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Ruhe kehrt in Aquenos ein - so scheint es zumindest für kurze Zeit. Schon verfolgt Aurelian die nächste Vision, die ihn und Kayron eines Nachts zu den Kappas an Land zwingt. Wenn sie sich nicht beeilen, geschieht erneut eine Katastrophe. Und eine weitere Tragödie wollen weder Aurelian noch Kayron zulassen. Für Kayron ist es nahezu unerträglich, dass er seine Gefühle für den Prinzen nicht mehr leugnen kann. Er findet Aurelian anziehend und faszinierend. Und was soll er tun, als er dem in goldenes Licht getauchten Aurelian gegenüberschwimmt und die Welt um sie herum vergisst? Sich wirklich auf den Prinzen einlassen - ist es das, was Kayron will? Oder spielen nur seine Hormone verrückt? Dieser Sammelband umfasst die Teile 4 und 5. Mit ihm sind die Abenteuer des Prinzen Aurelian und seiner Waffe Kayron (vorerst) abgeschlossen.
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Seitenzahl: 526
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Hinweis: Alle Inhalte des Werks sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen, Unternehmen, Einrichtungen, etc. sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
Diese Welt ist nicht frei von Ableismus, weshalb hin und wieder ableistische Wörter wie ‚doof‘ oder ‚Idiot‘ fallen.
Mögliche Trigger: Gewalt, sexuelle Szenen
Kapitel mit expliziten sexuellen Szenen sind mit markiert.
Zur Geschichte: Obwohl die Welt frei erfunden ist, haben wir Autoren uns über Meereslebewesen informiert, um ein möglichst authentisches Setting zu kreieren. Die meisten Wesen und Fische sind frei erfunden und existieren so nicht in der realen Welt.
In Gold getaucht, verzogen und frech. Maßlos und weinerlich. Prinzessin Yuna vom goldenen Reich, ihre Flosse so gelb, ihre Haut so weich.
Hat einen Jüngling aus Ignen beschwor’n. Er ist düster, kühl und arm gebor’n. Yuna, wie froh du über Zyane nun bist. Wie schade, dass er ‚deine‘ Waffe ist!
- Gedicht der Bardinnen über die hundertprozentige Vereinigung in Goldträne in der Version für Aquenos
Die Bardinnen: Kayron
Ich entscheide mich für: Kayron
Immer Ärger mit Jektus’ Plänen: Aurelian
Nervöser Schneiderfisch: Aurelian
Gescheitertes Ablenkungsmanöver?: Aurelian
Zweisamkeit: Kayron
Die Störkugel: Kayron
Eine neue Vision: Aurelian
Ausreißer: Aurelian
In den Kerkern: Kayron
Fang mich!: Kayron
Die größte Zeitverschwendung!: Aurelian
Die Stimme des Ozeans: Kayron
Tanz mit mir: Kayron
Der edle Prinz: Kayron
Lust auf dich: Kayron
Morgendliches Geplänkel: Aurelian
Auf zum Kappafest!: Aurelian
Schäumlinge und eine bittere Nachricht: Aurelian
Auswegslos: Kayron
Lichtsplitter: Kayron
Band 5
Heilende Verbindung: Kayron
Das Unmögliche bewirken: Aurelian
Heilmassage: Kayron
Schillerflosse: Kayron
Yuna: Kayron
Unterricht: Aurelian
Die Statue in Perles Zimmer : Kayron
Kayron ärgern, ist meine Aufgabe: Aurelian
Geheimnisse der Bibliothek: Aurelian
Das Tagebuch: Aurelian
Geplänkel mit Aurelian und ... mehr: Kayron
Weck mich nicht!: Kayron
Der Trainingsplan der Königin: Kayron
Der Tag des Verlustes: Aurelian
Den Schmerz spüren: Aurelian
Training und Vergnügen: Aurelian
Ins Ungewisse: Kayron
Von Angst und Wandlung: Kayron
Eine Waffe aus Angst: Aurelian
Planänderung: Aurelian
Aurelian will mich!: Kayron
In Büchern stöbern: Aurelian
Unlautere Beschwörung: Aurelian
Gartenfest: Aurelian
Geschenke: Kayron
Die Gäste kommen: Kayron
Abschiednehmen: Aurelian
Im Tanzrausch: Kayron
Unruhen: Aurelian
Hochzeit: Kayron
»WAS?«, sendeten Kayron und Aurelian gleichzeitig an Serene. Entgeistert starrten beide die Wächterin an, die vor ihnen im Wasser trieb.
»E-es stimmt. Es gab eine hundertprozentige Vereinigung in Goldträne«, bekräftige ihre Aufpasserin mit den weißviolettfarbenen Haaren und sah betroffen von einem zum anderen.
Die Lichter der Leuchtkorallen am Grund zeichneten kühle bläuliche Ränder um die Anwesenden, die im Wohnzimmer von Aurelians und Kayrons gemeinsamen Gemach umhertrieben.
»Beim Leben ... darum der Aufruhr?«, meinte Aurelian. Er legte nachdenklich eine Hand an sein Kinn, sein Blick glitt nach oben an die steinerne, von Muscheln übersäte Decke. »Da hat Goldträne eine hundertprozentige Vereinigung gemeistert. Hm, ziemlich erstaunlich.«
»Und Königin Irenja will euch sehen«, ergänzte Serene leise.
»Was für eine Überraschung«, murmelte Kayron, wobei er die Augenbrauen leicht zusammenzog. »Wer hat die hundertprozentige Vereinigung vollzogen?«
Serene sah ihn an, wies anschließend mit ihrer Hand zur Tür.
»Ich b-bringe euch zur Königin, sie erwartet euch bereits. Sie wird alles erklären.«
Mit einer zaghaften Drehung Richtung Ausgang schwamm Serene voraus.
Ich kann mir vorstellen, wie Perle getobt haben muss, dass Aquenos nun eine hundertprozentige Vereinigung erreicht hat und Goldträne nicht.
Blasen stiegen in den Raum, als Aurelian laut seufzend Luft aus seinem Mund blies. Noch machte er keine Anstalten, Serene zu folgen. Stattdessen sah er in die Runde.
»Zuerst behaupten alle, es sei nicht möglich, eine hundertprozentige Vereinigung zu vollbringen, und dann wollen sie es gleich nachmachen, wenn es doch geht. Fisch braucht wohl immer eine Person, die es den anderen zeigt.« Bei den letzten Worten kicherte Aurelian amüsiert. Seine doch etwas schockierte Miene von eben war bereits wieder fortgewischt.
Kayron setzte zu sprechen an, da fuhr Aurelian fort. Ein zufriedenes Lächeln zierte seine Mundwinkel, als er abwechselnd zu Kayron und dann zu Serene sah.
»Es ist gut, wenn jetzt mehr Meerwesen angespornt werden, die hohe Beschwörung zu versuchen. Eigentlich sollte jede Person ihre hundertprozentige Waffe finden. Schließlich können wir so die Angst am besten austrocknen.«
»Hm«, machte Kayron.
Immerzu denke ich, der Prinz will nur Aufmerksamkeit. Aber in solchen Momenten erkenne ich, dass er es wirklich gut mit den Wesen um ihn herum meint. Er will, trotz dass er ein Kindskopf ist, immer das Beste für die Leute.
In dem Moment spürte Kayron das Band der Zuneigung erneut, das ihn zwang, Aurelian wohlwollend anzusehen. Stolz über die Tugendhaftigkeit seines Meisters quälte sich an Kayrons Gefühlsoberfläche. Er unterdrückte ihn aber sofort wieder, als sich die Bilder von letzter Nacht in sein Gedächtnis stahlen.
»Wir sollten Serene folgen, Aurelian«, sendete Kayron an den Prinzen.
»Das ist großartig«, hauchte Aurelian in Kayrons Kopf. »Endlich können wir zu Mutter. Und nebenbei erfahren wir, wer in deiner alten Heimat die hundertprozentige Beschwörung geschafft hat.«
»Das stimmt, dein Wunsch geht in Erfüllung«, bemerkte Kayron reserviert, schwamm los und stockte.
Ich trage noch immer diesen Fummel!
»Moment!«, sendete Kayron in die Köpfe der anwesenden Fischwesen. »Ich kann so nicht vor die Königin schwimmen.« Dabei wies er mit einer fließenden Bewegung an seinem Körper hinab. Sein Oberkörper wurde nur von einem schwarzen, weit ausgeschnittenen Algenledertop verdeckt. An den Seiten waren großzügige Netzeinsätze, die weitaus mehr Haut zeigten, als es dem ehemaligen Schwertmeister lieb war. In Goldträne wäre es verpönt, in solch einem Aufzug vor ein hohes Meerwesen, oder gar die Königin zu schwimmen.
»Warum nicht? Das steht dir doch ziemlich gut«, konterte Aurelian.
»Werter Herr Kayron ... ich sehe auch k-kein Problem in der Gewandung.«
Aurelian und Serene musterten ihn.
Dieser verzog die Mundwinkel und meinte: »Na ... wenn es sein muss.«
Hier in Aquenos scheint solcherlei Aufzug kein Problem darzustellen ...
Als Kayron hinter Aurelian aus dem Raum schwamm, streifte sein Blick Serenes Waffe, die das Schlusslicht bildete. Die gesamte Zeit über hatte er sie nicht wahrgenommen, obwohl sie hier mit ihnen im Raum geschwommen war. Ihr steinerner Blick lag fest auf ihm, ihr Gesicht war eine Maske, die keine Gefühlsregung zeigte.
Eine Kriegerin, wie sie in den Geschichten zu finden ist ...
Kaum waren sie am Gang angelangt, schwammen sie durch ein Fenster hinaus ins Meer und von dort hoch zur Thronblase. Bevor sie durch den Seetangvorhang nach drinnen gelangten, verlangsamte der Prinz sein Tempo, bis er auf der Stelle im Meer schwebte. Er sog tief Wasser in seine Kiemen, schüttelte sich, gab sich einen Ruck und folgte Serene schließlich bis zur Pforte.
