Auf Schneeschuhen durch Grönland, Band 2 - Fridtjof Nansen - E-Book

Auf Schneeschuhen durch Grönland, Band 2 E-Book

Fridtjof Nansen

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Beschreibung

1887 begann Nansen mit den Vorbereitungen für eine Überquerung des großen Eisfeldes, das das Innere Grönlands bedeckt. Viele Fachleute schlossen die Möglichkeit eines Erfolgs aus, und sogar ein kleiner Zuschuss wurde von der norwegischen Regierung abgelehnt. Augustin Gamel, ein Kaufmann aus Kopenhagen, stellte diesen schließlich zur Verfügung , während Nansen den größten Teil der Kosten für die Expedition aus seinen privaten Mitteln bezahlte. Als Begleiter hatte er Otto Neumann Sverdrup, Kapitän O. C. Dietrichson, einen dritten Landsmann, und zwei Lappen erwählt. Die Expedition begann im Mai 1888 und führte von Leith nach Island, wo sie sich einem Robbenfänger anschloss, der zur Ostküste Grönlands fuhr. Am 17. Juli beschloss Nansen, das Schiff zu verlassen und sich einen Weg durch den Eisgürtel zum weit entfernten Land zu bahnen, aber die Gruppe stieß aufgrund des Eisdrucks auf große Schwierigkeiten, geriet in Treibeis und erreichte das Land erst am 29. Juli, nachdem sie in der Zwischenzeit weit nach Süden abdrifteten. Sie machten sich auf dem Treibeis wieder auf den Weg nach Norden und begannen am 16. August mit der Besteigung des Inlandeises. Am 5. September erreichten sie den höchsten Punkt der Reise und schließlich Ende des Monats die Westküste am Ameralik Fjord, wo sie von Stürmen, großer Kälte und anderen Schwierigkeiten empfangen wurden. Als sie die Siedlung Godthaab erreichte, musste die Gruppe dort überwintern. Erst im Mai 1889 gelang die Rückkehr nach Hause. Nansens Buch beschreibt die Abenteuer der Norweger und zeigt die wertvollen wissenschaftlichen Ergebnisse der Reise auf. Dies ist Band zwei von zwei.

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Auf Schneeschuhen durch Grönland

 

Band 2

 

FRIDTJOF NANSEN

 

 

 

 

 

 

 

Auf Schneeschuhen durch Grönland, Band 2, Fridtjof Nansen

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849680075

 

Übersetzerin: Mathilde Mann

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Kapitel XV. Unser letzter Zeltplatz an der Ostküste. Erste Wanderung auf dem Inlandseis.1

Kapitel XVI. Die Entwicklung unserer Kenntnisse von Grönlands Inlandseis und die früheren Versuche, in dasselbe einzudringen.15

Kapitel XVII. Wir verlassen die Ostküste.49

Kapitel XVIII. Wir verändern unsere Route auf Godthaab. Einige Mitteilungen über Klima und Schneeverhältnisse.66

Kapitel XIX. Die Wanderung über das Inlandseis. Ein Sturm im Inneren. Häusliches Leben.83

Kapitel XX. Segelfahrt über das Inlandseis. Land! Land! Der erste Trunk Wasser.94

Kapitel XXI. Abwärts bis an den Ameralik-Fjord.110

Kapitel XXII. Die Seereise in dem „halben Boot“. Die Ankunft in Godthaab.132

Kapitel XXIII. Die vier Zurückgelassenen im Austmannathal und deren Erlebnisse.148

Kapitel XXIV. Reisebericht des Grönländers Silas.162

Kapitel XXV. Unser Aufenthalt in Godthaab.173

Kapitel XXVI. Der grönländische Eskimo.182

Kapitel XXVII. Ein Jagdausflug nach dem Ameralik-Fjord.242

Kapitel XXVIII. Die erste Übungsstunde im Kajakrudern.256

Kapitel XXIX. Weihnachten in Godthaab.261

Kapitel XXX. Tagebuchaufzeichnungen aus Sardlok und Kangek.266

Kapitel XXXI. Abermals auf dem Wege nach dem Inlands-Eis. Umiarsuit! Umiarsuit! (Schiff! Schiff!) Die Heimreise.280

Anhang. Das wissenschaftliche Ergebnis der Expedition.291

Kapitel XV. Unser letzter Zeltplatz an der Ostküste. Erste Wanderung auf dem Inlandseis.

Früh am Abend, ungefähr um 8 Uhr, landeten wir endlich in dichtem Nebel bei unserm letzten Zeltplatz an der Ostküste von Grönland. Im selben Augenblick, als ich den Fuß ans Land setzte, stieg ein Schwarm Schnepfen auf und ließ sich gleich wieder auf einem Stein ganz in unserer Nähe nieder. Mit einem Schuss erlegte ich vier dieser leckeren Vögel; das war ein guter Anfang.

Balto war so mutig und obenauf, dass er, kaum an Land gekommen, die große Sünde beging, einen der Pfarrer in Finnmarken in einer längeren Messe nachzuahmen, was ihm vorzüglich gelang; er würde es jedoch niemals getan haben, wenn er seines Lebens nicht ganz sicher gewesen wäre. Heute leistete er sich auch sogar einen kleinen Fluch, was seit langer Zeit nicht mehr vorgekommen war. Ja, er lieferte Ravna sein neues Testament in lappländischer Sprache zurück, das er von diesem geliehen und für ihn aufbewahrt hatte. Er meinte, jetzt habe er keine Verwendung mehr dafür. Als Sverdrup ihm sagte, er solle seiner Sache nur nicht gar zu sicher sein, es wäre noch mancher harte Strauß zu bestehen, ehe er die Westküste erreichte, wurde er doch ein wenig bedenklich und hielt mit dem Fluchen inne. Wir hatten nach und nach eine gute Übung im schnellen Löschen unseres Bootes erlangt, niemals aber haben wir schneller gelöscht als an diesem Abend. Es lag ein fröhlicher Eifer in allem, was wir vornahmen, und derselbe wurde noch gesteigert durch mein Versprechen, Kaffee zu kochen.

In meinen Tagebuchaufzeichnungen von diesem Tage heißt es u. a. folgendermaßen: „Während die Boote geleert wurden, machte ich mich ans Kaffeekochen. (Es war die zweite warme Mahlzeit in den zwölf Tagen, die wir an der Ostküste zugebracht hatten.) Der Kaffee und das Abendessen wurden auf den Felsklippen unten bei den Booten in heiterster Stimmung eingenommen, — selbst die Lappen waren vergnügt. Wir hatten das Gefühl, einen Bestimmungsort erreicht und eine Schwierigkeit überwunden zu haben. Freilich stand uns der beschwerlichste Teil der Reise noch bevor, aber da war festerer Grund für unsere Schritte, sicheres Eis für unsere Berechnungen, — keine treibenden Eisschollen, keine Boote, die jeden Augenblick zerschellen konnten. Besonders für die Lappen war das Inlandseis mit seinen Schneefeldern heimischer als das wandelbare Treibeis. Die Landschaft, die uns umgab, würde nicht jedem Auge so schön erschienen sein wie dem unsrigen. Es waren graue Gneisfelsen, auf denen wir saßen, und zu beiden Seiten waren wir von Eisgletschern umgeben, die direkt ins Meer hinausgingen. Der Nebel hatte sich ein wenig verzogen, so dass auch der Berg (Kiatak) wenigstens teilweise sichtbar wurde. Auf dem Wasser schwammen hie und da einige Stücke Gletschereis. Es war eine Mischung von Grau und Weiß, hin und wieder von Blau unterbrochen, — graue Luft, bleigraues Meer mit weißen Eisschollen und graue Felsen mit weißem Schnee rings umher und dann ein klein wenig Blau in den Schluchten der Gletscher oder in dem Gletschereis draußen auf dem Wasser. Aber in unseren Herzen war kein Grau!“

Mit eigentümlich frohen Empfindungen legten wir uns an jenem Abend schlafen, nachdem wir ziemlich hoch am Berg hinauf einen passenden Zeltplatz gefunden hatten.

Aussicht gegen Osten von unserem letzten Zeltplatz an der Ostküste. Kiatak. Am Morgen des 11. August. (Nach einer Photographie.)

Der 11. August brach mit dem herrlichsten Wetter an. Von dem Platz vor dem Zelt sah man das blaue Meer sich im Sonnenschein bis an den Horizont erstrecken, nur hie und da schwammen weiße Eisberge auf der kaltblauen Tiefe, über welcher die vom schwachen Morgenwind erregten Wogen in der Sonne spielten und glitzerten. Im Süden sahen wir die Kolberger-Heide mit ihren Schnee- und Eismassen und ihren unzähligen Nunataks aus dem Meere aufragen. Vor uns im Osten erhob der Kiatak seine gewaltige Kegelform von der blauen Tiefe bis zu dem wolkenfreien, klaren Augusthimmel. Von diesem Steinriesen aus und überall nach Norden hin breitete das Inlandseis seine weißen Massen gegen den Horizont. Zuunterst werden diese Massen immer blauer, zerrissener und zerklüfteter, bis sie in einer hohen, zersplitterten Eiswand unten an der See enden. Von diesen tiefblauen Eiswänden stammen die vielen Eisstücke, die rings umher auf dem Meere schwimmen, und die mit donnerähnlichem Getöse herabstürzen. Ganz oben aber wölbt sich das Eis gleich einer einzigen weißen Fläche, die nur hie und da von einzelnen tiefblauen Spalten durchfurcht wird; schließlich verliert man sie aus den Augen, weiß und fast warm hebt sie sich von der bläulich grünen Farbe des Himmels ab.

Nicht viele Laute vernimmt man in dieser Natur. Nur die schrillen Schreie der Seeschwalbe dringen an dein Ohr, während du dort stehst, überwältigt von der großartigen, aber noch sterilen Schönheit dieser Natur. Von Zeit zu Zeit vernimmt man ein Getöse, das eine täuschende Ähnlichkeit mit Kanonenschüssen hat, — es ist das Krachen des Gletschereises, in dem sich ein neuer Riss bildet, oder das eine kleine Bewegung nach dem Meere zu macht. Vergisst man einen Augenblick, wo man ist, oder hört man dies Getöse des Morgens im Halbschlaf, so kann man sich gar leicht davon täuschen lassen.

