AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6) - G. Michael Hopf - E-Book

AUF MESSERS SCHNEIDE (The End 6) E-Book

G. Michael Hopf

4,9

Beschreibung

Gordon Van Zandt ist ein Mann, der Not und Widerstand gewohnt ist. Doch nun gehen selbst ihm die Optionen aus. Seine noch junge Republik steht kurz davor, auseinander zu brechen, und er muss einen Weg finden, die scheinbar unabwendbare Niederlage in einen höchst unwahrscheinlichen Sieg umzuwandeln. Präsident Cruz ist das Amt, das er betreut, nicht fremd, doch dieses Mal erweist sich seine Aufgabe als schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Die Überreste der Vereinigten Staaten von Amerika werden nur noch aus einem Flickwerk von Gouverneuren und Bürokraten zusammengehalten, von denen nicht wenige versuchen, jene Löcher in dem Konstrukt zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Es herrscht Waffenruhe mit Kaskadien, und er muss sich entscheiden, ob er entweder verhandeln oder einen Krieg weiterführen will, der beiden Seiten nichts als Verwüstung und Elend eingebracht hat. Jeder für sich in einer gefährlichen Lage, stehen beide Männer an einem Scheideweg, der in eine ungewisse Zukunft führt.

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THE END 6

Auf Messers Schneide

G. Michael Hopf

Copyright © 2016 by G. Michael Hopf All rights reserved. No part of this book may be used, reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording, or by any information storage or retrieval system, without the written permission of the publisher, except where permitted by law, or in the case of brief quotations embodied in critical articles and reviews.

Dieser Roman ist ein fiktives Werk. Namen, Charaktere, Orte und Ereignisse entspringen der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit zu tatsächlichen Ereignissen, Schauplätzen oder Personen, lebendig oder tot, ist rein zufällig.

Für alle meine Freunde. Ihr wisst, wer ihr seid.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: THE RAZOR’S EDGE Copyright Gesamtausgabe © 2017 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Andreas Schiffmann Lektorat: Diana Glöckner

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2017) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-264-3

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

THE END 6
Impressum
Prolog
25. Dezember 2015
26. Dezember 2015
27. Dezember 2015
28. Dezember 2015
29. Dezember 2015
30. Dezember 2015
31. Dezember 2015
3. Januar 2016
31. Januar 2016
4. Februar 2016
Epilog
Über den Autor

»Freunde sind die Geschwister, die uns Gott nie gegeben hat.«

Prolog

20. Oktober 2066 McCall, Idaho, Republik Kaskadien

Es gefiel Gordon zwar nicht, jeden Morgen früh aufzustehen, doch er beschloss, etwas Positives darin zu sehen, da er ohnehin seit Jahren nicht mehr durchschlafen konnte.

Als er seine Füße auf den kalten Fliesenboden stellte, lief ihm ein Schauer über den Rücken, und er bekam Gänsehaut an den Armen. Er wollte ins Badezimmer, blieb aber stehen, als ihm das Licht des Vollmonds ins Auge fiel. Er betrachtete ihn versonnen und war dankbar für den Einfluss, den der Trabant auf die Erde ausübte.

Vor dem Totalzusammenbruch hatte Gordon eine Vielzahl an Fernsehserien und Filmen geschaut, besonders Action- und Science-Fiction-Streifen. Seit es wieder Strom gab, gönnte er sich gelegentlich die Freude, jene frühere Angewohnheit wieder aufleben zu lassen. Aktuelle Produktionen begeisterten ihn nicht unbedingt – oder genauer gesagt: Er mochte gar nichts, was dieser Tage aus Olympia kam. Streng genommen war die unfähige Regierung schuld an seinem unruhigen Schlaf.

Nun da alle seine Angehörigen unter einem Dach zusammengefunden hatten, hielt er es für das Beste, die große Ankündigung zu machen, allerdings erst nach seiner gewohnten Tasse Kaffee. Als er sich auf den Weg in die Küche machte, um ihn aufzubrühen, bemerkte er, dass er nicht als Einziger wach war.

»Guten Morgen«, grüßte Haley leise, um Hunter und Sebastian nicht zu wecken.

»Guten Morgen, Schatz«, erwiderte Gordon. Er drückte sie herzlich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja, aber ich bin aufgewacht und konnte dann nicht mehr einschlafen«, antwortete sie.

»Geht mir genauso, und zwar schon seit dem 5. Dezember 2014«, sagte er scherzhaft.

Gordon ging langsam in die Küche, wo er feststellte, dass Haley bereits den Teekessel aufgesetzt und Kaffeepulver in die Stempelkanne gefüllt hatte. »Na, du findest dich zweifellos noch in der alten Bude zurecht.«

»Ja. Es ist eine gute alte Bude, in der viele Erinnerungen stecken.« Haley musste schmunzeln.

»Als deine Mutter und ich dieses Haus entdeckten, habe ich gleich gespürt, dass Gutes darin steckt.«

»Du hast es ja auch gut instand gehalten, obwohl du eine Haushälterin gebrauchen könntest. Da drüben auf den Regalböden liegt der Staub drei Zoll dick«, neckte sie ihn.

»Ich bekomme selten Besuch und hatte noch nie viel fürs Saubermachen übrig.«

»Mom hat sich oft darüber beschwert, dass du alles herumliegen lässt.«

»Ich habe nie ständig Unordnung gemacht – nur eben nicht gleich alles weggeräumt. Deine Mutter hingegen war einfach nur streng; sie hat den Laden fest im Griff gehabt.«

»Das ist wahr.«

Der Kessel pfiff.

Gordon und Haley griffen gleichzeitig danach, doch er war schneller.

»Ich mach das, setz du dich mal. Sei mein Gast«, sagte er.

»Nein, Dad. Du solltest dich schonen«, beharrte sie, während er vor ihr stand, wobei ihr auffiel, wie seine Hand am Griff des Kessels zitterte.

»Schonen? Ich bin nicht krank, geschweige denn, dass ich den Löffel abgeben würde, jedenfalls nicht so bald.«

Haley ließ sich nicht beirren. »Nein, bitte lass mich dich bedienen.« Sie hinderte ihn daran, sich umzudrehen.

»Heißes Wasser auszugießen kriege ich noch hin«, entgegnete Gordon gereizt. Er hob den Behälter von der Herdplatte und wartete darauf, dass seine Tochter Platz nahm.

Schließlich trat sie mit verdrossenem Blick zur Seite.

Er gab das dampfende Wasser in die Kanne und ließ es durch das Pulver sickern.

Haley beobachtete ihn beim Zubereiten des Kaffees.

Als er dies bemerkte, fügte er hinzu: »Ich bin alt, darum zittere ich. Alte Leute tun das eben.«

»Komm, ich helfe dir.«

Da hob er eine Hand und stellte klar: »Ich bin bloß alt und kein Dahinsiechender. Außerdem tue ich das schon ziemlich lange allein. Ich weiß, deine Mutter hat mich in der Küche für unfähig gehalten, aber ihre Ansprüche waren auch hoch.«

»Ich vermisse Mom«, seufzte Haley.

Gordon hielt inne. »Ich auch, Schatz. Ich auch.« Er drückte den Stempel hinunter und füllte zwei Tassen. »Milch oder Zucker?«

»Gerne beides.«

Nachdem er ein Kännchen und eine Schale Zucker mit Löffel auf die Küchentheke gestellt hatte, ging er außen herum und setzte sich auf einen Hocker.

