Auf ewig uns - Eva Völler - E-Book
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Auf ewig uns E-Book

Eva Völler

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Beschreibung

Immer kam etwas dazwischen, aber nun hat es endlich geklappt: Anna und Sebastiano haben sich das Jawort gegeben! Doch als sie nach ihrer standesamtlichen Trauung gerade mit ihren Gästen eine Party feiern, geschieht das Unfassbare: Ein Zeitportal öffnet sich, und Sebastiano wird von ihrem Erzfeind Mr Fitzjohn entführt!

Anna ist außer sich vor Entsetzen. Wie soll sie Sebastiano jemals wiederfinden? Zum Glück bekommt sie aus unerwarteter Richtung den entscheidenden Hinweis, und sie schöpft Hoffnung. Doch sie weiß nur zu gut, worauf es Mr Fitzjohn eigentlich abgesehen hat - einen Schatz, den Anna um jeden Preis beschützen will: ihr ungeborenes Kind ...

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Seitenzahl: 452

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungZitatTeil 1Venedig, GegenwartVenedig, 1458Teil 2Teil 3Teil 4SpäterJosés BriefDanachGlossar

Über dieses Buch

»Eine mitreißende Geschichte, die mich vollkommen in ihren Bann gezogen hat. Ich habe gelacht, gebangt und geliebt und freue mich riesig auf die Fortsetzung, eigentlich kann ich es gar nicht erwarten.« Userin Moonlight auf www.wasliestdu.de über Auf ewig dein Immer kam etwas dazwischen, aber nun hat es endlich geklappt: Anna und Sebastiano haben sich das Jawort gegeben! Doch als sie nach ihrer standesamtlichen Trauung gerade mit ihren Gästen eine Party feiern, geschieht das Unfassbare: Ein Zeitportal öffnet sich, und Sebastiano wird von ihrem Erzfeind Mr Fitzjohn entführt! Anna ist außer sich vor Entsetzen. Wie soll sie Sebastiano jemals wiederfinden? Zum Glück bekommt sie aus unerwarteter Richtung den entscheidenden Hinweis, und sie schöpft Hoffnung. Doch sie weiß nur zu gut, worauf es Mr Fitzjohn eigentlich abgesehen hat – einen Schatz, den Anna um jeden Preis beschützen will: ihr ungeborenes Kind …

Über die Autorin

Eva Völler hat sich schon als Kind gern Geschichten ausgedacht. Trotzdem verdiente sie zunächst als Richterin und Rechtsanwältin ihre Brötchen, bevor sie die Juristerei endgültig an den Nagel hängte. »Vom Bücherschreiben kriegt man einfach bessere Laune als von Rechtsstreitigkeiten. Und man kann jedes Mal selbst bestimmen, wie es am Ende ausgeht.« Die Autorin lebt mit ihren Kindern am Rande der Rhön in Hessen.

Eva Völler

Time School

Vollständige E-Book-Ausgabe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2018 Eva Völler

Copyright Deutsche Originalausgabe © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Anna Hahn, Trier

Covergestaltung: Sandra Taufer, München unter Verwendung von Motiven von © Kanate/shutterstock; Shukaylova Zinaida/shutterstock; fractal-an/shutterstock; Saibarakova Ilona/shutterstock; Eisfrei/shutterstock; motion_dmitriy/shutterstock; Anastasiia Veretennikova/shutterstock; Ilike/shutterstock; Allgusak/shutterstock; xpixel/shutterstock; Anastasiia Veretennikova/shutterstock; Discovod/shutterstock; © Mark Owen/Trevillion Images

Datenkonvertierung E-Book:hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-6161-2

one-verlag.de

luebbe.de

Für Finn

Eins, zwei, drei im Sauseschritt, läuft die Zeit – wir laufen mit.

(Wilhelm Busch)

Teil 1

Venedig, Gegenwart

Immerhin seid ihr jetzt schon mal standesamtlich verheiratet, das ist gut für die Steuer«, sagte meine Mutter zu mir. Sie sprach laut, um die Musik von unserer Hochzeitsparty zu übertönen. »Und die Feier auf Karneval zu legen, war auch eine gute Idee. Der Rosenmontag in Venedig ist sowieso immer eine Reise wert. Die Terminplanung war zwar sehr kurzfristig, aber lieber früher als später, das ist immer die beste Devise, wenn ein Kind unterwegs ist. Für die kirchliche Trauung könnt ihr dann einen längeren Vorlauf einplanen.«

Ich nickte geduldig. »Genau deshalb machen wir es so, Mama. Damit alle Leute sich rechtzeitig freinehmen können.«

»Vielleicht könnt ihr es mit der Taufe verbinden, dann wäre es ein Aufwasch.« Sie beäugte mein Glas. »Was ist in diesem Cocktail, Anna?«

»Nur Saft, Mama.«

»Das ist gut. In der Schwangerschaft sollte man keinen Alkohol trinken.«

»Ich weiß. Deshalb tue ich es ja auch nicht.«

Sie betrachtete mich kritisch. »Ist dieses historische Gewand nicht zu eng?«

»Nein, es sitzt ganz locker. Besonders am Bauch.«

Ich hatte mich als venezianisches Adelsfräulein aus dem fünfzehnten Jahrhundert verkleidet. Aus dieser Epoche bewahrten wir etliche Outfits im Fundus unseres Zeitreiseinstituts auf, und das Kleid hatte mir schon immer gefallen. Es hatte vor allem den Vorteil, dass es unterhalb des Busens in bauschigen Längsfalten herabfiel. Ich konnte so viel essen, wie ich wollte, ohne dass es auftrug. In dieser klassischen Gamurra1 sah ich jedenfalls kein bisschen schwanger aus, ganz anders als in dem Umstandskleid, das ich zur standesamtlichen Trauung angehabt hatte.

Unsere Köchin Renata kam mit einem Tablett voller Minisandwiches vorbei. Ich schnappte mir eins und biss genüsslich hinein. Meine Mutter bediente sich ebenfalls und kostete. »Sehr lecker«, sagte sie lobend zu Renata. »Ist in dem Belag Estragon?«

Renata grunzte nur irgendwas Unverständliches und ging weiter.

»Seltsame Person«, meinte meine Mutter. »Ist sie taub? Oder hat sie einen Sprachfehler?«

»Keine Ahnung«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Ich hatte Renata noch nie einen richtigen Satz sprechen hören, in welcher Sprache auch immer. Wenn sie überhaupt etwas von sich gab, dann meist nur ein Summen. Gelegentlich auch ein Kichern, ohne dass so recht klar war, weshalb. »Schau mal da drüben«, fuhr ich fort. »Papa winkt dir. Ich glaube, er will tanzen.«

Meine Mutter seufzte. »Er will immer tanzen, aber seine Begeisterung an dieser Betätigung steht in keinem Verhältnis zu seiner Begabung.«

Trotzdem folgte sie der Einladung meines Vaters und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche ziehen. Die beiden waren ein ansehnliches Paar – Mama in einem Zwanzigerjahre-Kleid im Charleston-Look, ganz rassig mit Stirnband und Feder im Haar, und Papa im weißen Smoking wie der Große Gatsby. Er konnte wirklich nicht besonders gut tanzen, aber sein Strahlen und seine gute Laune machten das mehr als wett. Das schien meine Mutter letztlich ebenso zu sehen, denn sie warf lachend den Kopf zurück, als er zu einer kühnen, wenn auch ziemlich tollpatschigen Drehung ansetzte.

Sebastiano kam von der Bar zurück, die wir vor der Küche aufgebaut hatten, und reichte mir einen frischen Saftcocktail. Er war im Stil eines venezianischen Nobile gekleidet, mit enganliegenden Calze und einem elegant geschnittenen Wams. Wie immer füllte er dieses Kostüm mit seinen breiten Schultern und den muskulösen Waden perfekt aus.

»Hallo, Ehefrau. Genießt du unsere Hochzeits-Schrägstrich-Kostümparty?«

»Was dachtest du denn?« Ich strahlte ihn glücklich an und ließ dann meinen Blick über die kleine Schar unserer Gäste schweifen. Wir hatten nur unsere engsten Freunde und nächsten Verwandten eingeladen, aber die Stimmung hätte nicht besser sein können. Alle trugen historische Gewänder aus vergangenen Epochen und amüsierten sich prächtig. Sebastiano legte den Arm um mich und begutachtete von oben mein Dekolleté. »Das Kleid ist ziemlich tief ausgeschnitten, oder?«

Ich lachte. »Das sagst du immer, wenn ich es anhabe. Aber in der Renaissance trug man es nun mal so. Und nein, es ist nicht zu eng, und ich kann auch prima Luft holen.«

»Hm, letztes Mal sah es irgendwie nicht so …« Er machte mit der Hand eine kurvige Bewegung vor seiner Brust.

»Letztes Mal war ich auch noch nicht schwanger«, versetzte ich trocken.

