Liebesferien auf dem Gutshof - Dolores Mey - E-Book

Liebesferien auf dem Gutshof E-Book

Dolores Mey

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Beschreibung

Sarah liegen die Männer zu Füßen. Doch genau davon hat sie gründlich die Nase voll! Sie will mehr sein als nur ein hübsches Vorführhäschen. In Daniel glaubt sie endlich den Mann gefunden zu haben, der das respektiert - bis er über ihren Kopf hinweg eine gemeinsame Zukunft im Ausland plant. Wütend und enttäuscht verlässt sie ihn und übernimmt kurzentschlossen für sechs Wochen den Job ihrer Freundin Rike auf einem Gutshof mit Ferienkindern. Eigentlich will sie in der Provinz zur Ruhe kommen, aber die Männer auf dem Land, allen voran der gutaussehende Hendrik von Freyenhof, sind alles andere als langweilig ...

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Epilog

 

 

Über dieses Buch:

Überglücklich darüber, endlich alle Abschlussprüfungen in der Tasche zu haben, packt Sarah die Koffer für den lange geplanten Spanienurlaub mit ihrem Freund Daniel. Doch ein Anruf von ihm zerstört ihre Vorfreude binnen Sekunden. Einen ordentlichen Karrieresprung vor Augen will er, anstatt mit ihr in Urlaub zu fahren, sofort eine Stellung in den USA antreten. Enttäuscht und wütend darüber, dass er sie mal wieder an die zweite Stelle setzt, trennt sie sich kurzerhand von ihm. Sie hat es satt, sich von den Männern vorführen zu lassen. Als ihre Freundin Rike dringend eine Tauschpartnerin für ihren Ferienjob auf einem Reiterhof im Waldecker Land sucht, sieht Sarah das als Wink des Schicksals und greift zu. Besser etwas Nützliches tun, anstatt sich zu grämen, denkt sie sich und plant einen sechswöchigen Aufenthalt in der Provinz. Doch die Männer auf dem Land sind alles andere als langweilig und schon gar nicht blind.

 

Über die Autorin:

Schon als Kind hat sich Dolores Mey Geschichten ausgedacht, um nachts der Dunkelheit ihres Zimmers zu entfliehen. In ihrer Jugend formte sich dann der Wunsch, diese Geschichten aufzuschreiben. Es dauerte einige Jahre, bis sie diesen Traum verwirklichen konnte. Nach einem Fernstudium und diversen Seminaren in Belletristik hat sie schließlich endlich den Mut gefasst, ihren ersten Roman zu schreiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2024

© Dolores Mey

 

Liebesferien auf dem Gutshof

 

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits im Dezember 2019 erschienenen Romans

Sommer im Gutshof zum Glück.

 

 

Covergestaltung Dolores Mey/ Canva Pro

 

Satz: Dolores Mey

Korrektorat: E. Hahner

 

 

H. Meyer

Heideweg 28

34302 Guxhagen

 

 

 

 

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

 

 

 

 

 

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werkes sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebendig oder tot, wären rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Du zur Welt kamst,

regnete es.

Nicht weil es regnen sollte, sondern weil

der Himmel um den süßesten Stern weinte,

den er verloren hatte!

1.

Der Koffer lag offen und bereits gut gefüllt auf dem Bett, als Sarah Kunzmann an diesem sonnigen Junimorgen in ihrem WG-Zimmer vor dem Kleiderschrank stand und unschlüssig auf die Reste ihrer überschaubaren Sommergarderobe blickte. Sie zog ein buntes Shirt-Kleid aus dem Fach, das sie seit einer gefühlten Ewigkeit besaß und hielt es sich vor die Brust, bevor sie der offenstehenden Zimmertür mit dem Fuß einen Schubs gab, sodass sie zufiel. Mit skeptischer Miene betrachtete sie sich in den quadratischen Spiegelkacheln, die auf der Rückfront zum Vorschein kamen. Na ja, für den Strand würde es noch gehen. Ihr Blick wanderte zu den bereits eingepackten Sachen, wo obenauf der neue Bikini lag. Lächelnd legte sie das Kleid zur Seite und holte ihn wieder hervor. Herrje, wenn sie so weitermachte, würde sie nie mit dem Packen fertig werden. Ihre Finger fühlten das seidige Gewebe und sie dachte daran, wie angenehm es sich auf ihrer Haut angefühlt hatte. An den Preis mochte sie allerdings nicht mehr denken. Für ihre Verhältnisse war der Bikini mit fünfundneunzig Euro sündhaft teuer gewesen. Doch bei dem frechen Karo in Pink und Marine hatte sie einfach nicht widerstehen können. Bis heute war es ihr ein Rätsel, wie sie in das noble Wäschegeschäft geraten war. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit war sie an diesem Tag einen anderen Weg nach Hause gegangen. Warum, wusste sie schon gar nicht mehr. Nur dass ihr das Glück aus allen Poren gekommen war, daran erinnerte sie sich noch gut. Es war am Tag nach der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse gewesen. Erstes Staatsexamen bestanden. Da durfte man doch auch mal unvernünftig sein, oder? Und dann hatte sie vor der Auslage gestanden. Bei schöner Wäsche wurde sie immer schwach. Egal, in welchem Laden. Eigentlich hatte sie sich nur mal kurz die Nase am Schaufenster platt drücken wollen. Zweifellos kein Geschäft für junge Studentinnen. Eher für Professorengattinnen. Und trotzdem hatte sie nicht weitergehen können. Nach dem Preis fragen wird schließlich erlaubt sein, hatte sie gehofft. Sogar erwünscht, wie die nette Verkäuferin anschließend meinte, die so ganz anders war als das Personal in den Läden, in denen sie sonst einkaufen ging. Die Dame um die Fünfzig hatte sie hereingebeten und es überhaupt nicht merkwürdig gefunden, dass Sarah sich nur mal umsehen wollte. Nachdem sie wusste, was die junge Kundin interessierte, hatte sie Sarah eine Auswahl von Bademoden vorgelegt. Aber kein Bikini hatte Sarah so gut gefallen wie der im Stil der 50er-Jahre aus dem Schaufenster, bei dem sie am Ende doch geblieben war. Daran änderte auch die Anprobe nichts, zu der die nette Frau sie ermuntert hatte. Leider. Insgeheim war das Sarahs Hoffnung gewesen, besonders nachdem sie das Preisschild gelesen hatte. Bei dieser Figur und mit etwas Bräune würde sie Personenschutz beantragen müssen, hatte die Verkäuferin augenzwinkernd gemeint. Sarah hatte die Aussage kommentarlos hingenommen. Schließlich war bekannt, dass in Verkaufsgesprächen gern übertrieben wurde, insbesondere bei diesem Preisniveau. Wirklich interessant war nur Daniels Reaktion. Dabei erwartete sie keine großen Komplimente, so ein Typ war er nun mal nicht. Mein Gott, sie sehnte sich so sehr nach ein bisschen mehr Spaß und Leichtigkeit in ihrem Leben. Die letzten Wochen waren von Prüfungsvorbereitungen und dem Job im Bistro beherrscht gewesen. Endlich lag das alles hinter ihr. Noch immer fiel es ihr schwer, das zu begreifen, und träumte nachts von überfüllten Hörsälen und verpatzten Diplomarbeiten.  Wenn jetzt noch eine der Schulen, an denen sie sich beworben hatte, eine Zusage schicken würde, wäre alles, na ja fast alles, perfekt. Sie betrachtete sich im Spiegel. Schluss jetzt! Sie wollte nicht schon wieder nur an Pflichten denken. Ob Daniel die gleichen Sehnsüchte hatte? Er redete nicht viel, schon gar nicht über Gefühle, doch wenn man ihn brauchte, war er da. Das schätzte Sarah sehr an ihm. Ach, es war so lange her, dass sie richtig Zeit füreinander gehabt hatten. Wäre es da nicht reizvoll, sich im Urlaub neu zu entdecken?

Während Sarah über Möglichkeiten nachdachte, wie sie Daniel aus der Reserve locken könnte, strich sie sich ihr volles, weizenblondes Haar zurück und band sich einen Zopf, als ihr Telefon klingelte.

„Daniel, hi, was ist los? Um die Uhrzeit hast du ja noch nie angerufen. Geht’s dir gut?“ 

„Ja, ja, ich bin okay, muss aber dringend mit dir reden.“ Er atmete tief aus, bevor er weitersprach. „Sarah, ich hab ein tolles Angebot von meinem Chef bekommen. Das kann ich unmöglich ausschlagen. Ich klettere damit die Karriereleiter gleich drei Stufen nach oben, wenn ich sofort in die USA gehe.“ 

„Oh, heißt das, wir fahren nicht nach Spanien?“ 

Sarah setzte sich aufs Bett. Ein leichter Druck kam aus der Magengegend. Enttäuscht sah sie auf den offenen Koffer neben sich. Seit Jahren hatte sie keinen richtigen Sommerurlaub mehr gemacht. 

„Ja, sorry. Ich muss den Dienst so schnell wie möglich antreten. Es ist jemand ausgefallen. Herzinfarkt. Tut mir leid, ich habe auch erst gestern Abend davon erfahren.“ Daniel hielt kurz inne. „Schatz, ich möchte, dass du mitkommst. Es ist an der Ostküste, nicht in den Südstaaten. Es wird dir gefallen, ich habe schon Bilder gesehen, es ist wunderschön dort, nicht weit bis zum Atlantik. Du müsstest also nicht auf Urlaub verzichten.“ 

Sarah schluckte. Sollte sie ihm jetzt dafür dankbar sein, dass er sich an ihre Abneigung gegen Schlangen und Skorpione erinnerte? 