Haley nahm neben ihm Platz. Sie trank einen Schluck. »Unheimlich gut«, meinte sie genüsslich.

»Finde ich auch. Während des Krieges hätte ich für eine anständige Tasse Kaffee töten können«, sinnierte er beim Trinken.

»Ich dachte, das hättest du sowieso getan.« Mit dieser Anspielung bezog sich Haley auf die vielen Lügen über seine Vergangenheit, welche die Medien seit einiger Zeit verbreiteten.

»Ha, ich bin mir sicher, die revisionistischen Arschlöcher in Olympia haben sich diese Horrorgeschichten ausgedacht. Sie lassen nichts unversucht, um mich als Monster darzustellen.«

»Niemand beschuldigt dich, für Kaffee getötet zu haben, aber dein Ruf und dein Vermächtnis stehen definitiv im Kreuzfeuer.«

Gordon murmelte kopfschüttelnd: »Faule, verwöhnte Bengel, die nie einen Finger krumm gemacht haben, wollen jetzt alles schlechtreden, was wir im Krieg getan haben. Hätten wir keine Verbündeten in Olympia, würden sie alle Denkmäler niederreißen und uns in den Geschichtsbüchern totschweigen.«

»Das lässt sich die Bevölkerung nicht bieten. Viele Menschen erinnern sich noch an die finsteren Tage nach dem Zusammenbruch. Zudem haben sie nicht vergessen, was ihr alle geleistet habt, um dafür zu sorgen, dass wir frei leben können«, betonte Haley, um ihn daran zu erinnern, dass nach wie vor ein Großteil der Bürger von Kaskadien wertschätzte, was er vollbracht und geopfert hatte.

»Es ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich fällt stets der nachkommenden Generation die Verantwortung zu, unsere Freiheit zu wahren, und wenn ich an den sozialistischen Unfug denke, der sich im Westen abspielt, befürchte ich, dass wir eine weitere Rebellion werden niederschlagen müssen.«

Die politischen Spannungen aus der Frühzeit der Republik waren weiterhin präsent. Wer in der östlichen Region von Kaskadien lebte, vertrat eher konservative, liberale Werte, wohingegen diejenigen im Westen und vor allem entlang der Küste Mitte links standen, nicht wenige mit einer starken Neigung zu sozialistischem Gedankengut. Die ideologischen Gräben waren nach wie vor die gleichen, bloß hatten sich die Fronten weiter verhärtet.

Die Sozialisten gingen aus Charles' Westkaskadischer Freiheitsbewegung hervor. Bei der heutigen Jugend erfreute er sich sogar neuer Beliebtheit, und dass Gordon ihn getötet hatte, hatte ihn zum Märtyrer gemacht. Auf so manchem College-Campus und in vielen Coffee-Shops oder Cafés in Olympia tauchten nun T-Shirts, Poster und Aufkleber mit seinem Konterfei auf.

Gordon war frustriert von der Politik. Er verachtete sie, musste aber gute Miene zum bösen Spiel machen. Statt sich selbst für einen Politiker zu halten, sah er sich als Rädelsführer und Krieger.

Jetzt schüttelte auch Haley den Kopf. »Ich hätte nie geahnt, dass es möglich wäre … also dass die Leute vergessen, aber mittlerweile sieht man es.«

»Aus dem Grund bin ich froh, dich hier zu haben – und die Jungs auch«, erwiderte Gordon. »Es wird Zeit, etwas zu unternehmen, sonst müssen wir wieder in die Schlacht ziehen.«

»Oh, Dad, so schlimm ist es nicht«, behauptete Haley, ein schwacher Versuch, die Situation herunterzuspielen. Insgeheim beschlich sie das Gefühl, ihr Vater könne recht haben.

»Kaskadien geht vor die Hunde; im Ernst, über kurz oder lang sind diese Bastarde an der Macht und machen alles kaputt, wofür wir gekämpft haben. Es sei denn, wir halten sie auf.«

»Was soll das heißen?«, fragte Haley.

»Genau, was soll das heißen?« Hunter war im Obergeschoss an den Treppenabsatz getreten.

Verdutzt schauten Gordon und Haley zu ihm hoch.

Hunter kam schnell die Stufen herunter und in die Küche. »Wen sollen wir aufhalten?«

Gordon grinste und nippte noch einmal an seiner Tasse.

»Wir haben uns bloß unterhalten«, meinte Haley.

»Nein, sagt's mir.«

Gordon schaute seine Tochter an, grinste erneut und nickte. Sein Blick wanderte zu Hunter hinüber, bevor er anhob: »Im Westen gibt es eine politische Bewegung, die die Regierung stürzen wird, falls man sie gewähren lässt. Wir müssen sie umgehend in ihre Schranken verweisen oder mit ansehen, wie uns das Land genommen wird, für dessen Gründung wir uns so erbittert eingesetzt haben.«

Hunter zog einen Hocker heran und ließ sich darauf nieder. Er war gespannt, was sein Großvater noch zu erzählen hatte.

»Ich schenk dir auch einen Kaffee ein«, bot Haley an.

»Ich brauche dir nicht zu sagen, dass es Stimmen im Osten gibt, die sich vom Westen abspalten wollen«, so Gordon weiter, »aber du weißt vermutlich nicht, wie weit sich diese Meinung in manchen Kreisen ausgebreitet hat.«

»Diese Separatisten halten sich schon seit der Gründung der Republik«, entgegnete Hunter und meinte damit eine kleine Gruppe, die sich für eine Trennung starkgemacht hatte – kurz nach der Einigung, in deren Zuge Gordon zum Präsidenten ernannt worden und in der Lage gewesen war, weitere revolutionäre Bestrebungen zu vereiteln.

»Aber es wird schlimmer«, gab Gordon zu bedenken. »Heute herrschen andere politische Umstände. Die Menschen sind bereit, aufzustehen und zu den Waffen zu greifen; wir haben es bereits getan und werden es wieder tun.«

»Wir?«, hakte Hunter nach.

»Kennst du das Zitat? Ich glaube, es stammt von Thomas Jefferson: Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und der Tyrannen begossen werden. Dies ist der Freiheit natürlicher Dünger.«

»So schlimm ist es nicht«, wiederholte Haley.

»Also, was schlägst du vor?«, wollte Hunter wissen.

»Im Augenblick sind unsere Verbündeten in Olympia an der Macht«, so Gordon, »aber früher oder später werden der demografische Wandel und die Unfähigkeit unserer eigenen Regierung dazu führen, dass alles, wofür wir sehr hart gearbeitet haben, hinfällig ist.«

Hunter beugte sich ein wenig nach vorn und fragte wieder: »Was schlägst du vor?«

»Eine Revolution«, antwortete Gordon.

»Ach, Dad, jetzt tust du aber arg dramatisch«, warf Haley ein.

Hunter beachtete sie nicht. »Eine Revolution?«

Gordon stand auf und ging zu der Schiebetür, die auf die Terrasse führte. Er hielt sich die Tasse wieder an den Mund und trank einen kräftigen Schluck.

»Mom, was meint er damit?«, insistierte Hunter.