Er musste grinsen und küsste mich. »Du bist seitdem noch schöner geworden.«

Ich erwiderte seinen Kuss, dann prosteten wir einander zu.

»Gute Stimmung hier, oder?«, meinte Sebastiano.

»Perfekte Stimmung«, erwiderte ich.

Auf der freien Fläche des Portego tanzten meine Eltern gerade mehr oder weniger gekonnt einen Discofox, und auch Sebastianos Vater legte mit seiner zweiten Frau eine flotte Sohle aufs Parkett.

Jerry hatte Fatima zum Tanzen aufgefordert. Bei ihm sah es etwas hölzern aus, aber Fatima bewegte sich wie immer mit professioneller Grazie. Sie hatte das Tanzen vor über fünfhundert Jahren im Harem eines osmanischen Sultans gelernt und wusste genau, wie sie ihren Körper zum Takt der Musik – egal welcher – bewegen musste, um Eindruck zu machen.

Meine Freundin Vanessa – aktuell war sie wieder mal Single und daher ohne Begleitung zu unserer Feier erschienen – hatte bis vor ein paar Minuten noch mit Barnaby getanzt. Mit einem Glas in der Hand kam sie zu Sebastiano und mir herüber. Sie hatte sich als Rokoko-Lady verkleidet, mit einem rüschenbeladenen Kleid, weißer Lockenperücke und Schönheitspflästerchen am Kinn.

»Tolle Party. Lustige Leute. Vor allem der kleine Typ mit den vielen Warzen im Gesicht. Hat was von Gollum, findet ihr nicht? Aber super nett und witzig! Und er kann spitzenmäßig tanzen.« Sie deutete auf Barnaby, der tatsächlich entfernte Ähnlichkeit mit Gollum aufwies und in seinem bunten Kostüm und der mit Schellen versehenen Kappe aussah wie ein historischer Hofnarr – ein Job, den er zufällig tatsächlich bereits ausgeübt hatte, und zwar am Hof von Heinrich dem Achten. Aber das konnte Vanessa nicht wissen, genauso wenig, wie sie ahnte, dass Barnaby ein waschechter Dämon war. Sie hatte keinen Schimmer, dass Sebastiano und ich Zeitreisende waren und hier in unserem venezianischen Palazzo eine feine kleine Akademie betrieben, in der wir Schüler zu Zeitwächtern ausbildeten und dabei mit Typen zusammenarbeiteten, die es eigentlich gar nicht geben durfte – Leute, die heute mit uns feierten, aber alles andere als normal waren. Zu unserem Team gehörte nicht nur ein Dämon, der unter seinem Narrenkostüm Schwingen, Hörner und Hufe versteckte, sondern auch ein einäugiger Mann, der an die tausend Jahre alt war (ganz genau wusste es keiner von uns) und aus einer fernen Galaxis stammte.

»Euren Trauzeugen finde ich ehrlich gesagt ein bisschen seltsam«, erklärte Vanessa wie auf ein unausgesprochenes Stichwort hin. Unauffällig deutete sie mit dem Kinn zu José hinüber. »Ich habe ihn vorhin gefragt, ob er schon lange in Venedig lebt. Da hat er genickt. Bloß genickt. Er redet wohl nicht so gern, oder?«

»Nein, er macht nicht viele Worte«, antwortete ich. »Sein Motto ist eher: Schweigen ist Gold.«

»Aber sein Kostüm ist cool«, sagte Vanessa. »Er sieht genauso aus wie die alten Gondolieri auf den Gemälden aus der Renaissance. Und die Augenklappe gibt ihm was Mystisches.«

»José hat wirklich bloß noch ein Auge«, warf Sebastiano ein.

»Oh«, meinte Vanessa betreten. »Was ist mit dem anderen passiert? Ein Unfall?«

Ich nickte, denn die Wahrheit – dass José das Auge im Kampf gegen einen anderen Zeitreisenden eingebüßt hatte – hätte ich ihr wegen der Sperre sowieso nicht sagen können.

Vanessa war seit meiner frühen Kindheit meine beste Freundin, doch dass Sebastiano und ich seit ein paar Jahren kreuz und quer durch die Vergangenheit reisten und dort unerwünschte Abweichungen im Zeitstrom verhinderten, würde sie niemals erfahren.

Mein Kontakt zu Vanessa hatte sich im Vergleich zu früher ohnehin stark reduziert, da ich schon vor Jahren von Frankfurt nach Venedig gezogen war. Wir hielten uns gegenseitig regelmäßig auf dem Laufenden und besuchten einander weiterhin zwei-, dreimal im Jahr, aber die gesamte Zeitreisesache blieb zwangsläufig außen vor.

Vanessa hakte mich unter. »Kannst du deine frisch angetraute Ehefrau mal für eine Minute entbehren?«, fragte sie Sebastiano.

»Eine Minute kann ich gerade noch verkraften«, stimmte er augenzwinkernd zu.

Vanessa zog mich hinaus auf die an den Portego angrenzende Loggia. »Endlich kann ich mal ein paar Takte allein mit dir reden.« Sie verzog frustriert das Gesicht. »Es ärgert mich dermaßen, dass der blöde Flieger ausgefallen ist! Die Hälfte vom Tag habe ich verpasst!«

»Hauptsache, du bist noch rechtzeitig zur Party gekommen.«

»Aber ich hatte mich so auf die Trauung gefreut! Es war bestimmt total romantisch! Ich hatte mir extra jede Menge Taschentücher eingesteckt.«

»Wir haben ja noch die kirchliche Hochzeit, und die wird bestimmt noch viel romantischer. Da kommst du am besten schon einen Tag vorher, dann bist du garantiert früh genug da.«

»Das mache ich auf alle Fälle.« Sie fasste mich bei den Händen und betrachtete mich aufmerksam. »Bist du glücklich, Anna? Warte, du musst nicht antworten – ich sehe, wie happy du bist. Das Glück strahlt dir praktisch aus allen Knopflöchern.« Ihr Blick wurde forschend. »Aber irgendwas bedrückt dich, oder?«

Sie kannte mich einfach zu gut. Wir waren schon als kleine Mädchen seelenverwandt gewesen. Doch das, was mich insgeheim belastete, hing mit meinem Zeitreise-Job zusammen, folglich konnte ich Vanessa nichts davon erzählen. Zumal sich der Grund meiner Sorgen ziemlich verworren angehört hätte, selbst für Eingeweihte: Ich fürchte mich davor, dass meine kleine Tochter zum Spielball böser Mächte wird, und dass Sebastiano und ich es vielleicht nicht schaffen, sie zu beschützen.

Die meiste Zeit gelang es mir ganz gut, diese Ängste in Schach zu halten, aber hin und wieder kamen sie doch wieder hoch.

»Ach, es ist nichts, ich habe bloß ein bisschen Bammel vor der Geburt.« Das war immerhin die halbe Wahrheit.

»Das rockst du schon«, beruhigte Vanessa mich. »Im Zweifel kommst du vorher zurück nach Frankfurt, wenn du von den Kliniken hier nichts hältst.«

»Damit hat es nichts zu tun. Es ist eher so eine … allgemeine Unruhe.« Ich versuchte es mit einem Lächeln. »Bestimmt gibt sich das bald wieder.«

Vanessa grinste leicht. »Ja, allerspätestens nach der Entbindung.« Sie blickte in den Garten hinaus, der von der lampiongeschmückten Loggia matt erleuchtet war. »Stand da nicht bei meinem letzten Besuch noch ein schäbiger alter Geräteschuppen? Wo ist der hin?«

»Oh, hm, den haben wir abreißen lassen. Weil er so baufällig war.«

In Wahrheit hatte José den Schuppen – oder genauer: die darin befindliche Zeitmaschine, zu deren Tarnung der Schuppen diente –, zur Feier des Tages woanders hingebracht. Nur für den Fall, dass einer der Hochzeitsgäste auf den Gedanken kam, sich draußen die Füße zu vertreten und frische Luft zu schnappen. Der Schuppen verfügte zwar über eine verschließbare Tür, aber die war so klapprig, dass sie womöglich beim ersten kräftigen Rütteln aus den Angeln gesprungen wäre. Wir hatten einfach kein unnützes Risiko eingehen wollen.

Vanessa wandte sich wieder zu mir um. Ich stand mit dem Rücken zum Portego, während sie über meine Schulter hinweg von der Loggia aus in den großen Saal blickte, wo die Feier stattfand. Das erste Obergeschoss unseres alten Palazzo war die ideale Umgebung für unsere kombinierte Hochzeits- und Karnevalsparty.