„Und was soll ich da? Du hast doch gar keine Zeit für mich.“ 

„Na ja, nicht viel. Stimmt. Leider. Es geht nun mal nicht anders. Deswegen bekomme ich ja diese Chance. So eine Möglichkeit kommt so schnell nicht wieder.“ 

Natürlich konnte sie ihn einerseits verstehen, aber andererseits, würde das jemals aufhören? Seit sie Daniel kannte, bestimmte der Job sein Leben. Sicher wäre es reizvoll, für ein paar Wochen die Ostküste der USA zu bereisen. Aber nicht so. Sie schüttelte den Kopf. Nein, ihr Traumurlaub mit Daniel sah anders aus. 

„Und wie stellst du dir das vor? Soll ich etwa allein in einer fremden Wohnung im Ausland Urlaub machen, während du den ganzen Tag arbeitest und dann spät abends erschöpft aus dem Büro kommst? Tolle Vorstellung. Und wie lange soll das gehen? Du weißt doch, wie wichtig mir das ist, dass ich Ende August in einer Schule mein Lehramt antreten kann und damit endlich auf eigenen Füßen stehe.“ 

„Der Plan ist für zwei Jahre, wurde mir gesagt. Manchmal ändern sich die Dinge eben.“ 

„Ja, für dich. Für mich läuft hier aber alles ganz normal weiter …“

„Aber warum denn?“, unterbrach er sie. „Du kannst dich doch auf mich verlassen. Ich finde, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um zu heiraten, damit du siehst, wie ernst mir das ist.“

Sarah stöhnte innerlich auf. Besonders romantisch war Daniel nie gewesen, dass er ihr aber einen Heiratsantrag am Telefon machen würde, hätte sie ihm dann doch nicht zugetraut. 

„Daniel, was ist mit dir los? Spinnst du? Sollten wir nicht erst mal zusammenziehen, um zu testen, ob das mit uns überhaupt funktioniert?“ 

„Ich war noch nie so klar. Das passt, das weiß ich auch so. Sarah, du bist 28 Jahre und im besten Alter für Kinder. Dein Beruf läuft dir nicht weg, du kannst doch später wieder einsteigen.“ 

Sarah glaubte, nicht richtig zu hören, und lachte schrill auf. 

„Wie bitte? Darüber hast du noch nie mit mir gesprochen. Vielleicht rufst du dir mal kurz ins Gedächtnis, dass man, um Kinder zu kriegen, Sex haben muss. Ich kann mich an das letzte Mal kaum erinnern.“ 

„Äh, ja, das ändert sich auch wieder …“ 

Sarah wurde es zu bunt. Energisch schnitt sie ihm das Wort ab. 

„Tut mir leid, das sehe ich anders. Wir sind seit zwei Jahren zusammen. Denkst du da weiß ich nicht, wie du tickst? Du lebst für deinen Job. Das ist okay, aber ich habe auch nicht nur zum Spaß studiert. Du weißt, dass mir das zweite Staatsexamen noch fehlt. Und bevor ich das nicht in der Tasche habe, gehe ich nirgendwohin. Du würdest deine Zukunftspläne auch nicht für mich über den Haufen schmeißen und einfach gegen neue ersetzen?“ 

„Nein, natürlich nicht, aber das ist doch auch was ganz anderes?“

„Findest du?“

„Sarah, ich will mich nicht mit dir streiten, dazu habe ich keinen Kopf. Sag mir lieber, wie es mit uns weitergehen soll.“

„Fahr erst mal hin und schau, wie es für dich ist.“ 

„Tja“, Daniel räusperte sich, „, ich hab die Tickets und das Hotelzimmer aber schon für dich mit gebucht.“ 

„Wiiie?“ Sarah holte tief Luft, um die Übelkeit zu unterdrücken, die in ihr hochkam. „Ohne mich vorher zu fragen?“ 

„Das tue ich doch gerade. Weißt du, wie schwer es ist, auf die Schnelle Flüge zu kriegen? Außerdem bin ich davon ausgegangen, dass du dich darüber freust.“ 

Sarah stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Sie öffnete das Fenster genauso wie die Tür zum Flur und kam sich vor, als hätte sie Fieber. Wut, die sich wie ein Flächenbrand in ihr ausbreitete. Wieder nahm sie einen tiefen Atemzug und spürte, wie die Entrüstung einer tiefen Traurigkeit wich. 

„Bist du noch da?“, rief Daniel in den Hörer. 

„Natürlich! Wo soll ich denn schon sein?“, fuhr sie ihn gereizt an. Noch einmal holte sie tief Luft. Sich gegenseitig anzuschreien, brachte schließlich auch nichts. Sie zwang sich zu einem ruhigeren Ton. „Daniel, ich mag es nicht, wenn du über meinen Kopf hinweg entscheidest. Ich dachte, das wüsstest du. Wann haben wir das letzte Mal über uns gesprochen? Ich fühle mich total übergangen von dir.“ 

„Aber warum denn? Ich denke doch nur für dich mit.“

„Weil du mich nicht ernst nimmst.“

„Quatsch ...“

„Das ist kein Quatsch!“, protestierte sie, „verdammt, ich will das so nicht mehr.“

„Willst du es beenden?“ 

„Eigentlich wollte ich mit dir in Urlaub fahren und unsere Beziehung auffrischen. Oder findest du das, was wir in den letzten Monaten hatten, normal?“ 

„Na ja, es war nicht unbedingt optimal, das gebe ich zu, aber für mich gibt es nur dich. Nur dass du da nicht auf falsche Gedanken kommst.“ 

„Das macht es jetzt auch nicht besser. Hör zu, ich hatte in den letzten Tagen viel Zeit zum Nachdenken und bin mir nicht mehr so sicher, ob ich einen Mann will, der nie Zeit für mich hat. Ich hatte gehofft, dir in dem Urlaub wieder etwas näherzukommen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass du mich überhaupt nicht brauchst.“ 

„So einen Blödsinn muss ich mir echt nicht anhören“, rief er dazwischen. 

„Aber es ist doch so“, ließ sich Sarah nicht beirren. „Du willst doch nur deshalb eine Beziehung, weil es nun mal zum Leben dazu gehört, eine zu haben. Dabei vermisst du mich nicht mal, wenn wir uns nicht sehen können.“ 

„Und woher willst du das wissen?“, rief Daniel empört. „Du tust gerade so, als ob du meine Gedanken lesen könntest. Ich hab dir gesagt, es wird sich ändern, und dann ist das auch so.“ 

„Woher ich das weiß?“ Sarah wurde nun doch laut. „Möchtest du wirklich, dass ich dir all die Wochenenden aufzähle, an denen du wegen deiner Termine und Geschäftsreisen keine Zeit für mich hattest? Oder die Abende, an denen du frühzeitig gegangen bist, weil dir dein Schlaf wichtiger war, als neben mir aufzuwachen? Für manche Antworten braucht man keine Beweise. Das fühlt man einfach. Füüühlen, Daniel. Und versuch jetzt nicht, mir was zu versprechen, was du sowieso nicht halten kannst. Denk nur mal einen Moment darüber nach und dann können wir weiter reden.“ 

Für einen Augenblick herrschte Schweigen. 

„Ich kann dich nicht umstimmen, oder?“ 

„Nein. Ich brauche Zeit.“ 

Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie den roten Knopf gedrückt. Erschöpft legte sie sich aufs Bett und schloss die Augen. Das Gefühl einer großen Leere durchflutete sie. Wieso fühlte sie keinen Schmerz und warum kamen keine Tränen? War sie etwa gefühlskalt? 

Das Telefon klingelte erneut. Daniels Nummer blinkte im Display. Sarah ließ es klingeln. Es war alles gesagt. 

Wie durch einen Nebel hörte sie, wie sich der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür drehte. Rike, ihre Freundin und Mitbewohnerin, kam nach Hause. Sie teilten sich die kleine Zweizimmerwohnung und kamen bestens miteinander aus. Auch Rike studierte Lehramt, hatte aber noch zwei Jahre vor sich, bevor sie ebenfalls ins Referendariat gehen konnte. Seit Kurzem schwebte sie im siebten Himmel, weil sie in einen jungen Polizisten namens Sebastian verliebt war. 

„Hi, bin wieder da“, rief sie. Mit wenigen Schritten stand sie in der offenen Tür von Sarahs Zimmer und grinste über das ganze Gesicht.

Sarah setzte sich auf und blickte suchend an ihrer Freundin vorbei. „Bist du allein?“ 

Seit Tagen machte Rike keinen Schritt ohne Sebastian. 

„Ja, Basti muss in die Spätschicht und ich brauche unbedingt eine große Portion Schlaf.“ Sie deutete auf das Telefon, das nach wie vor blinkend und klingelnd auf dem Nachttisch lag. „Willst du nicht rangehen?“ 

„Nein! Das ist Daniel, wir haben grad genug geredet.“ 

Das Telefon verstummte. 

Rike runzelte die Stirn und kam näher.  

„Ihr habt gestritten?“ Sie wirkte ehrlich überrascht. „Wahnsinn! Das habe ich ja noch nie erlebt.“ 

Stimmt, dachte Sarah ironisch, wie auch, wenn man sich so fremd war. 