Doch die Sonne ruft uns zur Arbeit, — da heißt es, das Frühstück in aller Eile einnehmen. Die meisten Mitglieder der Expedition werden sofort dabei angestellt, den Rost von den Schlittenschienen und später auch den von dem Stahlbeschlag der Schneeschuhe abzukratzen. In ihrem jetzigen Zustand, von Seewasser und Feuchtigkeit arg mitgenommen, würden wir nicht weit damit kommen. Dietrichson soll eine Karte über die Bucht, die Landzunge und die nächsten Teile des Inlandseises aufnehmen, während Sverdrup und ich unsere erste Wanderung über das Inlandseis vornehmen. Wir mussten ja untersuchen, ob hier vorwärtszukommen war, sowie wo es am besten war anzufangen. Ich kann nicht leugnen, dass wir vor Ungeduld brannten, einen ersten Blick über diese terra incognita zu werfen, die wohl noch kein menschlicher Fuß betreten hatte. Es mussten jedoch verschiedene Vorbereitungen gemacht werden, ehe wir fortkommen konnten; heute, wo die Sonne schien, mussten wir allerlei astronomische Observationen anstellen, auch einige photographische Aufnahmen ließen sich vorzüglich bei diesem Wetter machen. Endlich, als die Sonne den Meridian passiert hatte und wir die Mittagshöhe gemessen hatten, waren wir fertig. Der Futtersack ist geschnürt, ein Alpenseil und Eisäxte haben wir auch, und so ziehen wir von dannen, den Felsabhang (ich habe ihn Nordenskjöld Nunatak genannt) hinan, der sich vom Zelt aus eine Strecke landeinwärts hinzieht gleich einer Insel im Inlandseise. Bald waren wir oben angelangt. Vor uns lag eine kleine Moräne, von der wir eine gute Aussicht über das Eis hatten. Wir sahen jetzt, dass es nicht so eben war, wie es von der See aus schien, zahlreiche Risse durchfurchten die weiße Oberfläche nach allen Richtungen hin. Vor allem war dies der Fall über den beiden Eisströmen oder Gletschern, die sich zu beiden Seiten vor uns ausbreiteten, der eine nach Norden, der andere nach Süden zu. Nachdem wir den nördlichen Gletscher untersucht und seine Oberfläche als ganz unpassierbar befunden hatten, sahen wir ein, dass wir nur zwischen den beiden Gletschern an dem Rücken entlangkommen konnten. Eine ganze Strecke gelangten wir auch über spaltenfreies Eis vorwärts. Im Anfang war das Eis hart und holperig, es hatte eine scharfe, raue Oberfläche, die unter den Füßen knirschte und unsere Stiefelsohlen ganz unbarmherzig mitnahm. Später kamen wir an etwas weicheren, aber nassen, körnigen Schnee, wo der Fuß ein wenig versank. Es währte jedoch nicht lange, bis wir auf Risse stießen; im Anfang waren es ganz kleine, unschuldige, die wir mit Leichtigkeit überschritten, bald aber wurden sie breiter und, wie es schien, bodenlos. Wir konnten nicht einmal darüber hinwegspringen, sondern mussten um die Risse herumgehen, und auf diese Weise gingen wir bald links, bald rechts.

Bekanntlich laufen die Risse gewöhnlich quer über die Richtung, in welcher die Eisströmung sich vorwärts schiebt. Sie entstehen dadurch, dass die Eismassen sich über Erhöhungen und Unebenheiten des untenliegenden Terrains wölben, wodurch natürlich die untersten Schichten des Gletschers zusammengepresst werden, während der Schnee oder das Eis in den oberen Schichten voneinander gerissen wird und bis ganz an den Grund berstet, hierdurch wird ein Riss gebildet, der sich an der Erhöhung entlang zieht, über die der Gletscher sich bewegt. Allmählich, je mehr die Bewegung vorwärtsschreitet, bilden sich neue Risse, die alle ungefähr in derselben Richtung laufen.[1]

Eine ganze Weile ging alles gut, teils konnten wir uns am Rande der nördlich laufenden Risse halten — es war kein weiterer Umweg für uns —, teils waren sie nicht sonderlich lang. Sie wurden zum Teil schmäler, so dass wir darüber hinwegspringen oder sie umgehen konnten. Häufig gingen wir auch darüber hinweg über hohle Eisbrücken oder schmale Eisstreifen, die sich dadurch gebildet hatten, dass das Eis nicht ganz geborsten war, sondern dass ein Eisstreifen von einem Rande zum anderen hängen blieb und eine schmale, schräge Brücke bildete, von der herab man zu beiden Seiten in die blaue, bodenlose Tiefe hinabschauen konnte. Solange die Schneeschicht auf dem Eis dünn war, gab es keine Gefahr, man konnte sehen, wo fester Grund für den Fuß war, und wo man sich in Acht nehmen oder sich beeilen musste. Das Seil trugen wir um den Leib geknüpft, es musste ganz stramm gehalten werden, damit wir uns gegenseitig beim Hindurchfallen oder Ausgleiten stützen und halten konnten.

Allmählich, als wir weiterkamen, nahmen jedoch die Schneemassen auf dem Eis zu, wir versanken in dem nassen, körnigen Schnee bis über die Knöchel, das Gehen wurde beschwerlich, und der Schnee lag verräterisch bis über den Rand der Spalten, ja, er verdeckte sie zuweilen völlig, so dass sie wie eine ebene Fläche aussahen. Wir mussten vorsichtig tasten und überall mit unseren Stöcken in den Schnee stechen, sonst wären wir gar bald auf hohlen Grund geraten, wo nur eine dünne Schneeschicht uns von der Tiefe trennte, in die der Stab bei dem geringsten Druck versank. Sobald wir dies fühlten, zogen wir uns schleunigst zurück oder machten auch einen verzweifelten Schritt vorwärts, soweit die kurzen oder langen Beine es gestatteten, um wenn möglich auf der anderen Seite festen Grund und Boden zu erreichen, während der Kamerad sicheren Halt zu gewinnen sucht und das Seil sicher fasst, um einen genügenden Widerstand leisten zu können, falls die Schneekruste bersten sollte. Keiner von uns Beiden erlitt einen schlimmen Fall; ein paarmal sah es freilich böse aus, wir sanken bis unter die Arme durch den Schnee und fühlten die Beine in dem leeren Raum unter uns baumeln. Da dies auf die Dauer weniger angenehm war, suchten wir natürlich so bald wie möglich aus diesem Terrain zu gelangen, und nahmen unseren Kurs weiter südwärts, wo weniger Schnee lag und wo die Risse nicht so zahlreich waren. Da wir hier nicht so vorsichtig zu sein brauchten als bisher, kamen wir nun eine ganze Strecke lang schneller vorwärts. Allmählich hörten die Spalten fast ganz auf, dafür aber lag hier der nasse, körnige Schnee tiefer denn je zuvor, und es war unglaublich schwer, sich hindurchzustampfen, denn wir versanken bei jedem Schritt bis weit über die Knöchel. Wir bereuten es jetzt bitter, dass wir keine Skier oder indianische Schneeschuhe mitgenommen hatten. Unsere norwegischen „Truger“ hatten wir freilich auf dem Rücken, doch konnten uns die nicht nützen, da sie zu klein waren, um uns bei der Beschaffenheit des Schnees oben zu halten.

Die Steigung war ziemlich eben gewesen, seit wir in einer Höhe von ca. 125 m den festen Berg verließen. Vor uns im Nordwesten (rechtweisend) lag eine Höhe, von der wir die gewünschte Aussicht über das Eis haben zu müssen glaubten, falls wir nur dahin gelangen konnten. Wir schickten sehnsuchtsvolle Blicke hinauf, aber der Weg war lang und die Beschaffenheit des Weges, wie gesagt, niederträchtig. Indessen sind die Magen leer genug geworden, und die Sonne steht westlich genug, um uns an unsere materiellen Bedürfnisse zu mahnen. Wir legen die aus Weidenzweigen geflochtenen Truger auf den Schnee, stampfen ein Loch vor denselben und bilden uns so einen einigermaßen trocknen und warmen Sitz im Sonnenschein. Es war eine wahre Wonne, auf diese Weise ein wenig Ruhe genießen zu können, wir hieben kräftig auf unseren Pemmikan und unsere Biskuits ein, warfen einen Blick auf die Landschaft um uns her und genossen den wolkenlosen Himmel und das strahlende Wetter. Nur blendet uns der Sonnenschein, der von der weißen Schneefläche zurückgestrahlt wird, sehr. Leider haben wir die Schneebrillen im Zelt vergessen und können daher nichts gegen diese Unannehmlichkeit tun.

Plötzliches Fallen durch den eine Spalte verdeckenden Schnee.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)

Vor uns im Süden wölbt der breite Eisstrom seine zerrissene und durchfurchte Oberfläche bis zur See hinab, wir wissen, dass sich dort weiter nach unten zu einige Felskuppen befinden sollen, aber sie sind jetzt unserm Blick entzogen, und wir sehen nur das Meer, das dahinter liegt und seine blaue Fläche bis an den Himmelssaum erstreckt. Eigentliches Treibeis ist nicht zu erblicken, nur zerstreute Eisstücke, die hauptsächlich von den Gletschern herstammen. Welche Veränderung in den wenigen Wochen, die verstrichen sind, seit wir hier auf einer Eisscholle vorübertrieben. Damals lag das Treibeis von der Küste an 5 bis 6 Meilen ins Meer hinaus so dicht, dass nicht einmal unsere kleinen Boote hindurchkommen konnten, und jetzt hätte die größte Escadre überall ohne Schwierigkeit landen können, ja selbst ohne ein Eisstück zu berühren.

Aber der Mittag ist verstrichen, und wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir die Höhe noch vor Sonnenuntergang erreichen wollen; um die Zeit sieht man in größeren Entfernungen über die Schneeflächen am schärfsten.

Wir stampfen deswegen weiter mit erneuten Kräften, die nur Speise und Ruhe zu verleihen vermögen. Die Bodenbeschaffenheit wird immer ungünstiger. Eine etwas härtere Kruste, die oben auf lag und ein Überrest früherer Nachtfröste war, ermüdete uns sehr, indem wir unbarmherzig hindurchfielen, sobald wir den Fuß aufsetzten, und wenn wir ihn wieder erheben wollten, hing sie sich an den Knöcheln fest. Diese entsetzliche Beschaffenheit des Schnees kann den Stärksten erschöpfen, und wir empfanden das umso mehr, als unsere Beine völlig außer Training waren. Seit Monaten hatten sie nicht die geringste Bewegung gehabt, abgesehen von den vereinzelten Fällen, wo wir die Boote durch das Treibeis gezogen hatten. Unsere Muskeln über den Knien und in den Waden schmerzten gehörig.