Vanessas Gesichtsausdruck veränderte sich. »Dreh dich nicht um«, flüsterte sie. »Tu so, als würden wir uns ganz normal weiter unterhalten. Und sag mir schnell, wer dieser wahnsinnig heiße Typ ist, der da gerade aufgelaufen ist.«

»Wie sieht er aus?«

»Blond, ungefähr eins neunzig. Chris Hemsworth in jung. Trägt ein Wikingerkostüm. Sogar mit Schwert.«

Ich konnte mir ein kleines Kichern nicht verkneifen. »Das ist Ole.«

»Wer ist Ole?«

»Ein Kollege von Sebastiano.« Dass Ole wirklich ein Wikinger war und aus dem zehnten Jahrhundert stammte, hätte ihn wahrscheinlich in Vanessas Augen erst recht zum Hingucker gemacht, aber auch so schien er sie enorm zu beeindrucken.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er doch noch auf der Feier auftauchen würde. Kurz vor dem Eintreffen der Gäste hatte er sich nämlich mal wieder mit Fatima verkracht. Den genauen Anlass kannte ich nicht, aber das war auch nicht weiter wichtig. Die beiden fanden immer irgendeinen Grund zum Zanken.

»Hat dieser göttlich aussehende Typ eine Freundin?«, fragte Vanessa neugierig.

»Das ist … kompliziert«, erwiderte ich geistesabwesend. Ich beobachtete, wie Ole mit Fatima redete und dabei verärgert gestikulierte. Sie standen gemeinsam mit Jerry an der Bar. Ab und zu versuchte Jerry sich in die Unterhaltung einzumischen. Er hatte sich als Sherlock Holmes verkleidet. Die karierte Mütze hatte er schon vor einer Weile abgenommen, weil es recht warm im Portego war. Er fuhr sich mit beiden Händen entnervt durch die roten Locken und verdrehte die Augen. Für mich sah es von Weitem so aus, als versuchte er, zwischen Ole und Fatima zu vermitteln.

»Hat Ole was mit dieser Fatima laufen?«, erkundigte Vanessa sich. »Ich dachte, die wäre mit dem Rothaarigen zusammen, der da neben ihr steht. Wie heißt der noch mal? Barry?«

»Jerry. Und nein, Fatima ist nicht mit Jerry zusammen.«

Aber mit Ole war sie auch nicht zusammen. Jedenfalls nicht richtig. Vielleicht zeitweise – vielleicht aber auch nicht. Die Beziehung der beiden war mir ein ständiges Rätsel. Immer, wenn ich glaubte, sie hätten allen Zwist ausgeräumt und eine vernünftige Basis gefunden, um endlich als Paar zusammenzukommen, gab es neuen Krach. Verliebte Zweisamkeit sah anders aus. Inzwischen hatte ich mir abgewöhnt, mich einzumischen, schließlich waren sie beide volljährig und damit alt genug, das alleine zu regeln.

Vanessa schien die Lage intuitiv zu erfassen. »Er ist scharf auf sie. Und sie genauso auf ihn. Doch wegen irgendetwas haben sie Stress.«

Ich nickte ergeben. »Das hast du gut durchschaut. Aber frag mich nicht, weswegen.«

»Was macht sie eigentlich beruflich? Jobbt sie auch an der Uni?«

»Nein. Fatima ist … ähm, Influencerin. Sie betreibt einen Modeblog.«

Das stimmte ausnahmsweise mal voll und ganz. Fatima teilte ihre Begeisterung für Mode inzwischen mit Zehntausenden eifriger Follower und hatte sogar schon diverse Werbedeals an Land gezogen. Sie pflegte ihren Blog in jeder freien Minute und auf allen möglichen Internet-Kanälen – wenn sie nicht gerade für ihre Ausbildung zur Zeitwächterin Geschichte paukte oder Messerwerfen und Schießen trainierte.

»Interessant«, sagte Vanessa. »Komm, wir holen uns noch was zu essen.« Sie hakte mich wieder unter und zog mich zum Büfett. »Eure Köchin hat wirklich was drauf. Diese kleinen Kanapees sind unglaublich lecker. Und die Salate sind auch fantastisch. Vor allem der Chicorée-Salat.«

»Den hat Barnaby zubereitet.«

»Dein warziger kleiner Mitarbeiter an der Uni?«

Ich nickte. Offiziell arbeitete ich für ein wissenschaftliches Projekt, das sich mit der Erforschung italienischer Literaturgeschichte befasste, und Barnaby fungierte – ebenfalls offiziell – als mein Kollege.

»An ihm ist ein Spitzenkoch verloren gegangen«, kommentierte Vanessa, während sie sich eine Auswahl der unterschiedlichen Salate und Häppchen auf einen Teller lud. »Und ein toller Zauberer. Wusstest du, dass er unglaubliche Tricks draufhat? Bevor ich mit ihm getanzt habe, hat er ein paar Goldstücke hinter meinen Ohren hervorgezaubert – so schnell konnte ich gar nicht gucken.«

»Stimmt. Das kann er wirklich gut.«

Streng genommen konnte er es deshalb so gut, weil es mit Tricks überhaupt nichts zu tun hatte. Es war eine seiner dämonischen Begabungen.

»Und wie genau seid ihr an diesen Jungen gekommen, der die ganze Zeit dort drüben allein in der Ecke sitzt und liest? Walter, richtig?«

»Ja, so heißt er. Ach, das ist eine lange Geschichte.«

Die Geschichte war nicht nur lang, sondern vor allem völlig unglaubwürdig, denn Walter war ein sechzehnjähriger Waisenjunge aus der Tudorzeit und der jüngste Schüler unserer Zeitreiseakademie.

»Er ist ein entfernter Verwandter von Jerry«, behauptete ich. »Und Lesen ist sein liebstes Hobby.« Letzteres stimmte auf alle Fälle hundertprozentig. Für ein gutes Buch ließ Walter jederzeit alles andere stehen und liegen. Er hatte sich als Einziger nicht verkleidet. Momentan saß er mit übergeschlagenen Beinen in dem großen Ohrensessel in der Ecke des Portego und hatte die Nase in einem dicken Schinken von mindestens tausend Seiten stecken. Es waren Shakespeares gesammelte Werke, die er gestern begonnen hatte und vermutlich bis morgen durchhaben würde. Offensichtlich fand er die Lektüre höchst fesselnd. Sein rundliches Knabengesicht zeigte einen Ausdruck unverhohlener Begeisterung. Zu Beginn der Party hatte er immerhin versucht, sich wohlerzogen an der einen oder anderen Unterhaltung zu beteiligen, doch die geselligen Events der Gegenwart trafen nicht wirklich seinen Geschmack. Allerdings hatte er auch in seiner eigenen Zeit keinen besonderen Spaß am Feiern gehabt, sondern sich lieber in seine Studien vertieft, und genau dasselbe tat er hier im einundzwanzigsten Jahrhundert auch. Er besuchte die Oberstufe eines Gymnasiums und hatte ziemlich mühelos Anschluss gefunden, nachdem er sich einen inhaltlichen Überblick über die aktuellen Lehrmaterialien verschafft hatte. In seiner Freizeit fraß er sich durch die Weltliteratur und inhalierte nebenher Fachbücher aus allen möglichen Wissensgebieten.

»Ihr habt hier wirklich eine sehr coole WG«, befand Vanessa. »Lauter spannende Leute, mit denen du unter einem Dach wohnst. Ganz zu schweigen von diesem Traum von Ehemann. Und dieser geniale Palazzo … Du hast dir ein echt schönes Leben aufgebaut, Anna!« Sie sagte es ohne jeden Anflug von Neid. Vanessa gehörte zu der Sorte Freundinnen, die einem von ganzem Herzen alles gönnen konnten.

»Ja«, sagte ich. »Ich habe großes Glück.« Und tatsächlich hätte alles einfach nur perfekt sein können. Wenn nicht zwischendurch immer wieder das Gefühl hochgekommen wäre, dass es nur ein Glück auf Zeit war.

Unwillkürlich legte ich die Hand auf meinen Bauch. Die Kleine bewegte sich, ich spürte ihr Strampeln.

Vanessa gesellte sich zu ein paar anderen Partygästen. Sebastiano tauchte wieder an meiner Seite auf und zog mich an sich.

»Alles gut?«

»Alles bestens.« Ich verdrängte die negativen Gedanken. Das hier war mein Hochzeitstag! Zwar nur standesamtlich, aber wenigstens das hatten wir jetzt unter Dach und Fach. Und sobald das Baby da war, würden wir noch mal richtig Hochzeit feiern, mit allem, was dazugehörte: eine wundervolle kirchliche Zeremonie, Sebastiano im Smoking, ich im weißen Brautkleid und unsere kleine Tochter in einem mit Spitze verzierten Körbchen neben uns – ich hatte schon alles ganz genau vor Augen. Wir würden lachend und in einem Regen aus Reis und Blumen aus der Kirche kommen, durch das Spalier der jubelnden Gäste laufen, in eine mit weißen Rosen geschmückte Gondel steigen und durch den Canal Grande fahren.

In diesem Moment fiel mein Blick auf Barnaby. Er stand neben Renata im Durchgang zur Küche. Renata neigte sich zu ihm hin und flüsterte ihm etwas ins Ohr, und er nickte mit ernster Miene.

Perplex runzelte ich die Stirn. Es war das erste Mal, dass ich Renata bei einer gezielten Kommunikation beobachtet hatte.