„Streiten kann man das nicht nennen. Ich würde eher sagen, das war’s.“ 

„Echt? Was ist denn passiert?“

Sarah berichtete ihrer Freundin von dem Gespräch mit Daniel und ging mit ihr in die Küche, um Kaffee zu brühen. 

„Und was hast du jetzt vor? Fährst du trotzdem nach Spanien?“  Rike holte die Milch aus dem Kühlschrank. 

„Auf gar keinen Fall“, schüttelte Sarah den Kopf. „Erstens hat Daniel das alles gebucht und außerdem kann ich mir das allein nicht leisten.“ Sie stutzte. „Mist, jetzt hab ich den Job im Bistro auch schon gekündigt. Aber, ach, da will ich sowieso nicht mehr hin.“ 

Rike nickte verständnisvoll und setzte sich ihrer Freundin gegenüber an den kleinen Tisch. „Wegen Martin, oder? Hat er immer noch nicht kapiert, dass er nicht bei dir landen kann?“ 

„Das kapiert der nie“, winkte Sarah ab. „Egal, dann muss eben was anderes gehen. Ich werde verrückt, wenn ich mir die nächsten sechs Wochen Gedanken um mein verkorkstes Lebens machen soll, ohne irgendetwas tun zu können …“ 

„Sechs Wochen!“ Rike riss die Augen auf und hielt für einen Moment die Luft an, bevor sie japsend weitersprach. „Mensch Sarah, das gibt’s nicht. Du bist die Rettung, nach der ich gesucht habe!“, rief sie und streckte die Arme in die Höhe, so als hätte sie gerade den Weltrekord im Hochgeschwindigkeitsdenken gebrochen.

Sarah konnte ihre Mitbewohnerin nur erstaunt ansehen. Doch dann dämmerte es ihr. Rikes begeisterte Berichte über das Waldecker Hofgut fielen ihr wieder ein. Seit der Teenagerzeit half sie jedes Jahr während der Ferienzeit auf einem Reiterhof im Waldecker Land aus. Sozusagen als Mädchen für alles, aber im Besonderen sorgte sie für die Verpflegung der Kinder. Als Arbeit konnte man die Betreuung der Jugendlichen kaum bezeichnen. Die Beschäftigung als Küchenhilfe und Zimmermädchen war überschaubar und wurde gut bezahlt. Rikes Familie kam aus dem kleinen Ort in der Nähe des Edersees. Schon ihre Mutter hatte hin und wieder auf dem Gut ausgeholfen. Es war also nicht ganz einfach für sie, diesen Einsatz so kurzfristig und kommentarlos zu streichen. Doch Rike wollte um jeden Preis die Ferien mit Sebastian verbringen. Sie glaubte, ihrer großen Liebe begegnet zu sein.  

Augenblicklich sprang sie auf und lief in die Diele, wo ihre Tasche stand, kam mit dem Handy zurück und umarmte Sarah. 

„Was bin ich froh. Seit Tagen wähle ich mir die Finger wund. Keine Chance, dass irgendjemand Zeit hatte, mich zu vertreten. Yippie! Ich könnte die ganze Welt umarmen.“ 

Erschrocken hielt Rike inne und schlug sich die Hand vor den Mund. 

„Entschuldige! Schließlich hast du gerade eine Trennung hinter dir und ich denke nur an mich. Außerdem hab ich dich noch nicht mal gefragt, ob du den Job überhaupt für mich übernehmen würdest?“ 

Sarah hob den Daumen, zuckte mit den Schultern und winkte dann verständnisvoll ab. „Halb so wild, ich wundere mich selber, wie cool ich bin, aber dich hat’s ja ganz schön erwischt.“ 

Rikes Gesichtsausdruck wandelte sich von zerknirscht auf verwundert. „War das am Anfang mit Daniel und dir nicht auch so?“ 

„Du meinst, ob wir tagelang nicht aus dem Bett gekommen sind und so?“ 

„Zum Beispiel.“ 

„Nein, nicht wirklich.“ Sarah runzelte die Stirn und zuckte abermals mit den Schultern. „Daniel ist nicht so triebhaft. Es war natürlich mehr als in den letzten Monaten, aber so wie bei euch war es nie.“  

„Und du hast nichts vermisst?“ Rike schüttelte fassungslos den Kopf. „Ein Glück, dass der nach Amerika muss“, murmelte sie und sprach dann wieder lauter. „So nüchtern, wie du über Sex mit Daniel redest, könnte man meinen, ihr hättet eine wissenschaftliche Studie darüber verfasst. Was du brauchst, ist ein anständiger Kerl, ein guter Lover. Verstehst du?“ Rike sah sie beschwörend an. „Damit du weißt, wovon ich rede. Du hast ja keine Ahnung, was du verpasst.“ 

„Wenn du meinst?“ Sarah nickte nur, war jedoch unentschlossen. Ihrer Meinung nach war ihr nichts entgangen. Sehr viele Vergleiche konnte sie allerdings auch nicht vorbringen. Nach Rikes Schilderungen zu urteilen, konnte der Sex mit Daniel demnach nicht besonders gut gewesen sein, sinnierte sie. Anscheinend waren sie über die Mittelmäßigkeit nicht hinausgekommen. Bestimmt war Rike einfach nur ein viel heißblütigerer Typ, mutmaßte Sarah und starrte in ihre Kaffeetasse. Aber woran erkannte man, ob jemand leidenschaftlich war? Tatsächlich zeigte Rike, wenn es um Sebastian ging, ganz neue Seiten, denn ansonsten war sie eine eher bodenständige und realistische Person. Im letzten Sommer konnte sich Sarah erinnern, war ein Tobias der erklärte Favorit ihrer Freundin gewesen, was den Job auf dem Reiterhof aber nicht infrage gestellt hatte. Ein danach gab es nicht mehr, weil Tobias keine kalten Betten mochte. Rike hatte das mit Fassung getragen. Seltsam. Bei Sebastian schien jetzt alles anders zu sein. Sarah betrachtete Rike eindringlich und schüttelte dann über die eigenen Gedanken den Kopf. Schluss damit, es gab Wichtigeres, als über Beziehungen und Sex nachzudenken.  

Unterdessen tippte Rike  eine Nummer in die Tastatur ihres Mobiltelefons. Kurz darauf begrüßte sie erfreut eine Maritta. Mit wenigen Worten erklärte sie die Situation und schilderte Sarahs Küchenfertigkeiten sowie ihren Werdegang. Im Nu war alles geklärt.

„Samstag um 10 musst du da sein.“ 

2. 

Hendrik von Freyenhof bog mit dem Jeep auf den Zufahrtsweg zum Gut ein, als sein Handy am Armaturenbrett in der Freisprechhalterung klingelte. Bounty, die Bordercolliehündin seines Vaters, die er für die Zeit seines Reha-Aufenthaltes in Obhut hatte, begann sofort aufgeregt zu bellen und sprang wie wild hin und her.  

„Bleib ruhig Bounty.“ 

Im Display las er Hannelore, den Namen seiner Mutter.  Hendrik verzog ärgerlich das Gesicht. Was war denn jetzt wieder? Seit sein Vater vor drei Tagen mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus gekommen war, ging das bereits so. 

„Mama, was gibt’s? Ich bin gleich da, stehe sozusagen schon vor der Tür.“ 

„Gut, ich wollte nur sichergehen, dass du unsere Besprechung nicht vergisst.“ 

„Nein, wie sollte ich auch? Du erinnerst mich allein heute das dritte Mal daran.“ 

„Entschuldige, aber ich weiß doch, an was du alles denken musst.“

„Es gab im Sägewerk noch Probleme mit der Hebebühne, deshalb bin ich etwas später.“ 

„Gut. Wir sind im Arbeitszimmer.“ 

Hendrik, der inzwischen das Gelände des Hofes erreicht hatte, parkte und ließ Bounty aus dem Jeep springen, bevor er die wenigen Treppenstufen des Haupthauses hinaufeilte. Eine Besprechung. Bisher hatte man Familienangelegenheiten beim gemeinsamen Essen, das an den meisten Tagen abends eingenommen wurde, besprochen. Als wenn dafür jetzt Zeit wäre. Hendriks Blick streifte flüchtig das u-förmig angelegte, weitflächige Anwesen mit seinen altehrwürdigen Fachwerkgebäuden, deren Mauern teilweise bis in das 17. Jahrhundert zurückreichten. Gut Freyenhof zählte zu den großflächigsten in der ganzen Region. Einst galt es, insgesamt 750 Hektar Wald- und Freiflächen zu bewirtschaften. Mittlerweile waren Teile der Ländereien verpachtet oder auch verkauft. Die Forstwirtschaft stellte die größte Einnahmequelle dar. Doch das reichte nicht, um das Familienerbe zu bewahren. Schon in den 1980er-Jahren hatte sein Vater Hans-Hermann, mit Zustimmung seines Großvaters Wilhelm-Konrad, die unrentable Landwirtschaft in weiten Teilen aufgegeben und den Betrieb umstrukturiert. Die alten Gemäuer waren modernisiert und zu einem Gestüt mit Reiter- und Ferienhof aus- und umgebaut worden. Ein weiteres, stattliches Haus, das etwas außerhalb des Hofgebäudes stand und früher als Gesindehaus diente, hatte man bereits in den 1950er-Jahren zu einem Hotel mit Restaurant umfunktioniert. Und nun würde Hendrik seinem Vater im Betrieb zur Hand gehen. Seit dem Abschluss seines BWL-Studiums lag sein Hauptaugenmerk auf der Bewirtschaftung des Waldes mit dem dazugehörigen Sägewerk.

