offenbarte ihnen Demek die erschreckende Wahrheit.

Die drei Führer der Atlanter beratschlagten viele Stunden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie ihre Zurückhaltung zugunsten der Galaxis aufgeben mussten. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass nur sie die Santori aufhalten konnten. Zuerst beschlossen sie, alle Schläfer ihres alten Volkes zu wecken. Von diesen sollten zehn Krieger eines der neuen Basisschiffe nehmen und auf Abfangkurs zu dem Santorischiff gehen. Außerdem stimmten sie mit 2:1 darüber ab, die sieben Krieger der Ewigkeit auf der Erde zu wecken, damit diese notfalls selbst die Terraner verteidigen könnten.

Kaum hatten sie ihre Befehle an Demek übermittelt, meldete sich dieser erneut.

"Es tut mir unendlich leid, wenn ich euch schon wieder mit schlechten Nachrichten belasten muss. Vor wenigen Momenten haben unsere Langstreckenscanner eine gewaltige Flotte auf dem Weg in die Milchstraße entdeckt. Trotz der noch großen Entfernung scheinen es mehr als 10.000 Schiffe sein. Und es sind nicht nur Santori, viele Signaturen sind unbekannter Herkunft.

"Die Zeit des Schlafes und des Friedens ist vorbei. Die Verdammnis bewegt sich auf unsere Galaxis zu", stellte Mu'uri mit stockender Stimme fest.

 

2. Kapitel – Schläfer

Masaki Oki

Der Körper des Mannes wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Helles Mondlicht tauchte das Zimmer in sphärische Helligkeit. Mit einem Ruck setzte sich der Mann aufrecht in sein Bett. Mit fahrigen Händen strich er sich durch die zerzausten Haare. Wie eine Marionette verließ er die Schlafstätte und zog sich mit unsicheren Bewegungen seine Kleidung über. Minuten später stand er auf der Straße. Wenige Gestalten bewegten sich auf den Gehwegen. Kein Wunder, die Stunden zwischen drei und fünf Uhr früh ließen selbst Osaka langsamer leben.

Mit immer sichereren Schritten wandte er sich in Richtung des nächsten U-Bahn-Zugangs. Auf der Treppe hinab zu den Bahngleisen traten ihm drei Jugendliche entgegen.

"He, Alter. Du solltest uns deine Kohle geben. Dann musst du nicht mehr so schwer tragen", sprach ihn der größte der Bande an.

Der Mann reagierte überhaupt nicht. Er setzte seinen Weg unbeeindruckt fort, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Die Jungs waren so erstaunt, dass sie ihn einfach an sich vorbei ließen. Erst als er bereits mehrere Stufen unterhalb war, setzten sie sich wieder in Bewegung. Einer der jungen Männer mit kräftiger Statur griff dem Mann von hinten an die Schulter und wollte ihn aufhalten.

"He, Mann. Stehenbleiben, wir reden mit dir", brachte noch heraus, bevor er an dem Mann auf Treppe vorbeiflog und schwer auf die Steinstufen aufschlug. Keiner seiner Begleiter hatte die Bewegung des Fremden gesehen.

Obwohl sie eigentlich gewarnt waren, stürmten sie nun vorwärts. Ihr jugendlicher Leichtsinn und ihre Unerfahrenheit ließen sie den Unbekannten überholen und sich vor ihm aufbauen.

"Jetzt gibt es richtig Ärger, du Idiot", brüllte der junge Anführer. Kurz danach vernahm man noch drei, vier klatschende Geräusche und die beiden Angreifer lagen, wie ihr zuvor ausgeschalteter Begleiter, besinnungslos auf dem Boden.

Der fremde Mann ging unbeeindruckt weiter und bestieg die nächste U-Bahn. Augenblicke später hatte ihn die Nacht verschluckt.

"Sie müssen sich anschnallen, wir starten gleich." Eine freundlich lächelte Stewardess blickte Masaki in die Augen. Automatisch griff er nach dem Sicherheitsgurt neben sich und folgte der Anweisung.

"Was tue ich denn hier", schoss es ihm durch den Kopf. Ganz kurz war er wieder er selbst und wunderte sich über sein Tun. Er hatte keinerlei Erinnerung, wie er in dieses Flugzeug bekommen war und was er hier überhaupt wollte. Dann tauchte plötzlich das Bild dieses Tempels auf, der ihn magisch anzog. Er wusste nicht wieso, er wusste nur, dass er unbedingt dorthin musste. Nichts und niemand durfte ihn davon abhalten.

Als Masaki das nächste Mal erwachte stand er auf einer staubigen Straße und winkte gerade einem Taxi. Der Fahrer verstand kein japanisch, natürlich nicht. Nur das eine Wort ‚Machu Pichu‘ zauberte ein Lächeln des Verstehens auf sein Gesicht und er fuhr los. Zwei Stunden später stand Masaki in einem ärmlichen Dorf im Urubambatal am Fuße der Anden. Irgendwo dort oben, in mehr als 2.300 Meter Höhe lag sein Ziel. Dort hoffte er endlich zu verstehen, warum er daheim alles stehen und liegen ließ, um hierher zu kommen.

Der Taxifahrer war ein sehr freundlicher, redseliger Mensch, der Masaki während der gesamten Fahrt in diese Einöde auf Spanisch unterhalten hatte. Er schien zu ahnen, dass Masaki seine Hilfe brauchte. Er nahm den exotisch aussehenden Reisenden an die Hand und brachte ihn in ein ‚Hotel‘ an der Hauptstraße. Hotel stand wenigstens außen an der verwitterten Holzwand. Innen saß eine ebenso verwittert erscheinende Indiofrau, auf die der Fahrer sofort einzuredete.

"Lassen sie es gut sein", hörte Masaki sich in einer fremden Sprache reden, deren Worte er plötzlich konnte. "Ich suche eine Unterkunft für heute Nacht und möchte morgen früh beizeiten nach Machu Pichu hinauf", fuhr Masaki fehlerfrei fort.

Sam "Big Bull"

Wie immer seit Jahren brummte sein Kopf, als er erwachte. Auch der schale Geschmack in seinem trockenen Mund war schon lange sein Begleiter. Sams rechte Hand suchte nach der Flasche, die seine Lebensgeister beleben sollte. Erstaunt fühlte er Stoff unter seinen Fingern. Wie? Ein Bett? Blödsinn. An seine letzte Nacht in einem Bett konnte sich der einst stolze Apache kaum noch erinnern.

Widerwillig öffneten sich seine schweren Lider. Tatsächlich befand er sich in einem Bett mit Zudecke und Kopfkissen. Unglaublich. Was war denn gestern geschehen? Wenn er jetzt nur einen kleinen Schluck Whisky hätte, könnte er sich bestimmt sofort wieder erinnern, wie er hier hergekommen ist.

Suchend glitten seine Augen durch das Zimmer. Dort lag, ordentlich aufgeräumt, frische Kleidung. Erstaunt blickte er an sich herunter. Frisches Unterhemd und eine ebenso frisch aussehende Unterhose bedeckten seinen Leib.

So sehr er sich auch umsah, nirgendwo konnte er seine alten abgetragenen Kleidungsstücke entdecken.

"Was soll's", brummte er, "wenn die mir schon meine Klamotten klauen, ziehe ich eben die neuen Sachen dort an. Die halten wieder ein paar Jahre."

Plötzlich entdeckte er neben der kleinen Kommode am Fenster die ihm so vertraute braune Papiertüte. Sein bester Freund und ständiger Begleiter. Mit einem schnellen Sprung war er am Ziel seiner Wünsche, riss die Flasche aus der Papiertüte und nahm einen tiefen Schluck.

Augenblicke später spuckte er den Inhalt seines Mundes auf den Boden. So etwas Widerliches hatte er wohl noch nie getrunken. Vorsichtig schnüffelte er an der Flaschenöffnung. Aber das war doch Whisky?! Vorsichtig nippte er abermals an der Flasche und machte erneut diese schlimme Erfahrung.

Von heute auf Morgen konnte er nicht mehr trinken! Einerseits spürte er eine große Angst. Andererseits fühlte er sich glücklich. Während er noch versuchte das Ganze zu verstehen und zu verdauen, klopfte es an der Tür.

"Herein", sagte Sam leise.

