Mandela & Nelson. Das Rückspiel - Hermann Schulz - E-Book

Mandela & Nelson. Das Rückspiel E-Book

Hermann Schulz

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Beschreibung

So ein Spiel hatte Bagamoyo, der kleine Fischerort an der Küste Tansanias, noch nicht gesehen. Elf Spieler aus Deutschland, Jungs im Alter zwischen 12 und 13 aus dem Ruhrgebiet, sind nach Afrika gekommen, um die Mannschaft von Bagamoyo herauszufordern. Bagamoyo gewinnt. Ein halbes Jahr später landen Nelson und seine Mannschaftskameraden in Dortmund, um die neuen Freunde wiederzutreffen und das Rückspiel auszutragen. Revanche muss sein!

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Veröffentlichungsjahr: 2013

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- und strafrechtlich verfolgt werden.www.aladin-verlag.de © 2013 by ALADIN GmbH, 22765 Hamburg Umschlagillustration und Vignetten: Jörg Mühle Lithografie: Margit Dittes Media, Hamburg E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-8489-6001-9

Falls du dich fragst, warum die Spieler und Spielerinnen vom Saadani-Fußballclub noch spätabends in einem Restaurant am Strand von Bagamoyo herumhingen: In meinem Bericht Mandela & Nelson. Das Länderspiel habe ich euch davon erzählt. In allen Einzelheiten. Was wir in knapp einer Woche alles zu erledigen hatten. Wie wir für das Spiel gegen die deutsche Turniermannschaft den Platz hergerichtet haben. Denn der war, ehrlich gesagt, in einem jämmerlichen Zustand. Unser Selbstvertrauen auch. Immerhin sollten wir gegen eine deutsche Mannschaft mit richtigem Trainer und allem Drum und Dran antreten. Wir ließen uns davon aber nicht unterkriegen! Das Spiel war bis zur letzten Minute, als Yakobo das Siegtor schoss, ein richtiges schwarz-weißes Volksfest.

Nun saßen wir in der Traveller’s Lodge und feierten. Wir, das waren wir Spieler, die Trainer und jede Menge Gäste. Helen, die blonde Chefin des Hauses, hatte mit ihren Leuten alle Hände voll zu tun. So rappelvoll hatte sie die Bude selten.

Als wir die Teller leer geputzt hatten und nur noch glücklich und müde herumhingen, wusste ich noch nicht, dass sich mit dem Ende des Tages zugleich ein neues Abenteuer ankündigte. Und was für eines!

Vom Strand her hörte man ein Durcheinander von Trommeln, Gelächter und Gesang aus dem Dunkeln. An vielen Stellen brannten Feuer in alten Öltonnen. Überall eine super Stimmung nach dem großen Spiel. An den Tischen im Restaurant hingen die Fußballspieler beider Mannschaften herum und quatschten in allen Sprachen miteinander. Hauptsächlich aber mit Händen und Füßen. Einige kleine Kinder wollten die Gelegenheit nutzen, noch einmal ängstlich die weiße Haut einiger Spieler zu betatschen. War die wirklich so hell – oder bloß angestrichen? Am Tresen und im Garten drängten sich mindestens hundert Leute, Mama und Papa mittendrin.

Wir feierten das Spiel unserer Mannschaft aus Bagamoyo gegen eine Jugendauswahl aus Deutschland. Fünf zu vier war der Endstand. Aber das Ergebnis war jetzt Nebensache. Ich hatte als Spielführer mit dem deutschen Trainer Willi noch ein paar Fragen zu klären. Aus dem gut gelaunten Hexenkessel kriegte ich deshalb nur am Rande mit, was so alles passierte.

Hanan hatte sich mit dem türkisch-deutschen Torwart Soner in den Garten verzogen. Vermutlich wollte unsere Abwehrspielerin auch mal in die Offensive gehen. Oder unbedingt Türkisch von ihm lernen. Ich hatte bisher nicht gewusst, dass man beim Sprachunterricht unbedingt Händchen halten muss. Aber das ging mich ja nichts an.

Plötzlich hatte meine Zwillingsschwester Mandela rote Leggins an, darüber das Trikot in unseren Landesfarben. Keine Ahnung, wie sie so schnell an frische Klamotten gekommen war. Ich ahnte, was kommen würde.

Hanifa besprach mit Helen am Tresen die passende Musik. Wenn ich nicht so beschäftigt gewesen wäre, hätte ich das gern selber gemacht.