Er betrat das nach westfälischer Art erbaute Herrenhaus. Das Gebäude beeindruckte allein schon durch seine Größe. Rechteckig, geradlinig, schnörkellos und trotzdem imposant. Aus jeder Ritze sprach Geschichte. Eilig durchquerte er die großzügige Diele und erreichte das Büro seines Vaters. Bounty immer vorweg. In dem mit Eichenholzpaneelen ausgelegten Raum fühlte man sich automatisch zurückversetzt in eine längst vergangene Zeit. Der schwere Schreibtisch aus Ebenholz, der noch aus den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts stammte, beherrschte das Zimmer ebenso wie die mit Büchern und Akten gefüllten Regale an den Wänden. Das einzige Zugeständnis an die Neuzeit war die technische Ausstattung. Dem gegenüber stand ein Ledercouchensemble im englischen Stil mit passendem Tisch. Durch das Fenster konnte man die Pferdeweiden sehen. Bounty, der sofort schwanzwedelnd auf Eike zulief, der mit Dorit bereits auf der bequemen Couch saß, holte sich ihre Streicheleinheiten. Vor Dorits Füßen rollte sie sich schließlich zufrieden zusammen und verfolgte das Geschehen um sie herum mit wachsamen Blicken. Die hellen Wände, an denen nicht nur Urkunden, Auszeichnungen hingen, sondern auch gerahmte Bilder die prämierte Zuchtpferde zeigten. Hannelore, die Hendrik hereinkommen sah, legte das Telefon aus der Hand und kam auf ihn zu. 

„Setz dich, ich habe gute Neuigkeiten. Ich war heute Morgen im Krankenhaus und konnte eben nochmal mit der Stationsschwester telefonieren.“ 

Hendrik setzte sich zu seinem Bruder und dessen Frau, während Hannelore weitersprach.

„Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass alles so glimpflich abgegangen ist.“ Sie presste eine Hand auf ihr Dekolleté. „Eurem Vater geht‘s schon viel besser. Glücklicherweise war es kein Herzinfarkt, sondern nur“, sie malte Anführungszeichen in die Luft, „Angina Pectoris.“ 

„Gott sei Dank“, Dorit wirkte genauso erleichtert wie die beiden Brüder. „Und wie gehts jetzt weiter?“ 

„Wie ich eben gehört habe, wird euer Vater morgen für mindestens drei Wochen nach Rotenburg zur Reha geschickt. Wie ihr euch vorstellen könnt, kommt sein Zustand nicht von ungefähr. Die vielen Verpflichtungen und Termine.“ Sie hob die Hände in einer hilflosen Geste. „Ja, ich weiß, was ihr sagen wollt ... es fällt ihm nun mal schwer, Hilfe anzunehmen und kürzerzutreten. Gut, das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Aber die Ärzte haben ihm dazu gehörig den Marsch geblasen. Doch nun müssen wir mit den Aufgaben, die anstehen, ohne ihn fertig werden.“ 

Hannelore, die trotz ihrer akkuraten Erscheinung, ein wenig erschöpft wirkte, nahm nun ebenfalls Platz und holte tief Luft. Es war klar, woran sie dachte. Wie jedes Jahr um diese Zeit stand das Springturnier mit Auktion an. Ein alljährliches Event, das bisher immer unter der Regie des Barons geplant und umgesetzt worden war, musste nun erstmalig ohne den Schirmherrn stattfinden. Außerdem wurde die erste Welle von Ferienkindern erwartet, die am Sonntag anreisten.

Hans-Hermann von Freyenhof war ein leidenschaftlicher Reiter und Pferdezüchter. Als junger Mann war er als Springreiter so erfolgreich gewesen, dass er es sogar bis in die Reihen der Olympioniken geschafft hatte. Nun galt sein ganzer Stolz dem internationalen Springturnier, das über die Grenzen des Landes bekannt war und jährlich auf dem Gut stattfand. 

„Die Unterbringung und Bewirtung der Turniergäste ist in trockenen Tüchern“, meldete sich Eike zu Wort. „Ich habe zusätzliches Personal dafür angeheuert. Also für meinen Teil kann ich sagen, dass wir gerüstet sind.“ 

Hendrik, der den zufriedenen Unterton seines Bruders heraushörte, betrachtete die beiden neben sich. Eike war mit seinen dreiunddreißig Lenzen knapp vier Jahre älter als sein er. Er hatte bereits in der Jugend gewusst, dass er Sternekoch werden wollte. Kurz nach der Ausbildung hatte er eine Stellung in einem Spitzenrestaurant angetreten und dort die Konditorin Dorit kennengelernt. Seither waren die beiden ein Paar, was sie im vergangenen September mit dem Ehegelübde besiegelt hatten. Seit Eikes Ambitionen zum Koch galten die Zuständigkeiten auf dem Gut damit als geregelt. Da Hendrik aber nach dem Studium erst mal Fuß fassen musste und eigentlich überall einsprang, wo Not am Mann war, fühlte er sich in diesem Moment benachteiligt.

Über die Selbstzufriedenheit seines Bruders ein wenig verstimmt, zog er die Augenbrauen hoch und räusperte sich. „Ja, leider kann ich das von mir noch nicht sagen. Mir war klar, dass das jetzt alles auf mich zukommt. Aber es ist schließlich das erste Mal, dass ich mich allein um die Organisation kümmern muss. Um das Sägewerk muss ich mich nicht sorgen. Uwe Ritter wird es die nächsten drei Wochen weitgehend ohne mich leiten. Die Waldarbeiter sind informiert.“ 

„So war das doch nicht gemeint“, hob Eike beschwichtigend die Hand, „ich wollte damit nur sagen, dass ich für das, was in meiner Verantwortung liegt, vorbereitet bin. Ich habe vom Ablauf des Turniers genauso wenig Ahnung wie du. Ich wüsste nicht mal, wie ich dir dabei helfen sollte.“ 

Hannelore sah die Brüder so beschwörend an, dass Eike schwieg. 

„Bitte, keine Diskussionen jetzt. Das Letzte, was wir brauchen können, ist Streit.“ Sie wandte sich Hendrik zu. „Ich habe mir darüber auch so meine Gedanken gemacht. Wir müssen uns nichts vormachen. Selbst wenn euer Vater jetzt zurückkäme, könnte er nicht da weitermachen, wo er aufgehört hat. Das wird in dieser Form sowieso nicht mehr möglich sein. Abgesehen davon, dass ich es nicht zulassen werde. Hendrik, es verlangt niemand von dir, dass du alles allein bewältigen sollst.“ Hannelores Lippen umspielte ein Lächeln. „Tja, und weil das so ist, habe ich Gesine angerufen und sie um Hilfe gebeten.“ Sie machte ein zufriedenes Gesicht, als sie weitersprach. „Gesine ist wirklich ein sehr nettes Mädchen, Pardon, eine junge Frau, und sie war sofort einverstanden. Sie hat mir versprochen, überall einzuspringen, wo Not am Mann ist. So, das ist meine Überraschung. Nun müssen wir alle Aufgaben nur noch neu verteilen.“ 

Während die Brüder mit entgeisterten Blicken auf die Neuigkeit reagierten, hob Dorit, die Gesine nicht kannte, fragend die Augenbrauen.  

„Hältst du das wirklich für notwendig?“ Hendrik, der nicht länger an sich halten konnte, sprang auf und stellte sich vor seine Mutter. „Also ich finde das unnötig und bin mir sicher, dass wir es auch ohne sie schaffen.“ 

Über Hannelores Nasenwurzel bildete sich eine Falte. Ein sicheres Zeichen, dass sie keinen seiner Einwände gelten lassen würde, wusste Hendrik aus Erfahrung und resignierte. Da sie wie so oft bereits allein entschieden hatte, wandte er sich achselzuckend ab und rief nach der Hündin.

Eike und Dorit, die die Szene schweigend beobachtet hatten, sahen nun auch keinen Grund, mehr zu bleiben, weshalb sie sich ebenfalls erhoben und zur Tür strebten. „Es war ja nichts Wichtiges mehr oder?“, fragte Eike, der bereits nach der Türklinke griff. 

„Nein, im Augenblick nicht“, antwortete Hannelore und hielt Hendrik, der seinem Bruder auf dem Fuß folgen wollte, davon ab, hinterherzugehen. 

„Moment noch! Ich merke doch, dass du ein Problem mit Gesine hast.“ 

Einen Seufzer unterdrückend schloss er die Tür wieder und musterte seine Mutter kühl. „Ich hab gar kein Problem mit ihr, dafür ist sie mir nicht wichtig genug. Ich bin nur der Meinung, dass Fremde keinen Einblick in unsere Firmenangelegenheiten haben sollten, das ist alles.“ 

„Aber sie ist doch keine Fremde. Unsere Familien sind seit Ewigkeiten miteinander befreundet. Das weißt du doch. Warum bist du so misstrauisch?“ 

Er ignorierte die Frage, weil er keine Lust hatte, das Gespräch unnötig in die Länge zu ziehen. „Das sehe ich anders. Wir brauchen ihre Hilfe nicht. Haben sie uns schon mal um Hilfe gebeten? Nein, weil sie immer alles alleine regeln. Und genau das sollten wir auch tun.“

„Gut, ich verstehe deine Bedenken. Ich werde darüber nachdenken, aber sie ist bereits auf dem Weg hierher, und wenn sie sich nützlich machen will, freue ich mich und dass solltest du auch. Ich versichere dir, sie wird nur den Einblick bekommen, den ich ihr gewähre.“ 

3. 

