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Gustav Falke

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Beschreibung

Gustav Falkes Buch 'Aus dem Durchschnitt' präsentiert eine erfrischende Perspektive auf das Leben und eine tiefgründige Analyse des menschlichen Zustands. In einem klaren und prägnanten Stil führt Falke den Leser durch eine Reihe von Geschichten und Gedichten, die von der alltäglichen Welt inspiriert sind. Seine tiefgehenden Betrachtungen über die Natur des Menschen und die Suche nach Bedeutung machen dieses Werk zu einer bemerkenswerten Lektüre. Durch die Verwendung von Bildern und Metaphern schafft Falke eine poetische Atmosphäre, die den Leser zum Nachdenken anregt und seine Sinne anspricht. Dieses Buch ist ein Meisterwerk der literarischen Kunst und ein zeitloses Werk, das die Leser inspirieren und bewegen wird.

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Gustav Falke

Aus dem Durchschnitt

 
EAN 8596547073314
DigiCat, 2022 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.

I.

Inhaltsverzeichnis

Dem undurchdringlichen Nebel des Märzabends war eine Frostnacht gefolgt. An der Ecke der Gärtnerstraße und des Durchschnitts, in einem östlichen Vororte Hamburgs, hatte am Morgen darauf die Glätte des übereisten, abgenutzten Straßendammes ein Opfer gefordert. Ein Droschkenpferd war so unglücklich gestürzt, daß an eine Rettung des gutgepflegten, wertvollen Tieres nicht zu denken war. Beide Vorderbeine waren dem Dunkelbraunen gebrochen. Schweißbedeckt, mit heftig arbeitenden Lungen, lag er in dem Kreis der schnell zusammengelaufenen Gaffer.

Der Kutscher, ein älterer Mann, stand in dumpfer Resignation dabei.

"Dat verdammte Jis, dat verdammte Jis", wiederholte er nur immer. Ein Schlachter drängte sich durch die Menge:

"Na, Beuthien, is he henn?"

"To'n Dübel is he", brach der verhaltene Grimm des Angeredeten los. Er warf die Peitsche mit einem Fluch auf die Erde und machte sich daran, den keuchenden Gaul von allem Geschirr zu befreien.

Der Frager und ein junger kräftiger Mann, dessen frisches, wettergebräuntes Gesicht unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Kutscher aufwies, waren dem hart Betroffenen behilflich.

"Harst doch man Liesch nohmen, Vadder", meinte der junge Mann.

"Schnack morgen klok", war die verbissene Antwort.

In dem Knaul der sich noch immer vermehrenden Zuschauer hielten sich Mitleid, Neugier und Lust am Unglück die Wage. Auch fehlte es nicht an schlechten Witzen. Vergeblich bemühte sich ein Schutzmann, die Menge zu zerstreuen. Er ließ seinen Aerger dafür an den Kindern aus, aber die auf der einen Seite mit barschem Wort verjagten, schlossen sich auf der anderen beharrlich wieder an.

Hatte das Publikum nur spöttische Mienen, halblaute Scherze für die heilige Hermandad, so war die Besitzerin des Eckladens, eines Geschäftskellers, in dem sich eine Weiß- und holländische Warenhandlung befand, um so energischer bemüht, den Mann der Ordnung wenigstens durch ihren Beifall aufzumuntern. Sie war um ihre Spiegelscheiben besorgt.

Die kleine, rundliche Frau war in beständiger Bewegung. Unter Mittelmaß, kostete es ihr verzweifelte Anstrengungen, dann und wann einen Blick auf den Gegenstand der allgemeinen Neugier zu ermöglichen.

Einmal versuchte sie sogar, sich von ihrem niedrigen Standpunkt aus dennoch einen Anteil an der Aktion zu sichern.

"Na, Herr Beuthien, is er tot?" fragte sie mit heller, durchdringender Stimme in das Gewühl hinein.

"Ne, man so'n bischen", rief ein vorlauter Junge zurück, unter dem Gelächter der Umstehenden.

Ein Dienstmädchen suchte, mit unwilligem Ellbogenstoß die Zärtlichkeit eines Gesellen abwehrend, die Nähe der Geärgerten zu gewinnen.

"Morgen, Frau Wittfoth! ich wollt' nur für'n Groschen Haarnadeln haben, von die langen, wissen Sie woll. Ich komm gleich retour, will man bloß mal eben Kartoffel holen."

"Recht, Fräulein, holen Sie man bloß mal eben Kartoffel", lachte die Wittfoth.

Gewandt schlüpfte das Mädchen durch das Gedränge.

