Auf dem Strom - Hermann Schulz - E-Book

Auf dem Strom E-Book

Hermann Schulz

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Beschreibung

Fünf Tage Auf dem Strom sind mehr als ein ganzes Leben. Als der Missionar Friedrich Ganse nach einer Reise nach Bujora zurückkehrt, ist seine Frau Eva tot und seine Tochter Gertrud lebensgefährlich erkrankt. Der herbeigeeilte Schamane des afrikanischen Dorfes hilft Gertrud mit seinen Heilkünsten, und doch sieht er nur einen Weg, das Leben des Kindes zu retten: Vater und Tochter müssen die lange Fahrt mit dem Boot flussabwärts auf sich nehmen, damit Gertrud im Krankenhaus behandelt werden kann. Fünf Tage und fünf Nächte ist er mit dem Kind unterwegs. Unterbrochen wird ihre Fahrt mit dem Boot durch kurze Landgänge, bei denen der Missionar die Anwohner des Flusses kennenlernt und ihre Hilfe erfährt. Es wird eine gefährliche Reise, die ihn für immer verändert. Und Gertrud das Leben rettet.

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Seitenzahl: 144

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Hermann Schulz

Auf dem Strom

Bilder von Wolf Erlbruch

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

 

 

 

 

Für Wilhelm und seine Töchter

Margret und Hildegard

 

 

1.

Die Papageien drängten sich in den Schatten der oberen Zweige, denn sie mochten die Sonne nicht. Sie warteten auf den Regen, um ihr Gefieder zu putzen. Manche Äste hatten sie mit ihren Krallen und Schnäbeln, ihrem Kot schlimm zugerichtet. Sie schnarrten und schimpften wie alte betrunkene Männer, auf die niemand hört. Gelangweilt blickten sie auf den Bahnhofsvorplatz von Kigoma, der in der Mittagsglut menschenleer vor sich hin döste.

Wenn die große Hitze einsetzte, packten die Händler ihre Waren auf klappernde Holzkarren und zogen in die Seitenstraßen der Stadt. Nur unter den schattenreichen Bäumen hofften noch einige auf Kunden, zählten die Einnahmen des Tages oder schliefen ein bisschen, ebenso wie die Reisenden, die auf die Ankunft ihres Zuges warteten. Sie lagen auf ihren Gepäckballen und Taschen oder spielten Karten, um sich die Zeit zu vertreiben. Wie viel Zeit bis zur Ankunft des Zuges vergehen würde, wusste niemand genau, denn die Züge fuhren nach keinem Fahrplan, auf den man sich hätte verlassen können. Eine normale afrikanische Stadt in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts.

 

Der Tag, an dem die Geschichte anfängt, begann mit strahlender Sonne an einem wolkenlosen Himmel. Schon am frühen Morgen hatten die Engländer die Händler vertrieben und den Platz gesperrt. Sie bereiteten eine Militärparade vor, die sie hin und wieder veranstalteten, wenn der in London erfundene Dienstplan es forderte. Sie wollten den Einwohnern der Stadt zeigen, wer das Land regierte.

Jetzt traten die Soldaten in festlichen Uniformen an, und in einem feierlichen Akt wurde die Flagge des britischen Weltreiches aufgezogen. Der Flaggenmast stand fast auf der Mitte des Platzes. Unmittelbar vor den alten mächtigen Rundbogen des Bahnhofes von Kigoma hatten gut Hundert Soldaten Aufstellung genommen. Sie standen bewegungslos stramm, als der Trompeter sein feierliches Signal blies.

In gehörigem Abstand, hinter einer Absperrung, sahen sich die neugierigen Bewohner von Kigoma das Spektakel an. Unter ihnen war kein weißes Gesicht auszumachen und auch kein Tropenhelm, wie er von Europäern und Indern getragen wurde. Den Schwarzen schien die Hitze nicht so viel auszumachen wie den strammstehenden Soldaten, denen der Schweiß in Strömen rann und die Uniformen durchnässte. Die Gesichter der weißen Männer waren auffallend gerötet. Die Afrikaner aber schienen ihren Spaß an dieser Demonstration von Macht und Stärke zu haben. Was sie wirklich dachten, war ihren Gesichtern nicht anzumerken.

Die Menge der Zuschauer war fast unübersehbar und reichte bis in die Straßen hinein, die auf den Platz mündeten. Die Menschen standen dicht an dicht und waren doch in Bewegung, denn jeder suchte eine gute Sicht auf das für sie recht rätselhafte Geschehen vor dem Bahnhof. Die Kinder drängten sich zwischen den Beinen der Erwachsenen hindurch, bis sie die vorderste Reihe erreicht hatten und den guten Platz nur noch gegen ihresgleichen verteidigen mussten. Es war stickig da unten, und sie riskierten Fußtritte und Rempeleien, aber die gute Sicht lohnte alle Unbequemlichkeiten.

