Auf die Plätze fertig Liebe - Dolores Mey - E-Book

Auf die Plätze fertig Liebe E-Book

Dolores Mey

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mona ist alleinerziehend und frustriert. Sie ist es leid, ständig auf das Goodwill ihrer Eltern angewiesen zu sein. Sie sehnt sich nach Selbststimmung und nach einem Mann. Gemeinsam mit ihrer Freundin Anne, einer bislang erfolglosen Journalistin, träumt sie davon, in eine andere Stadt zu gehen. Auch Anne hätte nichts dagegen, ihr Singledasein aufzugeben, doch noch mehr als das, will sie endlich die Story ihres Lebens schreiben. Eine, die das ganze Land liest. Unterdessen kämpft der ehrgeizige Profifußballer Erik um seine Ehre. Er wurde Opfer einer Intrige. Auf die Presse ist er gar nicht gut zu sprechen. Nur sein Kumpel Sebastian, ein Ex-Profi und Weiberheld glaubt an ihn. Das Schicksal führt die Vier zusammen. Aber können vier so unterschiedliche Charaktere wirklich gemeinsam etwas erreichen? Eine gemeine Intrige aufklären? Obwohl Anne Journalistin ist? Und wie passt da die Liebe rein? Eine fesselnde Geschichte über vier junge Leute, die auf der Suche nach ihrem Platz im Leben sind. Es geht um Freundschaft und natürlich um die Liebe … Ein Buch zum Mitfühlen und Schmunzeln. Spaß und Spannung garantiert! - tolino select Redaktion Überarbeitete Neuauflage des Romans Herzrasen - Liebe auf Umwegen aus dem Jahr 2020

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schon als Kind hat sich Dolores Mey Geschichten ausgedacht, um nachts der Dunkelheit ihres Zimmers zu entfliehen. In ihrer Jugend formte sich dann der Wunsch, diese Geschichten aufzuschreiben, doch viele Jahre glaubte sie nicht, dazu befähigt zu sein, so etwas großes wie einen Roman schreiben zu können.

Durch all die Jahre hinweg hat die Autorin alles, was aneinandergereihte Buchstaben aufwies, verschlungen und sich immer wieder heimlich gewünscht, doch auch schreiben zu können. Nach Jahren, in denen die Familie im Vordergrund gestanden hat, hat sie schließlich ihr Mann dazu animiert, ein Fernstudium für Belletristik zu absolvieren. Nach Abschluss des Studiums und nach mehreren Seminaren hat sie sich schließlich daran gemacht, ihren ersten Roman zu schreiben.

 

 

 

Hauptfiguren:

 

Ramona (Mona) Diedrich

Bürokauffrau, geschieden und alleinerziehend. Freundin von Anne

 

 

Erik Vollmer

Fußballprofi, verheiratet

Freund von Sebastian

 

 

Sebastian Berger

Ex-Fußballprofi, ledig, geschieden

Unternehmer

 

 

Anne Rehberg

freie Journalistin, ledig

auf der Suche nach Erfolg

 

Mona

„Jonas! Kannst du nicht einmal deine sieben Sachen zusammen haben? Du kommst zu spät zur Schule.“ Mona Diedrich stand in der offenen Wohnungstür, schloss den letzten Knopf an ihrem Wintermantel und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den gefliesten Boden. Dabei warf sie einen prüfenden Blick in den Flurspiegel und legte ihr Augenmerk auf die blonde Kurzhaarfrisur, die dringend einen Haarschnitt benötigte. Die feinen Gesichtszüge, die sie mit einem dezenten Make-up gekonnt unterstrichen hatte, ignorierte sie dagegen.

„Herrgott, es ist jeden Morgen das Gleiche“, entfuhr es ihr, bevor sie entnervt auf ihre Armbanduhr sah. „Deine Schultasche steht hier und die Brote sind auch drin. Was ist denn jetzt noch?“

„Ich will aber keine Brote!“, schrie ihr 13-jähriger Sohn im ätzenden Ton zurück. „Das is voll uncool, Mann. Ich kauf mir was am Kiosk.“

Die Eingangstür fiel mit einem lauten Knall hinter Mona ins Schloss, während sie wie ein Geschoss durch den Flur Richtung Jugendzimmer preschte. Jonas, der damit nicht gerechnet hatte, sah erschrocken auf, als sich seine Mutter, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt, vor ihm aufbaute. Als hätte er sich verbrannt, ließ er sein Schatzkästchen fallen, das weit geöffnet zu Boden ging. Die Münzen kullerten über den Laminatboden in alle Richtungen, während die wenigen Scheine lautlos hinterher segelten.

„Siehst du, was du angerichtet hast?“, blaffte er sie an. „Jetzt dauert es noch länger, bis ich in die Schule komme.“

„Das hast du dir aber auch nur so gedacht.“ Mona schnappte sich seinen Arm. „Das Geld bleibt liegen! Sieh zu, dass du deine Jacke anziehst und den Rucksack nicht vergisst. Es reicht jetzt.“ Monas graue Augen hatten die Farbe von Gewitterwolken angenommen und blitzten ihn so energisch an, dass er sich ohne Widerworte fügte. „Und wenn du der Meinung bist, dass belegte Brote uncool sind, dann kannst du ab morgen mal sehen, wie weit du mit deinem Taschengeld kommst, wenn du jeden Tag zum Kiosk gehst.“ Sie zog ihn unerbittlich hinter sich her. „Eine Taschengelderhöhung gibts nämlich nicht. Nur dass das klar ist.“

„Na und“, trotzte Jonas, während er sich bockig die Jacke überzog. „Mir doch egal. Dann geh ich eben zu Opa. Da brauch ich dich doch nich für.“ Mit einem provokanten Grinsen stülpte er sich die Mütze über die dunkelblonden Locken und griff nach dem Rucksack.

„Diesmal nicht!“, zischte Mona und kniff verärgert die Lippen zusammen, weil sie ihm insgeheim zustimmen musste. Leider. Ihre Eltern, die Jonas jeden Wunsch von den Lippen ablasen, untergruben Monas Erziehungsmethoden, wo sie nur konnten. Sie lebten im Parterre des Zweifamilienhauses, weshalb keine Auseinandersetzung zwischen ihr und Jonas unkommentiert blieb. Unwirsch riss Mona ihre Umhängetasche vom Haken der Flurgarderobe und schloss die Wohnungstür zu, bevor sie hinter Jonas her, die Treppe hinunterlief.

Karl-Heinz Diedrich war frischgebackener Rentner, doch seine Frau, Elke, hatte nie arbeiten müssen, sondern war stets nur für die Familie da gewesen. Eine Tatsache, die er gerne betonte. Schließlich war er ein Mann, der es als seine Pflicht ansah, seine Familie allein zu ernähren. Für seinen Ex-Schwiegersohn, Lars Rieger – Jonas Vater – der sich seiner Verantwortung entzogen hatte, hatte er dagegen kein Verständnis, warum sein Name im Hause Diedrich nicht mehr genannt werden durfte. Und das war Gesetz. Punkt. Mona wusste, dass ihre gescheiterte Ehe als Begründung reichte, sie für erziehungsunfähig zu halten, weshalb Karl-Heinz ihre Autorität ständig untergrub. Und ihre Mutter war keinen Deut besser, nur subtiler. Da spielte es auch keine Rolle, dass Mona inzwischen zweiunddreißig war.

Man wird seinem Enkel gegenüber ja wohl mal ein bisschen großzügig sein dürfen …

Es war einfach nicht zu glauben, dass eben diese Großeltern vergessen hatten, wie streng sie selbst als Eltern gewesen waren. An Großzügigkeit oder Nachsicht konnte Mona sich in ihrer Kindheit jedenfalls nicht erinnern. Das würde auch ihr fünf Jahre älterer Bruder André unterschreiben, der mit seiner Familie in München lebte und nur selten zu Besuch nach Hause kam. Mona beneidete ihn glühend um diese Distanz, und würde sich glücklich schätzen, hätte sie nur ein Drittel davon. Doch leider hielt André den Abstand auch zu ihr. Wer es nicht besser wusste, konnte glauben, sie wären Fremde, aber keine Geschwister.

Vor anderen brüstete sich ihr Vater gerne mit seinem klugen Sohn. André Diedrich. Abgeschlossenes Studium, intakte Ehe und zwei Kinder. Leider nur Mädchen, aber ansonsten alles topp.

Und sie – Mona, das schwarze Schaf der Familie – hatte einen Sohn. Wenigstens etwas richtiggemacht, dachte sie ironisch. Schließlich lebten sie in Deutschland, wo man das Geschlecht eines Kindes nicht so ohne Weiteres selbst bestimmen konnte.

Und das war noch nicht alles! Der Junge kam nach dem Opa, denn Jonas liebte Fußball über alles und besaß auch noch Talent. Das war definitiv die einzige Schwachstelle ihres ansonsten so perfekten Bruders. André konnte Fußball nicht ausstehen. Was für eine Schmach also, dass ausgerechnet Kalle, nordhessischer Vorzeigefußballer der Siebziger und Achtziger - die Tormaschine Kalle – einen so leidenschaftslosen Schlauberger zum Sohn haben musste. Einen, der das Leben mit Vorliebe nüchtern analysierte und sich am liebsten nur im Kopf bewegte. Ein Unding.

Es hatte Jahre gebraucht, bis Karl-Heinz resignierte und kommentarlos hinnahm, dass sein Sohn keinen Gefallen an dem fand, was für ihn die Welt bedeutete. Aber verglichen mit einer geschiedenen und alleinerziehenden Tochter, die froh sein durfte, einen Bürojob zu haben, war so ein klitzekleiner Makel natürlich keiner Rede wert. Immerhin konnte sich André inzwischen mit Prof. Dr. anreden lassen. Damit hatte er sich mit eigener Leistung in den Olymp der Erfolgreichen katapultiert. Familiäre Unterstützung brauchte er jedenfalls keine.

