Auf der Flucht - Friedrich Reck - E-Book

Auf der Flucht E-Book

Friedrich Reck

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Beschreibung

Berlin, zu Zeiten der Weimarer Republik: Eigentlich läuft es gut im Leben der jungen Sif Bengtson, Tochter von schwedischen Einwanderern. Sie hat Robby, einen Kunstmaler aus wohlhabender Familie, kennengelernt. Doch dann gerät sie völlig unvorhergesehen in einen Strudel unheilvoller Ereignisse – und lässt sich mitziehen: Am Samstag in der Marienkirche Robby geheiratet, am Sonntag Hündchen Binky erschlagen, am Montag versehentlich bei Schwager Lex übernachtet, am Dienstag die Witwe Grandjean erwürgt, am Mittwoch ins Exzelsiorhotel geflüchtet, am Donnerstag früh kraft eines tadellosen, nagelneuen Passes verwandelt in die argentinische Staatsangehörige Anita Thesiger, Dolmetscherin und Sekretärin des Oberst Miramon. Miramon nimmt Sif mit nach Buenos Aires. Schnell wird klar, dass der Oberst nicht der uneigennützige Beschützer ist, für den er sich ausgibt. Eine atemlose "Flucht Auf der Flucht" beginnt, bis die vermeintliche Mörderin Sif zum überraschenden Finale doch wieder in Berlin landet ... In diesem schnell geschnittenen Krimidrama spiegelt Friedrich Reck die dunklen Seiten von Berlin und Buenos Aires. Seinerzeit war das Buch sehr erfolgreich, wurde auch ins Englische und Französische übersetzt und 1927 mit den Stars Grete Mosheim und Paul Wegener verfilmt ("Arme kleine Sif"). Mit dieser Ausgabe ist es erstmals sei den 1920er Jahren wieder erhältlich – an die neue Rechtschreibung angepasst und mit erklärenden Fußnoten versehen. Null Papier Verlag

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Auf der Flucht

Ein Berlin/Buenos Aires-Krimidrama aus den 1920er Jahren

Friedrich Reck

Auf der Flucht

Ein Berlin/Buenos Aires-Krimidrama aus den 1920er Jahren

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-954188-59-8

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Inhaltsverzeichnis

Über kri­mis­chaet­ze.de

Über den Au­tor

Über die­ses Buch

1

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4

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Über krimischaetze.de

Kri­mi­nal­ro­ma­ne sind heut­zu­ta­ge er­folg­reich wie nie. Kri­mi-Klas­si­ker? Da den­ken die meis­ten so­fort an Aga­tha Chris­tie (1890-1976) oder Ed­gar Wal­lace (1875-1932). Tat­säch­lich ge­hör­ten die bri­ti­schen Au­to­ren zu den ers­ten, die in den »wil­den« 1920er Jah­ren ins Deut­sche über­setzt wur­den. Kri­mi-Fans ken­nen oft auch den Schwei­zer Fried­rich Glau­ser (1896-1938), den Na­mens­ge­ber des Glau­ser-Prei­ses – eine der wich­tigs­ten Aus­zeich­nun­gen für deutsch­spra­chi­ge Kri­mi-Au­to­ren. Wie viel­fäl­tig die Kri­mi-Sze­ne in der Wei­ma­rer Re­pu­blik war, ist in der brei­ten Öf­fent­lich­keit je­doch voll­kom­men in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Für kri­mis­chaet­ze.de ha­ben sich Jür­gen Schul­ze, Ver­le­ger des Null Pa­pier-Ver­la­ges, und Se­bas­ti­an Brück, Au­tor und Jour­na­list, zu­sam­men­ge­tan, um alte Kri­mi-Best­sel­ler neu zu ent­de­cken und als E-Book ver­füg­bar zu ma­chen – über­ar­bei­tet, in neu­er Recht­schrei­bung und mit er­klä­ren­den Fuß­no­ten ver­se­hen.

Über den Autor

Fried­rich Per­cyval Reck-Mal­lec­ze­wen, ei­gent­lich Fried­rich (Fritz) Reck (1884-1945) ist heut­zu­ta­ge in ers­ter Li­nie durch sei­ne post­hum ver­öf­fent­lich­ten Ta­ge­bü­cher be­kannt, in de­nen er sich von 1936 bis 1944 scho­nungs­los mit der Dik­ta­tur der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten aus­ein­an­der­setz­te. In Mün­chen war der Au­tor ein be­kann­tes Ge­sicht der Bohè­me und mach­te aus sei­ner Ver­ach­tung für Hit­ler nie einen Hehl. Nach ei­ner De­nun­zia­ti­on wur­de der er 1945 ins KZ Dach­au ge­bracht, wo er kurz dar­auf un­ter nicht ge­klär­ten Um­stän­den verstarb. Ge­mein­sam mit sei­ner Ehe­frau ver­steck­te Reck-Mal­lec­ze­wen eine be­freun­de­te Jü­din auf sei­nem Land­gut im Chiem­gau vor der Ge­sta­po. 2014 wur­de er da­für von der Ge­denk­stät­te Yad Vas­hem als »Ge­rech­ter un­ter den Völ­kern« ge­ehrt.

Reck-Mal­lec­ze­wens schrift­stel­le­ri­sche Vor­bild war der Schot­te Ro­bert Louis Ste­ven­son. Sein von zahl­rei­chen Rei­sen in an­de­re Län­der ge­präg­tes un­ter­hal­tungs­li­te­ra­ri­sches Werk ist heu­te weit­ge­hend in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Zu Reck-Mal­lec­ze­wens Leb­zei­ten wur­den sei­ne Bü­cher ins Schwe­di­sche, Spa­ni­sche, Ita­lie­ni­sche, Fran­zö­si­sche, Nie­der­län­di­sche und Eng­li­sche über­setzt. Auf der eng­lisch­spra­chi­gen Ebay-Sei­te wer­den sei­ne Wer­ke heu­te ger­ne mit dem Slo­gan »Book ban­ned by Adolf Hit­ler« an­ge­prie­sen.

Über dieses Buch

Ber­lin, zu Zei­ten der Wei­ma­rer Re­pu­blik: Ei­gent­lich läuft es gut im Le­ben der jun­gen Sif Bengt­son, Toch­ter von schwe­di­schen Ein­wan­de­rern. Sie hat Rob­by, einen Kunst­ma­ler aus wohl­ha­ben­der Fa­mi­lie, ken­nen­ge­lernt. Doch dann ge­rät sie völ­lig un­vor­her­ge­se­hen in einen Stru­del un­heil­vol­ler Er­eig­nis­se – und lässt sich mit­zie­hen: Am Sams­tag in der Ma­ri­en­kir­che Rob­by ge­hei­ra­tet, am Sonn­tag Hünd­chen Binky er­schla­gen, am Mon­tag ver­se­hent­lich bei Schwa­ger Lex über­nach­tet, am Diens­tag die Wit­we Grand­jean er­würgt, am Mitt­woch ins Ex­zel­sior­ho­tel ge­flüch­tet, am Don­ners­tag früh kraft ei­nes ta­del­lo­sen, na­gel­neu­en Pas­ses ver­wan­delt in die ar­gen­ti­ni­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge Ani­ta The­si­ger, Dol­met­sche­rin und Se­kre­tä­rin des Oberst Mi­ra­mon.