Haley neigte sich ihm zu und flüsterte: »Ich glaube, dein Großvater wird senil.«

Daraufhin lachte Gordon herzhaft auf. »Ich werde nicht senil, ganz im Gegenteil.« Er drehte sich um und fuhr fort: »Als deine Mutter starb, habe ich versprochen, auf dich und die Jungs aufzupassen. Das hat mich vor ein Problem gestellt, weil man mich für tot hielt, aber ich hatte noch meine engen Freunde, die das ganz wunderbar geregelt haben. Jetzt hebt die Tyrannei ihr Haupt aufs Neue, bloß dass sie sich hinter Begriffen wie ›Toleranz‹, ›politische Korrektheit‹ oder ›Einkommensgleichheit‹ versteckt, wofür sich eine große Zentralregierung einsetzen soll. Ich nenne das eine sanfte Gewaltherrschaft, doch einige ihrer Befürworter zeigen sich schon willens, gewaltsam gegen jeden vorzugehen, der nicht ihre Meinung teilt. Erinnert euch nur daran, wie es jenen Bauern mitten im Staat Washington ging: Ihre Ernte wurde zerstört, womit sie auch ihren Lebensunterhalt verloren, weil sie im vergangenen Jahr gegen das Gesetz zur Gleichaufteilung von Ländereien protestiert haben.«

»Dieser Entwurf war nichts als …«, begann Haley leidlich überzeugend, um die strittige Reglung herabzuwürdigen, die man beinahe als Gesetz festgelegt hatte.

»Mein liebes Mädchen, da irrst du dich. Dieser Entwurf weist den Weg in die Zukunft unserer Politik. Ich fürchte, wir haben uns vor Jahren der Ketten eines Unterdrückers entledigt, bloß um uns freiwillig an einen schlimmeren zu binden, indem wir uns auf ein Bündnis mit Charles' Radikalen einließen. Ich habe einen Fehler gemacht – ich habe es förmlich vor meinen eigenen Augen gesehen, war aber erschöpft und wollte nur noch, dass alles vorbei ist. Die Katastrophe und der Krieg haben ihre Spuren bei mir, bei uns allen hinterlassen. Unsere Familie hat stark darunter gelitten, weshalb ich einfach dachte … Ich habe mir zugetraut, mit diesen Leuten umgehen zu können, habe mich aber getäuscht, was mich sozusagen mein Leben gekostet hat.«

»Was ist geschehen?«, fragte Hunter. »Warum musstest du deinen eigenen Tod inszenieren?«

Gordon trat näher, nahm seine Tasse herunter und legte Hunter eine Hand auf die Schulter. »Mein Junge, du wirst alles erfahren. Bald.«

»Das versprichst du nicht zum ersten Mal«, murrte Hunter.

»Hab Geduld«, sagte Haley.

»Schon gut. Er ist auf Draht und neugierig. Diese Eigenschaften mag ich an ihm. Er liebt sein Land, und er liebt seine Familie; das sind bewundernswerte Züge für einen so jungen Mann.«

Haley wechselte das Thema: »Darf ich dir was zum Frühstück machen, Dad?«

»Klar, aber zum Mitnehmen«, bat Gordon.

Das verwunderte sie. »Gehst du aus dem Haus?«

»Wir gehen«, antwortete er, bevor er sich wieder Hunter zuwandte. »Du wolltest meinen Vorschlag hören. Er lautet: Wir holen uns unsere Regierung zurück. Ich habe euch aus zwei Gründen zu mir bestellt. Erstens ging es mir natürlich darum, euch wiederzusehen und alles zu erzählen, was ich über unsere Familie weiß, doch darüber hinaus glaube ich, dass erneut ein Van Zandt den Weg weisen wird, wenn Kaskadien seine Gegner in die Schranken gewiesen hat und wieder Ordnung herrscht.«

»Aber Großvater, ich bin ein Rutledge«, erinnerte Hunter.

»Mein Junge, der Name Rutledge ist ein guter und angesehener, aber du siehst aus und handelst wie ein Van Zandt, zumal auch mein Blut durch deine Adern fließt.«

Haley machte ein besorgtes Gesicht. »Dad, was planst du?« Einen kurzen Moment lang fragte sie sich, weshalb ihre Kontakte in Olympia über die Unruhen geschwiegen hatten. Möglicherweise waren sie dazu angehalten worden.

»Wie gesagt, wir holen uns unsere Regierung zurück«, erwiderte Gordon, wandte sich ab und ging los.

»Wann erzählst du mir den Rest?«, rief Hunter.

Gordon blieb stehen und drehte sich wieder um. »Auf dem Weg nach Olympia. Jetzt zieht euch an, und packt eure Taschen; ich möchte in einer Stunde aufbrechen.«

Damit stieß er Haley vor den Kopf. War das alles von langer Hand geplant gewesen?

Gordon ging aus der Küche und verschwand in sein Schlafzimmer, wo er die Tür hinter sich schloss.

Nun erschien auch Sebastian auf der Treppe. »Hab ich da etwas von Aufbrechen gehört?«, fragte er.

Hunter sprang auf und lief an ihm vorbei nach oben. »Ja, geh packen! Wir fahren nach Olympia.«

Sebastian kratzte sich am Kopf. »Hä?«

Sein Bruder stürzte in sein Zimmer und fing an, Sachen in eine Tasche zu werfen.

Haley schüttelte abermals den Kopf. Sie schenkte Sebastian ein liebliches Lächeln.

»Mom, was ist los?«

»Wir fahren nach Olympia, du hast es gehört.«

»Wer? Wir alle, auch Großvater?«

»Ja.«

»Aber ich dachte, er wird für tot gehalten.«

»Ja, dort glaubt das jeder.«

»Ich verstehe nicht. Was soll das?« Die Verwirrung stand Sebastian ins Gesicht geschrieben. »Ist es nicht gefährlich für ihn, nach Olympia zurückzukehren? Bringen wir uns dabei vielleicht auch in Gefahr? Wie sollen wir vorgehen?«

Haley stellte sich vor Sebastian und streichelte zärtlich seine Wange. »Du wolltest wissen, wie es bei uns zuging, während ich aufwuchs, und nun ja – genau so. Willkommen in meiner Kindheit.«

***

Als Gordon auf der Landebahn die Gulfstream 985 mit der texanischen Flagge am Heck sah, bekam er vor Aufregung Herzklopfen.

Er versetzte John einen leichten Stoß in die Seite. »Scheint neu zu sein«, sagte er.

»Vom Aussehen her auf jeden Fall«, erwiderte John.

Als Hunter das Flugzeug bemerkte, war er gespannt darauf, wer drinsaß.

»Texas hat gut für sich gesorgt«, befand Gordon.

John stimmte zu. »Oh ja, das kannst du laut sagen.«

»Es setzt sich für Kultur und solide Werte ein«, fuhr Gordon fort.

»Identität nicht zu vergessen«, ergänzte John. »Die Menschen dort wissen, wer sie sind und woher sie kommen.«

»Vorübergehend war das auch hier so, aber diese Tugend ist verloren gegangen.«

»Bei manchen, aber nicht bei allen. Doch es ist an der Zeit, wieder klar Schiff zu machen. Um ehrlich zu sein, hätte ich dir vor Jahren einen Rüffel dafür erteilt, dass du das hier tust, aber jetzt … Mensch, nach all dem Elend, das du durchgemacht hast, bin ich davon überzeugt, dass du nicht sterben kannst.« John lachte.

