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Genre: Gay Romance, Queer Fantasy, Abenteuer, New Adult, Fantasy, Comedy Thema: Meermänner, Unterwasser, Unterwasserwelt, trans Mann, trans Mann x cis Mann "Dieses Mal muss es klappen!" Prinz Aurelian von Aquenos ist aufgeregt. Die Angst hat den jungen Meermann fast gänzlich aufgezehrt und wenn ihm die Beschwörung einer magischen Waffe wieder nicht gelingt, wird er sich in ein Monster verwandeln. Nur gut, dass dieses Mal die höchste, die hundertprozentige Vereinigung mit einer Waffe tatsächlich glückt. Als seine Mutter, Königin von Aquenos, davon erfährt, wird Aurelian obendrein gleich verlobt: Mit Kayron, dem Schwertmeister des Königinnenreichs Goldträne. Die Verlobung soll das angespannte Verhältnis zwischen den beiden Fischwesenreichen verbessern und deshalb sind Aurelian und Kayron gezwungen, sich allmählich aneinander zu gewöhnen. Aurelian hat damit kein Problem. Kayron jedoch umso mehr. Ob sie als Team funktionieren, wird sich bei ihren kommenden Aufgaben und Abenteuern zeigen. Aurelian ist vollauf begeistert, ein gutes Team mit Kayron zu bilden, nur schafft er es immer wieder, sie in Schwierigkeiten zu manövrieren. Ob Kayron die impulsive Art des Prinzen lieben lernt, oder ihn an Land wirft, wird sich zeigen. Eines jedoch kann er nicht leugnen: Die Verbindung mit Aurelian weckt Gefühle in ihm. In der Welt Aurelians verzehrt die Angst die Herzen der Wesen und verwandelt all jene, die kein passendes magisches Instrument beschwören können mit dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr in Angstkreaturen. Diese sind nur auf das Verschlingen der Herzen geeicht. Die Wesen lernten damit umzugehen, aber dennoch stellt die Angst eine ständige, stille Bedrohung dar. Tauche mit Kayron und Aurelian in eine magische Unterwasserweilt ein. Sei dabei, wenn die beiden gegen dunkle Wesenheiten kämpfen, den Alltag in Aquenos erleben und sich dabei näher kommen. Dieser Roman enthält außerdem zahlreiche Illustrationen im Manga/Anime-Stil und ist somit ein Anime zum Lesen. Anmerkung: In der Welt Aurelians kommt Ableismus vor, deshalb werden ableistische Begriffe wie Idiot und doof verwendet. Nicht übermäßig, aber sie kommen vor.
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Seitenzahl: 635
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Hinweis: Alle Inhalte des Werks sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen, Unternehmen, Einrichtungen, etc. sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Diese Welt ist nicht frei von Ableismus, weshalb hin und wieder ableistische Wörter wie ‚doof‘ oder ‚Idiot‘ fallen.
Möglicher Trigger: Geschlechtsdysphorie
Zur Geschichte: Obwohl die Welt frei erfunden ist, haben wir Autoren uns über Meereslebewesen informiert, um ein möglichst authentisches Setting zu kreieren. Die meisten Wesen und Fische sind frei erfunden und existieren so nicht in der realen Welt.
Ziehe deinen Kreis, Kind, und raune. Und glaube. Und staune. Schließe deine Augen, Kind, und summe. Und bete. Und brumme. Empfange dein heiliges Instrument. Auf dass euch niemand jemals trennt.
- aquenostisches Kinderlied
Einst lebte ein König,
hunderte Jahre zuvor.
Dieser gierte nach Macht,
gegen die er verlor.
Die Zauberin Antoinette
beschwor für den Tyrann,
die Verbotene Angst,
damit er den Krieg gewann.
Die Angst kam hernieder,
zu den Menschen ins Herz.
Sie fuhr schnell in sie ein,
und zerriss sie im Schmerz.
Die Angst löschte alles
und gefühlt jedes einzeln‘ Wesen.
Und zerstörte die Welt,
hät‘ sie die Formel nicht gelesen.
Naladie hob die Händ‘
und rief das ew’ge Leben.
Die Beschwörung nahm ein End,
die Erde begann zu beben.
Am Ende waren alle tot.
Und die Zeit lief dahin.
Finsternis und Bosheit.
Nichts Gutes war im Sinn.
Am Ende wurd‘ sie erhört‘.
Das Leben half der Welt.
Es spaltete die Wesen auf.
In Waffe und in Held.
Solange sich zwei finden.
Und sich innig freuen.
Solange sind sie ohne Angst
und werden nichts bereuen.
- Lied der Völker
Prolog
Die Beschwörung
Keine Angst
Ich hab’s geschafft!
Auf der Jagd nach Lob
Zeig mir dein Gesicht!
Der neue Meister
Lewellyn
Prinz Aurelian ist ein Kindskopf!
Er darf mich nicht erkennen!
Sieh, wie ich für dich tanze!
Oberwasser ist alles anders
Der schlimmste Tag meines Lebens!
Verlobungsnacht?
Erste Annäherung
Drohungen
Sieg oder Blamage?
Ans Töten gewöhnen
Wie konnte das nur passieren?
Immer Ärger mit Aurelian
Süße Überraschung
Du heilst mich
Band 2
Aufgeflogen
Ich mache mir keine Sorgen!
Kindheitsträumereien
Träume
Der Prinz als Retter?
Von Seepferdchen
Verpflichtungen und ein Geständnis
Die große Synchronisation
Narben
Verbindung der Herzen
Mein Geschenk an dich
Ein Ort, der nur mir gehört
Ein Ort, der doch nicht nur mir gehört?
Kamin’e
Kettenreaktion
Der Kuschelprinz
Von neuen Gefühlen und seltsamen Träumen
Zwischen zwei Miesefischen
Abendessen mit Wendungen
In meinem Kopfist alles wirr
Mein Meister verhält sich merkwürdig
Der vom Leben geküsste
Lichter in der Nacht
Band 3
Das Portal im Meer
Haie
In den Fängen des Kults
Ein Verräter unter uns?
Ein Graben voller Angst
Ich habe mich überschätzt
Wirre Gefühle
Die Geschichten der anderen
Ich wollte das nicht!
Taten und Legenden
Das Angebot
Ich muss mich anstrengen!
Lichtregen
In Quallenarmen
Kayron ist nicht ehrlich!
Die Verkündung
Die Notwendigkeit eines Sündenfisches
Strafarbeiten und stärker werdende Gefühle
Herzendieb
Was machst du mit mir?
Ich bin verliebt in ...
Gegenwart
Aurelian
Bei der Meerhexe! Wie konnte das nur passieren?
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte der Prinz zu dem Monstrum hoch. Es war schwarz, von oben bis unten. Nur der unheilvolle rote Schimmer, der von den drei zusätzlichen Augen in der Mitte der Stirn und den Saugnäpfen an der Unterseite der acht Arme ausging, war der Grund, dass Aurelian überhaupt erst erkennen konnte, was da neben ihm aufgetaucht war.
»Los Kayron, der zeigen wir’s!«
Wie selbstverständlich strecke Aurelian die Hand zu der Seite aus, wo er Kayron vermutete. Seine Finger glitten durch Wasser. Erschrocken wirbelte Aurelian herum, suchte das Dunkel mit seinen Augen ab. Und konzentrierte sich immer wieder auf sein Seitenlinienorgan, ob er ihn erspüren konnte.
Kayron war weg!
Die Riesenkrake vor ihm bewegte ihre Arme weich und rhythmisch im Meer aus Finsternis. Beinahe sah es so aus, als würde sie tanzen. Einen tödlichen Tanz, wenn Aurelian nicht schnell etwas einfiel.
Der Prinz schwamm zu einer Steinformation, wo normalerweise Korallen, Seeschnecken und Muscheln in allen Farben hätten schillern müssen. Aber wegen der enormen lebenverzehrenden Aura der Krake leuchtete jetzt überhaupt nichts. Mit rasendem Herz lugte Aurelian hinter seinem Steinversteck hervor. Die Krake blickte im Moment nicht in seine Richtung.
Im Gegenteil, sie schien etwas äußerst Interessantes zu liebkosen.
Verdammt, Kayron, wo bist du?
Und dann hob sie etwas nah an ihr Gesicht. Einen Fischmann, den ihre Tentakel eng umschlungen hielten. Die Spitze eines Tentakels lag über dem Mund des Meermannes, sodass er keine Laute von sich geben konnte.
Kayron! Da steckst du!?
Als Aurelian versuchte, gezielten telepathischen Kontakt mit ihm aufzunehmen, verstand er, dass die Krake selbst die Frequenz, auf der sie sonst miteinander sprachen, blockiert hatte.
Aurelian krallte seine spitzen Finger in eine Koralle und spürte, wie sie unter dem Druck bröselte. Die Krake öffnete den Schnabel. Ein ohrenzermarternder Schrei folgte und der Prinz zuckte zusammen. Ein Tentakel bewegte sich über Kayrons Oberkörper, ein anderer hielt seine Schwanzflosse fest umschlungen. Egal wie sehr Kayron sich wand, alleine würde er sich niemals befreien können.
Verdammt, wie konnte das nur passieren?
Vergangenheit
Aurelian
Dieses Mal muss es klappen. Ich habe nur noch diese eine Chance, bevor es zu spät ist.
Fels, der stumm die Wellen spaltete, ragte neben ihm empor. Es war ein Gebilde mit vielen Etagen und vom Wasser ausgespülten Löchern. Kleinere Fische und Krabbentiere suchten in den unzähligen schwarzen Schlünden nach Schutz. Andere beäugten verhalten, was denn das Fischwesen so geschäftig am Grund des Meeresbodens hin und her scheuchte. Niemand aber wagte es, dem jungen Meermann zu nahe zu kommen.