"Es wird Zeit. Wir müssen bald gehen. Machu Pichu wartet auf uns", sagte ein freundlicher Japaner in seiner Stammessprache zu ihm. "Unser dritter Gefährte erwartet uns bereits oben auf dem ‚Heiligen Berg‘, fuhr der Asiate fort.

"Ja, wir müssen gehen." Nun erinnerte sich Sam Big Bull plötzlich wieder. Sein Ziel war dieser Gipfel und dort wartete die größte Aufgabe seines Lebens auf ihn. Und er war bereit. Sein bisher verschwendetes Leben hatte seinen Sinn zurück.

Mae Chung

Sie saß wie jeden Tag der Woche an ihrer Nähmaschine und wusste doch, dass dies nicht ihr richtiger Platz im Leben war.

"Träumst du wieder, Mae?" Riss sie die Stimme des Vorabeiters aus ihren Gedanken. "Wenn das mit dir so weitergeht, wirst du bald deine Arbeit verlieren. Deine Leistung ist gerade mal 80% vom Durchschnitt."

'Bla, bla, bla', dachte sie gerade noch, als sie ein Schlag durchfuhr. Der Ruf hatte sie endlich erreicht. Schon immer hatte sie geahnt, dass sie eine andere Aufgabe im Leben zu erfüllen hatte, als das Nähen von Hemden für dekadente Europäer. Jetzt war ihr alles klar. Sie musste sofort hier weg. Ihr Ziel lag in Peru, hoch in den Anden.

Schweigend erhob sie sich, nahm ihre Stofftasche und ging zur Tür. Aufgeregt folgte ihr der Vorarbeiter.

"Du bist jetzt wohl völlig verrückt geworden. Zurück an deinen Platz. Um Zwölf Uhr sind zehn Minuten Pause. Jetzt wird gearbeitet!"

Sie sah ihn nur kurz an und er ging ihr sofort aus dem Weg.

Mit unsicherer Stimme rief er ihr noch hinterher: "Du bist gekündigt. Du brauchst gar nicht wiederkommen."

Festen Schrittes eilte sie die Straßen Kaifengs entlang und suchte ohne Verzögerung ihre beste Freundin Li Feng auf. Obwohl diese gerade eine Kundin frisierte, zog sie sie mit sich.

"Wie viel Geld hast du, ich muss nach Peru?"

"Spinnst du? Meine Ersparnisse reichen nicht mal bis Peking." Die Antwort ihrer Freundin hatte sie zwar erwartet, aber insgeheim sich eine bessere erhofft.

Den Rest des Tages verbrachte sie mit Besuchen bei allen Freunden und Bekannten, die ihr einfielen, wo sie versuchte sich das notwendige Geld zu beschaffen. Wie erwartet hatte sie keinen Erfolg. Selbst bei einer Bank fragte sie nach einem Kredit. Der Banker lachte sie einfach aus. Erst als er in ihre Augen sah, verstummte er beschämt.

Traurig ging Mae nach Hause, wo sie bereits von ihren aufgeregten Eltern empfangen wurde, die bereits wussten, was auf ihrer Arbeit geschehen war.

Nachdem sie die Tiraden ihres Vaters ertragen hatte, sagte sie mit fester Stimme zu ihm: "Vater, ich ehre Mutter und dich. Aber meine Zeit ist gekommen. Ich muss eine Aufgabe erfüllen."

Einen Moment sahen sie beide sprachlos an, dann nickten sie. "Ja, so soll es sein", sagten beide gleichzeitig.

In einer verzweifelten Hoffnung fragte sie sogar noch ihre Eltern, ob sie ihr das nötige Geld für die weite Reise geben könnten. Selbstverständlich hatten diese armen Bauersleute kein Geld übrig.

Traurig ging Mae in ihr Zimmer und legte sich auf das Bett. Sie schloss die Augen, um besser nachdenken zu können. Plötzlich tauchte aus dem Nebel ihrer Gedanken ein deutliches Bild auf. Große Berge und eine ausgedehnte Tempelanlage. Sie kannte dieses Bild aus der Schule. So sah Machu Pichu aus. Als ob sie selbst über die Berge der Anden flöge, konzentrierte sich ihr Blick auf eine bestimmte Stelle unterhalb eines gewaltigen Torbogens. Die Umgebung verschwamm immer mehr, je deutlicher dieser Platz in den Vordergrund trat.

Sie verspürte einen Sog, der scheinbar an ihrem Körper riss. Je stärker dieser Sog wurde, desto leichter fühlte sie sich. Urplötzlich wurde ihr schwindlig und sie hatte das Gefühl zu fallen. Es gab auch einen Aufschlag. Nicht heftig, aber fühlbar.

Mae öffnete erstaunt die Augen und blickte in die Sonne über den Anden.

"Sie ist angekommen", hörte sie die Stimme eines Mannes.

Jean Moureau

Als Jean aus der U-Bahn-Station kam, sah er seinen Lieblingsfeind, George. Lässig lehnte er an der gusseisernen Laterne, die die Stufen hinab zur U-Bahn beleuchten sollte. In seinem Mundwinkel klebte die unvermeidliche Zigarette.

"Bonjour, Jean", grüßte er scheinbar freundlich. "Hast du meine Geschichtsaufgaben gemacht?"

"Hör mal", erwiderte Jean zaghaft. "Ich finde das nicht richtig. Das ist doch Betrug. Schließlich willst du doch später arbeiten und mit deinem Wissen Geld verdienen." Erschrocken wurde ihm klar, dass er das nicht hätte sagen sollen. Sein Herz klopfte voller Angst bis zum Hals und das Blut rauschte in seinen Ohren.

George war schließlich so etwas wie der uneingeschränkte König der Sorbonne, wo auch er studierte. Wie oft hatte er den Tag verflucht, als er sich ausgerechnet George als Beschützer vor den Anderen ausgesucht hatte. Hätte er doch niemals angeboten, diesem Rohling bei seinen Aufgaben zu helfen.

All diese Gedanken schossen im Bruchteil einer Sekunde durch seinen Kopf.

"Ich hoffe stark für dich, dass du mir mit deinem blöden Spruch nicht sagen willst, dass du meine Aufgaben nicht gemacht hast, oder?" Fragte George mit gefährlich leiser Stimme.

"Nein, natürlich nicht", wollte Jean, der Schwächling, seine Aussage abmildern. Fast schon euphorisch griff er dabei in seine Tasche. Jetzt blieb sein Herz tatsächlich stehen. Er hatte den Ordner mit den Aufgaben zuhause an der Garderobe liegenlassen.

"Ich, ich finde sie nicht", stammelte er ängstlich. "Ich fahre sofort heim und hole sie. Ich schwöre es."

"Bist du irre, in 15 Minuten muss ich sie abgeben." Schrie George ihn mit hochrotem Kopf an.

Urplötzlich überkam Jean eine tiefe innere Ruhe. "Na gut, dann eben nicht. Ich brauche sie schließlich nicht. Deine Sache." Er konnte kaum begreifen, wie diese Worte seine Lippen verlassen konnten. Aber er fühlte sich das erste Mal froh und glücklich, seit er an dieser Uni eingeschrieben war.

Sein Erzfeind stand zitternd vor Wut vor ihm. Es war ihm gleichgültig. Zufrieden lächelnd ging er an George vorbei und eilte die Treppen zu seinem Hörsaal hinauf.

Kurz vor der offenen Tür zum Hörsaal blieb er stehen, nahm sein Handy heraus und rief seinen Vater an. "Papa, ich brauche 5.000 €. Ich muss unbedingt nach Ägypten. Es geht um eine Exkursion zu den Pyramiden und zur Sphinx."

Das Wort ‚Sphinx‘ hallte in seinem Kopf lange nach. Versonnen wiederholte er es im Geiste und sagte noch einmal zu seinem Vater: "Was ist denn nun, ich muss unbedingt mit zur Exkursion. Das ist sehr wichtig für mein Studium!"

Wie immer konnte ihm sein Vater keinen Wunsch abschlagen. Und als Bankdirektor litt er auch nicht gerade unter Armut.

Fröhlich verließ Jean die Universität, als George vor ihm auftauchte. Ohne weitere Worte zu verlieren, holte er aus und schlug in Jeans Richtung. Kurz darauf saß er jammernd auf dem Boden und hielt seinen Arm.

"Du hast mir den Arm gebrochen", klagte er.