Da wummerte es auch schon aus den Lautsprechern, und Mandela legte los. So ein Solo siehst du auch in Afrika nicht alle Tage! Unter einem Wahnsinnsbeifall tanzte sie zehn Minuten lang auf dem Tisch um Teller und Gläser herum. Ohne etwas zu zerdeppern. Es war großartig, was sie da zeigte! Ein solches Publikum lässt sich eine Mandela Kitumbo nicht entgehen.

Trotz ihrer hohen Konzentration musste sie mitgekriegt haben, dass auch der deutsche Trainer Willi und ich begeistert zuguckten. Wir hatten die ganze Zeit miteinander getuschelt. Hätte mich auch sehr gewundert, wenn sie nicht scharf darauf gewesen wäre zu erfahren, was wir so Wichtiges zu bereden hatten. Ich kannte doch meine neugierige Schwester. Es war nur eine Frage der Zeit, dann würde sie einen Vorwand finden, mich oder Willi auszuhorchen.

Ganz nebenbei möchte ich hier erwähnen, dass ich, Nelson Kitumbo, nicht nur als Fußballer, sondern auch als guter Tänzer allgemein anerkannt bin. Aber sie hatte den perfekten Riecher für den richtigen Auftritt im richtigen Moment. Ich hielt mich aus Bescheidenheit eher im Hintergrund. Eine Eigenschaft, die in Mandelas Wortschatz nicht vorkam. Aber was soll’s! Man muss seine Schwester nehmen, wie sie ist. Wir waren trotzdem ein verdammt gutes Gespann.

Trainer Willi, der zugleich der Schiedsrichter des Spiels gewesen war, hatte sich schon geduscht und umgezogen. Seine roten Haare klebten noch nass am Kopf. Wir hatten uns ausführlich darüber unterhalten, warum er das letzte Tor eigentlich nicht hätte geben dürfen.

Da stand Mandela plötzlich an unserem Tisch, ihr Trikot klebte vom Schweiß am ganzen Körper. Es war zwar schon spät, aber immer noch heiß. Nur ein leichter Wind vom Meer raschelte im Dach aus Palmstroh. Vom Ozean hörte man das Rauschen der Wellen, wenn es nicht vom Gelächter der Leute übertönt wurde. Mandela verscheuchte die kleine Rotznase Sam Njuma und flüsterte Nicki zu, ob er ihr eine Cola besorgen könnte. Ein Kuss auf seine Backe, sofort sprang er auf und drängelte sich durch zum Tresen. Sie besetzte seinen Platz, direkt Willi und mir gegenüber.

»Beim Tanzen bist du noch besser als in der Abwehr auf dem Platz. Absoluter Wahnsinn! Einfach toll!«, sagte Willi und strahlte sie an. Sogar ich, ihr Bruder, der bewusst sparsam mit Komplimenten umgeht, nickte ihr zu.

Mandela griff sich ein halbvolles Glas Cola, vermutlich das von Nicki, und trank es leer.

»Da müsstest du mal Nelson tanzen sehen!« War nicht ungeschickt, wie sie sich in unser Gespräch einbrachte. »Was habt ihr denn noch zu reden, ihr beiden?«

Ich stotterte herum.

»Wir sprechen über, äh … also, über eine … eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters.« Ich sah Willi verlegen an.

»He? Was ist denn da gelaufen?«, bohrte sie nach.

»Nicht so wichtig. Erzähl ich dir morgen.«

Konnte nicht schaden, sie ein bisschen auf die Folter zu spannen. Das Siegtor hatte unser Torwart Yakobo barfuß geschossen, und das hätte Willi eigentlich pfeifen müssen. Darüber hatten wir geredet.

»Nelson hatte rein fachliche Fragen mit mir zu klären.« Auch Willi hatte keine Lust, die ganze Geschichte noch einmal aufzuwärmen. Jetzt war Feiern angesagt. Man sah den Spielern die 90 Minuten Kampf in Hitze und Staub deutlich an. Einige hingen in ihren Stühlen wie angeschlagene Boxer. Trotzdem war die Stimmung großartig.

»Jetzt mal was ganz anderes«, wechselte Willi das Thema und winkte nach der Bedienung. Nicki stellte eine Cola vor Mandela hin. Weil sie seinen Platz besetzt hatte, schickte er Tutupa unter einem Vorwand weg. Keine Ahnung, was er ihm gesagt hat. Sofort besetzte er Tutupas Platz. Wollte er mitbekommen, was wir da redeten? Oder unbedingt neben meiner Schwester sitzen? Könnte ich mir denken, so wie er sie die ganze Zeit anguckte.