Mi­ra­mon nimmt Sif mit nach Bue­nos Ai­res. Schnell wird klar, dass der Oberst nicht der un­ei­gen­nüt­zi­ge Be­schüt­zer ist, für den er sich aus­gibt. Eine atem­lo­se »Flucht auf der Flucht« be­ginnt, bis die ver­meint­li­che Mör­de­rin Sif zum über­ra­schen­den Fina­le doch wie­der in Ber­lin lan­det ...

In die­sem schnell ge­schnit­te­nen Krimi­dra­ma spie­gelt Fried­rich Reck die dunklen Sei­ten von Ber­lin und Bue­nos Ai­res. Sein­er­zeit war das Buch sehr er­folg­reich, wur­de auch ins Eng­li­sche und Fran­zö­si­sche über­setzt und 1927 mit den Stars Gre­te Mos­heim und Paul We­ge­ner ver­filmt (»Arme klei­ne Sif«). Mit die­ser Aus­ga­be ist es erst­mals sei den 1920er Jah­ren wie­der er­hält­lich – an die neue Recht­schrei­bung an­ge­passt und mit er­klä­ren­den Fuß­no­ten ver­se­hen.

Cher­pens Bin­scham, dem Land­strei­cher und Hans Bei­ser, dem Dich­ter, Walz­bru­der und Ka­me­ra­den ge­wid­met

Eu­sta­che Graf zu Pla­ter-Sy­berg an »Fritz« Reck-Mal­lec­ze­wen.

Mein lie­ber Reck!

Sechs Jah­re ist es her, dass ich Sie al­ten ca­me­lot du roi in Mün­chen sah, sechs Jah­re, dass ich ge­gen ver­le­ge­ri­sche In­do­lenz an mei­nem sehr be­schei­de­nen Tei­le Ihrem lei­der noch im­mer ein­zi­gen Dra­ma die Wege eb­ne­te. Und dann er­reich­te mich Ihr Brief mit sei­nen Be­kennt­nis­sen von Eu­ro­pa­mü­dig­keit und Re­si­gna­ti­on, die­ser Brief, in dem Sie mir ein re­si­gnier­tes Buch ver­hie­ßen. Und nun, da die­ses Buch vor mir liegt: mein lie­ber al­ter Jun­ge, wo denn ist Ihre Re­si­gna­ti­on, Ihre Mü­dig­keit? Jung und stark wie je ei­nes von Ih­rer Hand ist es, und ich hof­fe, Afri­ka wird Ih­nen in­zwi­schen die letz­ten Ge­dan­ken von Eu­ro­paflucht ver­scheucht ha­ben!

Las­sen Sie sich nicht dü­pie­ren von Ihren Zeit­ge­nos­sen, al­ter Kampf­ge­nos­se! Dass Sie von Ihren deut­schen Li­te­ra­ten, den Horn­bril­len­trä­gern, die­sen hoff­nungs­lo­sen See­len-Uhr­ma­chern für einen Kri­mi­nal­ro­man­cier ge­hal­ten wer­den, weil Sie Tem­po und Schwung ha­ben, weil Ihre Fi­gu­ren nicht schwat­zen, son­dern han­deln: das, lie­ber Reck, ge­hört zu Ih­nen, le­gi­ti­miert Sie vor den we­ni­gen be­sinn­li­chen Kri­ti­kern der Zeit. Denn der große Epi­ker – be­her­zi­gen Sie das auch in Zu­kunft – spricht ja nicht aus, was er denkt: Er ver­schwin­det hin­ter sei­nen Wer­ken. Ja, sa­gen Sie mir, wo in die­sem Ro­man von Lu­ci­en de Ru­bem­pré etwa Balzac, wo in der No­vel­le der »Tol­len Män­ner« Ihr großer Lehr­meis­ter Ste­ven­son zu ent­de­cken wäre?

Er­zäh­len kön­nen heißt ver­schwei­gen.

Sich selbst vor al­lem ver­schwei­gen! Den­ke ich aber an Sie, der so bit­ter mit lei­det mit der großen ge­gen­wär­ti­gen Not von Mensch, Land­schaft und Krea­tur … sehe ich dann Ihre Bü­cher an, wo Sie so bla­siert, als gin­ge das al­les Sie nicht an, im Klub­ses­sel ge­wis­ser­ma­ßen von den Got­tes­we­gen Ih­rer Fi­gu­ren er­zäh­len: Dann weiß ich, dass Sie in Deutsch­land, wo die Kunst des Er­zäh­lens nie zu Hau­se war, ei­ner der ganz we­ni­gen sind, die die ein­sa­me, die wun­der­vol­le Gabe des großen Epi­kers be­sit­zen.

Wie, man ver­kennt Sie? Man sieht nicht Ihren bäu­risch un­be­irr­ten Glau­ben an die rei­ni­gen­de Kraft der Land­schaft? Man schilt Sie einen düs­te­ren Pes­si­mis­ten, weil Ihre Fi­gu­ren statt auf den Pols­tern ei­nes Rolls-Roy­ce-Wa­gens im­mer auf dem Schüd­de­r­ump, auf dem Pest­kar­ren Ihres see­li­schen Nähr­va­ters Raa­be1 zu Gott ge­fah­ren wer­den?

Lie­ber Reck, wenn es in Ihrem ar­men, ab­ge­hetz­ten Lan­de wirk­lich so ist: was ficht Sie es an?

Weil Sie von Schnei­de­rin­nen und Drosch­ken­kut­schern miss­ver­stan­den wer­den, weil man an Ih­nen gar den aus Ame­ri­ka nun auch bei Ih­nen ein­ge­schlepp­ten gro­ben Un­fug des »hap­py end« ver­misst: Des­we­gen wol­len Sie ver­ein­sa­men? Es le­ben trotz­dem, mein lie­ber Jun­ge, in Eu­ro­pa noch ein paar tau­send letz­ter Men­schen, die wis­sen, dass es nur ein ein­zi­ge­s hap­py end gibt: näm­lich aus dem gan­zen, zum Tode ver­ur­teil­ten Spuk von Ver­nig­ge­rung2 und Mecha­ni­sie­rung sei­ne See­le ret­ten. Auch um den Preis des phy­si­schen Ster­bens!