Da drängte sich plötzlich jemand durch die Menge. Der Mann, der das so zielstrebig tat, als habe er einen Auftrag auszuführen, trug eine abgewetzte halblange Hose und hatte weder Schuhe noch Hemd an. Geduldig bahnte er sich den Weg nach vorn, freundlich, aber bestimmt um Durchlass bittend. Niemand schenkte ihm besondere Beachtung, denn das Gedränge war allgemein und die wenigsten Männer hatten ein Hemd an. So teilte er die Menge und kam langsam bis an die vordere Reihe der Neugierigen.

Später, bei den polizeilichen Befragungen, erinnerte sich niemand daran, woher er gekommen war, so eindringlich es die Kolonialbeamten auch herauszufinden versuchten.

 

Der Mann konnte das Geschehen von seinem Platz aus gut überblicken. Der Trompeter hatte sein Signal beendet, und die britische Flagge hatte gerade die Spitze des Mastes erreicht. Sie bewegte sich kaum, denn die Luft stand still in der Hitze des Mittags. Ein paar Geier umkreisten träge hoch oben den Platz, so als lauerten sie auf Beute.

Der Soldat, der die Fahne hochgezogen hatte, trat zurück, salutierte und reihte sich in seine Kompanie ein. Der Trompeter setzte sein Instrument an die Lippen und blies ein kleines, munteres Signal. Die Soldaten standen mit unbewegten Gesichtern und warteten auf das Ende der Zeremonie. Sie wollten zurück in die schattige Kaserne und zurück zum Bier.

Was nun folgte, geschah so schnell, dass es nur langsam in das träge Bewusstsein der gelangweilten Soldaten sickerte. Der schwarze Mann aus der vorderen Reihe der Zuschauer rannte über den Platz auf die Fahnenstange zu und kletterte hoch. Er war sehr geschickt, benutzte sicher Hände und Füße und hatte in wenigen Augenblicken die Spitze des gefährlich schwankenden Mastes erreicht. Noch bevor sich Soldaten und Gaffer von der Überraschung erholt hatten, riss er die Flagge aus der Halterung und stopfte sie in seinen Hosenbund. Jetzt schrie der kommandierende Korporal und fuchtelte wild mit seinen Armen. Die Reihen gerieten durcheinander, aus der Menge hörte man erste Pfiffe, Rufe, hohe Triller und Gelächter. Einer der Soldaten versuchte den Mast zu erklimmen, sackte aber nach einem ersten matten Versuch auf den Boden zurück.

Der Schwarze kümmerte sich scheinbar nicht um den Tumult auf der Erde. Er begann den Mast mit seinem Körper in schwingende Bewegung zu versetzen. Immer weiter bog sich die Stange. Die Menge hielt den Atem an, was hatte der Mann vor, wann würde der Mast brechen? Man glaubte, das Sausen der immer schneller schwingenden Stange zu hören, die wie ein elastischer Peitschenstiel war, aber schon bedrohlich ächzte – bis der Mann sich löste und, Hände und Füße vorgestreckt, fast zwei Meter weit durch die Luft flog und in die äußeren Äste eines riesigen Banyanbaumes krachte. Die Papageien schrien entsetzt und flogen auf. Es war noch das Brechen von Zweigen zu hören, und schon war der Mann im dichten Blattwerk verschwunden.

Es folgten eine angespannte Stille und Ratlosigkeit. Der Korporal rannte vor seinen Soldaten auf und ab und versuchte sie mit Geschrei wieder in eine ordentliche Reihe zu bringen. Schließlich gab er es auf und befahl, die herandrängende Menge zurückzuhalten. Ein paar Soldaten richteten ihre Gewehre auf die Menschen, ein paar Schüsse in die Luft wurden abgegeben, bis wieder so etwas wie Ordnung eintrat.

Der Korporal pflanzte sich nun vor dem dicken Baumstamm auf und schien zu warten, dass der Schwarze herabsteigen würde. Aber im Baum rührte sich nichts. Er schrie englische Befehle in das dichte Laubwerk, aber schon übertönte das Gelächter der Menschen seine Stimme. Sie applaudierten.

Das schien den Korporal auf eine geheimnisvolle Weise zu beruhigen. Er winkte einem Soldaten.