Aber unbarmherzig ging es weiter. Wir mussten alle Kraft daransetzen, umso bald wie möglich auf die Höhe hinauf zu kommen, denn es sah so aus, als wenn wir Regen und bedeckte Luft bekommen könnten, wenn wir uns nicht sehr beeilten. Die Luft an dem höchsten Rücken entlang nahm bereits eine unheimlich graue, wollige Farbe an. Wir verdoppelten unsere Anstrengungen, und verlängerten unsere Schritte so viel wie möglich. Endlich, nachdem wir einmal über das andere geglaubt hatten, dass wir am Ziele seien, es aber immer wieder hinter einer Höhe hatten emporragen sehen, kamen wir auf den Gipfel der erstrebten Höhe, — aber ach! das Leben ist reich an Enttäuschungen! Wenn man einen Höhenrücken erreicht hat, liegt stets noch einer dahinter, der höher ist und die Aussicht versperrt, aber wir mussten auch dahin. Freilich konnten wir annehmen, dass wir während der zwei Meilen, die wir gegangen waren, das schlimmste Eis schon überwunden hatten, aber es konnte noch schlimm genug aussehen. Also vorwärts, so schnell die Beine uns tragen wollten, dem höchsten Punkt des Bergrückens zustrebend. Dort scheinen viele Risse zu sein, aber sie sind wohl nicht unüberwindlich. Während ein leichter Staubregen herabfiel, erklommen wir den ziemlich steilen Abhang, es geht schwerer denn je; wir sinken jetzt bis an die Schenkel in den Schnee, es hilft nichts, dass Regen und Wolken noch so sehr drohen, wir müssen hin und wieder anhalten und ein wenig uns verpusten, denn wir sind todmüde. Diesmal sieht es jedoch wirklich aus, als wenn wir uns nicht getäuscht haben, — wenn nur der Regen nicht alles in einen grauen Schleier hüllt, werden wir von oben schon eine gute Aussicht haben. Eine Strecke lang können wir schon sehen, ja ich entdecke sogar einen einzelnen mir bis dahin unbekannten Nunatak. Immer begieriger schreiten wir von dannen.

Endlich standen wir auf dem Gipfel und wurden nun reich belohnt für alle Mühe und alle Widerwärtigkeiten. In ihrer ganzen weißen Majestät lag die Fläche vor uns da. Der Regen fiel freilich noch immer wie ein feiner Staub, aber es war uns doch möglich, alle wünschenswerten Details zu erkennen, selbst die ziemlich entfernt gelegenen. Die ganze Fläche schien eben und ohne Risse zu sein ganz bis an den Horizont hinan. Darauf waren wir auch vorbereitet gewesen; was uns aber überraschte, waren die unzähligen kleinen und großen Nunataks, die über dem Schneemeer emporragten, selbst ganz weit ins Land hinein. Viele von ihnen waren ganz weiß und mit Schnee bedeckt, an einigen Stellen jedoch sahen dunkle, nackte Felsköpfe und Höhen aus dem Schnee hervor und bildeten einen scharfen Kontrast zu dieser blendend weißen Farbe, den Augen einen wohltuenden Ruhepunkt bietend. Besonders zeichnete sich ein kleiner Nunatak ganz im Hintergrunde durch sein Aussehen und seine Lage aus. Wir nannten ihn die „Jungfrau“. Weshalb er diesen Namen erhielt, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, vielleicht weil er so rein und jungfräulich aussah. Nur ganz oben am Kopf schimmerte ein klein wenig von dem dunklen Felsen hindurch, — gewissermaßen erinnerte seine Form auch an eine Jungfrau aus alten Tagen mit einem großen, weißen Krinolinenrock. Hinter diesem Nunatak ragten noch ein paar Gipfel empor, die ganz weiß waren und insofern noch mehr jungfräulich erschienen. Wir berechneten die Entfernung bis zu den hintersten Nunataks auf 5 bis 6 Meilen und konnten wohl kaum darauf rechnen, in den ersten Tagen bis dahin zu gelangen. Die Steigung war freilich eben und flach, soweit das Auge reichte, aber die Schneebeschaffenheit war, wie wir aus Erfahrung wussten, keineswegs gut, besonders die letzte Strecke war kaum passierbar gewesen. Wenn kein Nachtfrost eintrat, waren die Aussichten nicht gerade verlockend. Aber das Barometer zeigte uns, dass wir eine Höhe von über 900 m erreicht hatten, kamen wir noch ein paar tausend Fuß höher, so konnten wir doch, wenigstens während der Nächte, auf Frost rechnen. Arme naive Menschen, die in Grönlands Innern nach Frost seufzten!

Aber unser Ziel ist erreicht, — wir haben das Eis trotz Nunataks und trotzdem es sich so direkt vom Meer aus erhob, gleich von Anfang an passierbar gefunden, was wir kaum zu hoffen gewagt. Wir waren hungrig geworden, der Abend brach herein, es war nicht zu früh, uns abermals auf unsere Truger zu setzen und den Proviantsäcken ihr Recht widerfahren lassen.

Nachdem die Abendmahlzeit eingenommen war, galt es an den Rückweg zu denken. Wir sind wenigstens 2 Meilen vom Zelt entfernt. Es war wenig Grund vorhanden, denselben Weg einzuschlagen, den wir gekommen waren, — wir befanden uns ja auf einer Rekognoszierung und mussten deshalb untersuchen, ob ein Vordringen von einer anderen Seite nicht leichter für die Expedition sein werde. Wir hielten es für sehr leicht möglich, dass wir von dem Berge, der jetzt südlich vor uns lag, (auf Jensens Land) gut auf das Eis gelangen müssten. Man konnte hier hoch emporsteigen, hatte festen Grund und vermied dadurch einen Teil des schwierigsten Eises. Es war freilich ein wenig spät, um neue Wege auszuprobieren, aber das half nichts, Klarheit mussten wir haben, da musste die Nacht mit zur Hilfe genommen werden.

Da der Schnee hier oben loser und höher denn je lag, schnallten wir unsere Truger unter die Füße und versuchten, ob das nicht helfen könne, und wirklich, es ging bedeutend leichter. Mit erneuten Kräften traten wir den Rückweg an, uns in südlicher Richtung auf den Berg zu haltend. Es dunkelte jedoch schnell, und wir waren noch nicht weit gekommen, als es unheimlich schwer wurde, die Risse im Eis in der Entfernung zu erkennen. Es waren deren allerdings noch nicht viele, aber wir mussten darauf vorbereitet sein, sie bald in Unmenge zu treffen. Da galt es denn, sich längs dem Gipfel des Höhenrückens zu halten, der die Senkungen trennt, die zu beiden Seiten liegen. Hier kann man darauf rechnen, einigermaßen sicher zu gehen. Eine ganze Strecke geht alles gut, der Weg wird auch besser, ja so gut, dass Sverdrup die Truger abschnallt. In nicht allzu weiter Entfernung sehen wir schon den Berg, wo wir Wasser zu finden hoffen und wo wir Rast machen wollen, um unsere müden Glieder auf dem kahlen Fels auszustrecken. Wir sehnten uns unsagbar danach, festen Boden unter den Füßen zu verspüren, und das konnte nicht so übermäßig lange mehr währen. Aber wie oft täuscht man sich nicht in seinen Berechnungen, wenn man es mit Eis zu tun hat, es mag nun Treibeis oder Inlandseis sein. Wir waren noch nicht weit gegangen, als wir anfingen zu ahnen, dass unser Ziel zu erreichen dennoch „übermäßig lange“ und mehr als das währen würde. Wir kamen nämlich an ein Terrain mit so langen und so schlimmen Spalten, wie wir sie noch nicht getroffen hatten. Im Anfang ging es noch einigermaßen, und auf unseren Trugern konnten wir mit größerer Sicherheit hinüberspringen als vorhin ohne dieselben, mit größerer Kühnheit konnte ich mich nun über die Schneebrücken wagen, da ich nicht so leicht durchfiel. Wo die Brücken zu unsicher waren, um betreten zu werden, wählten wir eine andere, vorsichtigere Art und Weise, indem wir uns auf den Bauch legten und auf allen Vieren hinüberkrochen. Dadurch erhielt der Körper eine weit größere Fläche, auf der er ruhen konnte, und die Gefahr durchzufallen wurde bedeutend verringert.

Bald wurden indessen die Risse so breit, dass wir die Unmöglichkeit, hinüberzukommen, einsahen, — wir mussten sie umgehen. Und das taten wir denn auch im wahren Sinne des Wortes. Halbestundenlang gingen wir neben den Schluchten her, bald unterhalb, bald oberhalb derselben, aber sie wurden länger und länger. Schließlich kamen wir an eine Spalte, die breiter war als alle bisherigen; dass sie ebenfalls länger war, sollten wir auch gar bald erfahren. Wir wollten oberhalb des Risses entlang gehen, da wir der Meinung waren, dass er sich wahrscheinlich hier am ersten schließen würde, aber diesmal hatten wir uns gründlich geirrt. Wir gingen weiter und weiter und entfernten uns immer mehr von unserem Ziel, der Gipfel des Berges verschwand allmählich im Dunkel, aber die Spalte war und blieb gleich breit. Da waren keine Brücken, und in der Finsternis konnten wir keine Veränderung gewahren. „Alles hat ein Ende,“ sagte der Knabe, als er Prügel bekam! Wir gingen weiter und kamen denn schließlich auch diesmal ans Ende. Wir gelobten uns, dass es das letzte Mal sein sollte, dass wir oberhalb der Risse herum gingen; der andere Weg brachte uns jedenfalls dem Berge näher, und dort musste sicher Wasser für unsere brennenden Kehlen zu finden sein. Auf diese Weise kamen wir schneller vorwärts, und wir hatten nun wirklich die Freude, unser Ziel im Dunkeln wachsen zu sehen. Wir hatten nur noch wenige Schritte zurückzulegen, als wir vor uns einen dunklen Streifen oder eine dunkle Fläche auf dem Schnee entdeckten. Anfänglich glaubten wir, dass es eine neue Spalte sei, die uns von unserem Ziele trennte, wer aber beschreibt unsere Freude, als es sich herausstellte, dass es Wasser war, herrliches, fließendes Wasser! In größter Eile holten wir unsere hölzernen Becher heraus und tranken mit einer Wonne, wie nur der sie kennt, der einen ganzen Tag bis über die Waden in nassem Schnee herumgestampft hat, ohne einen Tropfen Feuchtigkeit zu genießen. Ich glaube kaum, dass es einen höheren Genuss im Leben gibt, als einen Trunk guten, frischen Wassers, wenn man dem Verschmachten nahe ist. Ist es Eiswasser wie hier, so trinkt man so lange, bis die eisige Kälte in den Zähnen und in der Stirn halt! sagt, dann macht man eine kleine Pause und trinkt von neuem. Still und andächtig saugt man das erquickliche Naß in sich hinein, damit die eisige Kälte nicht zu bald wiederkehren soll. Als wir so viel getrunken hatten, wie wir vorläufig vermochten, füllten wir unsere hölzernen Becher und unsere Feldflasche, legten die wenigen Schritte zurück, die uns noch bis zur Felswand übrigblieben, fanden einen guten Sitz auf einem vorspringenden Felsblock, und hieben aus allen Kräften in unser Pemmikan, in unsere Biskuits und die Fleischpulverschokolade ein.