»Und ich für meinen Teil, du Sack, hätte dich angesichts der vielen Leben, die du schon hinter dir hast, glatt für eine Katze gehalten, wenn du nicht auf zwei Beinen laufen und sprechen würdest.«

Hunter schloss in der Hoffnung, etwas von ihrer Unterhaltung aufzuschnappen, hinter den beiden auf.

Als Gordon merkte, dass sein Enkel lauschte, hörte er zu sprechen auf und drehte sich um. »Komm her, Hunter.« Er legte einen Arm um ihn. »Sieh sie dir an.«

»Sauber. Wem gehört sie?«, fragte Hunter.

»Autry Lewis, wenn mich nicht alles täuscht«, antwortete Gordon.

»Du meinst den Autry Lewis?« Hunter staunte. Diesen Namen zu hören hätte er nicht erwartet.

»Genau den«, bestätigte sein Großvater mit einem breiten Grinsen, das seinen Zügen schmeichelte.

Hunter stutzte. »Moment mal, falls das sein Jet ist, woher weißt du das?«

»Ich kenne ihn. Unsere Freundschaft reicht weit zurück.«

»Was will er hier?«, bohrte Hunter weiter.

»Erklär's ihm«, verlangte Gordon.

John tat es. »Er stellt uns ein Taxi nach Olympia zur Verfügung. Wir brauchten eins, also habe ich einen alten Freund um einen Gefallen gebeten. Er war so nett, uns den Flieger herzuschicken, damit wir so stilvoll und unauffällig wie möglich reisen können.«

Ein Flughafenangestellter tauchte am Rand der Bahn auf und sagte: »Der Pilot ist bereit, Sie dürfen an Bord gehen.«

»Zeit zum Abflug. Vergesst euer Zeug nicht«, rief John Haley und Sebastian zu.

Während sie auf die Maschine zugingen, blieb Hunter an Gordons Seite. »Großvater, woher kennst du Autry Lewis? Ich habe seinen Namen noch nie in Zusammenhang mit dir gehört, außer anlässlich der üblichen amtlichen Angelegenheiten vor Jahren. Und ich erinnere mich an eine Geschichte aus der Frühzeit der Republik Texas – darin kommt er nicht unbedingt gut weg.«

Gordon zog Hunter zu sich, während die anderen ins Flugzeug stiegen. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sprach: »Mein Junge, ein Mann ist nichts weiter als die Gesamtheit seiner Taten. Trifft er vor allem gute Entscheidungen, kennt man ihn dafür. Tut er überwiegend Schlechtes … tja, dann ergibt sich sein Ruf eben daraus. Doch wenn er sich einen besonders groben Schnitzer leistet, dann überschattet dieser alles Gute, was er getan haben mag. Wer ihn nicht persönlich kennt, wird ihn nur anhand dessen beurteilen. Diese eine Handlung genügt dann, um ihn abzustempeln, als sei er nichts und sein Leben so gut wie wertlos. Nun ist Gott aber gerecht und stellt guten Menschen tatsächlich ein Mittel anheim, um dies auszugleichen, und dieses Mittel sind Freunde. Ein guter Freund kennt dich; er steht dir zur Seite, geht mit dir durch dick und dünn, wobei es die harten Zeiten sind, die den guten Menschen zu Fall bringen. Freunde helfen dabei, diese durchzustehen, sie lassen einen niemals hängen und hüten sich davor, jemanden nur um des Verdammens willen zu verdammen. Stattdessen ziehen sie ihre Gefährten zur Rechenschaft, damit diese wieder erhobenen Hauptes durchs Leben schreiten können.«

Hunter nickte. Sein Großvater war nicht direkt auf seine Frage eingegangen. »Und ein guter Freund leiht einem auch brandneue Jets.«

»Exakt«, lachte Gordon.

»Ich verstehe schon, was du meinst, glaube ich.«

»Soweit ich weiß, hast du nicht viele Freunde.«

»Das ist nicht wahr«, rechtfertigte sich Hunter.

»Wie ich schon sagte, behalte ich dich seit dem Tag, an dem du geboren wurdest, im Auge. Ich weiß es also.«

»Ich tue mich schwer damit, auf andere zuzugehen, aber es gibt schon ein paar Jungs, mit denen ich regelmäßig was unternehme und einen trinke.«

»Würdest du für sie durchs Feuer gehen? Riefe dich einer von ihnen mitten in der Nacht an, weil er Hilfe dabei bräuchte, eine Leiche zu verscharren, würde deine Antwort lauten: Wo?«

»Ich schätze nein.«

»Ich habe viel erlebt und eine Menge erreicht, oh ja. Weißt du auch, wie ich das geschafft habe?«

»Nein.«

»Durch Entschlossenheit, Arbeit und Konzentration. Ich wollte nicht aufgeben und habe mich nicht davor gescheut, meine Fäuste einzusetzen, wenn es sein musste. Aber mein Erfolg rührt auch daher, dass mich meine Angehörigen und Freunde unterstützt haben. John da drin gehört zu jenen Freunden, und von den anderen hast du bereits gehört – Jimmy, Nelson, Gunny, Brittany. Sie alle waren für mich da, und ich wäre ohne sie nicht imstande gewesen, derjenige zu sein, der ich war. Autry gehört ebenfalls zu jenen Freunden. Ich kenne die unsinnige Geschichte über ihn. Sie ist mir zu Ohren gekommen, aber weißt du was? Wer mit der Frau eines anderen Mannes ins Bett steigt, gibt sich meines Erachtens selbst zum Abschuss frei.«

»Aber er hat direkt im Saal des Regierungsausschusses auf den Mann eingestochen, obwohl er Präsident war«, erinnerte Hunter. Er konnte den diesbezüglichen Bericht immer noch schwerlich glauben.

»Gott, wie gern hätte ich das gesehen. Er hat Skinner übrigens überallhin mitgenommen, egal an welchen Ort. Ja, selbst geduscht hat er mit dem verfluchten Messer. Dir ist auch klar, dass er den Hurensohn im Vorfeld gewarnt hatte, er solle aufhören, seinem Freund die Frau auszuspannen? Das war eine Ansage, doch der Trottel hat sie nicht ernst genommen.«

»Diese Gräueltat hätte ihn beinahe die Präsidentschaft gekostet, und hätte er diesen Posten nicht gehabt, wäre er im Knast gelandet.«

»Er hat den Kerl nicht umgebracht.«

»Dafür aber von hierher bis dorthin aufgeschlitzt«, erwiderte Hunter, indem er mit einer Hand von seinem Unterleib bis zum Bauch hinauffuhr.

»Autry hat gern Sprüche geklopft wie ›Ich weide dich aus wie ein Schwein‹. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob das ein Fachmann auch so getan hätte.«

Hunter, den Gordons Worte leicht pikierten, räumte seufzend ein: »Ich kann durchaus nachvollziehen, dass ihr während des Krieges getan habt, was nötig war, aber in einer zivilisierten Gesellschaft verhält man sich nicht so.«

»Ja, mag sein. Zuweilen regt sich in mir der Verdacht, Leute wie Autry und ich seien nur zum Draufhauen gut.«

John streckte seinen Kopf durch die Einstiegstür. »Ihr zwei, kommt schon, wir müssen starten«, rief er.