Allmählich verlor sich die Menge. Das gestürzte Tier ward bis zur Ankunft des Frohnes durch übergeworfene Decken dem Anblick der Vorübergehenden entzogen. Vereinzelt sich anfindende Neugierige wies der Schutzmann sogleich weiter. Eine halbe Stunde später zeugte nichts mehr von dem Vorfall.

Frau Caroline Wittfoth war noch beim Sortieren der Haarnadelpäckchen beschäftigt, ihr nervöser Ordnungssinn hatte immer irgend etwas zu richten, zu verändern und zu verbessern, als auch schon jenes Dienstmädchen, mit der gefüllten Kartoffelkiepe am Arm, laut und fahrig in den Laden trat.

"Nu?" fragte sie mit strahlendem Lachen. "Haben Sie mich die Nadeln rausgesucht?"

"Sie feiern wohl Geburtstag heute?" meinte die Wittfoth, die verlangten Haarnadeln einwickelnd.

"Ich? Ne, wie meinem Sie das?"

"Na, ich meine man, weil Sie so vergnügt sind."

"Das sagen Sie man. Mal will unsereins auch lachen. Aergern thut man sich so schon genug."

"Haben Sie wieder was mit ihr gehabt?"

"Mit ihr nich. Mit ihr werd ich schon fertig. Aber die andere, die meint wunder, was sie ist, und muß sich doch auch man selbst kratzen, wenn ihr was beißt."

"Nu aber raus", rief Frau Caroline lachend, beleidigtes Feingefühl erheuchelnd. Die andere ließ sich jedoch gemütlich auf dem einzigen Rohrstuhl an der Tonbank nieder.

"Die? das glauben Sie gar nich", fuhr sie fort auszukramen. "Nächstens ißt sie auch nicht mehr vor Faulheit. Meinen Sie, sie stippt einen Finger in Wasser? I bewahre, könnt ja naß sein".

"Wie man nur so sein mag", ging Frau Caroline auf die Unterhaltung ein. "Wenn ich die Mutter wäre".

"Die? die stellt nichts nich mit ihr auf".

"Der Herr sollte sie man mal ordentlich vornehmen". Die Wittfoth machte eine bezeichnende Handbewegung.

"Dreimal auf'n Tag und düchtig", eiferte das Mädchen. "Aber Herrjeses! ich vergeß mir ja ganz. Na, das wird'n schönen Segen geben. Sie hat so keinen Guten heute".

Sie riß ihre Kartoffelkiepe an sich und stürzte mit einem vertraulichen "Schüüß Frau Wittfoth" fort, mit klirrendem Schlag die Thür hinter sich schließend.

"Deernsvolk!" schalt die zusammenschreckende Frau hinterher.

II.

Inhaltsverzeichnis

Frau Caroline Wittfoth war die Witwe eines kleinen Hafenbeamten, der ihr außer einer geringfügigen Pension soviel hinterlassen hatte, daß sie die Weiß- und holländische Warenhandlung von der erkrankten Besitzerin kaufen konnte. Vier Jahre hatte sie seitdem das gut eingeführte Geschäft mit Glück fortgesetzt und erweitert. Klug und unternehmend, hatte sie sich bald in die neuen Verhältnisse hineingearbeitet. Sie wußte, was sie wollte. Die Geschäftsreisenden merkten, daß sie der kleinen helläugigen Frau nichts aufschwätzen konnten und respektierten ihre Geschäftstüchtigkeit.

Mehr Mühe und Verdrießlichkeiten hatten ihr im Anfang die jungen Mädchen gemacht, deren sie zwei benötigte, eine Verkäuferin und eine Schneiderin für die Anfertigung der Dienstmädchenkostüme.

Sie hatte viel wechseln müssen. Die meistens ungebildeten, anspruchsvollen Mädchen suchten der kleinen, in manchen Dingen selbst noch unerfahrenen Frau durch freches Wesen zu imponieren. Aber Frau Caroline Wittfoth ließ sich nicht in ihrem eigenen Hause "kujonieren". Sie hatte immer kurzen Prozeß gemacht und, wenn nötig, alle acht Tage gewechselt, bis sie schließlich die brauchbaren Persönlichkeiten gefunden und sich in diesem täglichen Kampfe gegen Widersetzlichkeit, Unordnung und Trägheit soweit geschult und gestählt hatte, daß sie sich fortan in Respekt zu setzen wußte.

