Aufgetrennte Tage - Gudrun Seidenauer - E-Book

Aufgetrennte Tage E-Book

Gudrun Seidenauer

4,7

Beschreibung

Die Geschichte zweier Frauen, Mutter und Tochter, die eine gemeinsame Vergangenheit haben, aber ihre Erinnerungen nicht teilen können. "Hermann ist tot, jetzt weiß sie es wieder ganz genau." Mariannes Mann ist über die Treppe gestürzt und hat sich das Genick gebrochen - ein Unfall. Sie weiß genau, wann das war: Sie hat es sich auf einem Zettel notiert, um es nicht zu vergessen, wie sie manchmal auf das Mittagessen vergisst oder den Namen der Nachbarin oder ihre Tabletten. Marianne hat Alzheimer, sie verliert ihr Gedächtnis, nun hat sie auch noch ihren Mann verloren. "Sie weint, weil sie weiß, dass es zu spät ist, obwohl er tot ist." Ein Unfall? Friederike, Mariannes Tochter, hat Zweifel. Ist ihre Mutter zur Mörderin geworden, um sich zu befreien? Während sich Friederike durch den Tod ihres Vaters dazu gezwungen sieht, sich ihrer Mutter zu stellen, weicht diese immer weiter zurück: in eine Vergangenheit, in der sie noch Kind war und noch keine Taschen und Zettel brauchte, um nicht zu vergessen. "Aufgetrennte Tage" ist Gudrun Seidenauers zweiter Roman: behutsam, berührend und mit einer Einfühlsamkeit, die nie auf Kosten der sprachlichen Genauigkeit geht.

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Gudrun Seidenauer

Aufgetrennte Tage

Roman

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2009 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:978-3-7017-4426-8

ISBN mobi:978-3-7017-4427-5

ISBN Printausgabe:978-3-7017-1514-5

1 Was wissen die

Die Maschen fallen von den Nadeln, eine nach der anderen. Noch wissen die Hände, wie man sie wieder auffängt, der Wollfaden gleitet zweimal um den Zeigefinger der Linken wie zehntausende Male zuvor und strafft sich, so fest, dass eine spiralige rote Spur auf der Haut zurückbleibt. Halbpatentmuster, ihr Leben lang kennt sie es, sie mag das leicht Füllige daran und die klaren Linien. Ihr Leben lang strickt sie schon, abends, Westen, Schals, Pullover. Lieber für andere als für sich selbst. Sie bevorzugt feinere, maschingestrickte Gewebe. Handgestricktes trägt auf, sie sieht darin dicker aus, findet sie. Sie streicht über ihre Hüften, die in der Miederhose stecken, und seufzt. Ein weichlicher Fleischring über dem Bund war da immer, seit sie denken kann. Jetzt ist er weg, aber sie kann ihn noch fühlen. Es ist einerlei, jetzt. Neulich war sie einkaufen, und als sie nach Hause kommt, bemerkt sie, dass sie nur die Strumpfhose unter dem Wintermantel trägt. Sie hat dann lange gebraucht zum Anziehen und das Mittagessen vergessen, egal. Seit er weg ist, braucht ja sie nicht mehr zu kochen. Noch einmal gleiten die Hände über die Hüften, auf und ab, aber sie bemerkt es nicht. Sie strickt schön, nicht zu locker, nicht zu fest. Die Finger prüfen die fertigen zwei Handbreit. Ein Schal, lilagrau meliert. Für ein Mädchen, eine Frau. Ein Schal für wen? Der Kopf sticht. Wieder die tiefen Röhren, die direkt aus dem Blick zu wachsen scheinen. Enger. Es ist dunkel und flimmert an den Rändern. Vom Zimmer bleiben münzgroße Lichtpunkte, die sie fixiert, als käme es darauf an, diesen Rest an Helligkeit festzuhalten. Die Finger krampfen, der Schmerz schießt von beiden Händen heiß in die Schultergelenke, verknotet sich im Nacken. Die Augen irren umher. Atmen. Ein, aus, ein. Die Lichtscheiben werden wieder größer. Da das Foto der Tochter auf dem Beistelltischchen. Für die Tochter, freilich! Für die Kleine. Das Fotolächeln wird den Schmerz auflösen, nicht gleich, aber sie spürt es schon. Sie steht nicht auf, lässt das Strickzeug nicht los. Ein Blick genügt. Jetzt sind wieder alle Maschen auf den Nadeln. Es ist noch früh heute, erst zwei, und sie wundert sich plötzlich, warum sie um diese Zeit schon strickt. Abends, sie hat doch immer abends gestrickt. Nur in den Jahren nach dem Krieg, als sie mit der Mama in der kleinen Wohnung am Hauptplatz in Kaltern gewohnt hat, wurde auch tagsüber gestrickt, für den Kurzwaren-Morandell. In grauen Kartons, die sich im Vorzimmer, unter der Schlafcouch, unter dem Küchentisch stapelten, lagen die Wollknäuel und wurden nicht weniger. Wo man ging und stand, stieß man mit den Füßen dagegen. Auch die Wolle war grau, dunkelblau, tannengrün oder braun, manchmal schwarz, die schwarze nahm dann immer sie, weil sie die besseren Augen hatte, die brannten aber trotzdem nach den langen Samstagnachmittagen und verregneten Sonntagen. Die Finger wurden steif vom Stricken und die Schultern taten weh. Aber anders weh als jetzt, das weiß sie, ohne den Unterschied benennen zu können. Wenigstens war es neue Wolle, nicht die aufgetrennte aus den Kriegsjahren, die sich immer so kräuselte und nie ein wirklich gleichmäßiges Gewebe ergab, egal, wie schön man strickte. Socken, Socken, Socken. In Zopfmuster. Helle Kniestrümpfe. Sie kramt einen Zettel aus der Kitteltasche, schreibt, faltet ihn sorgfältig zusammen. Und sie hat schön gestrickt, ja. Wie maschingestrickt, Fräulein Mariann, sagte der alte Morandell, wenn er mit seinen breiten gichtigen Händen über die Socken fuhr und mit der Zunge in den Mundwinkel, sie angrinste und ihr einen Schritt zu nah kam, sodass sie die Kante der Küchenkredenz im Kreuz spürte. Er roch säuerlich, nach Weinkeller und Pfeife, und die Kartons mit der Wolle rochen genauso. Sie meinte, auch an der Wolle selber hafte dieses Dumpfe, Gierige, und sie wusch sich immer die Hände nach dem Stricken, ließ das kalte Wasser minutenlang rinnen und schrubbte, bis die Mutter kopfschüttelnd den Hahn zudrehte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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