»Wie, was anderes? Was meinst du damit?«, fragte ich.

»Also, es ist ja üblich, dass es ein Rückspiel gibt. Bei Länderspielen ist das so.«

Ich stand total auf der Leitung.

»Morgen etwa? Bis dahin kriegen wir den Platz doch nicht in Ordnung! Außerdem sind die Jungs fertig!«, protestierte ich aufgeregt.

»Neiiiin«, sagte Willi gedehnt. »Bei uns auf dem Platz. Irgendwo im Ruhrgebiet. Am besten in Dortmund. Da haben wir zwei schöne Spielstätten. Was meint ihr? Und vielleicht ein zweites Spiel in Ahlen, da, wo ich zu Hause bin.«

Ich muss geguckt haben, als hätte mich ein Zebra getreten.

»Du spinnst, Willi! Wenn ich mein Taschengeld ungefähr hundert Jahre anspare, reicht es vielleicht für ein Flugticket.«

Mandela lauerte wachsam, was jetzt kommen würde. Willi lachte dröhnend.

»Wenn wir euch einladen, dann bezahlen wir das auch. Ich muss mit den Fanclubs reden, vielleicht kriegen wir das hin.«

»Hört sich nicht schlecht an«, sagte ich und tat ganz gelassen. »Ich hab das Stadion von Borussia Dortmund im Fernsehen gesehen. Macht einen ordentlichen Eindruck.« Ich zögerte, stieß Willi in die Seite und setzte ein eifriges Gesicht auf. »Einen Rat gebe ich dir, Willi! Falls das Rückspiel zustande kommt: Mach nicht den gleichen Fehler wie ich!«

Willi guckte mich, ein frisches Bier in der Hand, mit offenem Mund an. »Welchen Fehler, Mister Nelson? Welchen Fehler soll ich nicht machen?«

Ich klopfte ihm auf die Schulter und sagte ganz ernst: »Damit dir nicht die gleiche Panne passiert wie mir! Sag den Bauern da bei euch rechtzeitig Bescheid, dass sie die Kühe an dem Tag woanders hintreiben!«

Willi brauchte einen Moment, bis er begriffen hatte. Dann brüllte er los vor Lachen und schrie über den ganzen Tisch hinweg etwas in seiner Sprache. Die deutschen Spieler kriegten sich nicht mehr ein.

Fünf Minuten vor Schluss unseres Spiels war nämlich eine Kuhherde quer über den Platz gelaufen. Willi hatte für ein paar Minuten abgepfiffen. Das Publikum hatte seinen Spaß daran gehabt. Ich hatte vergessen, den Bauern zu informieren, dass das Spiel stattfand.

Dann fragte ich Willi leise: »Hast du das ernst gemeint, das mit dem Rückspiel?«

Er flüsterte mir zu, nur Mandela kriegte alles mit: »Wäre doch toll, oder? Versprechen kann ich nichts. Aber ich werde es versuchen. Ich schick eine E-Mail an euren Trainer Nkwabi, wenn alles klar ist. Oder ich absagen muss. Der Rest ist dann eure Sache. Ist im Moment nur eine Idee von mir. Verstehst du?«

Ich konnte mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, mit der ganzen Mannschaft nach Deutschland zu fliegen. Aber dieser Willi war kein Klugscheißer. Wenn der so etwas sagte, meinte er es auch so. Er hatte nur versprochen, es zu versuchen. Vielleicht, weil hier eine Bombenstimmung war und sich alle so gut verstanden.

Ob etwas daraus würde? Ich beschloss, gar nicht mehr daran zu denken. Sonst wäre ich irgendwann enttäuscht, wenn es nicht klappte.

Gegen Mitternacht verzogen sich die meisten deutschen Spieler in ihre Betten. Auch einige von uns waren schon verschwunden; Hanan und Soner schon seit einer Stunde. Wahrscheinlich um türkische Vokabeln zu lernen.

Nur Said hatte sich noch eine Portion Nudeln mit Hähnchen bestellt und mampfte vor sich hin. Der arme Kerl musste noch einiges nachholen. Bis vor einigen Tagen hatte er zwölf Stunden am Strand Fische geputzt, um Geld für seine Familie zu verdienen. Bis Papa ihn in unserer Schlangenfarm eingestellt hatte.