Wohingegen Mona ihrem Vater genau dafür dankbar sein musste. Denn er war es gewesen, der sie kurz nach der Entbindung – das Abitur hatte sie noch im hochschwangeren Zustand gemeistert – bei einem weltweit führenden Automobilkonzern als Auszubildende im kaufmännischen Bereich untergebracht hatte. Die Hoffnung, dass das jemals ohne Erwähnung bleiben würde, hatte sie inzwischen aufgegeben.

Oh ja, wie dankbar sie doch sein musste. Nicht nur wegen des Jobs, sondern auch für die komfortable Drei-Zimmer-Dachwohnung, in der sie mit Jonas wohnte und für die sie nur die Nebenkosten zu zahlen brauchte – dafür aber ihr komplettes Privatleben am Gartenzaun abgab.

Monas Blick blieb an Jonas‘ Rückenpartie hängen und ihr wurde bewusst, wie enorm er sich in den letzten Monaten weiterentwickelt hatte. Seine Hände und Füße schienen ein Eigenleben zu führen, so sehr waren sie gewachsen, aber auch von der ehemaligen Schlaksigkeit war nicht mehr viel zu sehen. Sicher lag das auch daran, dass er seit Jahren regelmäßig zum Fußballtraining ging. Er gehörte sogar zu den Leistungsträgern seiner Mannschaft, was besonders den Opa hoch erfreute. Schließlich war der es gewesen, der den Enkel im Alter von fünf Jahren in seinem Verein angemeldet hatte.

Ein weiterer Punktesieg, den Karl-Heinz im Rennen um Jonas‘ Anerkennung verbuchen konnte, registrierte Mona und befürchtete, als Mutter immer weniger Einfluss auf die Erziehung ihres Sohnes zu haben. Aber was sollte sie dagegen tun? Jonas liebte seinen Opa genauso, wie er Fußball liebte.

 

Erik

Nordrhein-Westfalen.

Erik starrte fassungslos auf die Wohnungstür, die gerade hinter Katja ins Schloss fiel. Noch immer in der Jacke harrte er wie vor den Kopf geschlagen neben den unausgepackten Koffern mitten im Flur, während ihre Worte in ihm nachhallten.

„Lass sie stehen, ich räume sie nachher aus. Muss nur mal schnell in den Laden. Warte nicht auf mich, es kann spät werden.“

Der Laden. Wenn er nur das Wort schon hörte, könnte er glatt aus der Haut fahren. Seit einem Vierteljahr arbeitete Katja in einer Boutique in Oberhausen. Edelklamotten für Damen mit dickem Geldbeutel. Dem Stil ihrer Kundinnen hatte sie sich inzwischen angepasst, denn, wie eine fünfundzwanzigjährige Studentin sah sie nicht mehr aus. Und … ob sie noch immer eine war, ließ sich, zumindest nach seinem heutigen Wissensstand, nicht mehr so genau sagen. Den Eindruck, gut informiert zu sein, hatte er ohnehin seit dem Karibikurlaub nicht mehr. Nur eine Ahnung – was oder vielmehr wer – sie gerne sein würde, die hatte er. Keine Kunst, das zu erraten, bei dem Auftreten, das sie neuerdings an den Tag legte. Katjas großes Vorbild hieß: Kate. Wohlbemerkt Prinzessin Catherine von Wales, ehemals Middleton. Den Floh musste ihr Hugo Simon, der Besitzer der Boutique, ins Ohr gesetzt haben. Ügoo nannte sie ihn. Sie würde wie die attraktive Familienangehörige des englischen Königshauses aussehen, schwärmte ihr Chef und sie schien den Quatsch auch noch zu glauben.

Gut, es ließ sich tatsächlich nicht ganz von der Hand weisen, dass es eine gewisse Ähnlichkeit gab. Lange dunkle Haare, grazile Figur und ein schönes Gesicht. Aber mein Gott, auf wie viele Frauen traf das noch zu? Garantiert Unzählige. Auf jeden Fall schien seine Angetraute nun davon besessen zu sein, ihrem Idol zu gleichen. Sie aß kaum noch etwas und ging nur noch top gestylt aus dem Haus.

Was aber aus Eriks Sicht fast noch schlimmer als der Schlankheitswahn war: Katja sprach und gestikulierte seit Neuestem in einer affektierten Art und Weise, dass ihm übel wurde. Damit nicht genug. Sie tat, als wäre sie die Boutiquebesitzerin. Sogar im Urlaub, vor der traumhaften Kulisse der karibischen Inseln, war es ihr nicht möglich gewesen, die Gedanken an den verfluchten Laden loszulassen. Jeder Bordshop wurde im Warenangebot verglichen, die Dekoration beurteilt und das Personal analysiert, so als hinge das eigene Überleben davon ab. Egal, welche Ablenkungsmanöver er auch unternommen hatte, keines fand Beachtung. Weder das weit überschätzte Candlelight-Dinner noch der Champagner unter funkelndem Sternenhimmel.

Einfach zum Verrücktwerden.

Dabei hatte Erik sich diesen Urlaub so schön ausgemalt. Endlich mal Zeit für Zweisamkeit und Honeymoon. Kein Training und keine Uni. Bloß …

„Schatz, sorry, aber ich hab meine Periode. - Du, tut mir leid, aber mir ist heute nicht danach. - Entschuldige, aber ich habe mir den Magen verdorben - Kopfschmerzen - bin so müde …“

Wahrscheinlich gab es keine einzige Ausrede, die er noch nicht kannte. Zum Ende der Reise hin hatte er es aufgegeben. Auch ihm war die Lust vergangen. Bei den Mahlzeiten hatten sie sich angeschwiegen. Jeder in die virtuelle Welt des eigenen Smartphones vertieft.Besonders in den letzten beiden Urlaubstagen war sie kaum mehr ansprechbar gewesen, wobei ihr das Handy an den Fingern angewachsen zu sein schien. Er ahnte warum. Die Boutique. Ohne sie musste der Schuppen vor dem Untergang stehen!

Wütend kickte Erik die Schuhe von den Füßen, warf auf dem Weg ins Wohnzimmer die Jacke über einen Stuhl und ließ sich seufzend auf die Couch fallen. Doch so schnell, wie er sich hatte fallen lassen, sprang er auch wieder auf. Das Gefühl, völlig planlos zu sein, war ihm neu. Keine Wut, keine Trauer. Nichts. Nur eine fürchterliche Unruhe und Leere. Was war das nur? Er konnte noch nicht einmal sagen, dass ihm Katja fehlte. Die letzten vierzehn Tage hatten gezeigt, dass er sich in ihrer Nähe genauso mies fühlte. Wozu dann also noch zusammenbleiben?

Nein. So schnell warf er die Flinte nicht ins Korn. Kopfschüttelnd und gähnend fuhr er sich mit beiden Händen durchs Gesicht und überlegte, sich aufs Ohr zu legen. Sicher war er einfach nur überreizt. Nein. So rastlos, wie er war, würde das nichts bringen. Jetlag hin oder her. Besser war es, sich nützlich zu machen und so seine innere Ruhe wieder zu finden. Ächzend erhob er sich, holte das Gepäck aus dem Flur und schlappte übermüdet Richtung Wirtschaftsraum. Die Fünf-Zimmer-Penthousewohnung, die das Mehrfamilienhaus krönte, gehörte ihm, genau wie das ganze Haus, das er sich auf Anraten seiner Eltern als Altersvorsorge gekauft hatte.

Entschlossen, seinem jämmerlichen Seelenzustand keinen weiteren Spielraum zu geben, machte er sich daran, die Koffer auszupacken. Dabei wurde sein Hirn bei jedem Schritt, den er auf den kleinen Wirtschaftsraum neben der Küche zumachte, mit Bildern aus der Anfangszeit mit Katja geflutet. Er lachte bitter auf. Wie naiv, zu glauben, dass ihr ein Leben an seiner Seite reichen würde. Sein Hang zur Bodenständigkeit bot häufiger – besonders bei seinen Mannschaftskameraden – Grund zur Frotzelei. Doch das Leben als Profifußballer war seiner Meinung nach unruhig genug, weshalb er wenigstens in seinem Privatleben eine gewisse Beständigkeit brauchte.

Er erinnerte sich an das Kennenlernen mit Katja. Sie waren sich zufällig in einem Kölner Club begegnet, als er dort mit seinen Mannschaftskameraden eingekehrt war. Sie hatte zum Personal gehört und hinter der Theke gestanden. Frisch in der Stadt angekommen, war sie mit der Fußballerszene noch nicht sehr vertraut gewesen, weshalb sie weder ihn noch seine Teamkollegen erkannt hatte. Es waren ihre haselnussbraunen Augen, in die er sich sofort verliebt hatte. Er hätte Ähnlichkeit mit dem britischen Rennfahrer Jenson Button, hatte sie bei ihrem ersten Treffen lachend gemeint, und sein Herz mit ihrer frechen Art sogleich erobert.

Erik stülpte den Inhalt der Koffer energisch vor der Waschmaschine aus, stopfte entschlossen die Handtücher hinein, bevor er das Waschpulver einfüllte, die Temperatur regelte und die Maschine schließlich anstellte.

Nach gerade mal drei Monaten - zwölf Wochen Kennenlernzeit - waren sie vor dem Standesamt gelandet, was im Vorfeld zu heftigen Diskussionen in der Familie geführt hatte. Seine Eltern hatten zur Geduld geraten, es aber dennoch nicht geschafft, ihn von der Heirat abzubringen. Doch ihren dringenden Rat, einen Ehevertrag abzuschließen, den hatte er beherzigt.