»Wir stehen das gemeinsam durch, Aurelian. Das habe ich versprochen«, sendete Kayron in Aurelians Geist. Er hätte auch ohne, dass sich sein Meister so offensichtlich für das Kommende mental gerüstet hatte, gespürt, dass dem Prinzen nicht ganz wohl bei der Vorstellung war, seine Mutter zu treffen. Nicht nach allem, was passiert war.
Dafür erntete er ein breites Grinsen Aurelians. »Danke Kayron.«
Als sie dieses Mal in die Thronblase schwammen, hatte Kayron ein noch mulmigeres Gefühl als damals nach dem großen Kampf, der erst wenige Tage her war, sich dennoch anfühlte wie hundert Jahre. Eine gewisse Kälte schwappte in seiner Magengegend umher. Eine gewisse Panik vor dem, was ihnen blühte.
Die Thronblase war heute in grünlichtürkises Licht getränkt, das von farbwechselnden Muscheln herrührte, die an den Streben wuchsen, welche das Kuppeldach stützten.
Neben Königin Irenja, die am Thron saß, trieb Leyfa, Kilius‘ Nachfolgerin, und vier Meerwesen zu ihrer Rechten. Kein Gesicht der vier Neulinge hatte Kayron zuvor bereits gesehen. Drei der vier Fischwesen besaßen dunkle Haut – von karamell- bis bitterschokoladefarben – nur eines davon hatte hellen sandfarbenen Teint. In ihren Gesichtern lag Interesse, Neugierde, Wachsamkeit.
»Mein Sohn, Prinz Kayron, Serene hat euch verkündet, was geschehen ist«, kam Königin Irenja gleich zur Sache. »Es gab eine hundertprozentige Vereinigung in Goldträne.« Wie immer saß sie erhaben auf ihrem Thron, ihr Haar trug sie wie so oft als geflochtenen Kranz um ihr Haupt, in dem wunderschöne, schlichte Steinstäbe steckten.
»Das bedeutet speziell für dich«, dabei durchbohrte sie Aurelian mit ihren Eisaugen. »Härteres Training. Wir dürfen Goldträne in nichts nachstehen!«
»Ich verstehe dieses Wettbewerbsgehabe nicht«, sendete Aurelian und kassierte dafür einen strafenden Blick Irenjas.
»Um das Spezialtraining wird sich Belethe kümmern. Sie ist eine hervorragende Kriegerin.«
»Belethe? Wer ist das?«, fragte Aurelian und sah sich im Raum um. »Eine von euch etwa?« Der Blick des Prinzen war zu den vier Fischwesen gerutscht, die an der Seite der Thronblase im Wasser schwebten. Ein sich feminin präsentierendes Meerwesen grinste verschmitzt, sagte aber nichts. Stattdessen antwortete die Königin für die vier.
»Nein, diese vier sind die Bardinnen, die die Botschaft heute Nacht nach Aquenos brachten. Von links nach rechts. Vena. Sie und ihre Ehefrau Wana sind die Köpfe ihrer Truppe. Mara, weiblich, und Zony, nicht binär, sind Geschwister und ihre Waffen. Du solltest sie kennen, sie sind immer wieder in Aquenos.«
Es ist wie bei Enrik, dem Alten. Eigentlich sollte Aurelian die Leute kennen, aber er erkennt sie einfach nicht.
»Hm, ... ihr wart also schon mal hier?«, bemerkte Aurelian und bemühte sich sichtbar, irgendwelche Merkmale an ihnen zu erkennen, die ihm etwas sagten.
Hatte die Königin gerade die Augen gerollt, oder hatte Kayron sich diese Geste nur eingebildet? Eine Spiegelung? Ein Lichtreflex? Hatte Irenja sich hinreißen lassen, eine solch emotionale Regung vor den Umschwimmenden zu vollziehen?
Wobei, ... wenn ich mir die Anwesenden so ansehe ...
Kayron blickte zu Aurelian, der nachdenklich die vier musterte und die ausnahmslos alle in des Prinzen Richtung sahen. Dann schweifte sein Blick zu Serene, die Irenja aus ängstlichen Augen fixierte.
Es ist völlig egal, ob die Königin mit den Augen gerollt hat oder nicht ... nicht bei diesen Gästen. Serene ist von ihrer Angst eingenommen. Aurelian und die vier sehen nicht in ihre Richtung und ich ... wer bin ich schon, die Königin für ein Augenrollen zu verurteilen. Beim Leben, wie oft habe ich schon über das Verhalten des Prinzen den Kopf geschüttelt.
»Belethe ist Serenes Waffe.« Mit einer eleganten Bewegung hob Irenja ihren Arm und wies über sie hinweg.
Kayron folgte ihrer Geste, wandte sich um und sah sich Belethe gegenüber, die ihm jetzt noch viel größer und muskulöser vorkam als vorhin im Wohnzimmer. Mit den kurzgeschorenen schwarzen Haaren und ihrem unlesbaren Gesicht trieb sie schräg hinter ihm. Still, leise, wie immer.
Belethe ist also ihr Name.
Als Kayron ihren Namen bewusst dachte, überkam ihn Ehrfurcht. Aus Respekt senkte er den Kopf etwas, ehe er sich erneut der Königin zuwandte.
»Ach, das ist Belethe. Hättest sie uns ruhig mal vorstellen können, Serene«, meinte Aurelian und nickte Belethe zu.
»V-Verzeiht«, kam sofort von Serene.
»Würdest du mehr Interesse an deinen Mitwesen zeigen, hättest du ihren Namen viel früher erfahren, Aurelian«, sprach Irenja trocken. »Die Schuld daran trägt nicht Serene, sondern du.«
Aurelian duckte sich leicht, zog die Schultern hoch und sah peinlich berührt zu seiner Mutter. Dann räusperte er sich, sein Blick glitt zu Belethe und schließlich zu ihrer Meisterin. »Ähm ... Es tut mir leid ... ich hätte auch fragen können.«
Abwehrend schüttelte Serene den Kopf.
»N-nicht doch«, flüsterte sie.
»Das wäre alles, Belethe ist über das Training in Kenntnis gesetzt worden«, verkündete Irenja. Mit einer Wischbewegung in Aurelians Richtung, schien sie ihm zu bedeuten, dass er fortschwimmen sollte. Doch Aurelian dachte nicht daran, sich zu entfernen. Auch nicht, als Serene zu ihm schwamm und ihn fast flehend fixierte. Die Augen Aurelians hafteten wie ein Seestern auf seiner Mutter.
»Mutter, ich muss mit Euch sprechen«, sendete der Prinz schließlich in ihre Richtung. Von der vorherigen Verunsicherung in seiner Haltung war nichts mehr zu sehen. Sie war einer forschen, fordernden Art gewichen.
»Nicht jetzt.« Irenjas Augen taxierten ihren Sohn einen Moment, als würde sie ihm den Befehl erneut zusenden. Dann atmete sie aus. »Serene!«
»Prinz, ich bringe Euch zurück«, piepste Serene neben dem Prinzen. »Bitte, folgt mir.« Sie tat Anstalten, sich Richtung Ausgang zu bewegen.
»Wartet, bitte«, begann Kayron.
Königin Irenja nickte ihm zu. Ihm gegenüber wirkte ihr Blick zwar fest, aber weniger streng als bei ihrem Sohn. »Prinz Kayron, sprich.«
»Wer hat die hundertprozentige Beschwörung vollzogen?«
Es war ein Blick der Königin, der die vier Bardinnen in Bewegung setzte.
»Das ganze Lied werden wir hier nicht vortragen, aber ... «, begann Vena, die ihr braun-schwarzes Haar kurz trug.
Zony und Mara begannen zu summen, Wana stimmte mit ein, bis sich eine helle Melodie ergab. Es war ein schwungvolles Lied, das die Thronblase erfüllte. Vena sang:
»In Gold getaucht und wunderschön, mit Witz und Charme und ungestüm Prinzessin Yuna aus Goldträne. Was, wenn ihre Waffe nicht von dort käme?
Ein Drache aus der Dunkelheit, gefährlich und voll Bitterkeit. Ein junger Mann vom einfachen Volk Zyane sein Name, ein Nichts und ein Niemand!«
Der letzte Teil des Liedes war ein heiseres Flüstern, auf das ein Lachen folgte. Es war eine Verhöhnung, Zyane hatte keinen Reim verdient. Wer auch immer er war, er lag nicht in der Gunst Goldtränes oder seiner Bardinnen.
Typisch für dieses Reich.
Zähneknirschend schwamm Kayron im Raum neben Aurelian. Wie sehr ihn dieser gehässige Gesang reizte, einfach aus der Thronblase zu schwimmen. Der Prinz wirkte von dem Lied verzückt. Seine Augen leuchteten, obgleich etwas Nachdenkliches in ihnen lag.
»Also ist sie auch vom Adel«, überlegte er laut. »Gut, aber wer-«
Wana legte einen Finger an ihre Stirn, was bedeutete, dass er zu schweigen hatte.
»Das war die Version für Goldträne«, kicherte Vena. Ihre Augen blitzten dabei schelmisch auf. »Königin Irenja, dürfen wir die Version für Aquenos auch noch vortragen?«
Die Königin nickte. Sie wirkte weder genervt noch besonders erpicht darauf, das Lied zu hören. Heute zeigte sie sich Kayrons Auffassung nach so ernst und formell, wie bei der Verhandlung mit den Delegierten aus Goldträne.
Wieder begannen Zony, Mara und Wana zu summen, stimmten das Lied von neuem an. Wieder erhob Vena die Stimme:
»In Gold getaucht, verzogen und frech. Maßlos und weinerlich. Prinzessin Yuna vom goldenen Reich, ihre Flosse so gelb, ihre Haut so weich.