Wo die Brücken zu unsicher waren, krochen wir auf allen Vieren hinüber.

(Von E. Nielsen nach einer Skizze des Verfassers.)

Aber da fing es an zu regnen, und das war weniger angenehm, auch nahm die Finsternis in dem Maße zu, dass wir kaum mehr als zwei Schritte weit vor uns sehen konnten. Wir hatten noch ein gutes Stück bis zum Zelte zurückzulegen, also abermals vorwärts! Wir nahmen unseren Kurs in südlicher Richtung über das Eis und dem Felsen entlang. Die Oberfläche war hier einigermaßen eben, was an festem Lande entlang oft der Fall ist, weil das Eis dort still zu liegen pflegt und an den Boden und die Felsseite festgefroren ist. Eine Weile ging es einigermaßen leicht, aber dann wurde der Abhang so steil und so glatt, dass wir uns nur mit genauer Not festhalten konnten. Um die Situation recht angenehm zu machen, traten nun auch unter uns große Risse im Eis auf. In der Finsternis konnten wir gerade noch die dunklen Abgründe erkennen, die bereit waren, uns, sobald wir einen Fehltritt taten oder ausglitten, in ihren Schoss aufzunehmen. Die Felswand über uns war so steil, dass wir nicht daran denken konnten, dort vorwärtszukommen, wir mussten bleiben, wo wir waren. Schließlich gelangten wir unversehrt an einen Ort, wo sich ein Bergabsatz in die Eismassen hinausschob. Zwischen der Bergwand und dem Eis befand sich eine mehr als 20 m breite, schwindelnd tiefe Schlucht, im Eis schimmerten verschiedene Risse durch das Dunkel; wie groß diese waren, konnten wir nicht entscheiden, das aber wussten wir, — unserem Vorwärtskommen setzten sie ein Ziel. Uns blieb nichts übrig, als über den Berg zu gehen und ein Tal, das ganz in der Nähe lag, zu passieren, um hinter den Bergabsatz zu gelangen und zu sehen, ob wir dort nicht vorwärtskommen könnten. Es war ein wahrer Genuss, wieder festen Grund unter den Füßen zu haben und tüchtig ausschreiten zu können. Trotz des Sturzregens, der uns bis auf die Haut durchnässte, machten wir eine längere Rast auf den Steinen. Wir wollten bis zum Tagesanbruch warten und dann erst auf das Eis zurückkehren.

Endlich brach der Tag rot und glühend an, einen warmen Schimmer über Himmel und Landschaft verbreitend. Unter uns lag das Eis, das scheinbar leichter zu passieren war, als wir erwartet hatten. Wir untersuchten, wo wir am besten vorwärtskommen könnten, und dann machten wir uns wieder auf den Weg. Obwohl unsere Wanderung über den Gletscher nicht weit von der Stelle entfernt war, wo er in die See fällt, war das Eis hier nicht so zerklüftet und unwegsam wie weiter nach oben hinauf. Uneben und holperig war es, voller in die Höhe stehender Eiszacken und scharfer Kämme mit Schluchten dazwischen, die oft recht schwer zu passieren, aber nicht tief waren; so lange, bodenlose Spalten, wie wir sie dort oben angetroffen hatten, fanden wir hier jedoch nur ausnahmsweise und nur an einzelnen Stellen. Der Grund hierzu muss in dem Umstand zu suchen sein, dass sie sich mit Wasser füllen, das gefriert, und so nur Unebenheiten im Eis bilden.

Bald waren wir glücklich hinübergelangt, und nach einem zweistündigen Marsch konnten wir uns endlich um fünf Uhr des Morgens an dem Anblick unseres Zeltes erlaben. Hier lagen, wie wir es erwartet hatten, Alle im tiefsten Schlummer. Das Erste, was wir taten, war, dass wir uns etwas Essen hervorholten und uns an dem gütlich taten, was das Haus zu bieten vermochte. Wir glaubten das nach unserem Spaziergang von 4 bis 5 Meilen redlich verdient zu haben. Dann krochen wir in unsere Säcke, streckten unsere Glieder aus und zogen bald in das schöne Land der Träume hinüber, höchlich befriedigt von dem Ausfall dieser unserer ersten Wanderung über das so viel besprochene und so gefürchtete grönländische Inlandseis, das so schwer zu besteigen und noch schwerer zu überschreiten sein sollte.

Schuhmacherwerkstätte an der Ostküste. (Nach einer Photographie.)

Ehe wir weiterzogen, hatten wir noch allerlei Vorbereitungen zu treffen, besonders bedurfte unser Schuhzeug der Ausbesserung und Versohlung, denn wir hatten bei unserer ersten Wanderung die Erfahrung gemacht, dass das Inlandseis starke Sohlen erforderte. Die Schlitten und Schneeschuhe mussten noch unter dem Stahl abgeschabt werden, um leicht zu gleiten, unsere Sachen mussten umgestaut und das, was wir zurücklassen wollten, hervorgesucht werden. Dies alles erforderte Zeit, und während der folgenden Tage konnte man die Mitglieder der Expedition auf dem Berge vor dem Zelte sitzen sehen, von verschiedenen friedlichen Beschäftigungen in Anspruch genommen, worunter das Schusterhandwerk den hervorragendsten Platz einnahm. Es war ein höchst eigentümlicher Anblick, uns in diesen Umgebungen sitzen zu sehen, die Stiefel zwischen den Knien, Pechdraht und Pfriem mit einer Fertigkeit handhabend, als hätten wir uns unser Lebelang mit nichts anderem beschäftigt.

Aber wir wollen diese fleißigen Gestalten nicht bei ihrer wichtigen Arbeit stören, sondern lieber einen Blick auf die Versuche werfen, die früher gemacht sind, um in das mystische Innere Grönlands vorzudringen, und untersuchen, welche Bedeutung es haben kann, sich Klarheit zu verschaffen.

Fußnoten:

[1] Wenn nun die Eismassen, nachdem sie solche Erhöhungen passiert haben, an eine Talsenkung oder einen Talkessel gelangen, wo die Krümmung des Terrains also anstatt konvex zu sein, konkav wird, so schließen sich diese Risse wieder, füllen sich mit Schnee und Wasser, frieren zu und verschwinden allmählich ganz wieder.

 

 

Kapitel XVI. Die Entwicklung unserer Kenntnisse von Grönlands Inlandseis und die früheren Versuche, in dasselbe einzudringen.

 

Nicht so sehr durch seine wildzerklüfteten Küsten wie durch seine mit Eis angefüllten Fjorde und sein mit Schnee und Eis bedecktes Inland nimmt Grönland eine Sonderstellung zwischen den Ländern auf der Oberfläche unserer Erdkugel ein. Dringt man in den von Menschen bewohnten Teil, vom Außenlande nach innen zu, an den Fjorden entlang, so stößt man bald ein paar Kilometer von der Küste entfernt auf ein unabsehbares Schnee- und Eisfeld, unter welchem alles Land verschwindet, und das den Gesichtskreis nach Osten zu, von Norden bis nach Süden beherrscht. Dies ist das Inlandseis, der größte Eisgletscher der nördlichen Halbkugel. Wie groß es ist, können wir noch nicht mit Bestimmtheit sagen; dass die Ausdehnung aber mindestens eine Million Quadratkilometer beträgt, wissen wir.

Sowohl Eskimos wie Nordländer, Alle machten an dem äußeren Rand desselben Halt, und zu allen Zeiten hat über dem Inlande ein Schleier gelegen, den Niemand ganz zu lüften vermochte, und hinter dem die wildesten Phantasien ihr Spiel treiben konnten, denn gleich wie alles, das in Finsternis gehüllt ist, hat auch Grönlands Inland eine eigenartige Anziehungskraft auf den Geist des Menschen ausgeübt.

Die Eskimos sind, so viel wir wissen, die ersten Menschen, die nach Grönland gekommen sind, folglich sind sie auch die Ersten, welche eine Bekanntschaft mit dem grönländischen Inlandseis gemacht haben. Wie lange dies her sein mag, ahnen wir nicht, wir wissen es nicht einmal ungefähr, denn die Annahme, dass die Eskimos erst vor 1000 Jahren nach Grönland gekommen sein sollen, ist — wie in einem späteren Kapitel nachgewiesen werden wird — meiner Ansicht nach sehr unwahrscheinlich.