Das ehemalige Opfer, der schwächliche Student Jena Moureau, ging einfach weiter und warf keinen Blick mehr zurück.

Einige Stunden später stand er in der heißen Sonne Ägyptens. Kaum gelandet wollte er sofort in ein Taxi stürzen und sich auf den Weg zur Sphinx machen. Dazu kam es aber nicht mehr, weil plötzlich auffiel, dass es nicht die richtige Zeit dafür war. Glasklar wurde ihm bewusst, dass es nicht um ihn alleine ging und das Timing wichtig war.

So suchte er sich ein klimatisiertes Hotelzimmer und begann zu warten. Er würde wissen, wann es an der Zeit war.

Mary Campbell

Das war wieder so ein Morgen. Ein schlimmes Wochenende lag hinter ihr, dann heute noch verschlafen und natürlich zuerst den Chefredakteur getroffen. Bravo! Der hat sie auch gleich nach ihrem fehlenden Artikel über die ständig steigenden Alkoholprobleme bei den Aborigines befragt. Verdammt. Solche Storys waren überhaupt nicht ihr Fall. Sie dachte mehr über die Reportagen nach, die ihr irgendwann Aufmerksamkeit und Erfolg bringen würden. Korruption und Kriminalität in der sogenannten ‚feinen Gesellschaft‘. Aber genau das blockte ihr Chef jedes Mal. Wahrscheinlich hatte er selbst Dreck am Stecken. Eine witzige Idee fand sie und plötzlich war der Morgen nicht mehr so übel.

"He, Mary, wie weit bist du denn nun mit dem Artikel über unsere geschätzten Ureinwohner?" Aus weiter Ferne klang eine männliche Stimme an ihr Ohr.

Verdutzt sah sie sich um. Auf ihrem Monitor war eine Reisebüroseite geöffnet und jemand hatte eine Flugreise nach Ägypten bereits fast vollständig ausgefüllt. Aus dem Augenwinkel erkannte sie Peter, ihren Kollegen.

"Was ist los?" fragte sie benommen. "Welchen Artikel willst du von mir?"

"Mensch, Mary. Der Alte läuft Amok in seinem Büro, weil er ausgerechnet heute deinen Bericht noch als Füller braucht." Ihr lieber Kollege machte sich Sorgen um sie. Er war schon lange sie verliebt, nur viel zu schüchtern, um es ihr zu sagen.

"Tja, ganz ehrlich", erwiderte sie, "ich habe noch gar nicht richtig damit angefangen."

"Das kannst du doch nicht machen, Mary. Du weißt doch, wie der Chef ist. So etwas kann dir den Hals brechen." Peters Stimme klang sehr besorgt, als er diese Worte an sie richtete. "Aber ich kann dir helfen. Vor ein paar Monaten habe ich mich schon einmal mit diesem Thema befasst und du kannst meine Notizen gerne haben. Wenn wir uns zusammen ran setzen, haben wir ruckzuck die notwendigen Zeilen runter getippt. Und wenn dann alles in Ordnung ist, könnten wir vielleicht heute Abend zusammen was trinken gehen."

Mary war einerseits über Peters neuen Mut verwundert, andererseits sehr beruhigt, dass ihr der nette Kerl helfen wollte. Bevor sie aber antworten konnte, hörte sie sich sagen: "Tut mir leid, aber heute Abend bin ich schon in Kairo und dann kann mir der alte Sklaventreiber getrost den Buckel hinunterrutschen!"

Sie sprang auf, schnappte ihre Tasche und verließ die Redaktion im Eiltempo. Wie in Trance hastete sie durch die Straßen Sydneys, bis sie einem Taxi winkte und sich direkt zum Flughafen fahren ließ.

Augenblicke später stand sie am Schalter der Qantas Airlines und erkundigte sich nach dem nächsten Flug Richtung Kairo.

"Das ist aber schade", bedauerte die junge Dame hinter dem Schalter. "Der letzte freie Platz ist vor wenigen Minuten vergeben worden."

Enttäuscht und auch ein wenig verärgert über ihr Pech fragte Mary nochmals nach, ob es denn überhaupt keine andere Möglichkeit mehr gäbe.

Die Angestellte wurde plötzlich sehr nachdenklich und entschied dann spontan: "Ja, eines könnte ich tun. Es gibt noch einen freien Platz in der First Class, den ich ihnen zum normalen Preis geben könnte. Ich denke, sie sind wichtiger als irgend so ein Manager."

Hocherfreut nahm Mary das Ticket entgegen und begab sich glücklich in die Lounge für die First Class, nahm sich einen Espresso und etwas Lektüre. Bald darauf wurde sie per Lautsprecherdurchsage dezent zum baldigen Einstieg in ihren Flieger gebeten.

Die '1. Klasse' trug ihren Namen vollkommen zurecht, sie war erstklassig. Großzügig bemessene Sitzreihen, zwei eigene Flugbegleiterinnen für die wenigen Passagiere und, wie sie später in der Luft feststellte, ein fantastisches Essen und edle Getränke, soviel man wollte. Hier ließ es sich aushalten.

Nach einem ausgedehnten Schläfchen hoch über den Wolken, wurde sie kurz vor der Landung auf dem Cairo International Airport sanft geweckt. Selbst das Auschecken und die Gepäckausgabe funktionierten für die Fluggäste auf den teuren Plätzen einwandfrei. Keine 15 Minuten nach ihrem Eintreffen konnte Mary den Flughafen bereits verlassen.

An dem Ausgang, den die 'besseren' Fluggäste nehmen durften, wartete ebenfalls ein viel neueres Taxi, als in Kairo üblich. Der Fahrer sprach auch ein gut verständliches Englisch und so kam sie in relativ kurzer Zeit vor einem erstklassigen Hotel an.

Hinter der Rezeption stand ein europäischer Typ mittleren Alters, vielleicht ein Engländer.

"Was kann ich für sie tun, Madame", fragte er Mary in britischem Englisch.

"Ich hätte gern ein Zimmer für drei bis vier Tage", entgegnete sie forsch.

"Haben sie reserviert?" hakte der Hotelangestellte nach.

"Nein, leider nicht. Aber ich bin mir sicher, dass ich von ihnen noch ein kleines Zimmerchen erhalten werde." Mary war erstaunt über ihre Selbstsicherheit in diesem Moment.

"Ach ja, ich sehe gerade, dass sie recht haben. Wir hätten für sie noch eine Suite im obersten Stockwerk. Sie wird sonst nur vom Eigentümer des Hotels bewohnt und der hat sicher nichts dagegen, wenn sie sie für ein paar Tage benutzen. Selbstverständlich würden wir uns freuen, wenn wir sie dazu einladen dürften." Der sprichwörtlich steife Engländer hatte nicht nur seine Meinung um 180° Grad geändert, er lud Mary sogar noch auf Kosten des Hauses ein.

"Für Morgen Vormittag brauche ich bitte noch einen Führer zu den Pyramiden und zur Sphinx", verabschiedete sich Mary auf dem Weg zu ihrer fürstlich eingerichteten Zimmerflucht.

Nach einer luxuriös verbrachten Nacht erwachte sie beim ersten Sonnenstrahl und fühlte sich entgegen ihres üblichen Lebensrhythmus erholt und tatendurstig. Vergnügt fuhr sie in die Halle hinunter und ließ sich in den Speisesaal begleiten. Dort geleitete man sie in ein abgetrenntes Separee, in dem sie in aller Ruhe sich die gereichten Köstlichkeiten schmecken ließ.

Eine knappe Stunde später bat sie ein Page zum Empfang, wo sie bereits von einem einheimischen Führer erwartet wurde.

Ägyptens Sonne meinte es an diesem Morgen schon sehr gut mit Kairo und seiner Umgebung. Annähernd 45 Grad Lufttemperatur machten selbst der Klimaanlage im Mercedes ein paar Schwierigkeiten. Doch auch diese Strapaze nahm Mary ohne Klagen auf sich. Wusste sie doch, dass ihr Ziel das wichtigste ihres bisherigen Lebens war.

 

Ngori Sambu

„Steh auf, du hast noch einen weiten Weg vor dir.“ Aus weiter Ferne drang die Stimme an sein Ohr. Ngori öffnete die Augen und sah den Medizinmann seines Stammes über sich.