Sie aber, der aus der Erde ge­kom­me­ne und im Bo­den wur­zeln­de Jun­ker, Sie lie­ben un­se­re Zeit nicht. Und wenn Sie sie lie­ben, so lie­ben Sie sie mit Ihrem gan­zen gi­gan­ti­schen Has­se. Wol­len Sie sich da wun­dern, wenn Ihre »Smo­king­be­sit­zer«, wenn die­se ar­men La­kai­en, die vor her­ab­ge­brann­ten Lich­tern an ab­ge­ges­se­ner Ta­fel heu­te Ge­sell­schaft spie­len: wenn die­ses of­fi­zi­el­le Eu­ro­pa sich Ih­nen ver­schließt, Zau­ber­ber­ge er­klimmt, statt in jene Ka­ta­kom­ben hin­ab­zu­stei­gen, in de­nen, wie einst die ers­ten Chris­ten, Ihre letz­ten Men­schen woh­nen?

Sie aber wis­sen um den gi­gan­ti­schen Kampf zwi­schen Land­schaft und Tech­nik, zwi­schen Ma­schi­ne und See­le. Wie kaum ei­ner ken­nen Sie, der Wel­ten­wan­de­rer, die wun­der­voll­teuf­li­schen Mecha­nis­men der Welt­städ­te, das Ver­dor­ren und die Sehn­süch­te ih­rer Men­schen. Ja, blei­ben und wer­den Sie das, was Sie sind: der großen Städ­te Epi­ker.

Sie al­ter Raub­rit­ter wer­den ja doch früh­zei­tig ge­nug in ir­gend­ei­nem Aben­teu­er Ihren Ab­gang von die­ser Welt fin­den. Leb­ten Sie aber wirk­lich lan­ge ge­nug: Sie wür­den es se­hen, dass eben die­se un­ter­ir­di­schen Men­schen, de­ren Schick­sal Sie er­zäh­len, aus ih­ren Grüf­ten stei­gen, in de­nen sie heu­te le­ben müs­sen. Em­por­stei­gen und dank­bar Ihre Hand fas­sen, mein al­ter Jun­ge.

Von je­ner Dame aus New York, die aus dem Sa­lon kommt und im Chi­ne­seng­het­to en­det, von je­ner No­vel­le, wo von »sei­nem ahor­nen Thron un­ter herbst­gel­ber Bir­ke der große Bau­ern­gott der öst­li­chen Men­schen« pre­digt: bis zu die­ser klei­nen Sif, die als gleich­gül­ti­ge Bür­gers­frau wee­kend im Gru­ne­wald fei­ert und mit dem un­sicht­ba­ren Hei­li­gen­schein von dan­nen geht, ist die Rei­he Ih­rer Wer­ke ein großes ver­pflich­ten­des Ver­spre­chen.

Lö­sen Sie’s ein!

Vor Ih­nen lie­gen die großen Ge­fech­te Ihres Le­bens, den­ken Sie dar­an! Ge­hen Sie wei­ter und wan­dern Sie Ru­he­lo­ser durch die Welt und be­her­zi­gen Sie selbst je­nes schö­ne, männ­lich-tie­fe Crom­well­wort,3 das Sie mir neu­lich schrie­ben: »Nie steigt ein Mann hö­her, als wenn er nicht weiß, wo­hin er geht.«

Es gilt Ih­nen, es ruft Sie auf, des großen Welt­en­got­tes ge­lieb­ten Rauf­bold!

Po­si­ta­no, 3. Juli 26.

Ihr Pla­ter-Sy­berg.

»Der Schüd­de­r­ump« ist ein 1869 er­schie­ne­ner Ro­man von Wil­helm Raa­be (1831-1910)  <<<

Zu dem aus heu­ti­ger Sicht klar ras­sis­ti­schen, da­mals aber nicht nur von Na­zis be­nutz­ten Be­griff »Ver­nig­ge­rung« schreibt Joa­chim Fest in DER SPIEGEL Nr. 3/1967: »(..) Hier wie dort stößt man, in der für die kon­ser­va­ti­ve Kul­tur­kri­tik be­zeich­nen­den Mi­schung von Scharf­blick und gänz­li­cher Wirk­lich­keits­ver­feh­lung, auf einen bis zum li­te­ra­ri­schen Er­bre­chen ge­stei­ger­ten Ab­scheu vor dem 19. Jahr­hun­dert und al­lem, was es meint: Li­be­ra­lis­mus und Ra­tio­na­lis­mus, Tech­nik und Fort­schritts­glau­ben, Herr­schaft der Bour­geoi­sie, Ver­städ­te­rung, Ent­wur­ze­lung und Ver­mas­sung be­zie­hungs­wei­se, wie Reck nicht un­gern for­mu­liert, Ver­nig­ge­rung. (…)«  <<<

Oli­ver Crom­well, 1599-1658, Lord­pro­tek­tor von Eng­land, Schott­land und Ir­land  <<<

1

Es gibt Ber­li­ner Stra­ßen, die so fins­ter und schau­rig sind, als schaue man in die Mün­dung ei­ner Ka­no­ne. Und so bar al­ler äu­ße­ren Ehren sind die­se Stra­ßen, dass die­se Ehr­lo­sig­keit selbst auf ihre Kir­chen ab­färbt, und dass es scheint, als wer­de hier ein be­son­de­rer, auf For­ma­li­tä­ten we­nig Wert le­gen­der Gott ver­ehrt.

Und so, wie die­se ti­ta­ni­sche Stadt, heu­te dar­in schon dem Gi­gan­ten New York ähn­lich, sich ein Sla­wen- und ein Chi­ne­sen­vier­tel an­zu­le­gen be­ginnt, wie es in ihr eth­no­gra­fisch und re­gio­nal be­ding­te Las­ter, Um­gangs­for­men und Spei­se­kar­ten gibt: So zeu­gen auch die Kir­chen die­ser Stadt, die hier vor­nehm ist wie al­ter Bro­kat1 und dort ge­mein wie Press­kris­tall, von ei­nem durch das je­wei­li­ge Stadt­vier­tel ge­präg­ten Got­tes­be­griff.

Dass, wer die Hed­wigs­kir­che2 be­sucht, vor­nehm ist, wie ein Malthe­ser­rit­ter, hängt, da Ka­tho­li­ken hier nun ein­mal rar sind wie Thun­fi­sche im Wann­see, mit der Sel­ten­heit der Kon­fes­si­on zu­nah­men.