Mein Vater winkte uns zu. Ich klopfte Said, Mirambo, Nicki, Kongo-Otto und Tutupa auf die Schultern. Mandela schickte den kleinen Sam Njuma mit einem Küsschen nach Hause. Der war gerade mal fünf Jahre alt und gehörte längst ins Bett! Er hatte sich einen der Bälle gekrallt und schob ihn sich unter sein Trikot.

Ich ließ mich, durchaus nicht widerstrebend, von Helen, der Chefin des Hotels, noch einmal umarmen. Niemand machte heute dumme Bemerkungen darüber.

Willi kam noch bis auf die Straße mit.

»Wir sehen uns morgen, Willi. Wir kommen alle zum Bus, wenn ihr abfahrt«, rief ich ihm noch zu. Dann machten wir uns auf den Heimweg.

Der Abschied am Bus war traurig und schön zugleich. Als wir den Freunden nachwinkten, hatten einige Spieler Tränen in den Augen. Sogar meine Schwester Mandela. Ich hatte mitbekommen, wie sie Nicki einen Zettel zusteckte und ihn blitzschnell noch einmal umarmte. Am hinteren Fenster presste Torwart Soner sein Gesicht an die Scheibe, und Hanan weinte doch tatsächlich. Wahrscheinlich weil die Zeit nicht ganz gereicht hatte, Türkisch zu lernen.

Das Thema Rückspiel hatte für ein paar Monate Pause. Den Spielern hatte ich von Willis Bemerkung nichts erzählt. Und auch Mandela hielt die Klappe, was mich sehr verwunderte.

Man muss nicht Hoffnungen wecken, die sich vielleicht zerschlagen.

Unser Papa ist ein großer Geschichtenerzähler. Aber er zeigt es selten. Er ist ein eher ruhiger Typ, wie ich auch.

Er war mit ein paar Freunden in der Hafenstadt Dar es Salaam gewesen. Ich vermutete, es war seine erste Reise so weit weg. Was er in Dar wollte, hatten Mandela und ich nicht mitbekommen. Vielleicht suchte er nach neuen Ideen für seine Schlangenfarm. Wir mussten im Schulgarten arbeiten, die Hirsefelder hacken, danach auf den Parkplätzen im Naturschutzpark Saadani Abfall einsammeln.

Nach der Arbeit hatten sich Mandela, Hanifa und Hanan, unsere drei Abwehrspielerinnen, auf dem Markt herumgetrieben. Wenn die Händler am späten Nachmittag einpackten, gab es immer gute Gelegenheiten, etwas von den Resten mitzunehmen.

Ich war mit Yakobo am Hafen. Ein toter Hai war angeschwemmt worden, deshalb hatte ich mich verspätet.

Zu Hause saßen Mama, Papa, Said und Mandela vor ihren leeren Tellern. Weil sie mitten im Gespräch waren, bekam ich keinen Anpfiff wegen meiner Verspätung.

»Erzähl weiter, Calvin!«, sagte Mama und zündete die Öllampe an. Strom haben wir nur bis acht Uhr abends. Mama stellte wortlos einen vollen Teller mit Reis und Gemüse vor mich hin.

»Also«, begann Papa. »Wir saßen schon im Bus, auf dem Weg heimwärts. Der Bus war voll besetzt. Die Leute standen sogar im Mittelgang. Da stieg an der dritten Haltestelle hinter Dar es Salaam ein weißer Mann ein.«

»Ein weißer Mann in einem unserer Busse?«, fragte Mama ungläubig. Weil weiße Männer meist in eigenen Autos fahren und selten in unsere klapprigen Busse steigen.

»Richtig, ein ganz normaler weißer Mann«, bestätigte Papa. »Er war so um die fünfzig, keiner der jungen Leute mit Rucksack und Ohrringen, wie man sie jetzt überall sieht. Er guckte sich um. Alle Plätze waren besetzt. Ein Junge von vielleicht vierzehn Jahren, zwei Reihen vor mir, rückte ein bisschen beiseite, damit der Weiße noch einen Sitzplatz hatte.«

»Hat er sich hingesetzt?«, fragte Mandela.