Seit einem halben Jahr hatte sie ihre Nichte Therese Saß, die Tochter einer verarmt verstorbenen Schwester, zu sich genommen, ein zweiundzwanzigjähriges, schwächliches, etwas verwachsenes Mädchen, das erkenntlichen Charakters die Fürsorge der Tante durch hingebende Pflichttreue vergalt. Therese war sehr geschickt im Schneidern und erlebte die Genugthuung, daß neuerdings auch einzelne Damen der Nachbarschaft ihre einfachere Garderobe, Haus- und Morgenröcke, von ihr anfertigen ließen.

Die Wittfoth selbst verstand nichts von diesem Zweig ihres Geschäftes, und besorgte lediglich den Laden und die Wirtschaft, wobei sie von einem zweiten jungen Mädchen unterstützt wurde.

Die achtzehnjährige blühende Blondine mit den großen grauen, blitzenden Augen wußte ihre Prinzipalin gut zu nehmen. Anstellig und gewandt, war sie mit Erfolg bestrebt, sich der Wittfoth unentbehrlich zu machen und sie durch kluges, einschmeichelndes Eingehen auf ihre Schwächen und Eigenheiten zu gewinnen. Auch die Kunden fesselte das hübsche Mädchen durch sein gefälliges, entgegenkommendes Wesen.

Mit der stillen, freundlichen Nichte ihrer Herrin hatte Mimi Kruse eine wärmere Freundschaft geschlossen. Von Natur gutmütig, fühlte sie Mitleid mit der kränklichen, in einer freudlosen Jugend Verkümmerten, und diese empfand das frische, immer gleich heitere Wesen Mimis als belebenden Sonnenstrahl in dem Einerlei ihres zum Verzicht auf jede lautere Lebensfreude verurteilten Daseins.

So lebten die drei Frauenspersonen wie in Familienzusammengehörigkeit. Oft kam ein Neffe der Witwe zum Besuch, Hermann Heinecke, ein Volksschullehrer. Der junge Mann war der Sohn ihres Stiefbruders, der im Mecklenburgischen eine kleine Landstelle besaß.

Hermann verkehrte gerne bei der Tante, der jungen Mädchen wegen. Der verwandtschaftlichen Freundschaft für Therese gesellte sich eine aufrichtige Wertschätzung ihres sanften, geduldigen Wesens und ihres feineren, tieferen Seelenlebens. Doch die Ergebenheit, die er seiner Cousine entgegenbrachte, hinderte ihn nicht, der hübschen Verkäuferin seiner Tante gleichzeitig ein warmes Interesse zu schenken.

Mimi hatte keinen glühenderen Verehrer, als Hermann Heinecke. Sie wußte das und verwandte alle kleinen Künste der Koketterie, um ihn an sich zu fesseln.

Das gutmütige, etwas fade, von einem dünnen blonden Bart umrahmte Gesicht des jungen Mannes war eigentlich nicht "ihre Nummer", wie sie zu sagen pflegte. Ihre Schwärmerei waren die Schwarzen, Kraushaarigen.

Die goldene Brille, die Hermann trug, söhnte sie jedoch wieder etwas mit seinem Gesicht aus. Sie hatte, wie die meisten jungen Mädchen, eine Vorliebe für Augengläser, unter diesen wieder das Pincenez bevorzugend. Die Brille verlieh dem ziemlich ausdruckslosen Gesicht des Lehrers ein bedeutenderes Ansehen. Die freundlichen blauen Augen sahen ohne diesen Schutz etwas blöde in die Welt, gewannen dahinter versteckt jedoch an Glanz und Leben.

Auch der Umstand, daß die Einfassung der Brille von Gold war, fiel bei Mimi Kruse durchaus ins Gewicht. Schenkte sie ihre Beachtung einmal einem Herrn, der eigentlich gegen ihren Geschmack war, so mußte sie hierzu triftige Gründe haben, zum Beispiel die Aussicht auf nahe und auskömmliche Versorgung. Und die bot ein junger Lehrer immerhin. Der Neffe ihrer Prinzipalin war seit Michaelis fest angestellt, hatte ein gesichertes Einkommen und war pensionsberechtigt. Dafür durfte er schon blond sein und einen schlichten Scheitel tragen.

Hermann hatte den beiden Mädchen versprochen, sie am ersten Ostertage spazieren zu führen, und kam nun am Freitag vor dem Feste, noch abends um 9 Uhr, um seine Einladung zu wiederholen und das Nähere zu bereden. Man wollte bei günstigem Wetter einen Nachmittagsspaziergang machen und am Abend ein Theater oder Konzerthaus besuchen. Bei schlechter Witterung sollte auf dem Dammthorbahnhof oder in der Alsterlust der Kaffee getrunken werden.