Da­für aber gibt es höchst pro­tes­tan­ti­sche Kir­chen mit vor­wie­gend weib­li­chen und ade­li­gen Ge­mein­den, da steht ein ju­gend­li­cher Di­vi­si­ons­pfar­rer auf der Kan­zel mit ro­sa­rot po­lier­ten Nä­geln und weiß ei­gent­lich selbst nicht ge­nau, ob er nicht am Ende ein Gar­de­leut­nant ist. Ist aber der Gott, von dem er spricht, nicht ein an­de­rer als der, der etwa in der Lich­ten­ber­ger Glau­bens­kir­che ver­ehrt wird?

Ich für mein Teil habe mei­ne ei­ge­nen Ge­dan­ken über den Gott der im neu­en Wes­ten von Ge­hei­men Re­gie­rungs­baurä­ten zu schau­ri­gen Got­tes­läs­te­run­gen auf­ge­türm­ten Mons­ter­kir­chen. Und selbst vor die­ser Be­haup­tung will ich nicht zu­rück­schre­cken, dass Ehen, die etwa in der Par­ochi­al­kir­che3 ge­schlos­sen sind, an­ders ver­lau­fen, als die aus der Kai­ser-Wil­helm-Ge­dächt­nis­kir­che stam­men­den, wo die Braut­paa­re so vor­nehm sind, dass sie wäh­rend der Trau­ung sit­zen und wo auf der Or­gelem­po­re ein aus­ge­kräh­ter Te­nor singt: »Wo du hin­gehst, da will auch ich hin­ge­hen.«

Was dann durch den wei­te­ren Ver­lauf die­ser Ehen ja meis­tens de­men­tiert wird.

Was nun aber für ein Gott über der Ehe der klei­nen Sif ge­wal­tet hat, die an ei­nem an­er­kannt scheuß­li­chen Ok­t­ober­sams­tag des Jah­res 1922 in der Ber­li­ner Ma­ri­en­kir­che4 mit dem klei­nen Kunst­ma­ler Rob­by ge­traut wur­de: Dies will ich lie­ber nicht un­ter­su­chen. Dass die Rit­ter un­se­rer lie­ben Frau, die einst die­ser Kir­che den Na­men ga­ben, über den Kur­fürs­ten­damm rit­ten, ist schon all­zu lan­ge her. Und da steht nun der Dom, um­braust von dem fer­nen Don­ner der La­st­au­to­mo­bi­le und der irr­sin­ni­gen Kla­via­tur der Bosch­hör­ner5 … steht un­zeit­ge­mäß in die­sem Ber­lin wie ein ka­tho­li­scher Mär­ty­rer, der sich’s ein­fal­len lie­ße, mit sei­nen Fol­ter­werk­zeu­gen die Bar des Ad­lon-Ho­tels zu be­tre­ten.

Und so wol­len wir dann auch lie­ber von dem al­ten go­ti­schen Gott, der einst so eine Frau­en­hand durch die fest­ge­füg­te klei­ne Welt lei­te­te von Kinds­bet­ten und Tau­fen und Ster­ben und viel Leid und spär­li­chen Freu­den … Nein, wir wol­len von ihm lie­ber nicht spre­chen. Und von dem an­de­ren, der es zu lie­ben scheint, dass sei­ne Ge­schöp­fe tief in den Staub fal­len und der ei­gent­lich ein Gott der Men­schen­kin­der mit zwei Jah­ren und sechs Mo­na­ten Zucht­haus ist: Von ihm las­sen sich einst­wei­len nur sol­che höchst ein­fa­che Ge­schich­ten er­zäh­len wie die die­ser klei­nen Li­tho­gra­fen­toch­ter, die an je­nem an­er­kannt scheuß­li­chen Ok­to­ber­ta­ge des Jah­res 1922 Rob­by hei­ra­te­te.

Dass die­se Hei­rat in der Ma­ri­en­kir­che sich voll­zog, ob­wohl sie ei­gent­lich doch in den Wes­ten ge­hört hät­te, lag wohl dar­an, dass der Bräu­ti­gam als Kunst­ma­ler für go­ti­sche Dome schwärm­te. Und wenn es der ab­ge­le­ge­nen Kir­che zum Trotz eine ganz erst­klas­si­ge Hoch­zeit war mit ro­tem Plüsch und Pal­men, so war es eben eine erst­klas­si­ge Fa­mi­lie, in die die klei­ne Sif hei­ra­te­te … eine Fa­mi­lie mit Re­gie­rungs­rä­ten und Staats­an­wäl­ten; und selbst­ver­ständ­lich woll­te eine sol­che Fa­mi­lie durch das Äu­ße­re der Trau­ung al­lein es ver­de­cken oder wie­der gut­ma­chen, dass ihr Rob­by eine klei­ne ver­wais­te Hand­wer­ker­toch­ter hei­ra­te­te, de­ren Va­ter von ir­gend­wo­her, von Schwe­den, vom Mon­de oder aus ei­nem Mär­chen ein­ge­wan­dert war.

Item6: in dem Ok­to­ber­wind, un­ter den Bot­tich­güs­sen des Re­gens fah­ren die Kut­schen auf. Und die Kut­schen ent­lee­ren Ma­jo­re a. D. und alte Jus­tiz­rä­tin­nen, die ei­gent­lich wie freund­li­che Kro­ko­di­le aus­se­hen. Und alte hoch­be­ti­tel­te Roués7 stei­gen aus, Ge­hei­me Räte mit ge­stei­ger­tem Blut­druck und Or­den auf Blind­darm und Milz; Freun­de des Bräu­ti­gams … Aka­de­mie­jüng­lin­ge mit Wel­t­an­schau­ung und ge­lie­he­nem Frack … Staats­an­walt Alex­an­der, Lex ge­nannt, Rob­bys Bru­der, statt­li­cher Mann mit Hit­ler­bart un­ter der Nase und Peau d’Espa­gne im Ta­schen­tuch.

Und dann wie­der Da­men … Braut­jung­fern und alte Da­men mit re­prä­sen­ta­ti­ven Staats­ro­ben, de­ren Sil­ber­or­na­men­te si­cher­lich von ei­nem erst­klas­si­gen Spe­zia­lis­ten für Fleck­ty­phus und Ma­ser­naus­schlag ent­wor­fen sind.

Wie nun die klei­ne Sif, ohne zu ah­nen, wie schön sie ist in ih­rer her­ben Jung­mäd­chen­pracht … wie sie alle Gaf­fer glück­lich pas­siert hat und das In­ne­re be­tritt, da eben ge­schieht et­was höchst Selt­sa­mes: dass näm­lich in dem Mit­tel­gang, der doch sorg­fäl­tig frei­ge­hal­ten ist für den Braut­zug, ein Mann steht, der sie al­lem An­schein nach nicht an sich vor­über­las­sen will.