„Was willst du mitten in der Nacht von mir?“ Brummte Ngori. Über der Steppe leuchtete noch der einmalige Sternenhimmel und Ngori dachte bei sich, dass er vielleicht die falsche Entscheidung getroffen hatte, als er sich trotz abgeschlossenen Studiums zurück zu seinem Stamm begeben hatte. Es war nicht leicht aus der modernen, westlichen Welt in den afrikanischen Busch zurückzukehren. Er hatte sich damals dafür entschieden, um seinem Volk zu helfen. Inzwischen hatte er aber gemerkt, dass seine Stammesbrüder und ihre Familien seine Hilfe nicht unbedingt brauchten. Sie lebten im Einklang mit der Natur.

„Also, noch mal. Was ist denn los? Ist etwas passiert oder warum weckst du mich mitten in der Nacht, alter Mann?“

„Du musst die Zeichen doch auch erkannt haben?“ Fragte der lederhäutige Massai zurück. „Komm mit, ich zeige dir, was ich meine“, fuhr er fort.

Widerwillig folgte ihm Ngori vor die Hütte. Seine ebenholzfarbene Haut schimmerte im weichen Licht dieser sternenklaren Nacht. Mit seinen 2,03 Meter Körpergröße und der kräftigen Statur war Ngori ein beeindruckender Anblick, selbst bei Nacht.

Er legte den Kopf in den Nacken und suchte den Nachthimmel mit seinen Augen ab. Als er dem alten Mann hinter sich schon wütend die Meinung sagen wollte, erkannte er es. Das Zeichen war plötzlich eindeutig und er fühlte, wie eine Veränderung in ihm vorging.

„Ja, ich erkenne es jetzt“, sagte er und drehte sich um und ging in seine Hütte zurück. Schweigend packte er einen Rucksack mit den wichtigsten Dingen. Dann legte er die Halskette an, die er von seinem Vater geerbt hatte, nahm den Speer neben dem Eingang und lief los. Er verfiel in leichten Trab, in dem er stundenlang laufen konnte. Niemand auf der Welt konnte es in puncto Ausdauer mit seinem Volk aufnehmen. Wenn es sein musste, liefen er und seine Freunde mehr als 70 km an einem Tag.

Und so lief er in die Dunkelheit hinaus. Er musste schnellstens nach Nairobi, den nächsten Flieger Richtung Kairo nehmen und seiner Verantwortung nachkommen. Die Gefahren des Busches fürchtete er nicht. Zum einen gehörte er dem stolzen Volk der Massai an. Zum Anderen schützte ihn sein Speer vor den Raubtieren, die seinen Weg kreuzen könnten.

Während er durch die traumhafte Landschaft seiner Heimat lief, dachte er nach. Obwohl ihm klar war, dass eine große Aufgabe auf ihn wartete, konnte er sich nicht erinnern, wann er das Wissen über diese Tatsache erworben hatte. Er wusste es einfach. Ebenso war ihm klar, dass ihn übergroße Neugier und sinnlose Hektik auch nicht schneller zum Ziel bringen würden. Tief in seinem Innern schlummerte die Einsicht, dass es noch Zeit war und er auf jeden Fall rechtzeitig sein würde.

Ein bedrohliches Knurren riss ihn unsanft aus seinen Gedanken. Das war er, Simba, der König dieses Gebiets. Sofort blieb er stehen und suchte mit routinierten Blicken die Umgebung ab. Dort war er. Ein stattliches Männchen mit einer prächtigen Mähne. Kurz nachdem er den Löwen entdeckt hatte, entspannte sich Ngori ein wenig.

Dieser Löwe war nicht auf der Jagd. Vielmehr hatte er dort geruht, wahrscheinlich alleine, was auf ein altes, sehr erfahrenes Männchen hindeutete. Das war gut, so konnte der Massai der Bedrohung wahrscheinlich ausweichen. Wenn er sich langsam zurückzog und das Herrschaftsgebiet des Löwen dadurch respektierte.

Aber der alte Löwe war sehr erbost über die nächtliche Ruhestörung. Er warf den Kopf in den Nacken, riss sein bedrohliches Maul auf und ließ ein ohrenbetäubendes Gebrüll erklingen.

Ngori fasste seinen Speer fester und griff mit der linken Hand nach seinem Messer. Dabei dachte er intensiv daran, dass er jetzt auf keinen Fall einen Kampf gebrauchen konnte und er außerdem dieses herrliche Tier nicht töten wollte.

„Dann verschwinde doch endlich.“ Die Worte erklangen plötzlich in seinem Kopf. „Hau ab, bevor ich es mir doch noch anders überlege.“

Unbewusst formulierte Ngori seine Antwort ebenfalls im Geiste: „Ich bin dein Freund und es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe.“

Im selben Moment drehte sich der Löwe um und verschwand im hohen Gras.

Ngori verfiel sofort wieder in seinen Trab und bewegte sich von dem Löwen weg. ‚Seltsam‘, dachte er unterwegs, ‚selbst diese verrückte Geschichte wundert mich nicht. Ich glaube, ich werde mich in nächster Zeit noch an so manche Überraschung gewöhnen müssen.‘ Ein Lächeln erhellte sein Gesicht und er blickte dem beginnenden Tag entgegen.

Der Sonnenaufgang in Kenia war ein atemberaubendes Erlebnis und allein dieser Moment war es ihm wert, wieder in seiner Heimat zu leben.

Schnell stieg die Sonne höher und wärmte seine Muskeln. Noch war die Temperatur erträglich, aber schon in einer Stunde würde die Hitze die Landschaft in einen Glutofen verwandeln. Das war für ihn aber nicht mehr von Belang. Er wusste, dass er sein erstes Zwischenziel bald erreicht hatte.

Minuten später sah er die Farm seines Freundes James Taylor am Horizont erscheinen. James hatte mit ihm in Oxford studiert und indirekt war Ngori daran schuld, dass sein Freund sich in Kenia niedergelassen hatte.

Kaum außer Atem klopfte Ngori wenig später an die Tür seines Freundes. Verwundert blickte ihn James an und fragte: „Ist was passiert, weil du in aller Frühe bei mir vorbei schaust?“

„Ja und nein“, bekam er zur Antwort. „Nicht, dass etwas Schlimmes geschehen wäre. Was genau gerade mit mir geschieht, kann ich dir nicht erklären. So genau weiß ich das selbst noch nicht. Jedenfalls muss ich dringend nach Ägypten und da dachte ich sofort an dein Flugzeug.“

„Du brauchst mir nichts erklären. Wenn du mich brauchst, bin ich immer da, das weißt du.“ Erleichtert nahm Ngori die Antwort seines Freundes zur Kenntnis. So blieben ihm Erklärungen für das Unerklärbare, das gerade mit ihm geschah, erspart.

Die beiden Freunde frühstückten noch gemeinsam und unterhielten sich über James‘ Farm. Nach dem Frühstück machte sich der Farmer auf den Weg zu seiner Cessna, damit sie bald aufbrechen konnten.

Ngori saß nachdenklich am Frühstückstisch, als plötzlich Ben, James‘ großer Mischlingshund hereinkam.

‚Hallo Ben‘, dachte Ngori in Erinnerung an sein nächtliches Erlebnis und damit wollte er seine Gabe an dem Hund ausprobieren.

„Hallo“, ertönte die kurze Antwort in seinem Kopf.

Jetzt glaubte Ngori an seine Gabe. Er beschloss sie zu nehmen, wie sie war und nicht weiter darüber nachzudenken. Seine Aufgabe schien ihn einer Veränderung zu unterwerfen, über die er keine Kontrolle hatte. Es geschah einfach mit ihm und er ahnte, dass dies nicht die letzte Überraschung in den kommenden Tagen bleiben würde.

Augenblicke später flogen die beiden Männer bereits über die Steppe. Unter ihnen flüchteten Gnus, Büffel, Zebras und viele andere Tiere vor dem Flugzeuglärm.

‚Ein wunderschönes Stückchen Erde‘, ging es Ngori durch den Kopf. Plötzlich schoss ihm der erschreckende Gedanke durch sein Bewusstsein, dass er das alles heute zum letzten Mal gesehen haben könnte. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass seine Aufgabe mit einer unheilvollen Bedrohung verbunden war.