Hat einen Jüngling aus Ignen beschwor’n. Er ist düster, kühl und arm gebor’n. Yuna, wie froh du über Zyane nun bist. Wie schade, dass er ‚deine‘ Waffe ist!«
Glucksend schwamm Aurelian umher. Das Lied schien ihn sehr zu erheitern. Mit einem Mal aber stockte er. »Also haben alle Reiche eine eigene Version der Lieder?«, fragte er laut.
Vena mit der dunklen Flosse und den knallorangenen Seidenflossen antwortete: »Das ist richtig. In jedem Reich tragen wir, je nachdem wie es die Sitten verlangen, angepasste Versionen vor.«
»Ahhh«, machte der Prinz fröhlich, »wie klingt Ignens Version?«
»Genug!«, unterbrach die Königin das Gespräch. »Diese vier hier werden nun schwimmen und sich für die Festtage vorbereiten. Dort tragen sie ihre Lieder sooft es ihnen beliebt vor.«
Nach den Worten der Königin verabschiedeten die Bardinnen sich tatsächlich und schwammen nach draußen. Erst als sie fort waren und sich der Algenvorhang vor dem Eingang der Thronblase beruhigt hatte, nicht mehr wild umher waberte, nickte Königin Irenja Aurelian zu.
»Du wolltest mir etwas sagen. Sprich.«
»Mutter, werte Königin, ich bitte Euch Kilius‘ Strafmaß zu verringern«, trug der Prinz mit flehendem Blick vor, wobei er einen Flossenschlag in ihre Richtung tat und dafür ein Fauchen Leyfas erntete.
»Verrätern steht keine Sonderbehandlung zu«, nahm sich Leyfa, die grünhaarige Meerfrau, die Freiheit anstelle der Königin zu antworten. Irenja schien dies zwar zu dulden, schickte ihr jedoch einen Blick zu, der die neue oberste Gardenführerin dazu veranlasste, sich wieder zurückzuziehen.
»Das ist unmöglich«, kam schließlich als Antwort der Königin, als Leyfa sich zurück an ihre Seite begeben hatte. »Und du weißt, wieso. Mahane hat mir berichtet, dass du sie aufgesucht hast. Nun solltest du verstanden haben, was auf dem Spiel steht.«
»Das ist ungerecht«, meinte Aurelian kleinlaut. Er verschränkte die Arme vor der Brust, vermutlich um seinen Missmut zu verdeutlichen.
»Wenn deine Beschwerde alles war ... « Wieder bedeutete sie ihm mit einem Wink ihrer Hand, sich zu entfernen. Dieses Mal energischer.
»Mhhh«, machte der Prinz, schmollte und folgte Serene zum Ausgang.
»Allerdings hindert dich kein Fisch daran, ihn aufzusuchen«, sendete Irenja ruhiger hinterher.
Aurelian hielt im Schwimmen inne, sah zu seiner Mutter. Sie tauschten Blicke. Kurz hob Irenja eine Augenbraue. Sie schien verleitet, ihr für alle anderen unhörbares Gespräch auszuweiten, schüttelte anschließend den Kopf, woraufhin ihr Blick fester wurde. Nun schwamm Aurelian, wenn auch erneut schmollend hinter Serene aus der Thronblase. Kayron folgte, als er zurückgerufen wurde.
Leyfas schneidende Stimme dröhnte in seinem Kopf: »Bleibt, Prinz Kayron!«
Kayron hielt sofort inne, drehte sich um, um Königin Irenja anzusehen. Hinter sich spürte er einen sanften Storm gegen seine Flanke streicheln. Er fühlte, dass der Prinz sich ebenfalls umgewandt hatte. Entschieden fixierte die Königin ihren Sohn hinter Kayron bis er aus der Thronblase geschwommen war, dann entspannte sich ihr Gesicht und sie sank tiefer auf ihren Thron, ohne dabei Haltung zu verlieren.
»Habt Ihr Euch entschieden?« Die Königin hatte ihn in der Höflichkeitsform adressiert, was dem Ganzen deutlich mehr Gewicht verlieh. Und Kayron nervös machte.
In Kayron schoss das Adrenalin umher. Plötzlich, unerwartet. Mit einem Mal fühlte er sich als Mittelpunkt der Szenerie – der er auch war – und damit hatte er nicht gerechnet. In jedem anderen Zeitpunkt wäre es ihm gleich gewesen, hätte ihn die Königin angesprochen, aber im Moment war er mit dieser Situation überfordert. Mit der Frage und mit allem. Der Raum wirkte unglaublich eng, das Wasser abgestanden und faul und die Augen der Anwesenden sahen aus, als wären sie voller Abscheu, voller Verachtung.
»Ich-« Kayron öffnete den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er brauchte ihn nicht, um zu sprechen, dennoch konnte er nicht anders. »Ich-«
Sein Geist fühlte sich träge an. Und doch nicht. Da war die Melodie des Liedes der Bardinnen, die ihn lockte, sich zu erinnern.
Bilder kamen hoch.
Wischten das Jetzt fort und überdeckten es mit Vergangenem.
»Schwester, was soll das?! Was bringst du uns da? Ein zahnloses, verkrüppeltes Etwas? Sieh es an. Die Menschen haben es erwischt und verstümmelt. Wirf es in den Graben, bevor es sich wandelt!« Perles vor Wut überschäumendes Gesicht. Eine goldene Fratze in einem goldenen Raum.
»Ich werde dieses Kind nicht aufgeben. Es rief nach mir. Es ist meines.« Ein Klang einer Stimme, so vertraut. So warm und weich und voll.
Da waren Schmerzen in Kayrons Mundraum. Ein unglaubliches Pochen. Schwindelerregend und doch konnte er nicht in die erlösende Ohnmacht fliehen. Musste alles mit ansehen.
Eine Meerfrau schwamm vor Kayrons Sichtfeld. Sie war groß. Ihre Flosse war leuchtend gelb, wurde zum Ende der Schwanzflosse golden. Ihre Haut war dunkel, glänzend, übersät mit goldenen Flecken. »Dies ist mein Kind, und du bekommst es nicht!«
»Prinz Kayron?« Es war Irenjas Stimme, die ihn aus seiner Vergangenheit riss. Ihre Schwanzflosse schimmerte ockerfarben, die eingesetzten goldenen Schuppen reflektierten das Licht der Leuchtkorallen. Als würde er aus einem zähen Traum erwachen, kämpfte Kayron sich durch die Schleier der Szenerie von damals.
»Die Antwort, richtig«, begann er.
Noch immer wirkte die Thronblase bedrohlich, als würde etwas Gefährliches hier lauern und ihn zwingen, sich minderwertig zu fühlen, aber er hatte seine Stimme gefunden. Sein Geist war wieder klar und was auch immer ihn in diese erdrückende Position zwängte, er war bei Sinnen und konnte dem entgegenhalten.
»Ich bleibe an der Seite des Prinzen«, sagte er. Da waren Worte in seinem Kopf. Ein Drang, als wäre es ein Zauber, der geschmiedet werden wollte. Durch Gedanken, durch Worte. Und Kayron fügte hinzu: »Denn er scheint mir eines der wenigen Fischwesen mit Herz zu sein!«
War es da oder war es zum zweiten Mal an diesem Tag seine Einbildung, die ihn neckte. Ein Lächeln, kaum merklich, saß auf Irenjas Mundwinkeln.
Schließlich hob sie ihr Kinn und sagte: »Dann sei es so.«
Schnaubend trieb Aurelian vor der Thronblase. Stur starrte er auf den Algenvorhang, musterte jede daran glänzende Perle. Neben ihm schwammen Serene und ihre Waffe Belethe. Beide musterten ihn mit Blicken, die er nicht deuten konnte und nicht deuten wollte.
»Ich schwimme nicht ohne Kayron«, bekräftigte Aurelian seinen Entschluss erneut.
Warum hält sie ihn schon wieder zurück?
Und mich wirft sie einfach raus ...
Aus den Augenwinkeln bemerkte Aurelian eine Bewegung. Schon floss rotorangenes Haar um ihn und Jektus umkreiste ihn mit breitem Grinsen. »Ich brauche deine Hilfe, kleiner Verbrecher.«
»Was ha-«
Ohne Aurelians Antwort abzuwarten, ergriff Jektus den Prinzen am Oberarm und zog ihn mit sich, etwas unterhalb der Thronblase in eine Furche im Stein.
Serene machte Anstalten, ihnen zu folgen, aber Jektus hob nur die Hand. »Ich übernehme die Babywache für den Nachmittag. Los, mach dir einen netten Tag mit deiner Waffe.« Mit der freien Hand machte er eine Geste, als wolle er kleine Fischchen verscheuchen. Dabei fielen Aurelian die zahlreichen Tätowierungen an seinen Armen und Fingern ins Auge. Und er glaubte, sich daran zu erinnern, dass es früher wegen seines Aussehens Probleme gegeben hatte. Hatte es da innerhalb des Palastes nicht einen Streit gegeben, weil Mahane ihn als ihre Waffe auserwählt hatte?
»A-Aber ... Meister Jektus ... ich - «, stammelte Serene.
Unbehaglich sah sie zu dem dunkelhäutigen Fischmann, ehe ihr Blick zur Thronblase über ihnen glitt. Belethe schwamm noch neben dem Eingang, ihre steinerne Miene war jedoch auf das Grüppchen in der dunklen Nische gerichtet.
»Jektus, was soll das? Du entführst mich ja regelrecht.« Aurelian entzog seinem Schwager den Arm.
»Gleich, gleich«, beschwichtigte Jektus den Prinzen, dann sah er wieder zu Serene. »Keine Sorge, Serene. Du kannst mir vertrauen, davon bekommst du keine Schwierigkeiten.« Etwas an dem Ausdruck in Jektus‘ orangenem Auge ließ Aurelian an den Worten zweifeln. Auch Serene schien nicht überzeugt.