Die Eskimos kamen aus Ländern, die an der westliche Seite der Baffinbucht und der Davisstraße gelegen und die nicht mit Inlandseis bedeckt, sondern teilweise bis ins Innere bewohnt waren. In Grönland entdeckten sie gar bald, dass überall nach innen zu das Eis ihnen hemmend entgegentrat. Dies hat sie sicher von allen Versuchen, weiter in das Land einzudringen, abgehalten, es hinderte sie jedoch nicht, den Schauplatz für die vielen Erzählungen über das Zusammentreffen und den Verkehr mit Völkern, welche im Innern der früher von ihnen bewohnten Länder hausten, dorthin zu verlegen. Diese Völker sind wahrscheinlich zum größten Teil Indianer von den nördlichen Küsten des nordamerikanischen Festlandes gewesen, und in der Sagenwelt der grönländischen Eskimos haben sie dann das Innere Grönlands als Inlandsmenschen bevölkert, denen gewisse übernatürliche Kräfte zuerteilt waren. In gleicher Weise sind wahrscheinlich auch die Sagen von den Wanderungen quer über das Inlandseis entstanden, falls man denselben überhaupt einen historischen Ausgangspunkt geben will. Es sind dies Wanderungen, die in kleineren, westlich gelegenen, von den Eskimos bewohnten Ländern ausgeführt worden sind. Eine bestimmte Vorstellung von dem Innern scheinen die Eskimos sich nicht gebildet zu haben. In den Gegenden, in denen es Rentiere gibt, kamen sie auf ihren Rentierjagden häufig mit dem äußeren Rand des Inlandseises in Berührung und wagten sich wohl zuweilen auch eine Strecke über denselben hinaus bis zu den Nunataks, auf denen die Rentiere ihre Zuflucht zu suchen pflegen. Sie erblickten hier überall nach innen zu, soweit das Auge reichte, Eis und Schnee; da ist es denn nicht unwahrscheinlich, dass sie sich das Ganze auf gleiche Weise bedeckt vorgestellt haben.

Die Norweger, die vor ungefähr 900 Jahren nach Grönland kamen und die die West- und die Südküste wahrscheinlich bis zum 15. Jahrhundert bewohnten, scheinen sich sehr bald eine verhältnismäßig richtige Auffassung von dem Lande und dem Inlandseise gebildet zu haben, wie man aus der Erwähnung desselben im „Königsspiegel“ ersehen kann. Die Stelle lautet in der Übersetzung folgendermaßen:

„Wenn du aber fragst, ob das Land frei von Eis ist oder nicht, oder ob es mit Eis bedeckt ist wie das Meer, so sollst du wissen, dass es einen kleinen Teil des Landes gibt, der frei von Eis ist, dass aber all das Übrige mit Eis bedeckt ist, weswegen man auch nicht weiß, ob das Land groß ist oder klein, sintemalen alle Gebirgsstrecken und alle Täler mit Eis bedeckt sind, so dass man nirgends eine Öffnung findet, aber es ist doch anzunehmen, dass es Öffnungen geben muss, entweder in den Tälern, die zwischen Bergen liegen, oder am Strande entlang, durch welche Öffnungen die Tiere sich hindurchfinden können, denn die Tiere könnten nicht aus anderen Ländern dorthin laufen, ohne eine Öffnung im Eis oder freies Land zu finden. Aber oft haben Leute es versucht, auf das Land zu gehen, auf die Berge, welche die höchsten sind, an verschiedene Stellen, um sich umzusehen und um zu erfahren, ob sie Land finden könnten, das frei von Eis und das bewohnbar sei, und haben sie es nirgends gefunden, ausgenommen dort, wo jetzt Leute wohnen, und das ist sehr wenig vom Rande des Meeres entfernt.“

Diese Beschreibung gibt ein so richtiges Bild, dass wir bis in die allerneueste Zeit kaum ein besseres zu geben vermochten.

Aber die alten norwegischen Kolonien in Grönland verfielen (siehe Kapitel 10) und starben aus, der Seeweg dorthin geriet in Vergessenheit, und damit verlor man auch die Kenntnisse, die bis dahin gesammelt waren. So lässt es sich denn erklären, dass wir im 17. Jahrhundert wieder auf die vollständigste Unwissenheit in Bezug auf das Land stoßen. Man legte Sunde, „Frobishersträdet“ und den „Beare-Sund“, quer durch dasselbe; ja auf einer Karte des Kartographen Meier aus der Mitte des Jahrhunderts wurde es sogar in eine Unmenge von Inseln zerstückelt, die dicht mit Wald bewachsen sein sollten, „wie in der Gegend von Bergen in Norwegen“.

Nachdem Hans Egede, wie bereits erwähnt, im Jahre 1721 nach Grönland kam und die neuere Kolonisation ihren Anfang nahm, erweiterte sich die Kenntnis der äußeren, nahe am Meer gelegenen Teile des Landes bald wieder, über das Innere scheinen jedoch, wenigstens in Europa, noch lange Zeit hindurch höchst merkwürdige Begriffe geherrscht zu haben.

Es währte indessen nicht lange, bis man sich mit dem Gedanken beschäftigte, die östlichen Kolonien (Oesterbygden), die man an der Ostküste vermutete (siehe Kapitel 10) quer durch das Land zu erreichen. Schon im Jahre 1723 erhielt Egede von dem Direktor der in Bergen ansässigen Kompanie, die an der Spitze des grönländischen Unternehmens stand, ein Schreiben, in welchem es u. a. heißt:

„Falls es nicht bereits geschehen ist, erscheint es uns ratsam, dass 8 Mann kommandiert werden, die über das Land marschieren können, denn nach der Karte scheint es, dass die Breite nur 12–16 Meilen beträgt, dort, wo es am schmalsten ist, um wenn möglich auf die andere Seite zu gelangen, wo die alten Kolonien gewesen sind, und unterwegs nach Wäldern zu inquirieren. Geschieht nun aber dies, so da wir gerne sehen würden, da müsste dieser Vorschlag zur ersten Sommerszeit ausgeführt werden, demnächst müsste die Mannschaft jeder mit seinem Ränzel mit Proviant sowie mit einem Gewehr ausgerüstet werden, desgleichen mit einem Kompass, auf dass sie ihren Weg wieder nach Hause finden können, und drittens hat sich die auskommandierte Mannschaft der größten Vorsicht zu befleißigen, sowohl in Bezug auf die Überfälle der Wilden, falls sie solche unterwegs antreffen sollten, wie auch in Bezug auf das Observieren aller Dinge; ja, wo sie passieren, müssen sie an den höchsten Stellen Merkzeichen errichten, die ihnen jetzt und später als Wegweiser dienen können“.[2]

Dies ist ein ganz amüsantes Beispiel, wozu eine Kolonialpolitik führen kann, die von einem Geographen im Lehnstuhl betrieben wird!

Egede[3] besaß indessen Verstand genug, um zu erwidern, dass er in Bezug auf diese Untersuchung keine Möglichkeit sähe, „solche mit Erfolg auszuführen“. Auf die Karten sei kein Verlass, „sintemalen ich,“ fährt er fort, „in der Zirkumferenz, in der ich bis dahin gereist habe, so viele Unrichtigkeiten darin finde“. Auch, meint er, würde „der beabsichtigte Marsch wegen der hohen Felsen und der anzutreffenden Schnee- und Eisberge und anderer unwegsamer Strecken ganz beschwerlich fallen“. —

Allmählich, als man mehr umherreiste und mehr von der Natur sah, gleichzeitig auch besser verstehen lernte, was die Eingeborenen zu berichten hatten, eigneten die Europäer, die in Grönland wohnten, sich bald eine richtige Auffassung von dem Innern des Landes an. Bereits wenige Jahre später (1727), ersieht man aus einem Brief aus Godthaab[4], dass man die Auffassung hatte, „dass sich von dem Rücken oder der Mitte des Landes aus nach Süden und Norden zu eine schreckliche Eisfläche oder ein mit Eis bedecktes Gebirge erstreckt“.

Als höchst eigentümlich kann hervorgehoben werden, dass schon im darauffolgenden Jahr (1728) der Gedanke auftauchte, der erst im Jahre 1888 zur Wirklichkeit werden sollte, nämlich, „dass einige junge, kräftige Norweger, die gewöhnt waren, im Winter in den Bergen auf Schneeschuhen zu laufen, einen guten Teil des Landes nach allen Seiten rekognoszieren sollten“.

Wenn man hieraus ersieht, welch’ eine verhältnismäßig vernünftige Auffassung man stellenweise von dem Lande hatte, so muss es im höchsten Grade überraschend erscheinen, dass im Jahre 1728 an den ersten und einzigen Gouverneur von Grönland, Major Claus Enevold Paars, der Befehl erging, „dass er keinen Fleiß und keine Mühe sparen, sich auch weder durch Gefahren noch Beschwerden abschrecken lassen solle, auf alle erdenkliche Weise und auf irgend einem Wege in die erwähnte östliche Kolonie Oesterbygden zu gelangen, um zu erfahren, ob sich dort noch Nachkommen der alten Norweger befänden, welche Sprache selbige redeten, ob sie noch Christen seien, oder ob sie Heiden geworden, sowie welche Obrigkeit und Lebensweise unter ihnen herrsche. Ferner solle Paars „richtig vermerken,“ u. a. „wie das Land beschaffen sei, ob sich dort Wald, Wiesen, Steinkohlen, Mineralien oder dergl. befänden, ob es dort Pferde, Vieh oder andere, dem Menschen dienliche Kreaturen gäbe“.[5]

Zum Nutzen und Frommen dieser Expedition wurden von Dänemark ausgesandt: 11 Pferde, ein Kapitän, ein Lieutenant; als Gemeine sollte Paars die „Entrepidesten der Godthaaber Garnison“ auswählen.

Dass diese Expedition, welche die erste und in ihrer Anlage gleichzeitig die großartigste aller derjenigen ist, die ausgegangen sind, um das Innere Grönlands zu erforschen, in der Form, in der sie ursprünglich geplant wurde, zu keinem Resultat gelangen konnte, liegt auf der Hand. Die Pferde[6] starben teils unterwegs, teils in Godthaab, und man wird gar bald zu der Einsicht gelangt sein, dass es keine so ganz einfache Sache sei, quer durch das Land zu reiten.

Nichtsdestoweniger unternahm Paars im darauffolgenden Jahr eine Entdeckungsreise bis an das Inlandseis. „Am 25. April 1729 um 12 Uhr ging der Kommandeur mit Lieutenant Richart und Assistent Jens Hjort sowie 5 Gemeinen im Namen des Herrn zu See und hisste die Segel unter Sturm und Schneegestöber.“[7]

Sie segelten weit in den Ameralikfjord hinein, ungefähr 10 Meilen, „worauf ich,“ schreibt Paars,[8] „gegen Bezahlung zwei der dort ansässigen Landsleute mitnahm, um uns den Weg zu zeigen.“

Es ist ein ganz eigentümliches Zusammentreffen, dass diese erste Expedition den Versuch machte, durch genau dieselbe Gegend auf das Inlandseis zu gelangen, wo die letzte Expedition herauskam. — Über diese Eiswanderung berichtet Paars in seinem Rapport an den König mit folgenden Worten:

„Nachdem wir zwei Tage marschiert hatten, gelangten wir am dritten gegen Mittag unter den Eisberg, als wir aber einige Stunden mit großer Lebensgefahr bergan vorgerückt waren, wurden wir im weiteren Vordringen durch die vorhandenen großen Klüfte gehemmt.“ (Hier folgt eine Beschreibung derselben.)