»Ja. Er hat sich hingesetzt.«

»Und dann?«

»Also: Das Geplapper im Bus war verstummt, weil alle auf ihn guckten. Ein weißer Mann in einem unserer Busse ist eine Seltenheit.«

»Eine Seltenheit. Ich weiß«, sagte Mama ungeduldig, »erzähl weiter!«

»Der Mann hatte tolle Schuhe an. So halbhohe Schuhe mit dicken Sohlen. So ganz kräftige Schuhe, versteht ihr? Man konnte sie gut sehen, weil er eine kurze Hose anhatte. So wie früher die englischen Kolonialsoldaten.

Ich glaube, die Europäer nennen solche Schuhe Wanderschuhe. Und der Junge neben ihm, den ich nicht kannte, starrte die ganze Zeit auf die Schuhe des Weißen.«

»Er starrte also auf die Schuhe. Und dann?« Mama drängelte, aber hörte ganz gespannt zu. Mandela, Said und ich natürlich auch. Obwohl ich mit einer Sensation nach Hause gekommen war. Aber die musste warten. Den Schlangenfarmdirektor Calvin Kitumbo unterbricht man nicht, wenn er gerade eine Geschichte erzählt.

»Und dann hat der Junge dem weißen Mann etwas gesagt«, fuhr Papa ruhig fort.

»Was hat er ihm gesagt?«, wollte Mama wissen.

»Er hat gesagt: ›Bwana! Gib mir bitte deine Schuhe!‹«

»Was?« Wie aus einem Mund kam unser erstaunter Ausruf.

»Ja, er hat gesagt: ›Bwana, gib mir bitte deine Schuhe. Ich brauche sie.‹«

»Und was hat der Weiße geantwortet?«, wollte ich wissen.

»Nun unterbrecht mich doch nicht dauernd! Also, die Leute im Bus waren jetzt mäuschenstill. Alle wollten hören, was der Weiße sagen würde. Der schwitzte schon, aber die Weißen schwitzen ja immer. Weil sie die Hitze nicht so kennen wie wir.«

Papa beugte sich jetzt über den Tisch und guckte in die Runde. »Der weiße Mann sagte: ›Ich kann sie dir nicht geben, mein Junge! Ich kann ja nicht barfuß durch Afrika laufen.‹

Da brüllten die Leute los, sie lachten wie verrückt. ›Der weiße Bwana will nicht barfuß durch Afrika laufen‹, geierten sie. Sie kriegten sich gar nicht mehr ein. Dann aber war wieder Ruhe, man hörte nur den Fahrtwind und den Motor des Busses. Alle wollten wissen, wie es weiterging. Da griff der Junge nach unten, er hatte seine alten Treter, so kaputte abgelaufene Dinger, ausgezogen und hielt sie dem Weißen vor die Nase.

›Du kriegst meine dafür. Dann bist du nicht barfuß‹, sagte er ganz ernst. Der Weiße starrte einen Moment lang auf die uralten Turnschuhe vor seinem Gesicht.

›Die passen nicht‹, sagte er mürrisch. ›Die sind doch viel zu klein!‹

Die Leute im Bus murmelten allgemeine Zustimmung. Jeder konnte ja auf einen Blick sehen, dass sie zu klein waren für den weißen Bwana.«

Mein Vater machte eine Pause und lehnte sich zurück.

»Und wie ging es weiter?« Mama setzte sich jetzt auch an den Tisch, denn die Geschichte war sicher noch nicht zu Ende.

»Da zog der Junge ein Taschenmesser heraus, klappte es auf und zeigte auf die Spitzen seiner Schuhe. ›Hier könnte man sie aufschneiden, damit deine Zehen Platz genug haben‹, sagte er. ›Dann passen sie dir, Bwana!‹

Der Weiße sagte erst einmal nichts, er starrte auf das Messer, dann auf die Schuhe des Jungen.

Da mischte sich ein alter Herr ein, so ein Mzee mit weißen Haaren. Er stand auf und sagte in die Runde: ›Hört mal alle zu! Was der Junge da vorschlägt, geht auf keinen Fall! Ein Weißer kann unmöglich mit Schuhen durch Afrika laufen, wo die Zehen vorne herausgucken! Das weiß doch jeder!‹

Die Leute diskutierten einen Augenblick lang wild durcheinander, dann gaben sie dem alten Mann Recht.

Der war aber noch nicht fertig: ›Außerdem sieht dieser Weiße ganz so aus, als würde er auf der Straße gern mal gegen eine Blechbüchse treten.‹

›Richtig, so sieht er aus, das erkennt man auf einen Blick‹, kam es von allen Seiten.