Und selt­sam ist, dass Rob­by den Mann gar nicht zu se­hen scheint, und sehr selt­sam ist die­ses bart­lo­se alte Ge­sicht mit den großen trau­ri­gen Au­gen, das gar nicht zu dem ei­gent­lich kna­ben­haf­ten Kör­per pas­sen will. Und höchst son­der­bar ist auch das Ding, das der Frem­de da in der Hand schwenk­t… eine Hals­ket­te oder ein Ro­sen­kranz … und das Al­ler­selt­sams­te ist, dass er in dem glei­chen Au­gen­blick, wo Sif ihn ins Auge fasst, auch schon ver­schwun­den ist.

Eine Sin­ne­stäu­schung also und nichts wei­ter! Sie geht tap­fer ge­ra­de­aus auf den Al­tar zu, geht über alte in die Flie­sen ein­ge­leg­te Grab­stei­ne, de­ren Fi­gu­ren wie Pfef­fer­ku­chen­män­ner aus­se­hen, geht und ist durch­aus ent­schlos­sen, das alte trau­ri­ge Ge­sicht des Ne­bel­man­nes zu ver­ges­sen. Aber dann eben setzt das vol­le Werk der Or­gel ein, und halb ist das sehr schreck­haft wie die Po­sau­ne des Jüngs­ten Ge­rich­tes, und halb wie­der er­in­nert es sie an die Jahr­markts­mu­sik zu Schau­er­bil­dern, die sie als Kind ge­se­hen hat: der Damp­fer »Ti­ta­nic« geht un­ter mit hän­de­rin­gen­den Men­schen und fun­ken­stie­ben­den Ka­mi­nen und grel­len Schein­wer­fer­bah­nen … Raub­mör­der Ster­ni­ckel8 be­an­sprucht sechs Bil­der mit tür­kisch­rot ge­mal­ten Blut- und Le­ber­wurst­tra­gö­di­en, und den ar­men Rus­sen, die ge­ra­de in die ma­su­ri­schen Seen sprin­gen müs­sen, geht es auch gar nicht gut bei die­ser schreck­li­chen Or­gel­mu­sik.

Und wenn die klei­ne Braut sich auch gleich er­in­nert, dass es höchst un­pas­send ist, mit sol­chen Erin­ne­run­gen vor den Tisch des Herrn zu tre­ten, so muss sie sich doch schon in ei­ner un­er­klär­li­chen Mat­tig­keit auf den Arm des staats­an­walt­li­chen Schwa­gers Lex stüt­zen, der als Braut­mar­schall ne­ben ihr geht. Und dann wie­der ist es die­ser süß­li­che Hauch, der aus den un­ter­ir­di­schen Ge­heim­nis­sen der Dom­grüf­te kom­men mag, und dann wie­der die­se all­zu enge Hoch­zeits­ro­be und end­lich wie­der die Erin­ne­rung an den rät­sel­haf­ten Men­schen vor­hin im Gang.

Noch kämpft sie tap­fer mit dem Schwin­del, der an ihr zerrt. Aber dann fällt ihr Blick ge­ra­de auf das Bild mit dem To­ten­tanz, und da muss sie se­hen, wie ein braun­be­le­der­tes To­ten­ge­rip­pe ge­ra­de so eine klei­ne Sif-braut aus den Ar­men ei­nes mit­tel­al­ter­li­chen Rob­by reißt, und am Ende ver­fan­gen in den Ge­wöl­ben oben sich die­se schreck­haf­ten Po­sau­nen der Or­gel und stür­zen sich nie­der in über­mäch­ti­gen Ton­ka­ta­rak­ten auf eine klei­ne auf­ge­reg­te Braut. Und plötz­lich wird vor ih­ren Au­gen ein Cha­os von Lich­tern und Or­gel­tö­nen und ro­tem Plüsch und sil­ber­be­stick­ten Kro­ko­di­len, und Tat­sa­che ist es, dass auf die­ser kor­rek­ten Trau­ung die Braut ohn­mäch­tig vor dem Al­tar liegt.

Die Or­gel bricht ab mit kläg­li­chem Mi­au­en, der Skan­dal ist fer­tig. Da­lie­gend fühlt sie, wie je­mand ih­ren Kopf tief la­gert, wie eine Hand, die brei­te be­haar­te Hand ei­nes Orang-Utan an ih­rer Robe nes­telt. Und nun kommt die­se ab­scheu­li­che Hand, nun legt sie sich mit wi­der­li­cher Wär­me auf ihr Fleisch, nun weht ein Ge­misch von Peau d’Espa­gne,9 und männ­li­chem Be­geh­ren sie an … ein ab­scheu­lich gei­ler Hauch, der die Mu­mie ei­ner Isispries­te­rin aus tau­send­jäh­ri­gem Schlaf er­we­cken wür­de: Ne­ben der Furcht vor dem Skan­dal ist es ei­gent­lich der Ekel vor die­sem Bro­dem10 der sie auf­schreckt aus ih­rer Ohn­macht. Als sie sich auf­rich­tet, er­kennt sie, dass es ihr Schwa­ger Lex ge­we­sen ist, der sich da um sie be­müht hat.

Dann steht sie wie­der an Rob­bys Sei­te und klam­mert sich an sei­nen Arm. Dann gibt es ein paar halb­lau­te Wor­te zwi­schen Braut­füh­rer und dem Geist­li­chen, dann winkt der Geist­li­che dem Or­ga­nis­ten zu wie ein mit­tel­al­ter­li­cher Ge­richts­herr dem Hen­ker, dann fah­ren wie­der durch die Ge­wöl­be, über die Grüf­te der ver­weh­ten To­ten die Don­ner des Ge­rich­tes: Ein zwan­zig­jäh­ri­ges schö­nes Ge­schöpf kämpft, da es auf ei­ner erst­klas­si­gen Hoch­zeit kei­nen Skan­dal ge­ben darf, ihre töd­li­che Schwä­che nie­der und ver­spricht dem klei­nen Jun­gen an ih­rer Sei­te, ihm treu zu sein, bis dass der Tod sie schei­de.

Und dann die­se Hoch­zeits­ta­fel mit den schö­nen Tisch­re­den … On­kel Mi­nis­te­ri­al­rat mit dem Haus­or­den »zum Hal­se her­aus« … Schwa­ger Lex mit der be­haar­ten brei­ten Hand und dem ob­szö­nen ro­ten Stein im Sie­gel­ring: ein statt­li­cher Mann, ein Mann wie ein Stier… wie man sich nur hat fürch­ten kön­nen vor sol­chem Man­ne!