Auf den ersten Blick wirkte Aurelian einfach nur wie ein blasser Meermann, bei dem vergessen worden war, ihn mit Farben zu bestücken. Doch sahen die Bewohner des Meeres, die ihn beobachteten, genauer hin, konnte er seine Krankheit nicht verbergen. Die Angst, die mit ihren Dienern seit hunderten von Jahren die Welt terrorisierte, hatte ihm die Farben von den Schuppen, Haaren und seiner Haut gefressen. Zurückgeblieben war ein Grauton, der nur von feinen, schwarzen Adern durchzogen wurde. Bewegungen, die geübt sein sollten, waren fahrig und flatterhaft. Wenn er atmete, zitterte selbst das Wasser, das durch seine Kiemen am Hals und an den Seiten seines Oberkörpers strömte.
Stimmen säuselten dem Prinzen zu, prophezeiten ihm seine Wandlung in ein groteskes Geschöpf.
Hört auf damit, murrte Aurelian in Gedanken, atmete tief durch und legte die Muschel an ihren Platz neben einer gelben Koralle mit verzweigten Armen. Jede Bewegung um ihn herum ließ ihn zusammenzucken. Alles, das ihn umgab, wirkte schwarz, grau und als eine Brutstätte der Angst. Aus jedem Winkel, jedem Schlupfloch und selbst hinter jedem kleinen Partikel Plankton könnte sich die finale Portion Panik verstecken, die ihm sein Leben kosten würde. Besonders die aufgeweichten, dürren Gräten, die sich in einem Feld aus Dunkelheit nur zwei Flossenschläge rechts von ihm befanden, streckten immer wieder die durchsichtigen Fasern in seine Richtung.
Einfach nicht hinsehen. Sowas ist normal, sowas kann die Angst nicht nähren.
Aurelian sah zu dem Felsen, welcher Heimat unzähliger Unterwasserwesen war, die ihn ebenso aus tausend Augen fixierten. Selbst die Schar an silbrig glitzernden Sardinen, die eilig an ihm vorbeizogen, waren mehr Fratzen, die ihn verhöhnten als Fische.
Jetzt komm mal runter, das sind nur kleine Fische. Kein Grund, der Angst noch weiter zu verfallen.
Er blickte auf seine Hände.
Wobei ... mehr Angst ohnehin meinen Tod bedeutet.
Aurelian schwamm in die Mitte der aufgebauten Formation. Sie bestand aus Muscheln, Korallen und Steinen, die in einem Kreis aufgelegt worden waren, um die magische Zirkulation der anstehenden Beschwörung besser zu kanalisieren. Seitdem er ein kleines Fischchen von zwölf Jahren gewesen war, hatte er diese nicht mehr so detailreich aufgebaut. Viel zu verbissen hatte er die Beschwörung geübt und es vollbracht, sie ohne Schnick-Schnack ausführen zu können. Mit nur einem einzigen Problem: Die Waffe, die die höchste Kompatibilität mit ihm haben sollte, war nie erschienen. Dafür aber waren die Lästereien hinter vorgehaltener Hand, die ihn als nativ, dumm und abgehoben, manchmal auch als wahnsinnig bezeichneten, aufgekommen. Schon lange war er nicht mehr Aurelian der schillernde Prinz von Aquenos, sondern Aurelian der Graue.
Der, der sich aus Eitelkeit in den Tod manövrierte. Der, der aus purem Stolz keine Verbindung mit einer Waffe eingehen wollte, die weniger als hundert Prozent Kompatibilität mit ihm erreichte.
Er war Aurelian, der starb, ehe er gelebt hatte.
Der junge Meermann spürte, wie sich etwas in sein Herz krallte und kalte Schauer über seinen Rücken jagte.
Beim Leben nochmal, denk nicht daran! Willst du abkratzen, bevor du’s geschafft hast?
Der Prinz schüttelte den Kopf. Seine ergrauten Haare strichen um seine Schultern, einem Geisternetz gleich, das einen Stein am Grund umschlackerte.
Bestimmt hob er seine Rechte, hielt sie mit gespreizten Fingern und aufgefächerten Schwimmhäuten, die ihm kaum bis zu dem ersten Fingerknöchel reichten, vor sich.
Er schloss die Augen, spürte, wie das Wasser ihn umgab. Alles, das ihn ängstigte, ihn aufschrecken ließ oder ihn gruselte, schob er beiseite. Mit jedem Atemzug zog sich Aurelian mehr und mehr in sich zurück. Er konzentrierte sich auf das Gefühl der Freude, das ihn erfüllen würde, wenn er seine hundertprozentige Waffe beschworen hatte. Mit seinen Sinnen erspürte er den Kern seiner Magie, welcher knapp unterhalb seines Bauchnabels ruhte. Dieser flammte auf, und Magie durchströmte ihn auf den Befehl hin.
»Gerufen durch das Herz, beschworen mit Willen.
Um Angst zu läutern und diese zu stillen.
Rufe ich an, den Part, der mein Gegenstück,
Ob Schwert, ob Schild,
ob schillernd Schmuckstück.
Nahtlose Vereinigung sei das höchstes Ziel,
der Pakt unserer Seelen sei fließend stabil.
Ich, Aurelian, rufe nach dir,
Waffe, mein, erscheine vor mir.«
Hitze schoss in seine rechte Hand, knisternd umspülte die Magie seine Finger, streichelte die kurzen Schwimmhäute zwischen ihnen. Deutlich vernahm er die Macht der hundertprozentigen Beschwörung in sich. Gleißendes Licht erfüllte das Wasser ausgehend von seiner rechten Hand und drang selbst durch seine geschlossenen Lider.
Dieses Licht ... kann es sein, dass es funktioniert hat?
Er öffnete die Augen.
Und kniff sie sofort wieder zusammen.
Nicht der Schein war es, der ihn blendete, sondern die Reflexion dessen auf einem eleganten Rapier mit feiner Klinge, die länger war als die der toten Trainingswaffen, mit denen er ab und an geübt hatte. Der Griff war von einem kunstvollen Korb umgeben, der grazil aber sehr stabil wirkte. Als wären sie füreinander geboren worden, schmiegte sich Aurelians Hand um den Griff der Waffe.
Unbändige Hitze durchströmte ihn. Ausgehend von seiner Hand begann ein Licht seinen gesamten Körper zu fluten. Jeder Zentimeter, jede Zelle in Aurelian wurde erfüllt von der pulsierenden Macht, die von dem Rapier auf ihn übersprang und wieder zu dem Rapier zurückkehrte.
Er spürte wie die Angst, die seit Jahren sein Herz verzehrte, im Licht der Waffe verglühte und verging. Das Grau wich von seiner hellen Haut. Die Schuppen seiner Schwanzflosse färbten sich blau, die dünnen Seidenflossen, die seine Schwanzflosse umgaben, sowie die Seidenflossen an der Seite und an seinen Ellbogen wurden mit Hellgrün und Gelb bemalt. Die Strähnen seiner Haare stießen das Grau ebenso ab. Sie schillerten am Ansatz blau und leuchteten in einem Farbverlauf von Azur zu Türkis zu Hellgrün zu Giftgelb in den Spitzen.
Ruhe, von der er geglaubt hatte, sie sei ein Märchen, kehrte in Aurelians Herz ein. Sie umgarnte seine Essenz und ließ in ihm ein Gefühl von tiefem Vertrauen und Zuversicht entstehen.
Noch Minuten nachdem die Läuterung abgeschlossen war, spürte er das Pulsieren des Zeichens der Prägung zwischen seinen Schulterblättern, das bei einer hundertprozentigen Vereinigung entstand.
Aurelian schwebte reglos im Wasser und starrte auf die Klinge in seinen Händen. Das Felsengebirge, das zuvor noch schwarze Schlünde besessen hatte, verlor seine Düsterkeit und wurde ein hellgrau schimmerndes Steingebilde neben ihm. Bunte Korallen, saftiges Seegras und Pflanzen in Farben, von denen Luftatmer außerhalb des Meeres nur träumen konnten, fassten auf dem Gestein und am sandigen Meeresboden rund herum Fuß. Weg waren die Gräten, die sich nach ihm gereckt hatten. An ihrer Stelle wucherte ein Feld aus grünem, langem Seetang. Das Sonnenlicht brach sich in hunderten Nuancen, als es die Fingerspitzen bis tief in das Meer hineintauchte. Immer wieder gingen glitzernde Wellen durchs Wasser.
Und inmitten all dessen schwamm Aurelian.
Seine giftgrünen Augen strahlten.
»Ich ... ich habe es geschafft!«
Triumphierend riss er die Arme in die Luft.
»ICH HABE ES GESCHAFFT!«
Er schwamm einen Salto, jubelte und freute sich aus den Tiefen seines Seins. Dann drückte er die Klinge an sich, als wäre sie ein alter Freund, den er Jahre nicht mehr gesehen hatte.
»Endlich bist du nach Hause gekommen. Ich wusste es! Ich wusste, du würdest erscheinen!
Von wegen, der naive Prinz, der sich zu gut ist, eine niedere Waffe zu beschwören. HA! Die werden Augen machen, du wundervollste, schönste und beste aller Waffen.«
Während sich Aurelian freute wie ein Kleinkind, bemerkte er, dass ihn die Meeresbewohner, die ihn zuerst skeptisch und vor Angst beäugt hatten, nun musterten, als hätte er den Verstand verloren. Aber Aurelian war das egal.
Auf diesen Moment hatte er sein ganzes Leben hintrainiert. Hatte es in Kauf genommen, ein Diener der Angst zu werden und zu sterben.
Alles, wirklich alles hat sich gelohnt.
Er spürte ein Ruckeln und Zucken in seiner rechten Hand.
»Du freust dich auch, hm?« Er grinste die Waffe an. Im nächsten Moment entriss sie sich seinem Griff. Das edle Rapier schoss wie ein von einem Fischerboot gejagter Schwertfisch davon.
»Nein! HEY, warte!« Aurelian streckte die Hand nach der Waffe aus, wollte sie greifen. Doch ehe er sich versah, war das Rapier aus seinem Blickfeld verschwunden.