Zwei Stunden später landete James die Maschine in Nairobi. Die beiden Freunde umarmten sich schweigend und auch James schien den Ernst der Lage zu fühlen, denn er verabschiedete seinen besten Freund mit den Worten: „Wir sehen uns wieder, das weiß ich ganz sicher.“

Selbst in Nairobi erregte Ngori Aufsehen. Bewundernde oder ängstliche Blicke streiften ihn immer wieder. Deshalb führte ihn sein erster Weg in eine Herrentoilette, wo er sich aus seinem Rucksack angemessen einkleidete. Anschließend suchte er den nächsten Geldautomaten und holte sich genügend Bargeld, um den Flug nach Kairo zu bezahlen.

So unglaublich das auch klang, aber er war sehr wohlhabend. Während seines Studiums hatte er nebenbei für namhafte Firmen Software entwickelt, die ihm heute ein Leben ohne Stress ermöglichte. Ab und zu packte es ihn auch jetzt noch und er verschwand ein paar Wochen in einer größeren Stadt und dann entwickelte er wieder ein erfolgreiches Programm.

Probemlos bekam er ein Ticket und saß wenig später in einem Airbus. Noch einmal nahm er still Abschied von seiner Heimat und unterdrückte die aufkommende Melancholie. Unbewusst straffte er seinen Körper und streckte sich selbstbewusst. Egal was auch auf ihn warten würde, Afrika muss noch lange mit ihm auskommen. Dieser Gedanke beruhigte ihn und er machte ein kleines Schläfchen.

Am Abend war er schon Teil des lebhaften Kairos. Ein Hotel war schnell gefunden und er vergaß auch nicht, für den kommenden Morgen eine Fahrt zu den Pyramiden und der Sphinx zu arrangieren. Dort lag sein nächstes Ziel, längst noch nicht das Ende seiner Reise. Von ihr wusste er, dass sie ihn viel weiter führen würde, als er sich das momentan vorstellen konnte.

Auf der Fahrt nach Gizeh machte Ngori am nächsten Tag die Erfahrung, dass nicht nur Kenia von der Sonne verwöhnt wurde. Die Fahrt im Taxi strengte ihn mehr an, als sein Dauerlauf bei seiner Abreise. Die Luft glühte förmlich, als er am Ziel das Fahrzeug verließ.

Mit dem Fahrer machte er aus, dass er ihn in fünf Stunden wieder mitnehmen solle. Dafür gab er ihm ein fürstliches Trinkgeld.

Abseits der Touristenströme bewegte sich der große Massai auf die Sphinx zu.

Nanuk

Nanuk war sehr stolz, wenn er sich jeden Tag auf den Weg zu seiner Arbeitsstätte machte. Auch heute wieder war er froh und gut gelaunt von zuhause aufgebrochen. Unterwegs betrachtete er sorgenvoll den Horizont. Dort baute sich drohend eine dunkle Wolkenwand auf, die kein gutes Wetter erwarten ließ. ‚Komisch‘, dachte er bei sich, ‚um diese Jahreszeit sollte es kaum Unwetter geben‘.

Bis zur Forschungsstation, in der er seit zwei Jahren arbeitete, waren es nur noch etwa fünf Minuten zu fahren, als es immer dunkler wurde. Er hatte schon bald den Eindruck in einen Tunnel zu fahren und verlangsamte deshalb seinen Motorschlitten. Seltsamerweise bewirkten auch die eingeschalteten Scheinwerfer keine Besserung. Die Dunkelheit wurde immer undurchdringlicher und Nanuk spürte Angst in sich emporklettern.

"Das Funkgerät", dieser Gedanke beruhigte Nanuk sofort. "Hallo, Station N-1, hier spricht Nanuk. Ich habe große Probleme mit den Wetterverhältnissen und wollte sie bitten, ob sie nicht die Signallampen außerhalb der Station für mich einschalten könnten."

Nach einem kurzen Rauschen bekam er prompt die Antwort: "Seit wann bist du denn so ein Spaßvogel. Strahlender Sonnenschein und Signallampen. Ich lach' mich tot."

Nanuk betätigte unwillkürlich die Bremsen seines Schlittens und blieb erschüttert stehen. Er blickte sich unsicher um und war froh, als er hinter sich tatsächlich den sonnendurchfluteten Himmel sah. Es wirkte wie ein speziell für ihn vorbereiteter Weg. Scharf abgegrenzte Ränder schienen ihn in eine bestimmte Richtung lotsen zu wollen.

"Natürlich, das war die Lösung." Er fühlte eine große Erleichterung. "Ja, hier noch einmal Nanuk. Es geht mir heute nicht besonders gut. Irgendetwas stimmt mit meinen Augen nicht. Ich kann leider nicht zur Arbeit kommen. Wenn es mir wieder besser geht, melde ich mich wieder", sprach er abschließend in sein Funkgerät und schaltete es vollkommen ab.

Auf der Stelle wendete er den Schlitten und folgte dem Lichttunnel. Mit jedem Meter war er sicherer. Dies war sein Weg. Ungefähr 20 Meter vor einer eisüberzogenen Felsformation befand er sich wieder unter freiem Himmel. Nur noch Sonnenschein, keine Spur von Dunkelheit.

Das Ziel. Kein Zweifel, hier sollte er hin. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass er noch warten musste, bis ihm der nächste Schritt bewusst würde. Er verließ sein Gefährt und setzte sich erwartungsvoll auf einen Felsenvorsprung.

Tatsächlich musste er nicht lange warten. Während ein leises Summen die Luft erfüllte, entstand ein 2 m hoher Lichtbogen in Form einer Tür. Selbstbewusst erhob sich Nanuk und schritt langsam auf den Bogen zu. Obwohl dahinter noch der eisüberzogene Fels zu erkennen war, zögerte er keinen Augenblick und ging hindurch.

Auf der anderen Seite empfing in tiefste Finsternis. Nanuk zog die Taschenlampe, die er immer bei sich trug aus der Seitentasche seiner Hose, und schaltete sie an. Im Lichtkegel erblickte er hellen Sandstein. Der Boden war mit Staub bedeckt und die Wände mit Hieroglyphen verziert. Ohne nachzudenken, bewegte er sich zur gegenüberliegenden Wand und berührte nacheinander verschiedene Piktogramme.

Ein leichtes Zittern war im Boden zu spüren und ein gewaltiges Knacken ertönte. Vor seinen Augen öffnete sich die scheinbar massive Wand und gewährte ihm Zutritt zu einem völlig anders aussehenden Raum. Hier war modernste Technik zu sehen. Die Stirnwand schien ein durchgehender Monitor zu sein und davor stand eine bogenförmige Konsole, die absolut staubfrei und spiegelblank war.

3. Kapitel – Wiedersehen

Als hätte er noch nie etwas anderes getan, ging Nanuk auf die silbern glänzende Konsole zu. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass es in diesem Raum sehr warm war und er immer noch die Kleidung vom Nordpol trug.

Er entledigte sich seiner Jacke, zog die dickgefütterten Stiefel aus und zögerte auch nicht, seine Hose auszuziehen. Zielsicher drückte er verschiedene Knöpfe und die Monitorwand erwachte zum Leben. Sie war in verschiedene Sektionen unterteilt und zeigte sowohl Bilder von der Erde als auch Ansichten aus dem Weltall.

Mehrere Minuten ließ Nanuk die Szenen auf sich wirken, bevor er zu sprechen begann. "Computer, Lagebericht." Als hätte er diese Aufgabe schon immer erfüllt, übernahm er die Verantwortung über die uralte Kommandostation.

"Sei mir gegrüßt, Nanuk. Es ist viel Zeit vergangen, seit du zum letzten Mal hier gewesen bist", antwortete eine angenehme Stimme. "Der Ruf erreichte mich vor mehr als 25 Stunden. Seitdem habe ich dich und die anderen Krieger der Ewigkeit aus ihrem Schläfer_Dasein geweckt. Alle sechs haben die Jahrtausende überlebt und stehen dir zur Verfügung."

Nanuk, der vor Kurzem nur ein unbedeutender Inuit mit diesem Namen gewesen war, streifte die alte Persönlichkeit wie eine Schlangenhaut einfach ab und widmete sich übergangslos seinen Pflichten.

"Es freut mich, dass die Gefährten vieler Schlachten noch am Leben sind. Gilt der Notfallplan ab sofort wieder oder gibt es einen anderen Grund für unsere Rückkehr?" Fragte er sicherheitshalber beim Zentralcomputer nach.