Erik legte die leeren Koffer ineinander und trug sie durch den Flur zu dem Zimmer, das zurzeit noch Abstellkammer war, aber in naher Zukunft das Kinderzimmer werden sollte. Er hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich Kinder wünschte. Eine richtige Familie, das war sein Plan. Am liebsten mit zwei oder drei Kindern. Und er hatte ihr gesagt, dass er damit nicht warten wollte, bis er graue Haare bekam.

Mit Schwung stieß er die Tür auf und blieb irritiert stehen, bevor er die leeren Koffer fallen ließ. Wie lange war er nicht in diesem Zimmer gewesen? Alle Utensilien, die noch bis vor Kurzem herumgestanden hatten, waren so ordentlich verstaut, dass in der Mitte des Raumes ein großer freier Platz entstanden war, auf dem eine Schaumstoffmatte lag. Die ehemals weiße Raufasertapete erstrahlte im sanften Apricot, nur punktuell von fernöstlichen Schriftzeichen unterbrochen. Doch am meisten überraschte ihn der große Flachbildschirm, der an der breitesten Wand hing. Erik konnte sich nicht entsinnen, den Kauf mit ihr abgesprochen zu haben. Schließlich befand sich im Wohnzimmer eine Multimediaanlage vom Allerfeinsten.

Yoga ist einfach megacool.

So so. Und dafür hatte sie sich hinter seinem Rücken klammheimlich ein privates Yogastudio eingerichtet.

Warum verdammt noch mal hatte sie das nicht mit ihm abgesprochen?

Als wenn er ihr das verwehrt hätte.

Als wenn er ihr überhaupt schon mal was verwehrt hätte.

Nur mal darüber reden, konnte doch wohl nicht zu viel verlangt sein, oder? Es gab Zeiten, da war er sogar darüber informiert worden, in welcher Woche ihre Freundin die Periode bekam.

In Eriks Hirn ratterten sämtliche Rädchen. Er fing an, zu verstehen. Kinderkriegen schien demnach kein Thema mehr zu sein. Eher eine Karriere als Schönheitskönigin. Und wenn er darüber nachdachte, wie scharf sie anfangs auf ihn gewesen war und das damit verglich, wie sie sich im Urlaub verhalten hatte, ging ihm nicht nur ein Licht, sondern ein ganzer Kronleuchter auf.

Das Handy vibrierte in seiner Gesäßtasche. Die Hoffnung, dass es Katja war, erlosch, als er die Nummer seines Bruders Björn erkannte.

„Hi Kleiner, wollte nur mal hören, ob bei euch alles okay ist?“

„Ja … ja … na klar“, stammelte Erik. „Alles prima. Wusste gar nicht, dass ich unseren Rückreisetag erwähnt hatte.“

„Hast du. Und? Erzähl! Wie war‘s in der Karibik? Mensch haben wir euch beneidet. Hier war nur Sauwetter.“

Erik holte tief Luft und bemühte sich um einen optimistischen Ton. Bevor er sich nicht mit Katja ausgesprochen hatte, wollte er die Pferde nicht scheu machen. „Na ja, als alter Kreuzfahrtexperte kennst du das doch. Der Service, das Zimmer und das Abendprogramm … alles topp. Wirklich. Kann man nur empfehlen. Ja und auch die Stopps auf den Inseln, alles super, echt.“

„Sag mal, ist bei dir wirklich alles in Ordnung?“, reagierte sein Bruder verzögert. „Reden wir von einem Traumurlaub in der Karibik, oder von einem Städtetrip nach Castrop-Rauxel?“

„Ja … äh … nee. Ach Mann, ich bin nur noch nicht richtig da.“ Erik räusperte sich. „Das kennst du doch. Innerhalb von zwölf Stunden von einer Welt in die andere. Das schlaucht. Das ist alles.“

„Ach so.“ Sein Bruder klang wenig überzeugt. „Und wie kommt Katja damit klar? Die stopft doch bestimmt schon die Waschmaschine voll, oder? So kenne ich das jedenfalls von Isa. Kaum sind wir zurück, brummt die Kiste.“

„Nee, das mache ich gerade. Sie ist nicht da, musste in die Boutique, wo sie arbeitet. Scheint dringend zu sein.“

„Heute? An dem Tag, an dem ihr von so einem Mammuttripp zurückkommt?“ Björn hatte noch nie einen Hehl aus seiner Meinung gemacht. „Äh … wir hauen uns dann immer erst mal aufs Ohr.“

Erik wusste darauf nichts zu sagen. Im Grunde war er verdammt weit davon entfernt, überhaupt etwas zu wissen.

„Tja, es ist, wie ich’s dir gesagt hab“, erwiderte er deshalb nur knapp.

Für einen Moment herrschte ratlose Stille in der Leitung.

„Willst du dich hinlegen? Wenn nicht kannst du auch rüberkommen. Ich hätte da ein paar interessante Sachen mit dir zu besprechen.“

Björn wohnte mit seiner Frau nur drei Straßen weiter.

„Ja, warum eigentlich nicht …“ Erik war plötzlich hellwach. „Hast du was von Augsburg gehört?“

„Komm rüber. Dann wirst du es erfahren.“

„Okay … gib mir ´ne halbe Stunde.“

Erik drückte die rote Taste und atmete aus. Sein Bruder hatte mal wieder genau im richtigen Moment zum Hörer gegriffen. Er ballte die Fäuste. Es wurde Zeit, dass er sich um seine Karriere kümmerte. Schlimm genug, dass ihn ein Kreuzbandriss vor anderthalb Jahren mächtig aus der Bahn geworfen hatte. Er hatte nicht vor, eine weitere Saison in der dritten Liga herumzudümpeln. Er wollte nach oben. Zurück in die Bundesliga. Und wenn der Aufstieg mit Blau-Weiß-Grube in die Zweite Liga gelang, waren seine Chancen dafür gut. Björn würde sich darum schon kümmern. Sein Bruder, ein gewiefter Agent, hatte zu Beginn von Eriks Karriere sein Management übernommen. Einem Fremden vertraute der Familienclan nicht, denn auch Vollmer Senior, hielt ein wachsames Auge auf die Aktivitäten seiner Söhne, was sich mehr als einmal ausgezahlt hatte.

Kurz bevor er sich auf den Weg zu seinem Bruder machte, sichtete Erik noch seine Mails. Als er den Absender von Sebastian Berger, einem ehemaligen Vereinskamerad, erkannte, erhellten sich seine Gesichtszüge.

 

Sebastian

Sebastian Berger saß am Schreibtisch und startete einen dritten Anlauf, die Teilnehmerliste für das Promifußballspiel durchzugehen, das im Rahmen der Eröffnungsfeier stattfinden sollte. Angelehnt an die Spielsaison der Bundesliga, war der Termin so veranschlagt, dass eine Teilnahme möglich war, und dennoch hatten noch nicht alle zugesagt. Das Spiel, bei dem sich nur bekannte Profifußballer ein Stelldichein geben sollten, war das Sahnehäubchen für den Eröffnungstag. Die Promis – von denen einige noch in der Liga spielten, während andere, genauso wie er, sich bereits in einem Leben danach eingerichtet hatten – kannte er aus vielen Zusammenkünften, die sich in einer Profilaufbahn selbstverständlich ergaben. Unter der Rubrik Freundschaften konnte man diese Verbindungen allerdings nicht verbuchen. Eher so, wie ein Verhältnis von Arbeitskollegen. Sebastian freute sich darauf. Durch das Spiel würde ein wenig die Stimmung aufkommen, die er aus der Zeit kannte, als er noch aktiv gewesen war. Und außerdem würde ihm die Gaudi eine Publicity einbringen, die er für den Neustart gut gebrauchen konnte.

In diesen Tagen einen Moment für Ruhe und Konzentration zu finden, war angesichts des Lärms, der aus allen Ecken des Gebäudes dröhnte, ein beinahe unmögliches Unterfangen. Sein Vorhaben, das Betreiben einer Fußballschule mit Indoorhalle, sowie ein Sport- und Fitnesscenter, das über die Angebote der anderen Studios hinausging, nahm um ihn herum Formen an. Endgültig vom Lärm genervt, der seine mangelnde Konzentration noch verstärkte, sprang er auf und lief durch den Raum. Vor einer gläsernen Wand blieb er stehen. Da sich das Büro im ersten Stock befand, konnte er direkt auf die Fußballhalle blicken und die Männer beaufsichtigen, die mit den Abschlussarbeiten an der Wandverkleidung beschäftigt waren. Heute sollten sie fertig werden. Endlich. Mit einem Monat Verspätung. Doch damit war das Tohuwabohu noch lange nicht vorbei. Die vielen anderen Handwerker, die alle umher wuselten und letzte Handgriffe anlegten, hatten mindestens noch eine Woche zu tun. Das jedenfalls waren die Worte des Bauleiters gewesen. Was dann heißen würde: Dass die Fliesenleger, die Maler und letztendlich die Firma – die das Studio mit Geräten bestückte – sich gegenseitig behinderten und immer dem anderen die Schuld für weitere Verzögerungen geben würden. Gar kein Gedanke daran, dass der Trupp für die Endreinigung schon mit den Hufen scharrte und dass zu guter Letzt alle Sportstätten noch für die Feierlichkeiten dekoriert werden mussten. Es war zum Haareraufen. In vierzehn Tagen sollte die Eröffnung stattfinden. Der Termin stand wie in Stein gemeißelt. Die Einladungen – auch die für die Presse – waren bereits verschickt.

Sebastian seufzte.