»Meine Waffe ist wohl schüchtern ... «, dachte der junge Prinz, den Blick auf den Punkt im Meer gerichtet, wo das Rapier verschwunden war. Dann aber umspielte ein breites, fast hämisches Grinsen seine Lippen.
»Ach, versuch nur, dich zu verstecken. Ich kann dich jederzeit wieder beschwören.« Der ernstzunehmende Ausdruck in seinen Augen wich einem verspielt kindlichen. »Aber zuerst schwimme ich los und prahle mit meinem Erfolg gehörig vor Mutter!«
Jemand
Zersprungen.
Er presste sich mit dem Rücken gegen die Tür. Sein Brustkorb hob und senkte sich wie in Rage.
Mein Herz ist gerade zersprungen.
Der Seetang, der vor der steinernen Tür wuchs und als zusätzlicher Sichtschutz diente, waberte aufgewühlt um seinen Körper. Er war vor wenigen Augenblicken in seiner Schwertform durch das halbe Königinnenreich Aquenos gerast, weg, bloß weg von dieser Person, die ihn eben unbefugt beschworen hatte. Ungläubig krallte er seine Hand in seine Brust. Oder zumindest in den Gurt, der sich über dem dunkelvioletten Muskelcroptop kreuzte.
Mit einem Schlag ... hat diese Vereinigung die gesamte Angst in meinem Herzen zerrissen.
Aurelian
Aufgeregt jagte Aurelian durchs Meer. Kräftige Schläge seiner Schwanzflosse schoben ihn voran, Fischschwärme schreckten auf, Seegräser wurden durch die Wellen, die Aurelians Flossenschläge auslösten, zum Wiegen gebracht. Er schwamm an Felder voller bläulich schimmernder Algen, knollenartiger Korallen und blättrig fächerartigen Pflanzen vorbei. Die Felder wurden von der Unterschicht des Meeresvolkes bestellt und beschützt. Vereinzelt glitten Fischwesen über die verschiedenen Segmente der Plantagen.
Manch ein verschlafenes Wesen reckte den Kopf, verfolgte den vorbeihuschenden Prinzen mit einem Blick, in dem einerseits Verwunderung, andererseits Misstrauen lag. Wie nahezu alle, die außerhalb der Königinnenstädte wohnten, verdeckte kein Gewandstück den Oberkörper der Leute.
Aurelian wandte schnell den Blick ab, konzentrierte sich darauf, voranzukommen. Immer wieder drehte er freudige Loopings, huschte unter Gesteinsbögen hindurch, oder wischte mit den Fingerspitzen über die weichen Seegräser, bis das Königinnenreich Aquenos in Sichtweite war. Zwischen blasenähnlichen Bauten, die sich nebeneinander, übereinander, kreuz und quer in kleinen und größeren Grüppchen versammelten, trieben Meeresbewohner. Meermänner, Meerfrauen, Kinder und Meerneutrums schwammen ihren Tätigkeiten nach, im Schutz der Wachen, die dafür sorgten, dass die Angstdiener von Aquenos fern blieben. Anders als die Meerwesen außerhalb, trugen diese hier Kleidung aus einem Material, welches aus Seefarnen gewonnen wurde. Manche Stücke lagen so eng an den Oberkörpern an, dass sie wie eine zweite Haut wirkten.
Betrachtete fisch die blasenähnlichen Gebilde genauer, erkannte fisch sie als Wohnbehausungen und Läden der Unterwasserstadt. Viele dieser Kugeln besaßen wenige, andere hingegen viele Löcher, durch die Fische und Wesen schwammen. Dazwischen wucherten die verschiedensten Unterwasserpflanzen, deren Farbenspiel Aurelians Schuppen in nichts nachstand. Erhellt wurde alles von dem Licht der Sonne, das trotz der tiefen Lage des Königinnenreichs, beinahe bis an den Grund drang. Und dort, wo die Strahlen Dunkelheit zurückließen, übernahmen Leuchtkorallen und fluoreszierende Muscheln die Aufgabe, die Finsternis zu vertreiben. Mit den nächsten Flossenschlägen tauchte vor Aurelian ein Steinbogen auf, vor dem eine Wache schwamm.
Dieser Torbogen war einer von vielen, die als Wachposten dienten, und die ganz leicht umschwommen werden konnten.
Für gewöhnlich zumindest.
Kilius, dessen Schwanzflosse so durchsichtig schien wie der Schirm einer Ohrenqualle, sah Aurelian grimmig entgegen. Mit einem breiten Grinsen schoss Aurelian steil nach oben, wich der Wache aus.
»Hey, anhalten!«, knurrte Kilius. Der Wächter schnellte empor, um Aurelian den Weg abzuschneiden.
Aurelian bremste notgedrungen ab. Was darin endete, dass er trotz zur Seite geklappter Hüftflossen, um den Widerstand im Wasser zu erhöhen, beinahe mit Kilius zusammenprallte, wäre dieser nicht zurückgewichen.
»Tut mir leid, aber ich habe es wirklich eilig, Kilius«, entschuldigte sich der Prinz und versuchte, an Kilius vorbeizugleiten. Dieser aber kopierte seine Bewegungen wie ein Spiegelbild, um weiterhin als Barriere zu fungieren.
»Augenblick. Ihr seid doch ... « Erst Sekunden später weiteten sich Kilius Augen und er erkannte, wen er vor sich hatte. Den Moment der Unachtsamkeit nutzend, schlug Aurelian einen neuen Bogen und jagte an der Wache vorbei.
»Du kannst ruhig im ganzen Königinnenreich herumposaunen, dass ich es geschafft habe!«, rief Aurelian dem verdattert zurückgebliebenen Kilius zu.
Nun richtete Aurelian den Blick nach vorne, gerade rechtzeitig, um einer Schar spielender Kinder auszuweichen. Auch deren Augen hefteten sich an ihn. Nicht, weil er der Prinz war, - wahrscheinlich erkannten sie ihn genauso wenige wie Kilius eben – sondern weil seine reingewaschenen Farben wunderschön im Meer schillerten.
Eigentlich hätte Aurelian gleich zur obersten Kuppel und somit zu seiner Mutter schwimmen können. Im Moment wollte er aber der ganzen Stadt zeigen, dass er es geschafft hatte. Und deshalb huschte er an den Blasenbauten vorbei zum Trainingsplatz. Jedes Wesen sollte seine zurückgewonnene Farbpracht sehen können.
Alle, die Aurelian passierte, starrten ihm mit geweiteten Augen nach. Manche öffneten und schlossen ihren Mund wieder, vor Erstaunen und Unglauben, ohne, dass sie einen Ton hervorbrachten. Je weiter Aurelian schwamm, desto mehr hörte er auch. Vor allem die am Trainingsplatz Übenden stießen ihre Erleichterung aus.
»Das ist der Prinz!«
»Seht, Prinz Aurelian!«
»Der Göttin1 sei Dank, er ist zur Vernunft gekommen.«
Mit jedem Kommentar den er vernahm, wurde sein Lächeln breiter. Er vollführte elegante Pirouetten und seine Schuppen leuchteten im Tageslicht, wie sie es noch nie getan hatten.
Dämlich grinsend schwamm er schließlich durch die Eingangsöffnung zur Thronkuppel, dem höchsten Punkt des Schlosses Ocran. Ocran war ein Gebilde aus zahlreichen runden, ovalen, größeren und kleineren Kugelbauten, die sich übereinander stapelten. Fast so wie Aquenos an sich. Nur, dass in Ocran ausschließlich die Königinnenfamilie und einige wichtige Personen aus dem Königinnenreich lebten. Den höchsten Punkt Ocrans bildete eine Plattform, die von der größten Kuppel, der Thronkuppel, umschlossen war. Ein angelegter Vorhang aus Seegras diente als Sichtschutz vor dem Eingang. Das Seegras war mit Perlen und Muscheln geschmückt und strich sachte Aurelians Körper entlang, als er hindurch schwamm. Die zusätzliche magische Barriere, die Unbefugte sowie Angstdiener davon abhielt, diesen Ort aufzusuchen, bemerkte er nicht einmal. Schließlich war der Ring an seinem rechten Mittelfinger unter anderem ein Passiertoken, der es ihm erlaubte, in nahezu jede Blasenbaute in ganz Aquenos hinein zu schwimmen.
»Mutter, seht! Ich habe es geschafft«, gab Aurelian triumphierend von sich, als er die Thronblase durchquerte.
Mit einem Wink bedeutete Königin Irenja Aurelian, vor dem Eingang zu warten, und setzte die Unterhaltung mit Geruna fort.
Das gibt es nicht, sie sieht nicht einmal in meine Richtung.
Das Innere der Thronblase war schlicht gehalten. An den Wänden, die sich über ihren Köpfen zur Decke der kuppelähnlichen Baute trafen, befanden sich feine Gravuren. Manchmal waren Perlen und Edelsteine eingesetzt worden, aber zu vereinzelt, als dass es als prunkvoll bezeichnet werden könnte. Eher als schlicht und in seinem Minimalismus erhaben.
Das Gegenteil bildete der Thron, der mittig unter dem höchsten Punkt der gewölbten Decke auf einem schmucklosen Steinpodest stand. Er war aus schlichtem, grauem Stein gefertigt und veredelt mit den Schätzen des Meeresbodens.
Abgestorbene, schillernde Muscheln, Perlen, aber auch andere funkelnde Dinge waren auf dem Thron zu erkennen.