»Holen Sie diesen Affen runter. Wir werden denen mal zeigen, wer hier das Sagen hat.«

Der Soldat machte Anstalten, sich an den herabhängenden Luftwurzeln hochzuhangeln.

»Aber nun lassen Sie doch um Gottes willen Ihr Gewehr unten«, schrie der Korporal und riss die Flinte an sich. Es trat wieder angespannte Stille ein, man hörte nur das Fluchen des Soldaten und das Brechen von Ästen.

Bei den Schwarzen wurden über den Ausgang des Abenteuers erste Wetten abgeschlossen.

»Wo sind Sie? Sehen Sie ihn?«

Der Soldat antwortete nicht, aber man hörte sein Schnaufen.

»Ich bin fast ganz oben, aber hier ist er nicht«, schrie er schließlich.

»Kommen Sie ja nicht ohne ihn …«

Weiter kam der Korporal nicht, denn unvermutet ließ sich der Schwarze von den unteren Ästen seelenruhig an den Wurzeln herab und stand aufrecht vor dem Befehlshaber. Der versuchte sofort nach dem am Baumstamm abgestellten Gewehr zu greifen. Aber der Schwarze stand im Wege. Er war unentschlossen, rechts oder links an ihm vorbeizuhasten. Der Schwarze schien ihm sogar den Weg frei zu machen, was ihn noch mehr verwirrte. Wieder gab es Gelächter und Beifall unter den Zuschauern. Die Soldaten standen in Reih und Glied, als ginge sie das alles nichts an; niemand von ihnen schien auf den Gedanken zu kommen, dem Vorgesetzten aus seiner unangenehmen Lage zu helfen.

»Richtet die Gewehre auf den Mann«, schrie er schließlich. Hundert Gewehre waren plötzlich auf den Befehlshaber und den Schwarzen gerichtet. Der hob die Arme, um sich zu ergeben.

Da hörte man aus dem Baum die Stimme des Soldaten:

»Hier ist er tatsächlich nicht, Sir!« Brausendes Gelächter antwortete aus der Zuschauermenge. Die Menschen schlugen sich vor Vergnügen auf die Schultern und bogen sich schier vor Lachen.

»Verflucht, kommen Sie runter, Sie Esel!«

Der Schwarze wurde abgeführt, die Menge verlief sich. Für die kleine Stadt war es ein Ereignis. Die ungeliebten Kolonialherren wurden auf den Märkten und in den Häusern verhöhnt, während der Korporal einen sehr unfreundlichen Anraunzer seines Vorgesetzen über sich ergehen lassen musste.

Der Mann, der die Flagge des britischen Weltreiches beleidigt und die Ordnung der schönen Parade auf so unglaubliche Weise gestört hatte, landete in einem unkomfortablen Gefängnis. Die Demütigung der Ordnungsmacht aber wurde zum Gesprächsstoff, der von Dorf zu Dorf weitergetragen wurde.

 

Was immer auch in Kigoma und der Umgebung geschah, gelangte auf geheimnisvolle Weise sehr schnell an den Königshof. Niemand kannte die Zuträger, Spitzel oder Vertrauten. Die bescheidenen aus Holz und Lehm errichteten Gebäude, die der junge König Usimbi mit seinen Frauen und seiner Dienerschaft bewohnte, lagen vor den Toren der Stadt. Es verging aber weniger als eine halbe Stunde, da wusste Usimbi schon alle Einzelheiten der Ereignisse.

Er machte sich Sorgen um seinen Untertan und den Frieden im Land. Er saß nachdenklich und allein im Schatten eines großen Laubbaums vor seinem Haupthaus, ließ immer wieder einen Speer durch die Hände gleiten – und traf eine Entscheidung. Er würde einen Freund um Hilfe bitten.

2.

Dieser Freund, er hieß Friedrich Ganse und war Missionar, saß wenige Tage später im Dorf Bukindo und starrte in den Regen. An die Fortsetzung der Rückreise nach Bujora war nicht zu denken, denn die Wege waren von starken Regenfällen aufgeweicht und unpassierbar geworden.

Es war richtig gewesen, nach Kigoma zu fahren. Die britischen Kolonialherren hatten einen Schwarzen verhaftet und den König wissen lassen, sie würden ihn hinrichten, denn er habe sich aufständisch verhalten und die Fahne des britischen Weltreiches entehrt.

Usimbi hatte vor den britischen Offizieren versucht, das Geschehen als einen unbedachten Streich darzustellen, dem man keine politische Bedeutung beimessen könne. Eine harte Bestrafung würde den Frieden mehr stören, als es angemessen sei. Niemand sei doch wirklich zu Schaden gekommen, das sei zu bedenken.