Tolle Zukunftspläne schmieden, war das eine – und das andere – die Umsetzung. Dabei hatte er den Zeitraum schon sehr großzügig bemessen, hatte zusätzlich noch ein Vierteljahr Pufferzone anberaumt, und trotzdem kam er jetzt in die Bredouille. Doch für die Verwirklichung seines Traums, den er schon so lange hegte, würde er jede Hürde nehmen. Etwas anderes verbot ihm sein Ehrgeiz.

Mit fünf hatte er das erste Mal an einen Ball getreten und war sofort vom Fußballfieber infiziert gewesen. Unheilbar, bis heute. Als vierzehnjähriger bekam er, dank seines damaligen Trainers, Horst Ziegler, die Chance, richtig in den Fußballzirkus einzusteigen. Einmal dabei, immer dabei. Und er wollte auch gar nicht mehr weg. Dieser Sport war sein Leben. Das Alpha und Omega. Das Mantra, hinter dem sich alles fügen musste. Absolut alles. Die Natur hatte ihm dafür das Talent in die Wiege gelegt. Das allein reichte jedoch längst nicht. Der Spaß am Spiel war nur eine Voraussetzung, um erfolgreich sein zu können. Doch darüber hinaus brauchte man Ehrgeiz, Disziplin und – die Gunst der Götter. Also Glück. Konkret ausgedrückt: Ohne Förderer lief nichts.

Bei ihm war das Horst Ziegler gewesen. Ein ewiger Junggeselle, der sein Leben dem Fußball zu Füßen legte.

Stets auf der Suche nach Talenten arbeitete Horst schon früh als Scout im Auftrag großer Vereine. Von Anfang an war er Sebastians Coach, sein Berater und engster Vertrauter. Und nun auch sein Geschäftspartner. Horst nahm bei seinem ehemaligen Schützling die Rolle der Vaterfigur ein. Das ging so weit, dass er seinerzeit gemeinsam mit ihm Kassel verlassen hatte, um ihn im Westen des Landes noch mehr fördern zu können.

Natürlich hätte er ohne Sebastians eigenen Ehrgeiz nichts auszurichten vermocht. Doch der Junge aus sozial schwierigen Verhältnissen hatte die nötige Disziplin und den Biss besessen, um weiterzukommen. Außer Sebastians brennendem Wunsch, seine Leidenschaft zum Beruf machen zu können, bot sein verkorkstes Elternhaus genug Motivation, um im wahrsten Sinne des Wortes am Ball zu bleiben. Das Ergebnis von all dem war eine steile Karriere, die Sebastian im letzten Jahr – nach einer Reihe von Verletzungen – knapp 34-jährig beendet hatte.

Eigentlich könnte er sich jetzt ausruhen und das Leben genießen, doch bloßer Müßiggang entsprach einfach nicht seinem Naturell.

Seit Langem hatten sich einzelne Puzzleteile als Zukunftsvisionen zu einem Bild geformt. Besonders die Förderung im Kinder- und Jugendfußball lag ihm am Herzen. Immer vor Augen, wie viel Glück er selbst gehabt hatte, war es ihm ein dringendes Bedürfnis weiterzugeben, wovon er selbst so sehr hatte profitieren können. Er wollte sich gar nicht erst ausmalen, was ohne Horst aus ihm geworden wäre.

Für das Betreiben einer Sportstätte dieser Art eine geeignete Immobilie zu finden war eine Herausforderung gewesen. Doch wie schon so oft in seinem beruflichen Leben, hatte ihm der Zufall das fehlende Puzzleteil im richtigen Moment zugespielt. Ein leer stehendes Möbelhaus, das sich in seiner alten Heimat Kassel befand, bot optimale Voraussetzungen, um seine Pläne zu verwirklichen. Aber auch die Bedingungen, die er sich während seiner beruflichen Laufbahn in Form von wichtigen Trainerlizenzen erarbeitet hatte, trugen nun dazu bei, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Zudem stand Horst mit unbezahlbaren Kontakten und einem grenzenlosen Erfahrungsschatz zur Verfügung, was das Konzept perfektionierte.

Das Schrillen des Telefons riss Sebastian aus seinen Gedanken.

„Hey Sportsfreund. Sorry, dass ich mich erst jetzt melde, aber ich war die letzten zwei Wochen im Urlaub.“

„Erik, altes Haus. Hey, das macht doch nichts. Hauptsache, du lässt überhaupt was von dir hören. Ich hoffe, du bist dabei?“

„Na klar. Was denkst du denn? Das lass ich mir doch nicht entgehen. Ist doch Ehrensache.“

„Perfekt, so will ich dich hören.“

„Wer kommt noch alles?“

„Warte, lass mich überlegen.“ Sebastian zählte einige ausgediente Bundesliga- und Ex-Profis auf, die Erik nur vom Namen her kannte. „Es haben aber noch nicht alle zugesagt. Na ja, Absagen muss du mit einkalkulieren.“

„Logo. Aber auf mich kannst du zählen. Wir sehen uns. Ich freu´ mich.“

„Und ich erst. Ich schicke dir alle Informationen zu, die du brauchst.“ Sebastian verabschiedete sich, drückte den roten Knopf und sah auf, weil Horst Ziegler mit ungewohnt ernster Miene zur Tür hereinkam.

In Erwartung neuer bautechnischer Komplikationen zog Sebastian hörbar den Atem ein. „Was macht jetzt wieder Probleme?“

„Nein, nein. Alles bestens. Die Männer kommen gut voran“, antwortete der drahtige Mittfünfziger zurückhaltend.

Zwischen Sebastians dunklen Augen bildete sich eine Falte. „Und warum werde ich dann das Gefühl nicht los, dass du was Unangenehmes auf Lager hast? Komm, sag schon. Wenn du so ein Gesicht machst, ist doch irgendwas im Busch.“

Horst zögerte und verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere, wobei er wieder auf die DINA-4-Blätter blickte, die er in der Hand hielt.

„Mensch, jetzt machs doch nicht so spannend. Hab ich vergessen, die Stromrechnung zu bezahlen, oder was ist um Himmels willen passiert?“

„Nein, natürlich nicht.“ Horst hielt ihm das oberste Blatt hin – eine ausgedruckte Mail – und sah ihn forschend an.

Irritiert blickte Sebastian zwischen dem Ausdruck und seinem Partner hin und her. „Was ist denn damit?“ Unwirsch nahm er ihm die Mail ab, auf der ein Familienfoto mit zwei Jungen im Alter zwischen acht und zehn abgebildet waren. Widerwillig überflog er den Text. „Schön, wir haben also eine Anmeldung für die Fußballschule“, merkte er an und wollte Horst das Blatt zurückgeben, doch der nahm es ihm nicht ab.

„Vielleicht. Kommt drauf an.“

Stirnrunzelnd widmete Sebastian der Mail einen zweiten flüchtigen Blick. „Was ist los, Horst? Wir waren uns doch einig, dass du die Auswahl triffst. Was soll ich jetzt damit? Du weißt doch, dass ich mit der Teilnahme und Unterbringung der Kicker alle Hände voll zu tun habe.“

„Ja, das ist mir schon klar.“ Horst zögerte abermals, bevor er weitersprach. „Doch die beiden Jungs hier“, er tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto, „kann ich nicht ohne dein Einverständnis mit reinnehmen.“ Der ernste Blick des Älteren bohrte sich in Sebastians Augen. „Von mir aus sind sie dabei. Sofort. Da muss ich nicht drüber nachdenken … aber du solltest besser wissen, wer sich da anmelden möchte.“

„Was?“ Sebastian riss Horst das Blatt aus der Hand und betrachtete das Foto genauer. Den Text ließ er unbeachtet. Er hielt die Luft an, als er die Frau hinter den beiden Jungs erkannte. Großer Gott, wie lange war es her, dass er sie das letzte Mal gesehen und gehört hatte?

 

Anne

Anne Rehberg schaltete den Laptop aus und überprüfte ihre Arbeitstasche. Okay, Notizblock, Kamera und Teleobjektiv … alles am Platz. Mit einem Seufzer zog sie sich den eng gewordenen und viel zu dünnen Trenchcoat über und warf einen schnellen Blick nach draußen. Nasskaltes Winterwetter bei null Grad. Völlig normal für Januar. Die Jahreszeit konnte man schließlich nicht dafür verantwortlich machen, dass sie sich keinen wärmeren Mantel leisten konnte.

„Du bräuchtest nur daheim anrufen“, raunte eine kritische Stimme in ihrem Hinterkopf. „Dann wäre der Wintermantel genauso wenig ein Problem, wie eine neue Hose, die Nebenkostenabrechnung, die dringend notwendige Inspektion fürs Auto und so weiter, und so weiter. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.“

„Nein!“ Anne schüttelte energisch den Kopf. „Ich weiß selbst“, antwortete sie der imaginären Nervensäge wortlos, „dass mir meine Familie helfen würde. Das haben sie schließlich schon oft genuggetan. Aber gleichzeitig darf ich mir dann die ewige Predigt über verpasste Lebenschancen und die falsche Berufswahl anhören.“

„Und? Ist es denn nicht auch so? Jetzt sei doch mal ehrlich mit dir selbst. Warum machst du dir denn das Leben so schwer? Andere würden davon träumen, im elterlichen Familienunternehmen einsteigen zu können.“

„Dann kann ich mein Hirn auch gleich zur Organspende freigeben. Mach dies, tu das. Nein das musst du aber so machen. – Das war schon immer so. Dass du ständig neue Ideen haben musst!“ Laut äffte sie die Tiraden ihrer Mutter nach. „Nein“, trotzte sie in Gedanken weiter. „Die Litanei hab ich mir lange genug angehört. Nicht auszudenken, was erst gewesen wäre, hätte ich mit Martin eine Familie gegründet. Oh ja, ihm wäre das längst recht gewesen. Und wie! Noch dazu, wo wir mietfrei im Dachgeschoss hätten wohnen können. Damit wir auch bloß keinen Piep machen, ohne dass die Familie darüber Buch führt. Grauenhaft. Ein Leben unter ständiger Bewachung und Bevormundung. Nee, nee, ohne mich. Für kein Geld der Welt. Hast du das verstanden?“

„Ja, ja, ich bin ja nicht schwerhörig … so wie du mich anschreist. Ich hab´s doch nur gut gemeint.“

„Und den Satz will ich auch nicht mehr hören! Nie mehr. Hörst du? Es. Geht. Mir. Gut. Und ich verkaufe meinen Seelenfrieden nicht. Lieber friere ich mir den Allerwertesten ab. Basta. Der Winter hat nur noch zwei Monate. Allerhöchstens. Und manchmal ist es auch im März schon warm.“

„Hoffentlich … für dich meine ich.“.