»Sieh mal«, sagte ich zu Sebastiano. »Renata redet. Mit Barnaby.«

»Wirklich?« Sebastiano blickte hinüber. Doch Barnaby hatte sich bereits von Renata abgewandt und kontrollierte am Büfett die Essensbestände.

»Gerade eben hat sie definitiv was zu Barnaby gesagt. Und er hat genickt. Damit steht fest, dass sie richtig sprechen kann.«

Sebastiano zuckte die Achseln. »Das war sowieso zu vermuten. Schließlich hat José sie als Köchin eingestellt, also muss er vorher irgendeine Art von Einstellungsgespräch mit ihr geführt haben.«

»Ja, schon klar«, versetzte ich ungeduldig. »Aber dass sie direkt mit jemandem von uns redet, ist neu.«

»Barnaby ist ja niemand von uns. Und Renata vielleicht auch nicht.« Sebastiano sah mich an. Sein Blick hatte sich verdunkelt. Ich wusste, dass er in diesem Augenblick dasselbe dachte wie ich. Gefahren lauerten überall, und möglicherweise sogar aus Richtungen, aus denen wir sie nicht erwarteten. Wir hatten beide nicht vergessen, was José uns einmal über Barnaby gesagt hatte: Er belügt euch nicht, verschweigt jedoch vieles. Er wird euch das Leben retten. Aber euch auch in Gefahr bringen …

Bisher hatte der kleine Dämon uns immer beschützt und uns geholfen, aber das musste nicht unbedingt auch für die Zukunft gelten. Ich wollte es zwar gern glauben, denn ich hatte Barnaby gern, so sehr, wie man einen guten Freund nur mögen konnte. Doch Josés Worte hatten sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Unsere Feinde wollten unsere Tochter, denn sie war etwas Besonderes. Magische Fähigkeiten schlummerten in ihr, die sie zu einer Art Schlüssel machten – ein Schlüssel, der sich Zugang zu sämtlichen Zeiten verschaffen konnte und damit Mächte von nie gekanntem Ausmaß in sich vereinte.

Sebastiano zog mich fest in seine Arme und küsste mich kurz, aber nachdrücklich. »Tut mir leid, dass ich davon angefangen habe. Heute wollen wir nicht über solche Dinge nachdenken. Das hier ist unser Tag. Unsere Party. Lass uns feiern und Spaß haben. Wollen wir tanzen?«

Ich nickte mechanisch. Doch die gute Laune von vorhin wollte sich nicht wieder einstellen.

Es wurde erst etwas besser, als ich beobachtete, wie meine Mutter Jerry zu einem Cha-Cha-Cha aufforderte und er auf dem Weg zur Tanzfläche vor lauter Aufregung über seine Füße stolperte. Sie war eine weltweit führende Physikerin, und Jerry, der selbst auf dem Fachgebiet so was wie ein Genie war, bewunderte sie rückhaltlos. Er hatte ihr seine fast fertige Doktorarbeit gezeigt und damit echtes Interesse geweckt. Sie hatte ihm sogar die Mitarbeit an einem Forschungsprojekt in Aussicht gestellt, worüber er sich gar nicht mehr einkriegen konnte. Er redete seither von nichts anderem mehr. Dass er heute persönlich mit meiner Mutter über seine Theorien sprechen durfte, war die Erfüllung seines größten Traums. Dass er jedoch gleichzeitig tanzen sollte, schien ihn etwas zu überfordern.

Sebastiano lachte leise. »An seinem Multitasking muss Jerry noch arbeiten. Er hat deiner Mutter schon zweimal auf den Fuß getreten.«

»Lach nicht«, sagte ich, obwohl ich mir selbst ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. »Für Jerry ist das eine ernste Sache.«

»Ich weiß«, sagte Sebastiano sanft. »Für einen Jungen aus dem Jahr 1813 hat er einen unglaublichen Weg zurückgelegt, nicht wahr?«

Besser hätte man es nicht zusammenfassen können. Dank seiner Intelligenz hatte Jerry nicht nur innerhalb erstaunlich kurzer Zeit die Wissensdefizite von zweihundert Jahren aufgearbeitet, sondern mit seinem Talent zum Tüfteln maßgeblich zu der Entwicklung und Verbesserung unserer Zeitmaschine beigetragen.

Sebastiano und ich hörten auf zu tanzen und mischten uns unter die Gäste. Mein Vater unterhielt sich gerade mit Ole über norwegische Langhäuser zu Zeiten Harald Blauzahns. Papa hatte als hochrangiger Historiker mit Schwerpunkt auf Architekturgeschichte ziemlich viel Ahnung von der Materie. Doch Ole wusste in diesem besonderen Fall mindestens genauso gut darüber Bescheid, schließlich war er in so einem Wikinger-Langhaus aufgewachsen.

»Im Dach gab es selbstverständlich mehrere Öffnungen für den Rauchabzug«, sagte er gerade zu meinem Vater. »Und wenn das Herdfeuer angezündet wurde, standen die Türen an allen Seiten weit offen.«

»Das ist genau meine These«, erwiderte mein Vater erfreut. »Die Kohlenmonoxidkonzentration wäre sonst zu hoch gewesen!«

Vanessa war in ein Gespräch mit Fatima vertieft. Sie redeten über eine neue Parfümsorte, und Fatima erzählte, dass sie vor ein paar Tagen was dazu auf Instagram gepostet hatte.

»Schick mir unbedingt mal den Link zu deinem Blog«, sagte Vanessa. »Übrigens – dein Kostüm ist super. Du siehst darin aus wie ein Original-Haremsmädchen. Ist dieser Hüftschleier aus echter Seide?«

Ich bekam Fatimas Antwort nicht mit, denn in diesem Moment kam José zu uns herübergeschlendert. In der Hand hielt er ein Glas Rotwein, mit dem er Sebastiano und mir zuprostete. »Eine gelungene Feier«, sagte er. »Die Gäste scheinen sich ausgezeichnet zu unterhalten.«

Sein knittriges Gesicht mit der schwarzen Augenklappe und seine hagere Gestalt ließen ihn wie einen harmlosen älteren Mann aussehen, doch ich wusste, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Sobald er einen Degen oder andere tödliche Waffen in die Hand nahm, wurde er zum gefährlichen Kämpfer. Wenn es nach mir ging, würde es in meiner oder Sebastianos Anwesenheit allerdings nie wieder dazu kommen. Momentan hatte ich von sämtlichen Zeitreiseabenteuern die Nase gestrichen voll, ganz zu schweigen davon, dass ich von bewaffneten Auseinandersetzungen im Allgemeinen sowieso sehr wenig hielt.

Genau im selben Augenblick, als mir dieser Gedanke durch den Kopf ging, fing mein Nacken an zu jucken.

Es war nicht nur ein leises Kribbeln wie bei einer unterschwelligen Bedrohung, sondern so schlimm, dass es sich binnen eines Sekundenbruchteils in ein schmerzhaftes Brennen verwandelte.

»Gleich passiert was Schlimmes«, konnte ich gerade noch hervorstoßen – und dann geschah es auch schon. Alle Gäste im Raum (genauer: alle nicht zeitreisenden Gäste) erstarrten mitten in der Bewegung, als stünde die Zeit auf einmal still, und ihre Gesichter wurden leer und ausdruckslos.

Ohne jede weitere Vorwarnung öffnete sich mitten im Portego ein Zeitportal. Der weißlich flimmernde Riss zog sich zuerst wie ein zuckender Blitz durch die Luft und breitete sich dann flächig vom Boden bis zur Decke aus. Mehrere maskierte Gestalten sprangen daraus hervor, sie waren mit Degen bewaffnet. Einer hielt mit beiden Händen eine Arkebuse umfasst. Auf den ersten Blick erfasste ich einen Trupp altertümlich gekleideter Männer, dann wurde mir die Sicht versperrt: Sebastiano hatte mich gepackt und schützend hinter sich geschoben.

»Duck dich und bleib unten!«, brüllte er.

Gleichzeitig griff er unter sein Wams und förderte eine Pistole zutage. Nur einen Augenblick später knallte ein Schuss, und der Angreifer, der gerade mit der Arkebuse auf Sebastiano angelegt hatte, brach getroffen zusammen.

Mit einem lauten Kampfschrei stürmte einer der anderen auf uns los. Er hatte den Degen gezückt und stach damit auf Sebastiano ein. Doch der Stoß ging ins Leere – Sebastiano wich seitwärts aus und zielte dann mit der Pistole auf den Mann. Doch er kam nicht mehr dazu, abzudrücken, denn einer der anderen Maskierten sprang von der Seite auf ihn zu, packte ihn am Genick und stieß ihn mit aller Kraft durch das flimmernde Tor. Im nächsten Augenblick war Sebastiano auch schon im gleißenden Zeitstrom verschwunden.