"Es ist der einzige Grund eingetreten, weswegen ihr wiedererweckt werden durftet. Alle Indizien weisen auf die erneute Invasion der Galaxie durch die Santori hin."

Nach und nach informierte der Computer Nanuk über den Stand der Dinge. Schweigend und nachdenklich nahm Nanuk die katastrophale Neuigkeit zur Kenntnis.

"Hast du bereits Nachrichten von Atlantis erhalten?" fragte er weiter.

"Tut mir leid, bisher besteht kein Kontakt zur Heimat."

Das war eine ganz schlimme Auskunft, die Nanuk da erhielt. Im schlechtesten Fall bedeutete dies nämlich, dass Atlantis sein Versteck nicht mehr erreicht hatte und nur die sieben Krieger auf der Erde übrig waren. Das wollte er aber vorläufig noch nicht annehmen.

Er streifte die düsteren Gedanken ab und gab seine nächsten Befehle. "Die Station muss schnellstens gefechtsbereit gemacht werden. Alle Maschinen anlaufen lassen und die notwendige Tarnung aktivieren. Aussetzen von drei Langstreckensonden. Und natürlich brauche ich angemessene Kleidung", fügte er belustigt hinzu.

"Sobald Jean Moureau, Ngori Sambu und Mary Campbell eingetroffen sind, bringst du sie unauffällig zu mir herab."

Aus einer Öffnung in der Seitenwand fuhr eine Platte heraus, auf der ein schwarzer Anzug lag. Nanuk ging zu ihm hinüber und zog die leichte Kleidung an. Sie bestand aus einem Teil und wurde wie ein Overall angelegt. Sie hatte allerdings auch die Fähigkeit, sich ihrem Träger perfekt anzupassen. Sie verschmolz mit Nanuks Körper, ohne ihn dadurch zu beeinträchtigen. Vervollständigt wurde Anzug durch einen breiten Gürtel mit unterschiedlichen Knöpfen an der Schnalle. Zuletzt streifte sich Nanuk noch einen Armreif über sein linkes Handgelenk.

Vom Display des Armreifs entnahm er kurz den technischen Zustand seines Anzugs. Voller Stolz erkannte er, dass er trotz der langen Zeit nicht gelitten hatte. Sein Volk hatte wahrhaftig den höchsten Grad wissenschaftlicher und technischer Reife erlangt. Ihm war kein anderes Volk in der Milchstraße bekannt, das sich auf einem so hohen Niveau befand. Seine unscheinbare Kleidung war schließlich ein perfekter Kampfanzug und gewährleistete das Überleben seines Besitzers auch unter extremsten Bedingungen.

Dies hatte Nanuk mehrfach am eigenen Leib erlebt und war froh, dass der Anzug heute noch funktionierte. Das breite Armband war nichts Anderes als sein Waffenarsenal. In den Bedienknöpfen seiner Gürtelschnalle waren die Steuereinheiten für den Schutzschirm, die Sauerstoffversorgung und die Nanoroboter für seine medizinische Versorgung untergebracht.

Von dieser Technik waren die Menschen auf der Erde noch Jahrtausende entfernt. Ihr Wissen war leider noch längst nicht so weit fortgeschritten, wie er und seine Kameraden dies nun brauchen würden.

Trotzdem spielten ‚seine Kinder‘ eine gewichtige Rolle in seinen Plänen. Schließlich mussten sie nicht unbedingt verstehen, wie die Maschinen und Gerätschaften der Atlanter funktionierten. Es genügte ihm vollauf, wenn sie sie im Notfall bedienen konnten.

Bedauerlicherweise hatten die Hüter der Erde aber nicht unendlich Zeit, um eine große Armee aufzustellen. Die Zeit war in dieser Auseinandersetzung ihr größter Feind. Vielleicht würde sich eines Tages herausstellen, dass der Notfallplan nicht ausreichend durchdacht war, weil sich sein Volk zu sicher gewesen ist.

Sphinx

Ngori war schon seit Stunden in der Wüste. Allmählich verzweifelte er beinahe, weil nichts geschah. Er wusste nur, dass es wichtig war, an dieser Stelle zu sein. Leider konnte er sich nicht erinnern, was der nächste Schritt sein würde.

Zwischendurch holte er sich einen kleinen Imbiss und zwei Flaschen Mineralwasser. Während er genussvoll in sein Sandwich biss, fiel ihm eine junge Frau auf, die ihn offensichtlich beobachtete. Er tat, als ob er sie nicht bemerkt hätte, schaute aber immer wieder unauffällig in ihre Richtung um sie ebenfalls zu beobachten.

So ging es mehrere Minuten, bis die Frau sich plötzlich auf ihn zu bewegte. Ohne zu fragen, nahm sie an seinem Tisch Platz, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und legte ihren Kopf auf die zusammengefalteten Hände.

"Ich glaube, wir beide haben eine Verabredung", sagte sie zu ihm. "Ja, das scheint mir auch so", erwiderte Ngori wie selbstverständlich. Keiner der beiden wunderte sich über ihr merkwürdiges Zusammentreffen.

"Wir müssen aber noch warten, bis wir vollzählig sind. Soweit ich weiß, fehlt noch eine Person", fuhr Ngori fort. "Stimmt", entgegnete dieses Mal die Frau. "Übrigens ist mein Name Mary. Und wie heißt du?"

"Komisch, jetzt, wo du mich fragst, merke ich, dass ich meinen richtigen Namen gar nicht kenne. Im Augenblick bin ich Ngori".

"Und ich bin Masaki, solange ich meinen ursprünglichen Namen ebenfalls noch nicht wieder weiß", mischte sich eine männliche Stimme aus dem Hintergrund ein.

Alle drei hatten ein warmes Gefühl tiefster Verbundenheit in sich. Sie wussten, dass sie schon sehr lange die besten Freunde waren.

Plötzlich spürte Ngori eine sanfte Berührung in seinem Kopf. "Haltet euch bereit. Sobald die Dämmerung heraufzieht, bringe ich euch an euer Ziel. Solange benehmt ihr euch bitte wie Touristen. Bleibt aber weiterhin abseits, bis ich mich wieder melde."

Die Dämmerung brach herein und die Touristenströme ließen nach. Die drei Berufenen hielten sich, wie vereinbart, abseits und warteten.

Und wieder erklang eine Stimme in Ngoris Kopf. "Es ist gleich soweit. Geht ans Ende der Sphinx und macht euch bereit".

Sie taten, wie ihnen gesagt wurde. Allmählich wurde Dunkelheit aus der Dämmerung und es war kein Mensch mehr weit und breit. Die letzten Führer und Polizisten hatten sich auch schon auf den Heimweg gemacht.

Jeder von ihnen wusste, dass ein Abenteuer auf sie wartete und so fühlten sie eine immer stärker werdende Aufregung und Nervosität in sich. Furcht hatte keiner von ihnen. Etwas sagte ihnen, dass sie für ihre Aufgabe gewappnet waren. Was es auch sei, sie waren bereit.

Wie auch bei Nanuk baute sich aus dem Nichts heraus ein leuchtender Bogen auf, der sie magisch anzog. Ausgerechnet Mary, die schwache Frau, fasste sich zuerst ein Herz und war verschwunden, kaum dass sie unter den Bogen getreten war. Ihre Begleiter folgten ihr auf dem Fuß.

Der Moment der Überraschung ging für sie auf der anderen Seite schnell vorüber. Sie sahen den Mann, der sie empfing, und wussten unverzüglich, dass er Nanuk, ihr Gefährte längst vergangener Tage war.

"Ich grüße euch, lang vermisste Freunde. Es freut mich, dass ihr die Zeiten überdauert habt. Gleichzeitig bin ich traurig, dass es kein besserer Anlass ist, der uns hier zusammenkommen lässt." Nanuk ging ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen und umarmte einen nach dem anderen.

So, wie es bereits Nanuk erfahren hatte, wurden sie sich ihrer wahren Persönlichkeit bewusst. Sie erinnerten sich an jedes Detail ihres vorherigen Lebens. Trotzdem beschlossen sie, weiterhin die Namen der Menschen zu benutzen. Wenigstens bis zur Rückkehr in ihre eigenen Körper, sofern sie noch existierten.