„— — Da wir sahen, dass jegliches Vorwärtsdringen unmöglich war, setzten wir uns auf das Eis nieder, feuerten nach dänischer Weise 9 Schüsse aus unseren Gewehren ab und tranken mit einem Glase Branntwein auf das Wohl unseres allergnädigsten Königs an einem Ort, an welchem dasselbe noch niemals getrunken wurde, welche Ehre auch dem Eisberg bis dahin niemals widerfahren ist; nachdem wir eine Stunde gesessen und uns ausgeruht hatten, kehrten wir wieder zurück.“

Als das „Bemerkenswerteste, das zu sehen war“ führt Paars in erster Linie „große Steine“ an, „die oben auf dem Eis lagen“. Diese, meint er, müssten „absolut durch heftige Winde und Wetter hergeführt sein, wie sie dort in unglaublichem Maße herrschen, denn das Eisgebirge ist anzusehen, als wenn man in das wilde Meer hineinschaut, wo kein Land zu sehen ist, so ist auch hier nichts zu sehen als Himmel und das blanke Eis. Ferner war das Eis, auf dem wir gingen, scharfkantig wie der weiße Zucker-Kandis, so dass man, wenn man über das Eis vordringen will, eiserne Sohlen unter den Schuhen haben müsste, so schlimm war es, auf dem Eis zu gehen.“

Dies ist das Wichtigste von dem, was Paars selber über seine Taten und Beobachtungen auf dem Eisberg berichtet. Hieraus ist zu ersehen, dass die Resultate der Expedition in keinem passenden Verhältnis zu den großartigen Vorbereitungen stehen. Wunderbar mag es erscheinen, dass Paars, der nicht weit von dem Ort, an dem wir herunterkamen, auf dem Eis gewesen sein muss, keine Stelle fand, wo er, falls ihm sehr daran gelegen gewesen wäre, weiter hätte vordringen können.

Am 7. Mai langte man wieder in Godthaab an nach der „fatalen und sehr beschwerlichen Reise“.

Ganz ohne Bedeutung ist diese erste Expedition aber doch nicht gewesen, denn wenn sie auch nicht in irgendwelchem erheblichen Maße die Anschauungen über das Innere des Landes in der Nähe der Kolonie hat verändern können, da man dort schon vorher durch die Grönländer ganz gute Berichte darüber erhalten hat, — so ist dies im Heimatland doch sicher der Fall gewesen. Es währte bis zum Jahre 1878, ehe der dänische Staat abermals eine Expedition nach dem grönländischen Inlandseis entsandte.

Im 3. Kapitel (Seite 128) ist bereits erwähnt worden, was in dem 1746 erschienenen Buch „Nachrichten von Island, Grönland und der Straße Davis“[9] von einem Versuch erzählt wird, der darauf hinausging, in das Innere des Landes einzudringen, „und zwar vermittelst der langen Fußbretter, deren sich die Lappen und Andere auf ihren Winterzügen bedienen“. Dieser Bericht ist nicht allein wegen der Erwähnung der Schneeschuhe von Interesse, sondern auch deswegen, dass es das einzige Mal ist, dass des Verlustes von Menschenleben bei den Expeditionen auf das Inlandseis Erwähnung geschieht.

Die erste ein wenig längere Wanderung über ein Stück des Inlandseises, von der wir wissen, wurde im Jahre 1751 von dem Kaufmann Lars Dalager unternommen, der ein wenig nördlich von Frederikshaab, wo er ansässig war, zwei „Nunataks“ besuchte, die eine oder zwei Meilen vom Rande des Inlandseises auf der Südseite von Frederikshaabs Eisblink belegen waren. Diesen Ausflug hat er am Schlusse seines Buches beschrieben, dessen Titel lautet:

„Grönländische Relationen u. s. w., zusammengestellt in der Frederikshaab-Kolonie in Grönland Anno 1752.“

Ende August hatte Dalager die Reise landeinwärts südlich von Frederikshaabs Eisblink aus angetreten.

„Mein Zweck war es,“ sagt er, „mich nach Kräften zu divertieren und nebenbei ein wenig zu schießen“.

Aber er kam bald auf andere Gedanken:

„Bei dieser Gelegenheit resolvierte ich gar bald, eine Reise auch der östlichen Kolonie Oesterbygden über die Eisberge zu machen, von wegen der neuen Entdeckung, die ein Grönländer im verflossenen Juli-Monat gemacht hatte, welcher so hoch oben auf Jagd gewesen war, dass er deutlich die alten Kablunakischen[10] Berge auf der Ostseite sehen konnte.

Dies brachte mich derartig in Bewegung, dass ich wenigstens wie weiland Moses Lust hatte, das Land zu sehen. Ich nahm den vorhin erwähnten Mann, seine Tochter, sowie drei junge Grönländer mit. Wir traten dann unsere Reise an, nachdem wir vorher tief in einen Fjord am südlichen Ende des Eisgletschers hineingeraten waren.“

Dalager hat sich scheinbar wie alle seine Zeitgenossen stark für die Auffindung der alten norwegischen Kolonie „Österbygden“ interessiert, die man noch nicht gefunden zu haben glaubte, und von der man allgemein annahm, dass sie an der Ostküste Grönlands gelegen haben müsse.

Man verließ den Fjord am 2. September 1751, am 3. September erreichte man den Rand des Inlandseises, „und am 4. gegen Morgen begaben wir uns,“ schreibt Dalager, „auf das Eis, um den ersten Berggipfel zu erreichen, bis zu welchem wir ungefähr eine Meile hatten. Der Weg dorthin war gerade so schlicht und eben wie auf den Straßen in Kopenhagen, der einzige Unterschied schien mir darin zu bestehen, dass es hier etwas glatter war. Dagegen hatte man aber nicht nötig nach den Seiten auszuweichen und im Schmutz zu waten, aus Furcht, von den Pferden und Wagen des Postmeisters übergefahren zu werden.“

Am nächsten Morgen zog man weiter nach dem obersten Berge auf dem Eisfelde, dem Omertlok, der auch ungefähr eine Meile entfernt lag, zu dem der Weg aber sehr uneben war, voller Spalten und Risse, so dass die Wanderung 7 Stunden in Anspruch nahm.[11] Von dem Gipfel dieses Berges hatte man eine weite Aussicht über das Eis, und in der Ferne über dem Eisrand im Nordosten wurden einige Berggipfel sichtbar. Diese hielt Dalager für die Berge auf der Ostküste Grönlands; wie unten näher erklärt werden wird, stellte es sich aber später heraus, dass es Nunataks waren, die nur wenige Meilen von dem westlichen Rande des Inlandseises entfernt lagen (Jensens Nunataks.)

„Als wir auf dem Gipfel des Berges angelangt waren,“ sagt er, „verfielen wir in Verwunderung über den großartigen Prospekt nach allen Seiten hin, namentlich über das weitläufige Eisgebirge am Lande entlang und quer hinüber bis nach „Öster-Böyden“, dessen Berge ebenso wie diese mit Schnee bedeckt waren.“

Auf diesem Gipfel blieb man bis um 7 Uhr des Abends, dann schloss Dalager „mit einer Rede an die Grönländer, die von den ehemaligen Bewohnern von Öster-Böyden, von ihrem leiblichen wie geistigen Wohlergehen handelte“.

„Indessen ging die Sonne unter, weshalb wir uns eine Strecke bergab begaben und uns schlafen legten.“

Dalager wäre gern weiter landeinwärts gedrungen, sah sich aber aus mancherlei Ursachen genötigt, auf die Heimreise bedacht zu sein; „einer der wichtigsten Gründe war, dass wir so gut wie barfuß gingen. Denn obwohl ein Jeder von uns für die Reise mit zwei Paar guten Stiefeln versehen war, so waren sie doch schon jetzt infolge der Schärfe des Eises und der Steine fast völlig verschlissen. Und da die eigens von uns mitgenommene Jungfer zum großen Unglück ihre Nähnadeln verloren hatte, konnten wir nichts flicken, weswegen wir sehr bestürzt waren, doch trösteten wir einander mit Gelächter, wenn wir die nackten Zehen aus den Stiefeln herauskriechen sahen.“

Am folgenden Tage (den 6.) traten sie deswegen den Heimweg an, und am 8. September gegen Abend erreichten sie den Zeltplatz unten am Fjord, „und — schließt Dalager — kann ich nicht unterlassen, hier zu melden, mit welch sonderlichem Appetit ich an dem Abend eine ganze Flasche portugiesischen Wein leerte, worauf ich bis um die Mittagsstunde des nächsten Tages schlief.“

Dalager gibt eine Beschreibung von dem, was er da drinnen erblickt. Hierin äußert er weit weniger Furcht, über das Inlandseis zu gehen, als viele seiner Nachfolger bis in die spätesten Zeiten davor zeigen. Er sagt u. a.:

„Um im Übrigen meiner Ansicht über die große Eisfläche Ausdruck zu geben, die uns verhindert, mit Öster-Böyden in Kommunikation zu stehen, so glaube ich, dass es in Bezug auf die Wege praktikabel ist, sintemalen es mir erscheint, als seien die Eisberge lange nicht so gefährlich wie man sie verschrien hat, und auch die Spalten nicht so tief, wie man behauptet“ u. s. w. Aus anderen Gründen hält er es indessen für eine Unmöglichkeit; so sagt er weiterhin: „Aber trotzdem bleibt es doch impraktikabel, auf einer solchen Reise zu reüssieren, aus den Gründen nämlich, dass man nicht so viel Mundportion mit sich schleppen kann, als wie man zu einer solchen Reise billig bedarf, demnächst die unerträgliche, harte Kälte; ich halte es für fast ganz unmöglich, dass irgend eine lebende Kreatur respirieren kann, wenn sie gezwungen ist, viele Nächte auf dem Eisfelde zu kampieren“ u. s. w.