»Gehen wir«, sagte Gordon. »Unterwegs können wir weiter darüber reden.« Er klopfte Hunter auf den Rücken. Der blieb stehen und erwiderte: »Versteh mich nicht falsch, Großvater, ich weiß zu schätzen, was ihr für uns getan habt.«

»Das bestreite ich auch nicht.«

»Enthalte mir aber bloß nichts vor.«

»Ich erzähle dir alles. Um genau zu sein, wirst du auch etwas erfahren, das mir passiert ist und von dem nur sehr wenige Menschen wissen.«

25. Dezember 2015

»Oft liegt der Unterschied zwischen einem erfolgreichen und einem erfolglosen Menschen nicht in den Fähigkeiten oder Vorstellungen verborgen, sondern im Mut, für seine Vorstellungen einzustehen, kalkulierte Risiken einzugehen und zu handeln.« – Maxwell Maltz

Alte Filiale der United States Post, Geneva, Idaho, Republik Kaskadien

»Du machst dir einen Spaß daraus, etwas aufs Spiel zu setzen und Gratwanderungen zu vollziehen, aber ich schwöre, das geht zu weit«, sagte John Steele zu Gordon, der auf der zugefrorenen Straße stand und stoisch zu den verschneiten Spitzen der Berge im Osten aufschaute.

Er antwortete nicht, sondern ließ seinen Blick unerschrocken an den Höhenzügen entlang schweifen. »Was meinst du – befindet sich dieses Gebirge in Wyoming?«, fragte er schließlich.

»Hm?«, erwiderte John, der zunehmend missmutiger wurde.

»Gleich dort, wenn du nach Osten schaust – diese Berge, das muss Wyoming sein«, fuhr Gordon ruhig fort.

John baute sich vor ihm auf und entgegnete: »Das ist eine schlechte Idee. Woher weißt du, dass wir ihm vertrauen können?«

Während Steele ihm die Sicht versperrte, antwortete Gordon. »Man erhält nicht für alles im Leben eine Garantie, das ist dir doch klar.«

»Es war leichtsinnig, uns zu diesem Treffen bereit zu erklären. Lass uns zum Wagen zurückgehen und sofort umkehren, bevor es zu spät ist«, drängte John.

»Nein.«

»Gordon, bitte.«

»Nein.«

In einiger Entfernung kam ein einzelner Humvee um eine Ecke und näherte sich mit laut brummendem Motor.

»Er kommt.« Van Zandt schaute John wieder ins Gesicht. »Es ist an der Zeit, dass du verschwindest … los.«

»Gordon, bitte denk noch mal darüber nach.«

Er zog den Reißverschluss seiner Jacke auf, fasste hinein und nahm zwei weiße Briefumschläge heraus. Nachdem er sie Steele gegeben hatte, erklärte er: »Der eine ist für dich. Öffne ihn, wenn du losgefahren bist.«

»Tu das nicht«, flehte John.

»Deine Nase sieht gut aus – nach all den Querelen, die du damit hattest, meine ich«, bemerkte Gordon mit Bezug auf den Bruch, den sich Steele beim Kampf gegen Charles und dessen Männer zugezogen hatte. »Und was deine Lippe angeht, bin ich der Ansicht, dass man auf dieser Welt nicht umhinkommt, sich Narben einzuhandeln.« Damit meinte er eine wulstige Wunde an Johns Unterlippe, eine weitere Verletzung, zu der es im Gemenge gekommen war. Der Kommentar erinnerte Steele an die Narbe und deren Ursprung.

»Hörst du mir überhaupt zu? Du laberst dummes Zeug. Was da auf uns zugerollt kommt, könnte dein Ende, deinen Untergang bedeuten.«

Gordon schaute ihm in die Augen. »Ich habe keine Angst davor, zu sterben, wirklich nicht. Allerdings möchte ich es nicht in dem Wissen tun, dass meine Familie ohne mich in dieser Welt zurückbleibt. Wir gehen täglich Wagnisse ein, und heute ist das nicht anders. Wenn ich mir nichts einfallen lasse, haben wir alle das Nachsehen, und ich lande in irgendeinem Gefängnis oder werde als Verräter hingerichtet.«

»Und was genau willst du damit sagen?«

Gordon hatte genug von dieser Diskussion. »Hau ab. Ich halte mich an meine Abmachung mit ihm.« Da John nicht gehorchte, wurde er wütend. »Sofort!«

»Du Dummkopf«, schoss John zurück, riss ihm die Umschläge aus der Hand und stapfte zu seinem Wagen.

Van Zandt konnte nicht absehen, wie alles ausgehen würde, doch so war es abgesprochen, und dieser eine Augenblick mochte das Schicksal seines jungen Staates besiegeln.

Steele raste davon und verschwand am Horizont.

Von Norden her frischte der Wind auf, sodass Gordon schauderte. Er verdrängte die Kälte und rückte die Wollmütze auf seinem Kopf zurecht. Wäre er gebeten worden, die Temperatur zu schätzen, hätte er auf einen zweistelligen Minuswert getippt. Das war für Idaho nicht unüblich, dass es kaum geschneit hatte, hingegen schon. Abgesehen von mehreren Stürmen herrschte mehr oder weniger Trockenheit. Vielen Bewohnern von McCall und der Mittelregion Idahos machte es nichts aus, weniger Schnee zu haben, weil das Räumen gelinde gesagt schwierig war.

Gordon wurde auf ein Funkeln in der Ferne aufmerksam. Er kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen, doch es gelang ihm nicht, obgleich er sich ziemlich genau denken konnte, woher oder von wem es rührte.

Der Geländewagen kam langsam näher.

Die Windschutzscheibe reflektierte das Licht und verhinderte, dass Gordon die Insassen sah. Auf einmal wurde er nervös. Selbstzweifel kamen in ihm hoch. War es tatsächlich eine schlechte Idee?

Der Fahrer bremste abrupt. Dann öffnete er seine Tür, stieg aber nicht aus.

Gordon stellte jetzt das ganze Unterfangen infrage. Er hatte sein Versprechen gehalten, sich unbewaffnet zu dem Treffen einzufinden; mittlerweile wünschte er sich, etwas zu haben, womit er sich wehren konnte. Er schaute sich um. Das alte Postamt stand zwanzig Yards links von ihm. Er könnte hinüberlaufen, falls er musste.

Endlich erschien ein Bein an der Tür des Fahrers. Er stellte einen Fuß auf den Boden.

Die aufgehende Sonne im Osten wurde Gordon zusehends zum Ärgernis. Er neigte seinen Kopf zur Seite und blinzelte, während er gespannt wartete, wer aussteigen würde.

Zwei Hände wurden ausgestreckt, dann sprach der Mann. »Ich bin wie abgesprochen nicht bewaffnet.«

»Ich auch nicht«, antwortete Gordon und hob seine Hände mit den Innenflächen nach vorn. »Steigen Sie schon aus, Mr. President, außer Ihnen und mir ist niemand hier.«

Cruz zeigte sich zögerlich neben dem Humvee. Er behielt seine Arme ebenfalls oben.