»Also gut.« Jektus zuckte mit den Schultern. »Hab ruhig ein Auge auf ihn. Aber jetzt muss ich etwas mit ihm besprechen.«
Mit einem leichten Nicken schwamm Serene zurück zu Belethe. Von dort aus behielt sie die beiden im Blick.
»Sie ist wirklich klug«, kam es leise aus Jektus‘ Richtung. Er schien stolz über Serenes misstrauischen Blick, gleichzeitig aber zeigte sein Gesicht, dass er es lästig fand, dass sie sich nicht so leicht hatte abwimmeln lassen.
»Jektus, was soll das? Warum bist du nicht bei Mahane?« Stutzig sah Aurelian dem einäugigen Fischmann entgegen. »Willst du etwa mit Kayron an die Oberfläche schwimmen, um dich zu betrinken?«
»Auch wenn es verlockend klingt, nein. Außerdem haben wir eigentlich keine Zeit mehr für Fragen. Du musst Mahane für drei Stunden beschäftigen. Solange darf sie auf keinen Fall in ihr Zimmer schwimmen«, eröffnete Jektus.
»Ich soll Mahane ablenken? Warum?« Verdattert blickte Aurelian dem roten Fischmann entgegen.
Warum habe ich nur so ein komisches Gefühl, wenn er mich so angrinst?
»Wir haben heute eine Art ... Jubiläum. Ich will sie überraschen und bereite unseren Bereich dafür vor. Und hier kommst du ins Spiel: Lenk sie ab. Geht spielen, tauscht euch geschwisterlich aus, was auch immer. Aber kein Wort wegen der Überraschung! Sonst verdirbst du alles!«
»Und wie denkst du, soll ich sie aus ihrem Zimmer locken?«
»Ehrlich gesagt, ist sie schon auf dem Weg zu dir.« Jetzt grinste Jektus so breit, dass er seine spitzen Zähne entblößte. »Oh, und sie ist stinksauer.«
»Was? Aber ich habe nichts getan!«, verteidigte sich Aurelian. Reflexartig sah er sich um, ob er seine Schwester im schimmernden Meer oder zwischen den Blasenbauten von Aquenos ausmachen konnte.
Plötzlich drückte ihm Jektus einen Gegenstand in die Hand. »Doch! Du hast ihr dieses Medaillon geklaut. Und das will sie wiederhaben.«
»A-Aber ...?! Was soll das, ich - « Entsetzt starrte der Prinz den keckernden Jektus an, und hätte beinahe das Medaillon fallen gelassen.
»Aurelian! Zeig dich!«, rollte Mahanes kraftvolle Stimme durchs Wasser.
Erschrocken zuckte Aurelian zusammen.
»Hm, sie ist schneller als gedacht. Tja, du schaffst das schon.« Jektus patschte ihm zweimal auf die Schultern. Amüsiert zwinkerte der Fischmann ihm zu. »Denk daran, ich brauche drei Stunden!« Harpunenschnell schoss Jektus aus der Nische der Außenwand des Schlosses Ocran, drehte sich um die eigene Achse, schien nach jemandem zu suchen. Kurz traf sein Blick den Serenes. Sie nickte nur knapp. Dann raste Jektus steil an den Wänden Ocrans entlang in die Tiefe.
»Prinz, wir helfen Euch«, sendete Serene an Aurelian. Ihre Waffe hinter ihr sah unterdessen in die Richtung, in die Jektus verschwunden war.
Und da heißt es, ich bringe die Leute in Schwierigkeiten!
Jektus ist genauso schlimm!
»Gut, ... ähm ... nein, warte ... haltet euch raus, aber bleibt in der Nähe! Mutter soll nicht glauben, ich sei außer Kontrolle geraten«, sendete er an Serene. Sie nickte nur verunsichert, entfernte sich jedoch etwas mit Belethe.
»Mahane, hier lang, hier ist er!«, sendete Jektus lautstark telepathisch in die Köpfe der Umschwimmenden. Er selbst war längst nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich schwamm er in dem Moment durch ein Fenster in den Palast.
Oh nein ... oh nein, ich bin tot, wenn sie mich erwischt. Jektus, das bekommst du zurück!
Fest umklammerte Aurelian das kühle Medaillon. Nun schoss er empor, prallte beinahe mit Kayron zusammen, der soeben aus der Thronblase geschwommen kam.
»Was so-«
»Keine Zeit, wir müssen weg!« Aurelian packte Kayron am Handgelenk und zerrte ihn mit sich, weg von der Thronblase.
»Was hast du angestellt?« Die Augen seiner Waffe verengten sich.
»Das ist Jektus‘ Schuld! Er hat was geklaut und uns zugeschoben! Und jetzt weg hier!«
»Aurelian!«, erreichte ihn Mahanes aufgebrachte Stimme. Sie war keine zwanzig Flossenschläge hinter ihnen. Ihre azurblauen Augen waren so düster wie die Aura seiner Mutter zuvor. Auch Kayron zuckte zusammen.
»Sie hat uns bald! Streng dich an, Kayron!«, schickte Aurelian an seine Waffe.
Sie jagten durchs Meer. Auf die Stadt unter ihnen zu, die aus steinernen Behausungen bestand, die mal oval, mal rund, mal unförmig nebeneinander und übereinander lagen. Von Weitem sah Aquenos aus wie ein geordneter Geröllhaufen, erst von der Nähe konnte fisch ausmachen, dass die riesigen Steine Löcher als Fenster besaßen und Türen, vor denen Algenvorhänge im Wasser waberten.
So sehr Kayron Respekt vor Mahane hatte, so schnell schwamm er nun an der Seite des Prinzen. Floh mit ihm durch den Ozean vor der Heeresführerin von Aquenos. Sie schwammen im Zickzack durch die Gassen der Unterwasserstadt. Mal versteckten sie sich hinter einer Blasenbaute, dann huschten sie von einem Algengartenbeet zum nächsten.
»AURELIAN!«
»Sie ist stinksauer, aber dieses Mal kann ich gar nichts dafür«, flüsterte Aurelian in Kayrons Kopf, während sie um eine turmartige Behausung schwammen. Vorsichtig umrundeten sie das Steinhaus mit Blick auf Mahane, die von einer Ecke zur nächsten flitzte und sie noch nicht entdeckt zu haben schien. Die Fischwesen, die auf ihren Behausungen lagen oder umherschwammen, wirkten irritiert über den Wutausbruch der Prinzessin und brachten sich in Sicherheit, sobald sie ihnen nahekam.
»Wenn stimmt, was du vorhin sagtest, sollten wir Jektus zur Rede stellen, sobald das hier vorbei ist«, knurrte Kayron.
Im Moment wandte Mahane ihnen den Rücken zu.
»Komm, wir wagen es!« Aurelian schlug mit der Schwanzflosse und schwamm vorsichtig von dem Steinturm weg, hin zu einer Reihe eng aneinanderliegender Steinbehausungen. Hinter sich spürte er, wie Kayron ihm folgte. Das Sonnenlicht zauberte magische Lichtreflexe ins Meer und hätten sie keine wutgeflutete Mahane hinter sich gehabt, hätte Aurelian das Spektakel über Aquenos durchaus genossen. So aber war er froh, die Blasenbauten zu erreichen. Er wollte Kayron in einen Spalt zu sich winken, als Mahane neben ihnen auftauchte. Ihre breiten Augenbrauen zuckten genervt und ihre Mundwinkel hatten sich zu einem boshaften Lächeln verzogen.
»Ich werde dir die Gräten ziehen, kleiner Bruder!«
Aurelian erschrak so sehr über ihr unerwartetes Auftauchen, dass er einen Schrei ausstieß, Kayron erneut am Handgelenk packte und davon stob.
Wie ein Hai im Blutrausch jagte Mahane hinter ihnen her.
»Verdammt, was hat Jektus überhaupt angestellt?«, fragte Kayron leicht panisch.
»Ihr Medaillon geklaut. Er will, dass wir sie drei Stunden von ihrem Zimmer fernhalten. Wegen irgendeiner Überraschung oder so.«
»Na großartig«, murrte Kayron.
Mahane kam immer näher. Ihre wuchtige Präsenz griff bereits nach Aurelian, ohne dass sie ihn physisch berührte.
»Nach oben!«, sendete der Prinz an Kayron. Dieser reagierte sofort. Aurelian schlug einen Haken, schoss steil nach oben. Seine Flosse berührte dabei kurz den Felsen einer zerstörten Blasenbaute, die gerade wieder aufgebaut wurde. Fischwesen, egal ob jung oder alt, sahen ihnen verwundert nach. Einige Kinder lachten, wichen aber rasch zurück, als Mahane näher kam. Sie hetzten durch Aquenos, tauchten unter Bögen hindurch, wichen Blasenbauten und Fischwesen aus oder versuchten, sich wieder zwischen engen Bauten zu verstecken. Aber Mahane fand sie jedes Mal. Egal wie sehr sie sich bemühten, die Heeresführerin ließ sich weder austricksen noch ablenken. Ihre Verschnaufpause verdankten sie nur der schlafenden Qualle, in deren Arme sie Mahane manövriert hatten, nachdem sie sie mit einem Lichtblitz aus Kayrons Waffenform geblendet hatten. Aber seine Schwester würde sich nicht lange davon abhalten lassen, ihnen hinterherzujagen.