Und auf ihm schwebte Königin Irenja eher im Wasser, als dass sie saß. Königin Irenja galt in Aquenos als jene Heldin, die die Diener der Angst mit einem toten Schwert niederstreckte. Obgleich viele Personen versuchten, sie im Kampf zu bezwingen, war sie ihnen überlegen. Von ihrem Auftreten, der Oberbekleidung, die aus engen, beige-goldenen Stoffen mit verstärkten Rüstungselementen bestand, bis zu ihrem erhabenen, feinen Gesicht mit dem breiten Kinn, galt sie als eine wahre kriegerische Schönheit. Ihre azurblauen Haare, die bis zu den Spitzen hin sandfarben wurden, waren zu einem Zopf geflochten, den zwei steinerne Haarnadeln an ihrem Hinterkopf fixierten. Einige der sandfarbenen Schuppen an ihrem Fischschwanz waren durch golden schillernde ersetzt worden. Ihr Blick war auf die Aufseherin Geruna gerichtet, deren Haare am Ansatz blond waren und bis in die Spitzen einen immer dunkleren Grünton annahmen. Sie trug kaum Schmuck an sich, bis auf das Armband, das sie autorisierte, in gewisse Blasenbauten schwimmen zu können.
Scheinbar sind sie mitten in einer Besprechung.
Aurelian verzog das Gesicht.
Entschlossen schwamm er näher an die beiden Frauen heran.
»Du sagtest, wir haben die Waren erhalten? Wo liegt das Problem?« Königin Irenja beachtete ihren Sohn nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt ganz Geruna, ihrer Dienerin.
»Unter den Gästen befinden sich Fischesser«, sprach Geruna mit gedämpfter Stimme. Auch sie schenkte Aurelian keinen Blick.
Durch Königin Irenjas Augen huschte ein verächtlicher Schatten. Sie schnaubte. Mit verzogenen Lippen biss sie sich auf den langen Nagel ihres Daumens und zog die Augenbrauen zusammen. Diese Geste zeigte Königin Irenja nur vor den vertrautesten Mitgliedern des Königinnenhofes.
»Was gibt es da zu überlegen, in unserem Königinnenreich habt Ihr noch bei keinem Bankett geduldet, dass Fisch serviert wird. Warum hadert Ihr dieses Mal?«, mischte sich Aurelian ein. Er schwamm nun am Fuße des Podestes, auf welchem der Thron seiner Mutter errichtet worden war.
Ihr auf Augenhöhe entgegen zu schwimmen, wäre noch fataler, als sie in ihrem Gespräch zu stören.
Dennoch fand Aurelian, dass er es nun war, der die Aufmerksamkeit verdient hatte!
Seine Mutter klapperte genervt mit den Zähnen. »Würdest du zur Besinnung kommen, müsste ich-« Die folgenden Worte blieben aus, als sie ihren Sohn ansah. Der kühle Ausdruck in ihren Augen wich Verwunderung.
Auch Geruna starrte ihn an. Mit dem Unterschied, dass ihr der Mund aufgeklappt war.
»Du bist also zur Besinnung gekommen«, fand Mutter beachtlich schnell ihre Worte wieder. »Was aber gibt dir das Recht, mich zu unterbrechen?« Die Verwunderung verschwand, die strenge Miene der Königin kehrte zurück. Aus verengten Schlitzen sah sie Aurelian entgegen.
»Ich dachte, es wird Euch erfreuen zu sehen, dass mich niemand im nächsten Monat köpfen muss«, antwortete Aurelian mit breitem Grinsen.
Irenja winkte ihn mit dem Zeigefinger näher. Mit einem Schlag seiner Schwanzflosse überwand er die Distanz zu seiner Mutter. Vor ihr schwamm er einen Kreis, damit sie seine Farben in voller Pracht begutachten konnte.
»Alle Spuren der Angst sind von ihm gewichen«, murmelte Geruna.
»Dem scheint so.«
»Es ist so«, korrigierte Aurelian seine Mutter, wofür er einen scharfen Blick kassierte.
Ein Schauder durchfuhr ihn, aber er hielt der wuchtigen Präsenz der Königin stand.
HA! Heute kann mich nichts mehr aus der Bahn werfen. Ich habe immerhin meine perfekte Waffe beschworen. Die Person, die es schaffen könnte, mir heute das Wasser zu nehmen, muss erst geboren werden!
»Wie hoch ist die Kompatibilität?« Irenjas Stimme war sachlich. Dennoch erkannte Aurelian Neugier in ihren azurblauen Augen.
»Einhundert Prozent.« Stolz breitete Aurelian die Arme zu beiden Seiten aus. Er drehte noch eine Runde und bewegte sich so elegant wie möglich. Dabei schenkte er seiner Mutter das siegessicherste Lächeln, das er zustande brachte.
Königin Irenja blieb unbeeindruckt. Sie musterte Aurelian eindringlich. Aber im Gegensatz zu den anderen Malen, in denen sie ihn akribisch gemustert hatte, war nicht der sorgenvolle Ausdruck in ihren Augen, ihren Sohn bald erschlagen zu müssen.
Ihr Blick war neutral.
Vielleicht durchzuckte ein klein wenig Misstrauen ihre Augen.
Denkt sie, ich lüge?
»Es wäre unmöglich, dass eine geringere Kompatibilität dich mit nur einer Verwandlung von der Angst befreit.« Einen Kiemenzug später änderte sie ihre Position. Nun schwamm sie auf Aurelian zu, umrundete ihn. Wieder inspizierte sie ihn durchdringend. Wie einen Sklaven, den sie kaufen wollte, bei dem sie jedoch prüfen musste, ob das viel zu perfekte Angebot nicht doch irgendwo einen Haken hatte. Mit kaum merklichem Nicken kehrte sie nach ihrer Umrundung wieder auf den Thron zurück. »Ich habe dich heute Morgen gesehen, ich weiß, wie schlecht es um dich stand.«
»Ihr beleidigt mich, Mutter.« Aurelian verzog schmollend die Lippen, sein Blick wurde trotzig. »Als hätte ich es nötig, zu lügen. Natürlich habe ich es geschafft, meine perfekte Waffe zu beschwören. Das habe ich Euch doch all die Jahre gesagt.«
»Wer ist die Waffe? Wo ist die Person nun?«, erkundigte sich Irenja weiter, ohne auf die Reaktion ihres Sohnes einzugehen.
»Ich ... Ich weiß es nicht.« Aurelian zuckte die Schultern. Um seine Ahnungslosigkeit zusätzlich mit einer Geste zu untermalen, hob er die Hände und schüttelte den Kopf. Dann ließ er die Arme sinken und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Nachdem ich das Rapier beschworen, und wir uns gereinigt hatten, ist es abgehauen.«
»Abgehauen?«, wiederholte Geruna verdutzt, während seine Mutter belustigt nur eine Augenbraue hob.
Schnell wedelte er mit den Händen vor der Brust.
»Aber ich kann meine Waffe jederzeit beschwören. Seht her.«
Aurelians Augen leuchteten. Das war die Chance, seinen Triumph nun vor allen vorzuführen. Er atmete tief durch, spürte, wie das Wasser durch seine Kiemen strömte. Dann schloss er einen Moment die Augen. Seine Gedanken und auch seine Gefühle kamen zur Ruhe. Einzig die Freude, die er bei der Vorstellung an seine Waffe empfand, ließ er zu. Wärme breitete sich in seiner Brust aus. Und als er die Augen öffnete, war er erfüllt von Heiterkeit über die erneute Zitierung seiner Waffe. Es kribbelte in seinen Fingerspitzen, als das Bild des schlanken Rapiers vor seinem inneren Auge erschien.
Diese Waffe soll ab dem heutigen Tage wie mein Zwilling sein.
Komm zu mir!
Diese Worte und der Gedanke an seine perfekte Waffe reichten, um sie zu rufen. Er spürte, wie sich ihre Herzen miteinander verflochten und fühlte sie, noch ehe sie erschien.
Helles Licht umspülte seine rechte Hand. Gleich darauf nahm es die Gestalt des Rapiers an.
Bestimmt umschloss er den vertrauten Griff. Das Schwert reflektierte das Licht im Thronsaal, wodurch es zu leuchten schien.
»Seht und staunt.« Selbstsicher präsentierte Aurelian sich und das eben beschworene Rapier mit dem rosafarbenen Griff.
»In der Tat eine hundertprozentige Kompatibilität«, bestätigte seine Mutter. Die Anerkennung in ihrer Stimme ließ Aurelians Brust schwellen. Selbst zu wissen, wie selten diese Kompatibilität war, war eine Sache. Dies aber von seiner Mutter, der Königin, mit bekräftigenden Worten zu hören, war umso befriedigender.
»Allerdings«, fuhr Irenja mit festem Tonfall fort, »ist dies kein Grund, sich wie ein Buntbarsch zu präsentieren. Euch erwartet ein hartes Training.«
»Ich finde, es ist Grund genug.« Aurelian ließ sich seinen Stolz nicht nehmen, und schwamm weiterhin erhaben vor seiner Mutter umher. Entgegen der Hoffnung, sie würde ihn endlich überschwänglicher loben, gab sie sich erneut wenig beeindruckt. Eher, als plane sie bereits, welchen Vorteil diese Neuigkeit für das Königinnenreich bringen könnte.
»Wer ist nun diese Person? Sie soll sich verwandeln!«
Oh, das wüsste ich auch nur zu gerne.
»Du hast es gehört, meine Waffe. Zeig uns, wer du bist.« Mit leuchtenden Augen sah Aurelian zu dem Rapier. Jede Faser in ihm platzte vor Neugierde.
Ein Ruck ging durch die Klinge. Schneller, als der Prinz reagieren konnte, riss sich das Schwert aus seiner Hand. Geradewegs schoss es auf den Eingang zu. Dort teilte der Strom, den das Rapier durch seine Geschwindigkeit verursachte, den Seegrasvorhang.
Und wieder war Aurelians Waffe weg.
»HEY!«, rief Aurelian. »Du sollst nicht ständig vor mir davonschwimmen!«
Du lässt mich wie der letzte Vollidiot vor meiner Mutter aussehen! So habe ich mir das nicht vorgestellt. Das war mein Moment, so richtig anzugeben! Mutter hätte mich vor Stolz loben sollen! Du hättest mich als den besten Meister aller Zeiten betiteln sollen! Alle gemeinsam hättet ihr mich dann bestaunt und bewundert! Vielleicht sogar ein Fest zu meinen Ehren veranstaltet!