Und dann end­lich Rob­bys arm­se­li­ge Ate­lier­woh­nung nicht gar weit vom Schle­si­schen Bahn­hof11 … der Mor­gen, an dem man, die Hand ge­füllt mit Herr­lich­kei­ten, er­wacht als jun­ges Weib … die­ser Mor­gen, der alle Re­gen­wol­ken ver­scheucht und einen letz­ten bren­nend schö­nen Ok­to­ber­tag her­auf­ge­führt hat. Und da ei­nes bis­lang er­folg­lo­sen klei­nen Kunst­ma­lers Hoch­zeits­rei­se sich ge­ra­de bis zu ei­nem der klei­nen Gru­ne­wald­seen er­stre­cken kann, so sit­zen an die­sem Nach­mit­tage eng an­ein­an­der­ge­schmiegt die bei­den Men­schen­kin­der in dem schüt­teren Wal­de zwi­schen fort­ge­wor­fe­nen Eier­scha­len und Zi­ga­ret­te­ne­tu­is und all die­sen häss­li­chen Re­si­du­en der Groß­stadt, ko­chen auf Spi­ri­tus eine ma­ge­re Erb­sen­sup­pe, füt­tern mit den Res­ten das Ba­stard­hünd­chen »Binky«, das Sif als ein­zi­ges Braut­gut in die Ehe mit­ge­bracht hat.

Und Rad­fah­rer­ver­ei­ne kom­men vor­über auf der na­hen Stra­ße, die ha­ben in Form von bun­ten Fähn­chen ihre po­li­ti­sche Ge­sin­nung auf ih­rer Lenk­stan­ge ge­hisst … klei­ne Bü­ro­mäd­chen dann, die, um nur nicht schon prä­nu­me­ran­do12 den Schreib­ma­schi­nen­lärm des nächs­ten Ta­ges in den Ohren zu ha­ben, so jäm­mer­lich laut zu ei­ner zwei­fel­haf­ten Beglei­tung Lau­ten­lie­der sin­gen. Und bru­ta­ler Lärm kommt von der Gar­ten­wirt­schaft des Jagd­schlos­ses, das sich in­mit­ten von Wei­ber­ge­kreisch und Kin­der­ge­quäk nach den Hift­hör­nern13 und der Wal­des­s­til­le ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te sehnt, und un­barm­her­zig wie ges­tern im Dom dröh­nen von der an­de­ren See­sei­te, von den Rum­mel­plät­zen die Or­che­strio­ne der Ach­ter­bah­nen, ver­mengt zu ei­nem ab­scheu­li­chen Brei mit dem Kei­fen zan­ken­der Ehe­paa­re und dem Hu­pen­ge­heul der Höl­len­wa­gen auf der Stra­ße.

Ja, da sit­zen sie und ver­su­chen, die häss­li­chen Be­mer­kun­gen zu über­hö­ren, die vor­über­zie­hen­de halb­wüch­si­ge Lüm­mel ih­rer Ver­liebt­heit zu­schi­cken, über­tö­nen mit ih­ren Zu­kunfts­plä­nen die ge­hei­me Angst vor dem »Knock out« der großen schreck­li­chen Stadt: Mor­gen schon fährt Rob­by nach Mün­chen, ver­han­delt über sei­ne Gra­phi­ken mit ei­nem Ver­le­ger … gib acht, klei­ne Sif, nach vier Ta­gen ist er zu­rück, be­han­gen mit Auf­trä­gen wie ein Weih­nachts­baum … im nächs­ten Jah­re muss man stun­den­lang bei Rob­by an­ti­cham­brie­ren, wenn man sich por­trä­tie­ren las­sen will bei ihm … im nächs­ten Jah­re schon ma­chen sie sich frei von der großen Stadt … ja, um Got­tes wil­len, wo ist ei­gent­lich Binky ge­blie­ben?

Dort un­ten auf der Stra­ße, wo eben mit flat­tern­den Fah­nen der Jung­trupp der po­li­ti­schen Kon­gre­ga­ti­on »Neu­es Le­ben« vor­über­ge­zo­gen ist und nach sich eine Wol­ke von Ge­gröhl und Staub zieht, dort un­ten liegt als win­seln­des klei­nes Bün­del Binky, der es of­fen­bar ge­wagt hat, einen der Jüng­lin­ge an­zu­kläf­fen, und dem ein Stock­hieb das Rück­grat ge­bro­chen hat: lang­ge­zo­ge­nes Heu­len, zier­li­che wei­ße Vor­der­pföt­chen, die nach sich den ge­lähm­ten Hin­ter­leib schlep­pen … arme, um Gna­de bet­teln­de Au­gen, in de­nen schon der Tod um­geht …

»Töte es«, schluchzt die klei­ne Sif und weiß ge­nau, was hier noch zu tun ist … »so töte es doch end­lich!«

Und da, als Rob­by nichts an­de­res kann, als mit hem­mungs­lo­sem Wei­nen zu er­wi­dern, da ge­schieht et­was Selt­sa­mes: Sie stampft wü­tend mit dem Fuß, sie fährt Rob­by an, sie bricht, als al­les nichts nützt, einen so­li­den Knüp­pel ab, sie schlägt zu … zwei­mal, drei­mal, bis das klei­ne Bün­del still liegt. Dann geht sie wei­nend in den Wald, um dem to­ten Binky sein Hun­de­grab zu gra­ben.

Auf der abend­li­chen Heim­fahrt dann der rohe Kampf um die Plät­ze … Men­schen, die wie Trau­ben an den Wa­gen hän­gen … Ge­brüll der heim­keh­ren­den Fuß­ball­mann­schaft »Cam­per­down« … die Ver­liebt­heit, mit der sie sich dann doch um­schlin­gen in­mit­ten all des ro­hen Lärms … der ers­te Zwi­schen­fall die­ser Ehe scheint über­wun­den.

Fol­gen­des er­eig­net sich am nächs­ten Abend: Rob­bys Kof­fer sind ge­packt, um sie­ben sit­zen sie in der Stadt­bahn, um acht Uhr wol­len sie sich mit Schwa­ger Lex in der Bar des Ex­cel­sior­ho­tels tref­fen, bis um neun Rob­bys Zug geht. Und dann, wäh­rend der Fahrt, vom Fluss her­auf der fri­sche Wind mit dem Hauch von Teer und Was­ser, die Stadt, die ih­ren Syn­ko­pen­rhyth­mus von Tram­bahnklin­geln und Hu­pen­lärm her­auf­schickt, die schö­nen Lich­ter­dia­de­me der stumm vor­über­glei­ten­den Fern­zü­ge: Rei­se­lust, Le­bens­mut … si­cher­lich bringt Rob­by aus Mün­chen einen gan­zen Kof­fer zu­rück mit er­füll­ten Sif-Wün­schen.