„Wie fühlst du dich?“ Rike, die Sebastians Golf in Richtung Reiterhof steuert, betrachtete Sarah kurz von der Seite. 

„Alles okay. Vielleicht ein bisschen müde. Ich kann im Moment nicht so gut schlafen. Aber das gibt sich wieder.“ 

„Bist du sicher? Ich meine, schließlich habe ich dich ziemlich überrumpelt. Wenn ich es mir recht überlege, hast du gar nicht richtig ja gesagt“ Rike machte ein zerknirschtes Gesicht. „Es ist nur … ich bin so froh, dass du für mich einspringst.“ 

Sarah, die sich sehr wohl an ihre Zustimmung erinnerte, konnte sich nicht verkneifen, Rike ein wenig zu foppen. Sie legte den Finger an die Stirn und verdrehte die Augen. „Ja richtig, jetzt wo du’s sagst … eigentlich bin ich mir jetzt doch nicht mehr so sicher, ob ich will. Nach so einer Trennung, da kann man schon mal ein bisschen verwirrt sein.“ Sarah grinste von einem Ohr zum anderen, als sie das erschrockene Gesicht ihrer Freundin betrachtete. 

„Oh du …“, Rike klatschte Sarah freundschaftlich aufs Bein. 

„Au! Geht man so mit Menschen um, die einem aus der Patsche helfen? Klar will ich dahin“, rief Sarah. „Ich bin froh, dass ich zu Hause rauskomme. Natürlich wäre ich jetzt lieber auf dem Weg zum Flughafen, aber … ach, was soll’s. Ist dann jetzt eben so, es gibt Schlimmeres.“  

Rike stieß erleichtert die Luft aus. „Genau, so will ich dich hören.“  

Kurz darauf bogen sie in die Hofeinfahrt von Gut Freyenhof ein.

Nachdem sie sich herzlich von Rike verabschiedet hatte, betrachtete sie staunend, wie riesig das Gehöft war. Vor einem pyramidenförmigen Treppenaufgang stellte sie Reisetasche und Rucksack ab und sah sich um. Mannomann, sie musste an die Bilder denken, die ihr durch den Kopf geschossen waren, als Rike ihr von dem Hof erzählt hatte. Diese Gedanken konnte sie jetzt getrost vergessen. Das, was sie sah, war mindestens drei Nummern größer als alles, was sie sich je vorstellen konnte. Sie drehte sich noch einmal zu Rike um, die gewendet hatte und nun bereits aus der Hofeinfahrt fuhr.  

Sarah gab sich einen Ruck, nahm ihr Gepäck und blieb dann mit Blick auf das Haupthaus und das danebenliegende Gebäude doch ratlos stehen. In der Eile hatte Rike versäumt, ihr zu erklären, wo sie sich melden sollte. Ein aufgeregtes Wiehern ließ sie herumfahren und der Geruch von Pferdemist kroch ihr in die Nase. Sie sah zu den Ställen hinüber, die sich auf der anderen Seite der Hoffläche in einer langen Front erstreckten. Einige der edlen Vierbeiner steckten ihre Köpfe aus den halb offenen Türen und schienen sie skeptisch zu beäugen. In der Mitte der gepflasterten Fläche des Innenhofes stand eine mächtige Eiche, die von einer hölzernen Bank umrundet war. Ein trockengelegter Brunnen, der gleich daneben gelegen war, unterstrich das ländliche Idyll so perfekt, als hätte man es für ein Foto arrangiert. Weiter hinten hörte sie die drei Mädchen im Teenageralter, die herumalberten, während sie Ponys vor einem Paddock striegelten. Sicher konnten die ihr sagen, wo sich das Personalbüro befand. Doch bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte, rief jemand nach ihr.

„Hallo, du musst Sarah sein!“

Sarah drehte sich um und blickte auf eine sympathisch wirkende Frau mit brünetter Kurzhaarfrisur, die anscheinend aus der Tür direkt neben dem Hauptgebäude gekommen war. 

„Ja, die bin ich, dann sind Sie bestimmt Maritta, oder?“ 

Die Frau streckte ihr die Hand entgegen und unterzog Sarah einer schnellen Musterung. „Ja, ich bin Maritta Ritter.“

Sarah lächelte über die Art, wie Maritta das R rollte. Ein Indiz, dass sie keine Nordhessin war. 

„Bitte, du musst mich nicht siezen. Wir werden die nächsten Wochen tagtäglich zusammenarbeiten. Da ist das Du unkomplizierter.“ 

„Gefällt mir auch besser“, nickte Sarah. Rike hatte nicht zu viel versprochen. Maritta schien in Ordnung zu sein. Sie betrachtete ihr Gegenüber genauer. Maritta war schlank und drahtig, beinahe ein bisschen burschikos, aber auf eine angenehme Art. Sie ließ Marittas Hand wieder los. 

„Ich soll dir schöne Grüße von Rike ausrichten. Sie hatte leider keine Zeit mehr, dich zu begrüßen.“ Sarah warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „In knapp zwei Stunden fährt ihr Zug, der sie nach Sylt bringt.“ 

„Danke. Schade, ich hätte sie gern mal wieder getroffen, aber das ergibt sich bei Gelegenheit. So, dann will ich dir mal alles zeigen.“ Sie deutete auf das Gepäck. „Am besten wird sein, wenn wir erst mal deine Sachen wegbringen. Komm mit.“ 

Maritta schnappte sich den Rucksack und ging voraus. Sarah folgte ihr mit der Reisetasche und betrat das Gebäude neben dem Haupthaus, das im gleichen Stil erbaut war, aber nur zwei Stockwerke hatte. Der Weg führte durch einen großen Raum mit vielen Tischen, Stühlen und Bänken. In den Regalen an den Wänden sah man Spiele, Bücher und Bastelutensilien, also alles, was Kinderherzen höherschlagen ließ. Durch die hohen, im westfälischen Bauernstil gehaltenen Fenster, die mit einem typischen Holzkreuz versehen waren, kam jede Menge Licht herein, was den Raum bis auf den letzten Quadratzentimeter erhellte. Gleich nebenan befand sich die riesige Wohnküche. Sarah registrierte erleichtert, dass zwei Industriespülmaschinen die moderne Küchenausstattung ergänzten. Auch die Küche bot einen Blick auf den Innenhof. 

Maritta blieb stehen. „Das ist für die nächsten Wochen dein Reich. Wir bereiten hier Frühstück, Kuchen und Kakao am Nachmittag und Abendbrot für die Ferienkinder zu. Das Mittagessen wird in der Hotelküche gekocht. Wir holen es dann in Wärmebehältern her. Du hast das Hotel sicher gesehen, es liegt unmittelbar vor dem Gut.“ Sie deutete auf die breite Doppeltür. „Der große Raum, durch den wir gerade gekommen sind, ist Speisesaal und Aufenthaltsraum in einem. Abgesehen davon, dass die Kinder dort die Speisen einnehmen, nutzen wir ihn nur, wenn es regnet. Die Essenszeiten besprechen wir noch. Abends um halb zehn müssen alle in den Betten sein. Ausnahme ist der letzte Ferientag, dann findet ein Abschiedsfest statt.“ Maritta sah sie forschend an. „Du bist also fast rund um die Uhr im Einsatz, ich hoffe, Rike hat dich darüber informiert?“ 

„Ja, natürlich. Sie hat es erwähnt. Das ist kein Problem. Ich mag Kinder.“ 

„Das ist gut“, lachte Maritta. „Sie werden dich nämlich voll in Beschlag nehmen.“ 

Maritta führte Sarah in die Vorratskammer. In hohen Metallregalen, die hintereinander in Reihen aufgestellt waren, befanden sich Töpfe, Brotkörbe und Küchentücher sowie Konserven und Lebensmittel, die nicht gekühlt werden mussten. Zudem gab es mehrere Kühltruhen. Sie deutete auf das Gestell des mittleren Regals, auf dem obenauf ein großer schwarzer Bräter stand. „Hier solltest du aufpassen. Die Regalgestänge, die im Boden und in der Decke verankert sind, haben sich oben in der Halterung gelockert. Uwe weiß Bescheid, er hat mir seit Längerem versprochen, sie zu reparieren, aber bis jetzt ist er noch nicht dazugekommen. Sei also vorsichtig, wenn dir das Ungetüm auf den Kopf fällt, hast du anschließend eine Gehirnerschütterung.“ 

„Ich versuche, daran zu denken.“ 

Maritta verließ den Vorratsraum und bat sie mit einem Wink, ihr zu folgen. Sie durchquerten die Wohnküche, von der aus, eine weitere Tür zu einem kleinen Flur mit Treppenhaus führte. Mein Gott, wie groß das alles hier ist, ging es Sarah durch den Sinn. Nach einem Blick aus einem schmalen Fenster erkannte sie, dass sie sich nun im hinteren Teil des Gebäudes befinden mussten, denn sie entdeckte einige Pferde, die auf der Weide grasten. Maritta öffnete eine von zwei Türen und dirigierte Sarah in ein kleines Zimmer, in dem ein Bett, Nachttisch, Stuhl sowie Schrank standen. Sarah wusste sofort, dass dies ihre Herberge für die nächsten sechs Wochen sein würde. Ein bisschen erinnerte das Mobiliar an eine Gefängniszelle. Doch wozu hätte man den Raum noch komfortabler ausstatten sollen? Sie würde sich sowieso kaum hier aufhalten. Der Blick nach draußen entschädigte sie allerdings für die karge Einrichtung. Auch hier hatte sie die Aussicht auf satte Wiesen und prachtvolle Pferde. 