Die Mädchen waren mit Freuden bereit. Namentlich Therese, der so selten ein Vergnügen wurde, freute sich wie ein Kind.

Mimi brachte sofort die Frage auf. Was ziehe ich an?

Hermann sah sie am liebsten in heller Kleidung, und sie ging sogleich auf seinen Wunsch ein, ihr hellblaues Wollkleid anzulegen. Von Theresens Anzug war nicht die Rede. Ihre Garderobe war nicht sehr reichhaltig. Auch trug sie nur schwarz.

Anstandshalber hatte man auch die Tante eingeladen, in der Voraussetzung, daß sie ablehnen würde. Man wußte, daß sie um keinen Preis an irgend einem Tage ihr Geschäft schloß und etwas darin suchte, zu Hause zu bleiben, wenn andere ausgingen. Sie hatte überhaupt einen Hang, die Märtyrerin zu spielen, die von allen Kindern Gottes das geplagteste war.

Trotzdem atmete Hermann auf, als sie ganz entrüstet die Zumutung zurückwies, am Nachmittag des ersten Ostertages ihren Laden zu schließen. Sie hatte tausend Gründe dagegen. Gerade an diesem Tage hätte sie noch in jedem Jahre die glänzendsten Geschäfte gemacht. Für sie gäbe es keine Feiertage. Wie das wohl werden sollte, wenn sie spazieren laufen wollte. Und damit burrte sie zum Zimmer hinaus, da die Ladenglocke schellte.

"Therese, komm mal nach hinten", rief sie gleich darauf wieder durch die hastig aufgerissene Thür. "Fräulein Behn will Maß genommen haben."

Mit Metermaß und ihrem Notizbüchlein folgte Therese.

Mimi saß am runden Sophatisch. Sie hatte die niedrige Lampe aus bläulichem Milchglas dicht vor sich gerückt und war beschäftigt, die dünnen, schmiegsamen Stahlstäbchen in der Taille eines hellen Mädchenkleides zu befestigen. Der Schein des Lichtes fiel voll auf ihre etwas großen, aber weichen, schöngeformten Hände, die gut gepflegt waren, wenn auch nicht jede Spur häuslicher Thätigkeit sich hatte entfernen lassen.

Mit etwas gezierter Haltung des kleinen Fingers führte sie die Nadel. Die gleichmäßige Bewegung der vollen, rosigen Mädchenhand, an deren Mittelfinger ein schmächtiger Ring mit einem falschen grünen Stein matt glänzte, fesselte Hermanns Blick.

"Wie mögen Sie nur diesen falschen Stein tragen, Fräulein Mimi", sagte er.

"Schenken Sie mir einen echten, Herr Heinecke", entgegnete sie, ohne aufzusehen.

"Wenn Sie ganz artig sind", scherzte er.

"Bin ich das nicht immer?"

Sie sah ihn jetzt an, mit einem versteckten Spott in den grauen Augen, der ihm entging.

In der Vorfreude auf den lange ersehnten Ausgang mit ihr erschien sie ihm heute doppelt verführerisch. Mit ihr allein jetzt, und so schnell in diese verfängliche Unterhaltung geraten, fühlte er sich ganz in der Gewalt ihrer Reize.

Ohne auf ihre Frage zu antworten, stand er auf und stellte sich schweigend neben ihren Stuhl, der Weiterarbeitenden zusehend.

Ein schwacher Veilchenduft, ihr Lieblingsparfüm, das sie jedoch diskret gebrauchte, stieg zu ihm auf.

Er zog den Duft ein.

"Ah, Veilchen."

"Das letzte Tröpfchen", lachte sie. "Wenn's verflogen ist, ist es aus mit der Veilchenherrlichkeit."

"Dann bleiben die Rosen."

"Wie so?"

Er berührte mit dem Rücken der rechten Hand sanft ihre linke Wange.

"Wie Feuer."

Sie schlug nach ihm.

Sie hatte ihn kräftig getroffen. Der Fingerhut entflog ihr bei dem Schlag und rollte durchs Zimmer unter den altmodischen Sekretär aus Eichenholz, dessen Messingringe und Schlüssellochumkleidungen der Verdruß der jungen Mädchen waren, denn nie konnte dieser Zierat der Wittfoth glänzend genug leuchten.