»Nein!«, schrie ich in heller Panik. Ohne nachzudenken, wollte ich ihm hinterherspringen, doch dann war auf einmal Barnaby da und hielt mich fest.

Ich versuchte erbittert, mich aus seiner Umklammerung zu befreien. »Lass mich los!«, kreischte ich wie von Sinnen, aber er hielt mich fest gepackt und legte dabei eine für seine kleine Gestalt erstaunliche Zähigkeit an den Tag. Ich kam keinen Zentimeter vorwärts.

»Du kannst ihm jetzt nicht helfen!«, schrie Barnaby. »Du kannst ihm jetzt nicht helfen!« Er wiederholte es immer wieder, wie ein Mantra, während um uns herum die anderen in einen blutigen Kampf auf Leben und Tod verstrickt waren.

Das Folgende spielte sich so blitzschnell ab, dass alle Bewegungen um mich herum zu einem wilden Kaleidoskop verschwammen. Der Mann, der Sebastiano durch das Zeitportal gestoßen hatte, packte mich und zerrte mich mitsamt Barnaby auf das immer noch offene Tor zu, dessen statisches Knistern und Summen die Luft erfüllte wie ein böser Spuk.

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Jerry einem der anderen Maskierten den Degen entwand und mit ihm rang, woraufhin dieser ihn mit einem harten Faustschlag gegen die Schläfe niederstreckte. Gleichzeitig sprang José mit gezücktem Degen auf einen Mann zu, der ebenfalls mit einem Degen bewaffnet war und José mit der Geschwindigkeit einer zustoßenden Viper attackierte. Ole kämpfte mit dem Schwert gegen zwei Angreifer gleichzeitig. Das Klirren von Stahl auf Stahl tönte durch den Raum, während ich Schritt für Schritt von dem Maskierten, der mich von hinten umklammert hielt, in Richtung Zeitportal gezerrt wurde. Barnaby versuchte, ihn daran zu hindern, aber der Mann mit der Maske war stärker. Ich wehrte mich aus Leibeskräften gegen seinen harten Griff und kratzte und zerbiss ihm die Hände, doch gegen seine überlegene Stärke war ich machtlos.

Dann kam von irgendwoher ein Wurfdolch durch die Luft gesaust. Er flog nur eine Handbreit an meiner Wange vorbei und traf den Oberkörper des Mannes, der mich entführen wollte. Mit einem Aufschrei ließ er mich los. Seine tiefschwarzen Augen in den Sehschlitzen der Maske betrachteten das Heft des Wurfdolchs, der in seiner Schulter steckte, ehe er ihn sich mit einem Ruck herausriss und sich damit auf Barnaby stürzte, der sich schützend vor mich gestellt hatte.

Unvermittelt kam ihm Walter zu Hilfe. Er ging mit einem umgedrehten Schemel auf den Angreifer los, doch der trat ihm das Möbelstück mit Schwung aus der Hand. Walter schrie auf und wich eingeschüchtert zurück.

Dabei rempelte er unabsichtlich einen der übrigen Maskierten an. Der Mann fuhr zu ihm herum und holte mit seinem Degen zu einem tödlichen Stoß aus. In letzter Sekunde warf sich Ole dazwischen und schlug dem Angreifer mit einem sausenden Schwerthieb die Waffe aus der Hand.

Der Degen landete scheppernd direkt vor meinen Füßen. Als ich unwillkürlich hinabblickte, sah ich voller Entsetzen, dass sich eine abgeschlagene Hand um den Griff krampfte.

Schreiend vor Schmerzen warf sich der Verwundete durch das Portal und rettete sich auf diese Weise im letzten Moment davor, von Ole enthauptet zu werden.

Fatima schleuderte weitere Wurfdolche. Einer der noch verbliebenen Eindringlinge wurde am Oberschenkel getroffen. Stöhnend suchte auch er sein Heil in der Flucht, dicht gefolgt von dem Mann, den Sebastiano niedergeschossen hatte. Blutüberströmt hatte er sich aufgerafft und floh durch das Portal. Nur einen Augenblick später sprang auch der letzte Angreifer mit einem gewaltigen Satz durch das Tor – der Mann, der Sebastiano in den Zeitstrom gestoßen hatte und auch mich hatte hindurchzerren wollen. Bevor er verschwand, konnte ich noch sehen, dass er keine Maske mehr trug. Noch während das Zeitportal sich hinter seiner dunkel gekleideten Gestalt schloss, blickte er über die Schulter zurück, sodass ich für einen allerletzten Sekundenbruchteil sein Gesicht sah. Und da wusste ich auf einmal, dass er die Maske absichtlich abgenommen hatte – er wollte, dass wir sahen, wer er war.

Er war gar nicht tot, wie wir alle angenommen hatten. Mr Fitzjohn war am Leben.

Nach dem Zusammenbruch des Portals stand ich einen Moment wie gelähmt da. Dann kam ich wieder zu mir und sah Barnaby in verzweifelter Anklage an.

»Wieso hast du mich zurückgehalten? Jetzt ist Sebastiano verschwunden, und wir wissen nicht, wo er ist!«

Er gab keine Antwort, sondern eilte zu José hinüber, der zu meinem Entsetzen regungslos auf dem Boden lag. Ole kniete bereits neben ihm, beide Hände auf sein aufgestelltes Schwert gestützt. Seine Miene spiegelte Bewunderung und Respekt wider. »Er starb im offenen Kampf wie ein aufrechter Mann«, sagte er leise. »In Walhall wird man seine Heldentaten besingen.«

»Mein Gott, bitte nicht«, flüsterte ich.

Jerry kniete sich ebenfalls neben José.

»Nein!«, stieß er hervor. Sein Gesicht war weiß wie Kreide. »Er darf nicht sterben!«

Ich drängte ihn ein Stück zur Seite, um José zu untersuchen. Seine Brust war in Blut gebadet, und noch während ich an seinem Hals nach dem Puls tastete, wusste ich, dass es vergebens war.

Ich fiel auf meine Fersen zurück und weinte laut auf. »Nein, nein, nein!«

Doch als wäre der Anblick seines Leichnams nicht schon schrecklich genug gewesen, sollte sich mein Entsetzen im nächsten Moment noch steigern: Ein dünnes weißes Flimmern breitete sich um ihn herum aus. Es überzog ihn wie ein hell leuchtendes Tuch, und als es einen Herzschlag später wieder erlosch, war Josés Körper verschwunden.

Voller Grauen schrie ich auf. Fatima schnappte nach Luft, und auch Ole entwich ein erschütterter Laut. Walter murmelte ein leises, angstvoll klingendes Gebet, während Jerry unterdrückt, aber nicht weniger furchtsam vor sich hin fluchte. Nur Barnaby bewahrte einen kühlen Kopf. Hastig kickte er die abgeschlagene Hand mitsamt dem daran hängenden Schwert unter ein Sofa, dann warf er einen Läufer über die Blutlache. »Jetzt ist nicht die Zeit zu trauern. Auch wenn’s schwerfällt – ihr müsst euch alle zusammenreißen!«, befahl er uns beschwörend. »Und wir müssen schnell sein! Die Gäste kommen jeden Augenblick wieder zu sich. Fatima, sammle deine Dolche ein. Ole, steck dein Schwert weg und bring Anna nach oben, sie braucht jetzt unbedingt Ruhe. Jerry, du hast eine Platzwunde an der Schläfe, am besten verschwindest du in deinem Zimmer. Walter, du setzt dich wieder in den Sessel und tust so, als ob du liest. Ich regle unterdessen hier den Rest.«

»Welchen Rest?«, fragte Jerry, den Handballen gegen seine blutende Schläfe gedrückt.

»Zum Beispiel den Gästen erklären, wieso Anna und Sebastiano die Party verlassen haben. Wir treffen uns dann später alle oben zur Lagebesprechung.«

Ich richtete mich aus der Hocke auf, aber ich konnte mich nicht auf den Beinen halten. Meine Knie zitterten zu stark, und mir war schwindlig. Um ein Haar wäre ich gleich wieder hingefallen. Ole bewahrte mich gerade noch davor. Er hob mich auf seine Arme, als wöge ich nichts. Mit raschen Schritten trug er mich an den immer noch wie erstarrt herumstehenden Gästen vorbei zur Treppe. Auf dem Weg dorthin sah ich, wie sie allmählich wieder zu sich kamen und ihre Betäubung abschüttelten. Aus ihrer Sicht war nichts geschehen. Sie würden vielleicht einen Moment lang stutzen, wie jemand, der aus kurzer Versunkenheit erwacht – so wie es jeder Mensch kennt, dessen Gedanken für ein paar Augenblicke abschweifen. Doch Verwirrung oder Befremden würden sie dabei nicht empfinden. Für sie war keine Zeit verstrichen, nichts hatte sich ereignet. Das offene Portal hatte ihre Wahrnehmung gleichsam auf Eis gelegt, ein Effekt, der nach dem Schließen des Tors jedoch rasch verflog. Ole und ich waren kaum außer Sicht, als ich meine Mutter mit meinem Vater reden hörte. »Liebling, schenk mir doch bitte auch noch ein Glas von diesem Chianti ein.«

Ole trug mich die Wendeltreppe hinauf und brachte mich in mein und Sebastianos gemeinsames Wohnzimmer. Dort setzte er mich auf dem Sofa ab. Ich fühlte mich immer noch benommen und versuchte zu begreifen, was da vorhin geschehen war. In meinem Kopf hämmerte unaufhörlich nur ein einziger Satz: José war tot, Mr Fitzjohn war am Leben, und er hatte Sebastiano verschleppt!