Hier folgt eine ganz merkwürdige Beschreibung der Kälte, die so groß war, dass, obwohl sie alle gut gekleidet waren, und keiner von ihnen gerade ein Weichling war, „trotzdem die Glieder sich gleichsam zusammenzogen“, sobald sie sich eine Stunde auf dem Berge niederließen oder niederlegten. „Ich für mein Teil hatte als Unterbekleidung zwei gute Jacken und darüber einen Rentierpelz. Des Nachts wickelte ich mich in einen schönen, doppelt gefütterten Mantel und steckte die Füße in einen Sack von Bärenfell. Aber doch war dies alles nicht imstande, mich warm zu halten.

Ich kann sagen, dass in den vielen harten Winternächten, die ich in Grönland auf dem Felde kampiert habe, mich niemals die Kälte so inkommodiert hat, wie in diesen ersten Septembernächten.“

Diese bis dahin wenig beachtete Beschreibung teilt uns deutlich genug die ersten uns bekannten Beobachtungen der starken Kälte mit, welche durch die Ausstrahlung verursacht wird, und die wir in demselben Monat auf dem Inlandseise antrafen.

Nach Dalager und bis weit in unser Jahrhundert hinein wissen wir nur von wenigen Europäern, die das Inlandeis besucht oder betreten haben.

Einer dieser Wenigen ist der im vorigen Jahrhundert lebende grönländische Naturforscher, der Priester Fabricius, von dessen Hand wir eine Abhandlung über die Eisverhältnisse in Grönland besitzen.[12] Diese ist nach verschiedenen Seiten hin merkwürdig für die damalige Zeit und gibt einen ganz guten Begriff von den Eisbildungen in Grönland. Es geht daraus hervor, dass Fabricius das Inlandseis besucht haben und auf demselben gewesen sein muss.

Der deutsche Mineraloge Giesecke hatte während seiner 8jährigen Reise in Grönland (1806–13) mehrmals Veranlassung, den Rand des Inlandseises zu besuchen. Eine Auffassung von der wissenschaftlichen Bedeutung des Inlandseises hatte er indessen ebenso wenig wie andere Geologen seiner Zeit, und folglich trug er nichts von Bedeutung zur Förderung der Kenntnis desselben bei. Er machte dagegen seinen Eindrücken Luft in begeisterten Worten über die wilde Schönheit dieser Eisregion. Von einem Besuch des Eisgletschers bei Korok (oder wie er ihn nennt Kororsuak) in der Nähe von Julianehaab erzählt er, dass er, nachdem er ungefähr eine halbe Meile „auf dieser Polarbrücke“ zurückgelegt hatte, durch eine tiefe Spalte gehemmt wurde. „Ich legte mich auf den Magen und ließ einen 100 Fuß langen Faden, an dessen Ende ich einen Stein befestigt hatte, in die Eisschlucht hinabgleiten, ohne jedoch den Grund damit zu erreichen. Dann verließ ich diese gefährliche Promenade, von der ich mir keine Ausbeute für meine Zwecke versprechen konnte.“[13]

Nun verstreicht eine lange Zeit, in welcher das Innere Grönlands alles Interesse verloren zu haben scheint. Es war ja nun einmal festgestellt, dass man Oesterbygden auf alle Fälle nicht am leichtesten auf diesem Wege erreichen konnte, und dass von dem Inneren schwerlich Reichtümer zu erwarten waren. Die Vorstellungen, die man von dem Inlandseise hatte, scheinen indessen keineswegs klar gewesen zu sein, die sonderbarsten Phantasien wucherten üppig, und Einzelne glaubten, dass sich hinter der Eismauer fruchtbare Gefilde erstreckten, von denen die Rentiere kämen und wohin sie sich zurückzögen.

In der Mitte dieses Jahrhunderts wurde dann durch die Arbeit eines Mannes eine neue Zeit für unsere Kenntnis des grönländischen Inlandseises eingeleitet. Dieser Mann war Dr. H. Rink.

Durch eine Reihe gründlicher Arbeiten, welche die Früchte vieljähriger Reisen und Untersuchungen in Grönland waren, wo er sich längere Zeit teils als Naturforscher, teils als Kolonie-Direktor und teils als Inspektor aufhielt, leitete Dr. Rink die Aufmerksamkeit der Gelehrtenwelt auf Grönlands mächtiges Eisfeld und man machte die Entdeckung, dass es von ebenso hoher Bedeutung für die wissenschaftliche Welt war, wie man es früher für arm und interesselos gehalten hatte.

 

 

Justizrat Dr. H. Rink.

 

Rink wies nach, welche Mächtigkeit diese Eisdecke haben müsse, und welche enormen Eismassen jährlich von Grönland entsandt würden, da dies das einzige Land auf der nördlichen Halbkugel ist, auf dem größere Eisberge ihren Ursprung haben. Er hat später ausgerechnet, dass aus jedem der größeren Eisfjorde jährlich mehr als 1000 Millionen Kubikellen Eis ins Meer hinausgeführt werden.

Es war gleichsam eine ganz neue Welt, die durch diese Abhandlungen über das Inlandseis und seine Wirkungen der Wissenschaft erschlossen wurde. Freilich hatten schon mehrere Naturforscher, darunter der bekannte Louis Agassiz, die Vermutung aufgestellt, dass möglicherweise einstmals große Flächen Inlandseis existiert haben. Hier aber handelte es sich um ein noch jetzt vorhandenes Inlandseis, und es wurde den Geologen klar, dass große Teile von Europa und Amerika einstmals, sowie Grönland jetzt mit Eis bedeckt gewesen sein müssen, und dass hiervon die vielen Streifen und Furchen herrühren, die wir in den Felsen finden, die vielen Moränen und die vielen erratischen Blöcke, die über ganz Nord-Europa, oft an den überraschendsten Orten zerstreut liegen. Die Lehre von der großen Eiszeit entwickelte sich, und für die Geologie brach eine neue Zeit an.

Die Notwendigkeit, ausgedehntere Beobachtungen an dem einzigen Ort zu machen, an welchem noch heute ähnliche Verhältnisse obwalten wie zu jener Eiszeit, stellte sich gar bald heraus, und es wurde eine ganze Reihe neuer Versuche gemacht, in das Inlandseis Grönlands vorzudringen.

Den Anfang dieser Reise machte die Foxexpedition, die im Jahre 1860[14] unter der Leitung von Sir Allan Young ausgesandt wurde, wenngleich sie nicht geologischer Natur war. Es war ursprünglich, wahrscheinlich angeregt durch Oberst Schaffner, die Rede davon, eine Schlittenexpedition unter der Führung von Dr. John Rae, der hierin nicht wenig Erfahrung hatte, an der Ostküste von Grönland an Land zu setzen, um über das Inlandseis nach der Westküste zu gelangen und dadurch zu untersuchen, ob es eine Möglichkeit sei, auf diesem Wege einen Telegraphenkabel hinüberzulegen. Als man sich Mitte September der südlichen Ostküste näherte, wo nach Sir Allan Young’s Ausspruch (siehe Bd. I S. 288) eine Landung möglich war, scheinen sich Bedenken eingestellt zu haben, — man umschiffte das Kap Farvel bis zur Westküste. Hier machte Dr. Rae in Begleitung von Oberst Schaffner in den letzten Tagen des Oktobers und den ersten Tagen des Novembers von der Kolonie Julianehaab aus einen Versuch, in das Inlandseis einzudringen. Nach der Schilderung, die Lieutenant Zeilau,[15] der selber an der Expedition teilnahm, davon gibt, scheint es, als wenn Dr. Rae und sein Gefolge nur so weit vordrangen, dass sie „einen Blick zum Inlandseis hinaufsenden konnten“. Aus Dr. Raes eigenem Bericht geht indessen hervor, dass er wirklich seinen Fuß auf das Inlandseis gesetzt haben muss, dass er aber gleich auf eine sehr tiefe und breite Kluft stieß, die seinem weiteren Vordringen ein unüberwindliches Hindernis in den Weg stellte.[16] Eine merkwürdige Kluft!

Im selben Jahre (1860), ebenfalls im Oktober, machte der amerikanische Polarfahrer Dr. Hayes den Versuch, nördlich vom Porte Foulke auf dem 78° 18′ N. Br. in das Inlandseis einzudringen. Nach Dr. Hayes Angabe begann er die Wanderung am 22. Oktober und kehrte erst nach 6 Tagen zurück. Am ersten Tage erreichte man den Rand des Inlandseises, und am nächsten wurde die Wanderung über dasselbe angetreten. Man will an diesem Tage 5 englische Meilen auf dem Inlandseise zurückgelegt haben, am dritten Tage 30, am vierten Tage 25 englische Meilen, und dies alles teils auf dem allerunebensten Eis, teils auf sehr schwierigem Schnee, wo die Füße bei jedem Schritt die Kruste durchbrachen, welche den Schnee bedeckte. Auf welche Weise diese Entfernungen bestimmt wurden, davon verlautet nichts. Am fünften Tage will man durch einen sehr kalten und feuchten Wind zur Umkehr gezwungen worden sein, man will an dem Tage ca. 40 englische Meilen zurückgelegt haben. An dem dann folgenden Tage langte man bereits wieder im Winterhafen an. Hayes gibt eine haarsträubende Beschreibung von den Strapazen und von der Kälte, die, obwohl sie nicht so groß war wie auf unserer Expedition (das Thermometer fiel nur bis auf −34° Fahr.), ihnen doch beinahe das Leben raubte. Es muss höchst wunderlich erscheinen, dass diese tapferen Fußgänger sich sofort durch die Kälte bezwingen ließen.

Die Schilderung dieser Wanderung, die Dr. Hayes veranlasst, in einem besonderen Kapitel die wichtigen wissenschaftlichen Resultate u. s. w. zu besprechen, muss einem aufmerksamen Leser schon beim ersten Blick verdächtig erscheinen. Für Denjenigen, der die Verhältnisse genauer kennt, wird es keines tieferen Nachdenkens bedürfen, um einzusehen, dass es eine völlige Unmöglichkeit ist, 25, 30, ja sogar 40 Meilen an einem Tage auf Schnee von der von Dr. Hayes beschriebenen Beschaffenheit, und mit dem erforderlichen Gepäck auf einem Schlitten, zurückzulegen. Es ist, wenn nicht geradezu eine Unmöglichkeit, doch ein Stück Arbeit, wie man es Dr. Hayes und seinen Begleitern kaum zutraut, und selbst wenn man nichts weiter über die Zuverlässigkeit des Verfassers wüsste, würde man solchen Angaben gegenüber seine Zweifel erheben. Ruft man sich indessen ins Gedächtnis zurück, was De Bessels in Bezug auf Dr. Hayes Breitenmessung nachgewiesen hat, — dass er eine verkehrte Observation angegeben haben muss, um glauben zu machen, dass er nördlicher war, als er in Wirklichkeit gewesen, — da muss der Zweifel zur Gewissheit werden.