Ohne weitere Verzögerung übernahmen sie ihre Aufgaben, nachdem auch sie in ihre Anzüge gestiegen waren. Nun waren sie bereit. Aber wie stand es mit Notfall-Team 2? Eigentlich hätte es sich schon melden müssen. Gab es nur noch die Kameraden in der Hauptleitstelle unterhalb der Sphinx oder waren die anderen Helden in Machu Pichu nur aufgehalten worden?

Machu Pichu

Tausende Kilometer von Ägypten entfernt war man nicht untätig. Masaki, Sam und Mae bemühten sich nach Kräften, den Zugang zu ihrer Station zu finden. Sie glaubten sich zu erinnern, dass der Eingang bei der Intihuatana-Sonnenuhr gewesen ist. So umrundeten sie sie ein ums andere Mal und hofften, der Eingang würde sich endlich öffnen. Nichts dergleichen geschah.

"Vielleicht hat es in der langen Zeit unserer Abwesenheit einen Defekt gegeben?“ Mutmaßte Sam. "Oder wir haben alle drei falsche Erinnerungen an den Zugang", fuhr er fort.

"Das glaube ich beides nicht. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass hier der Eingang gewesen ist. Allerdings habe ich das untrügliche Gefühl, das wir etwas vergessen haben. Etwas müssten wir aktiv unternehmen, um dort hineinzukommen." Äußerte sich Masaki zu dem Thema.

Mae stand sehr nachdenklich hinter den Männern und fixierte die Sonnenuhr. Masaki hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie hatten den Öffnungsmechanismus vergessen. Dieser Gedanke führte sie langsam aber sicher zur Lösung. Mit einem Mal wusste sie, dass sie der Schlüssel des Ganzen war. Die Station durfte sie nämlich gar nicht ‚hereinbitten‘, weil sie damals beim Bau der Anlage genau dies verhindert hatten. Die Gefahr, dass es eines Tages einem Inka gelungen wäre, das Geheimnis der Sonnenuhr und der gesamten Tempelanlage zu lüften, wäre viel zu groß gewesen.

"Ich bin der Schlüssel", sagte sie zu ihren Freunden. "Nur durch mich werden wir jemals in die Station gelangen. Ich erinnere mich nur noch nicht, was meine genaue Aufgabe dabei ist."

Und wieder untersuchten sie das Gestein der Sonnenuhr. Dabei entdeckte Sam eine in Stein gehauene Figur. Mit etwas Fantasie stellte sie eine Frau dar. Sie breitete die Arme gen Himmel aus und um ihren Kopf schien eine Art Heiligenschein zu leuchten.

"Ich glaube, ich habe das Problem gelöst", wandte sich Sam an Mary. "Bist du nicht durch Geisteskraft hierher transferiert worden? Vielleicht musst du dich in die Station befördern und uns danach einen Eingang öffnen".

Das war es. Er hatte Recht. Mary erinnerte sich plötzlich wieder an jede Kleinigkeit. Auch an die unangenehme Empfangsprozedur innerhalb der versteckten Basis. Sie konzentrierte sich auf das Bild in ihrem Kopf und war gleich darauf in der Station. Wie erwartet, reagierte diese sofort und fesselte sie mit einem Kraftfeld an ihrem Platz. Ihr gesamter Körper begann zu kribbeln und zu brennen, als die Sicherheitseinrichtung sie vollständig scannte und bis hinab in ihre genetische Struktur durchleuchtete. Kein schönes Gefühl.

Sie rang das schlechte Gefühl nieder und sprach in den sich erhellenden Raum. "Mae Chung ist zurückgekehrt und erbittet Einlass für Sam „Big Bull“ und Masaki Oki." Sie wunderte sich, welche Kraft und Selbstsicherheit in ihrer Stimme lag. "Öffne den Torbogen und bringe die beiden herein."

"Jawohl, Herrin, wie ihr befehlt."

Mit dieser Antwort war sie zufrieden, zumal wenig später die beiden aus dem Nichts neben ihr materialisierten. Bei den Männern erfolgte keine weitere Untersuchung mehr, da sie durch die Befehlsgewalt Mae Chungs hereingelassen worden waren. ‚Und da heißt es immer, dass die Männer das starke Geschlecht sind,‘ dachte Mae ironisch bei sich. Sie hatte die Schmerzen ertragen und die Helden wurden quasi mit einer Sänfte hereingeholt.

Wie auch unterhalb der Sphinx wussten die Drei sofort, was zu tun war. Während Sam „Big Bull“ die Maschinen zum Leben erweckte, schickte Masaki Oki eine Botschaft ins ferne Ägypten. Mae Chung überprüfte in dieser Zeit die Verteidigungsanlagen und ließ für alle gleichzeitig die Kampfanzüge erscheinen.

Nachdem sich beide Teams abgestimmt hatten, versuchte Mae Chung die anderen computergesteuerten Stationen zu aktiveren. Zuerst meldete sich die Station innerhalb des Fudschijamas. Es folgten Rückmeldungen aus der Wüste Gobi und vom Mond. Nur die Marsbasis ließ nichts von sich hören. Sie wiederholte den Ruf zielgerechtet an die stumme Anlage. Nichts geschah.

Über den Ausfall verständigte sie unverzüglich Nanuk. Er hatte größere Befugnisse als sie und konnte die ausgefallene Einheit auf dem Mars durch ein zweites System reaktivieren. Tatsächlich gelang das nach wenigen Augenblicken. Allerdings war die Störungsmeldung, die der Hilfscomputer von der Marsoberfläche sandte, äußerst befremdlich.

"Der Ausfall der hiesigen Einheit ist auf das Fehlen des Zentralcomputers zurückzuführen." Vernahmen die sieben Krieger als Meldung.

Unfassbar. Wohin in Gottes Namen konnte denn ein elektronisch-biologisches Gehirn von der Größe eines Eisenbahnwaggons verschwinden? Dieses Rätsel galt es unbedingt zu lösen.

Die Planung der weiteren Schritte hatten sie schon vor Jahrtausenden erledigt.

Versorgung mit ausreichend Energie gewährleisten.

Kontrolle und Wartung sämtlicher Roboteinheiten.

Überprüfung der wenigen noch verbliebenen Raumschiffe.

Und zuletzt noch ein weltweiter Scan nach potenziellen Soldaten und anderen Helfern.

 

Unentdeckt von mehr als 6 Milliarden Menschen begann das Unternehmen "Rettung der Galaxis vor den Santori".

 

4. Kapitel – Mars

Ob sie wollten oder nicht, einer von ihnen musste sich auf den Weg zum Mars machen, um dem mysteriösen Verschwinden des Zentralcomputers auf den Grund zu gehen. Die Tatsache an sich, dass der Zweitcomputer die Leitung der Station übernommen hatte, war kein Problem. Er würde nach und nach dem Hauptsystem angeglichen werden und am Ende der Prozedur ebenso leistungsfähig sein.

Die Wahl fiel auf Jean Moureau, der ein hervorragender Pilot und Wissenschaftler war. Die Startvorbereitungen benötigten nur wenige Minuten. Er entschied sich für einen schnellen Jäger mit geringer Bewaffnung. Seine Stärken lagen eindeutig aufseiten der Geschwindigkeit und der Wendigkeit. Waffen waren in der momentanen Phase nicht so wichtig. Die Santori waren noch viel zu weit entfernt. Das kurze Stück zum Mars würde auch keine anderen Begegnungen mit sich bringen.

Jean Moureau nahm in der kleinen Maschine Platz und erledigte mit geübten Handgriffen die letzten Checks. Natürlich hätte er den Jäger auch vom Bordcomputer fliegen lassen können, aber ihm war die Gelegenheit zur Übung willkommen. Bald schon würde es wieder auf die Piloten alleine ankommen. Autopiloten waren Atlantern haushoch unterlegen, da sie keine überraschenden Manöver flogen.

Langsam kamen die Triebwerke auf Touren. Die Antischwerkraftregelung hob die Maschine knapp einen Meter über den Boden. Am Ende des Hangars öffnete sich eine Schleuse und Jean Moureau flog vorsichtig darauf zu. Bevor er die Station verließ, aktivierte er noch den Schutzschirm und machte den Jäger dadurch unsichtbar für menschliche Augen.