Ole durchmaß mit Riesenschritten den Raum von einem Ende bis zum anderen. Seine Hände öffneten und schlossen sich immer wieder, wie zur Vorbereitung auf einen Kampf, bei dem der Gegner nicht mehr weit entfernt war. Wilde Emotionen zeichneten sich auf seinem Gesicht ab.

»Warum war Josés Leichnam plötzlich weg? Dergleichen sah ich noch nie! Waren dabei Zaubermächte am Werk? Gehen Alte auf diese Weise in das Reich der Toten ein?«

Er blickte mich intensiv an, aber ich war nicht in der Lage, etwas zu erwidern. Zudem hatte ich selbst nicht den Hauch einer Ahnung, wohin Josés Leichnam verschwunden war. Im Augenblick beschäftigte mich viel mehr die Frage, wohin Sebastiano verschwunden war!

Im nächsten Moment ging die Tür auf, und meine Mutter kam hereingestürmt.

»Was höre ich da, Anna? Du hast dich hingelegt, weil du dich ausruhen willst? Gerade eben hattest du doch noch großartige Laune, du hast kein bisschen erschöpft ausgesehen!« Besorgnis stand in ihrer Miene. »Hast du etwa Probleme, Anna? Ein Ziehen im Unterleib?«

Mechanisch schüttelte ich den Kopf und zwang mich zu einem Lächeln. »Nein, es ist alles bestens, Mama. Ich bin einfach nur ein bisschen müde. Es war ein langer Tag.«

Meine Mutter kam zu mir und setzte sich neben mich auf das Sofa. Forschend betrachtete sie mich aus der Nähe. »Du bist ganz blass.«

»Das gibt sich bestimmt gleich wieder.«

Irritiert blickte meine Mutter zu Ole hinüber, der seinen Marsch durch das Zimmer unterbrochen hatte und mit undurchdringlicher Miene neben der Tür stehen geblieben war.

»Was macht er hier, Anna?«

»Er … wir wollten gerade was Berufliches besprechen. Danke, Ole. Wir können später weiterreden.«

Ole zog achselzuckend ab, und meine Mutter nahm meine Hand. »Ehrlich gesagt, ich kann verstehen, dass du frustriert und sauer bist. Kein Wunder, dass deine Laune im Keller ist. Klar, es ist nur fair, dass die Gleichberechtigung überall Einzug hält, auch bei alten Bräuchen im Rahmen von Hochzeitsfeierlichkeiten, aber mal ernsthaft – die Entführung des Bräutigams? Sich von seinen Kumpels verschleppen zu lassen, um sich irgendwo einen feuchtfröhlichen Abend zu machen? Während die Braut mit ihren Gästen allein weiterfeiern soll?«

Ich sah sie verwirrt an. Dann kapierte ich endlich, was sie meinte. Offensichtlich hatte Barnaby sich tatsächlich eine Begründung für Sebastianos plötzliches Verschwinden ausgedacht, und da war ihm wohl nichts Absurderes eingefallen als diese alte Sitte, die eigentlich nur für Bräute galt. Ganz abgesehen von der gruseligen Tatsache, dass es wirklich eine Entführung gewesen war – wobei man die Entführer nicht gerade als Kumpels bezeichnen konnte.

Um ein Haar hätte ich in hysterischer Panik aufgeschluchzt. Oh Gott, wohin hatte Fitzjohn Sebastiano gebracht? Wie sollte ich ihn denn jetzt wiederfinden? José war tot und verschwunden, er konnte uns nicht mehr helfen!

Es kostete mich beinahe übermenschliche Kraft, nach außen hin die Fassung zu bewahren.

»Mama, es ist alles bestens«, wiederholte ich die Lüge mit fester Stimme und zwang mich zu einem Lächeln. »Ich bin wirklich nur ein bisschen müde, das ist alles. Sobald ich mich etwas ausgeruht habe, geht es wieder, garantiert.«

Es klopfte kurz an der Tür, und mein Vater kam ins Zimmer.

»Alles in Ordnung, Mäuschen?«, fragte er mich besorgt.

»Anna sagt, sie sei nur etwas müde«, antwortete meine Mutter an meiner Stelle. »Aber es ist ja wohl offensichtlich, dass sie wegen dieser dämlichen Bräutigamsentführung sauer ist.«

Mein Vater räusperte sich. »Ja, das war vielleicht ein bisschen … stimmungsfeindlich. Die meisten Gäste verabschieden sich gerade. Sebastianos Vater und seine Frau lassen dich herzlich grüßen und wollen sich morgen melden. Von den jungen Leuten ist auch niemand mehr da, abgesehen von diesem Halbwüchsigen, der sich die ganze Zeit hinter seinem Buch versteckt. Irgendwie kam diese … ähm, Entführung des Bräutigams nicht so gut an, fürchte ich.« Er musterte mich mitfühlend. »Zumal die Braut auch nicht mehr in Feierlaune zu sein scheint.«

Meine Mutter blickte auf ihre Armbanduhr. »Es ist sowieso schon ziemlich spät. Papa und ich müssen morgen zeitig raus, um den Flieger zu kriegen. Ich hoffe, du nimmst es uns nicht übel, wenn wir jetzt auch ins Hotel zurückgehen.«

»Nein, ganz im Gegenteil«, beteuerte ich. »Dann muss ich wenigstens kein schlechtes Gewissen haben.«

Bevor meine Eltern sich verabschiedeten, fragten sie beide aber noch mindestens dreimal, ob ich wirklich keine schwangerschaftsbedingten Probleme hatte. Ich riss mich zusammen und versicherte ihnen, dass mit mir alles in Ordnung sei – was körperlich betrachtet glücklicherweise zutraf. Abgesehen von dem gigantischen Kloß, der mir im Hals steckte. Und der eisernen Klammer aus Angst, die sich um mein Herz gelegt hatte. Und dem verrückten Chaos in meinem Kopf, das alle Gedanken durcheinandersummen ließ wie aufgescheuchte Bienen.

Als meine Eltern endlich gegangen waren, wartete ich ein paar Augenblicke, bis ihre Schritte auf der Treppe verklungen waren. Dann rannte ich hinaus auf den Gang und rief die anderen zusammen.

Sie hatten bereits darauf gewartet und waren sofort zur Stelle. Barnaby und Walter, die noch unten gewesen waren, stießen nur eine Minute später dazu. Wir versammelten uns alle in meinem und Sebastianos Wohnzimmer.

»Die Gäste sind gegangen«, verkündete Barnaby. »Ich ließ durchblicken, wie sehr ein Ende der Party uns gelegen käme. Insbesondere, weil Anna wegen ihres Zustandes viel Ruhe braucht. Zum Ausgleich bat ich Renata, allen Gästen noch etwas vom Büfett mitzugeben.« Er wandte sich an mich. »Deine Freundin Vanessa bestand darauf, noch nach dir zu sehen, doch ich erklärte ihr, du habest dich bereits zur Ruhe begeben. Vielleicht solltest du ihr noch eine Handynachricht schreiben, dass alles okay ist und dass du dich morgen bei ihr meldest. Sonst macht sie sich womöglich Sorgen, die sie zum Anlass nimmt, morgen wieder hier aufzutauchen.«

»Das kann warten«, wehrte ich entschieden ab. »Wir müssen als Erstes rausfinden, wohin Sebastiano verschleppt wurde.«

»Vorher sollten wir aber erst einmal darüber reden, wer ihn verschleppt hat«, warf Fatima ein. Ihr Gesicht war ungewohnt blass. »Entweder war es ein Dschinn, oder dieser Bösewicht ist von den Toten auferstanden.«

Walter bekreuzigte sich. »Das ist unmöglich.«

»Du hast ihn auch erkannt, Anna«, sagte Fatima eindringlich zu mir.

Ich nickte. »Es war Mister Fitzjohn«, sagte ich leise.

»Aber das kann nicht sein!«, protestierte Walter erneut. »Ich war dabei, als Fatima ihm im Jahr fünfzehnhundertvierzig einen Dolch ins Herz warf! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«

»Er war tot«, bestätigte ich, und darauf hätte ich wirklich jeden Eid geschworen. Fatimas Dolch hatte sein Herz durchbohrt. Er hatte aufgehört zu atmen, und ich hatte keinen Puls mehr gefunden. Obwohl es mich Überwindung gekostet hatte, hatte ich mich selbst von seinem Tod überzeugt.