Eisig spürte der Prinz den Blick seiner Mutter im Nacken. Mit peinlich verunsichertem Lächeln wandte er sich ihr zu. Der Ausdruck in ihren Augen stempelte ihn als erbärmlich ab. Das Kinn stützte sie dabei auf ihren rechten Handrücken, während die linke Hand ihren rechten Ellenbogen hielt. Aurelian kannte diese Geste.
Sie verliert langsam die Geduld.
»Ich ... werde Euch meine Waffe wann anders vorstellen.« Aurelian sah in die Richtung, in welche das Rapier davongeschossen war.
Ein drittes Mal entkommst du mir nicht. Beim Leben, das schwöre ich. Das nächste Mal sehe ich, wer du bist.
»In zwei Tagen wirst du am Bankett teilnehmen. Morgen schwimmst du bei Dämmerung zu den Hofschneidern, um dir eine passende Tracht fertigen zu lassen. Ich erwarte eine würdige Repräsentation deinerseits vor unseren Gästen aus dem Königinnenreich Goldträne«, befahl Irenja. Ihr Ton ließ keinen Widerspruch zu.
Aurelian blies trotzig die Backen auf.
Ein blödes Bankett für die Delegierten aus dem Nachbarköniginnenreich ist so ziemlich das Letzte, worauf ich Lust habe.
Ein zischender Laut seiner Mutter ließ ihn zusammenzucken.
»Wie Ihr wünscht, Mutter«, antwortete Aurelian und verneigte sich leicht vor der Königin.
»Nun schwimm.« Mit der Linken vollführte sie eine Geste, die ihre Worte zusätzlich unterstrich. Dann wandte sie sich ohne ein weiteres Wort wieder an Geruna, die die ganze Zeit schweigend neben der Königin im Wasser getrieben war.
Na klasse, das lief mal gar nicht so ab wie in meiner Vorstellung.
1 Die Gottheit Leben wird von manchen Fischwesen als nicht-binär gesehen, von anderen als weiblich. Das Geschlecht wird auch bei anderen Gottheiten oft als fluide betrachtet. Je nachdem variieren die Anrede und die Pronomen.
Aurelian
Nach der Pleite bei seiner Mutter war Aurelian nun auf der Suche nach seinem Vater. Hastig durchschwamm er die Gänge, welche die Blasenbauten, die den Palast Ocran bildeten, verbanden. Normalerweise fand er seinen Vater hier irgendwo. Denn dieser hatte es sich zum Ziel gemacht, dafür zu sorgen, dass Ocran niemals an Glanz verlor. So schwamm der schillernde König meist herum, auf der Suche nach etwas, das stumpf geworden war, um es aufzupolieren und der Säule, dem Ding oder Was-auch-immer das Strahlen zurückzugeben. Mit dieser Vorliebe war er das glatte Gegenteil der Königin, die eher auf Schlichtheit und Pragmatik setzte.
Das gibt es nicht. Gerade jetzt, wo hochnäsige Gäste in Aquenos herumschwimmen, müsste er doch irgendwo in den Gängen sein.
Letzten Endes war es eine Wache vor dem Durchgang zu König Kosmas‘ privaten Räumen, die Aurelian erklärte, dass der König in seinen Gemächern war. Er wolle heute nicht gestört werden, gleich, aus welchem Grund.
Schnaubend Wasser aus seinen Kiemen und der Nase pustend, war Aurelian abgezogen.
Mutter denkt nur an die politischen Gäste, Vater steht nicht der Sinn, seinen Sohn zu beglückwünschen. Und vor den Dienern zu prahlen, ist nach kürzester Zeit langweilig geworden.
Zwar fühlte es sich gut an, extra langsam an den Dienern vorbei zu schwimmen. Aber mehr als staunende Blicke und verhaltenes Gemurmel, schenkten sie ihm nicht. Und zwei Beglückwünschungen waren niemals genug.
Ein breites Lächeln umspielte Aurelians Lippen.
Gut, dann besuche ich eben Mahane. Sie muss mich einfach beglückwünschen!
Er schlug schnell mit der Flosse. Der Wasserstrom wirbelte kleine Krebstierchen auf, die am Boden der Blasen herumkrabbelten. Mit hektischen Scherenbewegungen beschwerten sie sich bei Aurelian, während sie langsam wieder nach unten sanken.
»Tut mir leid«, rief er ihnen telepathisch zu. Flink schwamm er aus einem Fenster des Palastes Ocran. Sein Blick huschte hinunter zur Stadt Aquenos. Wesen trieben im Wasser umher, schwebten in Grüppchen beieinander oder verschwanden in ihren Blasenbauten.
Niemand von ihnen hob den Blick, als das Licht sich auf Aurelians schillernden Schuppen spiegelte.
Dabei sollten sie wie Muränen darauf gieren, mich zu bestaunen. Was ist heute nur los? Es kann ihnen nicht gereicht haben, dass ich einmal quer durch die Stadt geschwommen bin!
Dann zuckte er die Schultern und schwamm ostwärts.
Vielleicht hat es sich noch nicht rumgesprochen. Umso besser. Dann ist mir die Aufmerksamkeit der nächsten Tage sicher.
Auf dem Weg zum Trainingsplatz, wo er Mahane antreffen würde, forderte eine Gruppe Meerwesen plötzlich Aurelians Aufmerksamkeit. Angeführt von einem Diener der Königin kam die Gruppe aus den Gästebauten des Palastes Ocran.
Aurelian wurde langsamer, musterte das Häufchen.
Das sind sicher die Delegierten aus Goldträne, so hoch, wie die ihre Nasen tragen und ihre Schwanzflossen bewegen.
Aurelian zählte achtzehn Personen. Vierzehn davon waren Krieger und deren Waffen, was durch deren Oberbekleidung ersichtlich war. Sie war aus robusterem Material, und mit Schuppenplatten verziert. Zwei von ihnen sahen aus wie vom Hochadel.
Mit einer kräftigen Flossenbewegung schraubte sich Aurelian etwas höher, um den Tross gut im Blick zu behalten, der in einigem Abstand an ihm vorbei schwamm.
Die mit den goldenen Haaren hat sicher was mit der Königin von Goldträne am Hut. In den Geschichten werden die Herrscherinnen des Königinnenreiches immer mit goldenem Haar dargestellt. Wobei ich die roten Haare dieses Kriegers mit der Haifischflosse passender finde, für ein Herrscherinnengeschlecht, dessen Reich insgeheim die Blutträne genannt wird.
Aurelian musterte die Personen. Er bemerkte zwei weitere, ebenso teuer gekleidete Wesen.
So wie die schwimmen, sind sie die Waffen der Delegierten. Sie bewegen sich anmutig, aber im Vergleich zu mir sieht es aus, als würden sie durchs Wasser taumeln.
Er kicherte. Gerade wollte er sich wegdrehen, als ihm eine rosafarbene Schwanzflosse, die zum Ende hin schwarz wurde, inmitten der Besucher auffiel.
Von seiner Art, sich zu präsentieren, könnte ich schwören, Mutter würde es bevorzugen, mit diesem Krieger zu verhandeln, als mit der Goldlocke und dem alten Sack an der Spitze des Trüppchens.
Wenn sich die anderen Meerwesen um den Krieger mit der schwarz-rosafarbenen Schwanzflosse herum bewegten, als gehöre ihnen der Ozean, war seine Art zu schwimmen edel und präzise und allem voran ausdrucksstark. Seine Schwanzflosse besaß einen gezielten Schlag. Während andere mehrere Schläge brauchten, um dieselbe Strecke zurückzulegen, tat er einen einzigen. Der Körper des Meermannes war durchtrainiert, aber im Vergleich zu den meisten seiner Kameraden wirkte er nicht aufgeblasen. Rosafarbene Haare, die zu den Spitzen schwarz wurden, umflossen den Fremden und Aurelian glaubte, auch Perlenschmuck in seinen Haaren zu erkennen. Aber am meisten faszinierte ihn der Malvenkorallenschimmer der braunen Haut des Fremden.
Er ist wirklich attraktiv. Wäre er ein Königssohn, würde fisch ihn mit Sicherheit an eine zukünftige Königin verheiraten. Oder einen hochrangigen Adelssohn wegen irgendeines politischen Blödsinns.
Aurelians Wangen nahmen einen leichten Rosaton an. Für den Moment vergaß er sein eigentliches Ziel. Fasziniert beobachtete er den Krieger, bis er gemeinsam mit dem Rest des Trupps in einer breiten, sich mittig befindenden Blasenbaute verschwand.
Und weg ist er.
Wie schade. Ich habe noch nie so schöne Farben an einem Fisch gesehen – außer bei mir natürlich.
Der junge Prinz schlug mit seiner Schwanzflosse und nahm den Weg zum Trainingsplatz wieder auf. Er umrundete gerade einige hoch gewachsene Korallen, die bereits zu blassem Kalkgerippe geworden waren, als kleinere Fische aufstoben. Ein Schwarm schillernder Barsche kam ihm entgegen, teilte sich, um Aurelian auszuweichen. Kleine Flossen streiften ihn an den Armen, kitzelten ihn. Erheitert glucksend sah er den Barschen nach.
Starke Armen schlangen sich um ihn.
Bevor er reagieren konnte, wurde er in den Schwitzkasten genommen.
»Gratuliere, du kleiner Dummfisch«, vernahm er die Worte per Telepathie in seinem Kopf. Gleich darauf wurde eine Faust auf seinem Kopf gerubbelt.
»AAHH! Lass das!«, beschwerte sich Aurelian. Er schlug energisch mit der Flosse, grub die Finger in die helle Haut. »Mahane, das ist peinlich!« Vergebens versuchte er, sich aus dem Griff seiner älteren Schwester zu winden.
»Nicht für mich«, lachte Mahane auf, löste aber den Griff.
Rasch brachte Aurelian Abstand zwischen sich und Mahane. Sie grinste ihm mit spitzen Zähnen entgegen.