Hermann, auf der Verfolgung des Ausreißers, lag bäuchlings auf dem Fußboden und angelte und fegte pustend und ächzend mit einem langen hölzernen Stricksticken der Tante unter dem ziemlich tiefen Möbel umher, als das Zimmer von außen geöffnet und die helle Stimme der Tante laut wurde:

"Unser Wohn- und Arbeitszimmer, Fräulein."

Gleichzeitig erschien Fräulein Behn in dem Rahmen der Thür, noch ehe die Wittfoth die ungewöhnliche Lage ihres Neffen recht gewahrte.

In größter Verwirrung schnellte Hermann empor, mit bestaubten Aermeln und Rockschößen, an welchen sich auch die unvermeidlichen Fäden der Nähstube festgesetzt hatten.

Schallendes Gelächter begrüßte ihn, in das er notgedrungen einstimmte.

"Fräulein Behn, mein Neffe, Herr Heinicke", stellte seine Tante vor.

Die junge Dame maß den Neffen mit etwas spöttischem Blick, der jenem entging, da er bei seinem demütigen Ritterdienst die Brille vorsichtig abgenommen hatte und noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand ängstlich von sich abhielt.

Therese beendete die komische Szene, indem sie sich mit der Kleiderbürste an die Reinigung ihres Vetters machte.

III.

Inhaltsverzeichnis

Der Ostermorgen versprach einen heiteren, wenn auch etwas kühlen Festtag. Voller Sonnenschein lag über der herben Frühlandschaft, als die Glocken von St. Gertrud die Gläubigen und Erbauungsbedürftigen zum Gottesdienst riefen.

Auch die Wittfoth, in Begleitung Theresens, befand sich unter den Kirchgängern. Seit sie die Kirche so bequem zur Hand hatte, daß sie sie in zehn Minuten erreichen konnte, versäumte die kleine, lebenslustige, keineswegs fromme Frau nie, wenigstens an den hohen Feiertagen die Predigt zu hören und sich an dem Gesang des Kirchenchors zu erbauen.

"Das ist man sich schuldig", sagte sie. "Ich gehöre durchaus nicht zu den Betschwestern, aber mal will der Mensch doch auch etwas Höheres haben. Und für mich hat es immer so etwas Feierliches, wenn die Knaben singen und die Orgel dazu spielt."

Therese begleitete die Tante regelmäßig in die Kirche, besuchte auch häufig allein den Gottesdienst. Ihr war die Erbauung aufrichtiges Herzensbedürfnis. Sie hatte den Glauben der hier auf Erden zu kurz Gekommenen an den Himmel und seine ausgleichenden Freuden. Wie alle Angelegenheiten des Herzens, umfaßte sie auch diese Dinge mit großer Innigkeit und fühlte sich dabei in schmerzlichem Gegensatz zur Tante, die auch hier ihre Oberflächlichkeit nicht verleugnete.

"Ach, ich glaub an gar nichts", erklärte die Wittfoth einmal. "Mir soll's auch einerlei sein. Sterben müssen wir alle, und von oben ist noch keiner lebendig wieder runter gekommen".

Eine geheime Angst hatte die kleine Frau vor dem Lebendig-begraben-werden. Wenn es irgend anginge, sollte man sie nach ihrem Tode verbrennen, nur nicht "einpurren".

"Dann könnt Ihr meine Asche in alle Winde streuen. Dann seid Ihr mich los", sagte sie. "An mein Grab kommt ja doch niemand, da ist es besser, Ihr verbrennt mich gleich".

Vor der Kirchenthür trafen Therese und ihre Tante auf Frau Behn mit ihren Töchtern.

"Na, Frau Behn, auch'n bischen hier?" fragte die Wittfoth.

"Dat is ja nu mal de Dag dorto", meinte die Angeredete, die zum Aerger ihrer vornehmen Aeltesten gerne platt sprach.

Fräulein Lulu musterte mit lässigem Gruß die Toiletten der Tante und Nichte.

"Dann beten Sie man recht", lachte die Wittfoth der Mutter zu, glätte schnell die Falten ihres vergnügten rundlichen Gesichts zu andachtsvollem demütigem Ausdruck und drängte sich mit dem allgemeinen Strom durch den etwas engen Eingang in die freundliche, erst neu erbaute Kirche.

Mimi Kruse hütete inzwischen den Laden. Ihr war die Kirche nichts als ein Haus mit einem Turm. Seit ihrer Konfirmation hatte sie nur einmal wieder eine Predigt gehört, das heißt, eine solche in den Kauf genommen zu dem Gesang des Kirchenchors, um dessen willen eine Freundin sie mit in die Kirche "geschleppt" hatte. Denn der Kirchenchor war gerade Mode geworden.