Allerdings wussten wir nicht, was aus Mr Fitzjohns Körper geworden war. Wir hatten in jener schicksalhaften Nacht den Schauplatz des Geschehens umgehend verlassen und nicht zurückgeblickt.

»Vielleicht kennen die Alten irgendwelche mystischen Methoden der Wiederbelebung«, meldete sich Jerry nachdenklich zu Wort. »Wenn wir Menschen sterben, sind wir richtig tot. Die Alten hingegen … wer weiß. Ihr habt ja gesehen, was vorhin mit Josés Körper geschah.«

Ein Frösteln überlief mich, denn ich erinnerte mich an einen Albtraum während unserer letzten Zeitreise. Ein Traum, in dem Mr Fitzjohn mir erschienen war und zu mir gesprochen hatte.

Wir Alten sterben nicht wirklich, wir wechseln nur in eine andere Dimension und kehren dann auf einer neuen Ebene zurück. Das ist das Prinzip, so funktioniert unser Spiel.

Seine Worte in meinem Traum waren mir wie abstruse Ausgeburten meiner tiefsten Ängste vorgekommen. Doch anscheinend besaßen sie einen wahren Kern, und aus mir unerklärlichen Gründen schien mein Unterbewusstsein das zu jener Zeit bereits geahnt zu haben.

»Ihr meint, der Kerl könnte vielleicht ein Zombie sein?«, fragte Ole. »Falls ja, müssen wir ihm den Kopf abschlagen, sobald wir ihn das nächste Mal sehen. Das ist das einzig wirksame Mittel.«

Fatima verdrehte die Augen. »Er war kein Zombie, sondern sah völlig normal aus. Normal und ziemlich lebendig.«

»Und er hat Sebastiano verschleppt«, rief Barnaby uns in Erinnerung. Auf seinem zerknautschten Gesicht stand ein ratloser und bedrückter Ausdruck.

Sofort erwachte mein Argwohn. »Du weißt doch irgendwas«, sagte ich ihm auf den Kopf zu.

Barnaby versuchte gar nicht erst, es abzustreiten. »Ich wusste, dass Fitzjohn irgendwann wieder auf den Plan treten und es mit einem Überraschungsangriff versuchen würde«, sagte er.

»Von wem?«

»Von José.«

»Ihr wusstet es und habt uns nichts gesagt?« Ich war fassungslos. »Ihr hättet uns warnen müssen!«

»Das haben wir«, erwiderte Barnaby schlicht.

Ich schüttelte den Kopf. »Kein Mensch hat mir was davon erzählt!«

»Sebastiano wusste Bescheid.« Erklärend fügte Barnaby hinzu: »Deshalb hatte er immer eine Pistole dabei.«

»Und ich immer meine Messer«, ergänzte Fatima.

»Du hast es auch gewusst?«, rief ich verstört.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte keine Ahnung, dass Fitzjohn noch lebt. Sebastiano hatte mir nur mal gesagt, ich solle möglichst immer meine Wurfmesser bei mir tragen. Nur für den Fall, dass es mal Schwierigkeiten geben könne. Daraufhin erwiderte ich, dass ich sie sowieso stets bei mir habe, sogar hier im Haus.«

»So wie ich meinen Lieblingsdolch.« Ole deutete auf den Schaft seines rechten Stiefels.

»Ich hatte keine Ahnung«, murmelte ich.

»Du hast schon bei anderen Gelegenheiten gesehen, dass ich ihn im Stiefel trage«, widersprach Ole.

Fatima verdrehte abermals die Augen. »Anna meint nicht deinen Dolch, sondern dass Sebastiano ihr nichts von einem möglichen Angriff Fitzjohns gesagt hatte.«

Ole musterte sie leicht verärgert. »Nun, dass Sebastiano ihr das verschwieg, versteht sich von selbst. Anna ist nur ein schwaches Weib und erwartet zudem ein Kind. So eine Warnung hätte sie nur unnötig in Angst versetzt.«

Eindringlich sah ich Jerry und Walter an. »Wusstet ihr, dass Fitzjohn wieder im Spiel ist?«

Walter hob beide Hände. »Mir wurde nur mitgeteilt, dass wir jederzeit auf der Hut sein sollen, aber möglichst auf eine Weise, die dich nicht beunruhigt.«

»Wir wussten nur, dass du weiterhin jeden Schutz brauchst, den du bekommen kannst«, erklärte Jerry. »Deshalb waren wir in den letzten Wochen ständig um dich herum und sind dauernd hinter dir hergedackelt.«

Tatsächlich waren bei all meinen Besorgungen der letzten Wochen immer sofort mindestens zwei Leute zur Stelle gewesen, die zufällig in derselben Gegend zu tun hatten und mich begleiten wollten. Natürlich war mir nicht verborgen geblieben, dass es sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme handelte – aber nie hätte ich vermutet, dass der Grund dafür ein möglicher Angriff von Mr Fitzjohn war!

Bei alledem war es jedoch eine Tatsache, dass ich mich zu keinem Zeitpunkt wirklich richtig sicher gefühlt hatte. Bloß hatte ich dieses innere Unbehagen regelmäßig nach Kräften verdrängt. Ich wollte einfach nur mit Sebastiano glücklich sein und mich mit ihm auf unser gemeinsames Kind freuen.

Und jetzt war er weg, in eine unbekannte Zeit entführt!

»Anna, Sebastiano wollte ausdrücklich, dass du so wenig wie möglich von dieser Bedrohung mitbekommst«, sagte Barnaby sanft. »Dass er es für sich behielt, war nur zu deinem Besten.«

Ich nickte mühsam und blickte in die Runde. »Tut mir leid, falls es wie ein Vorwurf rübergekommen ist. Wahrscheinlich war es wirklich besser, dass ich es nicht wusste. Doch das bringt Sebastiano nicht zurück. Wir müssen ihn wiederfinden! Irgendeine Idee, wo wir suchen könnten? Barnaby?«

Falls jemand von den Anwesenden es wusste, dann er. Er hatte mir gegenüber nach unserer letzten Zeitreise angedeutet, dass meine Tochter ihm dereinst zeigen würde, wie bei einem Zeitsprung das Antiparadoxon-Gesetz zu umgehen war. Einzelheiten hatte er mir nicht sagen können; einerseits wegen der Sperre, andererseits wegen der damit verbundenen Gefahr, den Zeitstrom durch solche Informationen negativ zu beeinflussen. Doch ich wusste definitiv, dass er als Einziger von uns Wissen aus der Zukunft mit sich trug. Meine Hoffnung, von seiner Seite Hilfe zu erhalten, zerschlug sich allerdings sofort.

Bedauernd schüttelte Barnaby den Kopf. »Tut mir leid, Anna. Ich weiß nicht, wo Sebastiano sich aufhält. Wann er sich aufhält«, berichtigte er seinen letzten Satz. »Die heutigen Ereignisse stellen eine Abweichung von dem mir bisher bekannten Zeitstrom dar.«

»Heißt das, du kennst die Zukunft?«, erkundigte Fatima sich mit großen Augen. »Warum wissen wir nichts davon?«

»Ja, warum nicht, du Troll?« Ole blickte den kleinen Dämon drohend an.

Barnaby zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Weil ich euch wegen der Sperre sowieso keine künftigen Ereignisse verraten könnte.«

»Du hast es ja noch gar nicht versucht«, wandte Fatima ein. »Wie weit hast du denn die Zukunft schon vorausgesehen? Ich meine, bis zu welchem Jahr?«

»Diese Information fällt bereits unter die Sperre«, sagte Barnaby.

»Weißt du denn auch was über meine Zukunft?« Fatima ließ nicht locker. Sie bedachte Barnaby mit einem koketten Augenaufschlag. »Angenommen, du könntest es mir sagen – gäbe es denn dann was zu sagen? Beispielsweise über meinen Blog? Oder ob ich mal irgendwann heirate, und vor allem, ob es mein Traummann wäre?«

Oles Augen verengten sich. »Wer wäre denn dein Traummann?«

»Woher soll ich das wissen?«, versetzte Fatima leichthin. »Deshalb frage ich ja Barnaby.«

»Nun, das kann ich dir leider auch nicht sagen«, fertigte Barnaby sie kurz angebunden ab. »Überdies liegt es nahe, dass sich durch die heutige Abweichung im Kausalverlauf die Zukunft ohnehin vollständig verändert. Und zwar nicht unbedingt zum Besseren, wie ich befürchte.«

Ich holte Luft und straffte mich. »Nicht, wenn wir es verhindern. Wo auch immer Sebastiano gerade ist – wir holen ihn zurück.«

Vor einer Rettungsaktion mussten wir natürlich herausfinden, wohin es Sebastiano verschlagen hatte. Darauf wollte ich mich konzentrieren. Ich verbot mir jeden Gedanken darüber, was in der Zwischenzeit mit ihm geschehen war oder noch geschehen würde – in diese Richtung konnte ich sowieso nur Spekulationen anstellen, die nicht besonders hilfreich waren. Im Gegenteil, sie machten mich nur verrückt vor Angst und Sorge.