Mahanes Haar war am Ansatz azurblau, wurde aber zu den Haarspitzen hin grünlich wie das seine. Diese Farbe hatten sie beide von ihrem Vater vererbt bekommen. Vaters Gene waren auch der Grund, warum Mahanes Fischschwanz nicht gänzlich sandfarben war wie der Königin Irenjas, sondern einen Grünstich besaß. Die Hüftflossen und auch die Rückenflossen Mahanes waren bläulich bis sandfarben, das Erbe ihrer Mutter. Was Mahane noch von ihr geerbt hatte, war die erhabene, gebieterische Ausstrahlung einer Königin. Zumindest, wenn sie nicht gerade dabei war, Aurelian zu ärgern.
Zukünftige Königin hin oder her ... sie verhält sich immer noch wie meine blöde Schwester ...
Aurelian blähte die Backen auf. »Ich hatte mir eine andere Begrüßung erhofft. Immerhin habe ich es geschafft, meine hundertprozentige Waffe zu beschwören«, murrte er und strich sich durch das bunte Haar. Zwei breite Ringe hielten Aurelians lange Haare am Rücken zusammengefasst. Die gelblichen Spitzen seines Haars verschwanden in einer silbernen Kugel, an der eine geschmiedete Raute hing. All seine metallisch schillernden Schmuckstücke waren aus einem niemals rostenden Metall gefertigt worden. Genau wie die Totschwerter – also Schwerter, die geschmiedet und nicht gerufen wurden.
Mahane zog eine Augenbraue hoch, machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Vergiss es, du Dummfisch. Du solltest mit gesenktem Haupt angeschwommen kommen und um Verzeihung bitten, nachdem du uns all die Jahre so viel Kummer bereitet hast.« Sie setzte an, ihn wieder zu packen. Er wich erneut zurück.
»Selbst Schuld, wenn ihr euch Sorgen macht.« Aurelian streckte seiner Schwester die Zunge entgegen.
»Du!« Mahane verringerte die Distanz zu ihrem Bruder. »Ich muss dir wohl die Ohrenflossen lang ziehen.«
Aurelian schwamm flink an Mahane vorbei, um Schutz hinter Jektus – Mahanes Waffe – zu suchen. Jektus war bisher schweigend mit einem amüsierten Grinsen, im Wasser getrieben. Als Aurelian hinter dem Meermann Schutz suchte, lachte er auf. Wie auch Aurelian war Jektus eine Schönheit. Seine Haut war dunkelbraun, wie die Schale der Kokosnuss, die Aurelian als Kind im Wasser treibend gefunden hatte. Jektus Haare hingegen wirkten wie eine brennende Feuerkoralle, die sein Haupt umgab. Auch die Schuppen seiner Schwanzflosse besaßen einen satten Rotton, durchzogen von orangenen Nuancen.
Neben Vater ist er im Königinnenreich der schönste Fisch. Nun gut, Wellan ist auch imposant, aber ich bevorzuge helle, strahlende Farben. Wellan ist eher ein Gruftgrabenfisch als ein Strahlefisch.
»Sich hinter ihm zu verstecken, bringt dir nichts.« Mahane sah Aurelian streng entgegen. Sie unternahm Anstalten, sich ihm zu nähern, aber Aurelian drehte Jektus so, dass er weiter zwischen Aurelian und Mahane trieb. Anstelle sich zu beschweren, kicherte der rote Fischmann.
Mahanes Mundwinkel zucken ständig nach oben. Es gefällt ihr, mich zu ärgern, aber zugeben würde sie es nie! Das ist so typisch.
»Es ist besser, sich zu verstecken, als dir und deiner Waffe gegenüber zu schwimmen.«
»Ich bräuchte ihn nur beschwören und du hättest keine Deckung mehr.«
Haifischdreck. Daran habe ich nicht gedacht!
Aurelian sah sich nach einer anderen Barriere um, die Mahane im Ernstfall von ihm trennen konnte.
Seine Schwester schüttelte lachend den Kopf. »Dummfisch!«
»Wo ist deine Waffe überhaupt?«, mischte sich Jektus dunkle Stimme in ihr Gespräch. Das rechte Auge leuchtete Aurelian orangefarben entgegen. Dicke, geflochtene Strähnen seines langen Haares verdeckten die Narbe des fehlenden zweiten Auges. Der Rest seiner rotorangen Haare war im Nacken zusammengebunden. Es reichte ihm locker bis zur Hüfte, waberte jedoch wegen des Auftriebs wie loser Seetang um ihn herum.
»Nicht hier, wie du siehst«, erwiderte Aurelian. »Aber ich kann sie gerne beschwören. Mutter habe ich meine Waffe auch gerade gezeigt ... allerdings ist sie dann abgezogen.« Den letzten Teil des Satzes sendete er leiser und in betroffenem Tonfall in die Köpfe der beiden Anwesenden.
Mahane als auch Jektus sahen ihn mit ähnlich fragendem Ausdruck an. Sie wechselten Blicke untereinander, nickten fast synchron.
Ist das unhöflich. Sie reden auf einer Frequenz, auf der ich sie nicht verstehen kann. Und warum grinst mir Jektus jetzt so blöd entgegen? Es ist nicht meine Schuld, dass meine Waffe ein notorisches Verlangen hat, vor mir wegzuschwimmen.
»Meine Waffe ist eben schüchtern.« Aurelian kam hinter Jektus hervorgeschwommen. Dann hob er rasch beide Hände und hielt sie mit den Handflächen voran seiner Schwester und deren Waffe entgegen. »Aber keine Panik. Ich rufe sie einfach-«
»Besser du lässt das!« Es war Jektus, dessen Hand Aurelians Handgelenk griff, als dieser seine Waffe beschwören wollte.
Verdattert sah er dem dunkelhäutigen Fischwesen entgegen. »Was? Wieso?«
»Eine Waffe mehrmals zu beschwören, ist anstrengend. Vor allem, wenn der Meister die Waffe das erste Mal gerufen hat, fühlt fisch sich ausgelutscht. Es braucht die meiste Magie.«
»Aber ich bin topfit!« Um seine Worte zu unterstreichen, schwamm Aurelian drei schnelle Rückwärtsloopings neben Jektus.
»Du vielleicht schon. Was Jektus meint, ist: Denk an deine Waffe.« Dieses Mal war es Mahane, die antwortete.
»Hä? Aber das tue ich, ich - «
Jektus schwamm zu Aurelian und tippte ihm gegen die Stirn. »Spitz die Lauscher. Als Meister bist du klar im Vorteil, es kostet dich nicht so viel Kraft. Als Waffe allerdings transformierst du dich vom Meerwesen zu einem Gegenstand. Das ist anstrengend und kräftezehrend. Besonders, da eine Waffe bei jedem Meister eine andere Form annimmt.«
Der junge Prinz senkte den Kopf, betrachtete das schillernde Farbenspiel seiner Schwanzflosse.
»Das habe ich nicht bedacht ... « Seine Intention, die Worte per Telepathie an Mahane und Jektus zu senden, war schwach, weshalb er sich nicht sicher war, ob sie es überhaupt gehört hatten.
Wenn es meine Waffe erschöpft, lasse ich es für heute.
Aber ... die Kraft, die mich nach jeder Beschwörung durchströmt hat, war berauschend. Wenn es dem Meister nach einer Beschwörung besser als der Waffe geht, ist das unfair.
Aurelian sah auf seine Hände. Er ballte sie zu Fäusten und fasste einen Entschluss.
Zuerst muss ich mit meiner Waffe sprechen. Geht es der Person nach der Beschwörung gut, passt es. Wenn nicht ... vielleicht kann ich die Beschwörung abändern oder verbessern. Ich hab mich nicht umsonst all die letzten Jahre ausschließlich mit diesem Bereich befasst. Meine Waffe soll spüren, dass ich alles daran setze, dass es ihm oder ihr oder hen gut geht!
»Stell uns die Person vor, ohne diese zu verwandeln«, schlug Mahane vor und riss Aurelian aus seinen Überlegungen. »Ich bin neugierig, wer sich die nächsten Jahre um dich naives Fischlein kümmern muss.« Mit breitem Grinsen schwamm sie zu ihrem Bruder und legte ihm einen Arm um die Schultern.
Der Prinz sah seiner Schwester entgegen. Dann knuffte er sie sanft unterhalb ihrer Kiemen in die Seite. »Selbst naives Fischlein.«
Mahane grinste breit. »Außerdem muss ich der Person gratulieren, die deinen Fischschwanz gerettet hat.«
»Das wird schwierig«, gab Aurelian zu, »die Person hat sich mir noch nicht gezeigt.«
Jektus streckte sich. Seine Augen leuchteten auf, spiegelten das einfallende Licht. »Erzähl uns beim Essen davon. Jede gute Geschichte braucht gutes Essen.«
Tu nicht so. Ich sehe genau, dass dich die Identität meiner Waffe mindestens so brennend interessiert wie mich.
»Du willst dir nur den Wanst vollschlagen.« Mahane ließ von Aurelian ab und hakte sich bei Jektus unter. Natürlich nicht, ohne ihn kurz an seiner orangenen Ohrflosse zu ziehen.
»Sicher. Schließlich haben wir beide die letzten Stunden Rekruten trainiert.« Er lächelte Mahane entgegen, und strich ihr über die Wange. Ihre Mundwinkel hoben sich, dann schnappte sie gespielt nach seinem Finger.
»Würg.« Aurelian entfernte sich mit einigen Flossenschlägen von den beiden. »Turtelt nicht miteinander, wenn ich mittendrin bin!«
Beim gemeinsamen Essen mit seiner Schwester und Jektus erzählte Aurelian die Geschehnisse des Tages. Dabei wurde er mehr als einmal von den beiden ausgelacht.
Nur Wellan, der Ehemann Mahanes, lauschte der Erzählung, ohne seine Meinung zu sagen. Still wie eh und jeh beobachtete er nur.
Es heißt zwar, einen Fisch nach seinen Farben zu beurteilen ist Schwachsinn ...