In der Nähe des Alex­an­der­bahn­ho­fes ge­schieht es, dass der Herr, der als ein­zi­ger Mit­pas­sa­gier ih­nen ge­gen­über­sitzt, die klei­ne Sif in höchst un­zwei­deu­ti­ger Wei­se zu fi­xie­ren be­ginnt: gu­ter Ver­die­ner mit voll­blü­ti­gem Ge­sicht … auf der Wes­te des blau­en An­zu­ges eine fet­te Hand mit Bril­lant­ge­schwü­ren … wo sah man schon sol­che Hand, und wo spür­te man schon ein­mal die­sen schwei­ßi­gen Hauch des Be­geh­rens, der von die­sem Men­schen nun zu ihr kommt?

Sie steht auf, starrt, um den schmie­ri­gen Bli­cken, den halb­laut ge­mur­mel­ten Be­mer­kun­gen zu ent­ge­hen, durchs Fens­ter, fragt, um Un­be­fan­gen­heit zu heu­cheln, ob der Bör­sen­bahn­hof vor dem der Fried­rich­stra­ße kom­me, setzt sich schließ­lich wie­der.

Es ge­schieht zwi­schen bei­den Bahn­hö­fen – hier, wo die Miet­ka­ser­nen ihre ver­räu­cher­ten Rück­fron­ten scham­los wie kah­le Hin­tern prä­sen­tie­ren mit er­leuch­te­ten gar­di­nen­lo­sen Fens­tern und auf­ge­schwemm­ten Män­nern in ver­schwitz­ten Woll­hem­den und ver­härm­ten krebs­kran­ken Fünf­zi­ge­rin­nen in nie ge­lüf­te­ten Wohn­kü­chen — hier in dem Halb­dun­kel des schlecht er­leuch­te­ten Coupés ge­schieht es, dass der an­de­re plötz­lich, völ­lig über­zeugt von der Un­wi­der­steh­lich­keit sei­ner Rei­ze, sei­ne Hand auf ihr Knie legt.

Und nun ist es schon ge­sche­hen, das Ent­setz­li­che: Es ist der klei­ne überz­ar­te Rob­by, der dem an­de­ren ins Ge­sicht schlägt … ein­mal, zwei­mal … es ist Rob­by, der im nächs­ten Au­gen­blick selbst tau­melt un­ter ei­nem Brust­stoß, es sind bei­de Män­ner, die im nächs­ten Au­gen­blick rin­gend am Bo­den lie­gen.

Wer der Sie­ger bleibt in die­sem Kampf, kann ja nicht zwei­fel­haft sein: Zu­erst reißt der an­de­re Rob­by hoch, wirft ihn mit dem Kopf ge­gen die Coupé­tür, wälzt sich über ihn mit sei­nem schwe­ren Kör­per. Es nutzt Rob­by zu nichts, dass er sich in die­ser Stel­lung noch ge­gen den, der über ihm kniet, mit schwäch­li­chen von un­ten ge­führ­ten Schlä­gen wehrt: Am Ende kommt die­se feis­te Hand, dreht den klei­nen Ma­ler ein­fach um, stößt ihn un­ter har­ten Be­schimp­fun­gen mit dem Ge­sicht, wie man einen jun­gen Hund mit der Nase in sei­ne Sün­den stupft, auf den Bo­den die­ses Vo­r­ort­coupés, auf dem seit die­sem Mor­gen Ar­bei­ter, Zu­häl­ter, Kon­sis­to­ri­al­rä­te und Gym­na­sias­ten ihre Früh­stücks­res­te und alle sons­ti­gen Spu­ren ih­res Er­den­wan­dels hin­ter­las­sen ha­ben.

Der Kampf en­det un­mit­tel­bar vor der Fried­rich­stra­ße. Der Sie­ger hält, als der Zug steht, noch eine freund­li­che an Rob­by ge­rich­te­te Rede, droht für den Fall der Wie­der­ho­lung ei­nes sol­chen An­grif­fes die Wehr­macht des deut­schen Staa­tes, die Po­li­zei, die gött­li­che Vor­se­hung in Be­we­gung zu set­zen, wid­met der sü­ßen klei­nen Sif ein Schelt­wort, vor dem ein Ham­bur­ger Zu­häl­ter vor Scham in den Bo­den sin­ken wür­de, ist zu se­hen, wie er an der Sei­te ei­ner un­wahr­schein­lich ele­gan­ten Dame im Fond ei­ner Au­to­drosch­ke ver­schlun­gen wird von dem brül­len­den Ra­chen der Fried­rich­stra­ße.

Und dann ras­selt der Om­ni­bus mit dem ver­prü­gel­ten Rob­by und sei­ner Gat­tin das Rie­sen­ther­mo­me­ter der Fried­rich­stra­ße ent­lang vor­bei an dem gan­zen un­hei­li­gen Ge­trie­be von Schau­fens­tern und blit­zen­der Tal­mi­pracht, an Gro­schen-Au­to­ma­ten und Bar­knei­pen mit zwei­fel­haf­ten Würs­ten und Stra­ßen­händ­lern mit hoch­ge­stell­ten Sarot­ti­kis­ten und Dir­nen und Ta­schen­die­ben und In­fla­ti­ons­dan­dys in krach­neu­en Le­der­män­teln. Er sitzt ge­duckt und ver­prü­gelt da mit zer­knit­ter­ter Wä­sche und blu­ten­der Lip­pe, er würgt die halb­lau­ten spöt­ti­schen Be­mer­kun­gen der Nach­barn her­un­ter, er weiß, dass sie sich sei­ner nun schä­men muss, die klei­ne Sif.

»Bleib’ hier und war­te.« Sie fer­tigt ihn sehr kurz ab vor der rie­si­gen Dreh­tür des Ho­tels, sie über­lässt ihn ein­fach der Neu­gier des Por­tiers … un­mög­lich, ihn hin­ein­zu­neh­men in die­sem Zu­stan­de. Sie fühlt, dass sie ei­gent­lich roh han­delt an ihm, sie könn­te sich selbst prü­geln da­für und weiß es doch nicht an­ders …

Da steht sie in die­ser Hal­le mit Geld­ma­chern, Hoch­zeits­paa­ren, hun­dert­pfer­di­gen Ben­zin­rit­tern, Smo­king­be­sit­zern und ver­hüll­ten So­wje­tagen­ten, klagt ihr Leid dem Schwa­ger Lex, der da in sei­nem un­ta­de­li­gen Abend­an­zug sie er­war­tet hat, schluchzt vor Är­ger über den ver­dor­be­nen Abend, über die Schmach.