Die hier angeführten Tatsachen müssen ohne weitere Kommentare genügend erscheinen, um Jedermann davon abzuhalten, wissenschaftliche Schlussfolgerungen aus diesem Bericht zu ziehen. Es ist umso mehr zu beklagen, als es die einzigen Aufzeichnungen sind, die wir über eine Eiswanderung in dem nördlichen Teile Grönlands besitzen.

Im Jahre 1867 machte der bekannte englische Bergbesteiger Edward Whymper einen Versuch, von einem kleinen Fjord (ungefähr auf dem 69° 25′ N. Br.) Ilordlek nördlich von Jakobshafen in das Inlandseis einzudringen. Whymper war der Ansicht, dass er möglicherweise eisfreies Land im Innern Grönlands vorfinden würde, und dass es nicht unmöglich sei, dass dies Land aus „losgelösten Landmassen oder Inselgruppen bestehe, wie man sie überall in den arktischen Gegenden antrifft. Die Entfernung der Ostküste des Landes bis zur Westküste war hinreichend groß, um das Vorhandensein unbekannter Fjorde und Einschnitte der See möglich erscheinen zu lassen“. Dass dort eisfreies Land sein müsse, glaubte er aus dem periodischen Auftreten und Verschwinden großer Rentierherden an der Westküste schließen zu können. Diese Tiere mussten aller Wahrscheinlichkeit nach „grasreiche Täler und Zufluchtsstätten“ im Innern haben, wohin sie sich zeitweise zurückzogen.[17] Wie ersichtlich, hat dies Räsonnement viel Ähnlichkeit mit dem Ausspruch, den der Verfasser des „Königsspiegels“ bereits 400 Jahre früher getan (siehe Bd. II. S. 22).

Whymper hatte es sich als Ziel gesetzt, bis zu diesen schneefreien Stellen vorzudringen, und seine im Jahre 1867 unternommene Reise scheint nur eine vorbereitende Tour für eine etwaige größere Expedition gewesen zu sein.

Nachdem er am 15. Juni bis Jakobshafen an der Diskobucht vorgedrungen war, unternahm Whymper drei Tage später mit einem aus Eskimos bestehenden Gefolge seinen ersten Ausflug an den Rand des Inlandseises, ein wenig landeinwärts von dem südlichen Arm des Ilordlek-Fjords, der 20 englische Meilen nördlich von der Kolonie gelegen war. Es war seine Absicht, zu untersuchen, inwiefern sich dieser Ort für den Beginn einer Eiswanderung eignete, und ob Hunde und Schlitten, die man dazu benutzen wollte, zweckmäßig seien. Das Aussehen des Inlandseises zeigte sich schon bei dem ersten Blick, den Whymper darauf warf, weit ebener und weniger abschreckend, als er es erwartet hatte, und man unternahm sogleich einen Ausflug in dasselbe.

Sie drangen ohne Schwierigkeit vor, und je weiter sie kamen, desto besser und härter wurde der Schnee. Nachdem sie ungefähr 6 englische Meilen zurückgelegt und eine Höhe von 1400 Fuß erreicht hatten, schien sich das Terrain, soweit ihr Blick reichte, nicht zu verändern, deshalb hielten sie es für zwecklos, weiter vorzudringen; sie hatten erreicht, was sie wünschten, sie hatten gesehen, dass sich die Schneefläche vorzüglich für eine Fahrt mit Hundeschlitten eignen würde, und die Eskimos, die sich in ihrem Gefolge befanden, versicherten Whymper, dass sie auf diesem Schnee bequem „35 bis 40 Meilen (engl.) pro Tag“ zurücklegen könnten.

So kehrten sie den mit den besten Hoffnungen auf einen günstigen Ausfall ihrer Reise zurück, „denn es schien ihnen nichts vorhanden zu sein, was einer Wanderung quer durch Grönland hemmend in den Weg treten konnte“.

Da das Inlandseis bei Ilordlek nicht ganz an den Fjord hinunterreicht, wollte Whymper versuchen, einen günstigen Ort zu finden, wo dies der Fall war und von wo aus sie dann gleich ihre Eiswanderung antreten konnten, ohne erst ihr Gepäck über Land zu schleppen.

Zu diesem Zweck unternahm er dann am 24.-27. Juni noch einen Ausflug an den Rand des Inlandseises, diesmal südlich von Jakobshafen nach dem bekannten „Jakobshavnsisfjord“. Hier war indessen das Eis so zerklüftet und uneben, dass von einem Vordringen mit Hundeschlitten keine Rede sein konnte, und man entschloss sich deswegen, den vorhin besuchten Ort zum Ausgangspunkt der Expedition zu nehmen.

Zu diesem Unternehmen bedurfte es indessen einer Reihe von Vorbereitungen, welche Whymper die verzweifeltsten Schwierigkeiten machen sollten. Gerade um diese Zeit raste eine tödliche Seuche (Brustkrankheit, „brystsyge“) in den Kolonien an der Diskobucht, die Jung wie Alt dahinraffte. Von Jakobshafens 300 Einwohnern lagen 100 krank darnieder. Dies lähmte alle Unternehmungslust. Unglücklicherweise waren außerdem auch noch die meisten brauchbaren Schlittenhunde in der Umgegend ganz kürzlich einer Hundeseuche erlegen, weswegen es große Schwierigkeiten machte, die nötige Anzahl von Hunden aufzutreiben.

Das Material für die hölzernen Hundeschlitten hatte Whymper aus Europa mitgebracht, aber die Wenigen, welche Schlitten verfertigen konnten, waren vollauf in Anspruch genommen durch das Zimmern von Särgen für alle Diejenigen, die an der vorhin erwähnten Seuche starben. So blieb denn nichts weiter übrig, als gewöhnliche grönländische Hundeschlitten zu benutzen, die aus schlechtem Material angefertigt und keineswegs für eine solche Expedition geeignet waren. Als Nahrungsmittel für die Teilnehmer der Expedition wie für die Hunde hatte man sich mit Hudsonbay-Pemmikan versehen. Da es sich indessen herausstellte, dass die grönländischen Hunde diesen Stoff nicht fressen wollten, so musste man gedörrtes Seehundsfleisch von allen Ecken und Kanten zusammensuchen. Dies war freilich leichter gesagt als getan, denn da die Mehrzahl der guten Seehundsfänger krank darniederlag, herrschte in der ganzen Gegend fast eine Hungersnot.

Endlich waren dann die meisten Schwierigkeiten so ziemlich überwunden, und am 20. Juli konnte die Inlandsexpedition, die außer Whymper aus drei Eskimos und zwei Europäern bestand, aufbrechen. Einer der Letzteren war der Engländer Robert Brown, der sich in England dem Unternehmen angeschlossen hatte.

Nachdem man einige Tage damit hingebracht hatte, die Bagage vom Ufer des Fjords an den Rand des Inlandseises zu schaffen, musste man noch drei Tage warten, da man die Eiswanderung wegen eines anhaltenden Windes nicht antreten konnte.

Inzwischen bestieg Whymper einen nahegelegenen Hügel, um eine Aussicht über das Eis zu haben; wie unangenehm sah er sich aber berührt, als er die überraschende Entdeckung machte, dass das Eis sein Aussehen vollständig verändert hatte, seit er es vor einem Monat gesehen. Damals war alles mit dem „reinsten, fleckenlosesten Schnee“ bedeckt gewesen; jetzt aber war aller Schnee vollständig geschmolzen und hatte ein wahres Meer von Eis hinterlassen, dass von Millionen von Spalten und Rissen in allen erdenklichen Formen und Dimensionen durchkreuzt war. Alle kühnen Hoffnungen Whympers waren zu Wasser geworden. Als das Wetter am 26. Juli besser wurde, machten sie trotzdem einen Versuch, östlich über das Eis vorzudringen. Nach wenigen Stunden, und nachdem sie sich nur ein paar englische Meilen vom Rande des Eises entfernt hatten, mussten sie jedoch Halt machen, da eine Schiene an einem der größten Schlitten zerbrach. An einem der kleineren Schlitten war auch bereits eine der Schienen der Länge nach gespalten, und der Rest war durch die Stöße auf dem unebenen Eis sehr gebrechlich geworden.

Whymper sah jetzt die Unmöglichkeit ein, weiter vorzudringen, doch sandte er der Form halber drei seiner Begleiter[18] eine oder zwei englische Meilen weiter landeinwärts, um zu untersuchen, ob das Eis besser würde, obwohl er sehr gut wusste, dass es viele Meilen weit unverändert war. Als die Sendboten wiederkehrten und berichteten, dass das Eis eher schlechter als besser werde, trat man den Rückweg an.

Nach dieser Reise scheint Whympers Glaube an schnee- oder eisfreie Strecken im Innern Grönlands erschüttert zu sein. In seinem Buch: „Scrambles amongst the Alps“ 1871 schreibt er Seite 246: „Grönlands Inneres scheint vollständig mit Gletschereis bedeckt zu sein zwischen dem 68° 30–70° N. Breite.“ Weil er auf der letzten Expedition, soweit das Auge reichte, zerklüftetes Gletschereis erblickte, vermutet er, dass sich das Eis oder das schneebedeckte Land in einer bedeutenden Ausdehnung erstrecken muss, „denn zur Bildung einer so ungeheuren Gletschermasse ist ein ganz kolossales Schneereservoir erforderlich.“ Er taxierte die Höhe des inneren sichtbaren Teils des Inlandseises auf „nicht weniger als auf 8000 Fuß“. Dies ist wahrscheinlich reichlich hoch gegriffen, wird aber die richtige Höhe nicht weit übertreffen.

Mit der Wanderung, welche der Freiherr A. E. Nordenskjöld gemeinsam mit dem jetzigen Professor Berggren von dem nördlichen Arm des Aulatsivikfjordes (südlich von Egedesminde auf dem 68° N. Br.) auf das Inlandseis unternahm, beginnt so zusagen eine neue Phase in der Geschichte der grönländischen Eiswanderungen.