„Das ist dein Zimmer“, erklärte Maritta und verwies mit dem Finger auf eine Tür gleich nebenan. „Dusche und Toilette ist separat. Am besten, du lässt dein Gepäck hier stehen. Du kannst es nach unserer kleinen Besichtigungstour auspacken.“ Sie gab Sarah den Schlüssel des Zimmers, damit sie abschließen konnte, und ging zurück in den Flur, wo sie auf die Treppe deutete. „Oben sind die Zimmer der Mädchen. Sie haben ihre eigenen Bäder.“ 

„Dachte ich mir schon, dass es hauptsächlich Mädchen sind, die hier Ferien machte. Und Jungs kommen gar keine?“ 

„Das Interesse ist nicht sehr groß. Aber es gibt auch ein logistisches Problem.“ 

Sarah runzelte die Stirn. 

„Ja, wir haben nur vier Zimmer mit je vier Betten“, erklärte Maritta, „und dazu zwei Bäder mit jeweils drei Duschen und sechs Toiletten. Wenn wir Jungs aufnehmen, was auch schon vorgekommen ist, müssen es pro Ferienwoche mindestens vier sein, damit wir einen Raum vollkriegen und ein Bad für sie reservieren können, ansonsten ergibt es keinen Sinn.“ 

„Hm, verstehe. Und wie viele Kinder haben sich angemeldet?“ 

„Wir sind die ganzen Ferien ausgebucht. Jeden Sonntag kommen sechzehn Mädchen zwischen acht und fünfzehn Jahren. Freitagabend ist Abschiedsfeier und Samstag ist Abreisetag. Das ist der anstrengendste Tag. Betten ab- und aufziehen, sauber machen und was sonst noch so anfällt.“ 

„Wer kauft die Lebensmittel ein?“ 

„Ich. Meistens mittwochs. Du wirst dabei sein. Ich fahre dann nämlich nach Kassel in einen Großmarkt. Du kannst dir nicht vorstellen, welchen Appetit die Mädchen entwickeln, wenn sie den ganzen Tag an der frischen Luft sind.“ 

Mit zügigen Schritten erklomm Maritta die hölzerne Treppe, die kaum hörbar unter ihrem Gewicht ächzte. 

„Die Zimmer sind in unterschiedlichen Farben gehalten“, erklärte sie weiter, als sie im Obergeschoss angelangt waren. „So finden sich die Mädels besser zurecht. Außerdem teilen wir sie nach Alter ein, das hat sich bewährt. Hast du schon mal mit Kindern gearbeitet?“ 

Maritta blieb vor einer offenen Zimmertür stehen und Sarah schlüpfte an ihr vorbei, um den Raum zu betreten, der ganz in Sonnengelb gehalten war. 

„Ich habe einige berufsbedingte Praktika im Kinder- und Jugendbereich absolviert.“ 

Während Sarah über die gelb-weiß gepunktete Bettwäsche strich, lächelte sie wehmütig. „So hätte ich als Kind auch gerne mal Ferien gemacht. Wie schön, dass ich es wenigstens als Erwachsene mal erlebe“, sie sah kurz auf und grinste. „Hat dir Rike erzählt, dass ich im August eine Stelle als Lehrerin antrete? Vorgestern habe ich die Zusage gekriegt.“ 

„Nein.“ Maritta war sichtlich überrascht. „Sie hat mir nur erzählt, dass du lange Zeit in einem Bistro gearbeitet hast und deshalb auch mit dieser Arbeit kein Problem haben würdest. Aber viel Zeit zum Reden blieb uns ja leider nicht. Dieser Sebastian muss schon was ganz Besonderes sein, wenn sie für ihn den Job hier sausen lässt.“ 

„Ja, Basti ist ein Schatz und sehr in Rike verliebt. Das könnte was Ernstes werden mit den beiden.“ 

„Das freut mich“, nickte Maritta. „Ich vertraue ihrem Urteil, wenn sie uns jemanden empfiehlt. Vor zwei Jahren hat sie eine andere Freundin zum Helfen mitgebracht und das klappte auch recht gut. Sonst hätte ich nicht so einfach zugestimmt. Du wirst sehen, wie anstrengend das hier werden kann.“ 

Die beiden Frauen gingen den langen Flur entlang, vorbei an weiteren Zimmern in Himmelblau, Moosgrün und Erdbeerrot, um dann zum Treppenhaus zurückzukommen. Sarah, die hinter Maritta herlief, hatte Mühe, sich all die Türen und Gänge zu merken. Zurück auf dem Hof, begaben sie sich direkt zum Haupthaus.  

„So, und jetzt zeige ich dir, wie du zum Büro kommst. Schließlich müssen die Freyenhofs wissen, dass du offiziell angekommen bist. Du bekommst einen Arbeitsvertrag und bist damit auch automatisch versichert.“ 

„Ähm, ich denke, ich sollte dir noch etwas sagen“, zögerte Sarah, als sie hinter Maritta herging. 

„Und das wäre?“ Maritta blieb abwartend am Brunnen stehen. 

„Ich kann nicht reiten und habe auch noch nie auf einem Pferd gesessen.“

Maritta lachte erleichtert auf. „Wenns weiter nichts ist. Für die Reitstunden der Kinder haben wir mehrere Mädchen aus dem Dorf. Die sind alle sattelfest. Und bereits alte Hasen im Umgang mit den Kiddies. Drei von ihnen konntest du eben schon bei den Ställen sehen. Meine Tochter Saskia wird auch dabei sein. Sie reitet wie der Teufel. Mach dir also deshalb keine Gedanken. Hauptsache, du kommst mit der Bande klar, wenn sie Hunger haben.“ 

Sarah winkte lachend ab. „Die kriege ich satt.“ 

„Siehst du, Probleme werden hier sofort gelöst. Los! Lass uns den formellen Teil hinter uns bringen.“

  Maritta, die mit federnden Schritten vor Sarah die pyramidenförmige Treppe zum Haupthaus empor lief, öffnete eine dunkelgrüne Doppeltür, die aus massivem Holz gefertigt war. Die herrschaftliche Eingangstür, die mit antiken Messinggriffen und kleinen hellen Scheiben im oberen Kopfbereich ausgestattet war, war unverschlossen.  

„Sie wird erst abends abgeschlossen“, beantwortete Maritta Sarahs unausgesprochene Frage. „Das ist einfacher so, weil tagsüber zu viele Leute hier ein und ausgehen.“ 

Sarah nickte nur und sah sich dabei in der beeindruckenden Eingangshalle um. Der quadratisch hohe Raum, dessen schwarz-weiß gekachelter Steinfußboden, wie ein Schachbrett aussah, wurde von einer Treppe beherrscht, die mit einem kunstvoll gedrechselten Eichenholzgeländer versehen war. Anstatt Möbeln gab es nur noch eine schwere Eichentruhe, die mit aufwendigen Schnitzereien ausgestattet war und an den weiß verputzten Wänden wechselten sich in Öl verewigte ernst dreinblickende Ahnen mit Hirschgeweihen und verschnörkelten Wandleuchten ab. Alles wirkte gediegen, fast hoheitsvoll. Ein bisschen wie bei Königs daheim, sinnierte Sarah nicht ohne Ironie. In der Mitte führte ein Flur zu weiteren Türen, zu denen Maritta sie jetzt dirigierte. In dem Moment, als sie die Erste öffnen wollte, wurde sie von innen von einem drahtigen Mann aufgestoßen, während sich gleichzeitig ein schwarz-weiß gefleckter Hund an ihr vorbei drängte und sich sofort an sie schmiegte. Der Mann, Sarah schätzte ihn kaum älter als sich selbst ein, fing an, zu lachen, was sie veranlasste, zu ihm aufsehen. Manche Menschen schafften es einfach, von der ersten Sekunde an zu beeindrucken, musste sie ihm neidlos zugestehen und betrachtete ihn verstohlen. Allein das charmante Lächeln, kombiniert mit dem modernen, aber zerzausten Kurzhaarschnitt wirkte schon sehr anziehend. Er schien sich häufiger mit den Fingern durch die volle dunkelblonde Haarpracht fahren. Seinem attraktiven Äußerem schadete das allerdings nicht, es unterstrich höchstens noch den jungenhaften Charme, den er im Übermaß besaß.

„Irgendwann bringt sie mich noch zu Fall, das wirst du sehen!“, quietschte Maritta und machte hastig einen Schritt zur Seite. 

Er zuckte nur lapidar mit den Schultern und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Was soll ich machen? Sie mag dich halt“, lachte er und nahm Sarah in Augenschein. Während er sie aus grau-grünen Augen wachsam fixierte, änderte sich seine Miene.  Das charismatische Lächeln verschwand.  

„Ich sie auch.“ Maritta strich der Hündin lächelnd über den Kopf und deutete auf Sarah. „Hendrik, darf ich dir Sarah Kunzmann vorstellen? Sie springt für Rike ein.“

Er streckte ihr die Hand entgegen. „Herzlich willkommen auf Gut Freyenhof“, begrüßte er sie mit dunkler Stimme höflich, aber reserviert. „Die Formalitäten erledigt meine Mutter. Sie wird Ihnen alles Weitere erklären. Ansonsten wenden Sie sich bitte an Maritta.“ Mit einem kurzen Nicken in Richtung seiner Angestellten verabschiedete er sich und folgte der Hündin, die bereits in der Halle schwanzwedelnd auf ihn wartete.