Gordon erkannte an der verkrampften Haltung, dass der Mann nervös war. Er musterte ihn noch einmal, bevor er sich wieder nach allen Richtungen umsah. Er war nicht so töricht, wie von Steele behauptet. Mit äußerster Vorsicht hatte er diese Begegnung organisiert, den Treffpunkt ausgesucht und darauf geachtet, das überschaubare, gemeindefreie Areal zwei Wochen auskundschaften zu können. Seine Beobachter hatten Cruz' Männer kommen und gehen sehen, doch diese waren wie sie darauf aus gewesen, die Sicherheit vor Ort zu überprüfen, und zwar mit angemessener Sorgfalt. Freilich wusste Van Zandt, dass es wie auch vor John dargelegt keine Garantien gab und er womöglich in eine Falle tappte – ging sein Plan jedoch auf, war es das Risiko wert.

Cruz trat vor die offene Tür und kam mit ausgestreckter rechter Hand auf ihn zu. »Mr. President, Sie wiederzusehen, freut mich. Ich wünschte bloß, wir könnten uns unter anderen Umständen treffen«, begann er.

»Mr. President, sie sprechen mir aus der Seele«, gab Gordon zurück. Den Präsidententitel auf ihn selbst bezogen zu hören war ein merkwürdiges Gefühl. Er hielt dieses Amt nicht offiziell im Sinne eines Staatsoberhaupts inne; vielmehr fungierte er als Vorsitzender des Rates, bei dem es sich um die Regierungsinstanz des jungen Landes handelte. Man sah vor, freie Wahlen abzuhalten, sobald die Republik in der Lage dazu sei, und Gordon hatte sich noch nicht festgelegt, ob er für den Posten kandidieren würde, dessen Titel ihm bereits zufiel.

»Ich muss schon sagen, als Sie mich vor vierzehn Tagen angerufen und dieses außergewöhnliche Treffen vorgeschlagen haben, tat ich es als Unfug ab. Doch je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass es nicht das Dümmste ist. Wir sind die Anführer zweier gegensätzlicher Parteien, also spricht nichts dagegen, sich zusammenzusetzen und zu verhandeln. Lassen Sie uns versuchen, unsere Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen.«

»Noch mal: Sie sprechen mir aus der Seele«, wiederholte Van Zandt. Er zeigte auf das Postgebäude. »Wie wäre es, wenn wir aus der Kälte verschwinden, uns irgendwo zusammensetzen und reden?«

Cruz warf einen Blick hinüber an die Ziegelsteinfassade, die durch die direkte Sonneneinstrahlung über Jahre hinweg ausgebleicht war. Dann richtete er sich wieder an Gordon und fragte: »Kann ich Ihnen trauen?«

»Ich schätze, die Frage könnte ich auch Ihnen stellen, Mr. President.«

»Nennen Sie mich einfach Andrew«, bot Cruz in freundlichem Tonfall an.

»Sich mit dem Vornamen ansprechen, das gefällt mir.« Gordon lächelte. Er streckte einen Arm aus. »Dort entlang … Andrew.«

Die beiden Männer gingen nebeneinander her, doch Gordon betrat das Postamt zuerst.

Cruz zierte sich zunächst, den Schritt über die Schwelle in das nur schwach erhellte Gebäude zu machen.

»Ich verspreche, dass Sie nichts zu befürchten haben. Ich möchte nur reden. Sie werden sogar mögen, was ich Ihnen zu sagen habe.«

Cruz grinste betreten und folgte ihm schließlich.

»Meine Männer haben diesen Ort vor Wochen gründlich unter die Lupe genommen, und ich weiß, dass Ihre das auch getan haben. Ich habe diesen Tisch von den Jungs aufstellen lassen.« Gordon zeigte darauf, ein kleines, quadratisches Klappmöbel wie zum Kartenspielen.

Cruz ging an ihm vorbei und nahm auf einem von zwei Stühlen Platz.

»Ich hätte sie auch um einen Heizstrahler gebeten, doch mir war klar, dass es dann Stunk mit Ihren Männern gegeben hätte, die uns ja jetzt bewachen.« Gordon wusste also von der Soldateneinheit, die sein Gegenüber im Osten postiert hatte.

Cruz schauderte. »Wir hätten uns absprechen sollen, dann wäre vielleicht etwas daraus geworden.«

»Ich fand aber, je weniger Mitwisser wir haben, desto besser.«

»Da stimme ich zu.«

Cruz redete nicht lange um den heißen Brei, sondern kam umgehend zur Sache: »Während unseres ersten Telefongesprächs haben sie ein Geschenk für mich erwähnt, richtig?«

»Ja, aber bevor Sie es bekommen, will ich Ihnen dafür danken, dass Sie mir genug Vertrauen entgegenbringen, um sich überhaupt hier mit mir an einen Tisch zu setzen.«

»Sie müssen mich nicht an unsere Schwierigkeiten miteinander erinnern, aber seit unserer ersten Begegnung bin ich zu der Einsicht gelangt, dass Sie ein liebenswürdiger, vertrauenswürdiger Mensch sind.«

»Liebenswürdig?« Gordon lachte. »Wenn das meine Frau hören könnte.«

»Sie sind zwar ein wenig schroff, aber ein ehrenwerter Mann. Ich glaube, dass Sie im besten Interesse der Menschen handeln, die Ihnen folgen. Unsere Nation macht gerade eine harte Zeit durch, die wir nur überstehen werden, indem wir uns zusammenschließen und auch zusammenbleiben. Voneinander getrennt droht uns ein Kollaps, von dem sich weder Ihre noch meine Seite erholen kann.«

»Andrew, dieser Kollaps liegt bereits hinter uns.«

»Ich weigere mich, das für gegeben anzunehmen. Auf uns warten Herausforderungen, aber nur, wenn wir aufgeben, fällt alles zusammen.«

Gordon nickte.

»Was sollen wir tun, um die Wogen zu glätten?«, fragte Cruz. »Wie können wir Sie und Ihre Leute dazu bewegen, sich den Vereinigten Staaten wieder anzuschließen?«

»Ich bin nicht hier, um darüber zu diskutieren. Eigentlich stand es für mich nicht einmal am Rande zur Debatte.«

»Würden Sie mir wenigstens Ihre Beweggründe erklären?«

»Unser Volk hat sich schon lange vor dem Zusammenbruch von den Machthabern in Washington entrechtet gefühlt. Es hat nur jenes einzelnen Ereignisses bedurft, um den Bruch endgültig zu vollziehen.«

»Das stimmt nicht. Wir alle sind Amerikaner.«

»Ich war einmal Idealist; dann wurde ich während eines Krieges, den zu gewinnen mein Land nie vorgesehen hatte, mit Politik und politischer Korrektheit konfrontiert. Korrupte Strippenzieher und ihre Lobbyisten haben mich als strategisches Bauernopfer benutzt, indem sie mich aus dem Verkehr zogen wie einen Verbrecher, als sie mich nicht mehr gebraucht haben. Die Vereinigten Staaten haben mich und das kaskadische Volk im Stich gelassen. Tut mir leid, aber mein Beschluss steht fest. Wir sind jetzt eine freie, unabhängige Republik.«

Cruz neigte sich ihm zu und seufzte. »Gordon, die Hälfte Ihrer Armee wurde zerschlagen, und die Hälfte Ihrer geliebten Republik ist besetzt. Wir haben Ihr Kapitol, und wenn ich wollte, könnte ich Sie vernichtend schlagen, ja im Bombenhagel untergehen lassen, doch wie Sie sehen, halte ich nichts von solchen Methoden. Insgeheim bin ich fest davon überzeugt, dass wir eine Einigung erzielen können.«

Van Zandt verzog das Gesicht; er mochte Cruz und zog den Hut vor seinen Überzeugungen. Auch war der Mann nicht ganz im Unrecht: Kaskadien hing in den Seilen, und die Vereinigten Staaten saßen am längeren Hebel. Allerdings verfügte die Republik über einen Trumpf, und Gordon schickte sich an, Cruz einen Eindruck davon zu vermitteln.