Ein Kichern entkam Aurelians Mund. »Du machst ja wirklich mit. Ich dachte schon, du hältst mich davon ab, Jektus zu helfen ... Wobei ich das nicht freiwillig mache.«
»So ein Ärger, aber was bleibt mir denn übrig.« Zischend verengte Kayron die Augen, suchte nach weiteren Möglichkeiten, wie sie Mahane abhängen konnten. Hinter ihnen lag die Waffenkammer, vor ihnen nur erneut eine Jagd durch die Stadt. »Wir müssen aus der Stadt raus. In den wenigen Kelpwäldern, die den Angriff überstanden haben, können wir sie besser abhängen.«
»Gute Idee. Moment ... «
»Bei der Meerhexe, der Zauber«, vollendete Kayron Aurelians Gedanken. »Verschleiere unsere Präsenz!«
»Dann hoffen wir, dass sie mir noch eine Minute Zeit lässt!«
Irgendwo vor ihnen zwischen den Bauten trieb Mahane, umarmt von einer blassvioletten Qualle. Tief durchatmend, konzentrierte Aurelian sich auf den Kern seiner Magie. Trotz der von seiner Mutter auferlegten Fessel, die ihn an die Stadt kettete, konnte er frei über seine magischen Fähigkeiten verfügen. So spannte er ein feines Netz um Kayron und sich selbst. Mehr und mehr zog er es zusammen, verschleierte ihre Präsenz. Was aber nicht hieß, dass sie unsichtbar waren. Nur ihre Aura war eingedämmt wie damals, als sie Kilius verfolgt hatten. Ihm hatten sie so mühelos folgen können, weil er sie nicht gesehen hatte. Aber wenn Mahane sie sah, brachte die Verschleierung nichts. Der Zauber wirkte nur, wenn sie unentdeckt blieben, damit sie unspürbar waren. Daraus resultierte: Ein Versteck muss her!
»Prinz«, erklang Kayrons alarmierte Stimme, noch bevor Aurelian den Zauber beendet hatte. »Prinz, sie ist hier. Aurelian!«
»Fertig!« Als Aurelian den Zauber abschloss und die Augen öffnete, sah er seine Schwester. In ihrer vollen Größe schwamm sie auf sie zu. Nur drei Flossenschläge trennten sie voneinander.
»Schluss mit wegschwimmen, ich hab‘ dich, Aurelian! Gib mein Medaillon zurück. Und mach dich auf eine Abreibung gefasst, die du im Leben nie mehr vergisst!« Sie bleckte die Zähne, auf ihren Lippen lag ein Lächeln, das Aurelian kalte Schauer den Rücken hinab laufen ließ. Zwar trug sie weder ihre Rüstung noch ihr Kampfgewand, aber die Gewalt in ihrer Präsenz reichte aus, um Aurelian unangenehm hart schlucken zu lassen.
Haifischdreck. Uns bleibt nur der Weg nach oben. Aber sie wird uns sofort fangen.
»Also gut.« Aurelian schlug heftig mit der Flosse, wirbelte den wenigen Sand unter ihnen auf. Gleichzeitig hob er möglichst nebenbei einen Stein vom Grund auf. Er hoffte, dass das wenige Licht hier unweit der Waffenkammer ihm bei seiner Finte half.
»Was soll das? Das bisschen Dreck hilft dir auch nicht weiter.« Mahane kam näher.
»Du willst das Medaillon? Dann fang es!« So kräftig er konnte, warf er den Stein nach rechts in einen weiteren, eher schmalen Durchgang des Palastes. Wegen des Wasserwiderstandes flog er weniger weit, als sich Aurelian erhofft hatte. Trotzdem folgte Mahane dem Gegenstand kurz mit ihren Augen, bevor sie ihren Bruder wieder mit angehobener Augenbraue fixierte. Ihr Blick sagte so viel wie: ‚Denkst du, darauf falle ich rein?‘
Aurelian zuckte zurück, kicherte verlegen. Selbst der Sand, den er hatte aufwirbeln wollen, war wegen des steinigen Grunds zu wenig, um sie vollkommen in eine Wolke aus Sand hüllen zu können. »So ein Mist!« Hastig wollte er nach oben wegschwimmen. Doch plötzlich wurde er gepackt und bevor er wusste, wie ihm geschah, befand er sich in Mahanes Schwitzkasten. Kühl spürte er ihr Algenlederoberteil an seiner Wange, während sie ihn mit ihrem trainierten Arm fixierte. Zwischen Brüsten und Oberarm sah er kaum etwas. Er wand sich, aber ihr Griff war eisern.
»Du kleiner Unruhegeist«, knurrte Mahane. Sie rieb ihm mit der Faust über den Kopf, wissend, dass Aurelian es hasste, wenn seine Haare ungefragt berührt wurden. »Was denkst du dir dabei? Hast du nur Quallengelee im Kopf?«
»Nein! Nein lass das!« Aurelian zappelte umher. Wie ein Fisch am Trockenen, um irgendwie aus Mahanes Fixierung zu kommen. Aber wie jedes Mal, wenn sie ihn so fing, schaffte er es nicht, sich zu befreien. Seine Schwester war ihm eindeutig überlegen. »Ich geb‘ dir das Medaillon ja! Aber lass mich los!« Er streckte die Hand aus, zeigte Mahane ihre geliebte Kette.
»So einfach kommst du mir nicht davon.« Trotzdem nahm sie das zerkratzte Medaillon an sich, umklammerte es wie einen Schatz. »Du kommst jetzt gefälligst mit!«
»Ich kann das alles erklären!«, rief Aurelian, versucht, den Arm seiner Schwester mit Kitzeln dazu zu bewegen, sich zu entspannen und so den Griff zu lockern.
Mahane war nicht kitzelig.
»Ich ... ich ... «
»Heeresführerin Mahane, Prinz, ich unterbreche euch nur ungern, aber wir drei wurden eben zu den Schneiderfischen gerufen«, mischte sich Kayron so souverän ein, als wären sie nicht gerade eine Stunde wie von Angstkreaturen gejagt durch Aquenos gehetzt. »Wir sollten sie nicht warten lassen.«
»Wenn sie mich vorgeladen hätten, wüsste ich davon«, konterte Mahane an Kayron gewandt, der vor ihr und Aurelian nahe dem Grund trieb. Seine blauen Augen ruhten auf Mahane.
»Was wird hier gespielt«, verlangte Mahane zu erfahren. »Ich erkenne, wenn mein Bruder nur Flausen im Kopf hat. Scheinbar haben sich diese bereits auf seinen Verlobten übertragen.«
»Es ... stimmt ... ich wurde geschickt ... um euch zu holen«, mischte sich Serenes piepsige Stimme ein. »Aber Ihr und Euer Bruder ... wart gerade beschäftigt ... « Ihre klaren Augen zuckten zu Mahane. Aurelian unternahm einen erneuten Versuch sich zu befreien, aber seine Schwester schien nicht daran zu denken, ihn freizulassen. Er blähte die Backen, ließ seine Flosse hängen, um sich schwer zu Machen. Auch das konnte Mahane nicht beeindrucken. Ihre Flosse war stark genug, sie beide im Wasser zu halten.
Stille folgte.
Dann pustete die Heeresführerin Wasser aus, atmete genervt ein. »Also schön.« Sie ließ von Aurelian ab. Und bevor er auf Abstand schwimmen konnte, packte sie ihn an seiner giftgrünen Ohrflosse.
»Auf dem Weg dorthin erklärst du mir, was das sollte.«
»Au! Au! Lass das! Ich bin kein Kinderfisch mehr!«
Die Schneiderfische hatten ihr Atelier in der Nähe der Hofschmiede, die allerlei magische Schmuckstücke, Totschwerter und anderen Kram aus magischem und nicht magischem Metall fertigte. Bei der Hofschmiede war Aurelian gern, nicht zuletzt, weil dort der Ring gefertigt worden war, den er Kayron geschenkt hatte. Und der war ein wahres Prachtstück. Die Schmiedefische hörten stets zu, wenn er mit einem Wunsch zu ihnen kam und taten ihr Bestes, seine Vorstellungen so genau wie möglich umzusetzen. Er liebte die Ornamente aus Metall, die den gesamten Innenbereich der Schmiede schmückten, sich über Wände und Decke zogen wie eine elegante Rüstung. Oder die Schmiedetische mit den magischen Symbolen, die es jenen, die die Kunst beherrschten, ermöglichten, Metalle mit bloßer Berührung zu verformen, zu verschmelzen und zu härten.
Bei den Schneiderfischen hingegen war er weniger gern. Das hatte vor allem mit dieser einen Person zu tun. Bei ihnen hatte Aurelian es sich zur Gewohnheit gemacht, diesen einen Fisch, der ausdrücklich als Hofschneider bezeichnet werden wollte, einfach tun zu lassen. Zwar hörte er sich auch die Wünsche an, die fisch hatte, aber er war sehr leicht gereizt, oder emotional involviert. Kein Fisch sollte Pelikan – Aurelian war sich nicht sicher, ob er tatsächlich so hieß – in seinem Werken unterbrechen. Andernfalls dauerte es noch ewiger, bis fisch aus seinem Geschäft entlassen wurde. Aber genau das war es, das sie jetzt brauchten. Einen nervösen, überperfektionistischen Schneiderfisch mit einem Hang zur Dramatik und zum Selbstlob.
Erstaunt starrte ihnen der Meermann mit den orangen Haaren, deren Farbe zum Ansatz hin an einen dieser Pfirsiche erinnerte, die Aurelian an Land gegessen hatte, entgegen, als sie zu dritt in dessen Atelier schwammen. An den Wänden im Inneren der Blasenbaute hingen unzählige Stoffbahnen aus Algenleder, weicherem Algenfasermix und weiteren Materialien in den verschiedensten Farben. Auch standen drei Steinfiguren am Grund des von Leuchtkorallen erhellten Raumes. Jede der Steinfiguren trug eine Gewandung. Die eine war eng, die anderen weit und flatternd, als wolle sie den Effekt von Seidenflossen kreieren. Die dritte Figur trug eine Oberbekleidung, die stark an Mahanes wuchtige Prachtrüstung aus silbergrau schimmernden Muschelhälften erinnerte.
Pelikan selbst trug eine Mischung aus engen und wallenden Gewändern in Cremefarben und Tiefrot. Seine blassrosafarbene Schwanzflosse war mit goldenem Flossenschmuck behangen. Die goldenen Armreifen und die Halskette waren mit Muscheln und Seesternen verziert. Nachdem er sich über das Erscheinen der Gruppe einen Augenblick lang gewundert hatte, fuhr er fort, vor den Unmengen an Stoffbahnen, die an den Wänden hingen, umherzuschwimmen. Über die Schultern hatte er bereits einige Stoffe gelegt. Schließlich ließ er die Muschelschere in seiner Hand auf einen Steinsockel unter sich sinken und wandte sich an die Gruppe.