Auch wenn er derbe Schuhe trug und in einer abgewetzten Jeans samt verwaschenem karierten Hemd steckte – wie ein Bauer sah er nicht aus, registrierte Sarah, die ihm irritiert nachstarrte. Diese Art von überheblicher Gelassenheit war mit Sicherheit angeboren. Das konnte man nicht lernen, davon war sie überzeugt.

Mit Formalitäten und überschwänglicher Freundlichkeit hielt sich auch die Baronin nicht auf. Genau wie ihr Sohn begrüßte Hannelore von Freyenhof die neue Aushilfe mit kühler Höflichkeit und nahm sie dabei dezent unter die Lupe. 

Ob man sich in diesen Kreisen so verhalten musste? 

Obwohl es dafür keinen konkreten Anlass gab, wurde Sarah das Gefühl nicht los, dass die Hofherrin sie nicht mochte. Ach, was solls, redete sie sich gut zu, als sie das Büro wieder verließ. In sechs Wochen war der Spuk vorbei und sie konnte in ein neues Leben mit hoffentlich umgänglicheren Vorgesetzten starten.

   

 

Auf dem Weg nach draußen atmete Hendrik erleichtert auf. Allmählich fühlte er sich sicherer mit den neuen Aufgaben und war zufrieden, dass er gut im Zeitplan lag. Die Vorbereitungen für Auktion und Turnier nahmen Gestalt an, was seinem Vater gefallen würde. Und dass Dennis ihn mit seiner Erfahrung als gestandener Pferdewirt und Turnierreiter ihn tatkräftig unterstützte, war ihm ebenfalls eine echte Hilfe. Sein Vater durfte stolz sein auf sein Personal. Es verging kein Abend, an dem Hendrik nicht mit ihm telefonierte und war froh, dass er vorwiegend Positives berichten konnte.

Gedanklich bereits bei dem nächsten Termin, der im Sägewerk anstand, trat Hendrik aus dem Schatten der Scheune und beobachtete, wie Maritta mit Sarah Kunzmann die Treppe des Haupthauses herunterkam. Wie wohl seine Mutter auf Rikes Ersatz reagiert hatte? So wie er sie kannte, mochte sie keine Überraschungen und schon gar keine, die aussahen wie dieses Mädel. Warum auch immer … blonde Frauen hatten es bei Hannelore noch nie leicht gehabt. Außer Cora. An ihr hatte sie aus unerklärlichen Gründen einen Narren gefressen, obwohl seine Ex nur zwei Mal mit ihm hier gewesen war. 

Natürlich war Hendrik nicht entgangen, wie attraktiv Sarah war, doch von solchen Äußerlichkeiten wollte er sich nicht mehr blenden lassen. Jetzt nicht und zukünftig auch nicht mehr. Als müsste er sich das selbst beweisen, wandte er ruckartig den Blick von den beiden ab. Er war heilfroh, dass er die Trennung von Cora endlich überwunden hatte. Das hatte ohnehin viel zu lange gedauert. Nun wollte er erst mal seine Freiheit genießen und sich Zeit lassen, bis er sich wieder auf eine neue Beziehung einlassen würde. Dennoch – wie von einem Magnet angezogen, wanderten seine Augen erneut zu den beiden Frauen, die vertraut schwatzend über den Hof liefen und dabei so unbeschwert wirkten, dass man neidisch werden konnte. An wen erinnerte ihn diese Sarah nur? An irgendeine Prominente, da war er sich sicher. Dann fiel es ihm ein. Sie sah aus wie diese fotogene Model-Holländerin, die die Männer wechselte, wie andere Leute ihre Unterwäsche. Kein Wunder bei dem Aussehen. Blonde, lange Haare, ein Engelsgesicht mit strahlend blauen Augen und eine Figur, die bei fünfundneunzig Prozent aller Männer nicht jugendfreie Fantasien hervorrief. Sarah war schön. Zu schön. Und es ärgerte ihn verdammt noch mal, dass er ihretwegen an den größten Fehler seines bisherigen Lebens erinnert wurde. Hendrik ballte die Faust. Eher wollte er zur Hölle fahren, als sich noch einmal für eine Frau zum Affen zu machen. Da konnte sie so schön sein, wie sie wollte. Basta! 

 

Während die beiden Frauen den Weg zum Kinderhaus einschlugen – so wurde das Gebäude direkt neben dem Haupthaus genannt – marschierte Hendrik zum Parkplatz und kam am Heck seines Jeeps an. Gerade, als er den Schlüssel aus der Jeans zog, um die Fernbedienung zu betätigen, bremste ein schwarzer Audi TT abrupt nehmen ihm ab und kam so zum Stehen, dass es ihm unmöglich wurde, aus der Parklücke zu fahren. Hendrik, der nicht glauben konnte, dass jemand so dreist sein konnte, schnappte empört nach Luft. Bounty, die das Bremsgeräusch ebenfalls aufgeschreckt hatte, fing sofort lautstark an zu bellen.  Schon erstaunlich, was sich manche rausnahmen, dachte er, bekam jedoch keine Zeit, sich aufzuregen. Die junge Frau, die aus dem Sportwagen sprang, auf ihn zukam und ihm ohne Vorwarnung um den Hals fiel, verhinderte das. Und Bounty, die ihr Herrchen nun endgültig in Gefahr wähnte, tobte knurrend und kläffend um sie herum. 

„Hallo Hendrik, da staunst du, was?“, rief die Rotblonde und lachte ihn aus großen, hellblauen Augen an. „Kannst du bitte mal den Hund zurückpfeifen? Man versteht ja sein eigenes Wort nicht“, forderte sie mit einem Zwinkern auf. Noch immer sprachlos von dem Überfall, nahm er die Aussage wortlos hin, wunderte sich aber über die anmaßende Selbstverständlichkeit. 

„Hey! Freust du dich gar nicht?“, sprudelte es weiter aus ihr heraus. „Ich konnte mich schon einen Tag früher von meiner Arbeit daheim loseisen.“ 

Und wie! Hendrik, dem nun klar wurde, wer ihn da viel zu fest umklammerte, musste einen genervten Seufzer unterdrücken.  Gesine Baumbach. Bestimmt zehn Kilo leichter und mit neuer Frisur. Da passte auch das Fahrverhalten. Mit einem demonstrativen Blick auf Bounty nahm er ihre Arme von seinem Hals und trat einen Schritt zurück. Besänftigend streichelte er über den Kopf der Hündin, die daraufhin Ruhe gab und überlegte dabei, wann er Gesine das letzte Mal gesehen hatte. Es musste mindestens ein Jahr her sein.

„Entschuldige, dass ich dich so überfalle. Du bist auf dem Sprung, wie ich sehe. Da kannst du sicher verstehen, dass ich dich wenigstens noch begrüßen wollte, bevor du fährst. Wir haben uns ja so lange nicht gesehen.“ 

Ich hätte kein Wiedersehen gebraucht.

„Gesine“, räusperte sich Hendrik und besann sich auf seine Manieren, „schon gut, ich bin nur etwas überrascht. Ich hab dich nicht sofort erkannt. Wolltest du nicht erst nächste Woche herkommen?“ Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass er von Maritta und Sarah beobachtet wurde, die vor dem Kinderhaus standen und zu ihm herübersahen. Augenblicklich rückte er noch weiter von Gesine ab. 

„Deine Mutter weiß Bescheid, ich hab vorhin mit ihr telefoniert. Sie hat mir das Gästezimmer schon hergerichtet. Ich freue mich doch so, wenn ich helfen kann.“ 

„Ja, das ist nett, dass du uns unterstützen willst … obwohl es ehrlich gesagt nicht wirklich notwendig ist.“ Hendrik vermied es, sie anzusehen. Er war über den Alleingang seiner Mutter noch immer verärgert, wusste aber, dass er die Sache selber in die Hand nehmen musste, um die Kontrolle über die Geschehnisse nicht zu verlieren. „Tut mir leid, aber ich bin in Eile. Ich schlage vor, wir besprechen das heute Abend.“

 4.

„So, jetzt wo wir den offiziellen Teil hinter uns haben, zeige ich dir den Hof.“ Maritta marschierte vor Sarah her an der Eiche vorbei über den Hof und deutete auf einen der schmalen Wege, die zwischen den Gebäuden zu den Weiden führten. „Es ist wichtig, dass du dich auskennst, falls eins der Mädchen mal ausgebüxt ist.“ 

„Kommt das öfter vor?“ 

„Immer mal wieder. Manche Mädels können ganz schön zickig sein, besonders die in der Pubertät.“ 

„Hm, verstehe.“ 

Während Maritta sie durch die Ställe, die Scheune und am Springreitplatz mit Reithalle vorbeiführte, konnte Sarah nur sprachlos staunen. Aber als sie den künstlich angelegten Schwimmteich, der eingebettet zwischen alten Laubbäumen dalag, entdeckte, konnte sie nicht mehr an sich halten.  

„Oh Gott, ist das schön hier.“  

In den sanften Wellen des tropfenförmigen Teiches, der die ungefähre Größe eines Tennisplatzes hatte, spiegelte sich idyllisch die Nachmittagssonne, die nur von ein paar vereinzelten Wolken unterbrochen wurde. Im hinteren Uferbereich wuchsen sehr anschaulich Schilf und Seerosen, während man von vorne über einen Sandstrand hineinwaten oder seitlich sogar von einem Steg hineinspringen konnte. Einfach fantastisch. Eine offene Holzhütte und ein fest integrierter geschotterter Grillplatz rundeten das Bild perfekt ab.  