Der seufzte wieder. »Warum bin ich hier? Warum haben Sie auf diesem Treffen bestanden, falls es sonst nichts zu besprechen gibt? Ich darf diese Bundesstaaten nicht aufgeben. Die Bevölkerung der USA hat mein Wort darauf. Ich habe einen Eid geschworen und werde alles Notwendige tun – sei es auch, dass ich Sie zwingen muss –, um unsere Nation letztendlich wieder zu vereinen. Ich habe mehr als genug guten Willen und Geduld gezeigt, doch nun vergeuden Sie meine Zeit. Indem ich die Sicherheitszone von Cheyenne verlassen habe, um mich mit Ihnen zu treffen, habe ich mich großer Gefahr ausgesetzt. Ich habe mein Kabinett belogen und in die Irre geführt, um hier bei Ihnen zu sein, aber wozu? Eigentlich hatte ich gehofft, mit etwas Handfestem zurückzukehren, doch anscheinend wollen Sie nur dasitzen und haben nichts zu bieten außer den altbekannten schwachen Argumenten.«

Gordon stützte sich auf den Tisch und fragte: »Falls ich Ihnen meine Hilfe anbieten würde – bei etwas wichtigem –, könnte ich dann auch auf Ihre Hilfe zählen?«

»Was meinen Sie?«

»Ich möchte Ihnen helfen, indem ich Ihnen wertvolle Informationen gebe; Informationen von unschätzbarem Wert, genauer gesagt.«

Cruz runzelte die Stirn und ließ sich zu dem Anflug eines Lächelns hinreißen. »Sie können mir nur auf eine Weise helfen, nämlich indem Sie mit mir zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass sich Kaskadien den Vereinigten Staaten wieder anschließt.«

Gordon lehnte sich über den Tisch. »Tragen Sie irgendein Kommunikationsmittel bei sich?«

Cruz blickte ihn erstaunt an; er war sich nicht sicher, was er darauf antworten sollte.

Gordon blieb gelassen. »Klar tun Sie das; ich auch.«

»Wieso?«

Er schaute auf seine Uhr. »Ich vermute mal, in fünf Minuten wird Ihr Telefon oder Funkgerät Sie auf eine Notfallsituation in Cheyenne hinweisen.«

Cruz' Gesicht nahm angespannte Züge an. »Hängt das mit der Bedrohung zusammen, vor der Sie mich gewarnt haben?«

»Ja, falls meine Informationen korrekt sind, wird heute in Cheyenne ein Anschlag auf Sie verübt.«

»Man bedroht mich ja ständig.«

»Aber ich glaube, die Quelle, von der ich das erfahren habe, sagt die Wahrheit.«

»Als Sie letzte Woche angerufen haben, um mich darauf hinzuweisen, habe ich mich zunächst gefragt, warum ich eine Warnung Ihrerseits ernst nehmen sollte. Da ich so etwas aber generell nicht einfach so abtue, habe ich strengere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Wir sind der Sache auf den Grund gegangen, doch dabei ist nichts herausgekommen.«

»Das steht noch abzuwarten«, deutete Gordon an.

Das machte Cruz mit einem Mal paranoid; er zog eine tiefe Tasche an der Vorderseite seines Mantels auf und nahm ein Satellitentelefon heraus. Das Display zeigte keine verpassten Anrufe. »Was ist das für ein Spiel, das Sie hier treiben?«

»Ich treibe kein Spiel«, stellte Gordon klar.

»Sollte sich bewahrheiten, was Sie behaupten, aus welchem Grund möchten Sie mir helfen?«, fragte Cruz weiter. »Wir sind Gegner.«

»Weil ich Sie von jeher für einen vernünftigen Mann halte. Sie sind weder naiv noch für Ideologien empfänglich, sondern pragmatisch, und im Augenblick brauche ich jemanden in Ihrer Position als Oberhaupt der Vereinigten Staaten. Ich kann mit Ihnen zusammenarbeiten, mich zu einer Abmachung mit Ihnen bereit erklären. Mit Conner war das nicht möglich. Er war fest entschlossen, dass alles nach seinen Vorstellungen laufen muss. Ich konnte ihm nicht vertrauen, Ihnen aber sehr wohl. Sollten wir eine Einigung finden, besteht für mich kein Zweifel, dass Sie sich daran halten werden.«

Cruz schaute wieder auf sein Telefon und drückte eine Taste, um sich zu vergewissern, dass es noch eingeschaltet war.

Fünf Minuten waren vergangen, doch niemand hatte angerufen.

»Das kommt Ihnen sicherlich seltsam vor, aber ich suche händeringend nach einer Lösung für unser gemeinsames Problem«, betonte Gordon.

»Und das wäre?«, fragte Cruz.

»Sie und ich, wir sind gar nicht so verschieden; wir beide wünschen uns einen sicheren Ort für unsere Familien, damit unsere Kinder behütet aufwachsen können. Und wir möchten beide damit aufhören, unsere Mittel im Kampf zu verschwenden, und unsere Energien auf den Wiederaufbau konzentrieren. Ich weiß, dass Sie das wollen, doch Sie fühlen sich auch verpflichtet, das Land wieder zusammenzuführen. Die Sache ist bloß: Das schaffen Sie nicht. Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Es war schon vor der Katastrophe gespalten; dieses einzige Unglück hat ausgereicht, um die Trennung endgültig zu machen. Fast sofort haben Menschen und Regionen, die ihre eigene Kultur oder Lebensart haben, gemeinsame Sache gemacht, um am Leben zu bleiben. Ihre Bemühungen in allen Ehren, doch da war und ist nichts zu machen, weder von Conner, Ihnen noch Ihrem Nachfolger, wer auch immer das sein wird. Sie haben den Osten fallen lassen, auf dass er zugrunde geht, ihn abgestoßen; dann sind Sie in Ihr Versteck abgehauen und haben den Versorgungsstrom abgebrochen, sodass der Rest des Landes praktisch auf sich allein gestellt blieb, woraufhin sich weitere Fragen bezüglich Ihrer Einstellung erübrigt haben. Alles, was leben soll, braucht Zuwendung und Unterstützung. Mit ihrer Weigerung, weiterhin Hilfe zu leisten, haben Sie dazu beigetragen, die letzten Verbindungen zu kappen, die das Land geeint haben.«

Cruz blieb sitzen und ließ Gordons Schelte über sich ergehen. Der Mann urteilte durchaus nicht falsch; ehrlich gesagt musste er ihm bis zu einem gewissen Grad recht geben.