„Auch, wenn der Weg kein leichter ist“, rechtfertigte sich Anne. „Aufgeben kommt nicht in Frage. Irgendwann schreibe ich eine Reportage, die mir den Durchbruch verschafft. Und bis dahin ... geht‘s schon irgendwie.“

„Aber sicher … die warten ja alle nur auf dich.“

„Behalt deine Meinung für dich. Ich schaff das schon. Punkt!“

 

Den Wunsch, Journalistin zu werden, hatte Anne schon sehr lange. Mit 12 hatte sie in der Schule die Aufgabe bekommen, für einen Aufsatz zu recherchieren und ihn so zu verfassen, als müsste sie eine Reportage für eine Zeitung schreiben. Der Lehrer war von ihrer Arbeit so begeistert gewesen, dass Anne ihren Aufsatz als einzige vor der ganzen Klasse hatte vortragen dürfen. Seit jenem Tag träumte sie davon, Journalistin zu werden.

Dagegen war ihr der Gedanke, zeitlebens im Büro der Landmaschinenwerkstatt ihrer Eltern zu sitzen, Rechnungen zu schreiben und Termine zu vereinbaren, unerträglich gewesen. In einem Kaff nahe der ehemaligen Zonengrenze. Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr Monotonie und Tristesse.

Sie wusste, wovon sie sprach. Nach dem Abitur hatte sie – auf eindringlichen Wunsch der Eltern – eine kaufmännische Ausbildung absolviert. Nach drei Jahren praktischer Arbeit hatte sie sich dann das Journalismusstudium erbettelt. Aber nur unter der Voraussetzung, dass sie weiterhin dem elterlichen Betrieb als Arbeitskraft zur Verfügung stand.

Und ja sie hatte auch ihren Freund verlassen. Nach sieben Jahren Beziehung und obwohl sie da die dreißig bereits überschritten hatte. Aber nicht einfach nur so. Nein, sondern deshalb, weil sie es weder mit ihm noch in dem Kaff am Ende der Welt länger ausgehalten hatte. Rausgemusst hatte. Weg vom Elternhaus und weg von einem Mann, den sie am Ende zwar immer nochsehr gern hatte, aber unmöglich noch länger so tun konnte, als verbände sie mehr als Freundschaft. Platonische Freundschaft. Natürlich tat es ihr leid – immer noch – dass sie ihn hatte verletzen müssen. Wo er doch alles für sie getan hatte. Alles, nur nichts Aufregendes.

„Ich bin eben nicht für die Provinz geboren“, grummelte sie. „Warum versteht das denn keiner? Nur, weil alle meine Vorfahren Landeier sind?“

Anne stampfte mit dem Fuß auf.

„Und ich werde doch noch erfolgreich. Ha. Und jetzt gerade! Nein, so schnell schmeißt eine Anne Rehberg die Flinte nicht ins Korn.“

„Sehr amüsant, dein Zwergenaufstand“, hakte der Miesepeter ein, „aber bei den Jobs, die du bis jetzt an Land gezogen hast, sehe ich leider ganz schön schwarz für deinen Kontostand … äh Pardon, ich wollte rot sagen.“ Die Stimme bekam einen fiesen Unterton. „Ich sag´s ja nur ungern … und ich ziehe lediglich eine Bilanz der letzten vier Wochen. Also da wären: Eine Berichterstattung für den Kleintierzoo am Rammelsberg, ich glaub, da gab´s ein erhöhtes Spendenaufkommen… oh, nicht zu vergessen die Reportage im Seniorenheim, da hatte der Kirchenchor seinen großen Auftritt … und …“

„Ja ja“, Anne verteidigte sich jetzt laut gegen ihren inneren Dämon. „Ich hab dich verstanden. Du kannst aufhören. Ich fahre deswegen trotzdem nicht heim und bettele um Unterstützung. Halt endlich die Klappe! Ich habe gleich einen Termin. Kein Kaffeekränzchen im Altersheim. Nein! Die Eröffnungsfeier einer Indoorhalle mit ´ner ganzen Menge gutaussehender Fußballprofis. Noch Fragen?“

 

Als sie schließlich auf das Eingangsportal des Sportcenters zuging, bebte sie so sehr vor Aufregung, dass es ihr schwerfiel, ruhig zu atmen. Mit vor Anspannung weißen Fingerknöcheln, umklammerte sie den Riemen der Fototasche und sah sich um. Ein grüner Teppich – kein roter – führte durch die offene Flügeltür, vor der zwei hohe säulenartige Blumenkübel mit Buchsbaumkugeln standen. Grün passte auch eindeutig besser zu einem Fußballturnier als Rot. Schließlich tummelten sich in dem riesigen Gebäude lauter Sportbesessene und keine Jury der Bambiverleihung. Fußballverrückte, die noch dazu Geld wie Heu haben mussten, wenn man sich den Fuhrpark vor der Halle ansah, der aus der ganzen Republik stammte und der sich an den Straßenrändern rund um das Sportcenter verteilte. Anne warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und seufzte. Dass sie so lange brauchen würde, um einen Parkplatz zu finden, hatte sie nicht einkalkuliert. Völlig aussichtslos im unmittelbaren Umfeld des Geländes einen zu bekommen. Na ja, ehrlicherweise war es nicht nur die Sache mit dem Parken gewesen, weshalb sie nicht so gut in der Zeit lag. Viel zeitaufwendiger hatte sich die Suche nach dem richtigen Outfit gestaltet. Klamotten besaß Anne genug. Das Problem lag vielmehr darin, dass sie in nichts mehr reinpasste. Seit Monaten entwickelte sich ihre Figur in die falsche Richtung. Das erschwerte die Auswahl erheblich und sorgte regelmäßig für absolute Frustration, wenn sie einen Außentermin mit einem gewissen Dresscode wahrnehmen musste.

Doch auch die Situationen, in denen es darum ging, zu entscheiden, ob eine unbezahlte Rechnung noch weitere acht Tage liegen bleiben konnte, stiegen tendenziell. Gepaart mit der Auftragslage, der Hinhaltetaktik der Redakteure und der mangelnden Zahlmoral der Verlage, war das eine kaum erträgliche Gesamtsituation, die ihre Nerven zum Zerreißen brachten und ihr Selbstbewusstsein ins Bodenlose stießen. In solchen Momenten, in denen sie sich so hoffnungslos, so allein und hilflos fühlte, fand sie dummerweise zuverlässigen Trost in etwas Essbarem. Und angesichts ihrer desaströsen finanziellen Lage kam das immer häufiger vor. Natürlich war es idiotisch zu glauben, Schokolade könnte die Situation verbessern. Wie oft hatte sie sich schon vorgenommen, vernünftig zu sein. Hundert Mal. Tausend Mal. Bei geborenen Frustfressern nützte die Vernunft eben nichts.

Ein eisiger Wind zog um das riesige frei stehende Flachdachgebäude, das die Sporthalle beherbergte, und zauste an Annes langen haselnussbraunen Haaren, die ihr in sanften Wellen bis auf die Schulterblätter fielen. Sie strich sich ein paar einzelne Strähnen aus den Augen und ließ den Anblick der beleuchteten Fassade auf sich wirken. In geschwungenen Lettern prangte „Sport- und Freizeitcenter“ über dem Eingang.

Vor Anspannung und Kälte zitternd, lief sie eilig über den grünen Teppich. Sie war zwanzig Minuten zu spät und dennoch froh, jetzt hier zu sein, denn sie hatte ihren altersschwachen Twingo weit abseits im angrenzenden Wohngebiet parken müssen.

„Als wenn deine mickrige olle Schlorre zwischen den bulligen Schicki-Micky SUVs hätte stehen können“, mäkelte die Nervensäge in ihrem Hirnstübchen wieder. „Wie peinlich ist das denn?“

„Dann ist´s ja gut, dass ich weit hinten geparkt habe“, antwortete sie der Stimme in Gedanken und durchschritt die gläserne Eingangstür. Gleich auf den ersten Metern, kaum, dass sie den grünen Teppich verlassen hatte, sank ihr ohnehin stark lädiertes Selbstbewusstsein auf den Tiefpunkt. Egal wohin sie sah. Es wimmelt nur so von attraktiven und gut gelaunten Menschen. Das krasse Gegenteil von dem, wie sie sich fühlte.

Anne straffte die Schultern, ignorierte ihre Weltuntergangsstimmung und suchte die Eingangshalle nach Wegweisern ab. Heute hier zu sein, war ein Anfang, verdammt noch mal. So war das zu sehen! Punkt.