Hm, er wirkt ja ziemlich ruhig heute.
Bevor der Schneiderfisch etwas sagen konnte, plapperte Aurelian darauf los.
»Du hast uns bestellt, und hier sind wir, Pelikan.«
Die scheinbar gelassene Miene des Schneiders barst. »Schon den ganzen Tag vertrockne ich an Arbeit und jetzt kommt ihr daher, und kennt nicht einmal meinen Namen, Prinz! Peleran, nicht Pelikan. Ich heiße PELERAN! Wann bei der Meerhexe merkt Ihr Euch den endlich?!«, wetterte der Schneiderfisch. Er riss die bereits ausgesuchten Stoffe von seiner Schulter und warf sie über seinem Kopf in die Höhe. Wabernd segelten sie nun durchs Wasser.
Von dem plötzlichen Gefühlsausbruch erschrocken, wich Aurelian zurück.
Der hat ja noch schlimmere Laune als sonst.
»Ich ... tut ... mir leid«, meinte der Prinz perplex.
»Tut mir leid, tut mir leid. Ja, ja, das erhalte ich danach von Euch. Aber wo bleibt der Respekt!? Wo bleibt der Dank für meine Mühen! Seit Jahren fertige ich Kleidung für Euch! SEIT JAHREN! Aber nie, nie, NIE merkt ihr Euch meinen Namen!« Peleran fuchtelte wild mit den Händen, schlug aufgeregt mit der Schwanzflosse. »Vielleicht sollte ich schwimmen! Irgendwohin, wo mich die Meerwesen schätz-«
Mahane wollte sich einschalten, da ging ein Ruck durch Peleran. Er leuchtete als Ganzes, wurde zu Licht, das in den hinteren Teil des Ateliers schoss, um sich als Muschelbrosche in der dunkelbraunen Hand einer alten Meerfrau zu manifestieren. Sie blickte erst streng auf die Brosche, dann Richtung Aurelian, zu Mahane und Kayron. Ihr Gesicht war von einigen Falten geschmückt, das grauweiße Haar ging ihr bis zu den Hüften. Zahlreiche bunte Bänder waren in ihre Haare geflochten, auch einige Dreads befanden sich darunter.
Verunsichert von Pelerans Gefühlsausbruch musterte Aurelian die Meerfrau.
Ich kenne sie. Ich bin mir sicher, dass ich sie kenne. Es gibt nicht viele Fischwesen in Aquenos mit Heterochromie.
Während Aurelian sich auf ihre Augen, das linke war grau, das rechte violett, konzentrierte, war es Mahane, die das Wort ergriff.
»Entschuldige Hanya. Uns wurde ausgerichtet, dass Peleran nach uns verlangt. Kommen wir ungelegen?« An ihrer Mimik erkannte Aurelian, dass sie die Schneiderei ebenfalls so schnell wie möglich wieder verlassen wollte.
Scheinbar komm nicht nur ich mit Peleran nicht gut klar ... aber ich verstehe, ich muss mir seinen Namen merken. Enrik war genauso mies drauf, als ich mich nicht an ihn erinnern konnte. Namen, Farben und Stimmen, das sollte ich besser trainieren, mir zu merken.
»Nein, nein. Das Nervenbündel hat heute Morgen nach einer Stunde schon vergessen, was er gefrühstückt hat. Es wundert mich nicht, dass er vergisst, dass er die königinnenliche Familie vorgeladen hat«, scherzte Hanya. Ihr Lachen war heiter und ansteckend. Viele Narben zogen sich über ihre Flosse, ihr Gesicht, ihre Arme und ließen auf eine harte, kampfreiche Vergangenheit schließen, dennoch waren es Lachfalten, die ihre Augen und Mundwinkel schmückten. Keine Grollfurchen oder Neidfalten hatten sich in ihre Haut gegraben und dieser Umstand brachte Aurelian zum Lächeln. Zum Hoffen, weil das Leben trotz Schwierigkeiten schön sein konnte.
»Und dass der Prinz Gesichtsblind und vergesslich ist, ist ohnehin bekannt.« Dabei zwinkerte sie in Aurelians Richtung.
Peleran, der in seiner Waffenform die Muschel in Hanyas Hand war, ruckelte, als wäre er mit den Worten nicht einverstanden.
»Wie wir herausgefunden haben, schafft mein Bruder es sehr wohl, sich an Personen zu erinnern, wenn er lange genug Zeit mit ihnen verbracht hat.
Wahrscheinlich wird Aurelian sich Peleran besser merken, wenn er öfter mit ihm zu tun hat. Spätestens bei den Hochzeitsvorbereitungen«, meinte Mahane zuversichtlich.
Daraufhin schien sich Peleran zu beruhigen. Die Muschel hörte auf zu ruckeln, und Hanya verwandelte ihre Waffe nach einem letzten prüfenden Blick wieder zurück.
»Ich bestehe darauf. Schließlich bin ich der einzig wahre Hofschneider der Königinnenfamilie. Ich habe bereits die Generationen vor euch eingekl-«
»Genug. Du hast sie bestimmt nicht vorgeladen, um ihnen davon zu erzählen, welche Gewandungen ihre Großeltern getragen haben.« Hanya griff nach den Stoffstücken, die immer noch im Wasser herumtrieben.
»Vorgeladen? Ich-«, abrupt brach er ab, zog die Stirn kraus, als müsse er nachdenken.
Nun schwamm Aurelian bewusst ins Sichtfeld seiner Schwester, damit sie Pelerans immer verdatterter werdenden Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Schnell baute Aurelian einen telepathischen Kanal nur zu ihm auf. »Bitte hilf uns, Mahane neu einzukleiden. Sie braucht etwas Schickes, etwas Praktisches für den Kampf und irgendetwas, das sie universell verwenden kann. Und am besten bringst du es so rüber, als wäre das alles deine Idee. Bitte, Peleran, du würdest Jektus damit einen großen Gefallen tun. Einen so großen, dass er sich bestimmt von dir rundum neu einkleiden lassen wird.«
Bei der Erwähnung Jektus‘ bekamen Pelerans Augen einen neuen Glanz. Weg war der schmollende, leicht reizbare Mann und zurückblieb ein aufgeregter, hochenthusiastischer.
»Aber natürlich!«, rief Peleran aus, breitete die Hände aus. »Natürlich! Heeresführerin, ich habe unglaublich fantastische Entwürfe, die Ihr probieren müsst.«
Innerlich kichernd schwamm Aurelian beiseite, als Peleran auf Mahane zustürmte und sie mit in die hinteren Räume der Blasenbaute schob.
Das geschieht Jektus recht. Er hat sich noch nie von Peleran einkleiden lassen, weil er seinen Stil nicht mag und bescheuert findet. Als einziger der Königinnenfamilie schwimmt Jektus deswegen zu anderen Schneiderfischen und meidet Pelerans Laden wie Höhlen von Muränen. Jetzt aber kann er nicht anders. Nach einem Nachmittag mit Peleran überlegt es sich Jektus zweimal, ob er Kayron und mich wieder unerwartet in so eine Situation bringt!
»Prinz Aurelian, kommt auch! Meine Ideen und mein Fundus an anpassbaren Gewändern ist unermesslich. Ich werde Euch und Euren atemberaubenden Ehemann ebenso einkleiden. Wobei ich wirklich von seinem momentanen, wohl gemerkt, ausgesprochen raffinieren Algenledergewand beeindruckt bin. Es bringt seine Vorzüge unentwegt zur Geltung.« Die Worte Pelerans sprudelten nur so aus ihm heraus, auch wenn er bereits mit Mahane in einem der Ankleideräume verschwunden war.
Amüsiert sah Aurelian zu Kayron. Dessen Wangenschuppen wirkten wieder dunkler, und er wandte den Kopf ab.
Es ist ihm peinlich, hm? Kayron, manchmal bist du wirklich süß.
Angespornt durch die Reaktion seiner Waffe, schwamm er an Kayron heran.
»Ich finde, er hat recht. Es passt dir sehr gut.« Dabei kam er Kayron so nahe, dass er mit seiner Nasenspitze über die von Kayron streifen konnte. Nach der vergangenen Nacht kribbelte es unentwegt in Aurelian, wenn er seinem Partner so nahe war.
»Konzentrier dich auf deine Aufgabe«, kam es kühl von Kayron. Er legte Aurelian die Hand auf die Brust und drückte ihn von sich weg. Dabei wirkte er wieder, als hätte es die Momente der Verlegenheit nicht gegeben.
»A-Aber ... « Aurelian seufzte. »Wenn es sein muss ... «
»Euer Verlobter hat recht, Prinz. Lasst Peleran nicht warten. Ich kann ihn nicht ständig verwandeln, wenn er explodiert«, meinte Hanya schließlich an die beiden gewandt. »Es schadet seinem Charakter, wenn er sich nicht ausleben kann. Und es stört mich dabei, mit meiner Arbeit voranzukommen.«
In einem hinteren Zimmer der großen Schneidereibaute trieb Mahane mittig im Wasser. Ihr Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass sie die Sache schnell zu Ende bringen wollte. Aber sie machte keine Anstalten, Peleran, der geschäftig um sie hastete, zu unterbrechen. Ein Redeschwall des Schneiderfisches klingelte in Aurelians Kopf. Es war ein Gemurmel, Geflüster, ein freudiges Ausrufen und gleich darauf zog der Fischmann mit der blassrosa Flosse seine Stirn kraus. Ähnlich wie bei Aurelian, als dieser für das Turnier gegen die Delegierten Goldtränes eingekleidet worden war, schien Peleran zu Beginn mit nichts, das er Mahane darbot, zufrieden. So trieben Kayron und Aurelian am Rand des Zimmers, um Peleran nicht in die Quere zu kommen.