Er fuhr mit seiner Zurechtweisung fort. »Die Vereinigten Staaten werden niemals vergehen, doch das Land, so wie Sie es bislang kannten, existiert nicht mehr. Passen Sie auf das Gebiet auf, das Sie halten, machen Sie es stark; dann, nachdem Sie bewiesen haben, dass Sie eine Vereinigung sind, die es wert ist, Anschluss zu ihr zu suchen, ziehen Sie los und wenden Sie sich an jene, die sich abgewandt haben, und finden Sie heraus, ob sie freiwillig zurückkehren möchten.«

»Kein Anruf«, sagte Cruz, indem er das Telefon hochhielt. »Es sind jetzt zehn Minuten, vielleicht mehr.«

Gordon schaute wieder auf seine Uhr. »Es kann sich nur um eine Verzögerung handeln, da meldet sich schon noch jemand.«

»Ich habe mir alles angehört und kann es verstehen, stehe aber wie erwähnt unter einem Eid. Nicht jeder in jenen Bundesstaaten ist ein Rebell; einige halten uns nach wie vor die Treue. Ich kann sie nicht aufgeben.«

»Die dürfen bleiben oder gehen; die Wahl steht ihnen frei.«

Endlich läutete das Telefon, wobei Cruz zusammenzuckte. Er fummelte hektisch daran herum, bevor er den Anruf entgegennahm. »Ja.« Ein Nicken, dann fragte er: »Wie schlimm?« Noch ein Nicken. »Mit mir ist alles in Ordnung, ja. Mir geht es gut.« Während er Gordon anschaute, wiederholte er dies. »Mir geht es gut.«

Sein Gegenüber nickte ebenfalls.

»Nein, Sie brauchen mich nicht abzuholen; lassen Sie mich diese Besprechung ordentlich zu Ende führen. Oh, haben Sie erwähnt, dass ich hier bin? Nein. Gut. Tun Sie es auch nicht; das muss geheim bleiben, um jeden Preis.« Damit trennte er die Verbindung. Nachdem er das Gerät auf seinen Schoß gelegt hatte, rieb er mit einem Daumen über die Anzeige. Dabei kaute er auf seiner Unterlippe, ohne den Kopf anzuheben, und sagte: »In der katholischen Kirche St. Mary's wurde eine Bombe gezündet. Einundfünfzig Menschen sind tot, womöglich mehr; im Moment kann man die Zahl nicht genau bestimmen.«

»Ich habe Sie gewarnt.«

Nun schaute Cruz auf. »Ich wäre zur Weihnachtsmesse dort gewesen, wenn Sie nicht darauf bestanden hätten, sich hier mit mir zu treffen.«

»Tut mir leid«, entgegnete Gordon betrübt.

»Woher weiß ich, dass das kein Trick ist, kein kranker, ausgeklügelter Plan, den Sie sich ausgedacht haben?«

»Seien Sie sich dessen einfach sicher.«

»Mehr Informationen haben Sie nicht? Nur dass ein Attentat auf mich unmittelbar bevorstand?«

»Das ist alles, was ich erfahren habe. Meine Quelle gab an, man wolle Sie unschädlich machen, und dies sei der Erste von mehreren Anschlägen.«

»Wer ist ›man‹?«

»Das ist der Haken, ich weiß es nicht«, antwortete Gordon. Er kannte die Kontaktperson wirklich nicht, die sich Monate zuvor an ihn gewandt hatte und sich seitdem regelmäßig mit ihm kurzschloss.

Cruz stand enttäuscht auf und begann, hin und her zu gehen. »Was Sie also mit mir abmachen möchten, beruht darauf, dass Sie uns Informationen geben? Zudem gehe ich davon aus, dass Sie mehr mit uns zu teilen haben.«

»Das sollte ich, ja.«

»Sollte?«

»Was ich Ihnen heute erzählt habe, bekam ich sozusagen auf Treu und Glauben gesagt«, erklärte Van Zandt, »oder als Beweis dafür, dass meine Quelle über solche Informationen verfügt.«

»Und im Gegenzug für diese Informationen verlangen Sie was von mir?«

»Ich verlange, dass Sie alle Streitkräfte aus Olympia und dem Westen Washingtons abrücken. Ferner will ich einen Vertrag mit Ihnen schließen, in dem Sie die Republik Kaskadien als freie, unabhängige Nation anerkennen.«

Cruz blieb stehen und drehte sich zu Gordon um. »Versichern Sie mir noch einmal, dass Sie nicht selbst hinter dem Angriff gerade eben stecken. Wie kann ich da sicher sein?«

»Gar nicht, schätze ich; ich kann nur beteuern, nichts damit zu tun zu haben. Es war ohnehin nicht der erste Anschlag auf Cheyenne.« Hiermit erinnerte Gordon an bisherige Konfrontationen der USA mit Terroristen und Widerständlern.

Cruz spürte, dass sein Gesprächspartner die Wahrheit sagte; darum hatte er seine Familie auch in den Cheyenne Mountain zurückkehren lassen. »Wer war es dann?«, fragte er nun.

Gordon lehnte sich zurück. »Ich weiß es nicht – noch nicht.«

Cruz kam mit großen Schritten auf ihn zu und blieb dicht vor dem Tisch stehen. Er schaute Van Zandt von oben herab an und sprach: »Eben ist eine Bombe in einer Kirche explodiert und hat Dutzende getötet. Geben Sie mir die Telefonnummer Ihrer Quelle, ich will selbst mit ihr reden.«

»Die Nummer bringt Ihnen nichts«, erwiderte Gordon. »Ich habe diesbezüglich bereits selbst nachgeforscht. Wenn man sie anruft, meldet sich niemand.«

»Uns stehen mehr Hilfsmittel zur Verfügung als Ihnen, also geben Sie sie mir«, beharrte Cruz.

»Und was bekomme ich dafür?«

»Jemand ermordet mehr als fünfzig Menschen, und ich muss diese Informationen erkaufen?«

»Ja. Ich bin hier, um für meine Unterstützer Freiheit auszuhandeln, und der Preis dafür sind Informationen.«

Der Stehende brauste auf. »Sie spielen mit mir.«

»Das tue ich nicht«, gab Van Zandt in entsprechendem Ton zurück. »Es ist tragisch, was heute passiert ist, und Sie müssen sich auf mehr gefasst machen, doch ich bin nicht bereit, einfach so etwas derart Wertvolles ohne Gegenleistung weiterzugeben.«

Cruz rieb erneut mit den Zähnen an seiner Unterlippe und wandte sich ab. Er kochte vor Wut, weil sein Gegner mit ihm feilschte und schacherte.

»Kommen wir nun ins Geschäft?«, drängte Gordon.

»Warum versucht man mich umzubringen?«

»Weil Sie der Präsident der Vereinigten Staaten sind.«

»Aber was ist der Grund dafür? Warum sollte mich jemand loswerden wollen? Ich bin nicht Conner, ja sogar das Gegenteil von ihm. Die Widerstandsbewegung kann es nicht sein; soweit ich gehört habe, nähert sie sich mir allmählich an.«

»Ich glaube aber, dass es die Widerstandsbewegung ist, vermutlich irgendein radikaler Flügel, dessen Mitglieder denken, ein Neubeginn sei nur möglich, indem man sich vom alten Regime befreit, und Sie, mein Freund, repräsentieren dieses Regime noch.«

»Was wollen die?«, fragte Cruz.

»Ihren Tod.«