Doch die anderen hielten mit ihren Befürchtungen nicht hinter dem Berg. Ole sprach sofort das Kernproblem an. »Es ist eine Falle. Selbst, wenn wir herausfinden, in welche Zeit Sebastiano entführt wurde – wir können nicht einfach mit der Zeitmaschine hinspringen. Darauf wartet Fitzjohn doch nur.«

»Mir ist auch klar, dass es eine Falle ist«, sagte ich verärgert. Hielten mich eigentlich alle für so naiv? »Aber das wird mich nicht daran hindern, Sebastiano zurückzuholen.«

»Dann brauchen wir einen verdammt guten Plan«, meinte Jerry.

Walter mischte sich ein. »Müssen wir nicht befürchten, dass Mister Fitzjohn jederzeit einen neuen Angriff startet? Er hat es trotz all unserer Vorsichtsmaßnahmen irgendwie geschafft, hier im Palazzo ein Portal zu erzeugen. Was sollte Fitzjohn an einer neuen Attacke hindern?«

»Er hat nicht mehr genug Leute für einen neuen Angriff«, erwiderte Ole mit Bestimmtheit. »Fitzjohn hatte garantiert alle verfügbaren Kräfte aufgeboten, um mit geballter Kraft loszuschlagen. Er konnte dafür nur ausgebildete Zeitreisende einsetzen, keine Helfershelfer aus früheren Epochen. Denn die hätten nicht in die Gegenwart springen können. Er hat eine schwere Messerwunde davongetragen. Auch seine Männer sind verletzt und außer Gefecht. Die kämpfen so schnell nicht wieder.«

»Außerdem besitzt Fitzjohn keine Zeitmaschine und kann nicht kommen und gehen, wie er will«, sagte Jerry. »Das von ihm erzeugte Tor war instabil, es hat nur gehalten, weil wir Vollmond haben. Nur deshalb konnte er heute überhaupt durchkommen.«

»Aber wie können wir herausfinden, in welche Zeit das Portal führte?«, fragte Walter.

»Kleidung und Waffen stammten aus dem fünfzehnten Jahrhundert«, sagte ich. »Sie können also theoretisch aus jeder Zeit zwischen damals und heute gekommen sein.«

»Na super«, sagte Fatima. »Dann müssen wir ja nur ungefähr sechshundert Jahre abchecken. Das sind in Tagen …« Sie brach ab. »Ziemlich viele jedenfalls.«

»Zweihundertneunzehntausend«, sagte Ole. »Wobei du aber mit den sechshundert Jahren von einer falschen Prämisse ausgehst. Denn vom einundzwanzigsten Jahrhundert ist ja erst ein Teil verstrichen.«

Fatima würdigte ihn keines Blickes.

Walter hatte einen Vorschlag. »Wir könnten mit der Zeitmaschine in bestimmten Zeitabständen in unterschiedliche Epochen springen und die jeweiligen Bewohner dieses Palazzo fragen, ob sich seltsame Besucher im Portego aufgehalten haben. Denn Fitzjohn muss sich irgendwann in der Vergangenheit hierherbegeben haben, um das Portal zu installieren.«

»Das ist ein sehr guter Gedanke«, sagte Jerry anerkennend. »Wenn wir davon ausgehen, dass eine Familie den Palazzo meist mehrere Jahre oder sogar über eine Generation hinweg bewohnt hat, müssten wir nicht mal in jedes Jahr springen. Ich könnte eine Formel aufstellen, mit der sich berechnen lässt, welche Abstände nötig sind, um eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für die Erlangung relevanter Informationen zu gewinnen.«

Ich nickte dankbar. »Und ich könnte in den historischen Stadtarchiven nachforschen, von wem unser Palazzo in den vergangenen Jahrhunderten bewohnt wurde. Und dasselbe bei dem Gebäude, das zuvor an dieser Stelle stand. So können wir die Zeit einkreisen, in die Sebastiano entführt wurde.«

Barnaby trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er wirkte äußerst verzagt.

»Was ist los mit dir?«, fragte ich ihn, von einem unguten Gefühl erfüllt. »Weißt du etwa doch mehr, als du zugeben willst?«

»Nun ja, ich weiß tatsächlich etwas, aber es ist nichts, was ihr nicht auch wüsstet. Oder genauer: Ich weiß es nicht, und ihr vermutlich auch nicht.«

Ole betrachtete den kleinen Dämon drohend. »Sprich nur weiter in derartigen Rätseln, und du besitzt gleich keine Zunge mehr, mit der du reden kannst!«

»Ohne Zunge könnte er gar nicht mehr reden«, wies Fatima ihn zurecht.

Ole dachte kurz nach. »Du hast recht. Ich schneide ihm nicht die Zunge ab, sondern was anderes. Vielleicht einen von seinen hässlichen schwarzen Flügeln.«

»Schwingen«, verbesserte Barnaby. »Es sind Schwingen.«

»Spuck’s schon aus«, forderte Jerry ihn ungeduldig auf.

»Die Zeitmaschine ist doch gar nicht da«, sagte Barnaby. »José hat sie wegen der heutigen Feier weggebracht. Weiß zufällig irgendwer von euch, wohin? Nun, ich weiß es jedenfalls nicht.«

Wir sahen uns reihum erschrocken an.

»Der warzige Winzling hat recht«, sagte Ole. »Wie wollen wir ohne die Zeitmaschine die Vergangenheit nach Sebastiano durchsuchen?«

»Es gibt doch noch eine zweite Maschine«, meinte Walter. »Die, die José neu gebaut hat, als ihr im Jahr 1873 unterwegs wart.« Er wandte sich an Jerry. »Wo ist die?«

Jerry rieb sich die verletzte Schläfe. »José hat sie aus Sicherheitsgründen immer mal wieder woanders geparkt, aber er hat mir keine Koordinaten genannt, weder geografische noch zeitliche. Ich habe keine Ahnung, wo die Maschine steht. Weder die eine noch die andere. Tut mir leid.«

»Wir könnten reguläre Portale benutzen«, sagte ich, aber mein Vorschlag klang genauso niedergeschmettert, wie ich mich fühlte. Wenn wir für die Suche ein Portal benutzen wollten, waren wir auf die Mondwechsel angewiesen, und die gab es bekanntlich nur alle zwei Wochen.

»Auf die Art würden wir eine Million Jahre brauchen, um alle Epochen abzugrasen«, fasste Fatima meine Gedanken in Worte. Als Ole etwas erwidern wollte, stach sie mit dem Zeigefinger in seine Richtung. »Falls du mir jetzt vorrechnen willst, dass es nur tausend Jahre oder so wären – halt bloß den Mund!«

»Das wollte ich doch gar nicht sagen«, versetzte Ole verärgert.

»Was denn dann?«

Er verschränkte die Arme. »Meine Meinung ist ja offenbar nicht erwünscht.«

»Nun sag es schon«, bat ich ihn. Jede Idee zur Rettung Sebastianos war mir willkommen, egal wie weit hergeholt sie sein mochte.

»Wir könnten uns aufteilen«, erklärte Ole mit einem grollenden Seitenblick auf Fatima. »Jeder von uns nimmt sich eine andere Epoche vor. Sechs Zeitreisende, sechs Ziele pro Mondphase. Das würde unsere Chancen, Sebastiano zu finden, auf jeden Fall verbessern. Oder?«

Fragend schaute er Jerry an, der daraufhin nachdenklich nickte.

»Definitiv. Wenn wir jeweils durchschnittliche Abstände von einer Dekade wählen, könnten wir ungefähr ein Jahrhundert innerhalb eines Monats abdecken.«

Walter schüttelte den Kopf. »Ihr vergesst bei alldem, dass wir Anna beschützen müssen. Wir können uns nicht getrennt auf Zeitreise begeben und sie allein lassen. Geschweige denn, sie ohne jede Begleitung in die Vergangenheit springen lassen. Das ist viel zu gefährlich für sie. Damit würden wir Fitzjohn nur in die Hände spielen.«

»Du hast recht«, sagte Jerry und sah betreten zu Boden. »So klappt es nicht.«

»Doch«, widersprach ich vehement. »Ich gehe das Risiko ein. José hat mir nach unserer Rückkehr aus dem Jahr 1873 mein Nackenjucken wiedergegeben, wie ihr wisst. Es würde mich bei Gefahr rechtzeitig warnen.«

»Wie sehr du dich auf dieses Jucken verlassen kannst, haben wir ja heute gesehen«, sagte Fatima spitz.

Ich schob eigensinnig das Kinn vor. »Es funktioniert, das ist ja wohl die Hauptsache!«

Aber an den ablehnenden Mienen der anderen sah ich, dass sie sich nicht darauf einlassen würden.

Ich versuchte es mit einem Kompromiss. »Ole könnte zu meinem Schutz bei mir bleiben.«