Den Auftrag hatte sie erst vorgestern von der Redaktion eines monatlich erscheinenden kostenlosen Lokalblattes bekommen. Ein Journal für angesagte hippe junge Leute, für das sie schon einige Artikel geschrieben hatte. Ein Geschenk des Zufalls, denn sie sprang für einen Journalisten ein, der mit einem grippalen Infekt im Bett lag. Ein Glücksfall, dass sie ausgewählt worden war, denn um so einen Anruf rissen sich die Kollegen. Den ganzen Vormittag hatte sie damit verbracht, Nachforschungen über Sebastian Berger anzustellen, und hatte alles aufgesogen, was das Netz hergab. Der erfolgreiche Ex-Fußballprofi würde im März seinen 34. Geburtstag feiern und war verdammt fotogen. Über seine Familie hatte sie jedoch keinerlei Einträge gefunden. Dagegen waren die Stationen seiner Laufbahn ausführlich aufgeführt, genauso wie man nachlesen konnte, welch wichtige Rolle Horst Ziegler als sein Ziehvater und Entdecker dabei innehatte. Falls man den Medienberichten Glauben schenken konnte, erfreute sich Herr Berger neben den vielen echten Fußballanhängern auch noch einer großen weiblichen Fangemeinde. Absolut glaubhaft, dachte Anne. Bei dem Aussehen. Ein Wunder, dass er unter diesen Umständen bislang erst einmal geschieden war. Von einem Model.

Ja, was denn sonst?

Entgegen den nichtvorhandenen Hinweisen auf seine Herkunft war seine Vorliebe für schöne Frauen in allen Boulevardmagazinen hinreichend erörtert worden. Anne wusste, dass sie mit solchen Details nur langweilen konnte, und interessierte sich mehr für seine Zukunftspläne. Sie wollte von ihm hören, wie seine weiteren Pläne für dieses Sportcenter aussahen und welche Rolle die ansässigen Vereine in der Region dabei spielten. Und darüber werde ich so wortgewandt und eingängig berichten, nahm Anne sich vor, dass andere Redakteure es nur bedauern konnten, eine Anne Rehberg nicht in ihrem Team zu haben.

 

Zwischen den vielen Menschen entdeckte sie eine Hinweistafel, die einen Plan für das Gebäude aufzeigte und atmete auf. Das machte ihr die Arbeit so viel leichter. Sie zwängte sich an zwei älteren Herren vorbei und studierte die Tafel. Beeindruckt von dem vielfältigen und riesigen Innenleben der von außen unscheinbar wirkenden Halle, überlegte sie, welche Stationen sie zuerst aufsuchen wollte. Es gab vier Fußballfelder, die allesamt mit modernstem Kunstrasen ausgestattet waren – davon eins mit Tribüne. Drei Tennisplätze und zwei Squashcourts. Aber auch Badminton – Tischtennis – Gerätetraining – Physiotherapie und ein Sportcasino. Wow. Eine Kletterwand, die in unterschiedliche Schweregrade eingeteilt werden sollte, befand sich noch in Planung, war aber schon eingezeichnet. Anne war begeistert. Allein mit diesen Informationen hatte sie genug Futter, um eine gute Reportage zu schreiben. Wenn sie jetzt nur noch herausfände, in welche Richtung sie gehen musste, um zu dem angekündigten Promispektakel zu kommen, wäre sie fürs Erste zufrieden. Da sie ja etwas zu spät dran war, dürfte der Anpfiff dafür längst ertönt sein. Ratlos sah sie sich um und beschloss, dahin zu gehen, wo der meiste Lärm herkam. Sie folgte einer Gruppe lachender und schwatzender junger Frauen die Treppe hinauf. Die Mädels, aufgebrezelt und kaum älter als zwanzig, wollten genau wie Anne zu den Fußballfeldern.

Um zu dem entscheidenden Spielfeld zu gelangen, musste man einen Gang entlanggehen, der an der obersten Sitzreihe der Tribüne endete und von da aus zu allen anderen Plätzen führte. Anne blieb ganz oben stehen und ließ ihren Blick über das Geschehen auf dem Spielfeld schweifen. Wie erwartet, war das angekündigte Promispektakel bereits im vollen Gange. Rings um ein verkleinertes Spielfeld war eine Bande gezogen, sodass die Kicker von den Zuschauern getrennt waren. Die Profis im gemischten Alter zelebrierten eine Mordsgaudi für sich selbst und für die, die zusahen. Man zeigte, was man konnte. Technik am Ball, Tricks, Kopfbälle und gekonnte Pässe. Das begeisterte Publikum honorierte die Aktionen mit tosendem Applaus. Ehrlicherweise interessierte sich Anne dafür nicht so sehr, sondern überlegte stattdessen, wie sie das Schauspiel am geeignetsten in Szene setzen konnte. Sie zog die Kamera aus der Tasche, setzte das Objektiv, justierte und begann, Fotos zu schießen, wobei ihr die erhöhte Position einen hervorragenden Überblick verschaffte. Die Leute, die sich an ihr vorbei drängelten, störten sie dabei nicht. Journalistenalltag. Wieder einmal schätzte sie sich glücklich, eine so hochmoderne Kamera zu besitzen, die es möglich machte, das temporeiche Gewusel perfekt im Bild festzuhalten. Das war nicht immer ganz einfach, da der Ball schnell zwischen den Spielern hin und her lief. Gerade war Sebastian Berger, den sie sofort unter den Gesichtern ausfindig gemacht hatte, im Ballbesitz. Er versuchte, das Leder ins Netz zu schieben, was aber vom Torwart vereitelt wurde. Dafür knallte der Ball zuerst an die Bande und von da ins Aus. Mit einem Einwurf gings weiter. Aber nicht mehr mit Berger, sondern mit einem älteren Spieler, der für ihn eingewechselt wurde.

Annes Fußballkenntnisse gingen gegen null, was aber nicht hieß, dass sie sich nicht gut vorbereitet hatte. Ihre Freundin Mona, die wegen ihres Vaters – einem berühmten Regionalspieler vergangener Jahre – praktisch auf dem Fußballplatz großgeworden war, hatte ihr viele Informationen mit auf den Weg gegeben. Alles andere hatte sich Anne im Netz angelesen.

Anne fand das Geschehen am Rande allemal spannender. Was Leute so unternahmen, um an ein Autogramm zu kommen, war schon abenteuerlich. Einfach irre. Und nicht alle gaben sich nur mit einer Unterschrift zufrieden, konnte Anne gerade durch den Sucher ihrer Kamera mit ansehen. Eine junge Frau, die sich wie eine Anakonda durch die Massen auf Sebastian Berger zu schlängelte, hielt den Ex-Kicker im Blick, als wäre sie tatsächlich auf Beutezug. Da er mit dem Rücken zu ihr stand, erahnte er weder den Angriff, noch schien er die Schönheit zu kennen, denn er reagierte aufrichtig überrascht, als sie neben ihm auftauchte und sofort um seine Aufmerksamkeit buhlte. Bewundernde Frauenblicke dürften ja nun eigentlich nichts Neues mehr für ihn sein, dachte Anne ironisch und staunte, weil er angesichts der Art, wie sie sich ihm näherte, sogar für einen Augenblick irritiert wirkte. Um ihn herum standen nur Männer. Spieler, Helfer, ach weiß der Geier was noch alles für Mannsbilder. Doch das Mädel mit den perfekten Kurven hatte nur Augen für Berger. Den Blick nicht von ihm abwendend, rückte sie ihm so dicht auf die Pelle, dass kein Blatt mehr dazwischen gepasst hätte. Einschmeichelnd lächelnd drückte sie ihm ihren ordentlichen Busen gegen den Arm, was ihm nur ein Grinsen entlockte. Anne ließ die Kamera sinken. Hilfe war das peinlich.

„Du bist doch nur neidisch!“, höhnte der Miesepeter wieder ungefragt.

„Was du nicht alles weißt. Ich brauche keinen Typen, den ich teilen muss.“

Anne nahm die Kamera wieder auf und drückte den Auslöser. Jetzt legte er ihr auch noch den Arm um die Schultern. Nur kurz, aber nicht ohne ihr einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Interessant, wie schnell sich die Schönen und Reichen näherkamen. Sie verzog ironisch die Mundwinkel. Doch genauso spontan, wie er sie umarmt hatte, ließ er Barbiegirl auch wieder los und verschwand durch eine Tür. Sie machte Anstalten, ihm zu folgen, doch ein älterer Mann, sie glaubte Horst Ziegler zu erkennen, hielt sie freundlich, aber bestimmt davon ab.

Lieber Himmel, wie konnte man sich nur so anbiedern.

„Tja, die tut wenigstens was für ihr Liebesleben. Wetten, dass die ihn sich noch kascht?“

„War ja klar, dass du dazu auch noch was zu melden hast. Nochmal! Ich brauche keinen Typen, der mich benutzt wie ein Papiertaschentuch und am nächsten Morgen noch nicht einmal mehr meinen Namen weiß. Und jetzt sei ruhig. Ich hab zu tun.“

„Den würdest du sowieso nicht kriegen. Der steht nur auf Playmates.“

„Was du nicht sagst. Und jetzt halt endlich die Klappe.“

Anne schüttelte resigniert den Kopf. Seit der Trennung von Martin hatte sie diese Stimme im Kopf, mit der sie sich mitunter handfeste Diskussionen lieferte. Das ging so weit, dass sie einen Psychiater aufgesucht hatte, weil sie befürchtete, verrückt zu sein. Doch die Sorge hatte er ihr genommen. Das seien lediglich stinknormale Ängste, die jeder Mensch hätte, der sich gravierend neuen Lebenssituationen stellen musste, hatte er gemeint und hinzugefügt: Die Stimme würde wieder verstummen, wenn sich ihre Lebensumstände normalisieren würden. Na, das konnte dann ja noch dauern.