»Un­er­hört«, sagt der Schwa­ger Lex und zahlt und geht mit ihr hin­aus zu dem Häuf­chen Elend, das da drau­ßen war­tet. Und dann wird Rob­by klar­ge­macht, dass er in die­ser Ver­fas­sung un­mög­lich hin­ein dür­fe, dass man doch eben­so gut auf dem Bahn­steig war­ten kön­ne. Und schließ­lich wird Rob­by von dem äl­te­ren Bru­der – ge­nau wie ein klei­ner Schul­bub, der mit ei­nem neu­en An­zug in eine Pfüt­ze ge­fal­len ist – in die Waschräu­me des An­hal­ter Bahn­hofs zur Ran­gie­rung sei­nes An­zugs ge­schickt, mit al­len sei­nen Plä­nen und Hoff­nun­gen, nach­dem man noch ein­sil­big eine hal­be Stun­de pro­me­niert hat, in den Münch­ner Schnell­zug ver­frach­tet. Und da ge­schieht es dann doch, dass sie, die sich des klei­nen hilflo­sen Jun­gen noch eben ge­schämt hat, ur­plötz­lich al­lem Pro­test­ge­schrei tü­ren­schlie­ßen­der Schaff­ner zum Trotz das Coupé noch ein­mal stürmt und ihn wei­nend um­armt … ein letz­tes und noch ein al­ler­letz­tes Mal, als müss­te sie sich tren­nen von ihm für ewi­ge Zei­ten.

Unend­li­che Trau­er be­schleicht sie, als sie die ro­ten Schluss­lich­ter des Zu­ges ver­schwin­den sieht. Am As­ka­ni­schen Platz, den sie am Arm ih­res Schwa­gers über­schrei­tet, sto­ßen sie auf einen Men­schen­auf­lauf: ein Blin­den­hund, der sei­nen Herrn durch den Wa­gen­strom hat ge­lei­ten sol­len, hat, ver­wirrt von dem Rie­sen­wir­bel des Ver­kehrs, einen ein­bie­gen­den feu­er­ro­ten Höl­len­wa­gen über­se­hen. Der Hund ist un­be­schä­digt ge­blie­ben; von sei­nem Herrn, der eben wie in einen Back­ofen ein Stück Brot in den Sch­lund des schwar­zen Un­fall­wa­gens ge­scho­ben wird, ist nur ein mä­ßi­ger, mit Ap­fel­scha­len und Öl­spu­ren un­ter­misch­ter Blut­fleck üb­rig.

Ein Po­li­zist no­tiert die Zeu­gen, zwei Drosch­ken­chauf­feu­re raun­zen halb­laut auf die un­er­wünsch­te Er­fin­dung des Fuß­gän­gers, un­ter den her­um­ste­hen­den Sach­ver­stän­di­gen des Pub­li­kums ha­ben sie­ben min­des­tens acht ver­schie­de­ne Mei­nun­gen: in der Mit­te un­tröst­lich, dass ihm das hat pas­sie­ren müs­sen, steht mit schwe­fel­gel­ben, rat­los nach dem ver­schwun­de­nen Herrn su­chen­den Au­gen der große schwar­ze Kö­nigs­pu­del, hebt hilf­los die Pfo­te, bricht in ein lang­ge­zo­ge­nes kläg­li­ches Heu­len aus, das den gan­zen Höl­len­lärm des Plat­zes über­tönt.

Sie strei­chelt den wol­li­gen Ne­ger­kopf, der Jam­mer der klei­nen ar­men Krea­tur greift nach ihr, aus Kin­der­zei­ten ein un­end­lich trau­ri­ger Vers fällt ihr ein:

Der Mond, der scheint,

Das Kind­lein weint.

Die Uhr schlägt zwölf,

Dass Gott doch al­len Kran­ken helf …

Da hat der Hund ur­plötz­lich die Wit­te­rung des Fleckes auf der Erde in die Nase be­kom­men, drängt sich vor­über an zwei halb­wüch­si­gen Bur­schen, emp­fängt einen Fuß­tritt, quit­tiert mit schmerz­li­chem Jau­len, setzt im Ga­lopp dem Wa­gen nach, der in­zwi­schen auf sei­nem Wege nach Nor­den, nach den großen Kran­ken­häu­sern ver­schwun­den ist im Ge­wühl der Stra­ße.

Nein, un­ter kei­nen Um­stän­den lässt es der Schwa­ger Lex zu, dass sie in die­ser trü­ben Stim­mung nach Hau­se geht: hin­ein noch ein­mal in die Bar und mit weißem Bur­gun­der den Abend ein­ge­renkt!

Und wie­der sitzt sie in den wei­chen Klub­ses­seln des nie­de­ren Rau­mes, gießt, um die Trau­rig­keit los­zu­wer­den, zwei große Kel­che Hau­tes Sau­ter­nes her­un­ter, sucht sich zu zer­streu­en an dem Thea­ter der großen Hal­le: Ge­ne­ral­kon­sul Stu­demund aus Ham­burg hat doch zwei Zim­mer ohne Bad vor­aus­be­stellt zum Don­ner­wet­ter … Herr Per­zin­ski aus Wien wird von ei­nem Drei­kä­se­hoch in Ho­te­l­uni­form ans Te­le­fon di­ri­giert … Frau Ge­ne­ral­di­rek­tor Kru­se ist die Hand­ta­sche nebst Bar­geld und Schmuck ab­han­den ge­kom­men …

Ir­gend­je­mand in der Nach­bar­lo­ge muss sie wohl fi­xie­ren! Sie kann nichts se­hen, ihr Rücken ist dort­hin ge­wandt … sie fühlt trotz­dem deut­lich, dass in das Fleisch ih­res tie­fen Na­cken­aus­schnit­tes sich gie­ri­ge Män­ner­bli­cke boh­ren. Und wie sie er­neut trinkt, um die Ver­le­gen­heit her­un­ter­zu­spü­len, als sie wohl­tu­end das schwe­re süße Gift durch das Hirn schlei­chen fühlt, da spürt sie, wie ein Lack­schuh auf dem ih­ren ruht, wie ihr Fuß ge­lieb­kost wird von die­sem Män­ner­fuß …

Der Schwa­ger Lex! … nein doch, un­mög­lich: Ist er’s ge­we­sen, so ist’s eben aus Ver­sehn pas­siert! Sie ist blut­rot ge­wor­den, sie zieht den Fuß zu­rück. Der Schwa­ger Lex er­zählt mit sehr harm­lo­sem Ge­sicht, dass er ver­wun­det wor­den sei, er zeigt ihr, von rus­si­schen Rei­te­r­at­ta­cken und dem ver­nich­ten­den Feu­er sei­ner Bat­te­rie schwa­dro­nie­rend, eine Schrap­nell­nar­be am Arm … der Schwa­ger Lex hat es be­stimmt nicht ge­tan, der Schwa­ger Lex stößt er­neut mit ihr an und schmiegt, wäh­rend er trinkt, sein Knie dicht an das ihre …