Aurelian musterte Wellan. Die langen Haare des Fischwesens besaßen eine violette Färbung, die bis zu den Haarspitzen dunkelblau wurde. Ebenso dunkelblau mit violetten Akzenten waren seine Schwanzflosse und die Seitenflossen. Seine dunkelbraune Haut, mit dem feinen Blaustich ließ ihn nachts fast nahtlos mit seiner Umgebung verschmelzen. Sofern er die Leuchtrezeptoren unterhalb seiner Augen nicht als Scheinwerfer verwendete.
Eindeutig. Bei Wellan trifft es sowas von zu! Seine Farben sind ruhig und mysteriös, Wellan ist ruhig und mysteriös. Und ich habe nie auch nur einen Schimmer, was in seinem Kopf vorgeht.
Die Zeit verging wie im Flug und die muntere Partie verabschiedete sich. Aurelian musste seiner Schwester mehrmals versichern, seine Waffe erst wieder in zwölf Stunden zu beschwören.
Ich verstehe, dass es schlecht ist, sie zu überfordern. Aber ... aber ... es gibt so viel nachzuholen! Vor allem muss ich meine Waffe endlos anstarren, um sie mir zu merken. Aber nein ... nein ich muss warten.
Also bettete er sich in seinem Zimmer, einer der Blasenbauten Ocrans, auf dem von weichen Algen bewachsenen Stein. Dort liegend starrte er ewig auf die fluoreszierenden Muscheln, die an der Decke über ihm wucherten. Sie durchbrachen das Dunkel, das sich nach Sonnenuntergang im Meer ausbreitete. Als Kind waren sie sein Anker gewesen, der die Schauermärchen über die grässlichen Diener der Angst vertrieb. Auch in den letzten Jahren hatte er diese leuchtenden Lebewesen als Ruhepol angesehen.
Nun aber war da etwas anderes.
Wenn ihn Zweifel überkamen, oder Angst versuchte, sich ihm zu nähern, spürte er bewusst in die Verbindung zu seiner Waffe. Dies spendete weitaus mehr Ruhe, als es ein paar leuchtende Muscheln jemals könnten.
Seine Gedanken drifteten ab. Weg von allem um ihn herum, weg von den Verpflichtungen die Mahane während des Abendessens erwähnt hatte, hin zu seiner Waffe.
Wer diese Person wohl war? Wie sieht sie oder er oder hen aus?
Während er still nachdachte, verlor er sich in Gedankenspielereien, die darin ausuferten, wie dankbar ihm die Person nun sein musste, ihn als Meister zu haben. Viele verschiedene Szenarien – die alle mit überschwänglicher Freude seiner Waffe endeten – malte sich Aurelian aus. Mit diesen wohligen Gedanken, bei denen Aurelian wie der größte Vollidiot grinste, schlief er ein.
Aurelian
Am Morgen des nächsten Tages schwamm er hochmotiviert in den Essbereich, der für die Königsfamilie reserviert war, als ihn die Diener mit Informationen überschütteten. Seine Laune sank bei jeder weiteren Mitteilung. Zum einen musste er zum Hofschneider, der – nett ausgedrückt – das nervöseste Individuum im ganzen Meer war. Wie ein aufgescheuchter Schwarm, der vor einem Hai floh, wuselte der Meermann um Aurelian herum. Er zeigte ihm Gewänder für das Bankett, legte ihm Schmuck an und verwarf alles wieder, nur, um neu mit der Auswahl zu beginnen. Dabei verlor sich Aurelian in Tagträumereien, nickte und bejahte, obgleich er nicht darauf achtete, was der Hofschneider von sich gab.
Zum anderen fing ihn Mahane ab, die ihn mit in eine Blasenbaute Ocrans zerrte, die normalerweise für Theateraufführungen genutzt wurde. Heute war sie leer, am Eingangsbereich schwamm eine Wache, die sie mit einem Nicken durchließ. Mahane drückte ihm ein Totschwert in die Hände. Sie gab ihm Instruktionen für einen Tanz, den er für die Eröffnung des Banketts, das zu Ehren der Delegierten aus Goldträne stattfand, zu lernen hatte.
Egal wie sehr sich Aurelian beschwerte, oder sich herauszuwinden versuchte, es gelang ihm nicht. Später am Abend konnte er sich kein einziges Gespräch mehr in Erinnerungen rufen, das er am heutigen Tag geführt hatte. Er war die ganze Zeit zu sehr darauf fixiert gewesen, eine Gelegenheit zu finden, seine Waffe zu beschwören. Und war kläglich daran gescheitert.
Für eine Beschwörung war schlichtweg keine Zeit gewesen. Weder vor dem überirdisch langweiligen Abendessen, noch danach hatte er es geschafft, sich davonzustehlen, um die Beschwörung zu vollziehen. Denn Mahane hatte von ihm gefordert, er müsse eine weitere Tanzeinheit einlegen, damit er sich die Bewegungen einprägen konnte.
Spät in der Nacht kehrte Aurelian mit schwirrendem Kopf und schmerzender Schwanzflosse in sein Zimmer zurück.
So ein blöder Tanz. So ein blöder Aufwand! Alles nur dumme Zeitverschwendung!
Die Steinplatte, welche die Tür seiner Zimmerblase darstellte, schloss sich durch Magie automatisch hinter ihm.
Und warum empfängt mich Vater nicht? Was kann wichtiger sein, als sich anzuhören, dass ich endlich eine Waffe gefunden habe!
Blubbernd pustete er Wasser aus seinem Mund. Die aufsteigenden Blasen zerstoben zu kleineren, als sie an die Muscheln an der Decke stießen. Wie immer verstärkten sie das grüngelbliche Licht der am Grund seines Zimmers wachsenden Leuchtkorallen.
Der Tag war viel zu langweilig. Wenigstens ist er nun rum. Das bedeutet ...!
Aurelians blasse Lippen umspielte ein breites Lächeln. Freudig rieb er die Hände aneinander. Er schickte einen hastigen Blick durch sein Zimmer, prüfte, ob es ordentlich aussah. Schließlich wollte er nicht, dass seine Waffe glaubte, er, Aurelian, sei ein Schmutzfisch. Weder Essensreste noch alte Kleider trieben im Wasser herum. Sein Blick tastete die Wände der Blasenbaute ab, begutachtete die runden Aussparungen – die Fenster –, die mittels Magie verhinderten, dass Angstdiener in das Zimmer kamen. Darunter wog eine rosafarbene Anemone sachte im Wasser. Ein Clownfisch huschte durch das Fenster und verschwand in dem Gewirr aus Tentakel. Außer dem Haremsverband, der dort lebenden Clownfische, hatte sich nichts in Aurelians Zimmer eingenistet. Es gab auch keine abgestorbenen Muscheln in dem Raum. Die aus Algen und Seegras geknotete Decke lag auf seinem Schlafstein. Alles war an seinem Platz.
Also gut. Mach dich bereit.
Aurelian spürte nach der Verbindung zu seiner Waffe. Wieder genügte der Gedanke, und das Rapier manifestierte sich, begleitet von gleißendem Licht, in seiner rechten Hand. Ein wohliges Gefühl erfüllte den Prinzen.
Es kann nicht sein, dass die Verwandlung für dich so anstrengend ist. Dazu fühlt es sich viel zu gut an, dich zu beschwören.
Sachte strich er mit den Fingern der linken Hand über die lange Klinge.
»Du bist so wunderschön«, richtete er das Wort an seine Waffe. »So edel, so anmutig, so ... so ... atemberaubend.« Er überschüttete das Rapier mit weiteren Komplimenten. Natürlich hielt er es dabei mit beiden Händen umklammert. Nicht, dass es wieder auf die grandiose Idee kam, abzuhauen.
Während er seine Waffe mit Lob überschwappte, schwamm Aurelian zu seinem Schlafstein. Und sank auf die weichen Algen.
»Aber meine beste, schönste und anmutigste Waffe«, begann er schließlich, »es ist Zeit, dass du dich mir zeigst. Das ist ein Befehl!«
Ein Beben ging durch die Klinge. Aurelian spürte den Widerstand seiner Waffe.
So schüchtern. Will sich einfach nicht verwandeln. Aber so leicht gebe ich nicht auf.
Mit breiten Grinsen erhöhte Aurelian die Intensität des Befehls.
»Zeig dich! Ich will dein Gesicht sehen.«
Kayron
Rauschen. Dröhnen, Zwitschern. Schaben. Gurren. Blubbern. Ein Surren aus der dunklen Tiefe. Seit er das Königinnenreich Goldträne verlassen hatte, schlugen die Geräusche über ihm zusammen wie eine gigantische Welle über das Festland.
Sein Gehörsinn musste sich erst an die unzähligen Laute gewöhnen, die ihn hier umspülten. Das gesamte letzte Jahr war Kayron nicht mehr außerhalb der Lautgrenze Goldtränes gewesen. Ein gesamtes Jahr hatte ihn der Zauber, der in Form einer magischen Kuppel über dem Königinnenreich lag, vor den meisten Geräuschen abgeschirmt. Was gut war, denn ansonsten wäre die Lärmverschmutzung in einer so großen Stadt wie Goldträne unerträglich.
Aber so hilfreich ein geräuschregulierender Zauber auch sein mochte, so hilflos kam sich Kayron in den ersten Stunden vor, wo er, begleitet von zwei Beratern der Königin und sieben Kriegern und deren Waffen, unterwegs nach Aquenos war. Mit jedem Schlag seiner schwarz-rosafarbenen Flosse, mit jeder Meile, die sie sich von Goldträne entfernten, begann die Anspannung, die am Hof immerzu von ihm Besitz ergriff, von ihm abzufallen. Nicht so, dass es je ein anderer gemerkt hätte, aber so, dass er selbst es merkte und vor allem fühlte. Und so lästig er die Nachricht, er solle als Schwertmeister bei den Verhandlungen in Aquenos teilnehmen, anfangs empfunden hatte, so gelegen kam sie ihm in diesem Moment.