Entschlossen, sich wieder vollends auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, lief sie durch die Gänge, fand die verschiedenen Sportstätten und Räumlichkeiten, schoss noch mehr Fotos und machte sich Notizen. Jetzt galt es nur noch, pünktlich zum vorab vereinbarten Interview mit Mr. Ladykiller zu kommen.

Das Sportcasino, im Stil eines englischen Pups, beeindruckte mit einer großen L-förmigen Theke, die mit gedrechselten mahagonifarbenen Holzstreben eingefasst waren. Die mit flaschengrünem Leder bespannten Hocker, genauso wie die schweren Stühle an den Tischen unterstrichen diesen Eindruck noch. An der Wand hing eine antik aussehende Tafel, auf der in schnörkeliger Schrift Snacks angeboten wurden. Auf der anderen Seite, in einer Nische, gab es einen Bereich, den man ohne Übertreibung als Kino-Ecke bezeichnen konnte. Vor einem gigantischen Flachbildschirm, der die ganze Stirnwand innehatte, standen in drei Reihen fächerförmig aufgestellte Clubsessel.

Egal ob an den Tischen, an der Bar oder in der Kinoecke, das Casino war bis auf den letzten Platz besetzt. Allerdings hatte sich hier, im Gegensatz zu den Fußballfeldern, nur die gehobenere Gesellschaft eingefunden. Eine gläserne Wand, gegenüber der Theke, bot einen Panoramablick auf die Spielflächen, wo sich die Promis tummelten. Anne, die den Hals reckte und Ausschau nach stadtbekannten Gesichtern hielt, musste ein ironisches Grinsen unterdrücken. Es waren immer dieselben, die man bei solchen Veranstaltungen traf. Bloß den Inhaber hatte sie noch nirgends entdeckt. Was jedoch nur eine Frage der Zeit sein dürfte. Schließlich gab sich hier die Zielgruppe ein Stelldichein, mit der es galt, Geschäfte zu machen. Anne hegte keine Zweifel, ein Interview mit Berger zu bekommen. Promis brauchten die Presse, so wie die Presse Promis brauchte. So lief das Business eben. Nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, das war wichtig. Unauffällig hielt sie Ausschau nach der Konkurrenz, einem Sportjournalisten der größten hiesigen Tageszeitung, den sie schon häufig getroffen hatte. Seltsam, dass sie auch ihn nirgends entdecken konnte. Ob er schon alles im Kasten hatte? Wundern würde sie das nicht. So ein Blatt genoss andere Privilegien als ein kleines Szeneblatt.

Ein Raunen, das durch die Menge ging, brachte Anne dazu, sich umzudrehen. Sebastian betrat den Raum, wodurch sich die Stimmung im Casino augenblicklich änderte. Gelassen lächelnd glitt er in einer Geschmeidigkeit durch die Menschen, dass man schier neidisch werden könnte. Automatisch, so als hätte er einen eingebauten Bewegungsmelder implantiert, bahnte man ihm eine Gasse, weshalb er barrierefrei zur Bar gelangen konnte. Erst jetzt sah Anne, dass dort zwei freie Hocker auf ihn warteten. Gefolgt wurde er von einem älteren, aber nicht minder sportlichen Mann. Horst Ziegler, den sie eben schon einmal unten am Spielfeldrand gesehen hatte, erinnerte sich Anne. Ah, und noch ein anderer Fußballer kam gleich hinterher. Auch er war kein Unbekannter, doch erinnerte sie sich nicht mehr an seinen Namen. Noch so ein unverschämt gut aussehender Typ. Egal. Jetzt galt es, das Interview in den Kasten zu kriegen. Anne zog das unscheinbare Diktiergerät aus ihrer Tasche und bereitete es so vor, dass sie für die Aufnahme nur noch den Knopf zu drücken brauchte. Horst Ziegler nahm zuerst Platz, dann Sebastian. Der dritte im Bunde blieb neben dem Älteren stehen. Zwei Männer, Anne glaubte, in ihnen den Landrat und den Oberbürgermeister zu erkennen, sprachen jetzt mit Berger. Mist, dann musste sie warten, bis die fertig waren. Gedanklich bereits ihre Fragen sortierend, erinnerte sie sich an Monas Worte, die gemeint hatte, Fußballer wären im Allgemeinen ganz umgänglich. Auf keinen Fall so zickig wie Künstler, hatte sie noch hinzugefügt.

Dein Wort in Gottes Gehörgang, Mona.

Berger, der sich von den Leuten ringsherum unbeeindruckt gab, bestellte sich ein Getränk und wechselte dann leise ein paar Worte mit Ziegler, wobei er dezent auf die Anzugträger deutete. Es schien, als sollte der Ältere die Gespräche mit dem Bürgermeister und dem Landrat übernehmen. Anne beschloss, diesen Moment für sich zu nutzen.

Die Schultern gerade, den Kopf hoch, ging sie mit festem Schritt auf das Grüppchen zu. Sie wusste, dass man sie sofort als Pressemitarbeiterin identifizieren würde, da der Ausweis, den sie vom Chefredakteur Fischer erhalten hatte, gut sichtbar zwischen den Gurten der Kamera hing. Sie ignorierte das mulmige Gefühl in ihrer Magengrube und setzte eine freundliche Miene auf, bevor sie den Blick auf Sebastian Berger richtete. Er hatte den Kopf seinem Fußballkameraden zugewandt und lauschte dessen Worten. Berger, der von einem Lichtstrahl aus dem Thekenoberbau regelrecht angestrahlt wurde, stieß ein helles Lachen aus, weshalb Annes Augenmerk sich auf seine Mundpartie richtete. Sein Zahnarzt hatte sicher nichts zu beanstanden, mutmaßte sie, als sie zwischen seinen vollen Lippen eine Reihe ebenmäßiger weißer Zähne aufblitzen sah. Aber gab es überhaupt etwas an diesem Kerl, das nicht ausstellungsreif war? Dunkles volles Haar, das er aus der Stirn gekämmt hatte und in das man als Frau am liebsten sofort hineingreifen wollte. Der Teint – glatt rasiert - seines schmalen, leicht kantigen Gesichts, war dunkler, als man es gewöhnlich bei Nordeuropäern antraf, weshalb Anne auf südländische Familieneinflüsse tippte. Und mit der geraden Nase und den dunklen Augen, die im optimalen Abstand zueinanderstanden, war er sogar aus der Nähe umwerfend attraktiv. So leger, wie er in seinem eng anliegenden schwarzen Hemd, das natürlich farblich perfekt zur dunklen Jeans passte, an der Kante des Barhockers lehnte, schien er sich seiner Ausstrahlung durchaus bewusst zu sein. Da hatte Anne absolut keine Zweifel. Auch wenn sie sich mit so viel Selbstgefälligkeit nur schwer anfreunden konnte, beobachtete sie doch fasziniert, wie ihm einzelne Strähnen in die Stirn fielen, die vom Duschen noch etwas feucht wirkten. Gerade strich er sich mit den Fingern über das markante Kinn, was ihren Blick auf seinen sehnigen Unterarm lenkte, der unterhalb der lässig umgeschlagenen Ärmelmanschette zu erkennen war. Sie blinzelte, weil sich das Thekenlicht im Chromgehäuse seiner Uhr reflektierte und ihr ins Auge stach. Anne atmete tief ein. Verdammt, er musste doch bemerken, dass sie ihn anstarrte. Und tatsächlich, endlich sah er in ihre Richtung, sodass er sie eigentlich hätte wahrnehmen müssen. Doch er verzog keine Miene, stattdessen hatte Anne den Eindruck, als würde er buchstäblich durch sie hindurchsehen. Sie besann sich auf ihre Mission und lächelte - das half immer - und wagte einen weiteren Schritt nach vorn, sodass sie nun etwa einen Meter vor ihm stand. Mit einem erneuten Nicken in die Runde versuchte sie abermals auf sich aufmerksam zu machen und hielt konsequent den Blick auf ihn gerichtet.

„Guten Abend, Herr Berger“, sprach sie ihn zögernd an. „Ich komme vom Kassler Journal. Mark Fischer müsste mich bereits angekündigt haben. Ich würde gern das Interview mit Ihnen führen.“

Der pressegewohnte ehemalige Bundesligafußballer nickte ihr hochprofessionell ebenso freundlich wie nichtssagend zu, um dann den Blick an ihr vorbei an etwas anderem festmachten, worauf sich seine Züge zu einem besonders charmanten Lächeln erhellten. Zwangsläufig drehte sich Anne nun auch um und wusste sofort, dass sie aus dem Rennen war. Eine attraktive Dunkelhaarige, die sich mit schnellen Schritten näherte, und in etwa genauso alt sein dürfte wie sie selbst, rauschte in eine Wolke Opium gehüllt herbei und blieb neben ihr stehen. Anne konnte gar nicht anders, als einen Schritt zur Seite zu treten. Bei der Art, wie die Frau die schulterlangen Haare schüttelte, setzte bei Anne die Erinnerung ein. Ach so! Deshalb hatte sie den Sportjournalisten, der hiesigen Tageszeitung noch nicht gesehen. Nun war alles klar. Nathalie Starke hatte es sich nicht nehmen lassen, sich dieses Sahnehäppchen unter die Nägel zu reißen. Es war nicht das erste Mal, dass Anne mit ihr zusammentraf. Frau Starke war eine stadtbekannte Journalistin der Kasseler Zeitung. Glamourös und eloquent zog sie die Leute in ihren Bann und bekam jedes Interview, das sie wollte. Kein Wunder also, dass Sebastian Berger Anne nicht mal wahrnahm.