Die Engländer hatten ärgerlich reagiert. Eine Beleidigung der Fahne sei keine Kleinigkeit, man müsse den Anfängen wehren. Dann hatten sie ihn fortgeschickt. Der König wusste sich keinen Rat und hatte schließlich den Missionar um Hilfe gebeten, denn Friedrich Ganse war ein ruhiger, besonnener Mann, den die Engländer achteten, auch wenn er Deutscher war. Ganse, so wusste man, hielt sich aus den politischen Diskussionen und Händeln heraus, denen sich die meisten Weißen im Land aus purer Langeweile mit Leidenschaft und Klatschsucht widmeten.

Am frühen Morgen war ein Läufer des Königs Usimbi in der Missionsstation eingetroffen und hatte ihm eine geheimnisvolle Nachricht geschickt. Sie war mit Bleistift in der Handschrift des Königs auf dem königlichen Briefbogen geschrieben. Friedrich würde in einer lebenswichtigen Angelegenheit gebraucht und möge bitte sogleich nach Kigoma aufbrechen. Friedrich hatte auf den Brief gestarrt. Er kannte die ungelenke Handschrift des Königs und seinen Briefbogen, der mit dem Bild einer vornehmen Dame in langem Gewand auf einer Otomane liegend verziert war. Daneben der gedruckte Name: Mwami Usimbi, Kigoma.

Der Brief war offensichtlich in großer Eile geschrieben worden, sein dringlicher Ton ließ vermuten, dass dem König die Angelegenheit wichtig war.

Usimbi rief ihn nie ohne triftige Gründe. Also hatte sich Ganse ohne Zögern, aber unruhig wegen seiner Familie, auf den Weg gemacht. Seiner Frau und seiner kleinen Tochter war es in den letzten Tagen nicht gut gegangen. Sie hatten Fieber oder eine Infektion, vielleicht nur Kleinigkeiten, wie sie in den Tropen häufig vorkommen, aber doch ein Grund, sich Sorgen zu machen.

 

Der Missionar war von kleiner, untersetzter Statur. Seine Haare waren immer kurz geschnitten, dicht und dunkel. Meist stand ein verlegenes schiefes Lächeln auf seinem bäuerlichen, glatt rasierten Gesicht, und die Bewegungen seiner großen Hände wirkten linkisch. Er war ein frommer Mann, der seinem Beruf mit einer gewissen Verbissenheit nachging. Die Weißen in Kigoma witzelten, selbst der Bischof würde nach Ganses Predigten in sich gehen und Buße tun. Die Leidenschaft, mit der er zu predigen vermochte, stand in einem krassen Gegensatz zu der Bescheidenheit, mit der er auftrat, sei es, dass nur der Glaube in ihm Feuer entfachte, sei es, dass er sein Temperament im Alltagsleben verborgen hielt.

Die ihn gekannt haben, berichten auch davon, dass er ein gerechter Mann und ein besonnener, aber mutiger Jäger war und die Dörfer der Umgebung von Bujora vor den gefährlichen Raubkatzen schützte, die Ziegen rissen und auch Erwachsene und Kinder angriffen.

Als der Missionar mit dem Motorrad Kigoma erreichte, war er, ohne Zeit zu verlieren, zum Hof gegangen, um den König und seine Familie zu begrüßen. Die Wächter öffneten die Sperre der hohen Umfriedung aus geflochtenem Bambus, und er schritt über den gefegten Hof in die kühlenden Schatten der Bäume, die weit über das Haupthaus ragten. Über dem Eingang des hohen hölzernen Gebäudes waren als Schmuck und Hoheitszeichen Leopardenfelle befestigt. Usimbi war in einer Weise aufgeregt, wie ihn Friedrich selten angetroffen hatte. Sorge um den verhafteten Mann war in sein jugendliches Gesicht geschrieben, aber er begrüßte Friedrich mit einem warmen Lächeln. Sie setzten sich auf die geschnitzten Hocker in den Schatten. Der König begann erst zu sprechen, nachdem eine seiner Frauen dem Gast ein Glas mit einem kühlen Getränk gebracht hatte. Das Essen hatte Ganse abgelehnt.

»Die Engländer haben ihn gefragt, was ihm einfiele, ihre Flagge herunterzuholen. Darauf hat der Mann ruhig geantwortet, was ihnen, den Engländern, einfiele, in seinem Land ihre Flagge aufzuziehen. Das haben sie nicht gerade gern gehört, wie du dir denken kannst.«

Er lachte unvermittelt und schlug dem Missionar freundschaftlich auf das Knie.

»Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte das Ganze angezettelt, um sie zu provozieren. Das ist natürlich Unsinn.«

»Und was soll ich tun?«, fragte Ganse.

»Sprich mit ihnen. Sie haben große Achtung vor dir. Ich möchte nicht, dass sie den Mann hinrichten. Ich fürchte, uns bleibt wenig Zeit, das zu verhindern.«

»Ist er einer deiner Freunde?«

»Ich kenne ihn nicht.«

Friedrich leerte das Getränk mit einem Zug und stand auf.

»Ich komme zurück, wenn ich mit ihnen habe sprechen können. Ich bin nicht sicher, ob ich dir helfen kann. Aber ich werde alles tun, was in meiner Kraft steht.«

Er hatte mit raschen Schritten den Hof verlassen und war zu Fuß zum Offizierskasino gegangen, das auf einem Hügel oberhalb der Stadt gelegen war. Von hier hatte er einen freien Blick über den Tanganjikasee. Obwohl er den Kopf voller Sorgen hatte, hielt er einen Augenblick lang inne, sah auf die Fischerboote hinab und auf die Vögel, die sich im Wasser spiegelten. Am Ufer standen Silberreiher im Schilf. Im Norden erhoben sich die Berge von Uha, ein blauer Nebel lag über ihren fruchtbaren Feldern. Hier war es schön.

Ein halbes Dutzend Offiziere saßen bei offenen Fenstern um einen Tisch herum und tranken Bier. Friedrich trat ein. Er musste seine Schüchternheit überwinden, die ihm von jeher zu schaffen machte. Sie riefen ihn heran und luden ihn ein, etwas mit ihnen zu trinken, aber er lehnte freundlich ab, er sei in Eile, wolle vielleicht noch am gleichen Tag aus Sorge um seine Familie zurück nach Bujora, ob er mit ihnen über den Vorfall vom Vortage sprechen könne. Er brauche für das Gespräch nur ein paar Minuten, wenn sie so freundlich sein möchten …

»Niemand ist hier in Eile«, sagte der rotgesichtige Leutnant lachend, »wir sind hier in Afrika, guter Mann. Setzen Sie sich nur.«

»Ich bin hier wegen des verhafteten Mannes, der Sie provoziert hat«, begann er, »die Sache mit der Flagge …« Die Männer blickten schweigend und ein wenig betreten auf ihre Gläser. Friedrich Ganse wusste, die Engländer mochten keine Schwierigkeiten mit den Schwarzen, schon gar nicht solche, über die überall geredet würde, vielleicht sogar über die Grenzen des Landes hinaus.

»Man könnte das Ganze als einen Scherz hinstellen, einen unbedachten, dummen Streich«, fuhr er fort, »Sie könnten ihn ermahnen und einfach laufen lassen, das würde einen guten Eindruck machen, denn der Mann hat eine Familie zu versorgen.«

Die Familie hatte Friedrich erfunden, denn am Königshof wusste man nichts über den Mann.

»So sind sie alle, viel zu viele Kinder, wie die Kaninchen«, höhnte einer der Offiziere. Die anderen stimmten mit Gelächter ein und riefen nach Bier. Es schien, als sei das Thema damit erledigt. Aber Friedrich ließ sich so leicht nicht abweisen. Er setzte sich nun doch zu ihnen und redete etwas mühsam weiter, weil die meisten inzwischen dem Bier mehr Aufmerksamkeit schenkten als ihm. Er würde hartnäckig bleiben, das schuldete er sich und dem König. Sollte er Bier mit ihnen trinken? Würde sie das versöhnlicher stimmen?

Während er vorsichtig weiterredete und gleichzeitig überlegte, welche Taktik er einschlagen sollte, unterbrach ihn der Leutnant und blickte ihn aus geröteten Augen an.

»Lassen Sie es gut sein, frommer Mann, ich werde den Fall prüfen. Sie wissen, wir wollen keinen Ärger. Aber sagen Sie Ihrem schwarzen Fürsten, er soll dafür sorgen, dass seine Leute keinen Unsinn mehr veranstalten. Wir können andere Saiten aufziehen – und ob wir das können! Davon kann er gerne Proben haben, glauben Sie mir.«

Er lachte.

»Vielleicht«, er bewegte nachdenklich seinen großen roten Kopf mit den schütteren rötlichen Haaren, »vielleicht drücken wir diesmal noch ein Auge zu und lassen den Kerl laufen. Ja, wir prüfen das. Versprochen!«