„Wahnsinn, da kannst du dir ja locker den Urlaub im Süden sparen, wenn das Wetter stimmt“, rief Sarah, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Das ist ja alles riesig hier.“ 

Sie sah über das Gelände zu den Pferdeweiden, die sich ringsherum anreihten.

Maritta lächelte wissend. Sie schien diese Reaktion gewohnt zu sein.  

„Ja, und die gute Nachricht ist, dass du die Anlage in deiner freien Zeit nutzen darfst, und natürlich auch, wenn du mit den Kindern hier bist. Hinter der Hütte, in einem Schuppen, befinden sich Liegen und Strohmatten. Aber“, Maritta machte eine bedeutungsvolle Pause, „die schlechte Nachricht ist, dass du leider kaum freie Zeit haben wirst. Höchstens samstagnachmittags, wenn die Bande abgereist ist. Vorher müssen allerdings die Zimmer und die Bäder gereinigt und die Betten frisch bezogen sein.“ 

„Okay, hab verstanden. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen.“ 

„Ich sehe, wir verstehen uns. Behalte einfach immer im Hinterkopf, dass wir den Kindern einen 5-Sterne-Urlaub bieten. Dafür bezahlen ihre Eltern nicht wenig Geld.“ Maritta sah auf ihre Armbanduhr. „So, ich glaube, für heute reicht der Rundgang auf dem Gut, du hast jetzt bestimmt Hunger oder?“ 

„Ehrlich gesagt ja. Ich bin noch vom Frühstück.“ 

„Gut. Gehen wir. Ich möchte, dass du bei Kräften bleibst. Aber scheu dich nicht zu fragen, wenn du was wissen willst. Das Gut ist quasi unser zweites Zuhause.“ 

„Unser?“ 

„Ja, damit meine ich meinen Mann Uwe, der im Sägewerk arbeitet, unsere fünfzehnjährige Tochter Saskia – ich glaube, die habe ich bereits erwähnt – und unseren dreizehnjährigen Sohn Manuel. Er hilft Dennis oft bei den Pferden.“ 

„Ein echter Familienbetrieb also“, stellte Sarah mehr für sich selbst fest. 

„Könnte man so sagen, denn auch alle von Freyenhofs sind im Einsatz. Ansonsten wäre das auch nicht zu schaffen.“ 

Maritta lächelte Sarah aufmunternd zu und ging voraus Richtung Hof. Sarah folgte ihr, konnte sich jedoch nicht der Flut an neuen Eindrücken und Bildern sattsehen, weshalb sich ihre Schritte automatisch verlangsamten. So bemerkte sie nicht, dass ihre Kollegin einen anderen Weg als den Hinweg wählte. Das Hofgut bot mehrere Wege, die an den Ställen und Scheunen vorbei zum Hof führten. Erst als Sarah sich auf Höhe der Reithalle befand, aus der dumpfes Hufgestampfe zu ihr herüberdrang, stellte sie fest, dass sie Maritta verloren hatte. Liebe Zeit, dass ein Hof so groß sein konnte. Fasziniert von dem Anblick einer Frau in Reithose, die einen Schimmel longierte, der im Kreis trabte, blieb sie stehen und beobachtete die eleganten Bewegungen des Pferdes, vor dessen Hufen feine Staubwölkchen aus Sägemehl aufstoben. Als jedoch warme Atemluft ihre Stirn streifte, erschrak sie. Neben ihr stand ein riesiges Pferd, das schnaubend auf sich aufmerksam machte. Zu Tode erschrocken wich sie keuchend zurück. Noch nie war sie freiwillig einem so großen Tier so nahegekommen. 

„Nur keine Panik, die tut nichts. Bleiben Sie ruhig, damit sie nicht nervös wird.“ 

Die Stimme gehörte einem in etwas gleichaltrigen Mann in Reithosen, der neben dem gesattelten Pferd auftauchte. Sarah stieß die angehaltene Luft aus. 

„Entschuldigung“, stammelte sie, „ich bin wohl in die falsche Richtung gegangen. Eigentlich wollte ich mit Maritta wieder zum Hof zurück.“ 

Seine blauen Augen blitzten bewundernd auf, als er sie mit unverhohlenem Interesse betrachtete. „Ah, verstehe, du bist der Ersatz für Rike. Hi, ich bin Dennis.“ 

„Ja richtig“, nickte sie. Doch es war vor allem sein Blick, der sie von Kopf bis Fuß taxierte und einen Moment zu lange auf ihrem Busen verweilte, der Sarah nicht gefiel. Sie kannte solche Blicke zu Genüge und hasste sie. Genauso wie sie durchschaute, wer es gewohnt war, beim anderen Geschlecht zu punkten. Sein Lächeln war zu siegessicher. Hässlich war er mit seinen kantigen Gesichtszügen, den blonden, kurz geschnittenen Haaren und dem durchtrainierten Körper nicht. Doch er hatte etwas an sich, das sie in Alarm versetzte.

„Äh … ja … war nicht so schwer, wenn du Maritta erwähnst.“ 

Erneut starrte er ihr auf den Busen.

„Dachte ich mir. Ich bin Sarah. Danke, dass du das Pferd festhältst.“ 

„Kein Ding. Das ist Mira. Sie ist eine ganz Liebe. Sie hat sich genauso erschrocken wie du.“ 

„Hier bist du!“ Maritta kam auf sie zu.

„Entschuldige.“ Sarah deutete mit einer kreisenden Handbewegung auf ihre Umgebung. „Ich war so mit den neuen Eindrücken beschäftigt, dass ich überhaupt nicht bemerkt habe, dass du einen anderen Weg genommen hast.“ 

„Wenn ich hier bin, muss sich keiner Sorgen machen, da kann nichts passieren“, tönte Dennis selbstbewusst und sah Sarah dabei um Anerkennung heischend an. Wenn du wüsstest, dass ich genau das auf den Tod nicht ausstehen kann, dachte sie, verzog aber keine Miene.

Maritta umfasste Sarahs Arm und zog sie mit sich. „Komm, ich will dir noch ein paar Dinge erklären.“ 

In der Küche angekommen, deutete sie Sarah an, sich mit ihr an den Personaltisch zu setzen. „Hör zu, ich möchte dich nicht bevormunden, deshalb versteh das jetzt bitte nicht falsch. Dennis ist ein guter Mitarbeiter, aber als Mann noch sehr unreif.“ 

„Danke für die Warnung“, nickte. „Keine Sorge, ich hab ihn längst durchschaut. Er geht ja nicht gerade subtil vor.“ Sie holte Luft. „Okay. Was Männer betrifft … mein Bedarf ist vorerst gedeckt. Ich bin definitiv nicht auf der Suche und außerdem froh, dass ich für die nächsten sechs Wochen hier sein kann.“ Sarah lächelte. „Konnte ich damit deine Bedenken zerstreuen?“ 

Maritta hob den Kopf und nickte. „Hört sich nach einer Flucht an. Bist du sicher, dass es überstanden ist?“ 

„Fürs Erste ja.“ 

„Aha, wer hat es beendet?“ 

„Ich.“ 

„Na, dann. In den nächsten Wochen wirst du genug Gelegenheit haben, auf andere Gedanken zu kommen.“ 

„Deswegen bin ich hier. Es geht mir gut und darüber bin ich selbst am allermeisten überrascht.“ 

„Dann war er nicht der Richtige, sonst würdest du’s nicht so leichtnehmen.“ Maritta zog eine Grimasse, die ihr Bedauern ausdrückte. „Komm, lass uns Kaffee kochen. Der Kuchen steht hinten in der Kammer. Kannst du backen? Das wäre gut. Die Kinder lieben Kuchen am Nachmittag.“ 

Sarah wurde nachdenklich. Rike hatte ähnliche Worte benutzt. „Ja“, beeilte sie sich, zu sagen, „ja kann ich. Sehr gerne sogar.“  

„Dann kannst du gleich morgen früh damit anfangen. Komm mit, ich zeige dir, wo alles steht.“ Maritta ging voraus in die Vorratskammer.

„Ich würde den Nusskuchen meiner Oma backen. Da weiß ich die Zutaten aus dem Kopf“, antwortete Sarah, während sie den Schokoladenkuchen vom Regal und wieder in die Küche ging.

„Prima. In der Schublade, im ersten Küchenschrank neben der Spüle, liegen noch mehr. Schreib doch das Rezept von dem Nusskuchen mit dazu.“ 

  

***

  Der Gaststube Zum edlen Ross sah man auf den ersten Blick nicht an, dass es sich um ein Restaurant mit Michelin-Stern handelte. Das einstige Gesindehaus hatte seine ursprüngliche Umwandlung zum Landgasthof bereits vor knapp fünfzig Jahren erlebt. Doch nachdem Eike die Lokalität samt Übernachtungsmöglichkeiten in eigener Regie übernommen hatte, stand für ihn fest, dass er aus dem schlichten Gebäude mehr herausholen wollte. Aus diesem Grund war das Haus genauso wie die Außenanlagen in den letzten zwei Jahren zu einem Romantikhotel mit gehobener Küche und Wellnessoase umgewandelt worden. Über all dem neuzeitlichen Komfort lag jedoch die Gediegenheit des Gutshofes und des Landadels. Es gehörte zur besonderen Note des Hotels, dass man sich in die Zeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurückversetzt fühlen sollte.