»Ich dachte, Ihr hättet Gewandungen fertig und entwerft sie nicht auf mir«, warf Mahane vorsichtig in den Raum.
Erst schien es, als würde der Schneiderfisch gleich wieder mit Stoffen um sich werfen, dann aber biss er sich auf die Unterlippe. »Gewiss, gewiss«, kam es dezent aufgebracht, »aber die Komponenten müssen an Euch zusammengebracht werden!«
Mahane seufzte. »Wie konnte ich das nur vergessen ... « Sie rollte die Augen, als Peleran ihr den Rücken zukehrte. Dann schoss er in einen weiteren Nebenraum davon.
»Hör auf zu grinsen«, schickte die Heeresführerin in Aurelians Richtung. »Das rettet dich nicht vor deiner Abreibung.«
»Ein Hinauszögern reicht mir gerade völlig«, konterte er und streckte die Zunge heraus.
Sobald sie weiß, dass es wegen einer Überraschung von Jektus ist, wird sie mir die Strafe schon erlassen.
Kurz bleckte sie die Zähne, aber als Peleran wieder an sie heranschwamm, versuchte sie, ihre höfliche Miene ihm gegenüber zu wahren.
»Gut, gut, probiert das an!« Peleran hatte ihr inzwischen einen Haufen Stoffe und Algenledergewandungen in die Hände gedrückt. Er packte Mahane an den starken Schultern, wirbelte sie herum und schob sie energisch hinter eine von schillernden Muscheln und gelblich leuchtenden Pflanzen bewachsene Wand. »Moment, nein, das geht so nicht.«
Aurelian sah nur, wie Peleran kurz darauf mit einem Teil der Stoffe wieder hinter der Wand hervorschwamm. »Eines nach dem anderen. Eines nach dem anderen«, murmelte der Fischmann dabei.
Sein Blick glitt anschließend kurz zu Kayron. Ein Ruck ging durch Peleran, seine Augen bekamen ein ähnliches Leuchten wie bei der Erwähnung von Jektus. Dann winkte er diesen zu sich. »Komm her, komm her. Ich muss deine Maße nehmen. Das Stück, das du trägst, funktioniert nur, weil es Schnürungen hat, die verstellbar sind. Ich muss deine Kleidung anpassen. Also komm, komm.«
Kayron schickte einen kurzen verunsicherten Blick zu Aurelian, der ihm aufmunternd zunickte. Dann straffte er die Schultern und schwamm zu Peleran, der bereits an jener Stelle wartete, wo Mahane zuvor im Wasser getrieben hatte.
»Ich tue das nur, damit es authentisch ist«, erklangen Kayrons Worte in Aurelians Kopf.
Elegant drehte er sich, sodass er Aurelian im Blick behalten konnte, während Peleran ihn umschwamm und musterte. Wieder folgte ein wirres, nur halb verständliches Murmeln des Schneiderfisches. Erst nach der dritten Runde, die er um den etwas verunsichert wirkenden Kayron gedreht hatte, griff er nach einer Algenschnur, die um eine kleine Steinskulptur eines Meerwesens gewickelt war. Die weitere Kleidung für Mahane drückte er im Vorbeischwimmen Aurelian einfach mit den Worten: »Halt das« in die Hände.
»Was für ein schöner Fisch. Elegante Farben, wohlige Proportionen. Ja, ja, ich bin inspiriert.« Eifrig begann er damit, Kayrons Maße zu nehmen. Kein einziges Mal berührte Peleran Kayron einfach so, sondern befahl in strengem Ton, wie sich dieser zu drehen, die Arme zu heben oder auszustrecken hatte.
Während Aurelian Kayron so musterte, spürte er ein angenehmes Kribbeln in seinem Bauch. Ein breites Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er mochte es, Kayron dabei zu beobachten, wie er sich bewegte, aber auch, wie er manchmal zerknirscht den Schneiderfisch ansah. Jetzt, wo sie in ihrer Beziehung einen Schritt weiter waren, musste Aurelian sich beherrschen, nicht schnell zu Kayron zu schwimmen, um seine Wangen an ihm zu streifen oder sich womöglich einen Kuss zu stehlen. Letztes würde Kayron - wie zuvor vermutlich - wieder vereiteln.
»Er tut mir leid«, drängten sich Mahanes Worte auf. »Das erste Mal bei den Schneiderfischen und schon vereinnahmt ihn Peleran.« Seine Schwester sprach auf einer Frequenz, die nur Aurelian hören konnte. Den Blick auf Kayron und Peleran gerichtet, trieb sie inzwischen Aurelian gegenüber. Sie hatte ein hellgrünes Croptop an, das in der Mitte nur von vier dünnen Streifen Algenleder gehalten wurde. Um den Bauch trug sie drei weitere Streifen Algenleder, die mit Perlmutt verziert waren. Auch sonst wirkte der Stoff sehr knapp bemessen.
»Du bist bloß froh, dass er interessierter an ihm ist, als daran, dich in die nächste Kleidung zu stopfen«, meinte Aurelian.
Kurz lächelte Mahane. »Kannst du’s mir verübeln?«
»Also, ich finde, das sieht gut aus«, sprach Aurelian nun auf jener Frequenz, die auch für Peleran und Kayron zu hören war.
Mahanes Augen verengten sich. Gleichzeitig ließ Peleran von Kayron ab, als hätte er sich daran erinnert, dass er eigentlich die Heeresführerin und nicht den Fisch vor sich einkleiden sollte.
»Wunderschön«, lobte Peleran. »Es unterstreicht Eure Flosse ungemein.«
»Ich weiß nicht.« Mahane zupfte an dem Stück Stoff, das ihre Brust verdeckte, herum. »Wenn ich mich zu sehr bewege, springen meine Brüste raus.«
»Gar nichts fällt da raus!«, protestierte Peleran. »Ich habe bereits die vorgehende Königin Inatea eingekleidet! All ihre Gewandungen für außerhalb des Kampfes waren so. Da ist nie etwas rausgefallen und sie hatte die gleiche große Oberweite wie Ihr. Seht nur, wie wunderschön es aussieht. Es-«
»Peleran«, fiel Mahane ihm strenger ins Wort. »Ich bin nicht unsere Tante und bevorzuge Kleidung, in der ich notfalls in jedem Moment kämpfen kann.«
»Warum kannst du darin nicht kämpfen?«, mischte sich Aurelian ein.
»Es sieht nett aus, aber bei meiner Brustgröße wird es etwas schwierig, wenn nur so wenig Stoff davor liegt. Und dann noch relativ lose.«
Sie drehte ihren Oberkörper, um zu zeigen, dass der Stoff tatsächlich verrutschte. Schnell zog sie diesen dann wieder zurecht. »Sei bloß froh, dass du keine großen Brüste hast.« Schnaubend zupfte Mahane weiter an der Kleidung. Peleran war unterdessen in einem Nebenraum verschwunden. Wüsste Aurelian nicht, dass sich der Fisch die Wünsche aller Meerwesen zu Herzen nahm, hätte er darauf geschlossen, dass er dort schmollte und mit Stoff und Steinen um sich schmiss.
»Ich verstehe es nicht, also erklär’s mir. So viele Fische machen wirbel darum, wie ihre Brüste aussehen. Den einen sind sie zu groß, den anderen zu klein, wieder andere ... ach was weiß ich. Das Brustthema ist kompliziert«, meinte Aurelian, etwas leger im Wasser treibend.
»Ach, du weißt, was Brüste sind?«, mischte sich Kayron neckisch ein. Dabei sah er feixend in Richtung seines Meisters, während er weiterhin an jener Stelle verharrte, wo Peleran seine Maße genommen hatte.
»Aber sicher!«
»Sicher?« Kayron zog eine Augenbraue hoch.
Mahanes Lachen schallte durch den Raum. Verwirrt sah Aurelian zu seiner Schwester, die keckernd und kichernd im Wasser trieb und sich den Bauch hielt. Auf seinen fragenden Blick hin schüttelte sie nur den Kopf. »Ihr zwei scheint euch ja inzwischen ziemlich zu verstehen.«
»Ähm ... ja ... aber ... meine Frage«, hakte Aurelian leicht verunsichert nach.
»Kleiner Bruder, das werde ich dir jetzt nicht lang und breit erklären. Wenn du dich über Brüste informieren willst, tu das selbst. Aber vielleicht nur so viel: Es ist wichtig, sich in seiner eigenen Haut wohl zu fühlen und sich nicht für andere zu verändern. Es gibt viele Erwartungen, die fremde Leute, geliebte Personen oder Gesellschaft an einen stellen können. Was schöner ist und was hässlicher. Aber wichtig ist, sich selbst gut zu fühlen. In allen Bereichen, aber auch vor allem mit und im eigenen Körper. Also mach nur Dinge, die sich für dich selbst gut anfühlen, alles andere wirst du irgendwann bereuen. Und da meine ich nicht explizit Brüste, sondern einfach alles. Körperumfang, Größe, Muskeln, Gewicht, Haare, Flosse, Gesicht. Verbieg dich nicht für andere, wenn du was ändern willst, dann mach es nur für dich selbst, aber nicht, weil andere dies und das besser und schöner fänden«, sagte Mahane.
»Ja, ich verstehe.« Aurelian nickte eifrig.
»Dass du dir darüber noch nie Gedanken machen musstest, zeigt, wie wenig du dir über manche Dinge Gedanken machst. Oder wie sehr du privilegiert bist«, kam es von Kayrons Seite an Aurelian gewandt.
»Nun ich ... hab keine Brüste wie Mahane und auch sonst hatte ich keine Probleme mit meinem Körper ... also war das Thema für mich nie relevant ... « Aurelian überlegte. Dass er sich um nichts anderes als der Beschwörung seiner hundertprozentigen Waffe Gedanken gemacht hatte, wurde ihm in solchen Momenten immer wieder erneut bewusst. Erst seitdem er den Kopf frei hatte, die Welt ohne Angst zu sehen, konnte er sich mehr und mehr darauf einlassen, alles um ihn herum wahrzunehmen, zu erkennen und wenn es darauf ankam, auch zu hinterfragen.