Sanft schwebte der wendige Jäger hinaus in die dunkle Nacht. In einer steilen Kurve zog die Maschine in den Himmel. Schnell war sie auf über 10.000 Meter Höhe. Der Pilot beschleunigte jetzt richtig. Sofort schossen die Triebwerke das kleine Schiff vorwärts. Die Geschwindigkeit stieg immer schneller und erreichte nach wenigen Minuten die halbe Lichtgeschwindigkeit.

Eine noch höhere Geschwindigkeit oder das Eintreten in den Hyperraum war aufgrund der geringen Entfernung von 228 Millionen km vollkommen unnötig. Selbst bei der augenblicklichen Reisegeschwindigkeit musste er spätestens nach 20 Minuten mit dem Bremsmanöver beginnen, wollte er nicht am Mars vorbeischießen.

Die geringe Flugzeit nutzte Jean Moureau und informierte sich noch einmal über die geheime Anlage auf dem Mars. Ursprünglich war sie als letzte Bastion gegen Eindringlinge erbaut worden und dementsprechend stark befestigt. Neben den mehrfach gestaffelten Schutzschirmen beheimatete sie die größten Offensivwaffen der Atlanter. Dies war nicht immer so gewesen.

Eigentlich war die stärkste Festung im Sonnensystem auf Titan, dem größten Mond des Saturns, gewesen. Diese Anlage fiel aber gegen die Santori, weil sie sich alleine gegen diesen mächtigen Angreifer nicht halten konnte. Damals griffen die Feinde mit einer Flotte von 2.000 Schiffen an und zerstörten die Verteidigungsanlage in weniger als einer halben Stunde.

Sein Volk lernte aus diesem herben Verlust. Fortan wurden die Verteidigungslinien enger um die Erde gezogen, sodass sich die atlantischen Festungen und Raumschiffe gegenseitig schneller zur Hilfe kommen konnten.

Einige Millionen Kilometer vor seinem Ziel schaltete Jean Moureau auf Negativbeschleunigung und schwebte Augenblicke später sanft in eine Umlaufbahn um den Planeten. Nach einer halben Umkreisung ging er in den Sinkflug in Richtung der Marsstation. Auf dem Anflug zum Hangar sendete er das Authentifizierungssignal der atlantischen Flotte.

Mitten in der kargen Marslandschaft öffnete sich eine große, runde Einflugschneise. Mit geringster Geschwindigkeit sank der Raumgleiter hinab. Mehrere Hundert Meter tiefer war bald schon der metallische Boden zu sehen. Jean Moureau ließ seine Maschine in eine leichte Rechtskurve gehen und landete in knapp 50 Meter Entfernung von der Einflugluke. Er schaltete alle Triebwerke ab und verließ das Raumschiff.

Schnellen Schrittes machte er sich auf den Weg in die Kommandozentrale. Unzählige flackernde Kontrollleuchten und leichte Summ-Geräusche bewiesen ihm, dass der Hauptcomputer schon bei der Arbeit war. Darum brauchte er sich nicht mehr zu kümmern. Seine Aufgabe war das Rätsel des vorherigen Computers zu lösen.

Er nahm vor einem Nebenterminal Platz und forderte die Berichte des Zentralgehirns an. Beginnen sollte die Station mit der unmittelbaren Zeit nach Ende der großen Schlacht. Etliche uninteressante Aufzeichnungen wurden ihm vorgespielt.

"Computer, Stopp! Vorwärts fahren bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Zentraleinheit aufgehört hat, die Aufzeichnungen fortzuführen", befahl er deshalb.

Zuerst erschien ein Eintrag, dass alle Berichte zukünftig vom zweiten Computer übernommen würden. Dann wurde es allerdings interessant.

"Letzter Eintrag des Zentralgehirns", begann ein neuer Report. "Aufgrund der latenten Bedrohung durch Invasoren habe ich den Entschluss gefasst, mich selbst und einige Montageroboter aus der Station zu entfernen. Mein Ziel ist die Erbauung eines neuen Mutterschiffs, um eventuellen Angreifern besser entgegentreten zu können. Das Verschwinden meiner Erbauer lässt nur den Schluss zu, dass es sie nicht mehr gibt. Daraus ergibt sich ebenfalls zwingend, dass ich die mir gestellte Aufgabe der Verteidigung alleine erledigen muss."

"Computer gibt es Berichte über den Exodus deines Vorgängers?" Fragte Jean Moureau deswegen bei dem Zentralgehirn an.

Nach einer längeren Pause kam die Antwort. "Es gibt einen Eintrag mit höchster Sicherheitsstufe, den ich nicht öffnen kann. Er muss von einem Oberbefehlshaber mit dem gültigen Sicherheitscode geöffnet werden. Ich überspiele die Datei an deine Konsole."

Auf dem Bildschirm erschien eine Eingabemaske für den geforderten Code. Jean Moureau tippte die 40-stellige Kombination aus Zahlen, Zeichen und Buchstaben ein. Danach öffnete sich eine Textdatei, die Jean Moureau aufmerksam studierte. Mit jeder Zeile wurde seine Stimmung besser. Am Ende des Dokuments stand der entscheidende Hinweis.

"Computer öffne einen gesicherten Kanal unter der Frequenz Alpha22-234", forderte der Wissenschaftler daraufhin.

"Kanal steht", bekam er zur Antwort.

"Hier spricht Jean Moureau, Oberbefehlshaber der 2. Flotte. Erbitte Antwort auf dieser Frequenz."

Zuerst war nur Rauschen und Knacken im Lautsprecher zu hören. Dann kam die heiß ersehnte Erwiderung. "Hier ist das Flaggschiff Hera. Ich habe sehr lange auf dich gewartet."

"Wo bist du und wie kann ich dich erreichen?" War seine nächste Frage.

"Aus Gründen der Tarnung befinde ich mich momentan im Asteroidengürtel. Dank deiner Rückkehr übergebe ich die Befehlsgewalt an dich. Ich erwarte deine weiteren Befehle."

"Wir treffen uns in einer Stunde oberhalb des marsianischen Nordpols. Ich bin schon sehr gespannt auf dich - Ende", entgegnete Jean Moureau zum Schluss.

Während der Wartezeit inspizierte er die gesamte Basis und fand sie in bestem Zustand. Sowohl die Lager für die Besatzung waren gefüllt, als auch die Arsenale. Zu seiner Freude erkannte er auf der Inventarliste sogar 1.000 einsatzbereite Raumgleiter, die entweder durch Roboter oder menschliche Piloten geflogen werden konnten. Selbst die Materiallager waren randvoll. Die Weitsicht seiner Leute hatte sich wiederum bewährt. Autonome Niederlassungen, die Lebensmittel und Trinkwasser selbst gewinnen oder herstellen konnten, waren gerade in Krisenzeiten eminent wichtig. Zusätzlich konnte jede Anlage mittels perfekter Nano- und Robotertechnik beinahe alles in kürzester Zeit herstellen, was gebraucht wurde.

Voller Ungeduld stürzte sich Jean Moureau in sein kleines Raumschiff und flog Richtung Nordpol. Dort nahm er in 30 km Höhe eine Parkposition ein. Aufmerksam beobachtete er seine Ortungsgeräte, um das neue Flaggschiff der Erdflotte nicht zu verpassen. Und doch wurde er vollkommen überrumpelt. In einigen Kilometer Entfernung materialisierte plötzlich ein riesiges Objekt. Es verdunkelte den Sternenhimmel auf großer Fläche. Unwillkürlich drückte Jean Moureau den Alarmknopf und versetzte seinen Gleiter in höchste Alarmbereitschaft.

„Hier ist die Hera“, ertönte eine Stimme in seinem Cockpit. „Wir werden dich unverzüglich an Bord holen.“

Er registrierte, wie sein Flugobjekt sanft auf das riesige Schiff zugezogen wurde. Ungläubig ließ er die Daten seiner Ortung auf sich wirken. Die Hera war unfassbare 11 km lang, bei einer durchschnittlichen Breite von 3,5 km und einer Höhe von 2,5 km. Ihre Grundform war ein leichtes Oval. Aus großer Entfernung sah sie auf den ersten Blick wie ein amerikanischer Football aus.

Beim Anflug auf das Basisschiff fielen Jean Moureau unzählige Vertiefungen, technische Elemente und Kuppeln auf. Die Farbe war ein tiefes Schwarz, welches von zahlreichen Lichtern in unterschiedliche Bereiche unterteilt wurde.