Wer weiß, vielleicht bringt mich ein Kulissenwechsel auf neue Kampftechniken.
Zumindest hatte er sich das vor drei Tagen gedacht, als sie noch mitten auf der Reise gewesen waren und wo er noch keine Ahnung gehabt hatte, dass eine plötzliche hundertprozentige Vereinigung sein Herz zum Beben bringen würde. Und er sich schließlich im Bett des Beschwörers - dem er sich unter keinen Umständen beugen wollte - wiederfinden würde.
»Untersteht Euch!«, keuchte Kayron entsetzt, nachdem der junge Prinz von Aquenos ihn in seine Fischwesenform gezwungen hatte und ihn so am erneuten Abhauen hinderte. »Seht mich nicht an! Ich warne Euch. Keinen Flossenschlag näher.«
Der Schwertmeister Goldtränes drückte dem Prinzen die gewebte Algendecke ins Gesicht, um den Jungen daran zu hindern, ihn zu erkennen. Noch hoffte Kayron, dass er sich die hundertprozentige Vereinigung möglicherweise nur eingebildet hatte. Innerlich wusste er, dass dies vollkommener Blödsinn war, aber im Augenblick war er nicht bereit, den Umstand, für immer an ein und dasselbe Wesen gebunden zu sein, zu akzeptieren.
»Hör auf, dich so zu sträuben«, meckerte der Junge. Während der Prinz versuchte, die Algendecke, die Kayron immer noch in das Gesicht des Prinzen presste, irgendwie loszuwerden, sah sich Kayron panisch im Raum um.
Das Zimmer des jungen Prinzen wurde durch fluoreszierende Muscheln – die an den Wänden wuchsen und Leuchtkorallen am Boden des blasenförmigen Raumes – erhellt. Seetang und Gräser wogen um das Bett des Prinzen, das ein von kurzen, weichen Algen bewachsener, flacher Stein bildete.
Sein Blick fiel auf die runden Öffnungen in der Wand. Sie waren womöglich mit einem Passierzauber belegt, somit unbrauchbar für Kayrons Flucht. Als er die Tür fand, den oben abgerundeten Durchgang schmückte hier ebenfalls ein sanft wehender Seetangvorhang, war es zu spät. Der Prinz fixierte Kayrons Handgelenk mit einer Hand und bewegte seinen Kopf so, dass er über die Decke spähen konnte.
In einer schnellen Drehung riss Kayron sich los und drehte den Kopf weg.
»Jetzt sei nicht so schüchtern«, maulte der junge Prinz. Kayron konnte die Bewegung des Prinzen Schwanzflosse im Wasser hinter sich spüren. »Wir sind ab sofort Waffe und Meister, du kannst dich mir ruhig zeigen.«
»Von wegen. Da liegt ein Irrtum vor.« Mit diesen Worten katapultierte sich Kayron gegen die Decke des Raumes, wobei er darauf achtete, sich nicht an den Muscheln zu schneiden, immer noch mit abgewandtem Gesicht. Mit dem nächsten Schlag seiner Flosse schoss er auf die Tür zu.
»Gute Nacht!«
»Vergiss es!«, rief der Prinz aus.
Kayron setzte seine spitzen Finger an der Türplatte an, in der Hoffnung, sie möge aufgehen. Aber bevor er ernsthaft dagegen drücken konnte, war der Prinz bei ihm angelangt und packte ihn von hinten. Aurelian schlang seine Arme so energisch um Kayrons Mitte, dass diesem für einen Moment die Luft aus den Kiemen gepresst wurde. Blasen stiegen auf.
»Unverschämter«, keuchte Kayron und stieß dabei noch mehr Blasen aus. Er spürte die weichen, langen, blaugrünen Haare des Prinzen seinen Körper umfließen. Und für einen winzigen Augenblick schlug Kayrons Herz schneller. Wärme und Geborgenheit fluteten Kayron, während er in den Armen – dem Klammergriff – des jungen Mannes lag.
Diese Gefühle bewirkt diese verfluchte Vereinigung.
»Du bist unverschämt! Du haust ständig ab, obwohl wir uns gefunden haben. Du solltest dich freuen«, versuchte Aurelian, Kayron davon zu überzeugen, dass ihre hundertprozentige Vereinigung etwas Gutes war. Und das war sie auch, grundsätzlich. Wäre da nicht Kayrons Abneigung sich zu binden.
»Freuen? Wieso freuen?«, presste Kayron hervor, packte Aurelians Handgelenke und versuchte, seinen Griff zu lockern. In taumelnden Bewegungen trieben sie im Zimmer des Prinzen umher.
»Du musst nie wieder eine geringere Verbindung eingehen, um die Angst aus dir zu vertreiben. Du und ich haben die höchste Stufe, die eine Vereinigung erreichen kann. Du und ich sind nun für immer ein Team. Die Angst kann uns nie wieder etwas anhaben. Also hör auf, dich zu sträuben, und freu dich endlich.« Das sagte Aurelian in einem Ton, als wäre dies das Beste im ganzen Ozean, während er Kayrons Versuche ihn loszuwerden, problemlos standhielt.
Kayron stieß ein ungehaltenes Fauchen aus. Klapperte mit den spitzen Zähnen, um Aurelian das Signal zu geben, dass es nun genug war. Wieder schlug Kayron kräftig mit seiner Schwanzflosse, drehte sich blitzschnell so, dass Aurelian im nächsten Moment mit dem Rücken an der Decke schrammte und dort durch die fluoreszierenden Muscheln pflügte.
Der Prinz gab ein schmerzverzerrtes Stöhnen von sich, aber er ließ immer noch nicht von Kayron ab.
»Lass endlich los!«
»Vergiss es. Ich habe zu lange auf dich gewartet, als dass du mich so einfach wieder loswirst.«
Der Geruch und der Geschmack von Blut begannen sich im Zimmer auszubreiten. Dass Kayron dafür gesorgt hatte, dass der Prinz an der Decke entlang schrammte, hatte Aurelian doch mehr Schaden zugefügt als beabsichtigt.
Er will es doch nicht anders.
Mit diesen Gedanken versuchte Kayron, das aufkeimende schlechte Gewissen aufzulösen. Durch eine schraubende Bewegung Kayrons langten beide erneut bei der Tür an. Der Schwertmeister Goldtränes drehte sich so, dass Aurelian mit dem Rücken gegen die Tür stieß, die sofort – aufgrund des magischen Mechanismus – verschwand. Sie trieben auf den Gang. Dort schaffte Kayron es nun endlich, sich aus dem Griff des Prinzen zu winden. Und bevor Aurelian noch eine dieser dummen Aktionen starten konnte, schoss Kayron den Gang entlang. Biegung um Biegung zurück in sein eigenes Zimmer.
Aufgewühlt schwamm Kayron im Raum umher, schüttelte den Kopf und seine Flossen immer wieder, in der kindischen Hoffnung, all die Spuren der Vereinigung würden dadurch von ihm abfallen. In seinem Körper wummerte nach wie vor die Erinnerung der Berührung des Prinzen gegen seine Haut, Schuppen und Organe. Sie wurde mit dem Pumpen Kayrons Herzen durch seine Adern gespült und vereinnahmte ihn. Es fühlte sich an, als würde er mit der Präsenz des Prinzen gewaschen, bis es ihn, Kayron, nicht mehr gab. Was völlig absurd war, denn er fühlte sich schließlich noch. Er spürte seinen Körper, jede einzelne seiner Flossen, jeden Atemzug, den er tat. Und dennoch war ihm, als wäre er nicht mehr alleine in sich. Als würde Aurelian immer noch bei ihm sein.
Kayron fröstelte.
Die Worte des Prinzen kamen ihm wieder in den Sinn.
Ich sollte mich tatsächlich über unsere hundertprozentige Vereinigung freuen. Schließlich werde ich mich niemals in einen Angstdiener verwandeln. Ich werde kein blutdürstendes Monster werden, das völlig von der Angst aufgezehrt wurde, und nicht anders kann, als die Herzen der anderen zu verschlingen. Ich sollte mich freuen, wieso reagiere ich so über?
Das Gefühl, das jede einzelne der bisherigen drei Verwandlungen mit sich gebracht hatte, war noch nicht gänzlich verebbt, als Kayron sich zur Ruhe legte. Er schwebte über dem Schlafstein in seinem Gemach, schloss die Lider und döste vor sich hin. Seine Gedanken endeten immer bei demselben Bild. Bei derselben Person, selbst als er sich zwang, an etwas anderes zu denken. Sie kehrten immer wieder zu dem jungen Prinzen mit der hellen Haut und den stechend giftgrünen Augen zurück. Und obwohl er sich dagegen sträubte, empfand er unendliche Ruhe dabei.
Kayron
»Der Prinz von Aquenos hat doch tatsächlich eine hundertprozentige Vereinigung provoziert.«
»Der törichte Prinz ... niemand hat noch daran geglaubt, dass es ihm je gelingen würde.«
»Stimmt es, dass ihm der Beiname ‚der Graue‘ gegeben wurde, weil er sich sein Leben lang geweigert hat, eine andere als eine hundertprozentige Waffe zu beschwören, und sich seine Haut vor Angst deshalb schon grau färbte?«
Diese und noch mehr Gesprächsfetzen einer ähnlichen Art begleiteten Kayrons gesamten Vormittag. Selbst in den Pausen der Besprechung mit Königin Irenja hörte er die Diener und Wachen miteinander über die Beschwörung Aurelians tuscheln.
Der Besprechungssaal war ein blasenähnlicher Raum, in dem Sitznischen einen Kreis bildeten. Jeder, der nicht frei im Saal schwimmen wollte, konnte sich bequem auf die aus Stein gehauenen Sitz- oder Liegeflächen begeben. Anders als in Goldträne hob sich der Sitz der Königin hier nicht von den anderen ab.
Den einzigen Unterschied bildeten die Wasserpflanzen, die Irenjas Sessel zu beiden Seiten schmückten.