Kayron rümpfte die Nase.
»Privileg bringt es hier gut auf den Punkt, denke ich«, mischte sich Mahane ein.
»Deswegen liebe ich es, Personen einzukleiden«, mischte sich Peleran ein, wirbelte eher durchs Wasser, als dass er aus dem Nebenraum schwamm. »Meine Kleidung hilft jedem Körpertyp, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen.« Elegant drehte er sich um die eigene Achse, schwamm zu Mahane. »Daher, meine Prinzessin, zieht Euch dies an.«
Für einen kleinen Moment überlegte Mahane, dann probierte sie doch noch zwei weitere Gewandungen an. Peleran änderte die Oberbekleidung ihren Wünschen entsprechend. Aurelian konnte dabei beobachten, wie der Schneiderfisch in seiner Rolle aufging, ohne wieder zu explodieren. Immer wieder schielte Aurelian zu Kayron, die Worte ihres eben gehaltenen Gesprächs brachten ihn zum Nachdenken.
Also bin ich auch privilegiert, weil ich eine hundertprozentige Waffe habe. Verstehe ich das richtig? Geht Privileg mit Verantwortung einher?
»Nein danke, Peleran«, Mahane wies ihn freundlich zurück, und riss somit Aurelian aus seinen Gedanken. »Ich komme ein anderes Mal vorbei. Für heute habe ich genug meines freien Tages mit anderen verbracht. Ich schwimme in mein Zimmer. Ihr könnt Euch also in Ruhe um Kayron und Aurelian kümmern.« Mahane verschwand im hinteren Bereich, in dem sie sich ungestört umziehen konnte.
»Aber ... Aber ...!«, stotterte Peleran. Hektisch sah er zu Aurelian.
»Kayron, was jetzt?«, zischte er an seinen Partner gewandt.
Er zuckte die Schultern. »Training? Zum Kampf auffordern? Angreifen?«
»Dann beschwört sie sicher Jektus.«
»So ein Haidreck«, zischte Kayron.
Peleran sank auf den Boden. »Wozu tue ich das eigentlich? Warum?« Er sah mit weinerlich zornigen Augen zu Aurelian. »Du ... Du Unruhegeist! Du versprichst und hältst es nicht!«
»Oh ... Jektus wird zu dir kommen. Dafür sorge ich ... Mahane warte!« Schnell verfolgte er seine Schwester, die bereits umgezogen aus dem Ankleideraum schwimmen wollte. Sie aber ließ sich nicht abhalten, schlug kräftiger mit ihrer blaugrünen Flosse und schob sich durchs Wasser.
»Warum haust du ab? Bleib doch noch!« Aurelian schwamm seiner Schwester hinterher.
»Nein, ich habe genug anprobiert. Jetzt sollte sich Peleran um euch beide kümmern«, erwiderte sie. Inzwischen war sie halb durch den Verkaufsraum geschwommen. Der junge Prinz sah zu Kayron, dieser nickte. Beide verfolgten Mahane, ungeachtet, dass Peleran wie ein Häufchen Elend inmitten einer Traube aus schwebenden Gewändern saß und vor sich hinwetterte.
Hanya lugte aus ihrem Arbeitsraum, ihr Blick traf Aurelians. »Entschuldige, wir kommen ... äh .. ein anderes Mal wieder! Danke für alles! Sag Peleran, dass ich Wort halte!« Dann huschte der Prinz Mahane hinterher. Flink griff er nach ihrer Schwanzflosse, hängte sich daran.
»Jetzt bleib!«
»Aurelian!« Mahane schnaubte. Magie umspülte sie, ihre Handfläche begann von einem rötlichen Schimmer umgeben zu werden.
»Kayron, wir müssen sie aufhalten. Pack ihre Hand! Wenn sie Jektus beschwört, war alles umsonst«, rief er seinem Partner zu.
Kayron wirkte verunsichert, aber schwamm auf die Heeresführerin zu.
»Was meinst du mit alles umsonst?«, erklang Mahanes misstrauische Stimme in Aurelians Kopf.
Mist! Ich habe auf einer Frequenz gesprochen, die sie hört!
»Los! Sag mir auf der Stelle, was hier gespielt wird!«, verlangte Mahane. Sie packte Aurelians Ohrflosse, zog daran. »Spuck’s aus!«
»Au! Au! Au!«, jammerte Aurelian. »Also gut, also gut! Jektus ist im Oberwasserschloss. Er wollte, dass wir dich beschäftigen, damit er in die Speisekammer kann! Oder war es der Weinkeller ...? Ich weiß es nicht mehr!«
Ein tiefes Knurren drang aus Mahanes Kehle. »Besser du lügst mich nicht an.« Sie schnaubte. »Ich dachte, das Thema hätte ich mit ihm geklärt.« Letzteres klang, als wäre es nicht für Aurelian bestimmt gewesen. Dennoch packte sie Aurelian, löste seinen Griff, mit dem er sich an Mahanes blaugrüne Flosse geklammert hatte. »Du kommst jetzt mit mir.«
Einen kühlen Blick schickte sie an Kayron. »Mein Bruder scheint wirklich schlechten Einfluss auf dich zu haben. Besser du kommst ohne Widerworte mit. Und betet zur Gottheit Leben, dass Jektus oben ist.«
Mit einem leicht besorgten Ausdruck in den Augen klackerte Kayron als Zustimmung und folgte ihnen.
Den ganzen Weg bis zur Auftauchluke des Oberwasserschlosses hielt Mahane Aurelian gepackt, als wäre er ein Straftäter. So bekam er nicht mit, weshalb sie inmitten der Säulen, die den Kreis des Auftauchringes unter Wasser markierten, plötzlich hielten. Erst als sie von Aurelian abließ, um ihn gleich darauf mit beiden Händen am Kragen zu packen, sah er die Wut in ihren Augen flackern.
»Wellan ist gerade im Oberwasserschloss und er meinte soeben, Jektus sei im Zimmer. Er war nie oben.« Mahane verengte ihre Augen. »Aurelian. Was soll das alles?«
»Ich ... ich ... «, stotterte er.
»Warum stiehlst du das Medaillon und lügst mich an? Ist dir so langweilig?«
»Medaillon?«, mischte sich die ruhige Stimme Wellans hinzu. Der dunkle Fischmann mit den violettblauen Haaren sank von der Auftauchluke zu ihnen herunter auf ihre Höhe, sodass ihn Aurelian nun sehen konnte. »Jektus nahm heute Morgen dein Medaillon. Er meinte, er wolle es zur Schmiedin bringen, damit sie den Öffnungsmechanismus repariert.« Nun sah er zwischen Mahane, Aurelian und Kayron hin und her.
Mahane und Wellan schienen kurz ein paar Worte zu wechseln, auf einer Frequenz, die weder Aurelian noch Kayron verstand. Dann ließ sie von ihrem Bruder ab.
»Mitkommen! Alle beide«, war alles, was sie ihnen sagte.
Aurelian atmete kurz durch, glitt an Kayrons Seite, während sie Mahane in ihre Gemächer folgten.
Wellan bildete das Schlusslicht der Truppe. Er ließ es so wirken, als hätte er keine Eile, aber Aurelian ahnte, dass er aufpassen sollte, dass sie Mahane auch wirklich hinterher schwammen.
Der Türstein von Mahanes Wohnbereich schob sich beiseite.
»Jektus! Du bist mir eine Erklärung schuldig! Was soll-« Mahane brach ab. Sie sah sich im Gemeinschaftsraum um, der eher dunkel gehalten war. Vielerlei Pflanzen aus Ignen und Fische tummelten sich dazwischen, und erleuchteten den Raum. Auffallend waren die Lamionfische, eine Kugelfischart aus Ignen, die wie die Sternfische hier in Aquenos nachts leuchteten. Lamionfische waren für ihre zartviolette und manchmal orangen oder rosafarbenen Leuchtrezeptoren am ganzen Körper bekannt. So tauchten sie, gemeinsam mit Sternfischen, den Raum in buntes Licht. Dazwischen trieben Unmengen an Snackgirlanden und Essensspieße. Aurelian erkannte auch Süßkorallenwurzeln und gallertartige Früchte einer Pflanze, deren Wirkung Alkohol nahekamen.
»Oje oje, wer wird denn da so sauer sein?« Jektus kam unschuldig aus Mahanes Zimmer geschwommen. »Gefällt es dir nicht? Dabei hab ich an alles gedacht, das ihr zwei so mögt.« Seine Lippen umspielte ein breites, raubfischhaftes Grinsen. Dann erst schien er Aurelian und Kayron zu erkennen. »Ich wusste nicht, dass du Besuch mitbringen wolltest.« Er winkte in Aurelians Richtung. In seinem Blick lag nur die Frage, warum sie schon hier waren. Aurelian schüttelte den Kopf, nickte zu Mahane.
»Schluss damit. Was soll das?« Mahane sah sich um. Es war offensichtlich, dass ihr gefiel, was sie sah. Trotzdem aber verwusch dies ihre aufgekommene Wut nicht gänzlich.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, grinste Jektus unschuldig. Er drehte sich auf den Rücken, trieb lässig im Wasser, als wäre er sich keiner Schuld bewusst.
»Das weißt du genau. Wozu all die Lügen?«
Erst jetzt schien Jektus Wellan zu erblicken, weshalb er seufzte.
»Nun«, Jektus deutete mit seinem einen Auge auf die Umgebung. »Ich brauchte die Räume eben leer. Und jetzt sehe ich uns drei gemeinsam vereint, um unser kleines Trias Jubiläum zu feiern.«
»Unser Trias ... ist heute?« Für einen Moment stockte Mahane. »Ich hatte es gar nicht im Kopf ... «