„Sebastian entschuldige bitte meine Verspätung“, gurrte die schöne Reporterin ihm zu, ignorierte dabei Anne, als wäre sie überhaupt nicht da und reichte ihm graziös die Hand. „Aber ich kriege doch trotzdem mein Exklusivinterview, oder?“

„Was für eine Frage Nathalie“, lachte er und erhob sich, bevor er sie zu sich heranzog und rechts und links ein Bussi an ihre Wangen hauchte. Anne wich automatisch noch einen Schritt zurück, als die beiden, ohne einander loszulassen, an ihr vorbei strebten, und stand wie erstarrt da.

Ich bin Luft für die. Einfach nur Luft.

Erneut schluckend, umfasste sie ihre Tasche fester und versuchte, so gut es ging, Haltung zu bewahren. Allerdings spürte sie, dass Ziegler sie beobachtete. Das auch noch. Im Leben hatte sie sich noch nie so schlecht behandelt gefühlt, wie gerade eben von Sebastian Berger, der jetzt – ganz der Gentleman – den Arm um die Wespentaille von Frau Starke gelegt, mit der Lady zum Ausgang des Casinos strebte. Anne konnte nicht anders und starrte den beiden hinterher, wandte sich dann aber rigoros ab und beschloss, sofort zu gehen. Um den Bericht machte sie sich dabei keine Sorgen, den würde sie sich schon zusammenstricken. Material dafür hatte sie genug. Während sie einen Schritt nach vorne machte, erschrak sie, weil sie plötzlich eine Hand auf ihrem Arm spürte.

„Entschuldigen Sie …“ Es war Ziegler, der plötzlich neben ihr stand und sie eindringlich ansah. „Bitte, gehen Sie nicht.“

Er nickte dem Fußballer zu, an dessen Namen sie sich immer noch nicht erinnerte und sagte: „Erik, wir sehen uns noch. Ich möchte der jungen Frau hier nur erstmal das Interview geben, das man ihr versprochen hat.“

Ziegler lächelte Anne freundlich an. „Entschuldigen Sie, mein Name ist Horst Ziegler. Wenn Sie bitte mit meiner Wenigkeit vorliebnehmen wollen … ich führe Sie gern durchs Haus und beantworte all Ihre Fragen.“

„Gerne …“ Anne räusperte sich und setzte ein Lächeln auf. Er musste nicht erfahren, wie verletzt sie war. „Ja, das wäre nett“, sie sah ihm in die Augen, „nur die Sache mit der Wenigkeit trifft es ja wohl nicht ganz, Herr Ziegler. Sie müssen Ihre Leistungen nicht herunterspielen. Ich habe gelesen, wie viel Herr Berger Ihnen zu verdanken hat. Und manch anderer berühmter Fußballer auch.“

Ziegler wirkte über ihre Aussage ein wenig überrascht, ging aber nicht darauf ein, sondern führte sie mit einem Handzeichen aus dem Casino hinaus durch den Flur, öffnete eine Tür und drückte dann auf den Lichtschalter, worauf die Deckenbeleuchtung eines großen Büroraumes flackernd aufleuchtete.

„Bitte!“ Er ließ ihr den Vortritt und schloss die Tür hinter sich. „Das hier ist unsere Schaltzentrale“, lachte er. „Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie sich schon einen Eindruck vom Haus verschafft haben, oder möchten Sie, dass ich Sie herumführe?“

„Nein, das ist nicht nötig.“ Anne, die sich im Raum umsah, tippte dabei auf ihre Kamera. „Ist alles schon hier drin.“

Der Raum wurde von einem riesigen Schreibtisch dominiert, der rechteckig beginnend, nierenförmig auslief, sodass mehrere Personen daran sitzen und sogar eine Besprechung daran abhalten konnten. Ein Regalschranksystem bekleidete die Wand dahinter, während an der anderen Wand, Fotografien von Sebastians Laufbahn genauso, wie ein großer Flachbildschirm zu sehen waren. Anne ging darauf zu und betrachtete die Bilder, auf denen auch Horst Ziegler häufig zu sehen war. Obwohl es ihr innerlich widerstrebte, weil sie noch so wütend auf Berger war, lichtete sie auch diese Zeitzeugnisse ab und stellte Ziegler Fragen über seine und Bergers weitere Ziele, die er mit einer Engelsgeduld beantwortete.

„Und worum geht’s auf diesen Fotos?“ Anne deutete auf eine Fotoreihe, auf der Sebastian von einer Horde halbwüchsiger Kinder umringt war, die ihn frenetisch feierten.

„Das ist ein soziales Projekt und hat nichts mit dem Profifußball zu tun“, erklärte Ziegler. „Es hat sich vielleicht noch nicht herumgesprochen, aber Sebastian kümmert sich schon seit Jahren um Jugendliche aus sozialschwachen Familien. Dabei arbeitet er mit Sozialarbeitern, Kirchenvertretern und Streetworkern zusammen.“

Ziegler, der Annes ungläubigen Blick nicht missdeuten konnte, hakte nach. „Sie dürfen sein Verhalten, das Sie eben unten im Casino ertragen mussten, nicht überbewerten. Das war nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Glauben Sie mir bitte. Selbstverständlich kann ich Ihre Verärgerung verstehen, aber Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr Prominente von der Presse gejagt werden.“

„Hm, ja schon möglich“, stimmte Anne ihm tonlos zu, obwohl sie in diesem speziellen Fall eine ganz andere Vermutung für das schlechte Benehmen des frauenverwöhnten Fußballprofis hatte, aber die musste sie ja seinem engsten Vertrauten nicht auf die Nase binden. „Es ist mir nicht so wichtig, wer meine Fragen beantwortet“, winkte sie betont lässig ab.

Bevor Anne die Sportstätte verließ, bat Horst Ziegler noch um ein gemeinsames Foto, wozu Anne nur widerwillig zustimmte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erik

Das erste Training nach der Winterpause stellte jedes Mal eine Herausforderung dar, auf die sich die ganze Mannschaft freute. Doch mit Freude hatte das für Erik in diesem Jahr weniger zu tun. Vielmehr ging es ihm darum, endlich wieder Struktur in seine Tage zu bekommen. Er brauchte dringend Aufgaben und Ziele, um von den zermürbenden Gedanken wegzukommen, die ihn spätestens nach dem Gespräch mit seinem Bruder nicht mehr losließen. Björn, schon immer ein Freund deutlicher Worte, hatte ihm mit bitterernster Miene zu einem klaren Schnitt geraten, nachdem ihm Erik die letzten drei Monate seines Ehelebens geschildert hatte. Über Fußball hatten sie dagegen kaum gesprochen, was eher untypisch für die Brüder war. Erik hatte nur erfahren, dass Augsburg zurzeit genauso wenig wie Freiburg einen Stürmer brauchte. Mist.

Zum Trainingsauftakt lief die Truppe von zwanzig Spielern im gemächlichen Tempo durch eine Grünanlage mit Wäldchen. Acht Kilometer. Weitestgehend schweigend. Auf der Tagesordnung stand Ausdauertraining. Nur Ivo und Zlatko, zwei der ältesten im Spielerkader, tuschelten ständig in ihrer Landessprache miteinander. Die beiden machten den Abschluss, während die jüngeren Spieler die Spitze bildeten. Benjamin und Maik, die Küken in der Truppe, lieferten sich kurze Sprints, bis Benjamin, seinen Lauf verlangsamte und sich grinsend neben Erik einfand.

„Hi, bist ja spät dran gewesen heute Morgen. Hab gehört, ihr seid gestern erst aus ´m Urlaub zurückgekommen. Hast Jetlag, was? Kenn ich. Und wie war‘s? Auf jeden Fall siehst du gut aus, so braun, wie du bist. Hätte gar nicht gedacht, dass du so dunkel werden kannst.“

„Hey, pass mal auf du!“, lachte Erik und rempelte den talentierten Youngster an, der erst im letzten Sommer dazugekommen war. „Du verstehst es aber, dich beliebt zu machen.“

Benjamin Heilmann, der Enkelsohn des Hauptsponsors von Blau-Weiß-Grube, polarisierte die Mannschaft allein schon durch seine Anwesenheit. An Erik hatte der gut aussehende Bursche einen Narren gefressen, wahrscheinlich deshalb, weil er keine Machtspielchen mit ihm trieb, wie so manch anderer aus dem Team. Allerdings konnten auch die nicht darüber hinwegsehen, dass der Junge ein echtes Talent war, und sicher seinen Weg gehen würde. Seit Benny, wie viele ihn riefen, bei den Spielen des FC-Blau-Weiß-Grube auflief, reiste ihm eine immer größer werdende Schar von jungen Mädchen hinterher. Ein Umstand, der regelmäßig für Spott bei den älteren und für Neid bei den jüngeren Mitspielern sorgte. Benny schien das jedoch nicht zu stören.

„Wieso?“ Benny lachte unbekümmert. „Du siehst wirklich so aus, als könntest du noch ´ne Mütze Schlaf gebrauchen.“

„Warts ab“, grinste Erik diabolisch, „wenn ich dich nachher in der Halle nass mache. Dann kannst du mal sehen, wer noch ´ne Mütze Schlaf braucht!“

„Ich nehm dich beim Wort, das wirst du sehen“, zwinkerte ihm Benjamin frech zu und spurtete wieder nach vorn zu Maik.

Das Lachen schwand aus Eriks Miene. Tatsächlich fühlte er sich kraftlos und erschöpft, auch wenn er wenigstens ein paar Stunden geschlafen hatte. Scheiße, und dass alles nur, weil er nicht mehr ein noch aus wusste. Katja sah er nur noch zwischen Tür und Angel. Sie wich seinem Wunsch nach einem klärenden Gespräch aus. Bewusst. Denn er hatte sie mehrfach darum gebeten.